Haus der Generationen, Götzis, Vorarlberg Eine städtebauliche Chance - ein neues und altes Zentrum Das Ortszentrum von Götzis verlagerte sich erst im 19. Jahrhundert an den heutigen Standort und blieb seither mit der neuromanischen Pfarrkirche (1863) und der spätklassizistischen Volksschule von 1887 stadträumlich unausformuliert. Auch das 1980 von Leopold Kaufmann geplante und von der Gemeinde errichtete Altenheim im Rücken der Schule wurde eher bezugslos im Stadtraum eingefügt. Mit dem Neubau bzw. der Ergänzung des bestehenden Altenheimes zu einem in epistemologischer und gesellschaftstheoretischer Sicht zeitgemässen Sozialzentrums bot sich die einmalige Chance der Neuformulierung des öffentlichen Raumes im geographischen Zentrum von Götzis. Innerhalb des Gebäudegefüges um die Kirche, des bestehenden Altenheims und der Schule entdeckten wir eine nicht genutzte, fast vergessene Freifläche im Besitz der Gemeinde. Mit den vorhandenen Strukturen und dem städtebaulich sorgfältig plazierten neuen Gebäude wurde diese Freifläche in das vorhandene ortsräumliche Fusswegenetz eingebunden und in den Status eines Platzes gehoben - der Garten der Generationen. Dabei bilden die den Schauseiten abgewandten Flächen der Schule bzw. der Kirche und die Öffnungen des neuen Hauses die Platzwände, deren Flanken sich einerseits zum Marktplatz und in die andere Richtung zum ”Dörfli” - Platz öffnen. Der neue dreigeschossige Baukörper zeigt zwei Pflegegeschosse mit den beiden Wohngruppen und zum Platz ein öffentliches Sockelgeschoss mit dunklen Rahmenelementen, gefüllt mit ockerfarbenen, opaken, bzw. durch Vorhänge abgeschirmten Glasflächen in denen sich der Spaziergänger und der neue Park wiederfinden. Er bezieht durch die kubische Aussenform eine feste Stellung zur südlich angrenzenden Strasse und zu den kompakten Volumen der Schule und Kirche. Über drei tiefe Einschnitte entstehen differenzierte Aussenräume, Natur und Licht drängen hier ins Innere des Gebäudes. Der waagrechte Einschnitt zum Platz schaltet vor den Pflegebereich eine grosse, erhöhte Terrasse, die mit hüfthohen Gartenbeeten einen notwendigen abgeschlossenen Bewegungsbereich bildet. Ein weit auskragender Rahmen mit ausfahrbaren Sonnenschutzsegeln vervollständigt die Gesamtkontur. Zum einen bilden die zwei vertikalen Hofeinschnitte differenzierte Eingänge zu den öffentlichen Einrichtungen, zum anderen entsteht nordseitig zum Bestand ein von raumhohen Glasflächen begrenzter Hofraum, der wie ein grosser Schaukasten Sichtbezüge zwischen den Geschossen und zu den zentralen Aufenthaltsbereichen und den Pflegezimmern herstellt. Um sie lagern sich pro Geschoss zwei einhüftige Zimmerflügel, die ein offenes und gut belichtetes Wegenetz ergeben. Ein Erschliessungskern sitzt an deren Kreuzungspunkt. So folgt der Entwurf für die Pflegestationen gesamthaft dem Wunsch des Dementen nach Licht, Orientierbarkeit und Abwechslung! Eine philanthropische Chance - eine Antwort auf die demographischen Veränderungen In den jüngsten Jahren ist die Betreuung und Heilung dementer Menschen immer stärker in den Vordergrund gerückt. Im Jahr 2050 wird ein wesentlich grösserer Teil der Menschen über sechzig das Bild der österreichischen Gesellschaft prägen als noch heute - aber die Krankheitsbilder des Altern bleiben dieselben. Auch aus diesem Grund sind in den letzten 10 15 Jahren die verschiedensten Modelle zum betreuten Leben im Alter angedacht worden. Allen gemeinsam war das Ziel ein Leben in grösstmöglicher ”Normalität” zu führen. Trotz zum Teil massiver körperlicher bzw. geistiger Behinderung soll ein Umfeld für den Alltag geschaffen werden, das sich dem bis dahin geführten Leben annähert. Das Krankheitsbild, das eine langsam zunehmende Desorientierung im Alltag bedeutet, ist betreuungsintensiv. Hier trifft sich die gestalterische Beweglichkeit und eine gewisse Experimentierfreudigkeit mit der Welt der Bewohner. Mit Blick auf deren eingeschränkte Mobilität und dem hohen Bedürfnis nach Orientierbarkeit wurde eine Dichte an sinnlichen Angeboten geschaffen. Einbauten aus Eichenholz kennzeichnen die Zimmer, der Erschliessungskern wurde aus der gleichen Betonmischung gegossen, wie die Aussenfassade. Durch eingelegte Heizschlangen wurde das Ganze in einen grossen Kachelofen verwandelt. Die Fassade besteht aus einer Mischung aus rotem Tennissand und Klinkerbruchziegeln. Durch eine spezielle Waschbetontechnik entsteht somit ein visueller und haptischer Reichtum. Die haptische Erfahrung spielt in den gesamten Überlegungen zur Planung eine zentrale Rolle, da sie im Gegensatz zu den anderen (Sehen, Hören usw.) schlechthin keinem Alterungsprozess unterliegt. Diese Dichte an kognitiven Reizen erbringen auch die fotografischen Arbeiten des Künstlers Ernst Trawöger, welche als bedruckte Leinwände akustisch wirksam vor die gesamten Wandflächen zwischen den Bewohnerzimmern gesetzt wurden. Ausschnitthafte Motive aus dem Ort, ein markanter Stadel, ein Kirchturm, ein Detail des Freibades wurden farblich sanft verfremdet und verleihen jedem Zimmereingang eine intuitiv erfassbare Identität, während das eigene Zimmer der Individualität vorbehalten bleibt. So wurde in langen Diskussionen mit den Nutzern und den Vertretern der vorarlberger Landesregierung ein "Wohngruppenmodell” entwickelt, in dem sich der betagte Mensch umgeben von reaktiven Reizen und angemessener Betreuung - dem Alltagstreiben hingibt. Nicht zuletzt hat sich deswegen auch der Hauch eines Hotels eingeschlichen. Architektur hat in Götzis Tradition, eine Marktgemeinde mit rund 10.000 Einwohnern hat architekturgeschichtlich durchaus einen Namen. Ein hohes Gestaltungsbewusstsein und ein sorgfältiger Umgang mit Ressourcen (nahezu Passivhausstandard im Neubau) ist also Bekenntnis und Programm verknüpft mit der Person des Bürgermeisters, der auch im Vorstand des Vorarlberger Architekturinstitutes amtiert. Aus dieser Haltung heraus wurden wir auch über einen EU-weiten Wettbewerb ermittelt. Der Erweiterungsbau bespielt - wie uns bereits mehrfach attestiert wurde - wirksam und mit Gespür den baulichen Massstab im öffentlichen Raum. Bemerkenswert ist letztendlich unserer Meinung, dass das intensive Zusammenspiel von Bauherr, Nutzer, Architektur, künstlerischer Gestaltung und der Freiraumplanung ein räumliches Angebot leistet und den Ort städtebaulich klug für die Menschen im und um das Gebäude erschließt. Die Fassaden - im geriatrischen Reich der Sinne Die sinnlichen Reize verändern sich mit zunehmendem Alter. Die Wahrnehmung der Welt des betagten Menschen ist eine reduzierte und es wird zunehmend schwieriger die sechs Sinne so sie noch funktionieren - zu koordinieren. Dabei spielt die haptische Erfahrung eine Sonderrolle da sie im Gegensatz zu den anderen (Sehen, Hören usw.) schlechthin keinem Alterungsprozess unterliegt. Dieser Ansatz bildete die zentrale Basis für den gesamten Planungsprozess aus dem drei unterschiedliche Fassadentypologien für dieses Gebäude entwickelt wurden: Einem Kunststeinmonolith gleich wurde die äusserste Struktur bearbeitet. Sie wurde ausgehöhlt, aufgeschnitten, durchbrochen und bildet schlussendlich das Bindeglied zwischen den beiden anderen Fassadentypologien. Diesem theoretischen Ansinnen folgten zahlreiche Laborversuche, die uns bis in das Berlin der Nachkriegszeit um 1950 und zum Recyclingbeton führten. Nach mehreren Versuchen war es uns gelungen ein Betonrezept bestehend aus einer Mischung aus rotem Tennissand, Klinkerbruchziegeln gemischt mit Eisenoxyd herzustellen, das den geforderten Festigkeitswerten der DIN entsprach. Durch eine ausgeklügelte Schalungstechnik und entsprechender Oberflächenverzögerung konnten bis zu zehn Meter hohe monolithische Teilblöcke hergestellt werden. Nach dem Auswaschen der Fassaden tritt der Klinkerbruch hervor und bildet eine homogene, aufgerauhte, haptische Fassade. In die grossen Laibungen dieser monolithischen Ausbrüche wurden weitere haptische Schichtungen aus dem traditionellen, ortsüblichen Material Eiche eingefügt. Dabei wurden im Bereich der Bewohnerzimmer feine Holzlamellen in drei verschiedenen Ebenen horizontal und vertikal so arrangiert dass eine Ablesbarkeit der Zimmer erleichtert wird ohne den Charakter einer übergeordneten grossen Öffnung zu leugnen. Die Holzlamellen vor den raumhohen Glasöffnungen der Zimmerbrüstungen geben einerseits den Blick nach draussen kontrastreich frei und andererseits den notwendigen warmen, haptischen Halt. Dieser Dichte an kognitiven Reizen wurde die dritte Fassade hinzugefügt - eine weitere Herausforderung an die Sinne, die funktional nur in den öffentlichen Bereichen - im Gegensatz zu den Zimmern - eingesetzt wurde. Technisch gesehen sind es die grössten Dreischeiben - structural glazing - Fassaden Österreichs. Die raumhohen Verglasungen wurden im Brüstungsbereich mit unregelmässigen ca. 8 mm grossen Punkten im Verlauf in einem speziellen Siebdruckverfahren bedruckt - wieder ein kontrastreicher Ausblick. Im Bereich der geschlossenen Fassaden wurde dieselbe Technik für die geklebten und druckentspannten Gläser verwendet. Ca. 8 cm tiefer befindet sich eine Agepanplatte, die einerseits feuchtigkeitsregulierend wirkt, andererseits durch die Tiefenwirkung die Punkte verdoppelt und dadurch ausschnitthafte haptische Illusionen erzeugt. Kunst am Bau Text: Ernst Trawöger Die Basis für die 'Wandstücke' sind 18 analog photographierte Zwillingsmotive, die als Gesamtes in Korrespondenz treten, und gleichzeitig eine Gruppierung bzw. Gliederung der beiden Ebenen bedingen. Die Farbigkeit wurde schon während der Belichtung beeinflusst und weiters bearbeitet, damit strukturelle & farbliche Momente in die gewünschte Richtung des Zurücktretens im Sinne einer Abstraktion – Reduktion gelenkt werden. Die Anordnung in den Räumen ist einerseits durch Markanz (die Motive stellen heterogene Elemente gegenüber) und andererseits durch das Wechsel-Spiel von Ex- und Interieur bestimmt; gleichsam erinnerte Raum-Fragmente.