Bachelorarbeit Medizinische Universität Graz Bachelorstudiengang Gesundheits- und Pflegewissenschaft Demenz und pflegende Angehörige – Ein besonderer Lebensabschnitt voller Hingabe, Herausforderungen und Belastungen Titel der Lehrveranstaltung: Evidence based nursing Betreuerin: Mag. phil. Dr. phil. Mag. Susanna Schaffer Billrothgasse 6 8010 Graz Autorin: Andrea Fink 5. Juli 1990 Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Weiteres erkläre ich, dass ich diese Arbeit in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt habe. Graz, am 8. April 2013 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung............................................................................................................. 1 2 Epidemiologie und Definition ............................................................................... 3 3 2.1 Prävalenz ..................................................................................................... 3 2.2 Definition Demenz ........................................................................................ 4 Medizinische Aspekte der Demenz ..................................................................... 5 3.1 Demenzsymptome ....................................................................................... 5 3.1.1 Kognitive Symptome ................................................................................. 5 3.1.2 Verhaltensstörungen ................................................................................. 7 3.1.3 Psychiatrische Störungen ......................................................................... 8 3.2 Demenzarten .............................................................................................. 10 3.2.1 Primäre Demenz ..................................................................................... 10 3.2.2 Mischformen ........................................................................................... 13 3.2.3 Sekundäre Demenz ................................................................................ 13 3.3 Demenzverlauf ........................................................................................... 13 3.3.1 Leichte Demenz (Stadium des Vergessens) ........................................... 14 3.3.2 Mittelschwere Demenz (Stadium der Verwirrtheit) .................................. 14 3.3.3 Schwere Demenz (Stadium der Hilflosigkeit) .......................................... 15 3.4 Abgrenzung Demenz.................................................................................. 16 3.4.1 Normale Alterung .................................................................................... 16 3.4.2 Leichte kognitive Störung ....................................................................... 16 3.4.3 Depression.............................................................................................. 17 3.5 Risikofaktoren............................................................................................. 18 3.5.1 Unveränderbare Risikofaktoren für Alzheimer-Demenz.......................... 18 3.5.2 Vermeidbare Risikofaktoren.................................................................... 19 4 Pflegende Angehörige von Dementen ............................................................... 21 4.1 Definition „Pflegende Angehörige“.............................................................. 21 4.2 Pflegearrangement – Warum Angehörige pflegen ..................................... 22 4.2.1 Motive zur Pflegeübernahme .................................................................. 22 4.2.2 Vorteil der Familienpflege ....................................................................... 23 4.2.3 Einflussfaktoren auf Pflegebereitschaft ................................................... 24 4.2.4 Bedenkliche Pflegeübernahme ............................................................... 24 4.3 Pflege dementer Angehöriger..................................................................... 24 4.3.1 Phasen der Angehörigenpflege .............................................................. 25 4.3.2 Pflegeaufgaben....................................................................................... 26 4.4 Anforderungen an pflegende Angehörige im Umgang mit Dementen ........ 28 4.4.1 Persönliche Anforderungen .................................................................... 28 4.4.2 Verhaltensempfehlungen ........................................................................ 31 4.5 Belastungen pflegender Angehöriger ......................................................... 32 4.5.1 Zeitliche Belastungen ............................................................................. 32 4.5.2 Gesundheitliche Belastungen ................................................................. 32 4.5.3 Emotionale Belastungen ......................................................................... 33 4.5.4 Soziale Belastung ................................................................................... 33 4.5.5 Finanzielle Belastung .............................................................................. 34 5 „Ansteckungsgefahr“ pflegender Angehöriger ................................................... 35 5.1 Studie – Demenzrisiko pflegender Ehepartner/Ehepartnerinnen ..... 35 5.2 „Ist Demenz ansteckend?“ ......................................................................... 37 6 Schlussfolgerung ............................................................................................... 38 7 Literaturverzeichnis ........................................................................................... 40 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Demenzprävalenz in Österreich 1960 – 2005 ........................................ 3 Abbildung 2: Beeinträchtigungen im Demenzverlauf ................................................ 14 Abbildung 3: Phasen der Angehörigenpflege ........................................................... 25 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Häufigkeit der verschiedenen Demenzformen ......................................... 10 Tabelle 2: Normale Alterung versus Demenz ........................................................... 16 Tabelle 3: Leichte kognitive Störung versus Demenz ............................................... 17 Tabelle 4: Depression versus Demenz .................................................................... 17 Tabelle 5: Demenzrisiko pflegender Ehepartner/Ehepartnerinnen ........................... 36 Zusammenfassung Die Zunahme der älteren Bevölkerung in unserer Gesellschaft mündet in einem vermehrten Auftreten alterstypischer Krankheiten, besonders der Demenz. Speziell der Pflegebereich findet sich hier vor großen Herausforderungen wieder. Viele Angehörige, die vor der großen Entscheidung der Pflegeübernahme bzw. Pflegeübergabe stehen, beschließen letztendlich, die pflegerische Versorgung ihres dementen Familienmitgliedes selbst zu übernehmen. Dabei begeben sie sich oftmals auf ein ihnen unbekanntes Terrain, welches von ihnen umfangreiche und zeitintensive Pflegeaufgaben zu erfüllen verlangt. Im Rahmen einer umfangreichen Literaturrecherche habe ich zunächst allgemein medizinische Aspekte der Demenz herausgearbeitet und im anschließenden Kern meiner Arbeit die spezifische Situation pflegender Angehörige behandelt. Dabei bringe ich Erkenntnisse über die große Last und Herausforderung pflegender Angehöriger im Kontext der Demenzpflege dar, sowie Motive, aufgrund welcher sich Pflegende, trotz persönlichen Einbußen auf verschiedensten Ebenen, sich für die Pflegeübernahme entscheiden. Zum Abschluss versuche ich der spannenden Frage „Ist Demenz ansteckend?“ auf den Grund zu gehen. 1 Einleitung Bereits seit Jahren steht es fest – die österreichische Bevölkerung durchläuft einen demografischen Wandel, welcher nun auch zunehmend in das Bewusstsein der Österreicher/Österreicherinnen rückt. Während es zum Rückgang der Geburten, Kinder und jungen Erwachsenen kommt, ist eine zeitgleiche Zunahme der älteren Menschen an der Population zu verzeichnen. Dieses Szenario führt im Weiteren dazu, dass auch vermehrt alterstypische Krankheiten auftreten. Eine besondere Aufmerksamkeit ist hierbei auf die Demenzerkrankung zu lenken. Im Jahr 2010 litten in Österreich bereits 5,62 % der über 60-Jährigen an Demenz (Gleichweit & Rossa 2009). Wird diese altersbezogene Demenzrate nun in Verbindung mit dem demografischen Wandel gebracht, so lässt sich daraus die Annahme ableiten, dass in naher Zukunft nicht nur die Anzahl der älteren Bevölkerung steigen wird, sondern auch die Demenzerkrankten in Österreich eine massive Erhöhung erleben werden. Daraus ergeben sich sowohl für die Gegenwart als auch für die Zukunft unausweichliche Herausforderungen in den verschiedensten Bereichen, besonders aber in der Betreuung und in der Pflege dementer Menschen. Viele Demenzerkrankte werden dabei von den eigenen Angehörigen in ihrem häuslichen und vertrauten Umfeld gepflegt und versorgt. Für pflegende Angehörige stellt die Pflegeübernahme aber in keinerlei Weise eine einfache Aufgabe dar. Das Ziel dieser Arbeit ist es, Aufschluss über die besondere Situation pflegender Angehöriger von Demenzerkrankten zu geben und dabei folgende Fragestellungen zu beantworten: „Welchen besonderen Belastungen sind pflegende Angehörige aufgrund der Demenzpflege ausgesetzt?“ „Was bewegt sie trotz dieser Last zur Übernahme der Pflege?“ Beginnen werde ich diese Arbeit mit einer Betrachtung der Demenz aus Sicht der Prävalenz, deren zukünftige Entwicklung und mit der Klärung des Demenzbegriffes. Der Hauptteil gliedert sich anschließend in zwei Teile. Seite 1 Im ersten Teil beschäftige ich mich mit allgemeinen medizinischen Aspekten der Demenz und im zweiten Teil gehe ich näher auf die Situation pflegender Angehöriger einer dementen Person ein. Abschließend beschäftige ich mich noch mit der spannenden Aussage, ob pflegende Angehörige durch den permanenten Umgang mit ihrem dementen Familienmitglied auch mit Demenz „angesteckt“ werden können. Zur Ausarbeitung dieser Themenpunkte habe ich eine umfangreiche Literaturrecherche durchgeführt. Folgende Keywords wurden dabei verwendet: Demenz, pflegende Angehörige, Pflegeübernahme, Familienpflege, Belastungen, Motive, dementia, risk, stress, cognitve function Seite 2 2 Epidemiologie und Definition Der Begriff Demenz findet im Sprachgebrauch unserer Gesellschaft immer häufiger Verwendung. Daher gehe ich gleich zu Beginn auf die Prävalenz der Demenzerkrankung und deren zukünftige Entwicklung ein und kläre im anschließend den Demenzbegriff. 2.1 Prävalenz Die Prävalenz demenzieller Erkrankungen in Österreich ist ständig am Wachsen. Laut EURODEM-Studie lag die bevölkerungsspezifische Gesamtprävalenz im Jahr 2005 bei 1,27 % bzw. 1,15 % nach Erhebung von Ferri et al. Im Vergleich mit Prävalenzdaten anderer EU-Ländern befindet sich Österreich hierbei im Durchschnitt. Eine mangelhafte Bevölkerungsstatistik über die Anzahl der über 94-Jährigen lässt aber darauf schließen, dass die österreichische Prävalenzrate unterschätzt wird. Bei Betrachtung des zeitlichen epidemiologischen Verlaufes zeigt sich eine Verdopplung der Prävalenz im Zeitraum zwischen 1960 und 2005 (Alzheimer Europe o. J.). Abb.1: Demenzprävalenz in Österreich 1960 – 2005 1,4 1,19 1,2 1,1 0,97 1 0,8 0,6 0,85 0,74 0,77 1,1 1,27 1,15 1,02 0,89 Eurodem 0,66 Ferri et al. 0,4 0,2 0 1960 1970 1980 1990 2000 2005 (Alzheimer Europe o. J., S. 50) Seite 3 Diese Erhöhung lässt annehmen, dass auch zukünftig die Demenzprävalenz in Österreich stark ansteigen wird. Zukunftsprognosen zu urteilen wird die Anzahl dementer Menschen über 60 Jahren 2010 von 5,62 % auf 6,9 % bis zum Jahr 2040 anwachsen (Gleichweit & Rossa 2009). Im Jahr 2050 wird in der Gruppe der über 60-Jährigen sogar mit starken 8,28 % Demenzkranken gerechnet, das sind 269.603 Demente (Gleichweit & Rossa 2009). 2.2 Definition Demenz Der Begriff Demenz leitet sich vom lateinischen „de“ für „abnehmend“ und „Mens“ für „Verstand“ ab und lässt sich demnach als abnehmender Verstand oder chronisch progredienter Abbau des Hirngewebes mit eingehenden Rückgang der Denkfähigkeit interpretieren (Grond 2009). Der ICD-10 Code definiert Demenz als „[…] ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen und Urteilsvermögen im Sinne der Fähigkeit zur Entscheidung“ (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde & Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2010, S. 75). Eine Bewusstseinsstörung liegt jedoch nicht vor. Auch die Sinneswahrnehmungen werden aufgrund der Erkrankung nicht beeinträchtigt, sondern von jeder Person gewöhnlich aufgenommen. Neben der Störung kognitiver Fähigkeiten zeigen sich typische Veränderungen in der Kontrolle von Emotionen, im sozialen Verhalten oder in der Motivation. Um Demenz diagnostizieren zu können, müssen bei der erkrankten Person mindestens sechs Monate durchgehend Symptome nach ICD-10 vorliegen (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2010). Seite 4 3 Medizinische Aspekte der Demenz Die Demenz ist eine immer häufiger auftretende Erkrankung in unserer Gesellschaft. Welche Symptomatik für Demenz charakteristisch ist, an welche Demenzarten die Bevölkerung am häufigsten erkrankt und wie der Krankheitsverlauf genau aussieht, werde ich im Nachfolgenden genauer beschreiben. Zusätzlich zeige ich die Abgrenzung zu anderen ähnlichen Krankheitsbildern auf und stelle die wichtigsten Risikofaktoren einer Demenz dar. 3.1 Demenzsymptome Bei Symptomen der Demenz lassen sich kognitive Symptome, Verhaltensstörungen und psychische Störungen unterscheiden. 3.1.1 Kognitive Symptome Bei den kognitiven Symptomen handelt es sich um eine Störung kognitiver Fähigkeiten, wobei die Gedächtnisstörung als Leitsymptom fungiert. Bei dieser Störung handelt es sich um eine Beeinträchtigung der Merkfähigkeit, sowie des Frisch- und Kurzzeitgedächtnisses. Dabei gelingt es dem Patienten/der Patientin nicht mehr, sich Dinge zu merken. Das bedeutet, sie sind vergesslich, nicht mehr in der Lage etwas Neues zu lernen, stellen dadurch immer die gleichen Fragen oder erzählen ständig dasselbe. Gleichzeitig verleugnen sie jedoch ihre Vergesslichkeit. Zudem sind sie in fremder Umgebung desorientiert, hilflos und irren umher. Daher halten sie sich am liebsten bei Angehörigen auf bzw. folgen ihnen auf Schritt und Tritt. Schließlich verlieren sie den Bezug zur Realität und Zeit, weil sie sich vermehrt mit ihren Erinnerungen in der Kindheit befinden (Grond 2009). Im weiteren Verlauf kommt es zur Störung der Erinnerungsfähigkeit und des Altgedächtnisses. Das führt dazu, dass eine Erinnerung an die letzten Lebensjahre für den Erkrankten/die Erkrankte nicht mehr möglich ist. Sie sind unfähig, sich selbst in den ATLs (Aktivitäten des täglichen Lebens) zu versorgen und ihr äußeres Erscheinungsbild wird für sie bedeutungslos (Grond 2009). Seite 5 Zusätzlich leiden Demenzerkrankte an Sprachproblemen, wobei die Wortfindungsstörung am deutlichsten ist. Dabei haben die Betroffenen Probleme die richten Wortwahl zu treffen. Das Wort liegt ihnen sprichwörtlich auf der Zunge, sie wissen mit welchen Buchstaben es beginnt oder wie es klingt, aber es fällt ihnen in diesem Moment einfach nicht ein (Engel 2011). Außerdem ziehen sie sich in ihre eigene Welt zurück, in der jegliches Zeitempfinden verloren geht, Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschmelzen und so bereits gestorbene Personen wieder zum Gesprächspartner werden (Grond 2009). Sie können sich ebenso nicht an ihren gesamten Lebenslauf, ausgenommen einzelner bedeutsamer Ereignisse, zurückerinnern. Neben all dem sind sie aber in der Lage, ihre eigene Kindheit problemlos wieder ins Gedächtnis zu rufen. Ist die Demenzerkrankung jedoch bereits so weit fortgeschritten, dass Informationen im Denkprozess nicht mehr verwertet werden können, so versagt im Anschluss auch die Abstraktions- und Urteilsfähigkeit (Grond 2009). Letztlich erkennen die Erkrankten die eigenen Familienmitglieder und nahe Angehörige nicht wieder. Selbst ihren eigenen Lebenspartner/ihre eigene Lebenspartnerin können sie als diese nicht mehr identifizieren, auch wenn dieser/diese den ganzen Tag mit ihr/ihm verbringt. Diese Gedächtnisverluste werden als Agnosie bezeichnet (Grond 2009). Demenzerkrankte verlieren zudem die Fähigkeit gezielt zu handeln. Besteht ein Handlungsauftrag aus mehreren Teilvorgängen, beispielsweise „Bring mir einen Stift aus der Schreibtischlade“, so ist es für die demente Person nicht möglich, diesen ordnungsgemäß auszuführen. Sie kann solche komplexen Anweisungen nicht in ihre einzelnen Handlungsabläufe zerlegen oder ihr fehlt dazu der handlungsauslösende Reiz. Im Fachchargon wird bei dieser Störung von Apraxie gesprochen (Grond 2009). Seite 6 Zusammenfassend sind diese kognitiven Symptome als sechs A-Denkverluste darzustellen: „Amnesie (Gedächtnisstörung), Apraxie, Handlungsunfähigkeit, Aphasie (Wortfindungsstörung), Agnosie, Störung des Erkennens, Abstraktions- (Rechnen) und Assessmentstörung (Urteilsstörung)“ (Grond 2009, S. 22) 3.1.2 Verhaltensstörungen Für pflegende Angehörige und professionelle Pflegende stellt ein verändertes Verhalten des/der Demenzkranken eine größere Last, als Störung kognitiver Fähigkeiten dar. Gemäß BPSD (Behavioral and Psychological Symptoms of Dementia) treten Verhaltensstörungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 70-90 % am häufigsten bei Alzheimerpatienten/ Alzheimerpatientinnen auf (Grond 2009). Jede zweite demente Person leidet an einer Unruhe, in der sie einen unwiderstehlichen Bewegungsdrang verspürt. Dieser Trieb ist von einer Ängstlichkeit und gewissen Ruhelosigkeit gekennzeichnet und tritt vor allem zu Abendbeginn auf (Grond 2009). Finden Demenzerkrankte am Tag mangelhafte Betätigung, verspüren Ängste, Schmerzen oder das Bedürfnis zu sterben, ist es möglich, dass sie daraufhin von zu Hause weglaufen oder nachts verwirrt herumwandern. Zusätzlich können solche Reaktionen ausgelöst werden, wenn die erkrankte Person Traum und Wirklichkeit nicht mehr voneinander trennen kann oder sie „heim oder zur Arbeit gehen will“ (Grond 2009). Gleichzeitig kann mit einem dreißigprozentigen Risiko, auch eine Antriebslosigkeit beim / bei der Erkrankten vorliegen, welche bereits im frühen Stadion beginnen kann. Dabei treten Störungen wie Apathie auf, bei der Demente ihre Interessen verlieren, keine Emotionen mehr aufkommen lassen bzw. zum Ausdruck bringen und teilnahmslos im Leben stehen. Dazu verändert sich ihre Persönlichkeit, in dem sie kein Gefühl mehr für Distanz haben, Hemmungen ablegen und ständig herumschwatzen (Grond 2009). Seite 7 Eine weitere typische Auffälligkeit ist ihre veränderte Schlafgewohnheit. Der Tag wird plötzlich zur Nacht gemacht und mit Schlafen verbracht. In der Nacht wird hingegen kein Auge geschlossen um zu ruhen. Schlafstörungen treten bereits bei 70 % der Demenzerkrankten auf und sind auf eine reduzierte Melatonin- und Serotoninausschüttung zurückzuführen (Engel 2011). Eine andere Begründung findet sich in der tagsüber mangelnden Betätigung der erkrankten Person und der daraus resultierenden fehlenden Müdigkeit (Grond 2009). Mit dem Fortschreiten der Demenzerkrankung nehmen auch bestimmte verbale Ausdrucksweisen zu. Der/die Demenzerkrankte schreit vermehrt, gibt stöhnende Laute von sich, ruft oder jammert laut umher (Grond 2009). Schließlich kann er/sie auch ein aggressives Verhalten entwickeln, wobei er/sie plötzlich und unkontrolliert in Wut ausbricht, impulsiv ohne jegliche Hemmschwelle Dinge zerstört und sogar gegenüber anderen Personen körperlich gewalttätig wird (Grond 2009). Dieses unangebrachte körperliche und verbale Verhalten ist auf eine gesteigerte Erregbarkeit und Unruhe, die sogenannte Agitiertheit, zurückzuführen (Engel 2011). Nebenbei entsteht bei 65 % der Betroffenen im mittleren Stadium eine Dranginkontinenz, bei der auf einen Harndrang unkontrollierter Urinverlust folgt. Liegt eine direkte Schädigung des Miktionszentrums vor, tritt diese Inkontinenz ausnahmslos bei jedem/jeder im fortgeschrittenen Demenzverlauf auf. Aufgrund des verringerten Durstgefühls und der medikamentösen Behandlung mit Anticholinergika, gehören Verstopfung bei jedem/jeder Zweiten zur Tagesordnung. Allerdings kann auch eine Stuhlinkontinenz bei der dementen Person entstehen (Grond 2009,). 3.1.3 Psychiatrische Störungen Beinahe jede demente Person leidet an einer Angststörung, welche sich bis zu einer Panikattacke ausweiten kann und häufiger in den Anfangsphasen in Erscheinung tritt. Im Fokus ihrer Angst steht ein Leben in Einsamkeit, schwerer Erkrankung oder Armut (Grond 2009). Seite 8 Auch der Gedanke, sich außerhalb des Hauses nicht mehr zurechtzufinden, lässt ein Angstgefühl in ihnen aufkommen. Als besonders problematisch stellt sich die Angst auslösende Demenz dar. Eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten und der damit verbundenen Überwindung liegt nicht mehr im Bereich des Möglichen für den Dementen/die Demente (Grond 2009). In den ersten Jahren wird die Demenzerkrankung vom/von der Betroffenen als eine große Last erlebt, in deren Rahmen sich ein seelisch depressives Empfinden entwickelt. Die Person zieht sich vermehrt zurück, reduziert die eigene Geschwindigkeit und wird unruhig (Grond 2009). Halluzinationen gehören ebenfalls zu den psychischen Symptomen Dementer. Bereits jeder Dritter/jede Dritte leidet unter dieser Sinnestäuschung, sowie unter der Wahnvorstellung, dass sich jede Person gegen sie richtet. Finden sie ihr Eigentum nicht wieder, haben sie es verloren, verlegt oder vergessen, kommt nur Diebstahl für sie in Frage. Bei fortgeschrittener Erkrankung lassen sich optische Trugwahrnehmungen zu 15-35 % auf Angst zurückführen, welche folglich in Aggressivität enden kann (Grond 2009). Weiteres sind bei 25 % der Betroffenen Verkennungen zu beobachten. Bei dieser Störung sind sie nicht mehr im Stande, Menschen in ihrer Begegnung ordnungsgemäß einzuschätzen. Demente sind überzeugt, dass Fernsehschauspieler gemäß ihren Rollen tatsächlich existieren und Freunde ein Double ihresgleichen sind (Grond 2009). Den eigenen Lebensgefährten/die eigene Lebensgefährtin begegnen sie als eine ihnen unbekannte Person und auch ihr eigenes Spiegelbild zeigt nicht mehr sich selbst, sondern jemand anderen. Daneben behaupten sie, im Zimmer noch weitere Personen sehen zu können (Grond 2009). Seite 9 3.2 Demenzarten Die Demenzerkrankung kann durch verschiedene Faktoren ausgelöst werden, in deren Abhängigkeit sich zwei Formen der Demenz unterscheiden lassen – die primäre und sekundäre Demenz (Engel 2011). Tab. 1: Häufigkeit der verschiedenen Demenzformen (Engel 2011, S. 13) 3.2.1 Primäre Demenz Die primäre Demenz tritt mit ca. 90 % am häufigsten auf und kann bis dato nicht geheilt werden. Sie entsteht aufgrund einer zerebralen Erkrankung; das Gehirn ist von Anfang an betroffen. Werden die Ursachen noch näher betrachtet, so ergibt sich eine weitere Gliederung in neurodegenerative und vaskuläre Demenz (Engel 2011). 3.2.1.1 Neurodegenerative Demenz Die neurodegenerative Demenz resultiert aus einem fortschreitenden Verlust von Gehirnnervenzellen, welcher im mittleren bis späteren Lebensalter beginnt. Sie wird durch eine Eiweißablagerung zwischen den Gehirnzellen und unterschiedlich zusammengesetzten Einschlüssen in den Gehirnzellen verursacht (Engel 2011). Seite 10 Das führt schließlich dazu, dass die Synapsen, die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, ihre Funktion als Erregungsleiter verlieren. Darauffolgend kommt es zum Untergang dieser Synapsen und letztlich zum Absterben der Gehirnzellen (Engel 2011). Sind ein Zehntel der Synapsen davon betroffen, lassen sich erste Symptome einer Demenz, am häufigsten Vergesslichkeit, beobachten (Engel 2011). Auch die neurodegenerative Demenz lässt sich in weitere bedeutsame Untergruppen unterteilen. Alzheimer-Demenz Mit einer Wahrscheinlichkeit von 60-70 % tritt die Alzheimer Demenz in Hinblick aller anderen Demenzformen am häufigsten auf. Das heißt mindestens jeder/jede zweite Betroffene ist an Alzheimer erkrankt (Engel 2011). Die Bezeichnung Alzheimer Demenz stammt vom Neurologen Alois Alzheimer ab, welcher zu Beginn des 20. Jahrhunderts dieses Krankheitsbild erstmals beschreibt. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeiten gelang es ihm, die Bildung von sogenannten Amyloid-Plaques im Zwischenzellraum und eine intrazelluläre Eiweißablagerung nachzuweisen, welche für den Tod der Nervenzellen verantwortlich sind (Engel 2011). Zu Beginn der Alzheimer Erkrankung werden nur einige Gehirnregionen angegriffen, darunter der Hippocampus und die Großhirnride. Im Hippocampus erfolgen unter anderem wichtige Vorgänge der Gedächtnisbildung, welche im Rahmen der Erkrankung nun beeinträchtigt werden (Engel 2011). Die Großhirnrinde wirkt hingegen bei bedeutsamen Prozessen höherer kognitiver Fähigkeiten wie „[...] Sprache, Denken, Orientierung, Urteilen, Gedächtnis, Rechnen und Schreiben etc.“ mit (Engel 2011, S. 13). Ein Befall dieser Gehirnregion zieht bereits in den Anfangsphasen der Alzheimererkrankung erhebliche Störungen mit sich. Betroffene sind zunehmend desorientiert, haben Schwierigkeiten beim Sprechen und leiden an einer Gedächtnisschwäche (Engel 2011). Seite 11 Charakteristisch für Alzheimer sind vor allem der schleichende Beginn sowie das stetige Voranschreiten dieses Krankheitsbildes (Grond 2009). Demenz mit Lewy-Körperchen Eine weitere Untergruppe der neurodegenerativen Demenzen bildet die Demenz mit Lewy-Körperchen. Im Gegensatz zur Alzheimerkrankheit werden bei dieser Demenzform verschiedene Bereiche des Gehirns beschädigt, wodurch unterschiedliche Syndrome entstehen. Betroffene weisen eine verminderte Funktion des Gedächtnisses, eine erhebliche Störung der Aufmerksamkeit sowie visuelle Wahrnehmungsstörungen auf (Engel 2011). Sie werden in physischen als auch psychischen Betätigungen langsamer und entwickeln charakteristische Symptome der Parkinsonkrankheit. Darunter fallen Gangschwierigkeiten, Verlust des Gleichgewichtssinns, erhöhte Sturzgefahr, starre Körperglieder bei physischer Aktivität und Tremor (Engel 2011). Außerdem führen sie analog zu ihren Träumen auch entsprechende körperliche Bewegungen im Schlafzustand aus, beispielsweise wird im Traum eine Joggingtour unternommen, so regen sie auch zeitgleich ihre Füße (Engel 2011). 3.2.1.2 Vaskuläre Demenz Die vaskuläre Demenz ist auf eine verminderte Versorgung des Gehirns mit sauerstoffreichen Blut zurückzuführen. Schuld ist eine Verengung zerebraler Blutgefäße, welche verschiedene Ursachen haben kann. Thromben können die Blutflussbahn versperren oder Materialablagerungen innerhalb der Gefäße den Blutstrom verringern. Dadurch gelangt zu wenig Blut zu den Gehirnzellen, diese werden nicht mit genügend Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und gehen schließlich zugrunde. Weiteres bewirken intravasale Ablagerungen auch, dass die Gefäßwandschicht immer dicker bis schließlich rissig wird. Es folgen intrakranielle Blutungen, welche wiederum eine vaskuläre Demenzerkrankung hervorrufen können (Engel 2011). Seite 12 3.2.2 Mischformen Die Wahrscheinlichkeit, dass Demente rein an einer vaskulären oder neurodegenerativen Demenzform erkrankt sind, ist sehr gering. In den meisten Fällen liegt eine Kombination beider Erkrankungstypen vor, das heißt, es finden sich sowohl Eiweißablagerungen als auch zerebrale Gefäßschädigungen beim/bei der Betroffenen vor. Eine große Anzahl an Alzheimererkrankten leidet daher gleichzeitig auch an einer Demenz mit Lewy-Körperchen (Engel 2011). 3.2.3 Sekundäre Demenz Bei der sekundären Demenz liegt im Gegensatz zur primären Demenz keine direkte Erkrankung des Gehirns vor. Der/die Betroffene leidet zunächst an einer anderen organischen Krankheit, aufgrund dessen sich anschließend eine Störung der Gehirnfunktionen entwickelt. Ursachen einer sekundären Demenz können daher eine chronische Vergiftung (z.B. Medikamente), eine Stoffwechselerkrankung (z.B. Hypothyreose), ein Organversagen (z.B. Niereninsuffizienz) oder diverse Mangelzustände (z.B. Flüssigkeitsmangel) sein (Engel 2011). Oftmals ist eine Behandlung dieser Krankheiten möglich, wodurch eine Verbesserung oder Stabilisierung der Demenzsymptomatik erreicht werden kann. Teilweise zeigen sich sogar Heilungserfolge, bei der die Demenz vollkommen verschwindet (Engel 2011). 3.3 Demenzverlauf Der Verlauf der Demenzerkrankung lässt sich grob in drei Stadien gliedern. Je nachdem wie stark die einzelnen demenziellen Symptome ausgeprägt sind, ergibt sich eine leichte, mittelschwere oder schwere Demenz. Die Demenzerkrankung kann eine Dauer von drei bis fünfzehn Jahren haben. Wie schnell sich die Erkrankung entwickelt, ist aber abhängig von der jeweiligen Demenzform. So entsteht die Alzheimererkrankung sehr langsam, die vaskuläre Demenz hingegen schlagartig. Die einzelnen Stadien gehen jedoch verschwommen ineinander über, wodurch es schwer fällt, eine klare Abgrenzung zwischen ihnen zu ziehen (Radenbach 2011). Seite 13 Abb. 2: Beeinträchtigungen im Demenzverlauf (Schneider 2012, S. 214) 3.3.1 Leichte Demenz (Stadium des Vergessens) Zu Beginn der Demenz macht sich eine verringerte Gedächtnisfähigkeit bemerkbar. Die demente Person vergisst immer mehr und hat Probleme die richtige Wortwahl zu treffen. Zudem ist sie in fremder, unvertrauter Umgebung verwirrt und die Bewältigung von Alltagsaktivitäten fällt ihr immer schwerer. Es treten zunehmend Schwierigkeiten beim Erlernen von neuen Dingen oder beim Bilden eines eigenen Urteils auf. Diese eingeschränkte Gedächtnisfunktion wird von Dementen auch bewusst wahrgenommen, worauf die Erkrankten mit Depressionen, Inaktivität oder verschiedenen Ausreden reagieren. Die Selbstständigkeit im Alltag bleibt ihnen jedoch erhalten (Grond 2009). 3.3.2 Mittelschwere Demenz (Stadium der Verwirrtheit) In diesem Demenzstadium schwindet die Selbstbestimmung der dementen Person. Sie kann Zeit und Raum nicht mehr richtig einschätzen und oftmals auch nicht die Übersicht über Situationen bewahren. Es kommt zur zunehmenden Verwirrtheit der Betroffenen. Namen vertrauter Personen geraten in Vergessenheit und Alltagstätigkeiten werden vernachlässigt. Die demente Person läuft unruhig umher und verirrt sich schließlich sogar im eigenen Haus. Auch einfache Rechenaufgaben kann sie nicht mehr lösen und ihr Handeln wirkt lückenhaft (Grond 2009). Seite 14 Ihr Sozialverhalten verändert sich und sie ist von Angstgefühlen und Wahnvorstellungen geplagt. Die Ausübung von Alltagsaktivitäten wird für Betroffene immer schwerer. Sie sind weder in der Lage sich alleine anzuziehen, noch Tätigkeiten der Körperhygiene selbst durchzuführen. Außerdem stellen sie permanent die gleichen Fragen oder erzählen ständig dasselbe (Grond 2009). In diesem Stadium nehmen Betroffene zwar wahr, dass sie irgendein gesundheitliches Problem besitzen, können dieses aber nicht kritisch hinterfragen. Sie reagieren darauf mit Aggressivität und ihre Persönlichkeit verändert sich. So können sich nun sanftmütige Personen in angriffslustige Menschen verwandeln. Außerdem treten vermehrt gefährliche Verwechslungen auf, wobei ein Fenster für eine Wohnungstür gehalten wird oder ein Reinigungsmittel für einen leckeren Saft. In manchen Fällen werden bereits in diesem Stadium eigene Familienangehörige nicht wiedererkannt (Radenbach 2011). 3.3.3 Schwere Demenz (Stadium der Hilflosigkeit) Nach fortschreitender Verschlechterung des Gesundheitszustandes erreicht der/die Demenzkrankte nun das dritte und letzte Erkrankungsstadium der Demenz. In dieser Phase können Betroffene einfache Anweisungen nicht mehr verrichten und sind dadurch in sämtlichen Bereichen abhängig von anderen Personen. Ihre verbale Kommunikation durch das Sprechen nimmt immer weiter ab, sie halluzinieren und beschimpfen Angehörige, weil sie diese nicht wiedererkennen (Grond 2009). Außerdem nehmen sie den eigenen Körper immer weniger wahr. Stuhl- und Harnausscheidung kann nicht mehr bewusst kontrolliert werden, was schließlich zu einer Inkontinenz führt. Auch der Gedächtnisverlust schreitet massiv voran. Erkrankte wissen weder wie Gehbewegungen funktionieren oder wie sie ihre Stehposition halten können, noch was sie tun müssen, um sich einfach niederzulegen. Sogar die selbstständige Essensaufnahme ist für sie nicht mehr möglich, weil sie schlichtweg die dafür notwendigen Bewegungen vergessen haben. Ihr äußeres Erscheinungsbild ist von einer gewissen Abwesenheit gekennzeichnet und sie zeigen nur mehr selten Reaktionen. Letztendlich versagen wesentliche physische und psychische Funktionen komplett. Demenzerkrankte versterben meistens aufgrund einer Pneumonie, Herzinsuffizienz oder eines Nierenversagens (Radenbach 2011). Seite 15 3.4 Abgrenzung Demenz Die Demenz ähnelt in ihrer Symptomatik einigen anderen Erkrankungen, die auch mit kognitiven Funktionseinbußen verbunden sind. Es erfordert eine genaue Betrachtung der differentialdiagnostischen Krankheitsbilder, um wesentliche Unterschiede zur Demenz charakterisieren zu können. Im Nachfolgenden werde ich daher die wichtigsten Abgrenzungen zur Demenz erörtern. 3.4.1 Normale Alterung Im Rahmen des normalen Alterungsprozesses kommt es gleich wie bei der Demenz zu einer Reduktion der Gedächtnisfunktion (Grond 2009). Trotzdem unterscheiden sich beide in wesentlichen Punkten. Tab. 2: Normale Alterung versus Demenz Normale Alterung Demenz Gelegentliches Vergessen von neuen Häufiges Vergessen von neuen, alten und unwichtigen Informationen und wichtigen Informationen Verlegen von Kleinigkeiten an Verlegen von wichtigen Dingen an gewöhnlichen Orten ungewöhnlichen Orten Erschwerte Lernfähigkeit unter Zeitdruck Erlernen von Neuem kaum möglich Erschwerte Konzentrationsfähigkeit Konzentration nur für 10 Minuten möglich Leichte Verlangsamung Keine Planungs- und Organisationsfähigkeit (Grond 2009) 3.4.2 Leichte kognitive Störung Bei der leichten kognitiven Störung handelt es sich um einen objektivierbaren Rückgang der kognitiven Funktion, wobei die Kriterien einer Demenz nicht vollständig erfüllt sind (Stoppe 2007). Seite 16 Tab. 3: Leichte kognitive Störung versus Demenz Leichte kognitive Störung Demenz Dauert 2 Wochen Dauert 3 bis 15 Jahre Fähigkeit zur Alltagsbewältigung nur Fähigkeit zur Alltagsbewältigung nimmt gering beeinträchtigt und kompensierbar immer weiter ab Keine Störung des Sozialverhaltens Störung des Sozialverhaltens (Grond 2009; Radenbach 2011). Häufig wird die leichte kognitive Störung durch eine Infektionskrankheit, Depression, dauerhaften Stresszustand oder einer postoperativen Komplikation verursacht (Grond 2009). 3.4.3 Depression Depressive zeigen gleich wie Demente eine Verlangsamung und ein Rückzugsverhalten sowie weitere ähnliche Krankheitszeichen auf. Trotzdem ist eine genaue Abgrenzung beider Erkrankungsformen möglich. Tab. 4: Depression versus Demenz Depression Demenz Plötzlicher Beginn Schleichender, heimtückischer Beginn Unregelmäßiger Krankheitsverlauf Laufend progedienter Krankheitsverlauf Orientierung vorhanden Desorientierung liegt vor Wiedererkennung von Gesichtern Keine Wiedererkennung von Gesichtern Sprechstörung Wortfindungsstörung Bewertet Symptome über und jammert viel über diese Versucht nicht zu antworten („das weiß ich nicht“) Bestreitet das eigene Vergessen Bemüht zu antworten Verschlechterung am Morgen Verschlechterung am Abend Selbstbeschuldigung Beschuldigung anderer Personen (Grond 2009) Seite 17 3.5 Risikofaktoren Es gibt zahlreiche Risikofaktoren, welche für die Entstehung einer Demenz verantwortlich sind bzw. einen wesentlichen Einfluss darstellen. Die Kenntnisse darüber sind von großer Bedeutung, denn einige dieser Faktoren können vermieden und somit die Gefahr einer Demenz individuell reduziert werden. Im Nachstehenden werde ich daher genauer auf die meist bedeuteten Risikofaktoren einer Demenz eingehen. 3.5.1 Unveränderbare Risikofaktoren für Alzheimer-Demenz Genetischer Faktor Familiäre Angehörige ersten Grades können aufgrund einer erblichen Vorbelastung frühzeitig an einer schnell verlaufenden Alzheimer erkranken. Der ausschlaggebende genetische Faktor ist hierbei das Apolipoprotein E am Chromosom 19. Für Träger dieses Gens bedeutet dies zwar, dass sie ein erheblich höheres Risiko einer Alzheimererkrankung haben, aber für sie dennoch ein demenzfreies Leben in Hochaltrigkeit möglich ist. Weiteres kann eine umweltbedingte Mutation der Chromosomen 1, 14 und 21 die Entstehung eines Alzheimers begünstigen (Grond 2009). Alter und Geschlecht Die Wahrscheinlichkeit an einer Demenz zu erkranken, steigt mit zunehmender Anzahl der Lebensjahre. Bis zu einem Alter von 70 Jahren liegt das Demenzrisiko bei etwa 2 % und erhöht sich darauf zum 75. Geburtstag auf 5 %. Ab dann zeigt sich ein starker Anstieg der Morbidität parallel zur Inzidenz. Das Erkrankungsrisiko beträgt mit 80 Jahren nun bereits 12 %, mit 85 Jahren 30 %, mit 90 Jahren erstaunliche 50 % und für 95-Jährige im Schnitt 70 % (Wallesch & Förstel 2012). Daneben erkrankt die Hälfte der über 90-Jährigen nicht an Demenz. Deshalb sind die Bezeichnungen „Altersdemenz“ oder „senile Demenz“ unangebracht und sollte keine Verwendung mehr finden. Trotzdem ist das Alter wohl der größte Risikofaktor der Demenz, welcher nicht beeinflusst werden kann (Grond 2009). Seite 18 Bei Betrachtung geschlechtsspezifischer Unterschiede zeigt sich, dass mehr Frauen als Männer an Demenz erkranken. Primär lassen sich diese unterschiedlichen Prävalenzen durch das höhere Demenzrisiko im fortschreitenden Alter in Verbindung mit der höheren Lebenserwartung der Frau erklären (Gleichweit & Rossa 2009). 3.5.2 Vermeidbare Risikofaktoren Rauchen Raucher/Raucherinnen tragen ein doppelt so hohes Risiko, an einer AlzheimerDemenz zu erkranken als jene, die nicht rauchen (Ott et al. 1998 zitiert nach Singer, Batra & Mann 2011). Interessant ist jedoch die Tatsache, dass sich bei jenen Raucher/Raucherinnen, die das Apoplipoprotein-ɛ4-Allel in sich tragen, dieses erhöhte Erkrankungsrisiko nicht findet. Rauchen erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit einer vaskulären Demenz, welches auf ein gesteigertes Risiko einer zerebrovaskulären Störung zurückzuführen ist (Singer, Batra & Mann 2011). Hypertonie Die arterielle Hypertonie ist ein bedeutsamer Risikofaktor für die Demenzerkrankung. Ein Anstieg des systolischen Blutdrucks um 10 mmHg bewirkt eine neunprozentige Erhöhung des Risikos, eine schwerwiegende kognitive Funktionsbeeinträchtigung zu erleiden (Launer et al. 1995). Eine blutdrucksenkende Therapie kann die Entstehung einer Demenz jedoch verhindern oder zumindest deren Beginn um einige Jahre hinauszögern. Zusätzlich kann ein erhöhter Blutdruck auch einen Schlaganfall auslösen, welcher mit einer 30 prozentigen Wahrscheinlichkeit in eine Demenz mündet (Weyerer, Bickel 2007 zitiert nach Grond 2009). Geistige und soziale Faktoren Ein Intelligenzverlust kann bereits durch einen niedrigen Schulabschluss und fehlender Berufsausbildung ausgelöst werden. Besonders betroffen sind in diesem Aspekt ältere Frauen. Auch mangelnde Anregungen und Reize in Pflegeheimen und Krankenhäusern wirken sich günstig auf eine abfallende Intelligenz aus (Lehrl 1996 zitiert nach Grond 2009). Seite 19 Liegt eine Demenz bereits vor, so ist eine Verstärkung dieser durch fehlendes Training der individuellen Gedächtnis-, Wahrnehmungs- und Orientierungsfähigkeit möglich (Grond 2009). Soziale Kontakte stellen für den Menschen eine wichtige soziale aber auch gesundheitliche Ressource dar. Personen mit nur geringer sozialer Aktivität sind stärker vom Demenzrisiko bedroht und einsame Menschen mit einem sozial inaktiven Lebensstil erkranken sogar doppelt so häufig an Demenz (Grond 2009). Weitere bedeutsame Risikofaktoren sind: Übergewicht Diabetes Mellitus Herzerkrankungen (z.B. Herzinsuffizienz) Übermäßiger Alkoholkonsum (Radenbach 2011) Seite 20 4 Pflegende Angehörige von Dementen Die heutige Pflegeversorgung bietet ein breites Spektrum an Betreuungs- und Pflegemöglichkeiten für pflegebedürftige Personen und deren Angehörigen an. Von der Versorgung in Pflegeheimen bis hin zum modernen betreuten Wohnen und der mobilen Pflege, kann die Bevölkerung aus einem vielfältigen Angebot bedarfsgerecht auswählen. Dennoch wurden im Jahr 2003 insgesamt 464.800 Pflegebedürftige von ihren Angehörigen gepflegt. Dabei zählten rund 425.900 Österreicher/Österreicherinnen ab einem Alter von 18 Jahren (das entspricht 6,7 % der Erwachsenenbevölkerung) zur Gruppe der pflegenden Angehörigen (Hörl 2005). Somit stellt die Angehörigenpflege ein großes Potenzial in der Pflege und Betreuung dementer Menschen dar, worum ich im zweiten Teil dieser Arbeit auch näher auf spezifische Aspekte der Angehörigenpflege eingehen werde. 4.1 Definition „Pflegende Angehörige“ Pflegende Angehörige können auch als informelle Pfleger/Pflegerinnen bezeichnet werden. Darunter sind Personen zu verstehen, die mit einer Bandbreite an pflegerischen und unterstützenden Leistungen hilfsbedürftige Angehörige unentgeltlich versorgen (Wettstein, Conzelmann & Heiß 2001). Sie übernehmen freiwillig auf Basis der Selbstverständlichkeit und des gegenseitigen Willens die konstante pflegerische Versorgung eines anderen Hilfsbedürftigen (HattingaVerschure 1981 zitiert nach Milisen, De Maesschalck & Abraham 2004). Eine professionelle Pflegeausbildung besitzen sie aber nicht. Abgesehen von der Pflegebeziehung existiert zwischen den/der Pflegenden und den/der Gepflegten auch ein verwandtschaftliches, freundschaftliches oder nachbarschaftliches Verhältnis (Milisen, De Maesschalck & Abraham 2004). So handelt es sich bei den Pflegepersonen um Verwandte, Nachbarn oder Freunde der dementen Person (Hörl 2005). Seite 21 4.2 Pflegearrangement – Warum Angehörige pflegen Die Pflege Demenzkranker ist mit vielen Herausforderungen und Belastungen verbunden. Dennoch entscheiden sich viele Angehörige, die pflegerische Versorgung ihres/ihrer Nahestehenden zur übernehmen. Welche Motive sie dazu bewegen, welchen Nutzen die familiäre Pflege für beide Seiten hat, wovon die Pflegebereitschaft abhängt und unter welchen Bedingungen eine Pflegeübernahme nochmal überdacht werden sollte, werde ich im Folgenden nachgehen. 4.2.1 Motive zur Pflegeübernahme Die Beweggründe der Familie, Freunde oder Nachbarn für die Übernahme der Pflege und Betreuung ihrer Angehörigen sind sehr breit gefächert. Eine mögliche Unterteilung dieser ergibt sich aus individuellen, familiären und gesellschaftlichen Motiven (Grond 2009). Bei den individuellen Motiven handelt es sich bei vielen Angehörigen um das Gefühl der Verpflichtung, welches aus einem Versprechen zu den Eltern oder einem Vertrag mit diesen, sie zu pflegen, resultiert. Manch anderer/andere plagt das eigene Schuldgefühl und möchte es durch die Pflegeübernahme wieder bereinigen oder erklärt sich bereit, die Pflege durchzuführen, um seine Dankbarkeit gegenüber den/der Hilfsbedürftigen auszudrücken. Auch das Empfinden von Mitleid, innerlicher Verbundenheit und Zuneigung kann ein Motiv darstellen. Daneben werden andere durch die Hoffnung auf mütterliche Anerkennung und Liebe zur häuslichen Pflege bewogen (Büker 2009; Grond 2009). Ein familiäres Motiv ergibt sich aus der Erwartungshaltung Verwandter, dass genau jenes Familienmitglied, das eine pflegerische Ausbildung besitzt, auch die Pflege des Angehörigen übernehmen wird. In manchen Fällen spielt auch die Umkehr der Machtverhältnisse der bisherigen mütterlichen Autoritätsperson eine Rolle. Weiteres können finanzielle Anreize durch Pension und Pflegegeld dazu führen, dass sich vor allem arbeitslose und junge Familien für die Pflege Angehöriger verantworten (Grond 2009). Seite 22 Gesellschaftliche Motive zeigen sich in der noch immer bestehenden Erziehung der Frau zur Familienpflegerin. Daraus ableitend begründet sich schließlich das Gefühl, dass sich Frauen zur pflegerischen Versorgung verpflichtet fühlen. Auch die Nachbarn gehen davon aus, dass Familienangehörige die Pflege, auch bei vorliegender Aggressivität und Inkontinenz des/der gepflegten Dementen, selbst übernehmen. Häufig kümmert sich nur eine einzige Frau gleichzeitig um ihre demente Mutter, ihre Schwiegermutter oder auch um ihre weiblichen Großeltern (Grond 2009). Nur in seltenen Fällen entscheiden sich pflegende Angehörige aber bewusst für die Pflegeübernahme. Aufgrund der schleichenden Entwicklung der Pflegebedürftigkeit einer dementen Person besuchen Angehörige zu Krankheitsbeginn das erkrankte Familienmitglied einfach öfters, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist oder um ihnen bei kleinen Tätigkeiten zu helfen. Mit fortschreitendem Krankheitsverlauf nehmen die Hilfeleistungen aber immer weiter zu bis sie schließlich sämtliche Pflegeaufgaben übernehmen. Auch beim plötzlichen Eintreten der Pflegebedürftigkeit durch beispielsweise einen Schlaganfall, haben Angehörige häufig keine Möglichkeit eine bewusste Entscheidung zu treffen, sondern werden mit der Pflegeübernahme überfallen (Büker 2009). 4.2.2 Vorteil der Familienpflege Werden Dementen von den eigenen Angehörigen gepflegt, so erhalten sie ein Gefühl der Geborgenheit und Kontinuität. Sie müssen sich nicht an eine neue Umgebung und neue Menschen anpassen, sondern können ihr Leben gewohnheitsmäßig im vertrauten Heim unter vertrauten Gesichtern weiter verbringen (Grond 2009). Pflegende Angehörige werden im Gegenzug für ihre fürsorgliche Aufopferung anerkannt. Ihr Leben wird bereichert durch das Gefühl und den Glauben, etwas Sinnvolles für einen anderen geleistet zu haben. Sie erleben in einigen Fällen sogar Dankbarkeit für ihre umfangreiche Arbeit. Obendrauf erhalten sie für ihren pflegerischen Mehraufwand finanzielle Zuschüsse, welche für manche eine wichtige Stütze bildet (Grond 2009). Seite 23 4.2.3 Einflussfaktoren auf Pflegebereitschaft Die Bereitschaft zur Pflege Angehöriger wird weniger vom Schweregrad der Demenzerkrankung beeinflusst, sondern viel mehr vom Beziehungsverhältnis zum Gepflegten und anderen Angehörigen. Außerdem ist es von der eigenen Lebensweise, dem eigenen gesundheitlichen Status und sozialer Hilfeleistungen abhängig. Die Möglichkeit und Finanzierbarkeit von Entlastungsangeboten ist für viele pflegende Angehörige ein entscheidender Aspekt. Darüber hinaus entscheidet auch die jeweilige Wohnungssituation über die Bereitwilligkeit der Familienmitglieder, die Pflege auf sich zu nehmen (Grond 2009). 4.2.4 Bedenkliche Pflegeübernahme Angehörige sollten die Pflege nicht übernehmen, wenn sie mit den/der Pflegebedürftigen schon lange in einem konfliktreichen Verhältnis stehen und wenn der/die Erkrankte aggressiv ist oder ständig meckert ohne sich jemals für die pflegerische Aufopferung zu bedanken bzw. diese wertzuschätzen. Sind der Lebenspartner/die Lebenspartnerin oder die Kinder dagegen, den/die Demente bei sich aufzunehmen, oder wird dadurch die Ehe aufs Spiel gesetzt, so sind Entscheidung gegen die Familie abzuwenden. Bedenklich ist eine Übertragung der Pflegeaufgaben auch dann, wenn Angehörige Angst vor schlechten Unterstellungen der Nachbarn oder Bekannten haben (Grond 2009). Leiden Angehörige selbst an einer Krankheit oder sind sie erschöpft, sollten sie sich nicht zusätzlich mit der Pflege eines Angehörigen belasten. Das Gleiche ist jenen Pflegenden zu raten, welche eine berufliche Vollbeschäftigung nachgehen und von der restlichen Familie in diesem Bereich keine Unterstützung erhalten (Grond 2009). 4.3 Pflege dementer Angehöriger Entscheiden sich Familienmitglieder für die Übernahme der Pflege und Betreuung ihres/ihrer dementen Angehörigen, so stellt sich bald heraus, dass sich das pflegerische Aufgabenfeld sehr umfangreich und zeitintensiv gestaltet. Im Anschließenden werde ich daher aufzeigen, in welchen Phasen die Angehörigenpflege verläuft und mit welchen Pflegeaufgaben Angehörige konfrontiert sind. Seite 24 4.3.1 Phasen der Angehörigenpflege Pflegende Angehörige durchlaufen zu Beginn der Pflegeübernahme mehrere verschiedene Phasen. Abb. 3: Phasen der Angehörigenpflege Orientierungsphase Anfangsphase Umstellungsphase Auseinandersetzungsphase (Grond 2009) 1. Orientierungsphase Beginnend in der Orientierungsphase erleben Angehörige oftmals einen schlagartigen Eintritt der Pflegebedürftigkeit des/der Dementen, zum Beispiel aufgrund eines Insults oder einer Oberschenkelfraktur. Aus diesem überraschenden Schicksal heraus, finden sich die meisten in einer Ahnungslosigkeit wieder. Sie kennen sich weder mit der Krankheit noch mit deren richtigen Umgangsweise aus, weil sie im Krankenhaus oder beim Hausarzt nur mangelhaft darüber informiert worden sind (Urlaub 1988 zitiert nach Grond 2009). 2. Anfangsphase In der nachfolgenden Anfangsphase der pflegerischen Beziehung leiden Pflegende unter großem Druck, ausgehend von notwendigen, noch nicht routinierten Handlungen. Häufig liegt dies an einer fehlenden Pflegekompetenz. Trotzdem setzt sich die engagierte Lebenspartnerin oder Tochter mit all ihrer Kraft für den/die Erkrankte/n ein. Trägt sie aber alleine die pflegerische Verantwortung, so wird sie innerhalb von kurzer Zeit von dieser belastenden Situation überfordert sein und möglicherweise bereits jetzt aus Erschöpfung zusammenbrechen (Grond 2009). 3. Umstellungsphase Im Rahmen der dritten sogenannten Umstellungsphase entstehen neue Regelungen und Tagesabläufe. Der Rollentausch wird nun auch von anderen Familienangehörigen angenommen, welche anschließend wichtige Ressourcen bereitstellen (Grond 2009). Seite 25 Oftmals bleiben bei Pflegenden Versagensängste bestehen und sie sind von diversen Schuldgefühlen geplagt. In ihren Gedanken machen sie sich dabei Vorwürfe, wie „Wieso komme ich erst so spät?“ oder „Ich habe etwas nicht richtig gemacht!“ (Grond 2009). 4. Auseinandersetzungsphase Die letzte Phase befasst sich schließlich mit der Auseinandersetzung. Pflegende äußern dabei ihre individuellen Bedürfnisse und wagen den Versuch, das innerfamiliäre Gleichgewicht wieder aufzubauen, indem sie andere Mitglieder der Familie in die Pflegeplanung miteinbeziehen. Dadurch sollen vor allem Kräfte und Ressourcenmittel gleichermaßen aufgeteilt werden (Grond 2009). Nur wenn die restliche Familie tatkräftig mithilft, kann die stressige Pflegesituation anfangs ohne Fremdhilfe und ohne Beziehungskonflikte gemeistert werden. Sind sie jedoch nicht zur Mithilfe bereit, kann dies zu einer psychosomatischen Erkrankung oder Depressivität des/der Pflegenden führen und die Familienbeziehung in eine erhebliche Krise stürzen (Grond 2009). 4.3.2 Pflegeaufgaben Zu Beginn der Demenzerkrankung ist die Selbstständigkeit der Betroffene nur gering eingeschränkt. Pflegende Angehörige müssen sie nur bei bestimmten Alltagstätigkeiten unterstützen, damit sie ihren gewohnten Tagesablauf beibehalten können. Sie erledigen dabei diverse Botengänge, begleichen deren Rechnungen und übernehmen das Einkaufen. Im weiterem reinigen sie die Wohnung, machen die Wäsche und helfen ihnen bei anderen Hausarbeiten. In dieser Phase sollen Pflegepersonen ihren Fokus vor allem auf die Aktivierung des/der Dementen richten (Grond 2009). Sie sollen eine klare Tagesstruktur entwickeln, bei der es bestimmte Tageszeiten für gemeinsames Essen und Hausarbeiten wie beispielsweise Gartenpflege gibt (Grond 2009). Seite 26 Damit Pflegende auch gut über den pflegerischen Umgang mit Dementen Bescheid wissen, ist es notwendig, dass sie sich möglichst viele Informationen über Symptome und Demenzverlauf einholen und sich über Unterstützungsmöglichkeiten, wie beispielsweise ambulanter Pflegedienst, beraten lassen (Grond 2009). Während bei der degenerativen Demenz nichts Neues erlernt werden kann, ist die rehabilitative Pflege im Falle eines Insults, vaskulären Demenz oder Anfangsphase einer Alzheimer noch erfolgversprechend. Angehörige können ihr dementes Familienmitglied auch hier im Rahmen der professionellen reaktivierenden Pflege mitunterstützen (Grond 2009). Im mittelschweren Stadium sind Demente bereits stark eingeschränkt und leiden an Verhaltensstörungen. Das pflegerische Aufgabenfeld der Angehörigen weitet sich stark aus. Sie müssen den Dementen nun bei vielen Aktivitäten des täglichen Lebens helfen, welche diese alleine nicht mehr schaffen. Dazu gehören beispielsweise die Körperpflege (wie Waschen, Duschen, Zähneputzen, Rasieren, Fingernägel schneiden, etc.) und die Ernährung (Kochen, mundgerechte Zubereitung der Mahlzeiten, etc.) (Grond 2009; Marburger 2012). Da Demente in diesem Stadium die räumliche, zeitliche und situative Orientierung verlieren, ist eine 24-Stunden-Betreuung erforderlich. Die Pflegeperson muss also permanent anwesend sein und das demente Familienmitglied beaufsichtigen, denn dieses könnte zum Beispiel vergessen, den Herd abzuschalten, was erhebliche Folgen haben könnte (Grond 2009). Auch nachts muss sie auf diese Person stets ein Auge behalten, weil die Gefahr besteht, dass diese in der Nacht plötzlich das Haus verlässt, sich verirrt und den Rückweg nicht mehr findet. Werden außerdem eigene Grenzen überschritten, dann sollten sie unbedingt Entlastungsangebote durch ambulante Pflegedienste, Kurzzeitpflegeeinrichtungen, etc. in Anspruch nehmen (Grond 2009). Im letzten und schweren Demenzstadium ist der Pflegeaufwand für Angehörige nun immens groß und zeitintensiv. Zum bisherigen Aufgabenbereich kommt hinzu, dass sie den/die Demenzerkrankte bei einfachsten Tätigkeiten helfen, wie zum Beispiel bei der Flüssigkeits- und Essensaufnahme oder beim Aufstehen, zu Bett gehen, Stehen und Gehen (Grond 2009; Marburger 2012). Seite 27 Aufgrund der hohen Sturzgefahr sollen sie die erkrankte Person beim Gehen stützen. Ist diese jedoch immobil, so sind ein ständiger Lagerungswechsel zur Dekubitusprophylaxe, sowie auch eine Inkontinenzversorgung vorzunehmen (Grond 2009). In dieser Endphase benötigt der/die Erkrankte eine intensive gefühlvolle Zuneigung, Zeit, zärtliche Hingabe und Basalstimulation vom/von der Pflegenden. Da die meisten Demente große Angst vor dem Sterben haben und das Schmerzempfinden dadurch zunimmt, sollten pflegende Angehörige professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Eine Hospizbetreuungsperson kann in dieser Situation sowohl den/die Erkrankte helfen mit dem bevorstehenden Tod umzugehen, als auch den Angehörigen dabei Unterstützung und Trauerbegleitung gewährleisten (Grond 2009). 4.4 Anforderungen an pflegende Angehörige im Umgang mit Dementen Die Demenzerkrankung eines Familienmitgliedes erfordert von pflegenden Angehörigen nicht nur umfangreiche Pflegeleistungen, sondern bringt für sie auch eine Reihe von Veränderungen mit sich. Um diese neue, ungewohnte und belastende Situation erfolgreich bewältigen zu können, sollte die Pflegeperson bestimmte Anforderungen im Umgang mit dem/der Dementen erfüllen. Das Wohl des/der Pflegenden als auch dem/der Gepflegten soll dadurch sichergestellt werden. In Angliederung daran, werde ich mich mit den persönlichen Anforderungen an pflegende Angehörige auseinandersetzen und Verhaltensempfehlungen darlegen. 4.4.1 Persönliche Anforderungen Anpassung Von pflegenden Angehörigen wird gefordert, dass sie sich ständig an neue verschiedene und schwierige Situationen angleichen. Dabei wird ein gewisses Anpassungsverhalten benötigt, welches mit dem Auftreten erster Krankheitssymptome beginnt, mit der psychischen Verarbeitung einer endgültigen Diagnosestellung der Demenz fortsetzt und schließlich in der Betreuung und Pflege dementer Personen mündet (Haberstroh, Neumeyer & Pantel 2011). Seite 28 Durch die Demenzerkrankung wird auch das Familiengleichgewicht, welches auf jahrelange Entwicklung zurückzuführen ist und durch verschiedene Beziehungs- und Verhaltensmuster charakterisiert ist, gestört und muss im gesamten Verlauf immer wieder angepasst werden (Haberstroh, Neumeyer & Pantel 2011). Rollenwechsel Außerdem bewirkt die Erkrankung eine Veränderung der sozialen Rollen, welche sich im gemeinsamen Lebensverlauf entwickelt haben, und nun einer Neudefinition bedürfen. Besonders fürsorgliche Personen, welche stolz für die Versorgung ihrer Familienmitglieder verantwortlich waren, können plötzlich nicht mehr für sich selbst sorgen und brauchen Hilfe von anderen. Putzfreudige, welche einst den gesamten Haushalt auf Vordermann hielten, sind nicht mehr in der Lage die einfachsten Aufgaben zu erledigen. Das zeigt, dass verschiedene Rollenbilder einer Veränderung unterworfen sind. Die Aufgabe der pflegenden Angehörigen liegt nun darin, die nachlassenden Kompetenzen der erkrankten Person zu kompensieren und in eine neue Rolle zu schlüpfen (Haberstroh, Neumeyer & Pantel 2011). Eine direkte Rollenumkehr führt dazu, dass die Eltern nun von den eigenen Kindern gepflegt werden und ihre Rollen getauscht werden. Die Pflegeperson trifft Entscheidungen für das demente Familienmitglied und setzt klare Grenzpunkte fest (Haberstroh, Neumeyer & Pantel 2011). Validation Die wichtigste Grundhaltung der pflegenden Angehörigen gegenüber der dementen Person ist die Validation. Dabei ist der Umgang der Pflegeperson mit dem erkrankten Familienmitglied von bedingungsloser Wertschätzung gekennzeichnet. Das bedeutet, dass sie den Erkrankten/die Erkrankte mit Achtung entgegentreten, sie ohne jegliche Bedingungen, Vorbehalte und Eingrenzungen annehmen, wie sie sind, und Sorge für sie tragen. Sie sollen den Dementen/die Demente ihre Zuneigung spüren lassen und dabei eine herzliche und freundliche Umgangsweise besitzen. Ihre Bemühungen basieren dabei auf Nachsichtigkeit, Rücksichtnahme und Wohlwollen (Grond 2009). Außerdem müssen Pflegende im Stande sein, dieser erkrankten Person zu vertrauen, auf ihrer Seite zu stehen, ihr Trost zu spenden und ein Wohlgefühl zu vermitteln (Grond 2009). Seite 29 In diesem wertschätzenden Umgang ist besonders die Fähigkeit zur Geduld wichtig. Wenn beispielsweise der/die Demente andauernd die gleichen Fragen stellt, verhalten sie sich trotzdem ruhig und geduldig. Das alles gelingt ihnen aber nur, wenn sie ein Selbstwertgefühl haben und sich mit all ihren Schwachpunkten schätzen. Denn wer sich selbst keinen Wert zuschreiben kann, den gelingt es auch nicht bei anderen (Grond 2009). Empathie Eine weitere wichtige Anforderung ist nach Rogers die Fähigkeit zur Empathie. Pflegende Angehörige müssen sich in Betroffene einfühlen können und sie in ihrer Situation verstehen ohne eine Wertung abzugeben. Sie tauchen dazu in die Welt des/der Dementen ein, um ein klares Bild über die Gefühlslage und deren Bedeutsamkeit zu erlangen (Grond 2009). Ehrlichkeit Zusätzlich wird von den Pflegenden gefordert, sich gegenüber Erkrankten nicht zu verstellen, sondern echt, authentisch und ehrlich zu bleiben. Sie sollen das wiedergeben, was sie selbst denken und fühlen und dabei Ehrlichkeit zu sich selbst bewahren. Jedoch sollen sie vorher überlegen, ob die jeweilige Äußerung der dementen Person auch zuzutrauen ist (Grond 2009). Nur wenn sich pflegende Angehörige so geben, wie sie wirklich sind und ehrliche Aussagen liefern, wissen Erkrankte, woran sie sind und können der Pflegeperson Vertrauen schenken (Grond 2009). Informierung Schließlich sollen pflegende Angehörige Informationen über die Demenzerkrankung einholen um sich eine gewisse Sicherheit zu verschaffen. Durch den Gewinn bestimmter Kenntnisse, können Pflegende die Erkrankten auch besser verstehen und der spezifische Umgang kann erleichtert werden (Grond 2009). Seite 30 4.4.2 Verhaltensempfehlungen Pflegende Angehörige sollen Demenzerkrankte Erfolgserlebnisse sichern, um ihnen dadurch Selbstachtung zu ermöglichen. Das gelingt vor allem mit Hilfe von Gedächtnisstützen. Außerdem sind Demente ständig als Teil der Familie zu respektieren und nicht aus dem familiären System auszuschießen (Grond 2009). Außerordentlich fürsorgliches Verhalten, welches in einer Überversorgung endet, ist nicht angemessen. Stattdessen Demente tun lassen, was sie noch können, wie zum Beispiel kochen und sie für Erfolge loben. Werden den/die Erkrankten Aufgaben gestellt, so sind diese in ihre einzelnen Teilschritte zu zerlegen. Dabei soll die gewünschte Handlung ihnen vorgezeigt werden, anstatt sie ihnen zu erklären (Grond 2009). Wichtig ist zu wissen, dass das ständige Wiederholen von Aktivitäten Demente nicht langweilig erscheint, sondern ihnen eine Sicherheit gibt, welche vorrangig ist. Dabei soll die Selbstständigkeit aufrechterhalten bleiben, aber gleichzeitig eine Überforderung vermieden werden (Grond 2009). Zusätzlich ist eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich das demente Familienmitglied wohlfühlt und entspannen kann. Dazu gehört auch die Reduktion von potenziellen Gefahrenquellen wie bei Stufen, Badewannen oder Toiletten (Grond 2009). In der verbalen Kommunikation mit Demenzerkrankten ist darauf zu achten, dass die Sätze kurz formuliert werden und mit ihnen ruhig und langsam gesprochen wird. Das Gesagte soll nonverbal mit kongruenten Gesten und Berührungen gestützt werden (Grond 2009). Im Gespräch ist ihnen in die Augen zu schauen und mit Geduld auch zuzuhören. Sie sollen im Rahmen der Konversation aber nicht ausgefragt werden und niemals Fragen mit „warum“ gestellt bekommen (Grond 2009). Auf Anschuldigungen von Dementen nicht eingehen, indem sie einfach überhört werden, davon ablenken oder kurzzeitig nachgeben. Auch Vorwürfe, Bloßstellungen, Diskussionen und Konflikte sind zu vermeiden. Tritt jedoch einmal ein Streit auf, so kann dieser durch Zuwendung gelöst werden (Grond 2009). Seite 31 Die Erkrankten lassen sich besonders gut erreichen, wenn sie auf ihre Biografie angesprochen werden. Dabei können ein gemeinsames Anschauen von Fotoalben, Reden über den früheren Beruf oder ehemalige Hobbies sowie ein Hören der Lieblingsmusik den Zugang erleichtern (Schaade 2009). 4.5 Belastungen pflegender Angehöriger Die Demenzerkrankung hat nicht nur fatale Auswirkungen auf die Lebensqualität der Erkrankten, sondern belastet auch pflegende Angehörige in vielen Lebensbereichen. Warum Pflegende als heimliche Opfer der Demenz gelten, werde ich nun anhand der Betrachtung verschiedener Einflussbereiche nachgehen (Grond 2009). 4.5.1 Zeitliche Belastungen Die Zeitkomponente stellt im Vergleich mit anderen Belastungsfaktoren die stärkste Überbelastung Angehöriger dar. Die umfangreichen pflegerischen Tätigkeiten überstrecken sich bei 60 % über mehrere Stunden am Tag, bei einem Drittel sogar über neun Stunden täglich. Zusätzlich opfern 60 % bis zu drei Stunden für nächtliche Hilfestellungen (Grond 2009). Oft übernehmen Angehörige mit der Pflege einen Full-Time-Job, der rund um die Uhr ihre volle Einsatzbereitschaft fordert und ihnen dadurch keine Zeit für nachhaltige Regernation einräumt (Büker 2009). 4.5.2 Gesundheitliche Belastungen Die fehlende Zeit für sich selbst führt neben anderen Bedingungen schließlich dazu, dass auch die Gesundheit der Pflegenden stark strapaziert und in Mitleidenschaft gezogen wird. Die vielfältigen und kräfteraubenden Pflegehandlungen verursachen bei pflegenden Angehörigen eine Reihe von physischen und psychischen Gesundheitsbeschwerden. Betroffen sind dabei das Herz-Kreislaufsystem, welches sich durch Herzbeschwerden bemerkbar macht, und der Verdauungstrakt. Weiteres leiden Pflegende unter Umständen an Rückenschmerzen, Schlafstörungen bis hin zur körperlichen und geistigen Erschöpfung, Gereiztheit und Unzufriedenheit. Obendrein sind ein großer Teil der Pflegenden älter als 55 Jahre und weisen daher schon im Vorhinein gesundheitliche Beschwerden auf (Büker 2009). Seite 32 4.5.3 Emotionale Belastungen Bereits zu Beginn bewirkt die Diagnosestellung Demenz eine Überforderung bei Angehörigen, welche sich in einer emotionalen Erschöpfung zeigt. Unterdrücken sie schon am Anfang ihre Gefühle, so trägt dies einen wesentlichen Teil zur Überbelastung bei (Grond 2009). Emotional kämpfen sie mit Empfindungen wie Schuldgefühle, welche sich aus der Angst, etwas Falsches gemacht zu haben, entwickeln. Werden sie bezüglich ihres pflegerischen Umgangs kritisiert, verstärken sich diese Gefühle nochmals. Weiteres sind sie ständig von vielfältigen Angstgefühlen geplagt. Sie fürchten sich davor zu versagen, selbst in Erschöpfung zu fallen, zu erkranken oder später selbst dement zu werden, auf Ablehnung zu stoßen und verlassen zu werden. Auch die unsichere Zukunft, was später noch alles passieren kann und mit welchem Zeitfenster sie noch rechnen können, ruft ein beängstigendes Gefühl hervor (Grond 2009). Zusätzlich schämen sich Angehörige dafür, dass das demente Familienmitglied auffällig und inkontinent ist und sie einen Bedarf auf unterstützende Hilfe haben, weil sie alleine unter dieser Pflegelast zusammenbrechen würden (Grond 2009). Die klammernde, aufdringliche, nicht vorherseh- und kontrollierbare Verhaltensweise des/der Dementen führen zur Aggressionen Pflegender. Da sie diese Gefühle nicht gegen die hilflose Person richten können, wenden sie diese gegen sich selbst bis zur Aufopferung oder Depression. Schließlich fühlen Pflegende sich hilflos, wissen nicht wie sie weiterhelfen können und rutschen in eine Verzweiflung (Grond 2009). Auch die veränderte Persönlichkeit Dementer ertragen viele Pflegende nur sehr schwer (Büker 2009). 4.5.4 Soziale Belastung Aufgrund des intensiven zeitlichen Pflegebedarfs, der täglichen 24-Stunden-Bereitschaft, können sich pflegende Angehörige von ihrer Arbeit keinen freien Tag gönnen. Für viele Demente gilt die Pflegeperson als unersetzlich. Daher nehmen auch nur ca. ein Drittel Hilfeleistungen des ambulanten Pflegedienstes an (Grond 2009). Seite 33 Den Pflegenden bleibt nur geringe bis gar keine Zeit, einem Hobby aktiv nachzugehen, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten oder überhaupt auf Urlaub zu fahren, um sich zu entspannen. Sie können spontan auch keine Freunde besuchen oder Einladungen annehmen, wenn sich niemand anderes bereit erklärt, in dieser Zeit die Betreuung zu übernehmen. Letztlich kann es zu einer kompletten sozialen Isolation und Spannungsverhältnissen in der Familie kommen (Büker 2009). 4.5.5 Finanzielle Belastung Für viele Angehörige lauern hinter der Pflegeübernahme des dementen Familienmitgliedes auch finanzielle Belastungen. Aufgrund der umfangreichen Betreuung schränken viele ihre Berufstätigkeit ein oder beenden diese ganz, was zum Verlust von wichtigen finanziellen Mitteln führt. Gleichzeitig haben sie aufgrund der Versorgung der dementen Person erhöhte finanzielle Ausgaben, für welche sie zum höchsten Anteil aufkommen müssen. Sie werden mit Kosten aus unterschiedlichsten Bereichen konfrontiert, beispielsweise für Medikamente, Therapien und Wohnungsanpassungsmaßnahmen (Engel 2007). Werden vom Arzt/von der Ärztin zudem wichtige Versorgungsmaterialien, wie zum Beispiel Inkontinenzeinlagen, nicht verordnet, so stellt dies für Pflegende auch eine erhebliche finanzielle Last dar (Grond 2009). Letztendlich sind nicht die kognitiven Einschränkungen die wichtigsten Belastungsfaktoren, sondern die Beziehungsstörungen, welche für das Gefühl der Überforderung verantwortlich sind. Für pflegende Angehörige wird die Pflege des dementen Familienmitgliedes zu einem ganz eigenen Lebensabschnitt (Grond 2009). Seite 34 5 „Ansteckungsgefahr“ pflegender Angehöriger Beim Auftreten eines Krankheitsfalles in der Familie stellt sich für andere Familienmitglieder oft die Frage, ob sie durch Kontakt mit der erkrankten Person auch an dieser Krankheit erkranken können. Bei vielen Erkrankungen ist diese Frage der Ansteckungsgefahr berechtigt, aber trifft das auch auf die Demenzerkrankung zu? Können sich Angehörige einer dementen Person im pflegerischen Umgang auch mit Demenz anstecken? Im Rahmen einer intensiven Literaturrecherche mit dem Ziel, diese Frage zu beantworten, bin ich auf eine interessante Studie gestoßen, welche erstaunliche Ergebnisse liefert. Im Folgenden werde ich diese Studie vorstellen und über die Resultate berichten, anhand derer ich abschließend die Fragestellung „Ist Demenz ansteckend?“ zu beantworten versuche. 5.1 Studie – Demenzrisiko pflegender Ehepartner/Ehepartnerinnen Norton et al. untersuchten in ihrer Studie, wie sich die Demenzerkrankung einer Person auf das Risiko des pflegenden Ehepartners/der pflegenden Ehepartnerin, selbst an Demenz zu erkranken, auswirkt (Norton et al. 2010). Zu Beginn erfassten sie die bereits bestehende Literatur zu diesem Thema. Dabei stießen sie schon auf wichtige Erkenntnisse, z.B. dass Ehepartner/Ehepartnerinnen von Demenzkranken erheblichen Stress im Laufe der Krankheitsverschlechterung des Lebenspartners/der Lebenspartnerin erfahren, welcher sich negativ auf ihre kognitiven Funktionen auswirken kann (Bremner 1999; Lupien et al. 2005; Lovallo 2005 zitiert nach Norton et al. 2010). Daraufhin stellten sie die Hypothese auf, dass ältere verheiratete Erwachsene ein größeres Inzidenzrisiko für Demenz haben, sobald ihr Partner/ihre Partnerin an Demenz erkrankt ist. Außerdem gehen sie der Frage nach, ob sich diese Gegebenheiten bei Frauen stärker auswirken als bei Männern (Norton et al. 2010). Seite 35 Die Studie umfasst eine populationsbezogene Stichprobe von 2.442 Teilnehmer/Teilnehmerinnen aus insgesamt 1.221 älteren verheirateten Paaren und dauerte ca. zwölf Jahre (Norton et al. 2010). Sie verwendeten ein Demenz-Erhebungsprotokoll um die Demenz von beiden Partnern zu diagnostizieren. Dabei gab es die Möglichkeit der Diagnose nur beim Ehemann (n=125), nur bei der Ehefrau (n=70), bei beiden Ehepartnern (n=30) und weder noch (n=996). Die anschließende Datenanalyse erfolgte mittels einer Serie von Cox proportional hazards regression models (Norton et al. 2010). In den Studienergebnissen konnten sie schließlich aufzeigen, dass die Inzidenz einer Demenz mit dem höheren Lebensalter, dem Vorhandensein von einen oder mehreren ɛ4 Allelen des Apoplipoproteins E und die Demenzerkrankung des/der Ehepartners/in assoziiert ist (Norton et al. 2010). In weiterer Folge kamen sie zum Resultat, dass bereits zu Beginn der Demenzerkrankung der pflegende Ehepartner/die pflegende Ehepartnerin ein erhöhtes Risiko trägt, selbst an Demenz zu erkranken. In der Studie wird dabei ein HRR (Hazard Rate Ratio) von 6,4% angegeben. Das bedeutet, dass Ehepartner/Ehepartinnen einer dementen Person ein sechsfach höheres Risiko besitzen, später selbst dement zu werden als jene Erwachsene, deren Ehepartner/Ehepartnerin nicht an Demenz erkrankt ist (Norton et al. 2010). Tab. 5: Demenzrisiko pflegender Ehepartner/Ehepartnerinnen (Norton et al. 2010, S. 899) Seite 36 Außerdem zeigten sie, dass pflegende Ehemänner diese Situation stärker belastete als pflegenden Ehefrauen (Norton et al. 2010). 5.2 „Ist Demenz ansteckend?“ Prinzipiell ist eine Ansteckung mit Demenz nicht möglich, da es sich bei der Demenzerkrankung wie beispielsweise Alzheimer um keine Infektionskrankheit handelt (Schaade & Kubny-Lüke 2009). Betrachte ich den Begriff Ansteckung jedoch in einem anderen Blickwinkel und zwar, dass durch den permanenten Kontakt zur erkrankten Person pflegende Angehörige einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sind, selbst daran zu erkranken, so wäre diese Frage der Ansteckbarkeit mit „Ja“ zu beantworten. Die Studienergebnisse von Norton et al. können dabei meine Annahme unterstützen. Demnach tragen pflegende Ehepartner einer dementen Person ein 6-fach höheres Risiko an Demenz zu erkranken, als Personen ohne dieser Exposition (Norton et al. 2010). Erklären lässt sich diese umgangssprachliche „Ansteckbarkeit“, durch die Belastung, welche nicht nur den Patienten/die Patientin betrifft, sondern auch auf pflegende Angehörige übertragen wird. Das Leid dieser familiären Pflegepersonen, welches sich aus physischer und psychischer Last der Demenzpflege entwickelt, ist ein potentieller Auslösefaktor für Demenz und führt zusätzlich zu einem erhöhten Risiko für Depressionen und Mortalität (Covinsky et al. 2003; Schulz & Beach 1999). Zudem erfahren pflegende Ehepartner/Ehepartnerinnen im Demenzverlauf einen enormen Stress, welcher zur Beeinträchtigung ihrer kognitiven Fähigkeiten führen kann. Entwickelt sich daraus auch noch ein chronischer Stress, so kommt es zur Schädigungen jenes Gehirnareals, welches für die Erinnerungsfähigkeit zuständig ist (Bremner 1999; Lupien 2005; Norton et al. 2010). Eine abschließende Begründung, aus einer ganz anderen Sicht, könnte auch in der Homogamie oder assortativen Paarung liegen, wodurch beide Partner aufgrund einer gleichen Neigung zum Leid oder psychischen Krankheit einem erhöhten Risiko für Demenz ausgesetzt sind (Norton et al. 2010; Maes et al.1998). Seite 37 6 Schlussfolgerung Die Diagnose Demenz wirkt für erkrankte Personen niederschlagend und verändert fortan ihr ganzes Leben. Es kommt zu Einschränkungen auf unterschiedlichen Ebenen und die erfolgreiche Bewältigung des Alltages wird immer mehr zum Problem. Im Verlauf der Erkrankung erleiden Demente neben kognitiven Funktionseinbußen auch zahlreiche psychische Störungen und ihr Verhalten unterzieht sich starken Veränderungen. Sie sind immer mehr auf fremde Unterstützung angewiesen und einfachste Tätigkeiten können plötzlich nicht mehr alleine durchgeführt werden. Schließlich rutschen sie in eine totale Abhängigkeit, bei der sie bis zu ihrem Lebensende umfassende Pflege und Betreuung benötigen. Die Verantwortung für die pflegerische Versorgung übernehmen dabei häufig Angehörige. Aber auch diese erleben zu Beginn einer diagnostizierten Demenz einen harten Schicksalsschlag. Oftmals befinden sie sich vor der großen Entscheidung, die Pflege selbst zu übernehmen oder an den professionellen Bereich abzugeben. In vielen Fällen kommen sie zum Entschluss, die erkrankte Person auf ihrem Leidensweg zu begleiten, betreuen und bis zu ihrem Lebensende für sie zu sorgen. Schon bald stellt sich für die Pflegenden aber heraus, dass sich das pflegerische Aufgabenfeld rund um die Versorgung der dementen Person sehr umfangreich und zeitintensiv gestaltet. Zwar wird anfangs ihre Unterstützung nur hin und wieder bei kleinen Aufgaben benötigt, jedoch nehmen die Hilfeleistungen mit fortschreitendem Demenzverlauf immer weiter zu. Schließlich müssen sie rund um die Uhr, das heißt 24 Stunden, für die umfassende Versorgung und Betreuung der dementen Person aufbringen. Ihr Leben dreht sich von nun an nur mehr um das erkrankte Familienmitglied. Mit der Pflegeübernahme wird den Angehörigen eine große Last auferlegt, welche große Belastungen in vielen Lebensbereichen in sich bergen. Die ständige Bereitschaft nimmt ihnen all ihre Zeit und somit auch die Zeit für sich selbst und soziale Kontakte zu pflegen. Auch ihre Gesundheit wird stark vernachlässigt und in Mitleidenschaft gezogen. Eine Reihe an gesundheitlichen Beschwerden sind die Folgen. Jedoch als viel belastender erleben sie das emotionale Gefühlschaos, welches sie von Beginn der Demenz bis zum Tod der erkrankten Person begleitet. Letztlich stellen auch mangelnde finanzielle Mittel eine entsprechende Last dar. Seite 38 Trotz all dieser Anstrengungen kommt eine Pflegeübergabe an eine professionelle Person oder Einrichtung für sie nicht in Frage. Die Motive dafür sind sehr breit gefächert und von Familie zu Familie unterschiedlich. Manche treibt das Gefühl von Liebe und Zuneigung zum Tragen der pflegerischen Verantwortung. Für andere wiederrum bildet das Gefühl der Dankbarkeit, Verpflichtung oder eine geplagte Schuld das Fundament ihres Pflegearrangements. Diese und viele weitere Gründe bewegen Angehörige, trotz persönlicher Einbußen, zur Pflegeübernahme ihrer Liebsten. Traurig ist jedoch die Tatsache, dass pflegende Angehörige durch den permanenten Umgang mit ihrem dementen Familienmitglied einer viel größeren Gefahr ausgesetzt sind, selbst an Demenz zu erkranken, als jene Personen, ohne diese Exposition. Mit einem 6-fach höheren Demenzrisiko wird Nächstenliebe schließlich zum erheblichen Risikofaktor für Demenz. Im Rahmen meiner Arbeit konnte ich darlegen, dass die Anzahl der Demenzerkrankten im kontinuierlichen Steigen ist. Für die Zukunft ergeben sich daraus speziell für den Pflegebereich enorme Herausforderungen. Ein großes Potential liegt hier vor allem in der Pflege durch Angehörige. Jedoch verlangt die Übernahme der Demenzpflege von ihnen sehr viel Anstrengungen und die Bewältigung von zeitintensiven Aufgaben. Damit pflegende Angehörige aber nicht unter der starken Belastung der Demenzpflege zusammenbrechen, oder aufgrund der gewaltigen Aufopferung schließlich selbst an Demenz erkranken, sind zukünftige Anstrengungen notwendig. Diese sind vor allem in den Bereichen der Entlastung und umfassenden Informierung pflegender Angehöriger über das Erkrankungsbild der Demenz, Demenzpflege und präventive Maßnahmen gegen Demenz zu legen. Dieser Fokus ist genau deshalb so wichtig, damit auch in Zukunft dieses wichtige Pflegepotential aufrechterhalten bleiben kann und Nächstenliebe bzw. persönliche Aufopferung nicht zur „Bestrafung“ pflegender Angehöriger wird. Seite 39 7 Literaturverzeichnis Büker, C. 2009, Pflegende Angehörige stärken. 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