Tagungsbericht - Freie Wohlfahrtspflege NRW

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Dauerbrenner in der sozialpsychiatrischen Diskussion
Die Beteiligung von Betroffenen stand im Mittelpunkt einer Fachtagung
der Wohlfahrtsverbände in Dortmund
Es ist gerade mal 17 Jahre her, da schlossen Patienten der Psychiatrischen Klinik BielefeldBethel die ersten Behandlungsvereinbarungen mit den Ärzten und Pflegekräften der für sie
zuständigen Station ab. Ihr Ziel war es, für mögliche künftige Klinikaufenthalte
Behandlungen festzuschreiben, die gut getan hatten und umgekehrt weniger hilfreiche
Interventionen und Zwangsmaßnahmen auszuschließen. Seit damals sind die
Mitsprachemöglichkeiten für Patienten und Nutzer psychiatrischer Hilfen gewachsen, stellen
sich auch die Träger gemeindepsychiatrischer Hilfsangebote aktiv dem Thema Beteiligung.
So stand die Nutzerbeteiligung denn auch im Mittelpunkt der sozialpsychiatrischen
Fachtagung 2011, die von der Landesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien
Wohlfahrtspflege am vergangenen Mittwoch (15.6.) in Dortmund veranstaltet wurde. Fast 150
Praktiker und Verantwortungsträger gemeindepsychiatrischer Dienste und Einrichtungen
beschäftigten sich einen Tag lang mit den Fragen, welche Haltungen und Strukturen
Beteiligung begünstigen oder behindern und wie Beteiligung auch in kleinen Schritten noch
besser umgesetzt werden kann. „Die Szene ist in Bewegung“, freute sich Susanne Seichter,
Vorsitzende des Ausschusses Hilfen für Menschen mit Behinderungen der
Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände in ihrem Grußwort.
Beteiligung verbessert Hilfen
Je umfassender Patienten an der Planung und Durchführung ihrer eigenen Behandlung
beteiligt würden, desto wirksamer könne diese sein, formulierte Gastredner Thomas Bock
vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf eine wichtige Erkenntnis der Hilfeleister.
Positive Wirkungen attestierte er auch der Einbeziehung geschulter Psychiatrie-Erfahrener in
Beratung, Begleitung und Behandlung anderer Betroffener. In Hamburger Kliniken halten
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Psychiatrie-Erfahrene und Angehörige regelmäßig Sprechstunden für Psychiatrie-Patienten
und ihre Familien ab. Mehr und mehr Träger gemeindepsychiatrischer Angebote beschäftigen
mittlerweile ebenfalls psychiatrieerfahrene Genesungshelfer, die zuvor eine „EX IN“
(Experienced Involved)-Schulung durchlaufen haben. Diese befähigt seit Mitte des
vergangenen Jahrzehnts ihre Absolventen, die eigene Krankheits- und Genesungserfahrung
sowie die anderer Betroffener für Rat- und Hilfesuchende fruchtbar zu machen.
Betroffene, das zeigt sich immer wieder, bereichern die Psychiatrie um ein erweitertes
Verständnis psychischer Störungen und ihre Kenntnis genesungsfördernder Faktoren.
Außerdem machen sie anderen Betroffenen Mut.
Ruth Fricke, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener und in Herford
beheimatet, rühmte in ihrem Grußwort aber auch die Mitwirkung Psychiatrie-Erfahrener in
Gremien wie staatlichen Besuchskommissionen, Beschwerderäten und Klinikbeiräten. Solche
weit reichenden Mitwirkungsmöglichkeiten gebe es allerdings längst nicht überall,
Klinikbeiräte, wie in Gütersloh seien sogar einzigartig.
Was nützt und was schadet
Während der Psychologe Thomas Bock betonte, wie wichtig es für eine gelingende
Beteiligung sei, den psychisch kranken Menschen zuzuhören, sie zu respektieren und ihrem
Verhalten und Erleben Sinn zuzutrauen, ging die Professorin für Sozialwesen Gudrun
Dobslaw vor allem auf förderliche und hinderliche Rahmenbedingungen ein.
Ein schlecht zugängliches Gebäude oder fehlende öffentliche Verkehrsmittel könnten einer
Beteiligung von Betroffenen ebenso im Wege stehen wie abgehobene Fachsprachen, die es
ihnen schwer machten, sich in eine Diskussion einzubringen. Das unterstrich auch Sybille
Prins, Vorsitzende des Bielefelder Psychiatrie-Erfahrenen-Vereins, in einer der
Arbeitsgruppen, die sich am Nachmittag mit verschiedenen Aspekten der Beteiligung
beschäftigten. Zwar würden sie als Erfahrene inzwischen häufig in professionelle Runden
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eingeladen. Aber selten stelle man sich darauf ein, dass die Gäste nicht so vertraut seien mit
den dort üblichen Arbeitsformen und dem Fachjargon.
Auch finanzielle Interessen können die Teilhabe von Psychiatrie-Klienten begrenzen. So
stellte Gudrun Dobslaw fest, der Kostendruck in der Sozialhilfe treibe die Leistungsanbieter
in einen Wettbewerb, der sich oft zu Lasten der Nutzerinteressen auswirke. Ebenfalls
finanzielles Kalkül sei für die vielfältigen Widerstände gegen das Persönliche Budget
verantwortlich, die es auch in der gemeindepsychiatrischen Szene gebe. Denn das Persönliche
Budget erlaubt den Psychiatrienutzern weitgehend, gewünschte Leistungen auch einzeln aus
den festgezurrten Angebotspaletten der Dienste einzukaufen und ihr Budget auch für
unorthodoxe Hilfen ganz jenseits der Psychiatrie auszugeben.
Auch im Plenum wurde Kritik an einer noch unzureichenden Beteiligungspraxis laut. In
Hilfeplankonferenzen würden den Klienten mitunter wenig hilfreiche Fragen gestellt und am
Ende auch noch über ihren Kopf hinweg entschieden, bemängelte ein Tagungsteilnehmer.
Generationenaufgabe
Immerhin sei man aber schon wichtige Schritte auf dem Weg zu einem Selbstbestimmten
Leben für Menschen mit psychischen Erkrankungen gegangen, stellte Susanne Seichter fest.
Die Bevorzugung ambulanter Unterstützung vor stationären Hilfen sei so ein Fortschritt und
auch die Tatsache, dass sich die Hilfeplanung und Leistungserbringung heute weit mehr als in
der Vergangenheit am zu unterstützenden Menschen und seinem Bedarf ausrichte. Darin, dass
trotzdem noch viel zu tun ist, war sie sich mit vielen anderen Rednern einig.
„Inklusion und Partizipation, das ist ein Begriffspaar, dessen Realisierung sicher eine
Generationenaufgabe ist.“
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