Die Begegnung zwischen Unternehmen und Jungakademiker in der Zukunft Autor: Peter Perutz* Will man Überlegungen über die Zukunft anstellen, ist es erforderlich, einen entsprechenden Zeitraum, also die zeitliche Dimension abzustecken. Letztere ist für jedes Unternehmen, für jedes Individuum eine andere und spezifische. So benötigt etwa eine Konditorei in Campusnähe keinen Plan über die Jahre bis 1980 hinaus. In diesem Fall wird eine Unternehmensplanung, also eine Zukunftsperspektive von zwei Jahren völlig ausreichend sein. Ein solches Unternehmen ist dynamisch genug, um sich rasch genug an jede Entwicklung anpassen zu können. Ändert sich beispielsweise der Geschmack der Kunden, kann dies zur Umgestaltung des Geschäftsraums führen; eine Veränderung, die innerhalb eines Jahres umgesetzt werden kann. Umgekehrt sollte ein Bergbauunternehmen zumindest über 20-Jahres-Pläne verfügen. Ein Bergwerk zu eröffnen oder zu schließen ist an sich schon eine Frage mehrerer Jahre, die Zeitperspektive ist daher hier weitaus größer als im vorhergehenden Fall. Das ist auch der Grund, weshalb die Uhrenhersteller, die heute auf dem Markt die Quarzuhr durchzusetzen versuchen, sich bereits vor 10-15 Jahren dazu entschlossen haben, die Forschungstätigkeit in diesem Bereich zu initiieren. Es ist schließlich allgemein bekannt, dass allein die Entwicklung einer solchen Uhr, die eine gewisse Zeit der Grundlagen- und angewandten Forschung voraussetzt, rund 10 Jahre dauert. Ebenso wie ein Unternehmen sich einer industriellen Aktivität zuwendet, widmet der Student sich seinem Studium, wobei auch er sich einen Plan über mehrere Jahre zurechtlegt. Wenngleich in den meisten Fällen ein derartiger Plan nicht vollständig und vielleicht nicht einmal bewusst ausgearbeitet wird, ist dem Studenten doch bewusst, dass er sich für mehr als vier Studienjahre bindet und dass auf diese Zeit eine Berufsausbildung folgen wird, im Zuge derer er seine theoretischen Kenntnisse anwenden und perfektionieren kann. Damit ein Plan in der Zukunft Chancen auf Erfolg hat, muss er auf realistischen Perspektiven beruhen. Es gibt verschiedene Überlegungen, die der Student anstellen kann, bevor er sich für ein Studium entscheidet. *Leiter der Studien für Planungspolitik und Strategie, Batelle-Forschungszentrum Genf bis 1984 Mein Beitrag im Rahmen des „Dies Academicus“ der „Università Commerciale Luigi Bocconi, Mailand“ Original italienisch erschienen in Top-management Nr.1-anno2, 1975 Deutsche Übersetzung aus dem Italienischen Weitere Texte von Peter Perutz: www.peterperutz.com - Die erste ist politischer Natur. Der Student rechnet mit einer gewissen politischen Stabilität, um seinem Studium ohne Unterbrechungen nachgehen zu können. Dies ist für ausländische Studenten oft der Grund, weshalb sie gerade die Schweiz als Studienort wählen. - Die zweite ist sozialer Natur. Der Student geht bei der Wahl einer Studienrichtung davon aus, dass der angestrebte Beruf (etwa Ingenieur) in den nächsten 10 Jahren in der Industrie weiterhin von entsprechender Bedeutung sein wird. - Die dritte ist technischer und wissenschaftlicher Natur. Der Student nimmt an, dass die erworbenen technischen und technologischen Kenntnisse dem in der gewählten Sparte geforderten Know-How entsprechen. - Die vierte ist wirtschaftlicher Natur. Der Student schätzt das Wachstum des von ihm in Betracht gezogenen Berufsfeldes ab und kommt zu dem Schluss, dass dieses ihm bei Abschluss des Studiums gewisse berufliche Möglichkeiten bietet. Auf diese Weise hat der Student – sei es bewusst oder unbewusst – noch vor seinem Studienantritt ein multidisziplinäres „Szenario“ für die eigene Zukunft entworfen. Ein Unternehmen muss das Gleiche tun und dies wenn möglich auf eine klarer strukturierte und explizitere Weise. Der multidisziplinäre Charakter eines solchen „Szenarios“ ist jedoch nicht ausreichend, es bedarf auch einer gewissen Internationalität. In Anbetracht des Austauschs zwischen den Ländern muss die geographische Dimension der vorausschauenden Überlegungen europäischer, wenn nicht sogar globaler Prägung sein. In der Tat sind Perspektiven, die über nationale Grenzen nicht hinausgehen, einfach nicht mehr realistisch. Ein multidisziplinäres und internationales „Szenario“ bietet einem Unternehmen eine Vielzahl von Möglichkeiten im Hinblick auf Entwicklung und Erfolg. Voraussetzung dafür ist das Bestehen von qualitativen wie auch quantitativen Zielen zur kontinuierlichen Steigerung der Verkaufszahlen, etwa die Sicherung der Marktführerschaft für die Produktqualität. In vielen Fällen beziehen sich diese Ziele stillschweigend und manchmal implizit auf ein Produkt. Allerdings verliert das Produkt als Bezugspunkt zunehmend an Gültigkeit. Seine Lebensdauer wird zusehends geringer, bis sie sogar kürzer ist, als der Zeitraum, den das Unternehmen benötigt, um rechtzeitig die notwendigen Umstellungen vorauszusehen und zu planen. Für die abnehmende Lebensdauer eines Produkts gibt es eine Vielzahl von Gründen: - dank des technischen und technologischen Fortschritts wird es immer leichter, einen „Ersatz“ für bestimmte Produkte zu entwickeln; - die wirtschaftliche Globalisierung führt zum Wettbewerb zwischen einigen Produkten, deren jeweilige Herstellungskosten stark voneinander abweichen; - der hohe Lebensstandard bringt die Konsumenten dazu, ohne viel Zögern neue Verbrauchergewohnheiten anzunehmen und sich in weiterer Folge neuen Produkten zuzuwenden. Das Produkt an sich muss also als Bezugspunkt für qualitative und quantitative Ziele mit etwas Stabilerem ersetzt werden. Die Funktion eines Produkts etwa stellt einen besseren Bezugspunkt dar, wie das folgende Beispiel aus der Automobilherstellung zeigt: Das Unternehmen VW hat über viele Jahre seine Ziele mit Fokus auf ein einziges Modell, den Käfer ausgerichtet. Der Umstand, dass die Verkaufszahlen dieses Modells zurückzugehen beginnen, wird für das Unternehmen zum Problem: Es muss, ohne seine Firmenpolitik zu verändern, ein anderes Erfolgsmodell finden, das künftig als Bezugspunkt dienen soll. Der Übergang von einem Modell zum nächsten ist heikel und nicht einfach. In Wahrheit bewegt sich VW auf eine Langzeitpolitik zu, die jener von anderen Automobilherstellern, darunter Ford als extremes Beispiel, nicht unähnlich ist. Ford ist sozusagen auf sämtliche Fahrzeuge auf vier Rädern spezialisiert. Diese Art der Spezialisierung, die an eine Funktion gebunden ist, hat es dem Unternehmen ermöglicht, jederzeit die Bedürfnisse einer Vielzahl von Kunden zu befriedigen, die sich durch Geschmack und finanzielle Mittel voneinander unterscheiden. Der Übergang von einem Modell zum nächsten wird also zum Routinevorgang. Fiat schließlich hat sich der Lösung der Verkehrsfrage als Ganzem zugewandt. Das Automobil ist hier nur ein Aspekt dieses Ganzen, und ein bestimmtes Auto ist nichts als ein einzelnes Produkt aus einem breitgefächerten Angebot, das einen spezifischen Beitrag zum Verkehr im Allgemeinen leistet. So betrachtet, arbeitet Fiat also an einer Vielzahl von neuen Verkehrsmitteln. Die Einführung dieser neuen Verkehrsmittel zieht natürlich andere, nicht unerhebliche Probleme mit sich. Es liegt dennoch auf der Hand, dass durch die Berücksichtigung qualitativer und quantitativer Ziele bei einem Problem sozialer, technischer und wirtschaftlicher Tragweite, wie dem Verkehr, ein Bezugspunkt geschaffen wird, der einen langlebigeren Wert hat als lediglich ein Produkt oder auch eine Funktion. Ein solcher eignet sich viel besser für eine langfristig ausgerichtete Firmenpolitik. Die Art an sich eines solchen Bezugspunktes gestattet auch eine größere Flexibilität auf Produktebene. Eine derartige Spezialisierung regt dazu an, gleichzeitig alle Lösungen der Verkehrsfrage zu berücksichtigen. Die Zukunft stellt sich derart komplex dar, dass Ziele, die einzig rund um eine Zahl oder einen Qualitätsanspruch formuliert werden, heute so banal erscheinen, dass sie jegliche Sinnhaftigkeit verlieren. Aus diesem Grund muss bei jeglicher Überlegung von anderen Begriffen ausgegangen werden: - der Zweck: der gesellschaftliche Beitrag, den das Unternehmen in technischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu leisten versucht; - die Funktion/en, die das Unternehmen bestimmen muss, um sein Spezialgebiet abzustecken; - die Produkte, die das Unternehmen den Kunden anbieten will, um die jeweiligen Funktionen zu erfüllen; - die Strategien – auf welche Weise die gesetzten Ziele erreicht werden sollen; - die interne Firmenpolitik – eine Gesamtheit von Regeln, die den ethischen, politischen und administrativen Charakter des eigenen Verhaltens bestimmen; - die Pläne – kurz-, mittel- und langfristige Perspektiven, um rechtzeitig Ressourcen für spezifische Aktionspläne bereitstellen zu können. In Bezug auf diese Entwicklung lassen sich vier charakteristische Phasen bestimmen: - Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zu einer tiefen Kluft zwischen der hohen Nachfrage einerseits und der sehr beschränkten Produktionskapazität andererseits. Die Notwendigkeit zu produzieren stand daher über allen anderen Aktivitäten des Unternehmens. Der Verkauf der verfügbaren Waren war praktisch kein Problem, ihr Vertrieb jedoch sehr wohl. Die Spezialisierung erfolgte daher im Wesentlichen in technischer und technologischer Hinsicht. - Als die größte Nachfrage gestillt war und die Produktionskapazität gesteigert wurde, machte sich langsam das Problem der Nachfrage bemerkbar. So kam die Figur des professionellen Verkäufers auf, dessen Aufgabe es war, Waren an den Mann zu bringen, deren Qualität und Preis zunehmend an Bedeutung gewannen. Diese Phase zeichnet sich also durch die Bemühungen der Unternehmen hinsichtlich Rationalisierung und Organisation aus. Die Spezialisierung ist nach wie vor technischer Natur, aber hinzu kommt die Notwendigkeit, spezifische Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen. Einige Unternehmen befinden sich auch heute noch in dieser Spezialisierungsphase. - Die Instrumente der Produktion, wie Maschinen, Organisation usw., sind so weit entwickelt, dass die Produktionskapazität die Grundnachfrage überholt hat. Es treten die ersten Marketingelemente auf. Dabei handelt es sich um Verkaufsstrategien, die so unterschiedlich wie vielzählig sind: Marktstudien, Werbung, Verkaufsangebote, Public Relations, Produktmanagement, After Sales-Service usw. Die Spezialisierung des Unternehmens verlagert sich hin zum Know-How auf Verkaufsebene, eingebettet in das Konzept Marketing. Die Mehrheit der heute erfolgreichen Unternehmen befindet sich in dieser Phase der Entwicklung der eigenen Spezialisierung. - Die darauf folgende Phase, die in der Zukunft stattfindet, wird sich durch Unternehmen auszeichnen, die sich einem sozialen Problem zuwenden, das zugleich soziologische, technische und wirtschaftliche Aspekte aufweist und für das es eine Lösung zu finden gilt, etwa der Verkehr oder die öffentliche Sicherheit. Es liegt auf der Hand, dass ein einzelnes Unternehmen nur teilweise zur Lösung eines bestimmten Problems beitragen kann – wie sehr, hängt von der Ausstattung des Unternehmens im Hinblick auf Material und KnowHow ab. Unter diesen Umständen wird die Spezialisierung eines Unternehmens also auf multidisziplinärer Ebene erfolgen und in Verbindung mit Aspekten der öffentlichen Ordnung stehen. In der Vergangenheit konnte man zwei miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen leicht auseinanderhalten, und das ist häufig auch heute noch so. Aber in der Zukunft wird es erforderlich sein, gewisse Punkte zusätzlich zu vertiefen und sich neuer Faktoren bewusst zu werden. Die Unternehmen werden gezwungen sein, miteinander zu konkurrieren und gleichzeitig zusammenzuarbeiten, wie aus den folgenden zwei Beispielen hervorgeht: - Ein großer Automobilhersteller lässt die Karosserien von einer darauf spezialisierten Firma produzieren, die ihrerseits einem wichtigen Konkurrenten des Unternehmens gehört. Im Automobilbereich besteht also ein Wettbewerb, im Bereich der Karosserie wird hingegen zusammengearbeitet. - Zwei große elektromechanische Unternehmen sind in allen Bereichen Konkurrenten, außer im Bereich der Atomreaktoren, wo sie zusammenarbeiten, um gemeinsam neue Lösungen zu erarbeiten. In der Zukunft wird es also erforderlich sein, die Namen der Unternehmen sowie ihren Spezialisierungsbereich zu präzisieren, um auszumachen, wo Wettbewerb besteht und wo Zusammenarbeit. Der Finanzierungsbedarf für Forschung und Entwicklung ebenso wie die Schaffung eines flächendeckenden internationalen Vertriebsnetzes führen zum Zusammenschluss von Unternehmen. Dieser Prozess wiederum führt zu Konglomeraten, die aufgrund ihrer übermäßigen Trägheit schwer zu verwalten sind. Letzteres ist auch eine Barriere für notwendige Veränderungen zur Anpassung des Unternehmens an die äußeren und sektorinternen Entwicklungen. In vielen Fällen hat sich die Einführung einer Organisationsstruktur in Ergänzung zur administrativen Struktur als notwendig erwiesen: eine „projektbezogene“ Organisation, in den meisten Fällen aus temporären Strukturen bestehend, die für einen bestimmten Zweck geschaffen werden. Das trifft auf die in den USA unter der administrativen Führung der NASA ins Leben gerufenen Projekte Mercury, Gemini und Apollo zu, deren Ziel die Landung des Menschen auf dem Mond war. Ein weiteres Beispiel ist das Einkaufszentrum Balexert in Genf, für dessen Errichtung unter der administrativen Leitung eines oder mehrerer Bau- und Ingenieurunternehmen eine ergänzende Organisationsstruktur geschaffen wurde. Ist der Zweck einmal erfüllt, wird die Organisationsstruktur aufgelöst, während die beteiligte(n) Gruppe(n) sich der Ausführung anderer Projekte zuwenden. Die Idee, eine Verwaltung durch die Einführung einer Reihe von Projekten flexibler zu gestalten, ist heute immer stärker verbreitet. Die jüngste Gattung dieser Projekte ist die „New Venture“: ein Unternehmen, das von Null weg geschaffen wird, um ein neues Produkt auf den Markt zu bringen. Sobald erste Erfolge verzeichnet werden, wird es in die permanente Organisation des Mutterunternehmens integriert. Somit wird dieses nicht durch die Unruhen beeinträchtigt, die mit der Vermarktung eines neuen Produkts einhergehen, und die „New Venture“ wird dann aufgelöst oder für die Vermarktung eines anderen Produkts eingesetzt. Das Konzept einer solchen Organisation, die in Ergänzung zur permanenten Firmenverwaltung ins Leben gerufen wird, also das Projekt, bietet Jungakademikern neue Chancen. Sie können sich von nun an in „New Venture“-Projekte großer multinationaler Unternehmen einbringen. Dies ermöglicht es ihnen, Teil einer relativ kleinen Organisation zu werden und gleichzeitig einen multidisziplinären Blick für das Ganze zu bewahren und von den Vorteilen eines multinationalen Umfelds zu profitieren. Letzteres beinhaltet eine Reihe praktischer Regeln, die dem Jungakademiker – sofern er sich Langzeitziele stecken möchte – die Orientierung von Beginn seines Berufslebens an erleichtern sollen. Die multidisziplinäre und internationale Zukunft stellt ein Aktionsfeld dar, das voller Herausforderungen und Versprechungen ist: für das Unternehmen selbst und folglich für den Jungakademiker, der sich dafür interessiert und der dort seine eigene Zukunftsvision umsetzen muss, wenn er Erfolg haben will. Dieser Ansatz ist gewiss vielversprechend und er verhindert, dass das Individuum sich von den Entwicklungen und von seiner Umgebung mitschleifen lässt, ganz im Gegenteil: Es kommt in Bewegung und das stellt sicher, dass seine Orientierung nicht mehr allein vom Zufall abhängig ist. Selbstverständlich verfolgen die Organisationen, von denen der Jungakademiker abhängen wird, ihre eigenen Ziele, gleichgültig ob sie etwa im Industrie- oder Dienstleistungsbereich, auf nationaler oder kommunaler Ebene tätig sind. Diese Ziele entsprechen nicht notwendigerweise denen der einzelnen Mitglieder der Organisation. Es ist daher wesentlich, dass der Jungakademiker versucht, eine Organisation zu finden, deren Struktur und Regeln in jedem Punkt mit seiner Persönlichkeit vereinbar, im Idealfall sogar deckungsgleich sind. Gewiss stellt dies einen besonderen Aufwand bei der Suche nach einem Arbeitgeber dar, weil viele Hürden überwunden werden müssen, bevor man eine Organisation findet, mit der man ohne weiteres eine Zusammenarbeit eingehen möchte. Die Schwierigkeit besteht darin, zu erkennen, dass die Arbeitssuche selbst schon eine Arbeit für sich ist. Auf diesem steinigen, aber vielversprechenden Weg bieten sich sehr wohl zahlreiche Möglichkeiten, aber ebenso zahlreich sind die Versuchungen jeglicher Art, die einen vom Weg abzubringen drohen. Doch ein Leben ist lang, und mit der Zeit gewinnt die persönliche Integrität an Bedeutung. Und so sind die elementarsten Regeln der gegenseitigen Unterstützung und der Hilfsbereitschaft gegenüber unserem Nächsten, selbst in der hochtechnisierten Welt von heute und noch mehr der von morgen, immer noch die Grundlage jeglicher Handlung, besonders in einem komplexen und manchmal unüberschaubaren Kontext. Der Jungakademiker wird gezwungen sein, für seine Ziele eine eigene Skala zu erarbeiten. Nur auf ein hohes Gehalt abzuzielen, wird sich als zu oberflächlich und im Endeffekt als zu wenig realistisch erweisen, ganz wie im Falle eines Unternehmens, das als einziges Ziel die Erreichung eines bestimmten Umsatzes hat. Die Zukunft mit ihren politischen, soziologischen, technischen und wirtschaftlichen Aspekten muss sowohl vom Unternehmen als auch vom Individuum aus einer zugleich politischen, sozialen und wirtschaftlichen Perspektive angegangen werden. Auf der Schwelle zur Berufstätigkeit und bereits während des Studiums wird der Jungakademiker mit zahlreichen Fragen konfrontiert, wie etwa: „Für wen möchte ich einen Beitrag leisten?“, „Mit wem gemeinsam möchte ich diesen Beitrag leisten?“, „Wo möchte ich einen Beitrag leisten?“, „Wie groß sollte mein Beitrag sein?“ Die Zieleskala wird sich mit der Zeit weiterentwickeln und voraussichtlich einigen Änderungen unterworfen sein. Das ist völlig normal. Um das zu erreichen, ist es erforderlich, das Berufsleben in Phasen von zwei, drei, oder auch fünf Jahren wahrzunehmen. Dadurch kann immer wieder der Ist-Zustand erhoben werden und es ist möglich, andere Aufgaben ins Auge zu fassen, die der eigenen Optik besser entsprechen, die wiederum mit der Zeit immer strukturierter und schärfer wird. Dies wird im Allgemeinen natürlich immer mehr Menschen dazu bringen, sich anderen Berufen zuzuwenden, als denen, für die sie ursprünglich ausgebildet worden sind. Die Möglichkeit sowie die Notwendigkeit, neue Funktionen zu erfüllen, setzt die Bereitschaft zur ständigen Weiterbildung voraus. Häufig überlässt der Arbeitnehmer die Aufgabe der Gestaltung einer Umschulung dem Arbeitgeber. Eine aktive Haltung erleichtert dem Betreffenden jedoch nicht nur seine Akzeptanz, sondern sie erfordert darüber hinaus, dass er seine ständige Weiterbildung im Einklang mit der eigenen Zieleskala gestaltet. Das bedeutet in praktischer Hinsicht, dass man einen Teil seiner Freizeit und seines Gehalts für diesen Zweck aufbringen muss. Derartige Bemühungen werden, spezifisch geplant, eine besonders wirksame Investition darstellen, da sich das Berufsleben immer mehr durch die wachsende Anzahl an Funktionen auszeichnen wird, die ein Spezialist gleichzeitig übernehmen muss. So kann etwa ein Ingenieur durch die Teilnahme an einem multidisziplinären Projekt in einer Verwaltungseinheit arbeiten und zugleich sein Unternehmen in einem Berufsverband vertreten. Mit der Ausübung verschiedener Funktionen in einem international geprägten Arbeitsumfeld geht auch die geografische Mobilität einher. Es können dabei zwei Arten der Mobilität unterschieden werden: - Reisen von einem Punkt aus; zum Beispiel in Genf zu wohnen und zeitlich begrenzte Reisen zu unternehmen; - Aufenthalte von einigen Monaten oder Jahren an verschiedenen Orten; zum Beispiel zwei Jahre in Kapstadt und anschließend drei Jahre in Warschau zu leben. Dann gibt es noch Kombinationen dieser beiden Formen, also der längeren Aufenthalte und der zeitlich begrenzten Reisen vom eigentlichen Aufenthaltsort aus. Dafür steht etwa das Beispiel eines Genfers, der für ein multinationales Unternehmen arbeitet, das ihn zu einer Zweigstelle nach Chicago schickt, wo er den Kundendienst für das Gebiet des Mittleren Westen der Vereinigten Staaten sicherstellen soll. Man kann also das Leben des Spezialisten immer mehr mit dem des Diplomaten vergleichen, mit allen Vor- und Nachteilen, die damit einhergehen. In diesem internationalen Umfeld sind Fremdsprachenkenntnisse erforderlich. Und bei dieser Art der Berufstätigkeit ist es wichtiger, mehrere Sprachen zu beherrschen, als eine einzige perfekt zu können. So positiv die eigene Wahrnehmung eines multidisziplinären und internationalen „Szenarios“ unter Einbeziehung multinationaler Unternehmen sein mag, die die Zukunft ausmachen werden – dies kann in keiner Weise die ersten Erfahrungen ersetzen, die der Jungakademiker im Zuge der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Berufsleben macht. Ein möglicher erster Schritt in diese Richtung ist die Nutzung der vorlesungsfreien Zeit, um mittels sorgfältig, anhand einer persönlichen Zieleskala ausgewählter Praktika erste Erfahrungen zu machen. Auch später wird der Jungakademiker weiterhin praktische Erfahrung sammeln, die unabdinglich ist, um im Leben den Sinn für die Realität zu bewahren. Im Falle eines Ingenieurs kann dies etwa die Mitarbeit im Labor einer Fabrik oder in einer Kundendienstabteilung während der ersten Jahre seines Berufslebens bedeuten. Dies entspricht ganz dem Zeitraum, den ein junger Arzt als Assistent in verschiedenen Universitätskliniken tätig ist, oder der Ausbildungsphase eines künftigen Anwalts in einer Anwaltskanzlei oder bei Gericht. Nach diesem Zeitraum der Auseinandersetzung mit den zahlreichen nicht perfekten Situationen des realen Lebens und der Erkenntnis, das trotz allem die Menschheit lebt und Fortschritte macht, ist der Jungakademiker bereit für die praktische Zusammenarbeit mit dem Unternehmen und dadurch mit der Gesellschaft im Allgemeinen. Es liegt jedoch an ihm, und es ist Teil seiner Verantwortung, die notwendigen, sicherlich nicht zu vernachlässigenden Anstrengungen zu unternehmen, um sich für eine Organisation zu entscheiden, deren Ziele und Regeln seiner Persönlichkeit entsprechen, und in der er sich wirklich zur Zusammenarbeit und zur Beteiligung an der Verfolgung der Ziele der Gesellschaft als Ganzes motiviert fühlt. Raum für persönliche Anmerkungen: