Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen Adolf-Reichwein-Str. 2 57068 Siegen & 0271 / 740-2228 [email protected] Forschungsprojekt IH-NRW / Projektregion Rheinisch-Bergischer Kreis Wissenschaftliche Begleitung des Modellprojektes „Selbstbestimmt Leben – Beratungsstelle Persönliches Budget für Bürger mit Behinderung im Rheinisch-Bergischen Kreis“ (PeB) 1. Ausgangssituation: Die Einführung des trägerübergreifenden Persönlichen Budgets Als eines der wichtigsten behindertenpolitischen Reformprojekte gilt derzeit das trägerübergreifende Persönliche Budget nach § 17 SGB IX. Seine Grundidee lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Menschen mit Behinderung wird ein an ihrem individuellen Hilfebedarf orientierter Geldbetrag zur Verfügung gestellt, mit dem sie ihre Unterstützungsleistungen auf einem sich entwickelnden ‚Dienstleistungsmarkt’ selbst ‚einkaufen’ können. Das Persönliche Budget soll Leistungsberechtigte darin unterstützen, ein weitestgehend selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen – sie sollen eigenverantwortlich entscheiden, welche Hilfe sie überhaupt und wann sie diese Hilfen in Anspruch nehmen sowie durch wen. Das Innovationspotential dieses Instrumentes ist zumindest in der Fachdiskussion mittlerweile weitgehend unbestritten. Die bisherigen Erfahrungen mit Persönlichen Budgets im europäischen Ausland, aber auch in verschiedenen deutschen Modellprojekten weisen darauf hin, dass Budgetnehmer erhöhte Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf ihre individuellen Unterstützungsarrangments erleben. Die Möglichkeit, mit Hilfe eines Persönlichen Budget benötigte Leistungen selbst auszuwählen und zu organisieren kann dazu führen, dass sie zufriedener mit ihren Hilfen sind und für sich eine gesteigerte Lebensqualität wahrnehmen. Der Verlauf der verschiedenen Modellprojekte in Deutschland zeigt aber auch, dass sich die Ausgangslage für die praktische Umsetzung des neuen Instrumentes nicht als günstig erweist. So sind für Menschen mit Behinderung im örtlichen Gemeinwesen bei einer insgesamt von stationären Einrichtungen dominierten Angebotslandschaft faktisch kaum Wahlmöglichkeiten in Bezug auf ihre Unterstützungsform vorhanden. Auch gibt es in der Regel keine hinreichende niedrigschwellige Beratungs- und Interessenvertretungsstruktur, die Betroffene bei der Inanspruchnahme Persönlicher Budgets unterstützen könnte. Fragen der Verpreislichung und einer damit möglich werdenden Vergleichbarkeit von Hilfen sind ebenso wie Formen der leistungsträgerübergreifenden Zusammenarbeit im Sinne bedarfsorientierter individueller Hilfen für den Einzelnen nach wie vor weitgehend ungelöst. Auf Seiten der Leistungsträger, Anbieter von Hilfen und auch auf Seiten der Leistungsberechtigten steht man dem neuen Instrument trotz des Rechtsanspruches, der ab dem 1. Januar 2008 bestehen wird, abwartend-zurückhaltend gegenüber. Es verwundert daher nicht, dass das Persönliche Budget bei Menschen mit Behinderung in quantitativer Hinsicht bisher nur auf vergleichsweise geringe Resonanz stößt. Um mehr Menschen mit Behinderung selbst gewählte, individuell-passgenaue Hilfen zu ermöglichen ist es dringend geboten, die Rahmenbedingungen für eine Verwirklichung der positiven Effekte des Persönlichen Budgets zu verbessern. Dies setzt Lernprozesse bei Menschen mit Behinderung als Budgetnehmern, Sozialleistungsträgern und Anbietern von Hilfen voraus. Notwendig erscheinen insbesondere ‚Beispiele guter Praxis’ bzgl. der Umsetzung Persönlicher Budgets, die eine Vorbildfunktion einnehmen und Menschen mit Unterstützungsbedarf, aber auch alle anderen Beteiligten ermutigen, neue Wege in der Erbringung von Hilfen zu beschreiten. -1- Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen 2. Das Modellprojekt „Selbstbestimmt Leben – Beratungsstelle Persönliches Budget für Bürger mit Behinderung im Rheinisch-Bergischen Kreis“ (PeB) Das von der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW geförderte Projekt „Selbstbestimmt Leben – Beratungsstelle Persönliches Budget für Bürger mit Behinderung im Rheinisch-Bergischen Kreis“ (PeB), das zum 1. Januar 2006 an den Start gegangen ist, ist in dem beschriebenen Kontext zu sehen. Es zielt darauf ab, Menschen mit Behinderung die neue Finanzierungsform ‚Persönliches Budget’ zugänglich zu machen. Die gesetzlich vorgesehene Erprobungsphase bis Ende 2007 soll genutzt werden, um bei der Suche nach fachlich angemessenen und wirtschaftlich tragfähigen Lösungen in Bezug auf die Realisierung Persönlicher Budgets auch außerhalb der Regionen der Begleitforschung im Auftrag des Bundesminsteriums zu helfen (vgl. Konzept der Beratungsstelle ‚PeB’, Die Kette e.V. 2006, S. 1f.). Die Beratungsstelle, die bei dem Träger ‚die Kette e.V.’ angesiedelt ist, richtet sich sowohl an Menschen mit Unterstützungsbedarf als Budgetnehmer und ihre Angehörigen als auch an Leistungsanbieter im Rheinisch-Bergischen Kreis (vgl. ebd.). Während der Modellphase soll sich die Tätigkeit der beiden Mitarbeiter der Beratungsstelle darauf konzentrieren, eine Konzeption zur Budgetberatung und -assistenz zu entwickeln, die auf andere Regionen übertragbar ist. Dabei kommen der Öffentlichkeitsarbeit, Gesprächen insbesondere mit Leistungsnehmern und Leistungsträgern und der kostenlosen Budgetberatung für Menschen mit Behinderung große Bedeutung zu. Darüber hinaus beinhaltet das Modellprojekt die Beratung, Schulung und Vernetzung mit Leistungsanbietern im Rheinisch-Bergischen Kreis sowie die Qualifizierung von Budgetassistenten, wozu u.a. die Erarbeitung eines Qualifizierungskonzepts gehört (vgl. ebd., S. 3). Der experimentelle Charakter des Modellprojektes wird ausdrücklich betont (vgl. ebd., S. 2). Es wird angestrebt, dass im Modellzeitraum 150 Menschen mit unterschiedlichsten Unterstützungsbedarfen und Schweregraden der Behinderung die Leistungen der Beratungsstelle in Anspruch nehmen. 3. Das Persönliche Budget im Kontext des Forschungsprojektes „Selbständiges Wohnen behinderter Menschen – Individuelle Hilfen aus einer Hand“ (IH—NRW) Im Zentrum des Projektes „Selbständiges Wohnen behinderter Menschen – Individuelle Hilfen aus einer Hand“ (IH-NRW) steht die Frage, auf welcher Ebene die befristet bei den Landschaftsverbänden zusammengeführte Zuständigkeit für wohnbezogene Leistungen der Eingliederungshilfe dauerhaft angesiedelt werden soll und auf welche Weise am ehesten eine bedarfsgerechte, effektive und kosteneffiziente Hilfe geleistet werden kann, die dem Anspruch behinderter Menschen auf Selbstbestimmung wie auch dem zielgenauen Einsatz von Mitteln der Eingliederungshilfe gerecht wird. Die behindertenpolitischen Zielvorstellungen, die sich mit der befristeten ‚Hochzonung’ der Eingliederungshilfe verbinden, weisen in die gleiche Richtung wie die des Persönlichen Budgets gemäß § 17 SGB IX: Einerseits geht es um die fachlich gebotene Weiterentwicklung des Hilfesystems in Richtung einer stärkeren Personenzentrierung der Hilfen, andererseits um eine höhere Wirtschaftlichkeit in der Ausführung von Leistungen. Es liegt daher im Interesse der Begleitforschung, neben den von den Landschaftsverbänden eingeführten Instrumenten und Verfahren, die zu einer Umsteuerung im Sinne von ‚ambulant vor stationär’ beitragen sollen, auch das Persönliche Budget in den Blick zu nehmen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Frage, wie sich das Persönliche Budget im Kontext der Zuständigkeitsveränderung verhält: Welche Effekte hat das Persönliche Budget in Bezug auf die Zielsetzungen der Zuständigkeitsverlagerung? Das Modellprojekt „Beratungsstelle Persönliches Budget für Bürger mit Behinderung im RheinischBergischen Kreis“ (PeB) bietet zur Bearbeitung dieser Thematik einen Anknüpfungspunkt. -2- Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen 4. Untersuchungsskizze 4.1 Zielsetzung Im Zusammenhang des Forschungsprojektes IH-NRW soll das Modellprojekt „PeB“ wissenschaftlich begleitet werden. Ziel ist es, die Mitarbeiter der Beratungsstelle bei der Evaluation der Wirkungen des Modellprojektes zu unterstützen und dabei Erkenntnisse im Hinblick auf die Effekte des Persönlichen Budgets bezogen auf die Zielsetzungen der ‚Hochzonung’ zu gewinnen. Dabei sollen die Perspektiven der Menschen mit Behinderung als Budgetnehmer, die Perspektiven der Sozialleistungsträger und der Anbieter von Hilfen in die Evaluation einfließen. 4.2 Fragestellungen Die wissenschaftliche Begleitung orientiert sich an den folgenden Fragestellungen: • Inwieweit trägt das Persönliche Budget aus Sicht der Budgetnehmer zu einer größeren Selbstbestimmung über das individuelle Unterstützungsarrangement und zu einer größeren Passgenauigkeit der Hilfen bei? • Wie gehen insbesondere die Sozialhilfeträger, aber auch andere potentiell an einem Persönlichen Budget beteiligte Leistungsträger mit der Anforderung, Persönliche Budgets zu realisieren, um? • Inwieweit reagieren Anbieter von Hilfen auf die neue Finanzierungsform mit einer Veränderung ihrer Angebotsstrukturen (z.B. Verpreislichung von Hilfen, ‚Modularisierung’, ‚Ambulantisierung’)? 4.3 Methodische Vorgehensweise Zur Bearbeitung der o.g. Fragestellungen sollen alle drei angesprochenen Akteursgruppen in eine empirische Untersuchung einbezogen werden. Im ersten Schritt sollen gemeinsam mit der Beratungsstelle ‚PeB’ die erforderlichen Befragungsinstrumente entwickelt werden: • Erfassungsbogen für die Dokumentation und Auswertung von ‚Fallverläufen’ • Gesprächsleitfäden für Interviews mit Budgetnehmer/innen • Gesprächsleitfäden für Interviews mit Leistungssträgern • Fragebogen für leitende Mitarbeiter/innen von Anbietern Im zweiten Schritt sollen die genannten Instrumente zur Erhebung von Daten angewandt werden. Dabei sollen in enger Kooperation mit der Beratungsstelle möglichst viele Einzelfälle anhand der Erfassungsbögen, die im Beratungsprozess von den ‚PeB’-Mitarbeitern angewendet werden, dokumentiert werden. Es schließen sich Interviews mit ausgewählten Budgetnehmer/innen und Mitarbeiter/innen von Leistungsträgern an, die vom ZPE durchgeführt werden. Um ein Gesamtbild zu ermöglichen, sollen vom ZPE mit einer schriftlichen Befragung leitende Mitarbeiter/innen von Anbietern um ihre Einschätzungen zum Persönlichen Budget gebeten werden. Die Auswertung der erhobenen Daten als dritter Schritt erfolgt durch das ZPE. Mit ersten Zwischenergebnissen ist im Sommer 2007 zu rechnen. (Gez. Hanna Weinbach / Dr. Johannes Schädler, im August 2006) -3-