Hessisches Sozialministerium in Kooperation mit dem Hessischen Netzwerk behinderter Frauen Dokumentation der Fachtagung am 8. Oktober in Wiesbaden Verhinderung sexueller Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung Kooperationsveranstaltung :: :: :: :: :: Hessisches Sozialministerium Dostojewskistr. 4 65187 Wiesbaden www.sozialministerium.hessen.de :: des Hessischen Sozialministeriums, des Hessischen Kultusministeriums, des Beauftragten der hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen, des Hessischen Netzwerks behinderter Frauen, der Landesarbeitsgemeinschaft Wohnen für behinderte Menschen e. V. und der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen LAG Werkstätten für behinderte Menschen Hessisches Sozialministerium in Kooperation mit dem Hessischen Netzwerk behinderter Frauen Dokumentation der Fachtagung am 8. Oktober 2010 in Wiesbaden Verhinderung sexueller Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung Kooperationsveranstaltung :: :: :: :: :: :: des Hessischen Sozialministeriums, des Hessischen Kultusministeriums, des Beauftragten der hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen, des Hessischen Netzwerks behinderter Frauen, der Landesarbeitsgemeinschaft Wohnen für behinderte Menschen e. V. und der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen Inhaltsverzeichnis :: Vorwort Liane Grewers, Hessisches Sozialministerium 4 :: Grußworte Stefan Grüttner, Staatsminister des Hessischen Sozialministeriums 6 Rita Schroll, Hessisches Netzwerk behinderter Frauen 10 Clemens Beraus, Vertreter des Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen 12 Volker Karger, Hessisches Kultusministerium 14 Halgard Bestelmeyer Grommet, Landesarbeitsgemeinschaft Wohnen für behinderte Menschen 16 :: Fachvorträge und Austausch Prof. Dr. jur. Julia Zinsmeister, Sexualstrafrechtlerin, FH Köln: Gesetzliche Rahmenbedingungen und Strategien zur Prävention bei sexueller Gewalt gegen Mädchen und Frauen mit Behinderung – mit Blick auf die Bereiche Schule, Arbeiten und Wohnen 20 Petra Zimmermann, Dipl. Supervisorin, Paar- und Sexualberaterin, pro familia Kassel: Sexualaufklärung, Sexualität leben dürfen, organisatorische Vorkehrungen für Freiräume 30 Udo Brossette, Sexualtherapeut, Systemischer Familientherapeut, pro familia Darmstadt: Umgang mit Tätern, Männerberatung; Angebot für gewalttätige Männer mit Behinderung 38 :: Arbeitsgruppen Prof. Dr. Julia Zinsmeister/Tanja Tandler: AG I: Rechtliche und institutionelle Strategien zur Prävention und Intervention von Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung; Dienstvereinbarung in der Diakonie Nieder-Ramstadt 2 48 Angie Zipprich: AG II: Selbstbehauptungstraining – Vorstellung der Kurse, Erfahrungen der AG Freizeit e. V., Marburg 52 Christine Klein: AG III: Das „Netzwerk gegen Gewalt“ 58 Tanja Tandler/Christine Klein: AG III: Gewaltprävention in Südhessen 60 Gewaltprävention Südhessen / Netzwerk gegen Gewalt 61 Gewaltprävention / Qualifizierung zur Präventionsfachkraft 65 Susanne Zobel-Unruh: AG IV: Stärkende und gewaltpräventive Angebote in der Schule 68 :: Schlusswort Liane Grewers, Hessisches Sozialministerium 72 :: Anhang Presseinformation 74 Aspekte der Gewaltprävention 76 Fortbildung Präventionsfachkraft 77 Julia Zinsmeister: Gewaltschutz in sozialen Einrichtungen für Frauen mit Behinderungen 83 Literaturliste – Netzwerk behinderter Frauen 93 Literaturliste – pro familia Kassel 94 Impressum 96 3 Vorwort Liane Grewers Vorwort zur Dokumentation der Tagung mit dem Thema „Verhinderung sexueller Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung“ am 8. Oktober 2010 Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, dass ich Ihnen die Dokumentation der Tagung mit dem Thema: „Verhinderung sexueller Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung“, die am 8. Oktober 2010 im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport stattgefunden hat, präsentieren kann. Die sich häufenden Meldungen über sexuelle Gewalt in Einrichtungen für Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene und die Diskussion über die Dunkelziffer und die Strukturen von Institutionen, die Gewalt begünstigen können, aber auch die konkreten Schilderungen von weiblichen Gewaltopfern beim Hessischen Netzwerk behinderter Frauen, führten zu der Einsicht, dass das Land Hessen im Bereich der sexuellen Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung nicht untätig bleiben darf. Bei Recherchearbeiten wurde schnell deutlich, dass zu viele Institutionen von der Thematik betroffen sind. Darüber hinaus kamen immer mehr Bedarfsmeldungen von unterschiedlichen Behinderteneinrichtungen, die uns signalisierten, dass dieses Feld in der Landesregierung noch nicht besetzt ist, aber zwingend einer Bearbeitung bedarf. Daher haben wir eine Veranstaltung geplant, die möglichst viele Felder im Zusammenhang mit Gewaltprävention abdecken sollte. Ganz wichtig waren uns die zentralen Lebensbereiche: Schule, Arbeit und Wohnen. Auch inhaltlich sollte das Thema möglichst vielschichtig angegangen werden: von der Sexualaufklärung, über die Selbstbehauptung oder Selbststärkung, über die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Strategien zur Prävention und Intervention bei sexueller Gewalt, dem Angebot von Fortbildungen und Dienstvereinbarungen bis hin zum Umgang mit Tätern. Wir haben hier Fachvorträge und Arbeitsgemeinschaften angeboten. Zentrale Kooperationspartner waren das Hessische Netzwerk behinderter Frauen und das Hessische Sozialministerium. Von Bedeutung war die Kooperation mit dem Hessischen Kultusministerium, damit der große Bereich der Schule in die Gewaltprävention speziell im Hinblick auf Schüler/Schülerinnen mit Förderbedarf oder Behinderung einbezogen wird. Aber auch die größeren und kleineren Wohneinrichtungen, in denen Menschen mit Behinderung leben und die Werkstätten für behinderte Menschen, die über 16.000 Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz bieten, sollten als zentrale Einrichtungen einbezogen werden. Insofern kam es zu einer Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft Wohnen für behinderte Menschen e. V. und der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen. Der Beauftragte der hessischen Landesregierung für Menschen mit 4 Vorwort Behinderungen konnte auch als Kooperationspartner gewonnen werden. Dies war uns wichtig, weil hier alle zentralen Interessensvertretungen von Menschen mit Behinderung vernetzt sind. An der Tagung nahmen Werkstattleiter/Werkstattleiterinnen, Schulleiter/Schulleiterinnen, Gruppenleiter/Gruppenleiterinnen, Fachkräfte der einzelnen Einrichtungen, Lehrer/Lehrerinnen, Vertreter/Vertreterinnen von Polizei und Landeskriminalamt, Vertreter/Vertreterinnen aus den unterschiedlichsten Beratungsstellen und nicht zuletzt – und das war uns auch ganz wichtig – Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen teil. Wir haben nur positive Rückmeldungen zum inhaltlichen Angebot und den Rahmenbedingungen für die Veranstaltung erhalten. Nun werden Ihnen die einzelnen Beiträge der Tagung in Form einer Dokumentation vorgelegt. Wesentliche Teile sind in einer gesonderten Broschüre in eine leichte Sprache übersetzt, damit wir Menschen mit Lernbehinderung und/oder geistiger Behinderung die Möglichkeit bieten, die zentralen Aussagen dieser Tagung zu lesen und zu verstehen. Im nächsten Jahr werden Arbeitsgespräche mit Wohneinrichtungen und Werkstätten für behinderte Menschen stattfinden, in denen erste Schritte zur Erarbeitung von Handlungsanweisungen und Dienstvereinbarungen im Bereich der Prävention von sexueller Gewalt als Mustertexte gegangen werden sollen. Dieses Projekt wird vom Hessischen Sozialministerium in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Netzwerk behinderter Frauen gesteuert. Es soll aber auch unter Beteiligung der verschiedenen Kooperationspartner/Kooperationspartnerinnen, die an der Tagung mitgearbeitet haben, stattfinden. Ich hoffe, dass das Lesen der Tagungsunterlagen Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Interesse findet. Die Tagungsunterlagen sollen schon jetzt eine Hilfestellung in Ihrer praktischen Arbeit bieten. Liane Grewers Leiterin des Referats Teilhabe von Menschen mit Behinderung Hessisches Sozialministerium Liane Grewers 5 Grußwort Stefan Grüttner Grußwort des Sozialministers Stefan Grüttner zur Veranstaltung „Verhinderung sexueller Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung“ Sehr geehrte Damen und Herren, gerne übernehme ich die Eröffnung unserer heutigen Tagung. Ich möchte ganz besonders Frau Schroll vom Hessischen Netzwerk behinderter Frauen, Frau Bestelmeyer-Grommet von der Landesarbeitsgemeinschaft Wohnen für behinderte Menschen, Herrn Beraus als Vertreter des Beauftragten der hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen, Herrn Karger vom Kultusministerium, und die selbst oder potenziell betroffenen Menschen mit Behinderung sowie alle Anwesenden ganz herzlich begrüßen. Es freut mich, dass so viele Interessierte zu unserer Veranstaltung gekommen sind. Wir haben den Anmeldeschluss um 10 Tage hinausgeschoben und bei 200 Anmeldungen Schluss gemacht, weil hier die Höchstgrenze für unsere Räumlichkeiten im Innenministerium besteht. Es haben sich Teilnehmer/innen aus ganz Hessen – Nord-, Mittel- und Südhessen –, aber auch aus ganz Deutschland angemeldet. Anmeldungen kamen überwiegend aus dem Bereich der „Professionellen“, d. h. von Vertretern/Vertreterinnen der Berufsgruppen, die mit Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen arbeiten: Vertreter/Vertreterinnen von Schulen, Werkstätten, Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Behindertenverbänden, ambulanten Diensten, Beratungsstellen. Die Hessische Polizei und das Landeskriminalamt sind ebenfalls vertreten. Aber auch Menschen mit Behinderungen sind heute hier vertreten. Es ist uns ganz wichtig, dass diejenigen, um die es geht, von Anfang an beteiligt werden. Dabei folgen wir dem Motto: „nichts über uns ohne uns“. Dieses Motto stammt aus dem Jahre 2003 – dem Europäischen Jahr für Menschen mit Behinderungen – und ist nach unserer Auffassung heute immer noch bedeutend. Eine Teilnehmer/in hat bei der Anmeldung unter „sonstige Unterstützung“: leichte Sprache gewünscht. Hier möchte ich alle Vortragenden und Personen, die sich zu Wort melden, und mich auch selbst anhalten, möglichst gut verständlich zu sprechen. Wir wollen, dass das, was wir sagen, auch von denen verstanden wird, um die es geht. Nach dem Grundsatz des Gender Disability sind Menschen mit Behinderungen bei allen staatlichen Planungen und Maßnahmen von Anfang an zu beteiligen. Ihre Vorstellungen sind zu berücksichtigen. Wir bemühen uns, diesen Grundsatz einzuhalten. Wir beschäftigen uns heute mit dem Thema der Verhinderung von sexueller Gewalt gegenüber Menschen mit Behinderung. 6 Grußworte Verkürzt kann man sexuelle Gewalt als intime Kontakte, Berührungen oder Einwirkungen verstehen, die ohne Einverständnis des anderen geschehen. Dabei wird die Intimsphäre des anderen missachtet. Was sexuelle Gewalt im Hinblick auf Strafbarkeit bedeutet, wird uns später Frau Prof. Dr. Zinsmeister in ihrem Vortrag darstellen. Sexuelle Gewalt kommt überall vor: in der Familie, in Kindergärten, in Kinderheimen, in Jugendvereinen, in Schulen, in Internaten, in Wohneinrichtungen, im Bereich von Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie bei Freizeitangeboten und auf dem Nachhauseweg. Sexuelle Gewalt kann von jedermann ausgeübt werden. Es gibt nicht den „Tätertyp“, der vorrangig sexuelle Gewalt ausübt. Die Täter kommen aus allen sozialen Schichten und allen Berufen. Es kann zum Beispiel der Vater, der Nachbar, der Lehrer, der Integrationshelfer, der Sozialarbeiter, der Einrichtungsleiter, der Mitbewohner sexuelle Gewalt ausüben oder sexuell übergriffig sein. Immer noch sind die Täter überwiegend männlich und die Opfer überwiegend weiblich. Es gibt aber auch weibliche Täter und männliche Opfer. Es gibt auch Menschen mit Behinderung, die selbst Täter werden. Auch damit werden wir uns heute beschäftigen. Das Europäische Parlament geht nach einer Untersuchung im Jahre 2007 davon aus, dass nahezu 80 Prozent der Frauen und Mädchen mit Behinderungen Opfer von physischer und psychischer Gewalt werden. Ebenso wird davon ausgegangen, dass Frauen und Mädchen mit Behinderung in höherem Maße als andere Frauen der Gefahr von sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Wildwasser – die meisten von Ihnen werden den Verein gegen sexuellen Missbrauch e. V. kennen – befragte Frauen und Mädchen mit unterschiedlichen Behinderungen: 64 % gaben an, sexuelle Gewalt erlebt zu haben und 41 % haben sogar schon mehrfach sexuelle Gewalt erlebt. Das sind erschreckende Tatsachen. Da darf die Politik nicht wegsehen. Nur eine sehr kleine Anzahl der tatsächlichen Fälle von sexueller Gewalt führt zu einem Strafverfahren oder gelangt in das Licht der Öffentlichkeit. Es ist davon auszugehen, dass es eine sehr hohe Dunkelziffer gibt. Eine positive Entwicklung der letzten Zeit ist, dass immer mehr Opfer Gehör finden, in der Öffentlichkeit und bei den Verantwortlichen. Das Tabu ist gebrochen. Nicht wenige Opfer haben einen jahrelangen Leidensprozess hinter sich und finden erst nach vielen Jahren den Mut, Schamgrenzen zu überwinden und sich zu äußern. Leider sind die Taten in vielen Fällen dann schon verjährt. Stefan Grüttner 7 Opfer mit Behinderungen in Institutionen geraten jedoch noch relativ selten in das Licht der Öffentlichkeit. Die Gründe dafür sind sicher vielschichtig. Dennoch sind einige Besonderheiten erkennbar, warum dies so ist. Es gibt äußere Rahmenbedingungen, die dazu beitragen, dass „sexuelle Übergriffe“ nicht so schnell nach „außen“ dringen. Dazu zählen: : : : : : relativ geschlossene Institutionen wie z. B. stationäre Wohneinrichtungen, Pflegeheime oder Internate, in denen sich Menschen über Nacht, über Wochen und manchmal über Jahre aufhalten. Hier gibt es grundsätzlich nicht so viele Verbindungen nach außen. Die „soziale Kontrolle“ von außen ist nicht andauernd vorhanden. Einrichtungen oder Maßnahmen, in denen starke Abhängigkeitsverhältnisse (körperlicher, geistiger oder finanzieller Art) oder Machtverhältnisse bestehen, bei denen Täter die Macht- und Autoritätsstellung ausnutzen können. Fehlen von ausreichenden Vorkehrungen räumlicher und personeller Art, die einen ausreichenden Schutz der Intim- und Privatsphäre gewährleisten z. B. Gemeinschaftszimmer, Gemeinschaftsbäder oder –toiletten. Fehlendes oder nicht ausreichendes Beschwerdemanagement, d. h. Möglichkeiten sich an „neutrale“ Personen zu wenden, sich jemanden anzuvertrauen und Unterstützung zu erhalten. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von persönlichen Voraussetzungen, die Menschen mit Behinderungen leichter zu Opfern macht. Ich möchte einige nennen: : : : : : : je „hilfloser“ Menschen mit Behinderung sind, je mehr sie auf Unterstützungen, insbesondere auch hinsichtlich Pflege im Intimbereich angewiesen sind, je weniger sie sprechen oder sich äußern können, um so mehr werden sie als Opfer auserkoren. hohe Pflegebedürftigkeit; pflegebedürftige Menschen mit Behinderung haben zum Teil sehr enge Körperkontakte mit Unterstützern beim Auskleiden, Waschen, Toilettengang und Ankleiden. Nicht immer erhalten pflegebedürftige Menschen mit Behinderung gleichgeschlechtliche Pflege. kommunikative und körperliche Einschränkungen; Jugendliche und Erwachsene mit einer Seh- oder Hörbehinderung oder starken körperlichen Beeinträchtigung, einer psychischen oder geistigen Behinderung können häufig Gefahren nicht rechtzeitig erkennen. Sie haben weniger Möglichkeiten sich zu äußern, zu wehren oder zu schützen. Viele sind nicht in der Lage, zeitnah Beratungsdienste oder Hilfeangebote in Anspruch zu nehmen. mangelndes Wissen über den eigenen Körper, mangelndes Körperbewusstsein, fehlendes Wissen über „erlaubtes und verbotenes Verhalten“ zu geringes Selbstwertgefühl oder Selbstbewusstsein; insbesondere Mädchen und Frauen mit Behinderungen haben häufig nicht gelernt, „nein“ zu sagen und Grenzen zu setzen. Die heutige Tagung widmet sich dem Thema der Gewaltprävention. Es sollen Vorkehrungen getroffen werden, um sexuelle Gewalt zu verhindern. Wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, die es potenziellen Tätern oder Täterinnen erschwert, übergriffig zu werden. Es soll bei Übergriffen schneller eingeschritten 8 Grußworte werden können. Es sollen potenziell betroffene Menschen mit Behinderung und ihre Unterstützer/innen so gestärkt werden, dass sie sich stärker zur Wehr setzen können. Wir möchten mit dieser Veranstaltung dazu beitragen, eine Kultur des Wegschauens oder Verschweigens mit einer Kultur des Hinschauens und Ansprechens abzulösen. Wir werben für ein gesellschaftliches Klima, in dem sexuelle Gewalt gegenüber Menschen mit Behinderung nicht tabuisiert wird. Menschen mit Behinderung sollen nicht länger durch sexuelle Übergriffe doppeltes Unrecht erfahren: durch die sexuelle Gewalt selbst und danach durch fehlende Hilfe oder Unterstützung. Wir wünschen uns, dass vor allem Mädchen und Frauen, aber auch Jungen und Männer mit Behinderung oder ihre Unterstützer/innen Selbstsicherheit und Selbstvertrauen gewinnen. Dann werden sie nicht aus Scham oder aus Angst vor Vertrauensverlust oder Liebesentzug davor zurückschrecken, sich Hilfe zu holen und über Erlebtes sprechen zu können. Wir wünschen uns ein ausreichendes Hilfe- und Unterstützungsangebot. Wir müssen dahin kommen, dass Berichte von Mädchen und Frauen mit Behinderung über Gewalterfahrungen ernst genommen werden. Sie dürfen auf keinen Fall als bloße Phantasien und Wunschdenken abgetan werden. Wir müssen lernen, genauer hinzuschauen und Verletzungszeichen von Mädchen und Frauen mit Behinderung schneller zu erkennen. Sie werden heute über vielfältige Themen im Bereich von sexueller Gewalt sprechen und einen Einblick in erste Lösungsansätze im Bereich der Beratung, Aufklärung, Fortbildung und Dienstvereinbarung erhalten. Ich hoffe, wir kommen mit der heutigen Veranstaltung dem Ziel einer wirksamen Gewaltprävention näher. Ich fühle mich als Hessischer Sozialminister auch verpflichtet, gerade diejenigen zu schützen, die des Schutzes besonders bedürfen. Menschen mit Behinderungen mussten lange warten bis sie auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens zumindest eine formale Gleichstellung errungen haben. Es dürfte mehr als selbstverständlich sein, dass gerade die Menschen, die einen zum Teil sehr hohen Bedarf an Schutz und Unterstützung haben, vor furchtbaren Traumatisierungen bewahrt werden. Ich werde mich dieser Verantwortung nicht entziehen und ich freue mich, dass Sie hier an meiner Seite sind. Ich danke allen Kooperationspartnern für die gute Vorbereitung und wünsche der Veranstaltung ein gutes Gelingen. Stefan Grüttner Staatsminister des Hessischen Sozialministeriums Stefan Grüttner 9 Grußwort Rita Schroll Grußwort zur Tagung „Verhinderung von sexueller Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung“ Sehr geehrter Herr Staatsminister Grüttner, sehr geehrter Herr Karger, sehr geehrter Herr Beraus, sehr geehrte Damen und Herren, im Namen des Hessischen Netzwerks behinderter Frauen darf ich Sie herzlich zu unserer heutigen Fachtagung begrüßen und Ihnen, sehr geehrter Herr Staatsminister Grüttner, für ihr freundliches und informatives Grußwort danken. Mein Dank gilt nicht minder den Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedensten Fachgebieten für ihre Mitwirkung an der heutigen Tagung. Gleichfalls bedanke ich mich herzlich bei den Kooperationspartnern, dem Hessischen Sozialministerium, dessen Mitarbeiterinnen Liane Grewers, Sonja AndräRudel und Waltraud Hirt freundlicherweise die Federführung bei der Organisation dieser Fachtagung übernommen haben, dem Hessischen Kultusministerium, dem Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen, der Landesarbeitsgemeinschaft Wohnen für behinderte Menschen e. V. und der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e. V. für ihr Engagement zur Verwirklichung dieser Veranstaltung. Obwohl durch verschiedenste Maßnahmen in den unterschiedlichen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung versucht wird, Übergriffe zu verhindern, kommen diese weiterhin vor. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Meist fehlt es an sexueller Aufklärung, oft bedingt durch zum Teil nicht ausreichend verständliches Informationsmaterial, zu wenige Möglichkeiten, Sexualität zu leben sowie fehlende oder nicht ausreichend vorhandene Konzepte und Angebote zur Gewaltprävention. Zudem existieren – so unsere Erfahrung – in Einrichtungen bisher nur selten Handlungsleitlinien zum Verhalten beim Bekanntwerden von Übergriffen. In den letzten zwei Jahren hat das Hessische Netzwerk behinderter Frauen – in Zusammenarbeit mit Institutionen, die im Bereich Gewaltprävention tätig sind – mit finanzieller Förderung durch das Hessische Sozialministerium Kurse zur Steigerung des Selbstwertgefühls und zur Gewaltprävention an hessischen Förderschulen organisiert und teilweise auch selbst durchgeführt. Teilnehmerinnen der Kurse waren Mädchen mit Lern- oder sogenannter geistiger Behinderung. 10 Grußworte Ziel der Kurse war es unter anderem, die Mädchen für die Themen „Grenzüberschreitung“ und „Drohende Gewaltsituationen“ zu sensibilisieren sowie sie zu befähigen, sich in ihnen unangenehmen Situationen zu wehren bzw. ihre Bedürfnisse zu äußern. Dieses „Empowerment“ konnte Mädchen Wege und Strategien vermitteln, einerseits ihre Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken, andererseits aber auch ihre eigenen Grenzen zu setzen, diese Grenzen zu kommunizieren sowie Wege eröffnen, mit den Grenzen anderer Personen adäquat umzugehen. Diese Kurse erfreuten sich großen Zuspruchs. Die Rückmeldungen des Lehrpersonals zeigten, dass die Mädchen mit Behinderung sehr von diesen Kursen profitierten. So wurde beispielsweise eine Steigerung der Selbstsicherheit und des Selbstbewusstseins der Kursteilnehmerinnen deutlich. Alle Schulen, die an dem beschriebenen Angebot teilnahmen, sind bestrebt, auch weiterhin Kurse zur Gewaltprävention durchzuführen, sofern sich entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten akquirieren lassen. Einige der Schulen entwickelten mit unterschiedlichen Institutionen auch Konzepte zur Gewaltprävention für Jungen und führten entsprechende Kurse durch. Darüber hinaus werden zunehmend von unterschiedlichsten Beratungsstellen neue Projekte durchgeführt, in denen die Gewaltprävention für Menschen mit Behinderungen ein Projektschwerpunkt ist. Dies zeigt, dass das Thema der heutigen Tagung sowohl für Nutzerinnen und Nutzer sowie für das Personal in den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, als aber auch in der Zusammenarbeit mit Beratungsstellen zunehmend an Bedeutung gewinnt und weiterhin unserer Aufmerksamkeit bedarf. Namens des Hessischen Netzwerks behinderter Frauen danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen eine vielseitige Tagung, bei der Sie mit für Sie interessanten Informationen versorgt werden, die Ihnen Antworten auf Ihre Fragen geben und die allen Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch bietet. Rita Schroll Koordinatorin im Hessischen Netzwerk behinderter Frauen Rita Schroll 11 Grußwort Clemens Beraus Sehr geehrter Herr Staatsminister Grüttner, sehr geehrte Frau Schroll, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es Ihnen auch aufgefallen? Im Rahmen der Berichterstattung über den Missbrauchsskandal, der in den letzten Monaten die Bundesrepublik erschütterte, war nach meiner Kenntnis nie die Rede von Menschen mit Behinderungen. Können wir also das Fazit ziehen: Alles in Ordnung? Ich fürchte nein – denn es wäre schon nach den Grundsätzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung geradezu als Wunder zu bezeichnen, wären behinderte Menschen von sexueller Gewalt nicht betroffen – im Gegenteil, ernstzunehmende Stimmen sowohl in der Sozialwissenschaft wie in der Rechtswissenschaft gehen vom Gegenteil aus! Der Deutsche Behindertenrat hat in einem kürzlich geführten Gespräch mit der Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Frau Dr. Christine Bergmann, darauf hingewiesen, dass Menschen mit Behinderungen – unabhängig vom Alter – in besonderer Weise der Gefahr sexueller Übergriffe ausgesetzt sind: : : : : : sie sind von Hilfe und Unterstützung abhängig, sie gehen bei der Anzeige von Taten oft persönliche Risiken ein, weil die Täter im direkten persönlichen Umfeld zu finden sind, nicht selten – und jetzt gebe ich die Anführungszeichen ausdrücklich an – „Vertrauenspersonen“ sind, Menschen mit Behinderungen haben es schwer, die sexuelle Gewalt zu beweisen, Grenzüberschreitungen hin zu Verletzungen sind oft fließend und müssen von den Betroffenen wahrgenommen und artikuliert werden können, bei Menschen mit Behinderungen kann die errungene persönliche Selbstbestimmung und Autonomie jederzeit wieder, z. B. aufgrund des gesundheitlichen Zustandes, oder bloßen Entzug der notwendigen Hilfe, in Frage stehen. Heute soll es nicht darum gehen, den Status quo zu beschreiben. Es stellt sich auch unabhängig von der Frage des Ortes, an dem die behinderten Menschen leben, die Frage, wie sexuelle Gewalt verhindert werden kann angesichts der Tatsache, dass diese Personengruppe besonders gefährdet ist, Opfer sexueller Gewalt zu werden. 12 Grußworte Der Beauftragte der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen, für den ich heute hier spreche und dessen Grüße ich Ihnen übermittle, ist sich mit dem Deutschen Behindertenrat einig: In die Qualitätsbewertung einer Einrichtung gehören auch Präventions- und Hilfeangebote gegen sexuelle Gewalt für die in der Einrichtung lebenden Menschen mit Behinderungen und Qualitätsstandards für diese Angebote. Viele sexuelle Übergriffe geschehen nur deshalb, weil der oder die Täter sich in Sicherheit wähnen – entziehen wir den Tätern diese Sicherheit und geben wir den Menschen mit Behinderungen die Gewissheit, in ihrer Einrichtung in Sicherheit zu sein! Clemens Beraus für den Beauftragten der Hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen Clemens Beraus 13 Grußwort Volker Karger Sehr geehrter Herr Minister Grüttner, sehr geehrte Frau Ministerialrätin Grewers, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf die besten Grüße von Frau Staatsministerin Henzler zu dieser Veranstaltung überbringen. Sie ist heute leider verhindert und hat mich beauftragt, das Hessische Kultusministerium zu vertreten. Frau Ministerin begrüßt es sehr, dass mit der heutigen Tagung zur Sicherung des Wohles von Kindern ein weiterer Beitrag geleistet wird. In ihrem Namen wünsche ich uns allen eine ertragreiche Fachtagung sowie wertvolle Anregungen für Sie. Verehrte Gäste, beim Phänomen der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – der Thematik, die uns heute hier zusammenbringt – handelt es sich um Straftaten, die meist im Nahbereich etwa der Familie, der Nachbarschaft, im Rahmen der gemeinsamen Freizeitgestaltung von Minderjährigen und Erwachsenen oder leider auch in der Schule stattfinden können. Scham, Schuld, körperliche Schädigung und seelische Verwundung hinterlassen die Übergriffe bei den Opfern und es besteht kein Zweifel, dass diese Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung gravierende Traumatisierungen und seelische wie körperliche Verletzungen nach sich ziehen. Der Prävention sexueller Übergriffe ist daher ein besonderes Augenmerk zuzuwenden. Sie muss auf mehreren Ebenen und in den verschiedenen Lebensbereichen ansetzen, um effektiv zu sein. Zentral ist hierbei die Stärkung der Kinder: Für eine Vorbeugung im System Schule sind gezielte Schulentwicklungsprozesse zu initiieren. Änderungen und Signale im Verhalten der Opfer gilt es aufmerksam und sensibel wahrzunehmen. Eine Kultur des Hinsehens und des Hinhörens muss Teil des Lebens und Lernens in Schule sein. Jede Schule muss sich Kompetenzen und Strategien für die Prävention und die Intervention bei sexueller Gewalt aneignen und nachweisen können. Denn: Weder die Schulen noch die Schulaufsichtsbehörden sind Strafverfolgungsbehörden. Zur Aufklärung von Sachverhalten unter strafrechtlichen Gesichtspunkten fehlen ihnen die Mittel und die Kompetenzen. Daher ist jede Schulleiterin und jeder Schulleiter ebenso wie die Schulaufsicht gehalten, 14 Grußworte den Strafverfolgungsbehörden jeden Sachverhalt zu melden und diesen die weiteren Ermittlungen und Bewertungen in strafrechtlicher Hinsicht zu überlassen. Die pädagogische Verantwortung dafür, dass Schülerinnen und Schüler „ihre“ Schule als Lern- und Lebensraum wahrnehmen und erleben können, in dem sich ihre Persönlichkeit entfalten kann, trägt die Einzelschule. Dazu trägt gegenseitiges Vertrauen, Wertschätzung und Zugewandtheit dort ebenso bei wie in der Familie, in schulnahen Einrichtungen und Veranstaltungen. Die pädagogische Qualität der Schule wird maßgeblich durch gemeinsame pädagogische Ziele der am Bildungsprozess Beteiligten bestimmt. Die Schule ist dabei ein Lern- und Lebensraum, in dem ein von Wertschätzung geprägter Umgang, Partizipation und ein geregeltes Zusammenleben gelernt und gestaltet werden. Diese Haltung von Schule ist wichtig. Sie findet ihren Niederschlag bereits im Hessischen Referenzrahmen Schulqualität. Toleranz, Transparenz, Offenheit und angemessene Konflikt- und Kritikbereitschaft sind weitere wichtige Konstituenten des Zusammen-Lebens und Zusammen-Lernens. Bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist der professionelle Umgang mit Nähe und Distanz von wesentlicher Bedeutung. Nur so sind Grenzüberschreitungen, falsche Autoritätseinforderungen und Übergriffe erkenn- und benennbar, kann ihnen entgegengetreten oder können sie sanktioniert werden. Das Hessische Kultusministerium arbeitet an einer „Handreichung zum Umgang mit sexuellen Übergriffen an Schulen“; benachbarten Ressorts und Gremien wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Ende des Jahres wird diese Handreichung mit Handlungsempfehlungen bei sexuellen Übergriffen in den Schulen vorliegen und diese zur Prävention und im Umgang mit dem Phänomen der sexuellen Gewalt unterstützen. Mit einem schuleigenen Konzept soll schon im Vorfeld alles getan werden, um Straftaten vermeiden zu helfen. Für die gute Kooperation im Vorfeld der Tagung mit Ihnen, verehrte Frau Grewers, bedanke ich mich und hoffe – auch im Namen von Herrn Bognar – sehr, dass daran angeknüpft werden kann. Ich wünsche dieser Tagung gutes Gelingen und danke für Ihre Aufmerksamkeit Volker Karger Hessisches Kultusministerium Volker Karger 15 Grußwort Halgard Bestelmeyer Grommet Sexueller Missbrauch in Institutionen der Behindertenhilfe Sexueller Missbrauch gegen Schutzbefohlene – nur ein Sujet für Kriminalromane, wie z. B. in der Millenniums-Trilogie des schwedischen Schriftstellers Stieg Larsson, wo ein psychisch auffälliges Kind in einer Psychiatrieeinrichtung zum Gegenstand sexueller Phantasien und als Erwachsene von ihrem rechtlichen Betreuer vergewaltigt wird? Mitnichten. Sexueller Missbrauch gegenüber Schutzbefohlenen ist bittere Realität – auch in Einrichtungen der Jugend- und Behindertenhilfe. Eine Jugendeinrichtung „verkauft“ in den 90iger Jahren männliche Jugendliche an Kunden: Sie werden abends vor dem Heim abgeholt und morgens zurückgebracht. Auch ein Mitarbeiter der Einrichtung ist unter denen, die das schmutzige Geschäft organisieren. Im Umfeld eines Werkstatthauses soll ein 33-jähriger Mann eine behinderte Frau vergewaltigt haben, die er bei einem Praktikum in der Werkstatt kennen gelernt hatte. Ein Pfleger einer Einrichtung soll sich an einer geistig behinderten Bewohnerin vergangen haben, die daraufhin sogar schwanger wurde und einen Sohn zur Welt brachte. Drei Fälle, die mir bei einer Internet-Recherche ins Auge gefallen sind. Drei Fälle von wie vielen? Aussagekräftige empirische Untersuchungen gibt es dazu in Deutschland bisher nicht. Lediglich aus Berlin und Niedersachsen sind mir Zahlen bekannt geworden, die aber auch nicht von Betroffenen stammen, sondern von den Einrichtungen selbst. In Niedersachsen waren 51,3 % der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Fälle sexualisierter Gewalt in den jeweiligen Einrichtungen bekannt. In Berlin schätzten die Leiter von Heimen für geistig Behinderte 1999, dass jede vierte Bewohnerin zwischen 12 und 25 Jahren von sexueller Gewalt betroffen war. Zwischen 1991 und 2001 wurde der Berliner Heimaufsicht jedoch kein einziger Fall sexueller Gewalt in Behinderteneinrichtung gemeldet. Es nimmt nicht wunder, dass die Anzeigebereitschaft solcher Vorfälle so gering ausgeprägt ist. Die Einrichtungen fürchten um ihren Ruf und versuchen, diese Vorfälle intern und ohne große Öffentlichkeit zu lösen, Mitarbeiter schauen weg. Darüber hinaus gestaltet sich die Strafverfolgung schwierig, da es oft keine Zeugen gibt und/oder die Strafverfolgungsbehörden nicht immer von der Glaubwürdigkeit der Opferzeugen überzeugt sind. 16 Grußworte Einig sind sich aber alle Experten über den deprimierenden Befund, dass Menschen mit Behinderung in Einrichtungen der Behindertenhilfe nahezu „ideale“ Opfer sind. Und das aus mehreren Gründen. Da ist zunächst die Abhängigkeitssituation, in der man sich im Heim befindet. Das beginnt schon mit der Intimpflege, die zwar nach Gesetz durch gleichgeschlechtliche Pfleger geschehen soll. Wie aber soll das gehen, wenn es davon nicht genügend gibt? Und man darf auch nicht verkennen, dass zwischen Klienten und Pflegern ein erhebliches Machtgefälle herrscht. Diese – häufig auch von den Behinderten – anerkannte Macht des professionellen Betreuers kann ein selbstbestimmtes Leben und damit die Ausbildung eines Selbstbewusstseins bei den Schutzbefohlenen in nicht geringem Maße behindern und in Fällen sexueller Belästigung die Gefügigkeit der Opfer erreichen oder verstärken und die Geheimhaltung erzwingen. Dazu kommen dann intellektuelle Beeinträchtigungen, eine Erziehung zur Anpassung und Unauffälligkeit, eine emotionale Vernachlässigung, verminderte Artikulationsfähigkeit, Leugnung und Reglementierung sexueller Bedürfnisse, sexuelle Unaufgeklärtheit, Sterilisation. Und letztlich kommt ein strukturelles Problem hinzu, das nämlich, dass Fragen von sexueller Gewalt gar nicht oder nur im Anlassfall problematisiert werden. Aufklärung tut also not. Sowohl bei den Schutzbefohlenen selbst wie natürlich auch bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Einrichtungen. Und mittlerweile – das ist das Gute im Unguten – haben die gehäuften Vorfälle von sexueller Gewalt in Einrichtungen zu zahlreichen Präventionspapieren geführt. Aus diesen allen lassen sich im Wesentlichen folgende Grundsätze ableiten: : : Die Entwicklung von Ethikrichtlinien für die Einrichtung – wie sie das Positionspapier des Kinderschutzbundes NRW fordert; darin sollten die Themen Sexualität, professionelles Selbstverständnis, pädagogische Konzepte und Leitbilder, das vorhandene Machtgefälle zwischen Betreuern und Betreuten sowie der Umgang mit Macht in der eigenen Institution aufgegriffen werden. Richtlinien für das Bewerbungsverfahren; auch das ist eine – wie ich meine – sinnvolle Forderung des Kinderschutzbundes; darin sollte eine klare Offenlegung des Problembewusstseins der Institution, eine definierte Vorgabe hinsichtlich erlaubten und unerlaubten Verhaltensweisen und die Ankündigung von rechtlichen Konsequenzen im Falle von Verstößen ebenso enthalten sein wie die Frage nach der Motivation für die Tätigkeit in diesem speziellen Arbeitsfeld. Halgard Bestelmeyer Grommet 17 Die Präventionsangebote für Betreuungspersonen sollten nach meinem Dafürhalten darüber hinaus folgende Themenbereiche beinhalten: : : : : : : die Reflexion der eigenen Werthaltungen und Vorurteile in Bezug auf Menschen mit Behinderung, eine Haltung im Umgang mit den behinderten Menschen, die Eigenständigkeit und Selbstbestimmung fördert und damit Abhängigkeiten reduziert, das Akzeptieren von Grenzen im Umgang mit behinderten Menschen, die Wahrnehmung einer eigenständigen Sexualität von Menschen mit Behinderung, die Sensibilisierung für das Thema der sexuellen Belästigung und des sexuellen Missbrauchs in der Einrichtung und nicht zuletzt Informationen über Anlauf- und Beratungsstellen in Fällen sexueller Belästigung. Menschen mit Behinderungen haben ein Recht darauf, in den sie betreuenden Einrichtungen geschützt zu werden, auch und gerade vor sexuellen Belästigungen und sexueller Gewalt. Gegenüber diesem Schutzbedürfnis hat das Interesse an der öffentlich bewahrten Integrität der Institution zurück zu stehen. Halgard Bestelmeyer Grommet Landesarbeitsgemeinschaft Wohnen für behinderte Menschen e. V. 18 Grußworte Halgard Bestelmeyer Grommet 19 Prof. Dr. jur. Julia Zinsmeister Gesetzliche Rahmenbedingungen und Strategien zur Prävention und Intervention bei sexueller Gewalt gegen Mädchen und Frauen mit Behinderungen mit Blick auf die Bereiche Schule, Arbeiten und Wohnen 20 Fachvorträge und Austausch :: Vorüberlegungen In Abhängigkeitsverhältnissen und geschlossenen Systemen (Familie, soziale Einrichtungen, Bildungseinrichtungen, Therapie…) besteht ein erhöhtes Risiko von Machtmissbrauch und Grenzverletzungen. Die Träger sozialer Einrichtungen bzw. Bildungseinrichtungen und Arbeitgeber müssen sich dieses Risikos bewusst sein und Vorkehrungen treffen, um Grenzverletzungen möglichst frühzeitig erkennen und entgegensteuern zu können („Fehlerkultur“). Dabei muss der besonderen Vulnerabilität von Menschen mit Behinderungen und ihrem Recht auf ungehinderten Zugang zu Rechtsschutz, psychosozialer und medizinischer Unterstützung Rechnung getragen werden. zur Toilette begleitet. Sie lernen: „Jede und jeder darf mich anfassen“. Sie erfahren, dass nicht sie, sondern andere über ihren Körper bestimmen dürfen und können. Sexualisierter Gewalt in der professionellen Beziehung geht meist eine langsame und unmerkliche Grenzverschiebung voraus. Übergriffe werden oft in scheinbar pädagogisches, pflegerisches oder therapeutisches Handeln eingebettet und bewegen sich damit lange in einer „juristischen Grauzone“. :: Beispiel aus einer Dienstvereinbarung : :: Zentrale Maßnahmen der Prävention : : : : : : Förderung der Selbstschutzkompetenz behinderter Menschen durch Sicherung ihrer Selbstbestimmung im Alltag (Abbau sozialer Kontrolle und Fremdbestimmung), Selbstbehauptungs- und Verteidigungsangebote und sexualpädagogische Begleitung, Partizipation, Beratungsangebot durch externe Fachkräfte und Ombudspersonen, externes Beschwerdemanagement, Öffnung der Einrichtung, z. B. Kooperation mit Mädchen- und Frauenberatungsstellen, Klärung der Grenzen professioneller Nähe und Distanz (mit den Klienten/Klientinnen und den Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen), Entwicklung einer „Fehlerkultur“ in der Organisation, Anonyme Berichterstattung wird ermöglicht, damit die Intervention nicht an den Loyalitätskonflikten mitwissender Mitarbeitender scheitert. :: Klärung der Grenzen professioneller Nähe und Distanz Menschen, die auf Unterstützung im Alltag angewiesen sind, erfahren oft strukturelle Gewalt. Nicht sie, sondern der Dienstplan der Institution entscheidet, wer sie an- und auszieht, wäscht, : Handlungen, die aus Sicht eines (fiktiven) Betrachters einen Sexualbezug aufweisen, gelten nicht als sexuelle Handlungen, wenn sie pflegerisch, therapeutisch oder pädagogisch motiviert und geboten sind (z. B. Hilfen an An- und Auskleiden, notwendige Intimpflege). Handlungen, die aus Sicht eines (fiktiven) Betrachters einen Sexualbezug aufweisen und pflegerisch, therapeutisch oder pädagogisch motiviert sind, von den behinderten Kundinnen und Kunden aber abgelehnt werden, sind im Zweifelsfall nicht – jedenfalls nicht durch den/die handelnde/n Mitarbeiter/Mitarbeiterin – zulässig. :: Zentrale Maßnahmen der Intervention : Handlungsorientierung für Mitarbeitende/ Leitungskräfte: : Was sind konkrete Verdachtsmomente, wie ist im Falle eines Verdachts zu handeln (ungeachtet der eigenen Meinung betreffend die „Schuld“ oder „Unschuld“ des Tatverdächtigen), : Klärung der Verantwortung für die weitere Intervention, Steuerung und Dokumentation des Informationsflusses, frühzeitige und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden; : Der Schutz der Mitarbeitenden vor Vorverurteilung muss sichergestellt werden, soweit hierdurch nicht der Schutz der möglicherweise bedrohten Person gefährdet wird. Gesetzliche Rahmenbedingungen und Strategien zur Prävention und Intervention – Prof. Dr. jur. Julia Zinsmeister 21 : : Dies erfordert eine gründliche Abwägung zwischen berechtigten Interessen der mutmaßlich Betroffenen und mutmaßlichen Täter: Je konkreter und dringlicher der Verdacht, je wahrscheinlicher eine Wiederholung, je schwerer der drohende Schaden für die gefährdete Person ist, um so weitreichender darf und muss in die Rechte des tatverdächtigen Mitarbeiters eingegriffen werden (z. B. durch Abmahnung, Freistellung, ggf. auch (Verdachts-) kündigung. : Angemessene Einbindung der „Betroffenen“ in die Intervention (z. B. Entscheidung über Strafanzeige), : Vermittlung an unabhängige externe Stellen (Beratung, Therapie, Rechtsanwält/innen), Information/Schulung behinderter Menschen über ihre Rechte und das Interventionsverfahren. :: Nachsorge: Angebot individueller Nachsorge für die Betroffenen. Root-Cause Analysis zur Weiterentwicklung der Präventions- und Interventionsstrategien: : : Welche institutionellen Bedingungen haben dazu beigetragen, dass Grenzen verschoben und verletzt werden konnten? Wie können und müssen diese Bedingungen verändert werden? In diesem Prozess der Aufarbeitung sollten alle Mitglieder der Organisation und die Aufsichtsbehörden einbezogen werden. Das Ergebnis sollte öffentlich kommuniziert werden. 22 Fachvorträge und Austausch :: Fragen: 1. Verpflichtet unsere Rechtsordnung Bildungssituationen, Rehabilitationseinrichtungen und andere soziale Organisationen, entsprechende Präventionsmaßnahmen („Risikomanagement“) und Interventionsmaßnahmen zu ergreifen? 2. Finden sich konkrete Vorgaben, wie diese Maßnahmen auszugestalten sind? 3. Wie können und sollten die Maßnahmen ausgestaltet werden? :: Übersicht I. Gewährleistungen durch das internationale Recht II. Die institutionelle Verantwortung für Grenzverletzungen im Spiegel des nationalen Rechts 1. Strafrechtliche Garantenstellung der Leitungspersonen und Fachkräfte 2. Zivilrechtliche Organisationsverantwortung der Einrichtungsträger 3. Einrichtungsaufsicht 4. Sozialrechtliche Vorgaben 5. Schulrechtliche Vorgaben III. Ergebnis Art. 19 UN-Kinderrechtskonvention i.d.F. der Bekanntmachung vom 10.07.1992, BGBl. II S. 990 (1) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen, solange es sich in der Obhut der Eltern (…) oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut. (2) Diese Schutzmaßnahmen sollen je nach den Gegebenheiten wirksame Verfahren zur Aufstellung von Sozialprogrammen enthalten, die dem Kind und denen, die es betreuen, die erforderliche Unterstützung gewähren und andere Formen der Vorbeugung vorsehen sowie Maßnahmen zur Aufdeckung, Meldung, Weiterverweisung, Untersuchung, Behandlung und Nachbetreuung in den in Absatz 1 beschriebenen Fällen schlechter Behandlung von Kindern und gegebenenfalls für das Einschreiten der Gerichte. :: Stand der Umsetzung auf nationaler Ebene Strafbares Unterlassen der erforderlichen Schutzmaßnahmen § 13 StGB: Strafrechtliche Garantenpflicht : : Art. 16 UN-Behindertenrechtskonvention (1) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial-, Bildungs- und sonstigen Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Wohnung vor jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch, einschließlich ihrer geschlechtsspezifischen Aspekte, zu schützen. (2) (…), um jede Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch zu verhindern, indem sie unter anderem geeignete Formen der das Geschlecht und das Alter berücksichtigenden Hilfe und Unterstützung (…) gewährleisten, einschließlich (…) der Bereitstellung von Informationen und Aufklärung darüber, wie Fälle von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch verhindert, erkannt und angezeigt werden können. (3) Zur Verhinderung jeder Form von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch stellen die Vertragsstaaten sicher, dass alle Einrichtungen und Programme, die für Menschen mit Behinderungen bestimmt sind, wirksam von unabhängigen Behörden überwacht werden. : Strafrechtlicher Garant ist, wer sich durch Vertrag oder tatsächliche Übernahme der Verantwortung zum Schutz der Nutzer/ Nutzerinnen (z. B. ihrer Gesundheit, Würde, Freiheit…) in der Einrichtung verpflichtet hat. Erhält der Garant Kenntnis, dass die Nutzer/ Nutzerinnen von (sexualisierter) Gewalt, Misshandlung oder anderen Straftaten bedroht sind, hat er alle aus seiner Sicht zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Unterlässt er die aus seiner Sicht erforderlichen Maßnahmen, kann dieses Unterlassen gem. § 13 StGB als eigener Beitrag zur Tat gewertet werden (z. B. als Beihilfe zum sexuellen Missbrauch durch Unterlassen, §§ 174, 27, 13 (StGB)). Beispiel aus der Rechtsprechung: Einem Schulleiter obliegt eine Garantenpflicht zum Schutz der ihm anvertrauten Schülerinnen und Schüler, die ihn verpflichtet, diese vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren (BGH VersR 1955, 742; OLG Köln NJW 1986, 1947, 1948). Erlangt ein Schulleiter Kenntnis von sexuellen Belästigungen von Schülerinnen durch einen Lehrer im Unterricht, hat er darum die ihm zumutbaren Maßnahmen zur Verhinderung weiterer möglicher sexueller Vergehen, insbesondere eines sexuellen Missbrauchs der Schülerinnen zu ergreifen. Unterlässt er dies, kann dies im Falle weiterer Taten jedenfalls als Beihilfe (§ 27 StGB), d. h. als Förderung des sexuellen Missbrauchs nach § 174 StGB strafbar sein (BGHSt 43, 82, 87; BGH MDR 1984, 274 BGH in NStZ-RR 2008, 9-10). Gesetzliche Rahmenbedingungen und Strategien zur Prävention und Intervention – Prof. Dr. jur. Julia Zinsmeister 23 :: Zivilrechtliche Haftung sozialer Einrichtungen für Grenzverletzungen (ohne Schule) Werkstattvertrag/Betreuungsvertrag/ Heimvertrag SL-Erbringer (freier Träger der Sozialen Arbeit) : : : : Arbeitsvertrag SL-Empfänger/in : Mitarbeiter/in Betriebsabläufe müssen so organisiert und überwacht werden, dass Dritte nicht zu Schaden kommen (verkehrsübliche Sorgfalt). Gefahrgeneigte Tätigkeiten erfordern ggf. ein entsprechendes Risikomanagementsystem. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) regelt Präventions- und Interventionspflichten der Arbeitgeber zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung. Die Schutzpflichten der Einrichtungsträger gegenüber den Nutzern/Nutzerinnen sind gesetzlich vergleichsweise vage bestimmt. Gleichwohl machen sich Einrichtungen schadensersatzpflichtig, wenn sie Schäden der Nutzer/Nutzerinnen nicht verhindern, denen sie bei gehöriger Organisation hätten vorbeugen können. :: Sexuelle Belästigung/ Gewalt am Arbeitsplatz SL-Erbringer (freier Träger der Sozialen Arbeit) Haftung für Verschulden der Mitarbeiter/innen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) SL-Empfänger/in Haftung für Organisationsverschulden Arbeitsvertrag § 12 Organisationspflicht des Arbeitgebers Abs. 1 Verpflichtet den Arbeitgeber u. a., die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung (§ 3 Abs. 4) zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen (siehe Abs. 2). Abs. 3: Mitarbeiter/in :: Organisationspflicht Pflicht des Organisationsträgers, Abläufe so zu organisieren, dass individuelle Fehler möglichst vermieden bzw. frühzeitig erkannt werden und der ordnungsgemäße Betrieb der Einrichtung gewährleistet ist: : 24 Bereitstellung ausreichender Ressourcen (personell/infrastrukturell) Fachvorträge und Austausch „Verstoßen Arbeitnehmer gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen.“ Abs. 4: Pflicht, auch gegen Dritte im Falle ihres Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot die geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zu ergreifen. :: Sexuelle Belästigung und Gewalt in Integrationsbetrieben und WfMB : : : : : : In Integrationsfirmen gelten die Regelungen des AGG zum Schutz aller Beschäftigten („Arbeitnehmer“) Die Regelungen des AGG gelten auch zum Schutz „arbeitnehmerähnlicher“ Personen im Arbeitsbereich der WfBM Die Regelungen des AGG sind Regelungen zum Arbeitsschutz und zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Sie finden daher in WfBM und anderen Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation gemäß § 36 SGB IX auch auf andere Rehabilitanden entsprechende Anwendung. Die WfBM muss behinderte Menschen nicht in die Werkstatt aufnehmen, bei denen trotz einer der Behinderung angemessenen Betreuung eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung zu erwarten ist. § 136 Abs. 2 SGB IX. Ein bestehender Werkstattvertrag kann mit gleicher Begründung gekündigt werden. Problem: Wann ist eine Fremdgefährdung erheblich? Wird damit der Schutzpflicht entsprechend § 12 AGG genügt? Der Anspruch des behinderten Menschen gegen den Sozialleistungsträger auf Rehabilitation wird von der Kündigung des WfBMVertrages nicht berührt. :: Zivilrechtliche Organisationspflichten im BeWo : : : 2001 konnte mit dem Gewaltschutzgesetz der zivilrechtliche Schutz vor häuslicher (einschließlich sexualisierter) Gewalt erheblich verbessert werden. Die verletzte Person hat gegen den Täter Anspruch auf Überlassung der gemeinsam genutzten Wohnung („der Täter geht, das Opfer bleibt“) § 2 GewSchG. Dies gilt aber nur im Falle eines mit dem Täter auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalts. : : : In Einrichtungen und Außenwohngruppen, die unabhängig vom Bestand der Bewohner/Bewohnerinnen existieren, fehlt es am gemeinsamen Haushalt. § 2 GewSchG findet daher keine Anwendung. Die Bewohner/Bewohnerinnen sind zu ihrem Schutz vielmehr auf die Mitwirkung der Einrichtungs- und Dienstleitung angewiesen. Hieraus ergibt sich eine entsprechende Schutzpflicht der Organisationen, die gesetzlich jedoch nicht näher konkretisiert ist. :: Zwischenergebnis: Das Strafrecht fragt stets nach der Verantwortung : : des unmittelbaren Täters, der die Grenzen durch aktives Handeln verletzt derjenigen, die trotz Kenntnis der möglichen Gefahr untätig bleiben, obwohl sie (weitere) Grenzverletzungen hätten verhindern können. Das Strafrecht greift erst in Reaktion auf diese Vorkommnisse, es wirkt nicht präventiv. Das Zivilrecht fragt sowohl nach der individuellen Schuld einzelner Akteure, als auch nach dem Organisationsverschulden des Trägers. Wie die Träger ihrer Pflicht, Grenzverletzungen vorzubeugen, nachzukommen haben, ist gesetzlich nicht konkretisiert. Ausnahme: AGG. Zivilrechtlich geregelt sind jedoch die Folgen mangelnder Vorkehrungen (Haftung auf Schadensersatz). Es liegt mithin in der Verantwortung und Gestaltungsfreiheit der Einrichtungen, wie sie einen wirkungsvollen Schutz sicher stellen. :: Verwaltungsrechtliche Maßgaben an die Organisationspflicht im Bereich Wohnen : : Handlungsmöglichkeiten und Handlungspflichten der Aufsichtsbehörden Handlungsmöglichkeiten und Handlungspflichten der Sozialleistungsträger Gesetzliche Rahmenbedingungen und Strategien zur Prävention und Intervention – Prof. Dr. jur. Julia Zinsmeister 25 :: Rechtsbeziehungen im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis Sozialhilfe-/Jugendhilfeträger Delegation der Leistungsausführung auf freie Träger im Wege der Leistungs-Vereinbarung Zielgerichtete Förderung (z. B. der persönlichen Entwicklung, Selbstbestimmung usw.) § 27 SGB VIII, § 53 SGB XII usw. BeWo-Anbieter Wohneinrichtung (freie Träger der Sozialen Arbeit) Sozialleistungsempfänger/in :: Die Einrichtungsaufsicht Sozialleistungsträger Einrichtungs-/Heimaufsicht Jugendhilfe: § 45 ff. SGB VIII Einrichtungen für Volljährige Erwachsene mit Hilfebedarf: Heimgesetz der Länder Sozialleistungserbringer (freie Träger der Sozialen Arbeit) :: Die Einrichtungsaufsicht der Jugendhilfe: §§ 45 ff. SGB VIII : : : : : 26 Einrichtungen der Tagespflege, betreute Wohnformen für Minderjährige benötigen Betriebserlaubnis Betriebserlaubnis kann mit Auflagen versehen werden Kontrolle, Beratung, Möglichkeit nachträglicher Auflagen zum Schutz des Kindeswohls Schwerer, nachhaltiger Verstoß gegen Auflagen kann zum Entzug der Erlaubnis führen Tätigkeitsuntersagung, § 48 SGB VIII, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Leitungsperson/Beschäftigter/Beschäftigte nicht die erforderliche Eignung besitzt. Fachvorträge und Austausch Sozialleistungsempfänger/in :: Die Einrichtungsaufsicht zum Schutz von volljährigen Menschen mit alters- oder behinderungsbedingtem Betreuungs- und Pflegebedarf (Heimordnungsrecht der Länder) : : : : gilt i.d.R. nur für Wohnformen, in denen die Wohnraumüberlassung vertraglich an Betreuungsleistungen gekoppelt ist. Kontrolle, Beratung, bei Mängeln Möglichkeit, Auflagen zu erteilen Bei schwerem, nachhaltigen Verstoß gegen Auflagen kann Betrieb untersagt werden Beschäftigungsverbot, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Leitungsperson/ Beschäftigter/Beschäftigte nicht die erforderliche Eignung besitzt. :: Aus dem Prüfleitfaden der Heimaufsicht Hessen: Prüfungsfrage 1.2.4 Wird das Leben der Bewohner in Beziehungen gestaltet und gesichert? Kriterium Die Pflege sozialer Kontakte wird gefördert. Kriterium Besuch zu empfangen ist jederzeit möglich. Prüfungsfrage 1.2.7 Werden die Bewohnerinnen und Bewohner im Umgang mit ihren Bedürfnissen nach Liebe, Partnerschaft und Sexualität von den Betreuungskräften akzeptiert, begleitet und unterstützt? Kriterium Es gibt die Möglichkeit zusammen zu wohnen. Kriterium Gegebenenfalls erfolgt eine Begleitung bei Verhütungsfragen und Partnerschaftskonflikten. :: Rechtsbeziehungen im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis Sozialleistungsträger Delegation der Leistungsausführung auf freie Träger im Wege der Leistungs-Vereinbarung Sozialleistungserbringer (freie Träger der Sozialen Arbeit) :: Einzelne sozialrechtliche Maßgaben zur Prävention von Grenzverletzungen § 72a SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) Persönliche Eignung der in der Jugendhilfe tätigen Personen ist regelmäßig durch erweitertes Führungszeugnis zu belegen. § 2 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB XI (Soziale Pflegeversicherung) Den Wünschen der Pflegebedürftigen „zur Gestaltung der Hilfe soll, soweit sie angemessen sind, im Rahmen des Leistungsrechts entsprochen werden. Wünsche von Pflegebedürftigen nach gleichgeschlechtlicher Pflege haben nach Möglichkeit Berücksichtigung zu finden.“ Für die Rehabilitation lässt sich ein entsprechendes Recht aus § 33 SGB I und § 9 SGB IX ableiten. Zielgerichtete Erörterung (z. B. der persönlichen Entwicklung, Selbstbestimmung usw.) § 27 SGB VIII, § 53 SGB XII usw. Sozialleistungsempfänger/in Im übrigen lassen sich aus dem Sozialgesetzbuch Schutzpflichten sozialer Institutionen nur aus der gesetzlichen Zielsetzung der einzelnen Leistung und den sozialen Rechten der Leistungsempfänger/Leistungsempfängerinnen ableiten. Sie könnten jedoch in der Leistungsvereinbarung als Maßnahmen zur Qualitätssicherung und –entwicklung festgeschrieben werden. :: Handlungsmöglichkeiten und Handlungspflichten der Rehabilitationsträger und Pflegekassen Problem: Sozialleistungsträger erlangen in der Regel keine Kenntnis von der Gefährdung der Leistungsempfänger und fühlen sich für deren Schutz vor Grenzverletzungen bislang meist nicht zuständig. Gesetzliche Rahmenbedingungen und Strategien zur Prävention und Intervention – Prof. Dr. jur. Julia Zinsmeister 27 :: Gesetzlich konkretisierte Handlungspflicht: Gewährung von Leistung „Übungen zur Stärkung des Selbstbewusstseins“ § 44 SGB IX an behinderte Mädchen und Frauen Beachtlichkeit des Wunsches auf geschlechtsspezifische Unterstützung und Pflege: § 33 S. 2 SGB I, § 9 Abs. 1 und 3 SGB IX, § 1 Abs. 4a und § 2 Abs. 2 S. 2 SGB XI :: Weitere Handlungsmöglichkeiten: Leistungsvereinbarungen bieten Gestaltungsspielräume, die genutzt werden können: : : Pflicht, geeignete Präventionsmaßnahmen zu ergreifen Pflicht, besondere Vorkommnisse zu melden und fachgerecht zu intervenieren. „Verträge mit fachlich nicht geeigneten Diensten und Einrichtungen werden gekündigt“ (§ 21 Abs. 3 SGB IX). Bieritz-Harder, Renate: Zur Prävention sexualisierter Gewalt in der Rehabilitation: Schutzpflichten des Rehabilitationsleistungsträger gegenüber den Rehabilitationsleistungsempfängerinnen. In: Zinsmeister, Julia (Hrsg.): Sexuelle Gewalt gegen behinderte Menschen und das Recht, 2003 :: Handlungspflichten und –möglichkeiten der Jugendämter als Sozialleistungsträger und Garanten für das Kindeswohl Handlungspflicht: § 8a Abs. 2 SGB VIII: Vereinbarungen zwischen Jugendamt und den Trägern der Einrichtungen und Dienste regeln deren Schutzauftrag gegenüber Kindern und Jugendlichen entsprechend § 8a Abs. 1 SGB VIII. Vereinbarung muss geeignete Verfahren zum Schutz der Kinder nicht nur durch die Einrichtungen und Dienste, sondern auch innerhalb der Einrichtungen und Dienste regeln. Hier sind insbesondere besondere Maßgaben für die kollegiale Beratung zu treffen: Zur Vermeidung von Loyalitäts- und Interessenskonflikten müssen hierzu externe Experten/Expertinnen (z. B. Mitarbeiterinnen unabhängiger Beratungsstellen für gewaltbetroffene Kinder und Frauen) beigezogen werden. :: Schulrecht (Hessen) § 2 Abs. 9 Hessisches SchulG „Die Schule ist zur Wohlfahrt der Schülerinnen und Schüler und zum Schutz ihrer seelischen und körperlichen Unversehrtheit, geistigen Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit verpflichtet. Darauf ist bei der Gestaltung des Schul- und Unterrichtswesens Rücksicht zu nehmen. (…)“ :: Vorgaben der Hessischen Dienstordnung Lehrkräfte Schulleitung meldet wichtige Vorkommnisse der Schulaufsicht (§ 23 DO) Sie melden wichtige Vorkommnisse an Klassenlehrer/in / Tutor/in o. Schulleitung Lehrkräfte sollen in Zusammenarbeit mit Eltern, externen Stellen gesundheitlichen/psychischen Gefahren entgegenwirken, § 7 DO 28 Fachvorträge und Austausch :: Schutz vor Grenzverletzungen durch Lehrkräfte : : Disziplinarrecht Schutz vor Grenzverletzungen durch Mitschüler/Mitschülerinnen: § 82 Hessisches SchulG: Pädagogische Maßnahmen und Ordnungsmaßnahmen „Ordnungsmaßnahmen sind nur zulässig, wenn (…) 2. der Schutz von Personen und Sachen diese erfordert.“ (vgl. auch Ordnungsmaßnahmen-VO) Das Kinder- und Jugendhilferecht und das Schulrecht sehen eine klare Interventionskette vor und regeln die Schutzmöglichkeiten. Die Fachkräfte müssen aber Klarheit erlangen, welche Verdachtsmomente als „besondere“ oder „wichtige Vorkommnisse“ zu behandeln und zu melden sind. Sie müssen befähigt und ermutigt werden, Verdachtsmomente ernst zu nehmen. Zur Gefährdungseinschätzung sind externe, besonders qualifizierte Fachkräfte (z. B. aus Beratungsstellen für Verletzte sexualisierter Gewalt) beizuziehen. :: Zusammenfassung :: Fazit : Folgende Maßnahmen sind nach der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen zu veranlassen: : : : : : Die Maßgaben der UN-Konventionen zum Schutz von Minderjähringen und Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen und Diensten werden bislang faktisch kaum umgesetzt. Es gibt nur wenige Einrichtungen, in denen Grenzverletzungen gezielt vorgebeugt wird und in denen geregelt ist, wer wann wie bei Verdachtsmomenten zu handeln hat. Aus dem Zivilrecht lassen sich entsprechende Pflichten der Einrichtungen ableiten, konkret benannt sind aber nur die Folgen einer Pflichtverletzung („Organisationsverschulden“). Im Sozialrecht finden sich vereinzelte Vorgaben, wie dieser Schutz zu gewährleisten ist. Die Aufsichtsbehörden haben die Möglichkeit, den Einrichtungen konkrete Auflagen zu erteilen und deren Einhaltung zu überwachen (z. B. externe Ombudspersonen). Die Sozialleistungsträger können die Vereinbarungen zur Qualitätssicherung und -entwicklung nutzen, um Schutzpflichten zu konkretisieren. Zu klären bleibt, wie sich die Einhaltung von Auflagen und Qualitätsstandards überprüfen lässt. : : : Unabhängige staatliche Aufsicht aller Einrichtungen und Dienste für behinderte Menschen Schutzprogramme in allen Diensten/ Einrichtungen Beteiligung behinderter Menschen an deren Entwicklung Dr. jur. Julia Zinsmeister Professorin für Zivil- und Sozialrecht FH Köln, Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften Gesetzliche Rahmenbedingungen und Strategien zur Prävention und Intervention – Prof. Dr. jur. Julia Zinsmeister 29 Petra Zimmermann Vortrag und Austausch Sexualaufklärung, Sexualität leben dürfen, organisatorische Vorkehrungen für Freiräume 30 Fachvorträge und Austausch Gefühle Gefühle sind von Menschen. Gefühle kommen von innen und gehen nach außen. Gefühle sind in mir drin. Liebeskummer, Traurigkeit, Sehnsucht, Mitleid, Liebe, Zärtlichkeit, Wut, Angst, Ärger. Das sind Gefühle, die alle Menschen haben. Auch wir. Mendel Finkelstein (aus Kleeblatt 25/1989) :: Sexuelle Bildung (von Anfang an) Eine möglichst selbstbestimmte Sexualität setzt grundlegende Kenntnisse über Sexualität und Körpervorgänge voraus. Auch nachhaltige, wirksame Prävention sexueller Gewalt setzt bei der Aufklärung und Erziehung an. Aufgeklärte Menschen, die sich sicher und stark fühlen, können sexuelle Übergriffe eher erkennen und sich besser dagegen wehren. Damit Prävention Wirkung zeigen kann, müssen grundsätzlich drei Dinge beachtet werden: 1. Isolation und Ausgrenzung behinderter Menschen müssen reduziert werden. Eine präventive Erziehung verringert das Gefühl von Ohnmacht und fördert das Gefühl, etwas bewirken und sich durchsetzen zu können. Das fängt bereits bei ganz alltäglichen Dingen an. 3. Es soll Zugang zu Informationen über Körper, Sexualität und sexuelle Gewalt verschafft werden. Unwissen und Abhängigkeit kann aus Menschen mit Behinderung „ideale“ Opfer“ machen. Um sich gegen sexuelle Übergriffe besser zur Wehr setzen und Hilfe holen zu können, braucht es eine entsprechende Sprache und Information. Deshalb sind Sexualerziehung und –aufklärung ein wichtiger Bestandteil der Prävention. Den eigenen Körper, seine Funktionen und die Geschlechtsorgane zu kennen, sind wichtige Voraussetzungen, um Sexualität selbstbestimmt leben und sexuelle Grenzüberschreitungen benennen und ablehnen zu können. Das gilt auch für behinderte Menschen, die nicht oder nur eingeschränkt verbal kommunizieren können. Allerdings ist das zeitlich begrenzte, einmalige Aufklärungsgespräch mit zudem verkürzender Hervorhebung biologisch-anatomischer Zusammenhänge pädagogisch weniger sinnvoll. Sexualpädagogik sollte in frühester Kindheit beginnen und zwangsläufig als lebenslange Aufgabe unverzichtbarer Bestandteil der gesamten Erziehungsbemühungen sein. Studien zeigen, dass sexuelle Gewalt umso öfter geschieht, je größer die Isolation der Menschen mit einer Behinderung ist. Deshalb ist es wichtig, Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung in alle Bereiche des alltäglichen Lebens zu integrieren und sie nicht von den anderen Menschen zu separieren. Dabei gilt der alte sexualpädagogische Leitsatz: „warten, bis die Kinder fragen und nur so viel antworten, wie sie fragen“, gerade nicht bei Kindern und Jugendlichen mit einer geistigen Behinderung. Und erst recht wohl nicht bei Erwachsenen, bei denen Sexualpädagogik versäumt worden ist. Sie fragen nicht, wissen gar nicht, wie sie sich ausdrücken sollen. 2. Machtlosigkeit muss abgebaut und Eigenständigkeit gefördert werden. Wir sind gehalten, aktive, zugehende Sexualpädagogik zu betreiben. Der Leitsatz der italienischen Ärztin MARIA MONTESSORI: „Hilf mir, es selbst zu tun!“ – ist einer der wichtigsten Erziehungsgrundsätze auch bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Jede Unterstützung, möglichst viel selbst zu machen, stärkt auch das Selbstbewusstsein. Sexualerziehung hat positive Auswirkungen auf wesentliche Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung, wie Selbstbewusstsein, Verantwortungsgefühl oder die Identität als Frau oder Mann. Der Spielraum der sexuellen Selbstbestimmung und der gelebten Sexualität behinderter Men- Sexualaufklärung, Sexualität leben dürfen, organisatorische Vorkehrungen für Freiräume – Petra Zimmermann 31 schen wird im Wesentlichen durch die Eltern und die pädagogisch Tätigen und die institutionellen Bedingungen bestimmt. Das Klima einer Einrichtung, eines Elternhauses, die Regeln und Normen beeinflussen entscheidend die Entwicklung und die Möglichkeiten zur sexuellen Entwicklung. Präventionsarbeit muss auf verschiedenen Ebenen passieren : : : : mit den Eltern mit den Menschen mit Behinderungen mit den professionell Tätigen mit der Einrichtung :: Sexualpädagogik „praktisch“ – für Menschen mit Behinderung Den ganzen Menschen zu bilden, heißt auch seine sexuellen Kompetenzen zu fördern. Da Sexualität unser ganzes Mensch-Sein durchzieht, liegen die sexuellen Bildungsziele auch auf vielen Ebenen. Nachfolgend Beispiele aus der praktischen Arbeit: Männer und Frauen – was sind die Unterschiede In der praktischen Arbeit informieren wir in dieser Einheit über die Körper von Mann und Frau. Es gilt eine Sprache zu finden, Fragen zu stellen und falsche Vorstellungen zu korrigieren. Die Einheit vermittelt eine Wertschätzung für den eigenen Körper und gibt eine Erlaubnis, über körperliche Vorgänge und Zusammenhänge zu sprechen. Wer bin ich Zum Beispiel anhand eines Steckbriefes, den wir mit jeder Teilnehmerin, jedem Teilnehmer ausfüllen, soll deutlich werden, dass jeder Mensch eine eigene Person mit spezifischen Eigenschaften ist, für die es keiner Begründung oder Rechtfertigung bedarf. Was ich gerne mag, mag ein anderer vielleicht überhaupt nicht. Und beides ist in Ordnung. 32 Fachvorträge und Austausch Körperwahrnehmung, Intimität, Berührungen, Grenzen Hier steht die Wahrnehmung im Vordergrund: Mit unterschiedlichen Materialien (Bürsten, Pinsel, Igelbälle, etc.) massieren sich die Teilnehmer den Arm. X mag ich, Y mag ich nicht und bei meinem Nachbarn ist es umgekehrt. Und es gibt niemanden, der mir sagen kann: „Das siehst du falsch: in Wirklichkeit ist Y schön.“ Nur ich weiß, was ich fühle! An diese Einheit schließt sich das Thema Grenzsetzung und Respektieren von Grenzen an: Was tue ich, um deutlich zu machen, dass ich X mag und Y nicht? Und wie kann ich vorgehen, wenn dies von anderen nicht respektiert wird? Wen kann ich um Hilfe bitten etc. Zu dieser Einheit bietet sich auch eine Massageeinheit an, z. B. Pizza- oder Wettermassage: Auf dem Rücken des Partners wird eine Pizza gebacken (Teig kneten, ausrollen, Bestreuen mit verschiedenen Zutaten, Backen etc.) oder ein aufziehendes Gewitter simuliert (Sonnenschein, leichter und starker Wind, leichter und starker Regen, Blitz, Donner etc.). Das sind die Renner in den Workshops Jemand kennenlernen, Freundschaft, Beziehung Hier dreht sich alles um die Frage, wie und wo man jemanden kennenlernen kann, wie man Kontakt aufnehmen kann, aber auch, wie man unerwünschte Kontaktangebote ablehnen kann. Rollenspiele in unterschiedlicher Form bieten sich hier an. Immer wird Wert darauf gelegt, dass verschiedene Varianten gespielt werden. Einmal ist die Frau die aktivere, einmal der Mann, einmal sind beide interessiert, einmal handelt es sich um unerwiderte Liebe etc.. Relativ einfach sind auch Karten mit Bildergeschichten herstellbar. Darauf sind einzelne Stationen einer Beziehungsgeschichte zu sehen. Die Teilnehmer beschreiben, was da zu sehen ist und überlegen sich z. B., wie es weitergehen könnte. Zyklus, Menstruation, Samenerguss, Sex, Verhütung Um einen Überblick über diese Vorgänge zu geben, nutzen wir verschiedene Arten von Materialien, z. B. Knetmodelle oder Paomipuppen. Auf ein einfaches Packpapier werden die anatomischen Formen skizziert. Mit Knete werden dann physiologische Abläufe nachgespielt. Nach der Vorstellung in getrennten Gruppen erklären die Männer den Frauen die Abläufe im männlichen Körper und die Frauen den Männern die weiblichen Abläufe. Ein besonders schönes Hilfsmittel sind z. B. die Paomipuppen (ich führe Sie Ihnen im Anschluss gern vor). Sprache und Sexualität Zum Thema Sprache und Sexualität sammeln wir wieder in getrennten Gruppen Begriffe, die die Teilnehmer für Penis, Scheide und Brüste kennen. In der Männergruppe wird dann festgelegt, welche Worte für Penis die Männer nicht gerne hören, in der Frauengruppe wird das Gleiche für die Scheide und Brüste festgelegt. Die Ergebnisse werden der jeweils anderen Gruppe vorgestellt. Auffallend ist hier immer wieder, wie wenig Sprache die Teilnehmer und vor allem die Frauen für diese Körperteile haben. Wichtige Aspekte für die Umsetzung in die Praxis: : : : : für Menschen mit körperlicher Behinderung braucht es barrierefreie Zugänge der Gebrauch der leichten Sprache Ansprechen verschiedener Sinne (Kombination von verbalen Erklärungen und Materialien zum Anfassen und Anschauen) Reden über Sexualität – aber wie :: Ein Beispiel aus der Praxis Auch Joop und Anita waren ausführlich aufgeklärt worden. Dabei war über Freundschaft, Schmusen und Miteinander-ins-Bett-Gehen gesprochen worden. Auch Selbstbefriedigung und die Tatsache, dass beide Lust haben müssen, bevor man etwas miteinander anfängt sowie das korrekte Benutzen eines Kondoms und noch vieles mehr waren zur Sprache gekommen. An diesem Abend wollten Joop und Anita zum ersten Mal miteinander schlafen. Am Nachmittag traf der Betreuer Joop in seinem Zimmer an. „Bist du schon ein bisschen nervös?“, fragte der Betreuer Joop ganz beiläufig. „Nein“, sagte Joop, sichtlich nervös. „Das ist gut“, sagte der Betreuer, „und das mit dem Kondom, das schaffst du doch, oder?“ „Natürlich“, antwortete Joop und öffnete schnell den Reißverschluss seiner Hose. „Guck mal“, sagte er und strahlte vor Stolz: „Ich hab’s schon um!“ Beim Reden über Sexualität ist wichtig: : : : : : Offenheit auf Seiten der Betreuer/Betreuerinnen so konkret wie möglich sein positiv verstärken, verbal und nonverbal man darf alles fragen regelmäßige Wiederholung: damit es besser im Gedächtnis haftet Die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen als Expertinnen und Experten in eigener Sache ist unerlässlich. Deshalb jetzt auch hier die Forderungen von „Mensch zuerst“ zum Thema Sexualität: („Das Netzwerk People First Deutschland e. V.“ ist ein Verein für Menschen mit Lernschwierigkeiten und / oder Mehrfachbehinderungen.) Diese zwei Sachen sind uns am wichtigsten: 1. Man soll bei diesen Themen so mit uns umgehen, wie man es sich für sich selber auch wünscht! 2. Man darf keinen Unterschied machen, ob jemand eine Behinderung hat oder nicht. Sexualität ist ein Thema für ALLE. Sexualaufklärung, Sexualität leben dürfen, organisatorische Vorkehrungen für Freiräume – Petra Zimmermann 33 Einige ausgewählte Forderungen: : : : : : : : : : : : Alle haben ein Recht auf ein eigenes, abschließbares Zimmer. Man muss Duschen und Toiletten abschließen können. Es darf nicht verboten sein, wenn zwei Frauen ein Paar sind oder wenn zwei Männer ein Paar sind. ALLE Paare müssen in Wohneinrichtungen zusammen wohnen können. Das Thema Sexualität darf in keiner Einrichtung mehr Tabuthema sein. Alle haben ein Recht aufgeklärt zu werden, zum Beispiel über Verhütung und Geschlechtskrankheiten. Es ist menschenunwürdig, wenn Frauen oder Männer einfach sterilisiert werden, weil andere denken, das ist das Richtige für sie. ALLE Menschen haben ein Recht Kinder zu bekommen und großzuziehen. Wir müssen die Unterstützung (Assistenz) bekommen, die wir brauchen, um Kinder großziehen zu können. Wir wollen Frauen- und Männergruppen, in denen über diese Themen gesprochen wird. ALLE pro familia-Stellen müssen auch Menschen mit Behinderungen gut beraten können. :: Sexualpädagogik „praktisch“ – Die Eltern Eltern wollen ihr Kind schützen, am liebsten lebenslang. Manche wollen es auch vor der Liebe schützen, denn sie denken – oder haben schon erlebt – dass ihre Tochter, ihr Sohn heute glücklich verliebt sind, morgen aber totunglücklich, weil ihr Freund/seine Freundin einer anderen schöne Augen macht. Eltern wollen ihre Kinder vor Frust, Zurückweisung, Enttäuschung bewahren. Deshalb versuchen manche, dafür zu sorgen, dass ihr Kind gar nicht in die Versuchung kommen kann, sich zu verlieben. – Für Profis kann es oft ein wichtiger Schritt in der Entwicklung ihres Betreuten sein, wenn er/ sie sich verliebt und versucht, sich dem anderen Geschlecht zu nähern, zu flirten, zu schmusen. Und sie sind möglicherweise frustriert, wenn Eltern da nicht kooperieren. Dazwischen steht der Mensch mit Behinderungen und empfängt doppelte Botschaften, besonders dann, wenn es um Sexualität geht. „Tu’s nicht“ warnen die Eltern. „Trau dich“ ermuntern die Pädagogen/Pädagoginnen und dann kommt vielleicht noch die pro familia mit einem Workshop… In den Beratungen und Gruppenveranstaltungen mit Eltern wurden folgende Fragestellungen deutlich: : 34 Fachvorträge und Austausch Eltern von Jungen haben Fragen zu sexuell auffälligem Verhalten in der Öffentlichkeit (wie Selbstbefriedigung und übergriffigem Verhalten). : : : : : Für Eltern von Mädchen sind Verhütung, auch Sterilisation und ungewollte Schwangerschaft wichtige Themen. (Manche äußern Unmut, weil sie über eine Sterilisation nicht mehr frei entscheiden dürfen, manchmal haben die Eltern auch große Angst, dass sie eventuell auch noch Enkelkinder aufziehen müssen. Diese Angst ist natürlich auch eng verbunden mit dem Thema Partnerschaft). Auch haben sie Angst, dass ihre Töchter zu Opfern sexueller Gewalt werden könnten (die unbefangene Kontaktaufnahme mancher Mädchen und Frauen beschäftigt die Eltern). Für die professionell Tätigen heißt das, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen und eine Vertrauensbasis zu schaffen, sei es durch Elternabende oder Einzelgespräche. Es gilt die Einsicht zu vermitteln,· dass das Reden über Sexualität nicht nur ein Reden über Defizite, sondern auch über positive Körpererfahrungen ist und dass die Wahrnehmung der Sexualität des Jugendlichen mit Behinderung eine Wahrnehmung seiner Person als heranwachsendem, sich eigenständig entwickelndem Menschen, bedeutet. Wichtig erscheint mir: : : : : :: Sexualpädagogik „praktisch“ – Die Ebene der professionell Tätigen: Der Erfolg von Sexualpädagogik hängt von der Art der Vermittlung ab, so z. B. beim Reden über Sexuelles. Der Spielraum der sexuellen Selbstbestimmung wird wesentlich durch die pädagogisch Tätigen bestimmt und sehr oft verlangt es nach situativen Entscheidungen. : eine „angstfreie“ Kommunikation über Sexualität. Die pädagogisch Tätigen sollten selbst „angstfrei“ und möglichst ungezwungen über Sexualität reden können, um vorhandene Sprachlosigkeit nicht noch durch eigene Hemmungen zu verstärken. Die Akzeptanz im Team. Die Sexualerziehung steht und fällt mit der Akzeptanz im Team. Gerade in diesem sensiblen Bereich ist eine Abstimmung pädagogischer Leitlinien im Team Voraussetzung für sexualerzieherische Maßnahmen. Ein „offenes“ Klima, Transparenz und Abstimmung der professionell Tätigen sind mitentscheidend für den Erfolg. Sexualerziehung darf kein genormtes Sexualverhalten anstreben, sondern muss eine Vielfalt individueller Unterschiede zulassen und ermöglichen. Grenzen liegen in der Verletzung von Persönlichkeitsrechten und dem mutwilligen Riskieren unerwünschter Auswirkungen sexuellen Verhaltens, z. B. Anwendung von Gewalt. Alltägliche Sexualerziehung findet auch dann statt, wenn sie nicht geplant und beabsichtigt ist. Besonders die Bezugspersonen nehmen durch ihr alltägliches Verhalten, ihren täglichen Umgang, ihre bewussten Einstellungen Einfluss auf die Ausgestaltung von Sexualität. Hervorheben der positiven Seiten der Sexualität. Es ist wichtig, die positiven Seiten der Sexualität hervorzuheben: es geht um Entspannung, Spaß, Sinnlichkeit, Erotik und Lust. Manchmal haben wir Profis die Neigung besonders die „dunklen“ Seiten zu betonen… Um all dies auch tun zu können braucht es Zeit, Fort- und Weiterbildung und Supervision. Sexualaufklärung, Sexualität leben dürfen, organisatorische Vorkehrungen für Freiräume – Petra Zimmermann 35 :: Sexualpädagogik „praktisch“ – Die Ebene der Einrichtungen In Einrichtungen der Behindertenhilfe kommt es auf die strukturellen Bedingungen an, ob und inwieweit Sexualität gelebt werden kann. (Sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter offen für das Thema, gibt es Einzelzimmer oder Paarzimmer? Darf man das Zimmer abschließen? Wird angeklopft?) Wichtig ist eine konzeptionelle Verankerung mit folgenden Inhalten: Gerade angesichts des komplexen Interessengemenges von Eltern, Institutionen, Gesellschaft und behinderten Menschen gibt eine Konzeption Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen oftmals erst Handlungssicherheit, um ungeschützt und begründet sexualpädagogisch tätig zu werden, sie klärt Kompetenzen und Zuständigkeiten und schafft Transparenz und Verbindlichkeit nach innen und außen. Dies dient der rechtlichen Absicherung der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen und der Sicherheit der Bewohner. 36 Fachvorträge und Austausch : : : : : : : : Haltung, was unter Sexualtät verstanden wird (ethische Grundhaltung) gesetzliche Vorgaben (z. B. Inhalt der Aufsichtspflicht) sexuelle Bildung, sexualpädagogische Angebote für die Menschen mit Behinderung Supervision und sexualpädagogische Fortbildungen für Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen Zusammenarbeit mit Eltern, Angehörigen und Behörden auch in Bezug auf das Thema Sexualität Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt zwischenmenschliche Umgangsformen, Gestaltung von Sexualität, Intimität und Beziehungen in der Einrichtung Hilfestellung und Assistenz Für Offenheit muss bewusst Raum geschaffen werden – das ist eine wichtige Aufgabe der Leitungsebene von Einrichtungen. Zwei zentrale Punkte: :: Und zum Schluss noch ein Gedicht Das Recht auf Liebeskummer Viele Eltern, aber auch Lehrer/Lehrerinnen und Erzieher/Erzieherinnen haben Sorge, dass die Menschen mit Behinderungen auf ihrer Suche nach Zärtlichkeit und Liebe enttäuscht werden könnten. Aus dem Gefühl der Verantwortung versuchen sie oft zu beschützen und halten sie so in Unselbständigkeit. Aber alle Menschen lernen durch Erfahrung und nicht durch Verbot und Kontrolle. Auch wir lernen immer wieder durch unseren Liebeskummer. Die Liebe kommt vom Herzen und das liegt links. Man kann auch sagen das Herz blutet; wenn das mit der Liebe nicht klappt. Das tut echt weh. Hermine Fraas, Ohrenkuss Nr.20/2008 Das Recht auf Eigensinn „Zu den Menschen- bzw. Grundrechten gehört das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Freiheit der Person. Dies impliziert auch das Recht, alles ganz anders zu sehen und machen zu dürfen wie die Eltern, Betreuer/ Betreuerinnen bzw. Assistenten/Assistentinnen für einen entscheiden wollen, auch wenn diese Eigenständigkeit in deren Augen oft als schwieriger Eigensinn erscheinen mag. Das Recht auf Eigensinn bringt die Idee der Menschenwürde wohl auf den zentralen Punkt.“ Zitat von Prof. Dr. Joachim Walter). Petra Zimmermann Diplom Supervisorin, Paar- und Sexualberaterin, pro familia Kassel Sexualaufklärung, Sexualität leben dürfen, organisatorische Vorkehrungen für Freiräume – Petra Zimmermann 37 Udo Brossette Beratungsangebot der pro familia Darmstadt für Männer mit Gewaltproblemen in der Behindertenhilfe Umgang mit Tätern, Männerberatung; Angebot für gewalttätige Männer mit Behinderung 38 Fachvorträge und Austausch :: Zusammenfassung Dargestellt wird das Beratungsangebot der pro familia Darmstadt für Männer mit Gewaltproblemen in der Behindertenhilfe. Zu unterscheiden sind die unterschiedlichen Formen der Gewalt, die sich verbal, körperlich oder seelisch oder sexualisiert zeigen können. Es wird dabei auf die Gemeinsamkeiten von Gewalt in Beziehungen und Partnerschaften und Gewalt im sozialen Umfeld hingewiesen. Es werden aber auch Unterschiede deutlich zu der so genannten nichtbehinderten Welt. Die Ursachen von Gewaltverhalten werden beleuchtet und können anhand der Darstellung von Beratungsbeispielen nachvollzogen werden. Welche Möglichkeiten bietet einerseits ein solches Angebot, wo sind die Grenzen, was ist zu verbessern, um wirksam Opferschutz zu betreiben? :: Historischer Rückblick – die Normalität des Unnormalen – eine Einführung Bis in die 1960-iger Jahre bestand die Hilfe für Menschen mit Behinderung im Wesentlichen in der Verwahrung und allenfalls in einer notwendigen materiellen Versorgung ihrer Bedürfnisse. Nie war die Rede von Liebe, Partnerschaft oder Beziehung als eigenständiges Bedürfnis. War die Grundlage im Umfeld der Familie nicht vorhanden oder nur unzureichend gegeben, wurden die Menschen in Heimen untergebracht. Heute veraltet scheinende Aufnahmen von Großraumschlafsälen und Aufenthaltsräumen mit schlechter Turnhallenatmosphäre zeugen von der damaligen traurigen Wirklichkeit. Die Menschen wurden zwar bedingt in Arbeit gebracht, Werkstätten entstanden und boten Entwicklungs- und Fördermöglichkeiten. Bei Fragen der Selbstständigkeit und selbstbestimmten Lebens sollten noch Jahrzehnte ins Land gehen bis ernsthafte Veränderungen diesbezüglich sichtbar wurden. Beziehung, Partnerschaft, Körperlichkeit oder Sexualität standen nicht im Vordergrund entwicklungsfördernder Konzepte. Der Ausschluss dieser als menschlich geltenden Bedürfnisse aus der Lebenswirklichkeit der Menschen mit Behinderung war teils bewusst, teils unbewusst, nicht selten gottgegeben. Weshalb Bedürfnisse wecken, die zusätzliche Probleme hervorrufen und nicht mehr steuerbar sind? Im Ergebnis der Mensch mit Behinderung, ein von seinem Trieb gelenktes Monster, das nicht mehr zu kontrollieren ist. Dennoch – es wäre verhängnisvoll zu meinen, Sexualität, Beziehungs- und Partnerschaftswunsch von Menschen mit Behinderung seien eine Erfindung der Moderne. Sie sollten nicht existieren, wurden unterdrückt und bei dem geringsten Aufkommen durch hemmende Maßnahmen ausgeschlossen. Es galt keinesfalls als eigenständiges Recht, diese Bedürfnisse zu leben und sich mit ihnen zu entwickeln. Als Opfer gewalttätigen Verhaltens derer, von denen sie abhängig waren, hätten sie erkennbar werden können – sowohl Frauen als auch Männer. Körperliche Züchtigung und sexuelle Ausbeutung im Abhängigkeitsverhältnis wurden weniger juristisch geahndet als dies heute der Fall sein kann. Damit soll keine Normalität dieser Zeit beschrieben werden, sondern die Tatsache, dass die Wirklichkeit der Menschen mit Behinderung eher in ihrer Opferrolle als in ihrem Tätersein zu begreifen war. Tätersein von Männern mit Behinderung ist demnach keine Verwandlung oder gar ein Rollentausch vom unschuldigen Opfer zum schuldigen Täter. Täter konnten diese Männer nicht sein, weil die Strukturen, in denen sie lebten, ihnen kaum Möglichkeiten dazu boten. Das also, was gesellschaftliche Realität ist, dass Gewalt zwischen Männern und Männern, zwischen Männern und Frauen, zwischen Schwachen und Starken stattfindet und deutlicher wahrgenommen wird, ist auch die Realität der Menschen mit Behinderung. Dies zu akzeptieren besonders auf dem Hintergrund zu begrüßender Fortschritte eines selbstbestimmteren Umgang mit Tätern; Männerberatung; Angebot für gewalttätige Männer mit Behinderung – Udo Brossette 39 Lebens der Menschen mit Behinderung ist eine der Herausforderungen. :: Ein Unterschied, der keinen Unterschied macht Diese Annahme dient keinesfalls als Entschuldigung, sondern ist grundsätzliche Voraussetzung, Männern ein Angebot zu unterbreiten, wenn sie Probleme mit ihrem Verhalten erzeugen und gewalttätig sind, dabei spielt es keine Rolle, ob sie behindert sind oder nicht. Das Verhalten der Männer im Blick, deutet vieles auf die gleichen Taten hin, die im Kontakt zwischen Männern und Männern oder Männern und Frauen jeweils mit und ohne Behinderung begangen werden. :: Das Angebot Die langjährigen Kontakte der pro familia Darmstadt mit Einrichtungen der Behindertenhilfe in der Region sind u. a. die Voraussetzung, ein Beratungsangebot bei grenzverletzendem Verhalten vorhalten zu können. Seit 2000 fest in der Struktur der Beratungsstelle mit aufgenommen, gibt es die Arbeit mit Männern, die Gewalt körperlich, verbal, psychisch oder durch sexualisiertes Verhalten ausüben. Zunächst war dabei nicht an Männer mit Behinderung gedacht. Dennoch lag es nah, dies im Bereich der Arbeit mit Menschen mit Behinderung ebenfalls anzubieten, wie das u. a. durch das Gewaltschutzgesetz gewollte Angebot für Täter im Allgemeinen gefordert wird. Beschwerden – besonders von Mitarbeiterinnen der Einrichtungen wurden lauter und es ergingen Anfragen, ob für die Männer ein Angebot da sei. Problematisches sexualisiertes Verhalten wurde zudem in sexualpädagogischen Gruppen thematisiert, in denen viele Frauen von ihren, zum Teil furchtbaren, Erfahrungen berichteten. In der sexualpädagogischen Arbeit der pro familia (besonders in einigen Hessischen Beratungsstellen) entwickelte sich eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema Behinderung und Sexualität (s. Fachtag „Behinderte Liebe“ – Dokumentation der Fachtagung über Liebe, Sexualität und Partnerschaft bei geistig behinderten Menschen, 1999). Die notwendige Auseinandersetzung von Problemen in Beziehungen und deren Abläufen war die Folge. 40 Fachvorträge und Austausch Wenn bislang keine Untersuchungen vorliegen, die sich mit behinderten Menschen als Täterinnen oder Tätern befasst haben, so können wir hier von tätlichen körperlichen Angriffen, von Beleidigungen und Beschimpfungen, von Nötigung oder Bedrohung sprechen, wenn gewalttätiges Verhalten gemeint ist. Im Bereich von Sexualität gibt es Straftaten, die im Strafgesetzbuch zusammengefasst sind als Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Über das Geschlecht der Opfer, wenn ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, lassen sich nur Vermutungen anstellen. In der polizeilichen Kriminalstatistik jedenfalls werden sie nicht ausdrücklich ausgewiesen – weder als Täter noch als Opfer mit Behinderung. Männer als Opfer sind eher am Rande im Blick. Eine erste Tagung „Männer stärken – Gewalt gegen Jungen und Männer mit einer geistigen Behinderung“ findet am 09.11.2010 in Bielefeld statt. Genauere Aussagen über Täter sind evtl. durch die aktuell durchgeführte Studie der Universität Bielefeld, („Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Behinderungen in Deutschland“, verantwortlich: Frau Dr. Monika Schröttle) zu erwarten. Was also macht den Unterschied aus zwischen dem Täter mit und dem Täter ohne Behinderung? :: 1. Die Strafverfolgung Der Verdacht liegt nahe, dass viele Taten bereits im Rahmen polizeilicher oder staatsanwaltlicher Ermittlungen eingestellt oder niedergelegt werden, falls es überhaupt zu einer Anzeige gekommen ist. Dies deckt sich im Übrigen mit den Erfahrungen der Beratungsstelle in Darmstadt. Dabei kommt es also nicht zur Eröffnung eines Hauptverfahrens aufgrund der Feststellung von Unzurechnungsfähigkeit seitens des Täters. (§ 20 StGB Schuldunfähigkeit: Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. § 21 StGB Verminderte Schuldfähigkeit: Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 StGB, Abs. 1 gemildert werden…) oder mangelnder Aussagefähigkeit von Zeugen oder Opfern. Nach § 153a der StPO kann von einer öffentlichen Klage durch Erteilen von Auflagen abgesehen werden. Dies kann auch die Auflage zur Beratung sein. In meiner beruflichen Praxis kam es lediglich in einem Falle zu einer Verurteilung des Mannes mit Behinderung, der im Rahmen einer Partnerschaft gewalttätig der Partnerin gegenüber wurde, nachdem im laufenden Täter-OpferAusgleich Verfahren das Opfer von der weiteren Bereitschaft der Beteiligung absah. Auf ausdrücklichen Wunsch des Beschuldigten kam es dann zur Durchführung des Hauptverfahrens. Was also geschieht mit den Tätern, wenn sie nicht strafrechtlich belangt werden können? Nicht selten werden sie in psychiatrische Kliniken überführt, wenn ihr Verhalten wiederholt grenzverletzend ist, strafrechtlich aber nicht verfolgt werden kann. Ziel ist es, aggressives Verhalten mehr oder weniger erfolgreich mittels triebdämpfender Medikamente zu mindern oder gar auszuschalten. Ist der Klinikaufenthalt beendet, das Medikament evtl. wieder abgesetzt, wird erneut altes, auffälliges Verhalten sichtbar. Leben die Männer in Einrichtungen oder sind Beschäftigte in Werkstätten, so reagieren diese oft spontan mit einschränkenden Maßnahmen bis hin zur Entlassung. Nicht böser Wille oder gar verlagerte Selbstjustiz sind die Motive, die so manche Reaktion ins Leere laufen lassen, sondern die Hilflosigkeit und fehlende Konzepte im Umgang mit ihnen als Täter im jeweiligen Lebensraum. Schließlich die Gewalt, die im Familiensystem stattfindet, wenn der behinderte Mensch Angehörige angreift und es zum Teil über viele Jahre zu unerwünschtem Verhalten kommt. Zwar finden mehr und mehr Eltern und Angehörige den Weg in Beratungseinrichtungen. Bislang jedoch ist dies nur die Spitze des Eisberges. Der Großteil von ihnen sieht als letzten Ausweg die Unterbringung in einer Wohneinrichtung als Lösung, wodurch das Problem in manchen Fällen vielleicht auch verschwindet. Die Scham über die ungelösten Familienprobleme, das schlechte Gewissen aufgrund eigener Hilflosigkeit und Ohnmacht, lang eingeübte Beziehungsmuster und die vielen Selbstvorwürfe, begründen dann noch das Schweigen und die Verheimlichung des unerwünschten Verhaltens ihrer Söhne und Töchter, in dem sie selbst die Opfer sind. Umgang mit Tätern; Männerberatung; Angebot für gewalttätige Männer mit Behinderung – Udo Brossette 41 :: 2. Widerspruch aus Lebenswirklichkeit und Bedürfnis Ich möchte die Geschichte von Klaus S. erzählen. Ein 43-jähriger Mann, der mit Unterbrechungen seit ca. zehn Jahren Beratungen der pro familia Darmstadt in Anspruch nimmt, ein Stammkunde gewissermaßen. Mit 20 Jahren verlässt Herr S. das elterliche Haus, in dem er bis dato zusammen mit seiner Mutter und dem Stiefvater lebte. Herr S. ist durch eine Sauerstoffunterversorgung während der Geburt leicht geistig behindert, in seiner Lernfähigkeit eingeschränkt. Er wirkt auf den ersten Blick zurückhaltend und verschüchtert, später jedoch leicht nervös. Sprachlich ist er verständlich, häufiger aber außerhalb des Zusammenhangs einer gerade geführten Unterhaltung. Herr S. betrachtet es als große Chance, nach Abschluss der Schule für Praktisch Bildbare, eine Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte aufzunehmen. Den damit verbundenen Umzug nimmt er in Kauf, lernt schnell die Vorteile, die sich daraus ergeben, für sich zu nutzen. Zunächst lebt er in einer betreuten Wohngruppe einer Einrichtung der Behindertenhilfe und beteiligt sich an den für die Bewohnerinnen und Bewohnern angebotenen Veranstaltungen. Dabei ist er zunächst ausschließlich auf die Betreuerinnen und Betreuer festgelegt und nimmt nur selten Kontakt mit Bewohnerinnen oder Bewohnern auf. Herr S. ist bis zum Wechsel in die Einrichtung sehr stark auf das elterliche Umfeld angewiesen. Er hat nie Freunde in der Schule und weder mit Mädchen noch Jungen aus seiner Klasse eine Verabredung. 42 Fachvorträge und Austausch In der Ortschaft, in der er aufwächst wird er gehänselt und verspottet. In der Pubertät reagiert er mit Rückzug. Seine Welt ist die Welt der Zeitschriften seiner Mutter und das Unterhaltungsprogramm von ARD und ZDF. Aufkommendes sexuelles Verlangen findet statt in der Abgeschiedenheit der elterlichen Wohnung, von der Mutter geduldet, letztendlich auf Dauer langweilig und unbefriedigend. Ihm fehlt die Nähe und Zärtlichkeit von anderen, die er sich erregend und anziehend vorstellt. In der Wohngruppe beobachtet Klaus S. aber zunehmend den Umgang anderer Bewohnerinnen und Bewohner. Er sieht Körperkontakt, vermutet Liebe und Partnerschaft. In seiner Selbsteinschätzung hat Herr S. sich nie als behindert empfunden. Daraus erwächst auch die dauerhafte Selbstabgrenzung gegenüber den anderen Männern und Frauen. Das entdeckte Bedürfnis zur Kontaktaufnahme mit (jungen, hübschen) Frauen verlagert er nach außen, spricht erstmals vereinzelt Mädchen im Alter von 12-14 Jahren im Bus oder im Schwimmbad an. Ich fasse kurz zusammen: in den folgenden Jahren wiederholen sich diese Ereignisse. Herr S. spricht immer mehr einen Wunsch nach Partnerschaft und Beziehung aus. Er ist trotz großer Unterstützung nicht in der Lage, sich auf Beziehungen zu Frauen einzulassen, die aus dem Bereich Wohngruppe oder Werkstatt kommen. In seinem problematischen sexuellen Verhalten findet eine Steigerung statt. Herr S. lebt beim ersten bekannt gewordenen Vorfall in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft mit einem Mann. In dessen Abwesenheit zeigt er sich erstmals öffentlich auf dem Balkon der Wohnung und befriedigt sich dabei selbst mit der Idee, die im gegenüberliegenden Haus lebende Nachbarin auf sich aufmerksam zu machen und hofft, dass sie ihm dabei zuschaut. Seit längerem findet er sie nett und interessant, stellt sich vor, sie könnte seine Freundin werden. Sie wendet sich an seinen Betreuer und sieht von einer Anzeige gegen Klaus S. ab. Mittlerweile lebt Herr S. alleine und wird weiter ambulant betreut. Er kommt regelmäßig auf eigenen Wunsch zur Beratung und es haben sich erstaunliche Veränderungen in seinem Verhalten ergeben. Mit Hilfe seines Betreuers und durch die Aufarbeitung der Ereignisse in den Gesprächen ist es ihm gelungen, dass es in den letzten beiden Jahren zu keinen derartigen Vorfällen kommt. Erfolg durch kontinuierliche Beratung und begleitende Unterstützung. Herr S. hat den ersten Kontakttermin im Rahmen der Schatzkiste (Kontaktvermittlung für Menschen mit Behinderung) hinter sich. Die Erkenntnis, dass die Frau, die er dort kennenlernt, für ihn nicht als Partnerin in Betracht kommt, erschließt sich erstmals nicht aus der Tatsache der Behinderung der Frau, sondern vielmehr in der Feststellung einer zu großen Verschiedenheit in Bedürfnissen und Interessen in eine mögliche Partnerschaft. Die Frau verfügte über umfangreiche partnerschaftliche und sexuelle Erfahrung. In den von ihm formulierten Freizeitvorhaben will oder kann sie sich nicht wiederfinden und es bleibt bei einem einmaligen Treffen. Herr S. ist nicht frustriert und hat bereits neue Partnerschafts-Findungs-Projekte angefangen. :: 3. Erfolglosigkeit der Beratungsarbeit durch Behinderung der Täter? Die in der Behandlung nichtbehinderter Gewalttäter entwickelten Konzepte eignen sich nur sehr begrenzt für die Arbeit mit Männern mit Behinderung. Verantwortungsübernahme, Deliktaufarbeitung, Persönlichkeit stärkende (fördernde) Arbeit oder Opfergefühle empfinden, können aufgrund der vorhandenen Behinderung lediglich abgewandelt zum Einsatz kommen. Worauf kommt es also an? 1. Es sollte für eine ausreichende, die Intimsphäre des Klienten schützende Zusammenarbeit (Kooperation) zwischen Berater und betreuender Institution, evtl. ergänzt durch den Kontakt mit den Angehörigen gesorgt werden. 2. Zunächst muss ein Vertrauensverhältnis zwischen Berater und Klienten hergestellt werden. 3. Selbst- und fremdgefährdende Verhaltensmuster des Klienten müssen ausgelotet werden und notwendige Absicherungsmaßnahmen zum Schutz möglicher Opfer evtl. für die Täter selbst eingerichtet werden. 4. Betreuungskonzepte sollten gesichtet werden hinsichtlich gewaltpräventiver Bestandteile und Ideen. 5. Ressourcen des Klienten sollten gesichtet und gefördert werden. Ein auf den Klienten „maßgeschneidertes“ Paket von Methoden und ein entsprechendes Angebot sollte entwickelt werden. Dabei sollte deutlich werden eine Haltung, die Respekt vor seiner Person betont – ohne die Handlung zu verharmlosen. 6. Das Umfeld des Klienten sollte vorbereitet werden, um einer möglichen Vereinsamung vorzubeugen. Das Unterstützerfeld kann ausgebaut werden. 7. Es kann überprüft werden, ob Medikamente genutzt werden können. Eine ständige Überprüfung ist dabei erforderlich. Umgang mit Tätern; Männerberatung; Angebot für gewalttätige Männer mit Behinderung – Udo Brossette 43 :: Mögliche Ursachen und Motive für Gewalthandlungen Die nun folgende Auflistung möglicher Ursachen und Motive von Gewalthandlungen entspringt den Erfahrungen in der Darmstädter Beratungsstelle und ist möglicherweise nicht auf die Allgemeinheit übertragbar oder gar vollständig. Sie bezieht sich auf die vorhandene Datenlage der beiden letzten Jahre. Sie deckt sich aber im Wesentlichen mit den Erkenntnissen der Jahre zuvor. 1. Sexuell motivierte Aggression In einem Falle fand Beratung mit einem heute vierzigjährigen Mann statt, der mittlerweile in einer Wohngruppe lebt. In seinem Verhaltensmuster zeigen sich immer wieder starke Verhaltensweisen mit einhergehenden intensiveren Selbstverletzungen. In besonderen Stresssituationen greift er zuweilen weibliche und männliche Mitbewohner mit Schlägen an und beschimpft sie lautstark, wenn seine Bedürfnisse nicht sofort in der Wohngruppe befriedigt werden. Zum Abbau entstandener Spannungszustände folgen Selbstbefriedigungshandlungen, in denen er sich selbst verletzt. In der Zeit einer freundschaftlichen Beziehung zu einer Frau aus der Werkstatt kommt es wissentlich zu einer einmaligen gewollten sexuellen Handlung, die zunächst einvernehmlich, zu einem späteren Zeitpunkt jedoch gegen den Willen der Frau durch ihn fortgesetzt wird. Zugrunde liegen eine eigene, nicht von ihm selbst geäußerte, sexuelle Traumatisierung in der späten Pubertät und die massive körperliche Verletzung, hervorgerufen durch einen Arbeitsunfall. In der geschilderten Übergriffshandlung verlagert der Mann eigene Schmerz- und Frustrationserfahrungen aus der frühen Kinder- und Jugendzeit nach außen. So verleiten unvollständige Reifungsprozesse und mangelnde Chancen einer erwachsenen Beziehung ihn ständig mit Kindern (besonders Jungen) Kontakt aufzunehmen. Dabei versucht er spielend, aber beherrschend und zielgerichtet in Körperkontakt zu gehen. In seiner Ver- 44 Fachvorträge und Austausch gangenheit finden sich Hinweise einer starken Trennungserfahrung mit einem Männerfreund und kurzweiligen Sexualpartner, der von heute auf morgen aus seinem Leben verschwindet. 2. Bedingtes aggressives Sexualverhalten An dieser Stelle soll ausdrücklich auf die wichtige Unterscheidung zu o. g. Ursachen hingewiesen werden. Liegt im obigen Beispiel eine massive Beeinträchtigung entwicklungsbezogener Reifungsprozesse vor (Traumatisierung, Behinderung…), so kann aggressives Sexualverhalten dem jeweiligen, aktuellen sozialen Lebensumfeld entspringen, in dem Frustration erfahren wird. Hierbei kann sexuelles durch körperliches oder verbales Handeln ersetzt werden und ist eine mögliche Folge mangelnder Fähigkeit zum Ausgleich erlebter Enttäuschung. So ist eine Übergriffshandlung eines Klienten zu verstehen, der mehrmals bei einer Beschäftigten sexuelle Handlungen vornimmt, zuvor missversteht er ihre Nähe- und Zuneigungsgesten. Seine Handlungen sind zwar sexuelle Handlungen, die Grenzen überschreiten, für ihn jedoch ist Sexualität Ausdruck seiner Zuneigung und Vertraulichkeit, die er sich auch von der Arbeitskollegin erhofft. 3. Körperliche oder seelische Gewalt In der Geschichte der meisten Klienten finden sich kaum Anhaltspunkte zu gewaltfreiem Konfliktlösungsverhalten. Ihre Erfahrungen sind gekennzeichnet durch Bestimmtsein von außen und zum Teil sehr großen eigenen Beeinträchtigungen in Streitsituationen. Sie erleben ihre Wirklichkeit eingeschränkt und beengt. Entscheidungen werden meistens über sie und nicht mit ihnen getroffen. Viele von ihnen haben selbst Gewalt und Aggression nur negativ erlebt. Gefangen im Hin und Her der Gewalt können sie allenfalls zur Lösung von Konflikten nur mit ihrer eigenen Gewalt beitragen. Geschrei und Beschimpfungen gehören zur bitteren Lebenswirklichkeit und zeugen doch von einer besonderen Hilflosigkeit und Ohnmacht. 4. Verweigerung :: Was wird von Beratung erwartet? Im Umfeld der Täter wird ihre Verweigerung zur Veränderung unerwünschten Verhaltens als Uneinsichtigkeit, gar als seelische Störung aufgefasst oder als Fortsetzung der Gewalt erlebt. Dennoch bleibt ihnen häufig nur die Wahl zwischen Verdeutlichung ureigener Grenzen und Bedürfnisse mit erlerntem Verhalten oder die uneingeschränkte Angepasstheit an eine sie fremd bestimmende soziale Umwelt. Beratung beginnt in der Regel dann, wenn die bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung des unerwünschten Verhaltens ergebnislos sind, wenn Opfer zu beklagen sind und wenn Hilflosigkeit und Ohnmacht im gesamten Helferund Unterstützersystem der Betroffenen vorherrschend sind. :: Was also ist zu tun? Bei jeder der auftretenden Gewalthandlungen des Klienten ist eine genaue Ursachenerforschung erforderlich. Es ist zu beachten, ob eigene Opfererfahrungen vorhanden sind oder andere Auslöser für grenzverletzendes Handeln vorhanden sind. Im Bereich sexueller Grenzverletzungen ist darauf zu achten, dass die vorhandene Behinderung und aus ihr hervorgehende Entwicklungshemmnisse verstanden werden. So kann gewünschte Sexualität mit einem Kind einerseits Folge unerfüllter Bedürfnisbefriedigung in der Erwachsenenbeziehung sein (Regression als Kompensation) oder Ausdruck unausgereifter eigener Persönlichkeitsentwicklung. Gerade in den Fällen, in denen es innerhalb einer Partnerschaft oder Freundschaft zu handgreiflichen Auseinandersetzungen kommt, ist die Beziehung der streitenden Parteien zu berücksichtigen – ohne dabei das gewalttätige Verhalten zu billigen. Beratungsarbeit mit den Männern kann dann Veränderungen bewirken, wenn sie parteilich und konfrontierend zugleich ist. Dabei unterscheidet sie sich nicht von der Beratung von Männern ohne Behinderung. Beratung hat nicht selten aus Sicht des Umfeldes der Täter die Funktion, weitere Gewalt zu verhindern. Beratung soll dazu dienen, unerwünschtes Verhalten abzustellen und zu beenden. Diesen Auftrag – nicht immer ausgesprochen – kann Beratung aber nicht uneingeschränkt erfüllen. Es kann gelingen, wenn – wie oben genannt – eine gemeinsame Haltung zu erreichen ist. In Arbeitsbündnissen müssen Möglichkeiten gesucht werden, innerhalb und außerhalb des Lebensumfeldes der Täter, die es erlauben, gewaltfrei zu inneren und äußeren Konflikten der Täter Lösungen anzubieten und zu entwickeln, folgerichtig aber mit ihnen zusammen. Das setzt eine offene Kommunikation und Abstimmung von Vereinbarungen voraus. Ein reines Verantwortungs-Übertragungs-Prinzip scheitert in der Regel. Verlagerung oder gar Verheimlichung der Probleme führen nicht zu tragfähigen Lösungen bestehender Konflikte. Helferkonferenzen haben sich als wichtiges Instrument einer erfolgreichen Arbeit erwiesen. Vorbeugende Angebote zu Mann-Sein, Liebe, Partnerschaft, Sexualität und Konfliktverhalten müssen ebenso Bestandteil einer weit reichenden Konzeptentwicklung sein wie notwendige Maßnahmen direkter Krisenbewältigung. Beratung kann eine Säule dieses Hilfsangebotes sein. Sie kann die Rolle übernehmen, die helfenden Systeme zu verbinden und zu bündeln. Umgang mit Tätern; Männerberatung; Angebot für gewalttätige Männer mit Behinderung – Udo Brossette 45 :: Qualifikation eines Beraters oder einer Beraterin? Beraterische und/oder therapeutische Qualifikationen sind wichtige Voraussetzungen, um in diesem Arbeitsfeld tätig zu sein. Wichtig ist eine klare Auftragsklärung im Lebensumfeld des Täters. Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit dem Umfeld des Täters sollte vorhanden sein. Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Polizei- und Justizbehörden sind nützlich. Grundkenntnisse über die unterschiedlichen Arten von Behinderung sollten vorhanden sein, um sich jeweils auf den einzelnen Klienten einstellen zu können. Den Klienten muss mit Respekt und Achtung vor ihnen als Person begegnet werden, damit eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich wird. Kenntnisse zu Inhalten einer gewaltfreien Kommunikation sind von großem Vorteil, ebenso die Bereitschaft, sich mit Gewalt, Eskalation und Konfliktverhalten von Menschen auseinanderzusetzen. :: Struktur des Beratungsangebotes In der Regel finden die Beratungen in den Räumen der pro familia statt. Dies soll einerseits dem Schutz der Klienten hinsichtlich der Anonymität und Schweigepflicht dienen, kann andererseits in Einzelfällen zur Aufwertung ihrer Selbstständigkeit beitragen, wenn sie in der Lage sind, sich selbstständig in der Region zu bewegen. In wenigen Ausnahmen findet Beratung im häuslichen Umfeld der Klienten statt. Die Beratungszeit beträgt angepasst an die Konzentrationsfähigkeit des Klienten höchstens eine Stunde. In der Regel wird vor dem ersten Termin ein Vorgespräch mit Bezugspersonen oder Klienten persönlich oder per Telefon geführt. Darin wird u. a. geklärt, wer den Klienten zum Erstgespräch begleiten wird. Aus Sicht der Klienten hat im Vorfeld nach einem Vorfall schon das ein oder andere „Gespräch“ stattgefunden. Da ist es umso wichtiger, dass Ängste und Verunsicherungen nicht zusätzlich durch die neue Situation entstehen und Beratung sich für die Klienten nicht als weitere Form einer Bestrafung entpuppt. Ziel ist es, ein vertrauensvolles Klima zu schaffen, das einen guten Einstieg gewährleistet. In Abstimmung mit dem Klienten können nach Bedarf im weiteren Beratungsverlauf einzelne gemeinsame Gespräche mit den Betreuern geführt werden. Neben dieser Kontaktaufnahme durch die Betreuer kommt es in Ausnahmefällen auch zu Anfragen, die der Mann mit Behinderung von sich aus startet. Paare, deren Interesse die Fortsetzung der Partnerschaft ist, können gegebenenfalls auch gemeinsam beraten werden. 46 Fachvorträge und Austausch :: Kritischer Blick auf eine bestehende Realität – Thesen zur Anregung einer „jungen“ Diskussion : : Im Folgenden sind ein paar Thesen aufgelistet, die zum Nachdenken anregen sollen: : : : : : Die gesellschaftliche Auseinandersetzung über Gewalt in Beziehung und Partnerschaft und deren Folgen führt zum notwendigen Blick in die Welt der Menschen mit Behinderung – es fehlen Untersuchungen und Konzepte. Der Umgang mit Gewalt in Partnerschaft und Beziehung macht es erforderlich, auf beide zu schauen, die Opfer und die Täter. Männer mit Behinderung, die gewalttätig gehandelt haben, sind dem zusätzlichen Brandmal (Stigma) der Täterschaft ausgesetzt. Ihr Tätersein unterscheidet sich vom Täter ohne Behinderung in den meisten Fällen durch ihre eingeschränkte Lebenswirklichkeit und dem daraus folgenden Handicap der Erklärungsfähigkeit zum Geschehen – hierbei benötigen sie mehr Begleitung und Unterstützung. Sie selbst sind oft nur ihren Impulsen überlassen und können diese im Nachhinein nicht in Relation zu ihrer Handlung sehen. : : : Damit sind sie hilflos und überfordert. Ihre Taten erzeugen Opfer – was fehlt, sind entsprechende Umgehensweisen mit ihrem Verhalten. Der wirkliche Umgang folgt zumeist der Vorgabe der Bestrafung – Versöhnung oder Wiedergutmachung sind die Ausnahme. Gewalttätiges Handeln kann Ergebnis mangelnder Lernerfahrung sein – die Ursachen sind nicht automatisch Folgen der Behinderung. Männer mit Behinderung können auch Opfer sein – Opfer männlicher und weiblicher Gewalt. Männer mit Behinderung leiden häufig unter Einsamkeit, an dem Mangel an körperlicher und gefühlsmäßiger Nähe, fehlender partnerschaftlicher Liebe und Sexualität. Udo Brossette Dipl.Sozialpädagoge Systemischer Familientherapeut Sexualtherapeut pro familia Darmstadt Umgang mit Tätern; Männerberatung; Angebot für gewalttätige Männer mit Behinderung – Udo Brossette 47 AG I: Rechtliche und institutionelle Strategien zur Prävention und Intervention von Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung; Dienstvereinbarung in der Diakonie Nieder-Ramstadt 48 Arbeitsgruppen In Anlehnung an den Vortrag von Fr. Zinsmeister wurden folgende Fragestellungen im Workshop bearbeitet: 1. Wie können Institutionen Präventions- und Interventionsmaßnahmen wirkungsvoll implementieren? Wie rechtsverbindlich sind Handlungsorientierungen, Handlungsleitfäden und Dienstvereinbarungen oder Dienstanweisungen? 2. Welche Adressaten/Adressatinnen (mögliche Täter/Täterinnen) sollten darin angesprochen werden? 3. Wie wird wohl ein adäquater Schutz der Verletzten als auch ein angemessener Umgang mit einem/einer Täter/Täterinnen gewährleistet (vor allem bezogen auf Täter/Täterinnen, die kognitiv eingeschränkt sind)? 4. Welche praktischen Erfahrungen bei der Entwicklung von Handlungsvorhaben innerhalb einer Einrichtung gibt es? Zur Einführung in die Thematik stellten die Referentinnen verschiedene Instrumente vor, darunter: Dienstanweisungen des Dienstherren/Arbeitgebers Sie konkretisieren die arbeitsvertraglichen Pflichten der Mitarbeitenden und können so Klarheit schaffen: Sie bergen aber auch das Risiko, bei den Beschäftigten Ängste und Unsicherheiten hervorzurufen. Diese können die Umsetzung erschweren. Gegen sie spricht zudem, dass die behinderten Klienten/Klientinnen nicht in die Entwicklung einbezogen werden und von Dienstanweisungen in der Regel keine Kenntnis erhalten. Adressat der Dienstanweisung sind lediglich die angewiesenen Mitarbeitenden. Rechte und Pflichten der Klienten/Klientinnen im Umgang miteinander können darin nicht geregelt werden. Handlungsorientierung, Interventionsleitfäden Sie entfalten nur im Ausnahmefall rechtsverbindlichen Charakter, wenn sie als Dienstanweisung des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern zu interpretieren sind. Ist in einem gerichtlichen Verfahren zu entscheiden, welche Pflichten die Beschäftigten oder die Leitung hatten, können sie aber auch dem Gericht Orientierungshilfe sein. Sie bieten sowohl Raum, um konkrete Handlungsschritte zu definieren als auch die erwünschte professionelle Haltung der Mitarbeitenden, des sozialen Miteinanders und die Organisationskultur näher zu bestimmen. Desweiteren besteht hier die Möglichkeit die Nutzer/Nutzerinnen am Prozess zu beteiligen. :: Für alle Instrumente gilt: Sie funktionieren nur, wenn sie das Ergebnis eines gemeinsamen Reflexions- und Aushandlungsprozesses sind und von einer entsprechenden Organisationskultur getragen werden. Sie funktionieren am besten, wenn sie sich gegenseitig ergänzen und in eine Vielfalt von Präventions-, aber auch Reflexionsangeboten eingebettet sind. In Institutionen, in denen der Alltag behinderter Menschen von Fremdbestimmung geprägt ist, müssen Maßnahmen, die alleine darauf gerichtet sind, sie zum Selbstschutz vor sexualisierter Gewalt zu befähigen, scheitern. Wer nicht „nein“ sagen kann, wenn er oder sie sich von einer ihm unangenehmen Person duschen lassen soll, wird auch nicht „nein“ sagen, wenn er oder sie vorsätzliche sexualisierte Grenzverletzungen erfährt. Es bedarf einer gemeinsamen kritischen Reflexion und (Um-)Gestaltung der Einrichtungskultur und in diesem (vorzugsweise durch eine externe Fachkraft angeleiteten und moderierten) Prozess müssen vor allem die behinderten Nutzerinnen und Nutzer angemessen einbezogen werden. AG I: Rechtliche institutionelle Strategien zur Prävention und Intervention / Dienstvereinbarung 49 Prinzipiell sollte allen Instrumenten eine ausgeprägte und umfassende Präventionsarbeit vorangestellt sein, um in der Einrichtung eine Kultur des wissentlichen und selbstbestimmten Umgangs mit seinen Bedürfnissen und Grenzen und denen von anderen zu entwickeln. Zur Erarbeitung von Handlungsleitlinien und Orientierungshilfen ist die individuelle Kultur einer Einrichtung wesentlich. Aufschluss über die Einrichtungskultur geben z. B. folgende Fragen: : : : : : : : : 50 Wie viel Respekt und Wertschätzung erfahren die Nutzer/Nutzerinnen, aber auch die Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen innerhalb der Einrichtung? Wie wird mit dem Thema Sexualität umgegangen, kann und wird offen darüber gesprochen zwischen Nutzer/Nutzerinnen, unter den Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen, gemeinsam mit Leitungen? Wird das Thema Macht und Machtmissbrauch offen thematisiert und reflektiert? Welche Grenzen gilt es, im Miteinander zu beachten? Wie geht man auf den verschiedenen Ebenen der Organisationen mit „Fehlern“ um? Können z. B. im Team eigene Handlungsunsicherheiten oder Kritik an Kollegen offen angesprochen und sachlich und wertschätzend besprochen werden? Nimmt man Fehler von Einzelnen auch zum Anlass, über institutionelle Bedingungen nachzudenken, die den Fehler mit verursacht haben könnten (z. B. mangelnder Informationsfluss, Personalmangel). Übernimmt die Leitung hierfür die erforderliche Verantwortung? Wissen die Nutzer/Nutzerinnen der Institution, dass sie eigene Vorstellungen äußern und ihren Alltag danach gestalten dürfen? Werden sie darin tatsächlich unterstützt? Kennen die Nutzer/Nutzerinnen nicht nur ihre Pflichten, sondern auch ihre Rechte (gegenüber anderen Nutzer/Nutzerinnen, den Mitarbeitenden, der Leitung, ihren rechtlichen Betreuern)? Gibt es entsprechende Informationen in leichter Sprache? Arbeitsgruppen : : : : Können die erwachsenen Bewohner/Bewohnerinnen einer Wohngruppe bzw. -einrichtung ihre sozialen Kontakte nach eigenen Vorstellungen gestalten (z. B. Besuch über Nacht empfangen oder die Nacht außerhalb der Einrichtung verbringen)? Gibt es Hausregeln, die dies einschränken? Wenn ja, warum? Sind sie tatsächlich gerechtfertigt? Wird geschlechtersensibel gearbeitet? Wer ist Ansprechpartner/in im Fall von Grenzverletzungen? Es gibt keine Möglichkeit, bei Verdachtsmomenten nach „Schema F“, zu intervenieren. Vielmehr erfordert jeder Einzelfall eine individuelle Gefährdungsabschätzung und Abwägung der verschiedenen tangierten Interessen… …unter Berücksichtigung des Grades des Verdachts, der Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung, der Schwere des drohenden Schadens und dem Charakter des zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Eingriffs in die Rechte des Tatverdächtigen oder auch potenziellen Opfers (z. B. im Falle einer geplanten Intervention ohne Zustimmung der Betroffenen). Leitfäden können helfen, diese Interessenabwägung in einer hochemotionalisierten Situation ausschließlich an sachlichen Kriterien vorzunehmen, sie ersetzen diese aber nicht. Fachkräfte müssen daher geschult werden, Verdachtsmomente zu erkennen und fachlich angemessen darauf zu reagieren. Sie brauchen hierzu Unterstützung externer Fachleute (thematisch qualifizierte Unterstützung, kollegiale Beratung, externe Supervision, ggf. rechtliche Beratung). Sie müssen wissen, welche Verdachtsmomente sie mitzuteilen haben und mit den weiteren Verfahrensschritten vertraut sein. Sie müssen darauf vertrauen können, dass die Leitung ihrer Leitungsverantwortung zügig und umfassend nachkommt und ebenfalls weiß, wie sie adäquat mit der Thematik umzugehen hat. In der Diskussion mit den Teilnehmenden wurde deutlich, dass die Handlungsunsicherheit der Mitarbeitenden im Umgang mit der Selbstbestimmung der Nutzer/Nutzerinnen und mit Ver- dachtsmomenten in der Regel sehr ausgeprägt ist und daher vor allem auch auf Leitungsebene erheblicher Handlungsbedarf, aber auch häufig Handlungsunsicherheit besteht. Hier hat sich als erster Schritt die Schaffung einer gesprächsoffenen-/bereiten Umgebung und Atmosphäre als sinnvoll erwiesen, um dann gemeinsam (innerhalb einer Einrichtung) Richtlinien zu entwickeln, für einen individuell abgestimmten, aber trotzdem transparenten und fachlichen Umgang mit Verdachtsmomenten oder Übergriffen. Als ein Problem in der Praxis erwies sich der korrekte Umgang mit Täter/Täterinnen, die Mitarbeitende sind. Hier sollten klare Aussagen einer Einrichtung getroffen werden, sowohl bei Einstellungsgesprächen, als auch in Arbeitsverträgen und letztendlich in Dienstvereinbarungen, so dass die Haltung einer Einrichtung deutlich kommuniziert wird und dadurch ein transparenter Umgang zu Gunsten der betreuten Menschen entwickelt wird. Die „Verdachtskündigung“ wurde konkret und kritisch im Plenum besprochen, da natürlich unterschiedliche Bedürfnisse im Raum stehen und bedacht werden wollen. Hier steht allerdings das Opfer und Opferschutz rein rechtlich an erster Stelle. Als in der Praxis weiteres und besonders dringliches Problem erwies sich der Umgang mit gewaltbereiten behinderten Bewohnern. Es gibt kaum präventive Bildungsangebote zum Beispiel auch für „Männergruppen“. Es gibt in kaum einer Einrichtung geeignete (sexual-) pädagogische Angebote für die überwiegend männlichen tätlichen Bewohner. Wenn von diesen eine Gefahr für andere Bewohner/Bewohnerinnen oder Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen ausgeht, wissen die Einrichtungen nicht, wo und wie sie die Männer weiter betreuen sollen. Hier wies Frau Zinsmeister auf die Strukturverantwortung der Rehabilitationsleistungsträger gem. § 19 Abs. 1 S. 1 SGB IX hin, die dafür Sorge zu tragen haben, dass die Bewohner/Bewohnerinnen in „sicheren“ Wohnverhältnissen leben können und Mitbewohner, die diese Sicherheit latent gefährden, in einer speziell für sie zugeschnittenen Wohnform betreut werden können, in der sie keine Gefahr für andere werden. Sofern ein Bewohner wiederholt Bewohnerinnen bedroht, genötigt oder sogar vergewaltigt habe, aber eine psychiatrische Unterbringung langfristig keine Lösung sei, sei sein Wechsel in eine Männerwohngruppe der erste (wobei es inzwischen sehr wenig geschlechtshomogene Gruppen gibt), wenngleich sicher nicht einzige notwendige Schritt. Frau Tandler berichtete über Konzepte und vereinzelte Angebote für kognitiv beeinträchtigte Täter, stellte aber fest, dass das regionale Angebot den wenigsten Einrichtungen bekannt und zudem auch bei Weitem nicht ausreichend ist, um den Bedarf zu decken. Hier wäre ein bundesweiter Austausch von erfolgreichen Ansätzen sinnvoll, um gezielt die Verantwortung sowohl für Täter/Täterinnen als auch für Opfer in der Behindertenhilfe zu übernehmen. Dr. jur. Julia Zinsmeister Professorin für Zivil- und Sozialrecht FH Köln, Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften Tanja Tandler Projektleitung Nieder-Ramstädter Diakonie AG I: Rechtliche institutionelle Strategien zur Prävention und Intervention / Dienstvereinbarung 51 AG II: Selbstbehauptungstraining – Vorstellung der Kurse, Erfahrungen der AG Freizeit e. V., Marburg 52 Arbeitsgruppen :: AG Freizeit e. V. – Kernbereich AG Freizeit e. V. ist ein Fachdienst der Behindertenhilfe und bietet seit 1980 Angebote und Hilfen zur selbstbestimmten Freizeitgestaltung für Jugendliche und Erwachsene mit (geistiger) Behinderung. Zu unseren Angeboten gehören das offene Nachmittagscafé (3 x pro Woche), der Kulturabend (1 x monatlich Teilnahme an öffentlichen kulturellen Veranstaltungen), die Extra-Angebote Kultur und Natur (Tagesfahrten zu Ausstellungen, Tierparks, Weihnachtsmärkten…) und Freizeiten und Reisen (4 x pro Jahr). Für die Besucher/innen dieser Angebote werden außerdem die individuell notwendigen Hilfen geleistet. Weitere Informationen über AG Freizeit e. V. finden sie auf www.ag-freizeit.de :: AG Freizeit e. V. – weiterer Bereich (seit 2001): Angebote zur Prävention von Gewalt/sexueller Gewalt an Mädchen und Frauen mit geistiger Behinderung: a) Fortbildung „Starke Mädchen – starke Frauen“ Unterstützung / Stärkende Arbeit Für Lehrer/Lehrerinnen, Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen in der Behindertenhilfe… Um Selbstbehauptungskompetenzen gewinnen und ausbauen zu können, ist es notwendig, dass die Mädchen und Frauen im Alltag üben können, dass sie sich als mächtig erleben, dass sie Entscheidungsfreiheiten haben, dass sie sich so angenommen fühlen, wie sie sind. Diese Dinge fehlen bei einem Aufwachsen mit Behinderung häufig, das Erleben von Ohnmacht und Nichternst-genommen-werden sind dagegen alltäglich. Ohne das Üben und die Erlaubnis zum NEIN sagen im Alltag kann auch nicht verlangt werden, dass Mädchen und Frauen mit Behinderung in Notsituationen NEIN sagen! Hier kann die Haltung der alltäglichen Bezugspersonen eine wichtige Rolle spielen. Hierzu gibt es auch ein Handbuch: „Ich will, ich kann, ich darf“, erhältlich bei AG Freizeit e. V. für € 8,50 zzgl. Porto b) Selbstbehauptungstraining für Mädchen und Frauen mit geistiger Behinderung Das Training findet statt: : : : im Nachmittagscafé der AG Freizeit e. V. zweimal im Jahr Wochenendworkshop (hessenweite Ausschreibung) Kurse an Schulen oder in Werkstätten oder anderen Einrichtungen auf Anfrage :: Worum geht es? Wir wollen eine innere Stabilität vermitteln, welche notwendig und hilfreich im jeweiligen persönlichen Alltag ist. :: Selbstbestimmung im Alltag Selbstbestimmung im Alltag bedeutet, dass Willensäußerungen ohne Schuldgefühle möglich sind und dass die eigenen Rechte klar sind und vertreten werden, von einfachen Dingen wie z. B. der Wahl des Getränks bis hin zu schwierigeren Themen wie z. B. Nähe und Distanz in Beziehungen. Hierfür sind die Wertschätzung der eigenen Person und Achtsamkeit notwendig. :: Gewaltprävention Die Selbstbestimmung im Alltag ist zugleich die Grundlage für Gewaltprävention. Gerade in Notsituationen und bei Übergriffen ist ein Kennen und Deutlichmachen der eigenen Grenzen ohne Schuldgefühle nötig. Es ist wichtig, zu wissen, dass Hilfe und Unterstützung geholt werden darf. Die innere Stärkung, die Mädchen und Frauen aus Selbstbehauptungskursen gewinnen können, nutzt ihnen in allen Lebenslagen. AG II: Selbstbehauptungstraining – Vorstellung der Kurse, Erfahrungen der AG Freizeit e. V., Marburg 53 :: Für wen? :: Art und Weise der Durchführung Die Kurse richten sich ausschließlich an Mädchen und Frauen (ab 12 Jahren). Das Wesentliche und Besondere an unserem Training ist die Ausrichtung auf Teilnehmerinnen mit geistiger Behinderung. Diese Ausrichtung zeichnet sich dadurch aus, dass wir den einzelnen Übungen viel Zeit einräumen, dass wir mit Wiederholungen arbeiten, dass die Übungen wenig Abstraktes beinhalten – nach dem Motto „konkret und greifbar“. Dafür haben wir z. T. herkömmliche Selbstbehauptungs-Übungen umgewandelt oder auch neue Übungen konzipiert: Im Zusammenhang mit unserem Selbstbehauptungstraining werden wir immer wieder nach Voraussetzungen von Teilnehmerinnen gefragt: – Was ist, wenn jemand nicht spricht oder was ist, wenn jemand nur sehr langsam oder eingeschränkt Sprache versteht; kann die betreffende Person dann auch teilnehmen? Die Antwort lautet „JA selbstverständlich!“. Unsere Arbeitsweise orientiert sich an den jeweiligen Voraussetzungen der Teilnehmerinnen, nicht umgekehrt! Bezüglich der Art der Teilnahme ist uns wichtig zu erwähnen, dass jede Teilnehmerin stets selbst entscheidet, wann und auf welche Weise sie sich einbringt. Schließlich sollen die Workshops bei allem Lernen und Üben in erster Linie Spaß machen. : : geschützter Rahmen: : Kurse sind nur für Mädchen und junge Frauen : Schutz durch strenges Strukturieren des Kurses und strenges Eingreifen bei Grenzverletzungen Prinzip Freiwilligkeit/Jede nach ihrer Zeit (Achtsamkeit, Rücksicht) Durchführung der Kurse immer mit zwei Trainerinnen, eine leitet die Übung an, die andere begleitet bei der Teilnahme :: Was vermitteln wir? : : : : : : :: Übungen : : Ich bin wichtig. Meine Gefühle sagen mir, was richtig ist. Ich sage JA, wenn ich etwas möchte. Ich sage NEIN, wenn ich etwas nicht möchte. Ich mache meine Grenzen deutlich: STOPP, bis hierhin und nicht weiter! Wenn ich allein nicht weiterkomme, hole ich HILFE. All das DARF ich – es ist mein RECHT! : : : : : : : : : von niedrigem zu sehr hohem Level Wiederholungen Übungen im Kreis (alle sind dabei, jede kann bei den anderen auch zusehen, wenn sie selbst gerade nicht dran ist) Ablauf von Übungen: Vorführen, Anleiten, Begleiten, Reflexion die Teilnehmerinnen da abholen, wo sie sich momentan befinden Inhalte erlebbar machen offene Situationen ermöglichen und nutzen Anpassung von Übungen an individuelle Voraussetzungen Transferbegleitung durch Handzettel (auch für Bezugspersonen) und Fotos zur eigenen Erinnerung und zum Erzählenhelfen. Hierzu gibt es ein Handbuch „Selbstbehauptungstraining für Mädchen und Frauen mit geistiger Behinderung“ Verlag AG Spak Bücher ISBN 3-930 830-67-I, € 9,50 Erhältich z. B. über donna vita 54 Arbeitsgruppen :: Übungsbeispiel: Ritualkreis Der Ritualkreis ist eine sehr wichtige Basisübung, auf deren Aspekte während anderer Übungen zurückgegriffen werden kann. Zu den Aspekten gehören die Worte oder Gesten zu JA, NEIN, STOPP und HILFE sowie Hinweise zur Körperhaltung. Durch das ständige Wiederholen, insbesondere bei fortlaufenden Kursen, können Gesten und Haltungen ein Stück weit automatisiert werden. Oft stellt dann, während neuer Übungen, ein Impuls seitens der Trainerinnen die notwendige Unterstützung dar („Mach Dich groß!“/„Schau X an!“ oder Erinnern durch kurzes Vormachen bestimmter Haltungen/Gesten). Wörter weiterreichen : : Die folgenden Worte werden, in angegebener Reihenfolge, einzeln und jeweils mindestens drei Runden herum gereicht: JA-NEIN-STOPP-HILFE (als „Trockenübung“ ohne Bezug). „Ich bin wichtig!“ mit Applaus der anderen (kann der Reihe nach im Kreis durchgeführt werden oder auch durcheinander, dann muss aber die Reihenfolge sortiert werden) Grenzsetzung durch Körperhaltung : : : : : :: Erfahrungen aus den Kursen: Das Training ist nachhaltig : : : Körperhaltung : : : Wir arbeiten Unterschiede zwischen einer geschlossenen (klein) und einer offenen (groß) Körperhaltung heraus und verwenden die Begriffe KLEIN und GROSS zum und während des Erklärens! KLEIN: Blick auf den Boden, Arme verdecken den Körper; ggf. werden Verhaltensweisen einzelner Teilnehmerinnen aufgegriffen (z. B. lautes Greischen, Nörgeln, weinerlich sein), welche diese zu Abgrenzungszwecken nutzen. Durch ein maßvolles Übertreiben werden den Teilnehmerinnen, auf spielerische und z. T. lustige Art, ihre Strategien widergespiegelt. GROSS: „fester Stand“ (Beine etwas auseinandergestellt), Oberkörper aufgerichtet; Blick auf eine Person gerichtet. Aufgabe: ein „Ärgern“ wird im Kreis herumgereicht. Eine Teilnehmerin macht sich KLEIN, eine Kreisnachbarin „ärgert“ sie (die Form des Ärgerns wird vorher vereinbart: Kitzeln, leichtes Schupsen). Die Geärgerte spürt nach und macht sich GROSS, sobald sie genug vom „geärgert werden“ hat. Teilnehmerinnen, die sich noch nicht GROSS machen können, wird die Verwendung der STOPP-Geste nahe gelegt. Die Ärgernde stoppt, sobald sie das von der Geärgerten spürbar vermittelt bekommt. : : Alle Teilnehmerinnen haben in den Kursen Stärkung erlebt. Viele äußern: „Ich will wiederkommen“, „Nächstes Jahr mache ich wieder mit“. Die Art der Teilnahme ist immer individuell (schnell, langsam, erstmal gucken, aber dabei auch schon ganz viel mitnehmen). Die Umsetzung in den Alltag ist individuell in der Bandbreite von der jungen Frau, die einmal etwas fragt und bespricht und dann umsetzt bis zu der Frau, die seit Jahren regelmäßig am Training teilnimmt und ganz kleine Stücke umsetzt und langsam, aber kontinuierlich wächst. Rückmeldungen, die wir bekommen haben: Viele können im Alltag deutlicher sagen/zeigen, was sie wollen und was nicht; manche probieren das NEIN an allen Stellen aus. Für sehr viele Mädchen und Frauen ist es ein langer Weg, die gewonnene Stärke aus dem Kurs im Alltag umzusetzen, es sind Wiederholungen nötig, eine Transferbegleitung oder eine fortlaufende Mädchengruppe können hier einen wertvollen Beitrag leisten. AG II: Selbstbehauptungstraining – Vorstellung der Kurse, Erfahrungen der AG Freizeit e. V., Marburg 55 :: Ergebnisse aus der Arbeitsgruppe Erfahrungen der Teilnehmenden mit der Durchführung von Selbstbehauptungskursen oder anderen gewaltpräventiven Maßnahmen für Menschen mit Behinderung in Einrichtungen. Nur sieben der Anwesenden haben bisher Erfahrungen mit der Durchführung von Kursen. Von den Kursen durch externe Anbieter (aus dem Grundschulbereich, die Polizei und Defendingteam) kamen nur manche Inhalte bei den Teilnehmerinnen an, die Kurse waren nicht an die Lernvoraussetzungen angepasst. Welche Möglichkeiten der Implementierung regelmäßiger gewaltpräventiver Angebote werden gesehen? Regelmäßige Angebote: : : : : Die anderen haben Kurse mit internen Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen durchgeführt, zum Teil gemischtgeschlechtliche Gruppen und hatten positive Resonanz und großes Interesse der Teilnehmer/innen. : Deutlich wurde dabei die Notwendigkeit des wiederholten Übens der Inhalte. : : Fortbildung der Mitarbeiter/innnen: : : : 56 Arbeitsgruppen Selbstbehauptungstrainings in der Einrichtung durchführen Mischung aus externem Kurs (1 x jährlich) und interner Auffrischung (z. B. Kurs und dann Übungsabende) geschlechtsspezifische AGs als regelmäßiges Angebot (Frauencafé, Mädchengruppe, Jungengruppe…) präventive Angebote als Begleitmaßnahme zur Arbeit, als Lerneinheit in der Schule verankern Informationen über und Vermittlung an externe Angebote übernehmen Multiplikatorinnentraining? Kollegen/Kolleginnen schulen Kollegen/ Kolleginnen Fortbildung der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen, die Frauen unterstützen Vorbild sein Klare Kommunikationsstrukturen, nonverbale Kommunikation erlernen Allgemeine Maßnahmen: : : : : : : : Kommunikation und Informationsaustausch innerhalb der Einrichtung Gewalt ist alltäglich und Prävention wichtig, nicht nur als Krisenintervention Anlaufstelle/Beauftragte schaffen Einrichtungsnahe Treffpunkte schaffen (barrierefrei, mit Fahrdienst, Beratung…) Selbstbestimmung und Ernstnehmen der Menschen mit Lernschwierigkeiten Aufnahme präventiver Angebote ins Einrichtungskonzept Finanzielle Unterstützung (z. B. durch Fahrdienst…) :: Welche Hindernisse gibt es? : : : : : : : : Fehlendes Geld der Teilnehmerinnen Fehlendes Geld der Einrichtung Qualifiziertes Personal fehlt Zeit fehlt Notwendigkeit wird nicht gesehen/ mangelndes Interesse Zu wenige Plätze im Kurs Bedenken/Angst der Teilnehmerinnen Zu wenige bekannte Angebote :: Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? : : : : : : : : : Informationen zu Fördermöglichkeiten zusammentragen Spenden, Fördermittel Fortbildung, Pädagogischer Tag… Verankerung ins Angebot, Prävention als fester Bestandteil berufl. Bildung Vorhandene Frei- und Zeiträume nutzen Angebote „schmackhaft“ machen, informieren Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen schulen, um präventive Angebote in den Alltag einbauen zu können Unterstützung/Beratung/Vermittlung Werbung/Öffentlichkeit Angie Zipprich AG Freizeit e. V., Marburg AG II: Selbstbehauptungstraining – Vorstellung der Kurse, Erfahrungen der AG Freizeit e. V., Marburg 57 AG III: Das „Netzwerk gegen Gewalt“ Gewaltprävention in Südhessen Gewaltprävention Südhessen / Netzwerk gegen Gewalt Gewaltprävention / Qualifizierung zur Präventionsfachkraft 58 Arbeitsgruppen Das „Netzwerk gegen Gewalt“ Das „Netzwerk gegen Gewalt“ ist die Gewaltpräventionsinitiative der Hessischen Landesregierung. Das „Netzwerk gegen Gewalt“ wird von der Hessischen Staatskanzlei, dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport, dem Hessischen Kultusministerium, dem Hessischen Sozialministerium, dem Hessischen Ministerium der Justiz, für Integration und Europa und dem Landespräventionsrat Hessen getragen. Das „Netzwerk gegen Gewalt“ sieht Gewaltprävention für Kinder und Jugendliche als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Gewaltprävention richtet sich nicht nur an Eltern und Schulen, sondern auch an Behörden, Institutionen, Einrichtungen, Vereine und private Initiativen, wie beispielsweise Jugendhilfe, Jugendamt, Polizei, Kommunen, Justiz und Sportvereine. Das „Netzwerk gegen Gewalt“ leistet Beiträge zur Kooperation der Initiativen zur Gewaltprävention, um das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein zur Gewaltprävention zu stärken. :: Beispielhafte Aufgaben: : : : : : : : Themenfelder zur Gewaltprävention mit gleicher oder ähnlicher Aufgabenstellung erfassen Kooperationspartner auf dem Sektor Prävention finden und zusammenführen (vernetzen) Kompetenzen der Gewaltprävention bündeln und anderen zur Verfügung stellen Zusammenarbeit der im Bereich der Gewaltprävention tätigen Behörden, Institutionen, Schulen, Vereine und privaten Initiativen fördern Institutionen beraten und unterstützen Präventionsprojekte zusammenführen, unterstützen, initiieren und planen Präventionsprojekte des „Netzwerks gegen Gewalt“, wie PiT (Prävention im Team), Gewalt-SehenHelfen, Medienkompetenz für Eltern, Lehrer, Polizei und sozialpädagogische Fachkräfte vorstellen und vermitteln Eigene regionale Schwerpunkte setzen Das hessenweite „Netzwerk gegen Gewalt“ wurde 2002 gegründet. Die Landesgeschäftstelle mit Sitz in Wiesbaden arbeitet mit ihrer Geschäftsführung aus dem Innenministerium und dem Kultusministerium seit 2003. Um die Kooperation der Initiativen zur Gewaltprävention auf möglichst alle Regionen Hessens auszuweiten, wurden Anfang 2009 Regionale Geschäftsstellen „Netzwerk gegen Gewalt“ eingerichtet. Die Regionale Geschäftsstelle Südhessen hat Anfang April 2009 ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist für die Landkreise Groß-Gerau, Darmstadt-Dieburg, Bergstraße und dem Odenwaldkreis sowie die Stadt Darmstadt zuständig. Die Regionale Geschäftstelle Südhessen „Netzwerk gegen Gewalt“ ist Anlaufstelle für Fragen der Gewaltprävention in der Region Südhessen. Christine Klein Geschäftsführerin Netzwerk gegen Gewalt Regionale Geschäftsstelle Südhessen AG III: Netzwerk gegen Gewalt / Gewaltprävention / Qualifizierung zur Präventionsfachkraft 59 Gewaltprävention in Südhessen :: Gewaltprävention bei geistigund lernbehinderten Kindern, Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen im Bereich der Regionalen Geschäftsstelle Südhessen Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen findet Gewalt auch bei und durch geistig- und lernbehinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene statt. Weil gerade Menschen mit Behinderung ihren Tag überwiegend in Einrichtungen der Behindertenhilfe verbringen und dort teil- oder vollstationär betreut werden, werden Delinquenz und somit auch Gewaltdelikte meist intern geregelt und in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Diese Vorgehensweise der internen Regelung wurde seither sowohl juristisch wie auch gesellschaftlich so gewollt. Mit der Ratifizierung der UN-Konventionen zur Gleichbehandlung aller Menschen müssen die Einrichtungen die Teilhabe behinderter Menschen umsetzen. Dies geschieht teilweise durch 60 Arbeitsgruppen Regionalisierungsprojekte und Öffnung der Schulen für alle Betreuungsbedarfe. Nicht nur in der Schule, sondern auch in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe laufen die Planungen, die zentrale Unterbringung aufzugeben. Ziel ist, Menschen mit Behinderung möglichst intensiv in das „normale“ Leben und die Gesellschaft zu inkludieren und die Betreuung geistig Behinderter in ihr nahes soziales und familiäres Umfeld zu verlagern. Damit einhergehend muss sich die Gesellschaft auch den Problemen stellen, die Menschen mit geistiger Behinderung haben und auch machen. Wenn wir die UN-Konventionen ernst nehmen und umsetzen wollen, wird auch Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und (junge) Erwachsene mit Behinderung mehr und mehr öffentlich werden. Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte, aber auch Schulen, Beratungsstellen, Einrichtungen u. a. müssen sich mit der Thematik befassen. Deshalb bedeutet das Recht zur Teilhabe behinderter Menschen in allen gesellschaftlichen Belangen auch, dass wir uns frühzeitig mit den Themen geistig behinderter Menschen, dem Gesetz, bzw. Gesetzesüberschreitungen und damit Gewalt und Gewaltprävention ernsthaft auseinandersetzen. :: Ziel: Netzwerk bilden zwischen den Institutionen, Organisationen, Vereinen pp., die von der Thematik betroffen sind oder durch die Umsetzung der UN-Konventionen betroffen sein werden, übergreifendes Gewaltpräventionskonzept für geistig- und lernbehinderte Menschen, insbesondere Kinder, Jugendliche und (junge) Erwachsene, das auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist. Zielgruppe (nicht abschließend): : : : : : : : : : : : : : : : : : Praktisch bildbare Schulen Sonderschulen Grundschulen Kindertagesstätten Integrative Einrichtungen Ambulante Betreuungsdienste Wohneinrichtungen Werkstätten und Berufsbildungsbereiche sowie Förderstätten Freizeitanbieter Beratungsstellen Drogenberatung Erziehungs-/Familienberatung Sexualberatung (Wildwasser/Pro Familia) Polizei Staatsanwaltschaft Gericht Forensik Gewaltprävention Südhessen / Netzwerk gegen Gewalt :: Historische Betrachtung Interministerielles Gewaltpräventionsprojekt der Hessischen Landesregierung 2002 gegründet/seit 2003 aktiv getragen von der Hessischen Staatskanzlei und vier Ministerien: : : : : Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Hessisches Kultusministerium Hessisches Ministerium der Justiz, für Integration und Europa Hessisches Sozialministerium sowie dem Landespräventionsrat Hessen. Landesweite Arbeit im Wesentlichen von Fachtagungen (regional und landesweit) geprägt/zentral zu steuernde Projekte. :: Landtagsbeschluss 2008 Alle Fraktionen im Hessischen Landtag haben den gemeinsamen Beschluss gefasst: Gewaltprävention muss bei der Bekämpfung von Gewaltkriminalität Schwerpunkt sein und das Netzwerk gegen Gewalt soll gestärkt werden. :: Vernetzung Warum? : Tanja Tandler Projektleitung Nieder-Ramstädter Diakonie : Christine Klein Geschäftsführerin Netzwerk gegen Gewalt Regionale Geschäftsstelle Südhessen : Rollenklarheit und Akzeptanz der fachlichen Positionen und anderer Bindungen sind Grundbedingungen. Konsensprinzip! Staatliche Initiativen zur Prävention sollten abgestimmt erfolgen, um Ressourcen zu schonen und nicht gegeneinander zu arbeiten. Der Staat kann nicht alles! Private Initiativen schonen staatliche Ressourcen und nutzen gesellschaftliches Engagement. AG III: Netzwerk gegen Gewalt / Gewaltprävention / Qualifizierung zur Präventionsfachkraft 61 :: Arbeitsebenen und Struktur der Zusammenarbeit Lenkungsgruppe :: Landesweite Programme und Themen Präventionsatlas Hessen Strategie und Verbindung in die Ministerien: : : : : : Hessisches Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS) Hessisches Ministerium der Justiz, für Integration und Europa (HMdJ) Hessisches Sozialministerium (HSM) Hessisches Kultusministerium (HKM) Präventionsatlas :: Aufgaben der Regionalen Geschäftsstellen Was heißt das konkret? : in monatlichen Kontakt zu dem Netzwerk mit den Geschäftsstellen. :: Zentrale Geschäftsstelle mit Sitz im Innenministerium Geschäftsführung : : : Vertreterin HKM (Frau Schmidt) Vertreter HMdIS (Herr Weller) Mitarbeiterin (Frau Gertraud Humbrock) : : Aufgaben : : : Operative Arbeit auf landesweiter Ebene Fachaufsicht und Steuerung der Regionalen Geschäftsstellen Zentrales Budget des Netzwerks und der Programme :: Aufgaben der Regionalen Geschäftsstellen Regionale Geschäftsstelle Südhessen Sitz in Darmstadt Operative Arbeit auf regionaler Ebene : : : : 62 Vernetzung und Unterstützung regionaler Projekte Umsetzung landesweiter Programme Regionale Schwerpunkte oder spezielle Schwerpunktsetzungen Arbeitsgruppen Übersicht von ca. 150 Präventionsprojekten in Hessen auf der Homepage des Netzwerks : Kontaktaufnahme, Vorstellen des Netzwerks und der Regionalen Geschäftsstelle bei Schul-, Jugendämtern, Drogenberatungsstellen, Kommunen, Ordnungsämtern, Präventionsräten, Verantwortlichen von Präventionsprogrammen… Fachgespräche, Fachtagungen, Seminare… Sammeln und Bündeln von Informationen zum Thema Gewaltprävention (Präventionsatlas), Veranstaltungstermine (Veranstaltungskalender) Initiieren und Teilnahme an Arbeitskreisen, Initialen zum Thema Gewalt, Präventionsgremien, Runde Tische… LK Kassel LK Waldeck-Frankenberg LK Werra-Meißner LK Schwalm-Eder LK Hersfeld-Rotenburg LK Marburg-Biedenkopf LK Lahn-Dill LK Vogelsberg LK Fulda LK LimburgWeilburg LK Gießen LK Wetterau LK RheingauTaunus Stadt Wiesbaden LK MainTaunus LK Hoch-Taunus LK Main-Kinzig Stadt Frankfurt LK Offenbach Stadt Darmstadt LK Groß-Gerau LK Bergstraße LK Darmstadt-Dieburg LK Odenwald AG III: Netzwerk gegen Gewalt / Gewaltprävention / Qualifizierung zur Präventionsfachkraft 63 :: NRD (Nieder-Ramstädter-Diakonie) – internes Projekt: Begleitmaßnahmen für Menschen mit geistiger Behinderung und Straffälligkeit in der NRD Ziele: : : : : : : Ist-Analyse und Definition zu strafrechtlich relevantem Verhalten in der NRD durchführen und dokumentieren das bisherige Unterstützungsangebot erheben Grundsätze im Umgang mit dem Personenkreis und deren Opfer entwickeln. Handlungskonzept (= Sofortmaßnahmen) für den Fall einer Straftat Gespräch-, Beratungs- und Unterstützungsangebote für Menschen mit straffälligem Verhalten und geistigen Behinderungen und deren „Opfer“ sowie deren Betreuer ebenso die Präventionsangebote schaffen. :: Pilotprojekt Südhessen Vernetzung Gewaltprävention bei geistig- und lernbehinderten Kindern, Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen im Bereich der Regionalen Geschäftsstelle Südhessen (Landkreise GroßGerau, Darmstadt-Dieburg, Bergstraße, der Odenwaldkreis und die Stadt Darmstadt) Ziele: : : : Netzwerk bilden zwischen den Institutionen, Organisationen, Vereinen pp, die von der Thematik betroffen sind oder durch die Umsetzung der UN-Konventionen betroffen sein werden Übergreifendes Gewaltpräventionskonzept für geistig- und lernbehinderte Menschen, insbesondere Kinder, Jugendliche und (junge) Erwachsene, das auf Nachhaltigkeit ausgelegt ist. Vorgehensweise: : : 64 andere Einrichtung der Behindertenhilfe befragt abgeprüft, ob unsere Sichtweise die Richtige ist Arbeitsgruppen : : : : : Fragebogen erstellt zur Delinquenz Opfer und Täter orientiert bisheriger Umgang Schulen, Einrichtungen angeschrieben Anfrage nach Interesse an Rundem Tisch Rücklauf Was wollen wir mit dem Runden Tisch? : : : : : : : : alle Beteiligten zusammenführen Erfahrungsaustausch Sensibilisierung in der Sache Externe Fach- und Beratungsstellen einbeziehen Systematik in Fallbearbeitung bringen Fachlichkeit bilden Präventionskonzepte entwickeln, einführen und austauschen Ressourcen optimieren… Runder Tisch Wen brauchen wir an „unserem“ Runden Tisch? : : : : : : : : Staatsanwaltschaft, Gerichte, Rechtsanwälte Polizei Schule, Schulaufsichtsbehörden Behinderteneinrichtungen Beratungsstellen Menschen mit Behinderung Forensik und forensische Fachambulanz und und und… Ist-Stand: : Konstituierende Sitzung Runder Tisch am 29. Oktober 2010 fortlaufende Sitzungen! Christine Klein Geschäftsführerin Netzwerk gegen Gewalt Regionale Geschäftsstelle Südhessen Tanja Tandler Projektleitung Nieder-Ramstädter Diakonie :: Anregungen zu dem Pilotprojekt aus der AG III – „Gewaltprävention bei geistig- und lernbehinderten Kindern, Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen im Bereich der Regionalen Geschäftsstelle Südhessen“ 1) Abgrenzung von „Delinquenz“ und „niederschwelligem übergriffigem Verhalten“ a) wann strafrechtliche Relevanz, b) wann eher pädagogisches Thema, c) Abgrenzung Pädagogik/Psychiatrie/ Forensik; d) wer ist wann zuständig, e) Handlungsempfehlungen 2) Projektbeschreibung und Entwicklung ins Internet stellen 3) Sollte man keine Einladung zum Runden Tischen erhalten haben, gibt es die Möglichkeit später daran teilzunehmen oder sich anzumelden? 4) Kriterien erarbeiten zur Feststellung der Einvernehmlichkeit bei sexuellen Handlungen vor allem bei Menschen mit eher schwerer Intelligenzminderung 5) „Täter“-Begleitung bei Menschen mit mittelschwerer bzw. eher schwerer geistigen Behinderung 6) Fachleute von der Forschung/Hochschulen zum Thema „Behinderung und Gewalt“ 7) Einbezug von Heimbeiräten und Werkstatträten 8) Einbezug von Frauenhäusern Gewaltprävention / Qualifizierung zur Präventionsfachkraft :: Anlage zur AG III – Qualifizierung zur Präventionsfachkraft gegen sexuelle Gewalt in der Behindertenhilfe (ausführlich im Anhang) Zielgruppe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Wohnhäusern und Werkstätten für Menschen mit Behinderung und Förderschulen Inhalt Menschen mit geistiger Behinderung sind besonders gefährdet, Opfer sexueller Grenzüberschreitungen und Gewaltanwendungen zu werden. Das Seminar befähigt Sie, präventive Angebote in Ihrer Einrichtung zu implementieren. Gleichzeitig steigern Sie Ihre Handlungssicherheit im Umgang mit Verdacht oder bestätigtem Verdacht. Das Seminar findet statt im Rahmen des Projektes „Netzwerk gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Menschen mit Lern- oder geistiger Behinderung – Prävention und Beratung“ des Caritasverbandes für das Erzbistum Paderborn e. V. Die Abschnitte können nicht einzeln gebucht werden. Abschnitt 1 : : : : Normen, Werte und Haltung Was behindert Sexualität? Sexualaufklärung – was, wie und warum? Sexualfreundlichkeit – aber wie? AG III: Netzwerk gegen Gewalt / Gewaltprävention / Qualifizierung zur Präventionsfachkraft 65 Abschnitt 2 Referenten : : : Alice Schikowski, Meinwerk-Institut : : Sexuelle Übergriffe: Daten und Fakten Pädagogische Konsequenzen Grundlagen und Möglichkeiten von Prävention Was tun bei Verdacht? Wege und Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit Abschnitt 3 : : : : : : : Beratung von Menschen mit Behinderung nach sexualisierter Gewalt Einführung in das Konzept der „leichten Sprache“ Multisinnliche Beratung/ Medien und Materialien Fragen und Antworten/Psychohygiene Einführung in das Konzept der kollegialen Beratung Menschen mit Behinderung als „Opfer“ Menschen mit Behinderung als „Täter“ Abschnitt 4 : : : : : : : : Einführung in die Balanced Scorecard „Vision“ und „Mission“ Strategische Ziele für die Perspektiven Finanzen, Kunden, Prozesse und Mitarbeiter Erfolgsfaktoren und deren Messung Festlegen von Zielgrößen und –werten Maßnahmen, Aktionen, Projekte Nachhaltigkeit Christiane Meier, Sexualpädagogin, Sozialmanagement, Wohnstättenleiterin Maria Gies, Dipl. Kunsttherapeutin, Sexualpädagogin Michael Mendelin, Dipl.-Theologe, Master of Organizational Psychology Koordination Astrid Schäfers, DiCV Paderborn Alice Schikowski, Meinwerk-Institut Diese Fortbildung wird in Zusammenarbeit mit dem Meinwerk-Institut in Paderborn angeboten. Anmeldung Meinwerk-Institut IN VIA Akademie Giersmauer 35 33098 Paderborn E-Mail: [email protected] Fortbildung in vier Blöcken in 2010 jeweils an 2 Tagen Ort Meinwerk-Institut, IN VIA Akademie Teilnehmer/innenzahl 20 Personen Kosten 960,00 € (im Jahr 2010) 66 Arbeitsgruppen AG III: Netzwerk gegen Gewalt / Gewaltprävention / Qualifizierung zur Präventionsfachkraft 67 AG IV: Stärkende und gewaltpräventive Angebote in der Schule – Praxisbeispiele 68 Arbeitsgruppen :: Einführung/Grundlagen Schule ist ein komplexes System, in dem soziales Lernen und Sozialerziehung vom ersten Schultag an im Mittelpunkt stehen und wesentlicher Bestandteil des Schulalltags über die gesamte Schulzeit hinweg sind. Förderschulen arbeiten mit einem sehr individuellen Ansatz. Stärkung der Persönlichkeit, ein Hinführen zu einem größtmöglichen Maß an Selbstbestimmung ist immer Ziel der Schule in jeder Altersstufe. Selbstbestimmung unterbindet Fremdbestimmung und wirkt daher präventiv. Stärkende Arbeit hat somit ihren Platz in jeder unterrichtlichen Arbeit, aber meist keinen fest verankerten Platz als Angebot im Stundenplan! Begreift man Gewaltprävention als pädagogische Aufgabe, ist deren langfristiges Ziel, durch Beeinflussung von Einstellungs- und Verhaltensstrukturen Voraussetzungen zu schaffen, so dass es nicht zu gewalttätigem bzw. grenzübergreifendem Verhalten kommt. Neben gewaltfreien Konfliktlösungsstrategien sollen die Schüler/ Schülerinnen lernen, grenzüberschreitende Situationen als solche zu erkennen und sich in diesen Situationen richtig zu verhalten. Es sollen Kompetenzen vermittelt werden, die eine Erweiterung des Selbstbewusstseins ermöglichen, die Entwicklung von Identität und Selbstwertgefühl unterstützen und fördern. Ein solches Angebot sollte konzeptionell verankert werden. Dabei muss schulische Prävention auf drei Ebenen ansetzen: : : : bei den Schülerinnen und Schülern bei den schulischen Fachkräften bei den Eltern :: Praxisbeispiel Gestaltung des gewaltpräventiven Angebots in der Wartbergschule, Friedberg: Kurzporträt der Schule, Informationen zur Entwicklung des bisherigen Konzeptes: Die Wartbergschule ist eine Förderschule für Praktisch Bildbare mit Abteilung für praktisch bildbare Körperbehinderte. Derzeit besuchen 82 Schülerinnen und Schüler die Wartbergschule. Sie werden in 12 Klassen unterrichtet und sind zwischen 6 und 19 Jahre alt. Es besuchen deutlich mehr Jungen bzw. junge Männer die Wartbergschule, ca. 65 % der Schülerschaft ist männlich. Es arbeiten ca. 50 Personen in der Wartbergschule, davon sind 33 Personen pädagogisches Personal. Die Wartbergschule ist gebundene Ganztagsschule mit einem Unterrichtsangebot von 36 Wochenstunden, d. h. an drei Nachmittagen findet Unterricht statt. Aufgrund einer Zunahme der Gewaltsituationen/Grenzüberschreitungen aus verschiedenen Gründen (z. B. stark gestiegene Schülerzahlen bei gleich gebliebenem Raumangebot) vor ca. 6 Jahren wurde ein dringender Handlungsbedarf zur Implementierung gewaltpräventiver Angebote an der Wartbergschule gesehen. Äußere Maßnahmen, wie z. B. Verstärkung der Aufsichten, konnten nur kurzfristige Abhilfe schaffen. In einem über mehrere Jahre laufenden Prozess wurden verschiedene feste Angebote installiert, wobei als erstes Angebot ein regelmäßiges geschlechtsspezifisches Angebot für die Mädchen und jungen Frauen geschaffen wurde (s. u.). Da Menschen mit einer geistigen oder Lernbehinderung, und innerhalb dieser Gruppe die Mädchen und Frauen, besonders gefährdet sind, Opfer von Grenzüberschreitungen zu werden, wurde auch in der Wartbergschule der Fokus zunächst auf die Gruppe der Schülerinnen gelegt. Das Angebot der „Mädchen- bzw. Frauengruppe“ besteht fortlaufend seit 2004. :: Schulische Prävention auf der Ebene der Schülerinnen und Schüler Regelmäßiges geschlechtsspezifisches Angebot in der Schule: einmal in der Woche eine Unterrichtsstunde „Mädchen-/Frauengruppe sowie Jungengruppe/Männerrunde“, welche fest im Stundenplan verankert und als freiwilliges Angebot konzipiert ist. Diese Stunde dient als Gesprächs-, Austauschs-, Beratungs- und Übungsforum, es herrscht eine vertrauensvolle Atmosphäre. Die Teilnahme sowie das Mitmachen der Übungen sind freiwillig. AG IV: Stärkende und gewaltpräventive Angebote in der Schule – Praxisbeispiele 69 Die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler bestimmen vorrangig die Inhalte dieser Gruppen. So wird beispielsweise am Anfang jeder Gruppenstunde besprochen wie sich jede/r Einzelne fühlt und wenn Bedarf besteht über aktuelle Themen, Befindlichkeiten, Probleme o. ä. gesprochen. Dabei ist wichtig, dass allen klar ist, dass das, was in dieser Runde besprochen wird, nicht nach außen getragen wird. Übungen aus der stärkenden Arbeit sind inzwischen fester Bestandteil der Gruppen. Die in den externen Trainings gelernten Inhalte werden hier aufgegriffen und geübt, damit sich diese Kompetenzen festigen können! Schülerinnen und Schüler, die noch kein Training absolviert haben, erhalten hier eine Einführung in die stärkende Arbeit. Die Angebote werden von einem/einer Förderschullehrer/Förderschullehrerin geleitet, welche in der Konzeptgruppe „Gewaltprävention“ (s. u.) mitarbeiten und auch die externen Trainings (s. u.) begleiten. In der Arbeitsgruppe wurden die Bezeichnungen „Mädchengruppe“ bzw. „Männerrunde“ für die verschiedenen Altersstufen kritisch gesehen. Für die älteren Schüler/Schülerinnen sollte der Begriff „Frauengruppe“ genannt werden, bzw. bei altersgemischten Gruppen beide Begriffe. Desweiteren sollte nicht pauschal der Begriff „Männerrunde“ für die jüngeren Schüler genutzt werden, hier wäre „Jungengruppe oder -runde“ passender. In der obigen Beschreibung wurde diese Anregung bereits mit aufgenommen. Selbstbehauptungskurse durch Trainer/Trainerin von außen („Experte/Expertin“): Derzeit arbeitet die Wartbergschule mit der AG Freizeit, Marburg zusammen, deren Trainings auf Menschen mit einer geistigen Behinderung ausgerichtet sind. Die Selbstbehauptungskurse werden mit fester Gruppenzusammensetzung an zwei aufeinanderfolgenden langen Unterrichtstagen während der Unterrichtszeit angeboten (8.20-14.30 Uhr). Dabei ist die Gruppe den gesamten Unterrichtstag zusammen, frühstückt und isst zusammen zu Mittag und legt die benötigten Pausen individuell fest. Als Raum dient die schuleigene Bewegungshalle. Die Kurse sind geschlechtsspezifisch konzipiert, getrennt nach Jungen/jungen Männern und Mädchen/ 70 Arbeitsgruppen jungen Frauen und altersadäquat angepasst, Beginn ca. 5. Schulbesuchsjahr, d. h. 10 bis 14 Jahre, sowie 15 bis 19 Jahre, was den Schulstufen der Schule für Praktisch Bildbare entspricht. Eine geschlechtsspezifische Trennung erscheint erfahrungsgemäß sehr sinnvoll, da die Übungen zwar die gleiche Intention verfolgen, jedoch bei Jungen/jungen Männern bzw. Mädchen/jungen Frauen eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung erfordern. Bei den Kursen mit männlichen Teilnehmern liegt ein deutlicher Schwerpunkt auf dem „Sich üben in fairen Auseinandersetzungen“ sowie „Entspannungsübungen“. Dies fällt Teilnehmern erfahrungsgemäß schwerer als Teilnehmerinnen. In den meisten Gruppen ist eine deutliche Konkurrenz unter den männlichen Teilnehmern spürbar. Das Konzept für die Selbstbehauptungstrainings für Jungen/ Männer der AG Freizeit befindet sich noch in einem Entwicklungsprozess, so dass noch keine schriftlichen Ausarbeitungen dazu vorliegen. Ein großer Teil der Übungen ist denen des Trainings der Mädchen/Frauen sehr ähnlich bzw. zum Teil auch identisch. Alle Trainings sind so konzipiert, dass möglichst alle Schüler/Schülerinnen unabhängig von Art und Schwere der Behinderung teilnehmen können. Sie werden von Förderschullehrer/ Förderschullehrerinnen begleitet, welche auch im Vorfeld die Kurse mit dem externen Anbieter organisieren. Dieses Vorgehen hat sich sehr bewährt, da man zum einen die Arbeit in den Trainings unterstützen kann und auch viele Anregungen erhält, welche in die stärkende Arbeit im Unterrichtsalltag bzw. in den „Mädchen/Frauengruppen“ bzw. „Jungengruppen/Männerrunden“ mit einfließen können und dort auch weiter geübt werden können. Diese Übungssituationen zu schaffen ist äußerst wichtig für die Nachhaltigkeit des Angebotes. Das Konzept „Gewaltprävention“ sieht vor, dass die Kurse die Schüler/Schülerinnen regelmäßig alle zwei Jahre erreichen. Zurzeit befinden wir uns im 3. Jahr der Durchführung dieser externen Trainings. Die Kurse sind für die Eltern kostenneutral und werden zur Zeit über ein zur Verfügung stehendes Budget „Schulsozialarbeit“ des Schulträgers finanziert. Da es sich aber um eine freiwillige soziale Leistung des Kreises handelt, ist nicht sichergestellt, dass dies in den nächsten Jahren auch noch möglich sein wird. über die Entwicklung des Konzeptes sowie die Veranstaltungen wird den Eltern in den Sitzungen berichtet. Stärkende Arbeit ist im Unterrichtsalltag integriert (s. o.), hat außerdem seinen Platz in besonderen Projekten: Sexualerziehung!, aber z. B. auch bei der Schülervertretung, der Theater-AG, der Schulband, im Sportunterricht, der Schulfußballmannschaft… Vor den Selbstbehauptungskursen gibt es immer eine ausführliche Elterninformation in schriftlicher Form von den Trainerinnen und Trainern. :: Schulische Prävention auf der Ebene der schulischen Fachkräfte Es fanden in den vergangenen Jahren mehrere Pädagogische Tage zum Thema „Gewaltprävention“, „Umgang mit aggressivem Verhalten“ und ähnlichen Schwerpunktsetzungen statt. Desweiteren haben einzelne Kolleg/-innen Fortbildungen zu diesem Thema besucht. Seit 2009 hat sich eine Konzeptgruppe „Gewaltprävention“ gebildet, die aus Mitgliedern der erweiterten Schulleitung und des Kollegiums besteht. Über die Konzeptarbeit wird regelmäßig in den Gesamtkonferenzen berichtet. Aufgabe der Konzeptgruppe ist neben der Organisation der Trainings, der Begleitung der Trainings sowie des regelmäßigen geschlechtsspezifischen Angebotes, eine mittelfristige Zielformulierung. Im vergangenen Schuljahr wurde das Konzept „Gewaltprävention“ im Schulprogramm verankert, somit sind die „Stärkende Arbeit“, sowie die „Gewaltprävention“ von allen schulischen Gremien verbindlich festgelegt. Die Schulleitung tauscht sich mit der Konzeptgruppe regelmäßig aus und ist für die Beantragung der finanziellen Ressourcen für die Trainings zuständig. Desweiteren steht sie im Austausch mit den Elternvertreter/Elternvertreterinnen auf den Elternbeiratssitzungen. :: Schulische Prävention auf der Ebene der Eltern Das Anliegen, gewaltpräventive Angebote in der Schule zu implementieren, wurde den Eltern bereits 2004 von der Schulleitung in einer Elternbeiratssitzung erläutert und von den Elternvertreter/Elternvertreterinnen begrüßt, Im vergangenen Schuljahr fand erstmals ein Informationsabend zum Konzept und Hintergrund der Selbstbehauptungskurse durch die externen Trainer/Trainerinnen und zur Entwicklung des Konzeptes „Gewaltprävention“ in der Wartbergschule statt. Desweiteren erhalten die Schüler/Schülerinnen nach den Kursen Fotos, so dass sie ihren Eltern anschaulich berichten können. Durch Berichte auf Elternabenden bzw. Elternbeiratssitzungen werden die Eltern umfassend informiert, die Konzeptverankerung im Schulprogramm wird von den Elterngremien mitgetragen. In der Arbeitsgruppe wurde andiskutiert, ob man die Eltern nicht an den Kursen selbst beteiligen sollte, sie dort einbeziehen sollte. So könnte man auch dieser Gruppe die stärkende Arbeit näher bringen, um sie in den Alltag mit einfließen zu lassen. Dieses sollte jedoch in speziellen Veranstaltungen nur für Eltern erfolgen, da die jungen Menschen durch die Anwesenheit ihrer Eltern oder auch die Eltern anderer Schüler/Schülerinnen verunsichert werden könnten. Die Übungen könnten in keinem Fall ungezwungen ablaufen. :: Ausblick Die Wartbergschule ist dabei ihr Konzept „Sexualerziehung“ zu überarbeiten und dabei soll eine weitere Vernetzung mit dem Konzept „Gewaltprävention“ stattfinden. Desweiteren ist eine Fortbildung für das Gesamtkollegium zum Thema „Stärkende Arbeit“ ggf. in Form eines Pädagogischen Tages in Planung. Susanne Zobel-Unruh Stellvertretende Schulleiterin der Wartbergschule Friedberg AG IV: Stärkende und gewaltpräventive Angebote in der Schule – Praxisbeispiele 71 Schlusswort Liane Grewers Sehr geehrte Damen und Herren, unsere Tagung geht zu Ende. Wir haben uns mit einem sehr sensiblen Thema befasst, das sehr unter die Haut gehen kann. Trotz der großen Anzahl der Teilnehmer/innen ist es uns gelungen – soweit ich es beobachten konnte – einen intensiven Austausch zwischen den Vortragenden und den Teilnehmenden zu erreichen. Ich hoffe, alle Beteiligten haben etwas zugelernt, können ein Stück für ihre Praxisarbeit mitnehmen und hier schon als Multiplikatoren wirken, das heißt, an ihren Arbeitsstellen Kolleginnen und Kollegen, aber auch Einrichtungsleitungen von den Inhalten der Tagung berichten und in ein Gespräch kommen. Ich wünsche mir, dass Sie – wie ich – die Tagung in der Hoffnung verlassen: das wir mittel- bis langfristig das gemeinsame Ziel verwirklichen können: sexuelle Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen in Zukunft zu reduzieren und am besten ganz zu verhindern. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen haben uns auf wichtige Dinge aufmerksam gemacht, worauf in Zukunft geachtet werden muss, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten oder müssen, damit Gewaltprävention wirkt. Es wurde aufgezeigt, dass es notwendig ist, die Rahmenbedingungen in den Einrichtungen genauer unter die Lupe zu nehmen. Wir haben erkannt, dass wir uns dafür einsetzen müssen, dass die räumlichen und personellen Ausstattungen so vorhanden sind, dass sexuelle Übergriffe am besten gar nicht auftreten. Wir wünschen uns, dass eine allgemeine Kultur des Hinschauens und Ansprechens entsteht, dass Menschen mit Behinderung besser über ihren Körper und das, was verboten und was erlaubt ist, Bescheid wissen, dass sie in ihrem Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein gestärkt werden, dass Freiräume bestehen, in denen sie eine unbehinderte Sexualität ausüben können, dass sexuelle Übergriffe schneller erkannt werden und dass angemessene Angebote zur Unterstützung, Hilfe und Beratung vorhanden sind. 72 Schlusswort :: Ausblick: Wir werden nun mit den Kooperationspartnern die Tagungsergebnisse auswerten und die nächsten Schritte gemeinsam überlegen. Wir hoffen dabei auf die Unterstützung der hier vertretenen unterschiedlichen Institutionen. Möglicherweise werden wir zu den einzelnen Projekten zielgerichtet einige der interessierten Teilnehmer/innen um Mitarbeit bitten. Konkret ist für 2011 geplant, Arbeitsgespräche mit betroffenen Einrichtungen zu führen um Mustertexte für Dienstvereinbarungen und Hausordnungen für alle Werkstätten und Wohneinrichtungen zu entwickeln. Diese könnten dann Schritt für Schritt von den einzelnen Einrichtungen im Wege der Selbstverpflichtung übernommen werden. Dabei wollen wir uns inhaltlich auf die Ergebnisse der heutigen Tagung stützen. Wir wollen aber auch die Zusammenarbeit mit dem HKM und den Schulen in Fragen der Gewaltprävention weiter verstärken und in eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Hessischen Netzwerk gegen Gewalt sowie der Hessischen Heimaufsicht einsteigen. Es wird eine Dokumentation dieser Tagung geben. Ich möchte mich bei allen Beteiligten für ihr gutes Durchhaltevermögen und ihr Engagement bei unserem Thema bedanken. Ich bin sehr froh, dass so viele Menschen Interesse an unserem Thema haben. So hoffe ich auch auf weitere gegenseitige Unterstützung. Einen ganz besonderer Dank richte ich auch an alle Kooperationspartner und Vortragenden, die mit ihren Beiträgen den Inhalt der Tagung erst ermöglicht haben. Nicht vergessen möchte ich, auch in der Öffentlichkeit, meiner Mitarbeiterin Frau Andrä-Rudel für ihren hohen Arbeitseinsatz und die sehr gute Vorbereitungsarbeit für die heutige Tagung herzlich zu danken. Ich wünsche Ihnen allen einen guten Weg nach Hause und ein schönes Wochenende. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Liane Grewers 73 Presseinformation des Hessischen Sozialministeriums 74 Anhang Anhang 75 Aspekte der Gewaltprävention : Fortbildungsangebote für Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen der Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen im Umgang mit sexueller Gewalt : Einbindung des Themas in die Ausbildung von Erziehern/Erzieherinnen, Integrationshelfern, Lehrer/Lehrerinnen, Sozialarbeiter/ Sozialarbeiterinnen, Sozialpädagogen : Hausordnungen für Schulen und Einrichtungen der Behindertenhilfe, die Verhaltensregeln in Bezug auf die Vermeidung sexueller Gewalt enthalten, aber auch Maßnahmen enthalten, die einzuhalten sind, wenn sexuelle Gewalt eingetreten ist; : frühzeitige Beweissicherung z. B. verschmutzte Kleidung mit DNS-Spuren des Täters/der Täterin in Plastiktüten aufbewahren : bei ausreichendem Verdacht: frühzeitige Information der Staatsanwaltschaft, damit für die Ermittlungen Verjährung unterbrochen werden kann : Einrichtung eines Beschwerdemanagements für Betroffene, Angehörige, rechtliche Betreuer, Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen – Gewaltpräventionsbeauftragter – ggf. besser extern; klare Strukturen für Verantwortlichkeiten : externe Beratungsstellen : Einbeziehung des Umfelds der Betroffenen : Aufbau oder Ausbau von Netzen von regionalen Beratungsstellen und Hilfeangeboten, Notruftelefonnummern : Informationsveranstaltungen für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, für Eltern, Angehörige, Betreuer – Einbeziehung des Umfeldes : Informationsflyer in einfacher Sprache und schwerer Sprache, CDs für Blinde, Angebote für Hörbehinderte (vgl. Berlin) : Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft : : Generelle Leitlinie zur Verhinderung von sexueller Gewalt : Sensibilisierung aller zur verbesserten Wahrnehmung hinsichtlich von fragwürdigem Verhalten, ersten äußeren Anzeichen von sexueller Gewalt : : : 76 Dienstvereinbarungen zwischen den Interessensvertretungen von Menschen mit Behinderung, Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen und Leitungspersonal – mit Regelungen entsprechend er Hausordnungen verstärkte Sexualaufklärung, Aufklärung über den eigenen Körper, über eigene Rechte, was ist erlaubt, was verboten (z. B. mich darf niemand gegen meinen Willen anfassen oder fotografieren, „petzen“ ist kein Verrat; vor allem in der Schule Stärkung von Handlungskompetenzen für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, z. B. durch Selbstbehauptungstraining, durch Training zur Stärkung des Selbstbewusstseins und des Selbstwertgefühls, Erlernen von Möglichkeiten zur Selbstverteidigung, Respektieren der Grenzen anderer Personen ausreichender organisatorischer und personeller Schutz der Intim- und Privatsphäre Anhang Fortbildung Präventionsfachkraft Anhang 77 78 Anhang Anhang 79 80 Anhang Anhang 81 82 Anhang Julia Zinsmeister: Gewaltschutz in sozialen Einrichtungen für Frauen mit Behinderung Anhang 83 84 Anhang Anhang 85 86 Anhang Anhang 87 88 Anhang Anhang 89 90 Anhang Anhang 91 92 Anhang Literaturliste – Netzwerk behinderter Frauen Literatur sowie Materialien zum Einsatz im Unterricht aber auch in Mädchen-/Frauen- oder Jungen-/Männergruppen zum Thema: Gewaltprävention, Verhinderung von sexueller Gewalt in Förderschulen: Maike Gerdtz: Auch wir dürfen NEIN sagen! Sexueller Missbrauch von Kindern mit einer geistigen Behinderung, eine Handreichung zur Prävention; Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2003 AG Freizeit e. V. (Hrsg.): Selbstbehauptungstraining für Mädchen und Frauen mit geistiger Behinderung; Ein Handbuch, Neu-Ulm 2005 AG Freizeit e. V. (Hrsg.): Ich will, ich kann, ich darf! Stärkende Arbeit für Mädchen und Frauen mit „geistiger Behinderung“ ein Handbuch für Mitarbeiterinnen aus der Behindertenhilfe; Marburg 2008; zu beziehen über die AG Freizeit e. V., www.ag-freizeit.de Annegret Frank: Rangeln, Regeln, Rücksicht nehmen; Spiele und Körperübungen für ein faires Miteinander von Kindern in Kita und Grundschule; Ökotopia-Verlag Münster, 2010 Gisela Braun, Dorothee Wolters: Das große und das kleine NEIN, Verlag an der Ruhr, Mühlheim an der Ruhr 1991 (Bilderbuch) Gisela Braun, Martina Keller: Ich sag NEIN!, Arbeitsmaterialien gegen den sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen; Verlag an der Ruhr, Mühlheim an der Ruhr 2006 D. Kramer, U. Schele, B. Stolzenburg, P. Zeiher: Prävention – ECHT STARK! Unterrichtsmaterialien für Förderschulen und Förderzentren zur Prävention von sexuellem Missbrauch; Petze Präventionsbüro, Schleswig Holstein; Kiel, 2007 Ursula Reichling, Dorothee Wolters: Hallo, wie geht es dir? Gefühle ausdrücken lernen; Merk- und Sprachspiele, Pantomimen und Rollenspiele, Set mit Bildkärtchen, Ideenheft und Kopiervorlagen; Verlag an der Ruhr, Mühlheim an der Ruhr 1994 VisoDidac Bilderbox: Gewalt; 25 Bildkarten auf denen 6 verschiedene Geschichten zu Gewaltsituationen dargestellt sind, dazu 11 Textkarten; K 2 Verlag Wildwasser Würzburg e. V. (HGi.): Anna ist richtig wichtig; Ein Bilder- und Vorlesebuch für Mädchen über sexuelle Gewalt, mit didaktischem Begleitmaterial; mebes & noak; Köln 2007 Susa Apenrade, Miriam Cordes: Ich bin stark, ich sag laut Nein!; Arena Verlag Würzburg, 2008 (Bilderbuch, in dem verschiedene Situationen beschrieben werden, mit Entscheidungsfragen zum Neinsagen üben) Tina sagt Nein! Tim sagt NEIN! Eine Broschüre für Mädchen und Jungen mit besonderem Förderbedarf zur Prävention sexualisierter Gewalt; Eigensinn e. V., Bielefeld 2006 (zu beziehen über www.eigensinn.org) Anhang 93 Literaturliste – pro familia Kassel Sexualität, Liebe und Partnerschaft von Menschen mit geistiger Behinderung 10. Bosch, Erik: Wir wollen nur euer Bestes! dgvt Verlag, 2005. :: Ausgewählte Literatur 11. Walter, Joachim (Hrsg.): Sexualbegleitung und Sexualassistenz bei Menschen mit Behinderungen. Universitätsverlag Winter, 2008. 1. Behinderte Sexualität – Verhinderte Lust? Grundrecht auf Sexualität für Menschen mit Behinderung. AG Spak, 2002. 2. Walter, Joachim: Sexualität bei geistig behinderten Erwachsenen. Reha-Verlag,1995. 3. Achilles, Ilse: Was macht Ihr Sohn denn da? Geistige Behinderung und Sexualität. Reinhardt Ernst, 2005. 4. „Erklär mir Liebe ...“. insieme-Materialien: Geistige Behinderung, Sexualität und Zärtlichkeit. Herausgeber: insieme Schweiz. Aarbergergasse 33, Postfach 6819, 3001 Bern, Schweiz, Tel.: 031 30050 20, [email protected], www.insieme.ch 5. „Liebe(r) selbstbestimmt“. Praxisleitfaden für die psychosoziale Beratung und sexualpädagogische Arbeit für Menschen mit Behinderung. AWO Arbeiterwohlfahrt, Bundesverband e. V., Heinrich-Albertz-Haus, Blücherstr. 62/63, 10961 Berlin, Tel.: 030/26309-0, [email protected], www.awo.org 13. Fegert, Jörg M. / Müller, Claudia: Sexuelle Selbstbestimmung und sexuelle Gewalt bei Menschen mit geistiger Behinderung. Mebes & Noack, 2001. 14. Fegert, Jörg M., u. a.: Bundesmodellprojekt: Ich bestimme mein Leben und Sex gehört dazu... 3 Bände: a) Geschichten für junge Menschen mit geistiger Behinderung, b) Begleitband für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Wohneinrichtungen und für Eltern, c) Kurzfassung des Forschungsberichts zum Modellprojekt. Infos und Bestellung bei [email protected]. 15. Pixa-Kettner, Ursula: Tabu oder Normalität? Eltern mit geistiger Behinderung und ihre Kinder. Universitätsverlag Winter, 2008. 6. Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung (Hrsg.): Sexualpädagogische Materialien für die Arbeit mit geistig behinderten Menschen. Belz, 1999. 16. Palmowski, Winfried / Heuwinkel, Matthias: Normal bin ich nicht behindert! Wirklichkeitskonstruktionen bei Menschen, die behindert werden. Unterschiede, die Welten machen. Borgmann, 2000. 7. Bosch, E. / Suykerbuyk, E.: Aufklärung – Die Kunst der Vermittlung. Methodik der sexuellen Aufklärung für Menschen mit geistiger Behinderung. Weinheim, Juventa, 2007. 17. pro familia Bundesverband: Sexuelle Assistenz für Frauen und Männer mit Behinderungen. Expertise. 8. Forum Sexualaufklärung und Familienplanung 2/3 – 2001. Kostenfrei erhältlich unter [email protected]. 9. Fegert, Jörg, u. a.: Ich bestimme mein Leben und Sex gehört dazu. Eigenverlag 2007; ISBN- 10: 3-938968-08-7. 94 12. Kowoll, Paula: Sexualpädagogische Konzeptionen in der Behindertenhilfe. Ein Handbuch. VDM Verlag Dr. Müller, 2007. Anhang 18. pro familia – Landesverband Hessen. Dreiteilige Broschürenreihe: Julia ist eine Frau, Peter ist ein Mann Julia und Peter entdecken ihre Lust Julia und Peter werden ein Paar Bestelladresse: [email protected] :: Ausgewählte Filme 1. Liebe und so Sachen... - ein Liebesfilm, der aufklärt und Spaß macht. Aufklärungsfilm mit pädagogischem Begleitheft, 2009, pro familia Landesverband Hessen e. V., Palmengartenstraße 14, 60325 Frankfurt am Main, [email protected] 2. Uneasy Rider – Behindert, Moslem, Homosexuell – sonst noch Probleme? Komödie von Jean-Pierre Sinapi, 2008 3. Behinderte Liebe. Filme von und über junge Behinderte zum Thema Liebe und Sexualität, 2008, Medienprojekt Wuppertal, Hofaue 59, 42103 Wuppertal, [email protected] :: Weblinks 1. Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte www.bagh.de 2. Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte www.bvkm.de 4. Bundesvereinigung Lebenshilfe www.lebenshilfe.de 5. Behindertenbeauftragter der Bundesregierung www.behindertenbeauftragter.de 6. www.familien-besonderer-kinder.de 7. INTAKT – Information und Kontakte für Eltern von Kindern mit Behinderung www.intakt.info 8. Freundeskreis für Menschen mit Handicap e. V. www.handicap-netzwerk.de 9. www.ohrenkuss.de 10. www.schatzkiste-partnervermittlung.eu 11. www.handycap-love.de PAOMI®-AufklärungskissenPAOMI®- Modelle (von Gebärmutter, Penis, Vulva, Vagina und Hymen) Doris & H. W. Kupfer GbR, Knetzbergstraße 18, 97422 Schweinfurt, Telefon (09721) 47 60 08 7, Telefax (09721) 47 59 99 6, [email protected], www.paomi.de 3. Bundesverband zur Förderung Lernbehinderter www.lernen-foerdern.de Anhang 95 Impressum Herausgeber Hessisches Sozialministerium Dostojewskistraße 4 65187 Wiesbaden Tel.: +49 (0) 611 817-0 Fax: +49 (0) 611 809399 www.sozialministerium.hessen.de Redaktion Liane Grewers, Sonja Andrä-Rudel, Susanne Andriessens (verantwortlich) Gestaltung ansicht kommunikationsagentur Haike Boller (verantwortlich), Nora Herz www.ansicht.com Produktion Herbert Ujma Druck Pitney Bowes, Rüsselsheim Hessisches Sozialministerium in Kooperation mit dem Hessischen Netzwerk behinderter Frauen Dokumentation der Fachtagung am 8. Oktober in Wiesbaden Verhinderung sexueller Gewalt in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung Kooperationsveranstaltung :: :: :: :: :: Hessisches Sozialministerium Dostojewskistr. 4 65187 Wiesbaden www.sozialministerium.hessen.de :: des Hessischen Sozialministeriums, des Hessischen Kultusministeriums, des Beauftragten der hessischen Landesregierung für Menschen mit Behinderungen, des Hessischen Netzwerks behinderter Frauen, der Landesarbeitsgemeinschaft Wohnen für behinderte Menschen e. V. und der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen LAG Werkstätten für behinderte Menschen