Prof. Gerhard Neidhöfer, Hausen bei Brugg

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IG Pro Steg, Postfach 1625, 79606 Rheinfelden
Zusammenfassungen der Referate der Info-Veranstaltung
Abriss oder Erhalt eines potenziellen industriellen Weltkulturerbes
Vom 31. März 2009 im Rheinfelden/Baden
Prof. Gerhard Neidhöfer, Hausen bei Brugg
Das alte Flusskraftwerk Rheinfelden gilt als welthistorisches Meisterwerk in der Entwicklung des
Drehstroms und der 50Hertz Frequenz. Der Bau des Kraftwerkes diente hauptsächlich der Produktion
von Wechsel- und Drehstrom für die Nachbarn und die Grossbetriebe, zunehmend auch für andere
Industriebetriebe, Kommunen, Gewerbe und Private in einem weiteren Umkreis um Rheinfelden herum.
Vor dem Bau des Flusskraftwerkes Rheinfelden war die Hochblüte der Gleichstromtechnik hauptsächlich für Beleuchtung, gleichzeitig begann der Krieg der Stromsysteme „Gleichstrom gegen Wechselstrom“ mit gegenseitigen Breitseiten der Strom‐Anhänger:
Thomas Edison (1847−1931): Nein, nein, Wechselstrom, ist ein Unding, hat keine Zukunft, ich will nichts von
Wechselstrom sehen noch hören! (1891)Die Verwendung von Wechselstrom anstelle von Gleichstrom ist vernünftig denkender Menschen unwürdig!
Werner von Siemens (1816−1892):Solange ich da bin, gibt es nur Gleichstrom! Wechselstrom ist des Teufels,
man kann damit Tiere und Menschen töten!
Nikola Tesla, Michael von Dolivo-Dobrowolsky und Charles Brown waren die Wegbereiter des heutigen Weltstandards zu einem besseren Stromsystem für Licht, Kraft und Übertragung: Wechselstrom
und Hochspannung.
1891 erfolgte die erste Kraftübertragung Lauffen/Neckar − Frankfurt/M. mit hochgespanntem Dreiphasenstrom (Drehstrom)durch Charles Brown und Michael Dolivo‐Dobrowolsky.
1896 nahmen die Niagara Falls Kraftwerke die Produktion durch drei Tesla‐Generatoren mit Zweiphasen‐Wechselstrom und 25 Perioden auf und 1898 gehen die Kraftübertragungswerke Rheinfelden mit zehn Generatoren für Dreiphasen‐Wechselstrom (Drehstrom) mit der einheitlichen Wechselzahl von 50 Perioden für Licht und Kraft an das Netz. Das Flusskraftwerk Rheinfelden wird zum Felsen in der Brandung der Stromsystem‐ und Frequenz‐Wirrren. So hält eine ausführliche Studie der
AEG 1896 fest, dass in der Gesamtheit der hier dargestellten Vorzüge des Dreiphasenstromes ausschlaggebend gewesen sei, bei der Kraftübertragungs‐Anlage Rheinfelden Drehstrom zu 50 Perioden
in der Sekunde anzuwenden.
1898 wird die Generatormontage in Rheinfelden persönlich durch Michael Dolivo‐Dobrowolsky überwacht
Kraftwerke Rheinfelden und Niagara: Historische Bedeutung und Vergleich
RHEINFELDEN
Erste grosse Wasserkraftanlage Europas
Inbetriebsetzung 1898
Gesamtleistung 12‘000 kW
20 Maschinensätze (10 Gleich‐, 10 Drehstrom)
Dreiphasen‐Wechselstrom:
Drehstrom
Systemfrequenz 50 Hz
Keimzelle des europäischen Verbundnetzes
mit 50‐Perioden‐Drehstrom
NIAGARA
Erste WK‐Grossanlage der Welt
1895
11‘000 kW
3 „Tesla‐Generatoren“
Polyphasealternating current:
Zweiphasen‐Wechselstrom
25 Hz
Zweiphasen‐25Hz‐Insellösung
mit Umformern nach außen
Fazit: Das Flusskraftwerk Rheinfelden ist ein welthistorisches Meisterwerk in der Entwicklung des
Drehstroms und der 50‐Hertz‐Frequenz.
Dr. Wolfgang Bocks, Rheinfelden/Baden
Das Flusskraftwerk Rheinfelden ist die Basis eines europäischen Verbundsystems des Stromaustausches. Die damalige Vorgabe der AEG bestand im Flusskraftwerk Rheinfelden darin, Generatoren mit
55 Umdrehungen für 50 Hz und 20 Reaktions-Francis-Turbinen mit 840 PS (16.800) Doppelkranzturbinen einzubauen. Dabei sind Turbine und Generator direkt gekuppelt und es resultiert eine größere
Effizienz und geringer Verschleiß.
Heute noch sind 2 komplette Maschinensätze von 1897/98 vorhanden und produzieren kontinuierlich
Strom. Möglicherweise sind diese Maschinen die einzigen ihrer Art.
Entstehung des europäischen Verbundnetzes: Die Verzögerung des Kraftwerkbaus in Augst - Wyhlen
sowie die bestehenden Lieferverträge mit Industrie und Gewerbe in Basel führten zum erstmaligen
Zusammenschluss der Leitungen zweier Kraftwerke in verschiedenen Versorgungsgebieten.
Wegen einer Havarie wurde 1905 die Stromlieferung zum Kraftwerk Wangen an der. Aare vorgenommen, 1906 wird die Gegenlieferungen zum Kraftwerk Rheinfelden funktionsfähig.
Die resultierenden Vorteile sind augenfällig: Rasche Behebung von Störungen; höhere Betriebssicherheit; gegenseitige Reservehaltung; grenzüberschreitende Hilfeleistung; kurzfristige Deckung von
Spitzenlasten. Das Gesamtresultat bestand zu dieser Zeit in einer ausgezeichneten Versorgungsqualität und kann als Beginn einer gesamten europäischen Entwicklung beim Kraftwerk Rheinfelden betrachtet werden. Die Entwicklung basierte nicht in einem Gesamtplan, sondern auf Grund pragmatischer Entscheidungen (Kooperation statt Konkurrenz) und erfolgte in abgesicherten Versorgungsgebieten.
Bereits 1920 trat das KWL Laufenburg als Bindeglied bei und die eidgenössische Sammelschiene
(Bern, Olten-Gösgen, NOK Nordostschweizerische Kraftwerke und Motor AG) sowie die Anbindung an
Württemberg und Frankreich wurde möglich. 1926 Erweiterung des Verbundes mit Nordbaden und
dem Ruhrgebiet.
Heute sichert das europäische Verbundsystem die jederzeitige Deckung der Gesamtheit der elektrischen Verbraucherleistung, die jederzeitige Deckung der Erzeugerleistung und den Ausgleich von
Schwankungen auf die exakte Periodenzahl von 50 Hz. Das Verbundsystem garantiert für den europäischen Stromhandel (Liberalisierung seit 1998) und bindet regenerative Erzeugungsstandorte
(Wind-, Wasser-, Solaranlagen) mit ein.
Das Flusskraftwerk Rheinfelden von 1898 ist demnach die Urzelle dieses europäischen Verbundsystems dank den Maschinensätzen 10 und 13 im Werk.
Bernward Janzing, Freiburg
Rheinfelden 1898: ein welthistorischer Pionier für die großtechnische Nutzung von erneuerbarer
Energien und die Zukunftsverantwortung der beiden Städte Rheinfelden als historisches Gewissen für
erneuerbare Energien und Klimaschutz
Als das Kraftwerk Rheinfelden 1898 ans Netz ging war es mit einer Leistung von 12,4 Megawatt das
größte Kraftwerk Europas, weltweit nur vom Werk an den Niagarafällen übertroffen. Es wurde damals
noch längs der Flussrichtung gebaut, weil man technisch noch nicht in der Lage war, quer im Fluss zu
bauen. Auch das Doppelkraftwerk in Augst - Wyhlen wurde von 1907 bis 1912 noch längs am Fluss
errichtet, erst in Laufenburg (1908 bis 1914) war man soweit, dass man quer zur Fließrichtung bauen
konnte. Dadurch können die Kräfte des Wassers viel effektiver genutzt werden.
Um schon vor Fertigstellung von Augst - Wyhlen weiteren Strom verfügbar zu machen, schlossen die
Kraftübertragungswerke Rheinfelden 1903 einen Vertrag mit der „Motor AG“ in Beznau in der Schweiz
über die Bereitstellung von 3000 PS (2200 Kilowatt). Dieser Vertrag gilt heute als der Beginn der europäischen Verbundwirtschaft. Auch die Gründung der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL)
durch das Kraftwerk Laufenburg im März 1956 macht deutlich: Die Keimzelle des europäischen Verbundnetzes liegt am Hochrhein.
Doch nicht nur das: Das Kraftwerk Rheinfelden ist zugleich Symbol für die Kraft der erneuerbaren
Energien. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts brachte die Wasserkraft - ausgehend von Rheinfelden in vielen Regionen Süddeutschlands und der Schweiz den Menschen einen nie gekannten Wohlstand.
Bedenken des Naturschutzes gab es auch damals übrigens schon am Hochrhein, wie sich vor allem
am Beispiel Laufenburg zeigte: Der Bund Heimatschutz kämpfte ab 1904 gegen die Zerstörung der
Laufenburger Stromschnellen - ohne Erfolg. Heute ist man, wie das Beispiel Rheinfelden-Neu zeigt,
im Umgang mit der Natur bei der Wasserkraft erheblich sensibler geworden. Der Konflikt von Naturschutz und erneuerbaren Energien wurde deutlich versachlicht und entschärft, weil man zunehmend
erkennt, dass erneuerbare Energien auch Klimaschutz sind, und Klimaschutz immer auch dem Naturschutz dient.
Vor dem Hintergrund des heutigen Booms der erneuerbaren Energien sollte das Kraftwerk Rheinfelden als historisches Symbol erhalten bleiben. Branchenkenner rechnen damit, dass im übernächsten
Jahrzehnt die Hälfte des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energien stammen wird - dann wird
man sich an die Anfänge der Wasserkraft gerne anhand der historischen Anlagen erinnern. Das
Kraftwerk Alt-Rheinfelden hat die Chance zu einem Anschauungsobjekt für Technikgeschichte und
Regionalhistorie, sowie zu einem Zentrum der Umweltpädagogik zu werden, wie es in Europa kein
zweites gibt.
Literatur: Bernward Janzing, Baden unter Strom - eine Regionalgeschichte der Elektrifizierung. Dold-Verlag Vöhrenbach, 2002.
Dr. phil. Henri Leuzinger
Das einzigartige Ensemble Kraftwerk Rheinfelden umfasst heute das altes Kraftwerk mit dem Steg,
die Idee Campus, und den Neubau, der voll im Gang ist. Der aktuelle Bauumfang beinhaltet nicht nur
Wehr und Kraftwerk sondern gleichzeitig die Rheinbettaustiefung, die Planung und Realisierung des
Fischaufstiegsgewässers sowie heute auch die Diskussion der beiden Partnerstädte am Hochrheinabschnitt um Erhalt oder Abriss des alten Kraftwerk-Ensembles.
Die beiden Rheinfelden gaben 2008 eine Studie* in Auftrag, die einerseits die Machbarkeit ökologischen und naturbezogenen Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses beim möglichen Erhalt des alten Maschinenhauses sowie städteplanerische und entwicklungsspezifische Elemente der beiden
Partnerstädte untersuchten.
Die Resultate dieser Studie sind vielversprechend: Umwandlung Industriequartiere; Idee Campus für
Schule, Forschung, Entwicklung; Erhalt der Verbindung und des alten Werkes; Entwicklung der Stadtquartiere im Osten der Schweizer Seite; mögliche neue S-Bahn-Haltestelle auf Deutscher Seite.
Die Studie erkennt das beidseitige Ensemble mit enorm hohem Entwicklungspotenzial; das Pionierwerk des Industriezeitalters, kombiniert mit ökologisch optimiertem Neubau – wegweisend für nachhaltig produzierte Energie sowie die mögliche Prüfung für einen Status als UNESCO Weltkulturerbe
und als ein sinnvolles Projekt innerhalb der Internationale Bauausstellung Basel (IBA 2020).
Die Metron-Studie empfiehlt den Erhalt Altes Kraftwerk, das teilweise umgenutzt werden soll. Im Teil
Ost wird das Fischaufstiegsgewässer unterfangen und die Turbinen/Generatoren 10 und 13 werden
erhalten.
Die Simultec hat die Vorgaben der Umweltverträglichkeit Kraftwerk-Neubau mit den Resultaten bei
Erhalt des alten Kraftwerkgebäudes geprüft und bezüglich der Lockströmung; der Gestaltung der
Fischaufstiegsgewässer; der ornithologischen Bedeutung und auch für Flora-Fauna als vertretbar beurteilt.
Die Schaffung einer «Ersatz-Gwild»-Fläche rechtsrheinisch im Raum Höllhaken hat wohl nur geringfügigen Einfluss auf die ausgetiefte Rhein-Abflussrinne und kann so optimiert werden, dass keine Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Ein „Ersatz-Gwild“ am Höllhaken ist machbar, jedoch sehr teuer, ist mit dem Abflussregime des neuen
Kraftwerks vertretbar und steigert die ökologische Qualität des Rest-Gwilds.
*
Städte Rheinfelden D/CH: Campus Rheinfelden Kraftwerk, Machbarkeitsstudie Erhalt Altes Kraftwerk
Metron, Brugg / Planungsgruppe SüdWest, Lörrach; Oktober 2008
Martin Eder, Architekt, Lörrach
Nutzungskonzept für das alte Wasserkraftwerk Rheinfelden. Auf dem ersten Blick erscheint das
Kraftwerk in einer unattraktiven Lage an der Peripherie der Stadt zu stehen. Wenn aber die historische
Entwicklung aus dem Städtebau heraus erörtert wird, erkennt man, dass die Stadtentwicklungen beiderseits des Rheines von einander abhängig waren und dies auch noch heute sind. Mit dieser Sichtweise befindet sich dann das Kraftwerk eingebunden in unterschiedlichen Nutzungszonen beider
Rheinfelden.
Zwei mögliche Nutzungskonzepte werden vorgestellt, um somit Variationsmöglichkeiten bezüglich des
Denkmalschutzes sowie der Wirtschaftlichkeit diskutieren zu können. In der Mitte des Kraftwerkes befinden sich die besagten Turbinen 10 und 13. Im ersten Konzept wird der Mittelbau über eine neue Erschließungsbrücke für die Öffentlichkeit zugänglich. Zugleich ist dieser auch Foyer für die beidseitig
anschließenden Nutzflächenbereiche. Diese Mittelzone vereint zugleich zwei Funktionen. Einerseits
als Verteilerhalle für die angrenzenden Mieter und Nutzer andererseits öffentliche Museumszone mit
kleinem Café, wobei sich beide Nutzungen attraktiv ergänzen. Auf drei Ebenen würde sich eine Nutzfläche von insgesamt 2400m² ergeben.
Während beim ersten Konzept die kanalseitige Fassade verändert werden müsste verfolgt die zweiten
Version eine Leitidee, welche in ihrem Ansatz die bestehende Maschinehallenatmosphäre erhält. Die
Turbinen 10+13 welche von sieben freistehenden und baugleichen Pavillons umgeben sind. Jeder
Pavillon könnte mit einer separaten Nutzung belegt werden. Die Pavillons sind zweigeschossig und
nehmen in ihrer Dimensionierung die Größe der bestehenden Generatoren auf. Das Wahrnehmen eines Innenraumes mit einer Länge von 162 m, Breite 12m, Höhe 11 m bei einer Pavillonhöhe von
knapp 6 Metern bleibt erhalten. Durchaus könnten die Pavillons von verschiedenen Nutzern wie Bildungs- Forschungs- Dienstleistungs- und Verwaltungseinrichtungen angemietet werden. Bei diesem
Konzept bleibt die Substanz und der Charakter des Gebäudes innen und außen weitgehend erhalten
und somit werden wichtige Kriterien des Denkmalschutzes eingehalten. Bei dieser Variante verringert
sich jedoch die vermietbare Nutzfläche auf ca.1200m².
Das Umgehungsgewässer durchquert hier sichtbar den rechten Teil des Gebäudes und mündet in den
Rhein. Hierbei gilt es das Raster der Turbinenkammerwänden beizubehalten und die sichtbaren Pfeilervorlagen zu belassen, was jedoch bezüglich des Fließverhaltens hydrologisch untersucht werden
müsste. Die Kammern der historischen Turbinen bleiben für Besichtigungen erhalten und somit in ihrem Urzustand. Gleichzeitig sollten auf der linken Seite die Turbinenkammern auch geöffnet werden.
Hier würden offene Kiesflächen des Rheinufers durch das Gebäude hindurch mit den renaturierten
Flächen des Kanals verbunden werden. Somit wird das Kraftwerk zu einem Brückengebäude welches
sich über einer Flusslandschaft erstreckt. Nicht sichtbar könnten neue Nistplätze für Mauersegler und
Schwalben sowie in den ehemaligen Turbinenkammern für Wasseramseln und Fledermäusen vorgesehen werden.
Durch das öffnen der Turbinenkammern werden keine Auftriebskräfte entstehen, welche dem Gebäude schaden könnten. Zusätzlich wird die Luftzirkulation durch diese die Trocknung der bisher wasserberührenden Bauteile positiv beeinflussen. Um aufsteigende Feuchtigkeit im Mauerwerk zu unterbinden sollte mit einem Injektionsverfahren eine horizontale Sperrschicht über der Hochwasserebene
eingebracht werden.
Das Flusskraftwerk Rheinfelden ist ein einzigartiges Gebäude, monumental, gut proportioniert, qualitativ ansprechende Architektur, als Zeuge und Wegbegründer einer kulturhistorischen Epoche mit weltweiter Bedeutung, in attraktiver Lage zwischen einem Naherholungsgebiet und einem im Aufbruch befindlichem Industrie und Campusareal, direkt am Rhein gelegen, mit sehr kurzer Anbindung an eine SBahnstrecke, mögliches Projekt der IBA Basel, Stadtentwicklungsgebiet beider Rheinfelden.
Wenn das Kraftwerk schlussendlich in die Liste der Weltkulturerben aufgenommen werden würde dann wäre das Happyend perfekt.
Zusammenstellung auf Basis Präsentationen und DVD – Kassette: Franz Helbling (Mai 2009)
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