Verleihung des Abraham-Geiger-Preises 2013

Werbung
1
Annette Schavan
ABRAHAM-GEIGER-PREIS 2013
Dankrede in Potsdam, 19. März 2013
Die Verleihung des Abraham-Geiger-Preises ist für mich eine große Ehre. Dafür danke ich Ihnen von
Herzen. Mein besonderer Dank gilt Ihnen, lieber Herr Markschies, für Ihre Worte der Würdigung.
Ich freue mich darüber auch deshalb sehr, weil ich damit ein besonderes Zeichen der Anerkennung
und Wertschätzung des Zentrums für Jüdische Studien in Berlin/Brandenburg und der jüdischen
Theologie hier an der Universität in Potsdam verbinde.
Es ist mir in der Tat ein großes Anliegen, der gewachsenen Vielfalt religiöser Überzeugungen in
unserer Gesellschaft auch im Haus der Wissenschaft Rechnung zu tragen. Das steht in dem größeren
Kontext einer Stärkung der Geisteswissenschaften. Vom Jahr der Geisteswissenschaften (2007) bis
zur Veröffentlichung des Rahmenprogramms Geisteswissenschaften zu Beginn des Jahres 2013 hat es
hierzu eine konsequente Entwicklung neuer Initiativen gegeben. Sie waren getragen von der
Überzeugung, die Ernst Wolfgang Böckenförde 2003 so formuliert hat: Geisteswissenschaften
„bewahren, erweitern und vermitteln je von Neuem das Wissen über die eigene Sprache, Geschichte,
Literatur und Kunst, über die Bedingungen und Möglichkeiten des Zusammenlebens von Menschen
in einer Gesellschaft (und) die Vergewisserung und die Beantwortung der Sinn- und Identitätsfrage
der Menschen“ 1).
In dem genannten Zeitraum zwischen 2007 und 2013 wurde das Ernst Ludwig Ehrlich Werk, das
Begabtenförderungswerk für jüdische Studierende, gegründet, und nach 2011 konnten das Zentrum
für Jüdische Studien in Berlin/Brandenburg sowie die vier Zentren für Islamische Studien in Tübingen,
Frankfurt, Münster/Osnabrück und Erlangen/Nürnberg etabliert werden.
Das war die Antwort der Politik auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu den Theologien an
der Universität.
Der andere bedeutende Kontext hat mit Religionsfreiheit zu tun. Sie ist das grundlegende Recht eines
jeden Menschen. So steht es auch im Katalog der grundlegenden Rechte in unserer Verfassung.
Dieses Recht verwirklicht sich auf unterschiedliche Weise – zunächst in der Möglichkeit der freien
Religionsausübung für jeden Bürger und jede Bürgerin. Dann aber – nach meinem Verständnis – auch
durch die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Reflexion von Religion. Die hat seit langem ihren Ort
in evangelisch- und katholisch-theologischen Fakultäten an den Universitäten. Sie haben im Laufe der
Zeit internationale Strahlkraft entwickelt. Ihre Arbeit hat international standardbildend gewirkt. Viele
Theologinnen und Theologen in Afrika und Asien, in Lateinamerika und in den Vereinigten Staaten
haben ihre wissenschaftliche Arbeit in Deutschland begonnen.
2
Jetzt aber – in unserer religiös pluraler gewordenen Gesellschaft – reicht das nicht aus, um der
Religionsfreiheit auch im Haus der Wissenschaft Rechnung zu tragen. Jetzt war es an der Zeit, diese
Tradition auf das Judentum und den Islam sichtbar auszuweiten. Die Hochschule für Jüdische Studien
in Heidelberg existiert bereits seit 1976. Die Wissenschaft vom Judentum hat eine lange und
bedeutende Tradition in Deutschland. Dafür steht Abraham Geiger. Seine Wertschätzung der
wissenschaftlichen Reflexion, seine Forschungen über das Judentum, das Christentum und seine
Koranstudien machen ihn zu einem bedeutenden Wegbereiter des Dialogs der Religionen. Er steht
für das Reformjudentum und den Dialog des Judentums mit der Moderne. Er hat bereits die
Einrichtung einer Fakultät für Jüdische Theologie an einer Universität gefordert. Dem AbrahamGeiger-Kolleg und der Universität hier in Potsdam ist es gelungen, seine damalige Idee umzusetzen.
Wenn der Landtag von Brandenburg das morgen so beschließen sollte, ist das ein großer und
bedeutender Schritt. Diese Fakultät wird vom Zentrum für Jüdische Studien in Berlin/Brandenburg
profitieren.
Die Theologien sind eine Bereicherung für die Universität. Die Universität ermöglicht den Theologien
adäquate Bedingungen für ihre Forschung und die damit verbundene Standardbildung. Sie trägt zur
Internationalisierung der theologischen Forschung bei.
Johannes Heil spricht in einem jüngeren Text von der aufklärenden Wirkung der jüdischen Studien im
Blick auf das kulturelle Selbstverständnis in Europa, wenn er schreibt, dass sie einen wesentlichen
Beitrag zur „Ersetzung eines monokulturellen Konzepts von Europa als ‚christlichem Abendland‘“ 2)
leisten. Er schreibt weiter: „Die Institutionen für jüdische Studien müssen sich darauf einstellen, auch
als Laboratorien künftiger Fachbereiche und als Seismograph sich abzeichnender kultureller und
fachlicher Veränderungen zu wirken“ 3).
Wir wissen heute, dass die oft beschriebenen Prozesse der Säkularisation nicht wirklich zum
Bedeutungsverlust von Religion geführt haben. Religionen sind auch heute in unserem Land die
Quelle kultureller Prägungen und Werte vieler Bürgerinnen und Bürger. Und wir wissen, Herr
Markschies hat darauf aufmerksam gemacht, wie sehr Religion den Raum der wissenschaftlichtheologischen Reflexion in der Universität braucht. Sie braucht ihn, um vor Vereinnahmung und
Verengung bewahrt zu werden. Sie befördert Toleranz als starke, Frieden stiftende Kraft. Sie ist
Wegweiser für den Dialog der Religionen und Konfessionen. Der Glaube braucht das Denken, um sich
treu zu bleiben – davon sind Theologinnen und Theologen überzeugt. Insofern ist die
wissenschaftlich-theologische Reflexion auch geeignet, den Ursprung und die Entwicklung von
Glaubenstraditionen verstehbar zu machen und in den Dialog der Religionen einzubringen. Sie ist
Ausdruck der Treue zur eigenen Tradition und sie ebnet den Weg in den Dialog.
Der Wissenschaftsrat hat mit seinen „Empfehlungen zur Weiterentwicklung von Theologien und
religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Hochschulen“ im Jahre 2010 mit seinem damaligen
Vorsitzenden, Herrn Professor Peter Strohschneider, eine wesentliche Grundlage für die
Entscheidung der Politik geliefert. Dafür bin ich den Mitgliedern des Wissenschaftsrates sehr
dankbar. So konnte die Etablierung der genannten Zentren auf den Weg gebracht werden. Der
3
Wissenschaftsrat stellt fest, „Religion und Kirche stellten über lange Zeit dominante Bezugspunkte
der Universität als Institution dar“ (Vorbemerkung, 5). Er erinnert damit an die Tradition der
europäischen Universität seit dem 12. Jahrhundert. Und er macht die „wachsende Pluralität der
religiösen Bekenntnisse in Deutschland“ (ebenda) zum Ausgangspunkt für seine Empfehlungen.
Religiöse Pluralität in einer modernen Gesellschaft ist anspruchsvoll, weil mehr möglich sein muss als
eine friedliche Koexistenz. Schon die aber verlangt wechselseitiges Verstehen und Toleranz. Damit
sind zugleich Grundlagen für den Dialog der Religionen und das Interesse aneinander benannt. KarlJosef Kuschel aus Tübingen spricht vom Ziel einer „abrahamitischen Ökumene“. Ihre erste
Voraussetzung in modernen Gesellschaften ist es, Religion ernst zu nehmen – eben als Quelle von
kulturellen Prägungen, Grundhaltungen und Werten. Die Theologien des Judentums, des Islam und
des Christentums leisten einen wesentlichen Beitrag, den hohen Erwartungen gerecht werden zu
können. Sie klären und klären auf. Sie befördern Verstehen und Verständnis. Sie fördern nicht allein
das Verständnis der jeweiligen Religion und des damit verbundenen Glaubens. Sie wirken auch
klärend im Blick auf das Verständnis der kulturellen Grundlagen einer Gesellschaft. Auch deshalb
gehört die jüdische Theologie in die Universität, weil das Judentum zum Fundament der westlichen
Zivilisation gehört. Auch darauf hat Abraham Geiger hingewiesen.
So darf ich abschließend meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass nach der Schoah wieder
jüdisches Leben und jüdische Kultur in Berlin und in anderen Städten unseres Landes sich auf
eindrucksvolle Weise entfaltet und die jüdische Theologie in Berlin und hier an der Universität
Potsdam etabliert ist. Abraham Geiger würde das ganz gewiss freuen.
1)
ders.: Die Bedeutung der Geisteswissenschaften im politischen Leben. In: Florian Keisinger u.a. (Hrsg.): Wozu
Geisteswissenschaften? Frankfurt 2003, S 48.
2)
Jüdische Studien als Disziplin. S. 20. in: Johannes Heil, Daniel Krochmalnik. Hrsg.: Jüdische Studien als Disziplin
– Die Disziplinen der Jüdischen Studien. Heidelberg 2010.
3)
ebenda S. 21/22
Herunterladen