Integrationspolitisches Leitbild des Landkreises Grafschaft Bentheim Einleitung Infolge von Anwerbevereinbarungen kamen in den fünfziger und sechziger Jahren zahlreiche ausländische ArbeitnehmerInnen (ArbeitsmigrantInnen) nach Deutschland. Ihnen folgten seit dem Anwerbestop von 1972 oftmals ihre Familienangehörigen mit dem Ergebnis, dass zahlreiche ArbeitsmigrantInnen mit ihren Familien im Landkreis sesshaft wurden. Migration- und Integrationsprozesse und Interkulturalität stellen einen globalen Trend dar. Auch in im Landkreis Grafschaft Bentheim bestimmt die kulturelle Vielfalt der Menschen zunehmend mehr das Bild der hiesigen Gesellschaft und führt zu grundlegenden Veränderungen der Arbeitswelt- und Lebensverhältnisse. Dies stellt vielfältige neue Anforderungen. Auch im und für den Landkreis Grafschaft Bentheim. Integration ist ein über mehrere Generationen ablaufender Prozess, in dem sich MigrantInnen und auch die Strukturen und Kultur der aufnehmenden Gesellschaft verändern. Unter MigrantInnen verstehen wir alle zugewanderten Menschen, die im Landkreis Grafschaft Bentheim leben, ungeachtet des Grundes für die Zuwanderung. Dies schließt auch Menschen ein, die die deutsche Staatsbürgerschaft durch das Einbürgerungsverfahren erworben haben und die Spätaussiedler, die nach dem im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) vorgesehenen Verfahren die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten haben sowie deren Nachkommen. Am 31.12.07 lebten im Landkreis bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 135.000 BürgerInnen über 18.500 Menschen mit Migrationshintergrund (13,7 %), davon 14.593 Personen mit Ausländerstatus. In der Summe von 18.500 Personen sind Spätaussiedler/innen nicht enthalten, weil für diesen Personenkreis keine gesonderte Statistik besteht. Der Landkreis ist sich der besonderen Bedeutung der Integration von MigrantInnen bewusst. Ziel ist es, den Menschen mit Migrationshintergrund eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben zu ermöglichen. Dabei soll ihre eigene kulturelle Identität nicht herabgesetzt, sondern respektiert und als Bereicherung anerkannt werden. Kulturelle, religiöse und ethnische Vielfalt sind zu selbstverständlichen Bausteinen unserer Gesellschaft geworden. Integration ist immer ein zweiseitiger Prozess. Um erfolgreich geführt zu werden, setzt er auch bei den MigrantenInnen ein hohes Maß an Bereitschaft voraus, sich offen, vorurteilslos und aktiv den Andersartigkeiten und Besonderheiten des Gastlandes zu nähern. Der Grundsatz des Förderns und Forderns gilt insoweit auch für alle Integrationsbemühungen. Für den sozialen Frieden ist Integration deshalb eine wichtige Voraussetzung. Vielfalt heißt aber nicht, alles zu bejahen und kritiklos zu tolerieren. So kann es z.B. bei Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen oder auch bei religiös begründeter Gewalt keine Toleranz geben. Damit dieser Integrationsprozess erfolgreich verläuft, ist es nötig, ein gemeinsames Verständnis der 1 demokratischen Grundwerte und Grundrechte, wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Einhaltung der Menschenrechte und das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, herzustellen, d.h. dass alle Prozessbeteiligten das Grundgesetz als verbindlich anerkennen. Integration ist als ein Prozess zu verstehen, zu dessen Gelingen Aufnahmegesellschaft und MigrantInnen gleichermaßen beitragen müssen. die Die Herausforderung an die Kommunen und die kommunalen PolitikerInnen besteht darin, die interkulturelle Realität als Folge von Migration in unseren Städten und Gemeinden als kommunale Verantwortung und kommunale Gestaltungsaufgabe zu begreifen. Aufgrund demographischer, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Veränderungen der Lebenslagen der MigrantInnen ist eine Neuorientierung der Kommunen erforderlich, um Versorgungsangebote und Dienstleistungen auf die veränderten Bedürfnisse und Anforderungen der Migrantenbevölkerung besser abzustimmen. Die Kommunen spüren die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Folgen der Migration am konkretesten. Sie müssen Umdenkungsprozesse in der Politik und im Verwaltungshandeln einleiten, eine solidarische Politikkultur vorleben, Chancen verbessernde Maßnahmen ergreifen, d.h. interkulturelle Kreispolitik zu einer ressortübergreifenden Querschnittsaufgabe zu verbessern. Der Ausländerbeauftragte erarbeitete gemeinsam mit den Fachbereichen 4 „Soziales und Gesundheit“ und 5 „Familie und Bildung“ das Integrationspolitische Leitbild. Das Leitbild wird von allen Fachbereichen/Abteilungen der Kreisverwaltung gemeinsam getragen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilungen sind sich der wichtigen Aufgabe „Integration von MigrantInnen im Landkreis Grafschaft Bentheim“ bewusst. Es soll eine nachhaltige Integrationspolitik entwickelt und gestaltet werden, mit dem Ziel, die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund aktiv zu verbessern. Der Integrationsprozess kann nicht allein durch die Kreisverwaltung vorangetrieben werden, sondern sollte Aufgabe aller Bürger und Bürgerinnen sowie Institutionen im Landkreis sein. Die zukünftige Integrationspolitik des Landkreises Grafschaft Bentheim orientiert sich an folgendem Leitsatz: Integration ist eine Querschnittsaufgabe kommunalen Handelns mit einzubeziehen. und bei allen Überlegungen Die Integrationsthematik lässt sich nicht auf ein kommunales Handlungsfeld oder Ressort reduzieren. Der gesamtkommunale Ansatz geht davon aus, dass nicht die Ressorts die Aufgaben bestimmen, sondern die Aufgaben bestimmen, welche Fachbereiche davon betroffen sind. Das bedeutet, dass der Handlungsbedarf definiert, welche Organisationseinheiten einbezogen werden und wie diese übergreifend und abgestimmt miteinander agieren. Erst die wirksame Koordination und das Wahrnehmen von integrationspolitischen Anliegen als Querschnittsaufgabe ermöglichen eine erfolgversprechende Integrationspolitik. 2 Die Integrationsmaßnahmen des Landkreises Grafschaft Bentheim orientieren sich an folgenden Leitlinien, die eine Selbstbindung darstellen: 1. Erwerb der deutschen Sprache Der Erwerb der deutschen Sprache muss gefördert, aber auch eingefordert werden. Wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration und damit die Teilhabe an der Gesellschaft ist die Beherrschung der deutschen Sprache bei gleichzeitiger Akzeptanz der Muttersprache. Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache sind für das Zurechtfinden in Deutschland unverzichtbar. Nur wenn sie vorhanden sind, kann eine Integration im sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Bereich erfolgreich sein. Deshalb unterstützt der Landkreis Grafschaft Bentheim Maßnahmen, die den Erwerb der deutschen Sprache fördern. Die MigrantInnen sind zu motivieren, Eingliederungsmaßnahmen mitzuwirken. auch von sich aus aktiv an Die Volkshochschule Grafschaft Bentheim stellt für den Landkreis ein systematisches und nach Zielgruppen differenziertes Angebot an Deutschkursen, Zertifikatsprüfungen für die Einbürgerung sowie Vorbereitungskursen auf die Einbürgerungsprüfung zur Verfügung. Die Sprach- und Orientierungskurse im Rahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes werden möglichst bedarfgerecht und zielgruppenorientiert (insbesondere für Mütter, Analphabeten) ausgerichtet. Mit besonderem Blick auf MigrantInnen mit geringen Sprachkenntnissen sollten die Projekte gefördert werden, die sich an die Eltern von Migrantenkindern in Kindergärten und Grundschulen wenden und insbesondere den Müttern die Möglichkeit bieten, in einem ihnen bekannten institutionellen Umfeld parallel zum Unterricht ihrer Kinder Deutsch zu lernen. Die Intention ist es, vor allem den zugewanderten Eltern Sprach- und Strukturkenntnisse zu vermitteln, damit sie die schulische und berufliche Integration ihrer Kinder besser unterstützen können, d.h. die aktive Einbeziehung der Eltern mit Migrationshintergrund in die Erziehungs- und Bildungseinrichtungen zu fördern. 2. Vorschulische und schulische Bildung sowie berufliche Ausbildung Kindertageseinrichtungen und Schulen sind neben der Familie die wichtigsten Sozialisationsinstanzen, wo das Miteinander von einheimischen und zugewanderten Kindern nach den Prinzipien der interkulturellen Erziehung gestaltet wird und die Kinder die Werte dieser Gesellschaft leben lernen. Der Erwerb und die Förderung von Sprachkompetenzen (fundierte Mehrsprachigkeit) sind die wichtigsten Pfeiler für die (vor)schulische Integration, da durch die Aufwertung von Mehrsprachigkeit bestehendes Potenzial genutzt, der Deutscherwerb erleichtert und gleichzeitig die soziale Integration sowie das Zusammenleben gefördert werden. 3 Außerdem werden die Kinder in den Schulen auf den Übergang in die Arbeitswelt vorbereitet. Gute Deutschkenntnisse und eine abgeschlossene Schulbildung sind eine Voraussetzung für den Einstieg in den Beruf und damit zur Integration in das Erwerbsleben. Die uneingeschränkte Teilhabe von MigrantInnen und deren Nachkommen an Bildungs- und Ausbildungsangeboten muss ein weiteres Ziel von Integrationsmaßnahmen sein, denn fehlende Chancen bei Bildung und Ausbildung sind ein wesentliches Integrationshemmnis. Wie bereits veröffentlichte Ergebnisse unterschiedlicher Studien1 belegen, finden Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund immer noch erheblich eingeschränkten Zugang zum Schul- und Ausbildungssystem. Dies muss sich ändern, da sonst eine nachhaltige soziale Integration von MigrantInnen und deren Kindern nicht erfolgt. Der unzureichende Zugang zu Bildung und Ausbildung hat für die Gesellschaft negative Auswirkungen, wie z. B. Perspektivlosigkeit, Arbeitslosigkeit und Bildung von Parallelgesellschaften. Deshalb sind auch Eltern von Migrantenkindern in besonderer Weise zu fördern. Sie sollen die Integration ihrer Kinder unterstützen. Soziale und kulturelle Angebote besonders auch für Mütter sind hier von großer Bedeutung, um Kindern und Jugendlichen berufliche und damit auch gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, wie z. B. - Bewusstseinsbildung bei den Eltern für die Bedeutung der Sprache bzw. deren Verantwortung für den Spracherwerb der Kinder - Verstärkte Einbindung von Eltern in Schulen und Kindertagesstätten - Gezielte Förderung von Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen bereits in Kindertagesstätten - Fortbildungsveranstaltungen für Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer zum interkulturellen Lernen - Praxisorientierte Sprach- und Orientierungskurse unterschieden nach Zielgruppen und Bildungsniveau Hinsichtlich der sozialen Integration der Kinder mit Migrationshintergrund sollten die Vereine in Kooperation mit Schulen, die eine Ganztagsbetreuung anbieten, in deren Nachmittagsbetreuung Arbeitsgemeinschaften installieren, mit der Zielsetzung, mehr Schüler mit Migrationshintergrund zu erreichen, um deren Motivation an Sport und Vereinsarbeit nachhaltig zu steigern. Die Nachmittagsangebote in der Ganztagsschule sind weniger auf Leistung und Lernen, sondern stärker auf Freiwilligkeit und Freizeitgestaltung ausgerichtet, so dass hier soziale Erfahrungen gesammelt werden können, die maßgeblich zur Identitätsentwicklung und Persönlichkeitsentfaltung der Kinder beitragen und damit die soziale Integration insgesamt fördern können. Die interkulturelle Öffnung der Schulen und der Vereine würde in dieser Hinsicht den Abbau von Hemmschwellen der Eltern gegenüber den Schulen bzw. den Vereinen und umgekehrt fördern und damit zur Herstellung eines festeren Vertrauensverhältnisses 1 Vgl. IGLU und PISA -Erhebungen, 2001 und 2006 bzw. 2000, 2003 und 2006 4 sowie der Verbesserung der Kontakte zwischen Eltern, den Lehrenden und Vereinsvorstände beitragen, so dass sich die Bildungseinrichtungen und Vereine mit Gemeinwesenorientierung zu Integrations- und Familienzentren in Städten und Gemeinden entwickeln. Auf der Basis des gegenseitigen Vertrauens können Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund für die Vereinsarbeit gewonnen werden. In diesem Sinne erleichtert die Öffnung der Schulen und der Vereine auch die Vermittlung und die Reflexion von Erfahrungen als Teil der Ausbildung interkultureller Kompetenz, verstanden als die Fähigkeit, angemessen und erfolgreich in einer fremdkulturellen Umgebung oder mit Angehörigen einer fremden Kultur zu kommunizieren, d.h. Interaktionsfreudigkeit, Selbstsicherheit, eigenes kulturelles Bewusstsein sowie die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten und Konflikte zu ertragen, sollen gerade im Rahmen von interkulturellen Begegnungen wirksam trainiert werden. 3. Arbeitsmarktintegration Für eine erfolgreiche Integration von MigrantInnen ist auch die berufliche Integration von zentraler Bedeutung. Die Integration in den Arbeitsmarkt bildet ein wesentliches Element auf dem Weg zur gesellschaftlichen Integration. Zum einen ist die Arbeitslosigkeit bei Migranten erheblich höher als bei der einheimischen Bevölkerung2. Zum anderen ist es gerade vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und damit absehbaren Fachkräftemangel entscheidend, die Potenziale von Menschen mit Migrationshintergrund zu fördern, positiv zu nutzen. Erst eine qualifizierte Erwerbstätigkeit ermöglicht ein selbständiges Leben und die Wahrung ihrer Würde und ihres Selbstbewusstseins. Von einer erfolgreichen Arbeitsmarktintegration in diesem Sinne kann gesprochen werden, wenn es Bedarfgemeinschaften mit Migrationshintergrund gelingt, ohne soziale Transferleistungen wie dem Arbeitslosengeld II ihren Lebensunterhalt sicherzustellen. Der Landkreis Grafschaft Bentheim fördert den Zugang zur Erwerbstätigkeit für Migrantinnen und Migranten; er setzt sich ein, Unternehmen dafür als Arbeitgeber und Ausbilder zu gewinnen. Ziel ist es, insbesondere für junge Frauen und Männer mit Migrationshintergrund vermehrt Ausbildungsplätze zu schaffen sowie Strategien für deren Beschäftigung zu entwickeln, wie z. B. - Fördern des Einstiegs in den Arbeitsmarkt durch Informationen zur Ausbildungssituation und durch Existenzgründungsberatung - Förderung von Praktikums- und Ausbildungsplätzen für jugendliche MigrantInnen - Bemühungen zur Anerkennung und Nachqualifizierung von im Ausland erworbenen Qualifikationen - Migranten geführte Unternehmen als Ausbilder gewinnen - Praxisnahe und geschlechtsspezifische Beratung und Hinführung zur Berufs- und Arbeitswelt (nicht nur in Schulen, im Grafschafter Comeback, der Koordinierungsstelle Chance oder dem Pro-Aktiv-Center, sondern auch über Migrantenselbst2 Quelle: Agentur für Arbeit Nordhorn, Berichtsmonat Juli 2008 5 organisationen, Jugendwerkstätten, Jugendzentren etc.) Der Landkreis unterstützt und stellt spezifische Angebote für erwerbslose MigrantInnen bereit, damit sie berufliche und gesellschaftliche Integrationund Weiterbildungsangebote wahrnehmen können. Junge Frauen und Männer, Alleinerziehende und Frauen erhalten entsprechend ihren Fähigkeiten besondere Unterstützung auf dem Arbeitsmarkt. Jedoch ist das bloße Angebot von Integrationsleistungen ohne eine zielgerichtete und engagierte Inanspruchnahme durch die MigrantInnen wirkungslos. Deswegen fordert der Landkreis Grafschaft Bentheim gleichzeitig von den MigrantInnen alle Anstrengungen für eine erfolgreiche Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ein. Voraussetzung für eine Integration in den Arbeitsmarkt ist insbesondere die sichere Beherrschung der deutschen Sprache mindestens in Wort und wünschenswert in Schrift. 4. Bürgerschaftliches Engagement Die aktive Mitwirkung von MigrantInnen in Vereinen, Organisationen usw., die das Verständnis, Teilhabe und Mitgestaltungsmöglichkeiten vermittelt, wird gefördert. Der Landkreis Grafschaft Bentheim setzt sich dafür ein, dass Initiativen, Migrantenorganisationen und Vereine gefördert werden. Er unterstützt ehrenamtliches Engagement in allen gesellschaftlichen Bereichen und fördert die Partizipation der hier lebenden MigrantInnen. Kulturelle Vielfalt ist eine Chance und eine Bereicherung für den Landkreis Grafschaft Bentheim; er unterstützt daher Aktivitäten und Anlässe, die dem Kontakt und Austausch dienen; er begrüßt es, wenn Organisationen, Vereine und Einzelpersonen eigene Projekte und Initiativen entwickeln, die den gesamten Dialogprozess fördern. Hilfe zur Selbsthilfe und damit die eigenständige Gestaltung sind entscheidend, d.h. die Integration setzt die Möglichkeit der Selbstbestimmung und -behauptung voraus und sie gelingt, wenn eine Anerkennungskultur gelebt wird. 5. Altenhilfe und ältere MigrantInnen Aus der Tatsache heraus, dass die MigrantInnen selbst daran glaub(t)en, spätestens im Rentenalter in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, hat auch die deutsche Altenpolitik bis vor kurzem an einen Rückkehr-Automatismus geglaubt. Daher sind die Einrichtungen der Altenhilfe auf die Erfordernisse der älteren MigrantInnen nicht vorbereitet. Ein erster Schritt zur bedarfsgerechten Entwicklung der Versorgungsstruktur, welche den heterogenen Bedarf älterer Menschen berücksichtigt, ist die Wahrnehmung von möglichen Zugangsbarrieren. Die Wahrnehmung und die Entwicklung von Strategien zum schrittweisen Abbau von Zugangsbarrieren fördern die Nutzung vorhandener Angebote der Einrichtungen und bilden die Voraussetzungen für eine nachholende interkulturelle Öffnung des Gesundheits- und Sozialwesens sowie für eine vorausschauende interkulturelle Öffnung der Altenhilfe. Denn es geht bei der interkulturellen Öffnung vor allem um eine bedarfsgerechtere Ausgestaltung der Angebote (abgestimmt auf die Belange der verschiedenen 6 Bevölkerungsgruppen im Zuständigkeitsbereich), eine verbesserte Nutzung vorhandener Ressourcen (durch den Abbau von Zugangsbarrieren) sowie eine vorausschauende Flexibilisierung, damit beispielweise soziodemographische Entwicklungen (wie die wachsende Anzahl und die zunehmende Heterogenität der Gruppen älterer Menschen) frühzeitig in Planungsprozessen berücksichtigt werden können. Vorausschauende Planung im Versorgungsbereich setzt an den soziodemographischen Veränderungen an und versucht, die daraus erwachsenden Belange verschiedener Gruppen frühzeitig zu berücksichtigen, da - MigrantInnen in der Regel von Angeboten der stationären, ambulanten wie offenen Altenhilfe der Regeldienste nicht erreicht werden, - für die Betreuung und Pflege älterer MigrantInnen, vor allem aus islamischen Kulturkreis geschultes Personal nur in Ausnahmenfällen in den Einrichtungen tätig ist, - die familiären und ethnischen Netzwerke sowie die Selbsthilfepotentiale der älteren MigrantInnen nicht ausreichen, um den Bedarf an Hilfeleistungen, Beratung, Freizeitgestaltung und sozialen Kontakten der Senioren gerecht zu werden. Die Angebote der Altenhilfe müssen die Besonderheiten älterer MigrantInnen erkennen und sollten ethnisch-bezogene Angebotsformen zulassen und fördern. Die interkulturelle Öffnung und Organisationsentwicklung der Versorgungsstrukturen ist keine „Sonderaufgabe“, sie ist vielmehr Bestandteil des Qualitätsmanagements moderner Dienstleistung. 6. Interkulturelle Handlungskompetenz und soziale Beratung und Betreuung Aufgrund soziokulturell bedingter, unterschiedlicher Umgangsformen und Kommunikationsmuster treten - unvermeidbar- Konflikte und Reibungsverluste auf. Verwaltungen und Institutionen sind aufgefordert, zukunftsorientiert mit geeigneten Maßnahmen auf diese Veränderungen zu reagieren. Interkulturelle Kompetenz in der Verwaltung und in der sozialen Arbeit ist Handlungskompetenz in interkulturellen Überschneidungssituationen und ermöglicht, Schlüsselprozesse zu analysieren und synergetische Handlungskompetenz3 zu entwickeln. Interkulturelle Arbeit ist Übersetzungsarbeit in kulturellen Überschneidungssituationen mit der Intention, interkulturelle Missverständnisse zu verringern und Partizipationsmöglichkeiten zu erhöhen. Integration ist eine wichtige kommunale Querschnittsaufgabe, die nachhaltig auch in Verwaltungen und Institutionen verankert werden muss. Die interkulturelle Öffnung der Angebote und Strukturen ist sowohl im Hinblick auf die öffentliche Verwaltung als auch auf die Einrichtungen der Regelversorgung notwendig. Interkulturelle Öffnung ist auch eine Aufgabe der Führungskräfte. Zu diesen Führungsaufgaben gehören im Bereich der interkulturellen Organisationsentwicklung die Bereitschaft, das institutionelle Leitbild zu überprüfen und zu aktualisieren, strukturelle Zugangsbarrieren zu analysieren und ggf. abzubauen, damit Kooperationen zielgerichteter eingeleitet werden können. 3 Synergie wird verstanden als die Verbindung verschiedener Elemente kultureller Orientierungssysteme, die in ihrer Wechselwirkung eine neue Qualität ergeben. 7 Interkulturelle Kompetenz und Handeln in der Verwaltung bedeutet damit, die ungewohnten und unbekannten Lebenssituationen und Lebensweisen von Klientinnen und Klienten aus anderen Ländern und Kulturen so zu erfassen, dass konstruktiv mit ihnen umgegangen werden kann. Interkulturelle Kompetenz wird zu einer Schlüsselqualifikation der Zukunft werden, deshalb stellen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund eine wertvolle Bereicherung dar. Wenn Verwaltungen und Institutionen sich diesen neuen Aufgaben stellen, können Menschen mit Migrationshintergrund die Dienstleistungen, die hier angeboten werden, besser nutzen. In dieser Hinsicht ist es für MigrantInnen wichtig, kompetente Hilfestellungen im alltäglichen Leben zu erhalten. Diese niederschwelligen Angebote sind von erheblicher Bedeutung für eine erfolgreiche Integration. 7. Funktion des Ausländerbeauftragten im Integrationsprozess Der Ausländerbeauftragte steht den Migranten in allen Fragen der Integration beratend zur Seite. Er unterstützt den Eingliederungsprozess durch die Förderung des Dialoges zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Durch Informations- und Öffentlichkeitsarbeit trägt er zu einem interkulturellen Austausch bei und sorgt damit für eine Sensibilisierung bei allen Beteiligten. Die politischen Gremien berät er ebenso wie die Verwaltung in allen Fragen zur Integration. Ein besonderes Anliegen des Ausländerbeauftragten muss weiter darin bestehen, die Selbstorganisationen (Vereine, Verbände etc.) kompetent zu begleiten, damit deren Erfahrungen im interkulturellen Austausch nutzbar gemacht werden können. Dem Ausländerbeauftragten kommt eine zentrale Funktion bei der Vernetzung der angesprochenen Bevölkerungsgruppen sowie der Akteure in der Arbeit mit und für Migranten zu. Außerdem sind die Lebenswelten der Migranten kontinuierlich zu erfassen und zu beschreiben, damit ein verbindliches Berichtswesen gesichert ist. Als Mittler innerhalb und außerhalb der Verwaltung stellt sich der Ausländerbeauftragte in den Dienst aller an einer gelingenden Integration der Mitbürger und Mitbürgerinnen interessierten Menschen in der Grafschaft. Nordhorn, den 21.10.2008 8