Freiheit ist unsere Gottheit

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Freiheit ist unsere Gottheit
Von WALTER E. E f i R H A R Ö T (Hannöver)
„Freiheit
ist unser Höchstes,
unsere
Gottheit,
diese- wollep
wir als letzte
Ursache
aller
Dinge."
Diese Sätze stehen nicht etwa in dem Begleitschreiben, mit dem im November 1793
Gobel, der Erzbischof von Paris, selbst Ring und,Kreuz, die Zeichen seiner kirchlichen
Würde, dem Konvent mit der Begründung übergab, daß es nunmehr keinen andern
Kultus als den der Freiheit gäbe. Der Satz „Freiheit ist unser Höchstes, unsere Gottheit" wurde vielmehr Schellings Vorlesungen über Philosophie der Offenbarung entnommen. 1 Er wurde also" gesprochen, als Heinrich Heine bereits anfing, Schelling so
folgenreich als ein zu München in den Glaubensstall zurückgeschlichenes Mönchlein
zu diffamieren. „Freiheit ist unsere Gottheit" ist auch keineswegs nur eine gelegenheitliche Formulierung Schellings. Vielmehr hat er sie wiederholt benutzt, normativ
verwandt und noch dazu mit der rhetorischen Anspielung auf Anseimus versehen, daß
dieser „Gedanke erst alle Gefäße unseres Denkens und Erkenneris so ausdehnt, daß wir
fühlen, wir sind nun bei dem Höchsten, wir haben dasjenige erreicht, worüber nichts
Höheres gedacht werden kann". (Ebd.) 2 - Freiheit ist unsere Gottheit?
Im Umfeld der Hébertisten kam es im Herbst 1793 kl Paris zu -Versuchen,, einen
Kultus der Freiheit zu inszenieren. In weißem Gewand mit hellblauem Überwurf wurde
die schöne Frau des Buchdruckers Momoro als Göttin der Freiheit dekoriert. Auch der
Konvent erschien zu dem Fest.
Nur wenig später denunzierte Robespierre die Atheisten als Aristokraten, weil ein
höchstes Wesen zu den Überzeugungen des Volkes gehöre. Ein Beschluß des Konvents, den Danton am 6. Dezember herbeiführte, rettete wenigstens die Freiheit der
Pluralität der religiösen Vorstellungen. Die Versuche, einen Freiheitskult zu etablieren,
jedoch brachen ab, fast ohne Ausnahme. 3 Das Verhältnis der Revolution zur Religion
blieb unbestimmt oder wurde doch nur soweit geklärt, wie es sich mit dem Abschlagen
von Köpfen klären läßt. Daß Blut fließt bei der Ankunft eines neuen Gottes, ist vielfach bezeugt. /Wie Euripides in den Bacchien berichtet, berauschte die Ankunft des
Dionysos in Theben sogar die Mutter, den eigenen Sohn zu enthaupten. Wenn der
Satz „Freiheit ist unsere Gottheit" eines solchen Zeugnisses bedarf, so kann wohl gesagt werden, daß im Namen dieser Gottheit schon mehr Blut geflossen ist als je bei
der Ankunft eines anderen Gottes und noch immer fließt. Mit Bezug auf diesen Horizont möchte ich zeigen, daß Schellings Interpretation der Freiheit als Gottheit eine
Perspektive für das seit der Revolution virulente Verhältnis von Religion und Staat
eröffnet, die bisher unbeachtet blieb, aber in unserer Zeit mit aktuellem Grund in ein
Forschungsprogramm umgesetzt werden sollte und könnte.
Schelling war von Jugend an viel zu sehr Philosoph, als daß ihn an Revolutionen
etwas anderes hätte faszinieren können, als eine Veränderung, die die höchste Ursache
1
2
3
F. W. J. Schelling : Sämtliche Werke. Stuttgart/Augsburg 1856 ff. Bd.- XIII. S. 256 (Im
folgenden Text wird mit römischen und arabischen Ziffern auf Band und Seite dieser
Ausgabe verwiesen.)
Auch 1830, in der Vorlesung „Einleitung in die Philosophie", benutzte Schelling diese
Worte. Vgl. : Schellingiana. Bd. 1. Hrsg. v. W. E. Ehrhardt. Stuttgart 1989. S. 106 f.
Zahlreich sind jedoch die graphischen Dokumente, die das Symbol der Dreieinigkeit
mit dem Namen Liberté schmücken.
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aller Dinge betrifft. Die Veränderung der höchsten Ursache aller Dinge ist aber nur
die Ankunft eines neuen Gottes: Freiheit ist unsere Gottheit, wurde zu sagen möglich
in den Tagen der Revolution.
Vor einer Interpretation der These „Freiheit ist unsere Gottheit" ist aber zunächst der
Verdacht auszuklammern, es werde in dieser Formulierung nur in der Weise der Metapher die Freiheit Gottheit genannt. Auch Schellings Zeit hört doch das Wort Freiheit
schon primär in dem Bereich der politischen Praxis und nicht in dem der Religion.
Aber Völker und Staaten gibt es nach Schelling erst mit deren Mythologien. (Vgl. XI,
S. 92, 131) Die Gottheiten tragen somit 'das eigentliche Interesse an der Geschichte.
Völker erscheinen als Repräsentanten des theogonischen Prozesses. (XIII, S. 381) Sachlich ist deswegen kaum zu verstehen, wieso Schellings Untersuchungen über Mythologie und Offenbarung in das Gebiet der Religion gerückt blieben, während ein selbständiges Interesse an seinen politischen Thesen erwuchs, wobei oftmals sogar übersehen wurde, daß Schelling in dem Christentum eine antifeudalistische Macht sah. 4
Vieles rührt von dem unglücklichen Umstand her, daß Schellings auf den Staat gerichtete Überlegungen nicht die ihrer Entstehungszeit entsprechende Stellung hinter
der Philosophie der Offenbarung fanden. Die jetzige Reihenfolge der Edition erlaubt
nicht, der zeitlichen Kontinuität der Entstehung des Gedankens zu folgen, was beim
Studium Schellings doch nie unwichtig sein kann. Daran hat auch die von M a n f r e d
Schröter vorgenommene Umgliederung nichts geändert. Es war daher durch die Edition ganz naheliegend, daß Schellings auf den politischen Bereich bezogene Bemerkungen bisher isoliert im Kontext des Zeitgeschehens kritisiert wurden und nicht in
die Kontinuität der Evolution der Religionswelt gestellt wurden, deren Kritik manchem schon, wie Marx, voreilig als beendet erschien und dadurch in vielen Ländern
die Herrschaft des Proletariats volksfremd werden ließ. Die Möglichkeit, die Evolution von Mythologie und Offenbarung bis zur Gottheit „Freiheit" weiterzuführen,
wurde offenbar bisher noch nicht erkannt.
Nicht nur sachliche Gründe jedoch, sondern auch die Paginierung des letzten Blattes
von Schellings kontinuierlicher Arbeit, das ich jüngst im Berliner Nachlaß fand, 5
haben meine Zweifel an der Richtigkeit der Einordnung von Schellings Äußerungen
über den Staat in die „Einleitung in die Philosophie der Mythologie" erheblich verstärkt. Deshalb scheint es mir doppelt gerechtfertigt, experimentell einmal zu versuchen, Schellings Rede von Freiheit als Gottheit zu einem anderen Ende zu führen als
dem der Prophezeihung einer Johanneischen Kirche, die doch nur der Schluß einer
Philosophie der Offenbarung sein kann, nicht aber „die philosophische Religion, wie
sie von uns gefordert ist . . . " (XI, S. 255) und, so Schelling, „nicht existiert" (ebd.).
Ich werde daher den Ausspruch „Freiheit ist unser Höchstes, unsere Gottheit" im folgenden nicht als Metapher, sonderii wörtlich nehmen und muß f ü r eine methodische
Gewaltsamkeit um Verständnis bitten: Da ich die Gottheit „Freiheit" in den Kontext
der Religionen rücken will, werde ich mich nicht scheuen, experimentell die Vergleiche in bildlich anschaulicher Kürze möglichst in der Nähe der Mythologie zu belassen, und verzichte deswegen weitgehend auf die Begrifflichkeit der "Potenzenlehre.
*
Schelling hat die seine Zeit beherrschende Religion selbst eine Religion der Freiheit
genannt. Schon diese berechtigt, den Versuch zu'wagen, Freiheit nicht anders zu behandeln als andere Götter: „Freiheit ist unsere Gottheit"."Schellings Methode verlangt,
überafl die Wirklichkeit der Freiheit, zur Darstellung zu bringen. 6 Schon der geniale
4
5
6
Vgl. X. Tilliette : Schelling im Spiegel seiner Zeitgenossen. Bd. III. Milano 1989. S. 68
Vgl. hierzu : W. E. Ehrhardt : Schelling Leonbergensis und Maximilian II. von Bayern Lehrstunden der Philosophie. In : Schellingiana. Bd. 2. S. 135. Anm. 87
Vgl. hierzu W. E. Ehrhardt: Die Wirklichkeit der Freiheit. In: Grundprobleme der "großen
Philosophen - Philosophie der Neuzeit II. Hrsg. v. J. Speck. Göttingen 1988 (3. Aufl.)
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Schritt seiner Naturphilosophie, in der Natur Autonomie nachzuweisen, Natur überall
nur durch Natur bestimmt-sein zu lassen, ist sicher mitmotmert durch die von D. Losurdo betonten zeitgenössischen Versuche, das Hervortreten der Freiheit in der Französischen Revolution unter dem Bilde bloßer Naturgewalt, wie Vulkanausbruch oder
Sturmflut, aus der geistigen Auseinandersetzung zu verbannen. Wenn die Revolution
der Freiheit in den Bereich der Natur abgeschoben wurde, welcher Schritt konnte
wichtiger und überzeugender sein als der, zu zeigen, daß auch die Natur selbst die
Wirklichkeit der Freiheit darstellt? Genau dieser Schritt wird analog von Schelling
auch in dem Gebiet der Religion getan (vgl. XII, S. 671), die, rationalistisch in das
bloß Historische abgeschoben, immer wieder als Quell der Herrschaftsansprüche benutzt werden kann, solange nicht gezeitigt ist, daß auch sie nur die Wirklichkeit der
Freiheit darstellt.
In Schellings Methode kommt es überhaupt nicht in Betracht, Religion in die Abhängigkeit von logischen, psychologischen, gesellschaftlichen oder sonstigen Bezügen
zu stellen: Religion soll überall nur durch Religion bestimmt sein und übt auf das
Denken so nur eine Autorität aus, wie jeder-Gegenstand, der denkend betrachtet werden soll. (Vgl. XIII, S. 139) Das Erfassen z. B. der Autonomie des Gegensatzes von
Mythologie und Offenbarung ist in dieser Methode geradezu die Gewähr, daß ein
Student der Theologie sich gegenüber seiner Wissenschaft als ein Freier fühlen kann,
und nicht, wie Schelling sagte, durch sein Studium „an seiner eigenen Vernichtung"
arbeitet. (Vgl. V, S. 2 1 3 ; I, S. 339) Aber nicht nur der große Gegensatz der symbolischen und allegorischen Religionsform, der antiken und der christlichen Welt, soll als
ein autonomer begriffen werden, sondern für alle Stufen der Evolution der Mythologie
und Offenbarung weist Schelling nach, daß ein Gott nur durch einen Gott begrenzt
wird. Das Material der Mythographen und auch die Quellenkenntnis der Offenbarung
ist seit Schellings Arbeiten erheblich angewachsen. Eine kritische Edition der Philosophie der Mythologie und der Philosophie der Offenbarung wird nicht weniger historische Quellenkommentare benötigen als die Édition der Naturphilosophie. Für meine
hier vertretene These ist es aber ganz irrelevant, zu fragen, inwieweit es Schelling im
einzelnen gelungen ist, zu zeigen, daß Götter nur durch Götter bestimmt werden und
gar welche durch welche. Für meine hier vertretene These genügt es, daß Schellings
Methode die Aufgabe stellt, Gottheiten ausschließlich durch ihr Verhältnis zueinander
zu charakterisieren. Mein Ziel ist hier nur, die Möglichkeit
zu zeigen, die von Schelling konstruierte Evolution von Mythologie und Offenbarung auf neue Gottheiten zu
•erweitern.
Die Mythologie bietet, da Götter als Götter autonom sein müssen, für den Übergang
von einem zum anderen einzig das Verhältnis der Zeugung an. (Vgl. XIII, S. 3 1 2 ; V,
S. 405) Dionysos, der z. B. verschiedenen Stufen Grenzen setzt, wird daher gleich
dreimal gezeugt, Christus natürlich nur einmal. Sogleich erhebt sich für uns die Frage
nach Herkunft der Freiheit. Die Antwort ist einfach, denn das Ereignis ist noch nahe
genug : so nahe, daß wir uns scheuen, in mythologiegemäßer Bildlichkeit davon zu reden : Die Freiheit, die Gottheit genannt wird, ist im Kaschubenland 7 geboren, Königsberg, dort stand ihre Wiege. Und wenn die verkürzende Bildlichkeit doch einer Rechtfertigung bedarf, so weise1 ich darauf hin, daß auch Schelling nicht abstand, die Wanne,
in der Dionysos lag, mit der Krippe in Bethlehem zu vergleichen. (Vgl. XIII, S. 518)
I m Schöße der praktischen Vernunft oder genauer: als reine Vernunft selbst ein Sollen setzte, ist die Gottheit Freiheit erzeugt worden; denn das Bewußtsein-der Freiheit,
Kant wörtlich: „. . . ist uns nicht vorher gegeben" (Kpr. V., S. 56) 8 .
7
8
Die im deutschsprachigen Raum wohl unvermeidliche Assoziation zu Werner Bergengruens Gedicht „Kaschubisches Wedhnachtslied" bietet Gelegenheit, die Distanz des mit
Kant beginnenden von allen bürgerlichen Freiheitsvorstellungen zu betonen. Eine Philosophie, die Freiheit als Höchstes will, kann nicht von beschrankenden Definitionen der
Freiheit ausgehen, z. B. republikanischen.
Ob das Tatsachliche der Pflicht oder die sifch als ursprünglich gesetzgebend ankündigende Vernunft die Geburt einleitete, mag bezogen auf Kant offenbleiben. Über die
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Keine Schwierigkeit sehe ich, historisch zu belegen, daß auch die zeugende Vernunft selbst schon Gottheit genannt wurde. Sie wurde Eils Gottheit gezeugt, als der
Gott der Gnade sich auf das Gebet einließ, so zu sein, wie wir ihn denken: das, über
dem Größeres nicht gedacht werden kann, was er freilich, ohne ins Hypothetische zu
geraten, in einer Religion tun konnte, in der er bereits mit dem Pfingstwunder als Heiliger Geist in das subjektive Bewußtsein der Gemeinde getreten war. Daß ein neuer
Gott sich zur Herrschaft erhoben hatte im ego cogito, der substantia causa sui oder in
dem, was notwendig existiert, wenn seine Existenz möglich ist, — ein neuer Gott, der
nicht mehr, dem Willen des Gottes Abrahams, Isaaks usw. untersteht, das wurde j a
spätestens von Pascal geahnt (vgl. Memorial v. 23./24. Nov. 1654). Als die „großmächtigen" Prinzipe der Vernunft eine höhere Ewigkeit beanspruchten als der Wille Gottes,
war es unvermeidlich, daß reine Vernunft den existierenden Gott der Gnade in den
Tartaros der Unbeweisbarkeit stieß und selbst alles Sein an sich zog. Völker und Staaten gibt es erst mit ihren Gottheiten, und so fehlte auch nicht der Versuch, ein Volk in
seinem Wesen mit der Gottheit Vernunft zu verknüpfen. Auch auf die von Herder aus
Jena berichtete Prognose Fichtes, daß die Herrschaft der Vernunft spätestens in 5 Jahren alle Kirchen überflüssig machen werde, kann verwiesen werden, wenn es gilt,
historisch zu belegen, daß Freiheit als Gottheit von einer anderen Gottheit gezeugt
wurde, die Vernunft heißt. (Vgl. XI, S. 266 f.)
Die Königsberger Geburt der Gottheit Freiheit gibt dieser aber ein besonderes Gepräge : M a g es sein, daß die Gottheit Vernunft sich als Seiendes zeigt, über dem Höheres nicht gedacht werden kann, mag es sein, daß ein aufklärerischer Streit möglich
ist, ob die Vernunft Gottheit oder ob Gott unmittelbar ist: die Gottheit Freiheit gerät
in solche Alternativen dank ihrer Herkunft prinzipiell nicht. Ob Freiheit oder Vernunft
das höchste Seiende ist, kann niemals Streit sein, denn eine seiende Freiheit als göttliches Kind hätte die Gottheit Vernunft längst in Antinomien zermalmt und verschlungen wie Kronos seine Kinder. Allein die List der praktischen Vernunft rettete. Ihr
Interesse führt den Primat. Mythologiegemäß gesprochen, ist sie das Bewußtsein der
Vernunft und müßte in Schellingscher Begrifflicftkeit die relativ-weiblich gewordene
Gottheit (vgl. XIII, S. 411) genannt werden. Sie, die praktische Vernunft, schützt die
Freiheit,-entzieht sie der Alternative von Sein und Nichtsein.
Die Freiheit, in Königsberg geboren, ist ein deontisches Prinzip. Sie ist nicht, sondern
sie soll sein. Wenn überhaupt reine Vernunft sich a u f ein Sollen einläßt. Normen setzt,
wird als Seinsollendes Freiheit gezeugt. 9 Freiheit wollen wir als letzte Ursache aller
Dinge. Als die gewollte Gottheit ist Freiheit von Anfang an nicht eine Seiende, wie
alle von Uranos bis zur Vernunft es waren.
Das Experiment, die Rede von Freiheit als Gottheit nicht metaphorisch, isondern
wörtlich zu nehmen, und die Religion der Freiheit in den Kontext der Religionen'zu
stellen, kann aber über die Geburt der Freiheit hinausgeführt werden, denn Freiheit
als Gottheit zu wollen, dehnt die Gefäße unseres Denkens so aus (s. o.), daß sie die
ganze Evolution von Mythologie und Offenbarung umfassen, wie sie Schelling beschreibt. Freiheit ist das eigentlich gewollte in allen Stufen des Prozesses. Kurz 1 0 skizziert: als Gottheit von Gottheit gezeugt, reicht eine Gottheit in den Anfang, wie spät
9
10
Akzentuierung in der mit Fichte einsetzenden Tradition, die Schelling als Revolution
(vgl. I, 400) empfand, besteht indes kein Zweifel. Wie sehr das Ereignis der Freiheit von
Königsberg und Paris identifiziert werden konnte, hat J. Manninen sehr überzeugend
an der Rezeption in Schweden dokumentiert. (Siehe J. B. Hojier: J. G. Fichte. Oulu 1989)
Daher „liegt in dem Idealismus selbst etwas Weltveränderndes" (XI, S. 466), - ein Sachverhalt, den Schelling der Logik und allen negativen oder regressiven Ansätzen abspricht (vgl. X, S. 153 und XIII, S. 26). Zu dem Postulativen des Prinzips ist auch an I,
S. 448 f. zu erinnern.
Ausführliche Skizzen gibt X. Tilliette: A mythologie comprise. Napoli 1984; vgl. auch:
Schellingiana. Bd. 2. S. 34 ff. (1. c. Anm. 4) : ein von Schelling selbst revidiertes Resümee
seiner Philosophie.
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sie auch erscheint. (Vgl. ζ. Β. XIII, S. 383) 1 1 Nicht anders die Freiheit. Schellings gewaltiger Versuch, die ungeheure Masse an Dokumenten der, religiösen Entwicklung der
Menschheit nicht als einen zusammenhanglosen Haufen zufälliger Abhängigkeiten liegen zu lassen, sondern als einen ebenso autonomen und in allen seinetììTeilen notwendigen Zusammenhang zu beschreiben, als es die Natur ist - dieser gewaltige Versuch
erweist Freiheit als Anfang -und Ende. Was wir wollen vor allem Seienden ist Freiheit,
Seinkönnen, das des Seins Mächtige. Dieses ist aber als Seiendes nicht zu wollen, weil
Freiheit eben vor allem Seienden gewollt sein soll. Nicht was ist, sondern was sein soll,
wird gewollt. Freiheit kann nur umschreibend Reinseiendes genannt werden, wenn sie
als höchste Ursache ciller Dinge gewollt sein soll. Aber auch' davon, daß sie Freiheit
bleiben muß, soll Freiheit frei sein. (Vgl. XIII, S. 305) Sie ist seinsollende Gottheit,
— das, was sie sein will. Als Freiheit zu sein, als Seinsollendes zu sein, bedarf es der
Tat, 1 2 der Schöpfung, die auf den Menschen angelegt ist, auf das Bewußtsein,1 das
Freiheit, Seinsollendes, als Höchstes will und somit gottsetzendes Bewußtsein genannt
werden kann. (Vgl. XII, S. 118) Der Mensch, der eine.Mensch,, der in uns allen fortlebt (vgl. XIII, S. 352), reicht somit in den Anfang der Schöpfung der Gottheit Freiheit; denn „der Mensch ist nur in dem Maße Mensch, als er eines über seine Einzelheit
hinausgehenden, allgemeinen Bewußtseins fähig ist". (XI, S. 114)
Diese Stellung des Menschen, der, Freiheit als Höchstes zu wollen, göttlich umhegt
war (vgl. XIII, S. 348), birgt aber die Möglichkeit der Katastrophe, eben der Tat des
Menschen, die anderes als Höchstes setzt. Mit dieser Katastrophe, dem Sündenfall, den
Schelling in der Mythologie nicht weniger belegen kann als in der Offenbarung, beginnt der Theogonie erzeugende Prozeß. Während im mythologischen Prozeß Seiendes
als Höchstes genommen wird, ringt die Offenbarung damit, den seienden Willen des
Gottes als Höchstes zu nehmen. Von der Stufe des Zabismus, die ulibestimmtes Seiendes verehrt, befreit Dionysos, den Schelling, durch Herodot gestützt (vgl. XIII, S. 391),
gleich am Anfang als befreiendes Prinzip in-der Mythologie erkennt. Die erste Befreiung vom unbestimmt-realen Gott ist die Verehrung bestimmter Sterne; dann die
der zerreißbaren Gottheiten, der ägyptische Typhon z. B., oder die der sich wandelnden
Gottheiten wie der phönizische Melkarth oder Herakles. Im Polytheismus der griechischen Mythologie triumphiert der befreiende Gott, der in den Mysterien sogar von
diesem Polytheismus durch einen Ausblick auf einen zukünftigen Dionysos befreit, der
freilich geheim bleiben mußte : „Nirgends", schreibt Schelling, „war weniger religiöser
Zwang als in Griechenland. Frei äußerte sich der Grieche über die Verhältnisse, über
die Eigenschaften, besonders die moralischeil seiner Götter; niemand ist zu den Mysterien genötigt . . . und nichts wehrt selbst dem den Mysterien Abgeneigten diese Abneigung zu äußern und, wenn nur das eigentliche Geheimnis nicht entweiht wird, über
die bekannten Einzelheiten derselben sogar zu spotten. Nur im Angesicht der noch
waltenden und gegenwärtigen Götter durfte^die zukünftige absolut beireiende Religion
nicht ausgesprochen, nicht gegenüber vom öffentlichen Leben berührt oder geltend gemacht werden; denn dieser und mit ihm die ganze Existenz des Staates beruhte auf
der für die Gegenwart unantastbaren Realität der angenommenen Götter. Aus diesem
Grunde wurde die Veröffentlichung des Mysteñengeheimnisses· als ein Angriff auf
den Staat selbst angesehen." (XIII, S. 512) Freiheit ist unsere Gottheit. - Niemand unter
Schellings Hörern konnte denken, daß die öffentliche Rede von der Ankunft dieses
Gottes nicht auch von dem Staat als Angriff empfunden werde, dessen Thron der Gott
der Gnade stützte.
11
12
Die wichtige Frage nach der zeitlichen Reihenfolge oder Trennbarkeit von Vernunft
und Freiheit beantwortet sich hier schon dadurch, daß für den theogonischen Prozeß
überalj die Aufgabe besteht, die Ewigkeit der Gottheiten mit ihrer Reihenfolge zusammenzudenken. Auch für die Offenbarung betont Schelling das Hinaufreichen des
Sohnes in den Anfang (vgl. XIV, S. 48).
„ . . . der Gott einer wahrhaft geschichtlichen und positiven Philosophie bewegt -sich
nicht, er handelt." (XIII, S. 125)
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Aber der mythologische Prozeß war nur das Wiedergewinnen der Freiheit als Höchstem, soweit dieses von Seiten des menschlichen Bewußtseins in der Verehrung real
seiender Gottheiten möglich ist. (Vgl. XIII, S. 378) Die wahre Möglichkeit eröffnet sich
daher erst mit einer neuen göttlichen Tat in der Geschichte der Offenbarung. Diese
Tat findet als wesentliches Ereignis in einer zufälligen Welt statt, die nicht weniger
unter die Äußerlichkeit des seienden Gesetzes sich gebeugt fühlt als das Heidentum
unter die reale Macht seiner Götter. (Vgl. XIV, S. 89) Mit der Erscheinung Christi
enden Heiden- und Judentum. Christus ist als vollkommener Mensch das, was in der
Schöpfung sein sollte. Der selbst sein Leben zu verlieren und es wieder zu nehmen
Macht habende, will den Willen des Vaters, will eben die Gottheit als Freiheit und
erlöst so von der in Mythologie und Judentum nachgewiesenen Katastrophe, anderem
als Gottheit zu verfallen. „Das Evangelium . . . ist das vollkommene Gesetz der Freiheit . . . In Christo starb die ganze kosmische Religion." (XIV, S. 239) Das Christentum
nennt Schelling eine Sache. (Vgl. X, S. 197) Eine Sache bleibt, wie immer die Lehre sich
wandelt. (Vgl. XII, S. 648) Mit dem Christentum, der Sache, die Christus zum Inhalt
hat, ist dem Menschen wieder die Freiheit erworben, die Möglichkeit eines unmittelbaren Bezugs zu der Gottheit, die sein soll (vgl. XIV, S. 205) ; aber eben nur àie'Möglichkeit, die in die Welt tritt und in den Stufen der Kirchengeschichte existiert, als deren Ziel Schelling angibt, die „Zeit, wo das Christentum Gegenstand allgemeiner Erkenntnis geworden, wo es . . . nicht als Staatsreligion . . . , sondern als Religion des
Menschengeschlechts (ist), das in ihm zugleich die höchste Wissenschaft besitzt" (XIV,
S. 328). „Anders", schreibt Schelling, „anders als so kann das Christentum nicht mehr
des Deutschen sein . . . Wir können es nur so oder gar nicht mehr als unser achten"
(ebd.). Das ist ein eindeutiger Ausblick auf gewollte wissenschaftliche Religioni die
nicht existiert, aber , sein soll. Trotzdem spricht Schelling am Ende der Philosophie der
Offenbarung konsequent nur von Johanneischer Kirche, eben weil die nachgeschichtliche Kirche nur als Zukunft in den Äon fällt, den die Philosophie der Offenbarung
zu begreifen hat. (Vgl. XIV, S. 298, 321)
Aber wie die Philosophie der Mythologie die Geburt des befreienden Gottes, des
dritten Dionysos, als Zukunft in den Mysterien nachweist, ist in der Philosophie der
Offenbarung der Gott zukünftig, der in einem Sollen gesetzt ist, das nur allgemeines
sein kann: „Freiheit ist unser Höchstes, unsere Gottheit, diese wollen wir als letzte
Ursache aller Dinge", also auch als Ursache der Mythologie und der Offenbarung.
(Vgl. XI, S. 260) Keine andere Gottheit kann gemeint sein, wenn Schelling am 30. Dez.
1849 an Maximilian II. von Bayern schreibt: „Nicht: die Republik - oder: die konstitutionelle Monarchie — sondern — Dein Reich komme ! ist das Gebet des Deutschen"13,
und vorzieht, statt „Tag für Tag das nie unterbrochene Geklapper der konstitutionellen
Maschine zu hören", „in die Einöden Nordamerikas - in der' Verzweiflung selbst in
die Steppen Rußlands (zu) fliehen" (ebd.).»Wenn Schelling die Religion seiner Epoche
schon eine Religion der Freiheit nennt, ist ihm das allein durch den wissenschaftlichallgemeingültigen Nachweis gestützt, daß die von ihm historisch nachgewiesene Evolution von Mythologie und Offenbarung, Freiheit, die seinsollende Gottheit, als Anfang
und Ende verbürgt. Die positive Philosophie, die das gewollte Höchste per posterius
erweist, umgreift insofern Mythologie und Offenbarung, will Freiheit als Anfang und
Ende.
Schillings Sohn hat es zu verantworten, daß noch immer viele 14 lesen, „das Christentum ist die freie Religion, die Religion des Geistes", wo Schelling den historischen
13
14
Schellingiana. Bd. 2. S. 86 (1. c. Anm. 4) ; vgl. a. XI, 260
So ist z. B. die Formulierung „Diese Philosophie wollte religiöse, wollte christliche Philosophie sein" in unserer Zeit eher geeignet, Vorurteile zu erzeugen oder zu erhalten, als
den Zugang zu Schellings Philosophie zu eröffnen (vgl. H. Fuhrmans : Einleitung. S. 49.
In : F. W. J. Schelling : Grundlegung der positiven Philosophie. Hrsg. v. H. Fuhrmans.
Torino 1972). Vgl. XIII, S. XI u. XI, S. 258
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Prozeß betonend schrieb, „aber auch nur vermittelt ist durch das Christentum die freie
Religion, nicht unmittelbar durch dasselbe gesetzt". Durch diese Verwechslung haben
Vorstellungen, die anderes als Freiheit mit dem Namen Gottes verbanden und ein
Christentum, das „so alt als die Welt" ist (XIII, S. 136), nicht denken wollten, schismatische Probleme in der Schelling-Interpretation geschaffen. Am Ende einer Tradition,
die gewohnt war, nur an seiendes oder allenfalls noch nicht seiendes Absolutes bei dem
Wort Gott zu deftken - am Ende einer allegorischen Epoche - 1 5 , w a r die Versuchung
freilich groß, den Satz „Freiheit ist unser Höchstes, unsere Gottheit" nur als eine Metapher zu lesen. Gemeint ist von Schelling aber eindeutig die „ireie Religion, die Religion des Geistes, die, weil es ihre Natur ist, nur mit Freiheit gesucht und mit Freiheit
gefunden zu werden, nur als philosophische sich vollkommen verwirklichen kann"
(vgl. XIII, Einl., S . X I ; XI S. 258, 255; auch XIII, S. 194). Freiheit, unsere Gottheit,
wird also nicht nur durch ihre, Zeugung aus reiner Vernunft gerechtfertigt, sondern
auch dadurch, daß sie alle früheren Gottheiten in ihre historische Stelle weist. Freiheit
ist die deontische Materie, die erlaubt, den realen historischen Erscheinungen der Religion Einheit zu geben, zusammenzufassen - eben die neue Gottheit, die sein soll.
„Existenz" wäre hier wohl ein zu geringes Prädikat. 1830, in der „Einleitung in die
Philosophie", formulierte Schelling : „Ich bin, de'r ich sein will, kann nur der sagen, der
auch von seiner Gottheit frei ist." (1. c. S. 106) Zum Erschrecken seiner Zuhörer, 1 6
setzte Schelling hinzu: „In dem zuerst angenommenen Sein, ist nun Gott freilich nicht
als Gott; indessen können wir dennoch auch nicht sagen er ist nicht in demselben, so
ist auch Brutus in der Verstellung gegen die Tyrannen seines Vaterlandes, freilich
nicht als Brutus." (I.e. S. 107) Nicht so sehr das Blasphemische dieses durch/Bezug
auf Freiheit reizvollen Vergleichs, als vielmehr die These verwunderte wohl, daß Gott
im Prozeß von Mythologie und Offenbarung per contrarium erscheint, denn Schelling
betonte in der folgenden Vorlesung ausdrücklich: „Dieser Gedanke ist der einzig wahrh a f t erklärende." (S. 113) Er erklärt aber wohl nur, wenn Freiheit als Gottheit gewollt ist. Auch der Übergang in die positive Philosophie, das Ziel einer philosophischen
Religion, huldigt also der aufrichtigen Jugendthese: „Das A und O aller Philosophie
ist Freiheit" - dem n e u e n α est et ω.
Nach einer bizarren Formulierung Bolzanos starb Hegel mit dem Glauben, „daß er
durch seine Philosophie den lieben Gott erst zu einem vollendeten Selbstbewußtsein
gebracht hat" 17 . Das war ein Resultat, gegenüber dem sich auch die Kritik der Religion
nur f ü r beendet erklären konnte. Schelling dagegen lebte der Überzeugung, daß allein
mit dem wissenschaftlichen Nachweis des autonomen Zusammenhangs der Erscheinungen der Religion nicht nur in, sondern auch gegenüber der Religion die Zeit der Bekenntnisse vorbei ist. - Das ist eine Forschungsaufgabe, die diejenigen, die Freiheit
wollen, durchaus nicht von sich weisen sollten, eben weil sie bewirkt, daß es möglich
ist, zu sagen: „Freiheit ist unser Höchstes, unsere Gottheit."
(Vert:
15
10
17
Prof. Dr. phil.; Dammannstr. 35, D - 3000 Hannover)
Zu Schellings Erläuterung dieses Begriffes vgl. V, S. 407
Vgl. 1. c. Anm. 3. Bd. I. S. 336 ff.
B. Bolzano : Was ist Philosophie? Darmstadt 1964. S. 6
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