Nationales Forum für Engagement und Partizipation Engagement ermöglichen – Strukturen gestalten Handlungsempfehlungen für eine nationale Engagementstrategie Nationales Forum für Engagement und Partizipation Band 3 ISBN: 978-3-00-031931-0 Inhaltsverzeichnis 3 5 6 Editorial Geleitwort, Staatssekretär Josef Hecken (BMFSFJ) Einleitung, Dr. Serge Embacher (BBE) Plenum am 25. März 2010 10 13 16 Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung einer Nationalen Engagementstrategie, Dieter Hackler (BMFSFJ) Begrüßung durch den Vorsitzenden des BBE-Sprecherrates Prof. Dr. Thomas Olk Podiumsdiskussion Dialogforen Dialogforum „Reform des Zuwendungsrechts“ 25 26 29 Bericht: Regeln vereinfachen – Gestaltungsfreiheit schaffen Ergebnisse Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Zuwendungsrechts (Kurzfassung) Dialogforum „Weiterentwicklung der Freiwilligendienste“ 33 35 40 48 49 53 55 Bericht: Vielfalt unter einem Dach Ergebnisse Uwe Slüter: Kurzgutachten „Mögliche Rahmenbedingungen für ein Freiwilligendienstestatusgesetz (FWDStG)“ Dr. Nicole D. Schmidt: Thesen „Zur Zielgruppe Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen“ Susanne Huth: Thesen „Zum freiwilligen Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund. Zum Begriff ‚benachteiligte Jugendliche‘“ Prof. Dr. Gisela Jakob: Thesen „Überlegungen zu einem Freiwilligendienstestatusgesetz“ Christiane Richter: Thesen „Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für Seniorinnen und Senioren im Freiwilligendienst“ Dialogforum „Bildung und bürgerschaftliches Engagement“ 57 58 62 73 Bericht: Engagement – Möglichkeiten – Bilden Ergebnisse Birger Hartnuß: Kurzgutachten „Schulöffnung und bürgerschaftliches Engagement“ Prof. Dr. Thomas Rauschenbach: Kurzgutachten „Engagement und Bildung“ Dialogforum „Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement“ 87 88 92 Bericht: Erwerbsarbeit und Engagement aufeinander abstimmen; Chancen, Hindernisse, Gefahren Ergebnisse Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.: Expertise „Engagement und Erwerbsarbeit. Bürgerschaftliches Engagement, Erwerbsarbeit, Arbeitsmarktpolitik und neue Rahmenbedingungen: Herausforderungen und Wechselwirkungen“ 1 Dialogforum „Infrastrukturförderung“ 113 114 117 134 148 Bericht: Vernetzen und Abstimmen – Wer macht was? Ergebnisse Dr. Thomas Röbke/Prof. Dr. Gisela Jakob: Gutachten „Engagementförderung als Infrastrukturförderung“ Prof. Dr. Hans-Jürgen Dahme/Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt: Gutachten „Engagementpolitik als Infrastrukturförderung - zur engagementpolitischen Bedeutung und Entwicklung von Verbänden im Sozialsektor“ Prof. Dr. Elisabeth Bubolz-Lutz: Thesen „Öffentliche Förderung der Infrastruktureinrichtungen der Engagementförderung“ Dialogforum „Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship“ 151 152 155 Bericht: Partnerschaften strategisch entwickeln Ergebnisse Peter Kromminga/Dr. Reinhard Lang: Gutachten „Gemeinnützige Mittler als Katalysatoren für Unternehmensengagement“ Anhang 158 170 172 Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Weitere Publikationen des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation Impressum Herausgeber: Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) Michaelkirchstr. 17/18, 10179 Berlin V.i.S.d.P.: PD Dr. Ansgar Klein, Geschäftsführer des BBE Redaktion: Dr. Serge Embacher, Ina Bömelburg, Tobias Quednau Layout und Satz: Regina Vierkant Fotos: Frank-Michael Arndt Druck: Druckhaus Köthen, Köthen Koordinierungsstelle Nationales Forum für Engagement und Partizipation Dr. Serge Embacher (Projektleitung), Ina Bömelburg, Tobias Quednau, Benjamin Reitz Telefon: 030 - 6 29 80 625, Telefax: 030 - 6 29 80 152 E-Mail: [email protected], Internet: www.b-b-e.de/nationales-forum/ Berlin Juli 2010 ISBN: 978-3-00-031931-0 Das Nationale Forum für Engagement und Partizipation wird gefördert vom Träger der BBE-Geschäftsstelle ist der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. 2 Editorial Als sich im Frühjahr 2010 über 300 Expertinnen und Experten zu zwei Kongressen im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages versammelten, um in zehn Dialogforen über Möglichkeiten einer nationalen Engagementstrategie zu beraten, konnten wir nur hoffen, was sich im Nachhinein bestätigt hat: Das Nationale Forum für Engagement und Partizipation ist durch seine fachpolitischen Beiträge zu einer wichtigen Beratungsinstanz für die Engagementpolitik des Bundes geworden. mal in Zeiten der allfälligen Krise – die Chance, sich im Rahmen des engagementpolitischen Prozesses zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu bekennen. Die Bürgergesellschaft schließlich kann ihre Impulse und Ideen direkt in den politischen Prozess einbringen und ist dabei auch ‘genötigt’, ihre Ideen und Forderungen einem Realitätstest zu unterziehen. Durch die breite Einbindung der organisierten Bürgergesellschaft ist eine wichtige Bedingung für gelingende Engagementpolitik erfüllt worden. Die Stärkung der Rahmenbedingungen für die Entfaltung der Bürgergesellschaft und des bürgerschaftlichen Engagements kann nämlich nur unter Einbeziehung der Betroffenen glücken. Bürgerbeteiligung ist ein Kernelement von Engagementpolitik. Die systematische Einbindung von engagementfördernden Unternehmen und Wirtschaftsverbänden sowie die intensive Mitwirkung von Bund, Ländern und Kommunen im Forumsprozess machen deutlich, dass die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements und die Entwicklung guter Rahmenbedingungen die enge Kooperation mit Politik und Wirtschaft erfordert. Man sieht also, dass es sich beim Nationalen Forum für Engagement und Partizipation um ein anspruchsvolles Format der Begleitung und Vorbereitung von engagementpolitischen Entscheidungen handelt. Das Offene und Experimentelle dieses Formats ist kein Makel, sondern ein Beitrag zur Vitalisierung des demokratischen Gemeinwesens, das vom ergebnisoffenen Diskurs lebt. Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE), in dem sich die Akteure aus Bürgergesellschaft, Wirtschaft, Staat und Kommunen zum Zwecke der Engagementförderung vernetzen, kann all seine Erfahrungen in der trisektoralen Netzwerkarbeit als Veranstalter des Forums nutzen und damit seine Veranstalterrolle für das Forum auch weiterhin optimal wahrnehmen. Die schon seit vielen Jahren im Netzwerk versammelte Expertise kommt Dank seiner Veranstalterrolle für das Nationale Forum für Engagement und Partizipation noch besser als bislang zur Geltung. Vor diesem Hintergrund ist das Nationale Forum für Engagement und Partizipation ein spannendes Governance-Experiment mit offenem Ausgang. Hier wird versucht, die Entwicklung einer nationalen Engagementstrategie als einen Aushandlungsprozess zwischen allen Beteiligten zu organisieren. Dabei ist jede Seite auf je eigene Weise beteiligt. Die föderalen Ebenen des Staates – also Bund, Länder und Kommunen – nutzen bei der Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen die Expertise der Engagierten vor Ort und stehen überdies in der Verantwortung, sich sachgerecht im Hinblick auf Arbeits- und Verantwortungsteilung abzustimmen. Die Wirtschaft hat – zu- Mit dem vorliegenden dritten Band unserer Publikationsreihe dokumentieren wir den Auftaktkongress des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation für die laufende 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages am 25. März 2010 sowie die sechs Dialogforen vom April 2010 zu den Themenfeldern Reform des Zuwendungsrechts, Zukunft der Freiwilligendienste, Bildung und bürgerschaftliches Engagement, Erwerbsarbeit und Engagement, Infrastrukturförderung und Corporate Citizenship (Unternehmen in der Bürgergesellschaft). Damit erhalten die Leserin und der Leser einen guten Einblick in den aktuellen Entwicklungsstand der Diskussion um die nationale Engagementstrategie. 3 Editorial Auch die Koordinierungsstelle des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation betrachtet ihre Arbeit als einen kontinuierlichen Lernprozess. Daher sind wir dankbar für Kritik und Anregungen und würden es begrüßen, wenn Sie uns – wie nun schon seit über einem Jahr – auch weiterhin konstruktiv und kritisch begleiten. Darüber hinaus gilt unser Dank dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die großzügige Förderung des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation sowie allen engagierten Menschen, die sich bislang in den Prozess des Aufbaus der nationalen Engagementstrategie eingebracht haben. Bürgerschaftliches Engagement ist ein zentrales Element des demokratischen Gemeinwesens. Auf bald im Nationalen Forum für Engagement und Partizipation! Eine erste Gelegenheit dazu bietet der zugangsoffene Diskurs zu den vorliegenden Zwischenergebnisses des Forums im Internet im Herbst diesen Jahres. Prof. Dr. Thomas Olk (Vorsitzender des Sprecherrats des BBE) PD Dr. Ansgar Klein (Geschäftsführer des BBE) Dr. Serge Embacher (Leiter der Koordinierungsstelle des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation) 4 Geleitwort Wir haben uns in der Engagementpolitik in dieser Legislaturperiode ein großes Ziel gesetzt: die Entwicklung und Umsetzung einer nationalen Engagementstrategie. Die beeindruckende Vielfalt des bürgerschaftlichen Engagements vor Ort, das sich in Nachbarschaftsheimen, Freiwilligenagenturen, Mehrgenerationenhäusern, im Sportverein, in Bürgerinitiativen, in Sozialunternehmen, im Hospiz oder bei der Freiwilligen Feuerwehr zeigt, soll weiter gefördert und ausgebaut werden. Um dies wirksam voranzutreiben, will die Bundesregierung unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die engagementpolitischen Aktivitäten in den verschiedenen Ressorts und in Partnerschaft mit Ländern und Kommunen eine gemeinsame Strategie entwickeln. Das heißt nicht, dass Bürgerschaftliches Engagement vereinheitlicht oder „verregelt“ werden soll. Vielmehr verfolgen wir die Absicht, der mit der Vielfalt des Engagements zugleich anwachsenden Vielfalt engagementpolitischer Ansätze eine strategische Perspektive zu geben. Hier kann der Bund in seiner gesamtstaatlichen Verantwortung aktiv werden. unterschiedlichen Akteure des Engagements und der Engagementpolitik zu motivieren, sich auf eine echte Partnerschaft einzulassen. Die nationale Engamenstrategie als öffentlichen, transparenten und dialogischen Prozess zu etablieren und zu verstetigen, wird in der laufenden Legislaturperiode unser Ziel sein. Dabei gilt schon heute unser Dank den vielen engagierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern an den vom Nationalen Forum für Engagement und Partizipation (NFEP) ausgerichteten sechs Dialogforen im Frühling dieses Jahres. Die in den Foren versammelte Expertise, aber auch die spürbare Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme haben wesentlich dazu beigetragen, dass das Nationale Forum dem BMFSFJ wichtige Empfehlungen für eine nationale Engagementstrategie aufzeigen konnte. Josef Hecken, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ein wichtiges Merkmal dieser Strategie wird darin bestehen, dass wir sie gemeinsam mit der Bürgergesellschaft entwickeln werden. Durch ihre Teilhabe leistet sie einen bedeutenden Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie. Die zahlreichen Initiativen, Vereine und Verbände der organisierten Bürgergesellschaft und des dritten Sektors, aber auch die engagierten Unternehmen sowie die zahlreichen Stiftungen und Bürgerstiftungen sind wichtige und unabdingbare Akteure für eine erfolgreiche Umsetzung einer solchen Strategie. Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass ein kooperatives und von einer neuen Verantwortungsteilung geprägtes Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und Bürgergesellschaft hierbei von Bedeutung ist. In diesem Sinne ist der Beteiligungsprozess in den Dialogforen ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Eine ständige Herausforderung besteht darin, die 5 Einleitung Engagement ermöglichen – Strukturen gestalten: Chancen für die Bürgergesellschaft Das freiwillige Engagement von Bürgerinnen und Bürgern leistet einen unschätzbaren Beitrag zur Vitalisierung der Demokratie. Das demokratische Gemeinwesen lebt von Menschen, die sich aktiv für seine Ausgestaltung einsetzen und damit den rechtsstaatlich garantierten Freiheitsrechten, wie sie in Artikel 1-19 des Grundgesetzes beschrieben sind, reale Bedeutung geben. Was Freiheit sei, wird durch staatsbürgerliches Handeln erst richtig definiert und damit lebendig. Darin liegt der selten thematisierte eigentliche „Wert“ des bürgerschaftlichen Engagements – dass private Freiheitsrechte ihrer wahre Bedeutung erst erlangen, wenn sie von ihren Trägern zugleich als öffentliche Freiheitsrechte begriffen und im Engagement gelebt werden. Daraus ergibt sich auch der Umstand, dass Engagement und Teilhabe zwei Seiten derselben Medaille sind, da derjenige, der sich in der Bürgergesellschaft aus freien Stücken engagiert, daraus auch das Bedürfnis – nicht unbedingt den Anspruch – entwickelt, über die Dinge des Gemeinwesens mitbestimmen zu wollen. Alle Versuche, diese genuin politische Dimension des Engagements negieren und das Engagement auf die Rolle des Ehrenamts reduzieren zu wollen, gehen an einer avancierten Idee von Bürgergesellschaft vorbei. Um diese Idee in den Blick zu bekommen, lohnt es sich, zunächst das spezifische Demokratieverständnis zu klären, das dafür am besten geeignet ist. Demokratie ist ja nicht bloß ein Verfahren, um legitime politische Entscheidungen herbeizuführen. Entscheidend ist vielmehr die Qualität des demokratischen Verfahrens und damit auch der von ihm produzierten Entscheidungen. Pflanzen sich in ihm Autorität und Willkür und damit die Macht der Interessen fort, getarnt unter dem Mantel des korrekten Verfahrens? Oder entwickelt es sich in einem prozesshaften und stets falliblen Werden in Richtung einer deliberativen (beratschlagenden), also von freier Rede und offener Meinungsbildung bestimmten Demokratie? 6 Ohne Mühe lässt sich in der damit angedeuteten Bandbreite der Möglichkeiten die deliberative Demokratie als die der Bürgergesellschaft angemessenste auszeichnen. In der deliberativen Demokratie wird der politische Prozess selbst zum Grundbaustein für die demokratische Ordnung. Demokratie wird als die untrennbare Einheit von öffentlicher Meinungsbildung und freier Entscheidungsfindung wahrgenommen. Erst wenn jene nach Kriterien der Offenheit, Transparenz, Fairness und Inklusion ausgerichtet ist, kann diese volle Legitimität für sich beanspruchen. Akzeptanz und Folgebereitschaft hängen bei demokratischen Entscheidungen wesentlich vom vorangegangenen Prozess der öffentlichen Deliberation, dem vorbehaltlosen Ringen um das bessere Argument, ab. Das Prinzip der Volkssouveränität, welches nicht auf regelmäßige freie Wahlen beschränkt bleiben darf, findet somit erst im aktiven demokratischen Engagement von Bürgerinnen und Bürgern seinen adäquaten Ausdruck. Demokratische Politik im diesem deliberativen Sinne ist als Prozess einer kollektiven Aneignung des Gemeinwesens zu verstehen, bei dem sich aktive Bürgerinnen und Bürger darüber bewusst werden, dass die Gestaltung gesellschaftlicher Zustände ihre eigene Angelegenheit ist und es daher auf ihr persönliches Engagement ankommt. Private Freiheit wird in dieser Perspektive – wie bereits erwähnt – immer auch als öffentliche Freiheit gesehen, sich für das Gemeinwohl zu engagieren. Die Voraussetzungen für eine solch anspruchsvolle demokratische Beteiligungskultur sind heute durchaus gegeben. Die über 23 Millionen bürgerschaftlich Engagierten in Deutschland stehen für eine neue Beteiligungskultur, die auch (und vor allem) demokratiepolitisch relevant ist. Allerdings kommt es darauf an, geeignete Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement zu gestalten, um das bürgerschaftliche Einleitung Engagement als Element des demokratischen Prozesses zu ermöglichen und zu fördern. Vor diesem demokratiepolitischen Hintergrund stellt das Nationale Forum für Engagement und Partizipation (NFEP) den anspruchsvollen und keineswegs als Selbstläufer firmierenden Versuch dar, auf Bundesebene einen neuartigen Governance-Prozess in Gang zu bringen. Governance als Gegenbegriff zu Government (engl. für „Regierung“) steht dabei für ein neues Staatsverständnis – ein Verständnis, das von der Einsicht getragen ist, dass die Qualität politischer Prozesse umso besser ist, je stärker der Aspekt der deliberativen Beteiligung darin berücksichtigt ist. Dabei ist Engagementpolitik nur ein kleiner – aber eben bedeutsamer – Ausschnitt, in dem sich deliberative Demokratie initiieren und motivieren lässt. Die nationale Engagementstrategie könnte zu einem Experimentierfeld für ein neues Politikverständnis werden, bei dem es ganz zentral um demokratische Teilhabe und freien Diskurs geht, bevor die durch Wahlen legitimierten Instanzen – Regierungen und Parlamente – entscheiden. Was immer sie entscheiden, ihre Entscheidungen werden umso besser sein, je stärker sie von einem deliberativ geprägten Demokratieverständnis angeleitet werden. Das NFEP hat nun die ganz spezifische und demokratiepolitisch relevante Aufgabe, die Entwicklung einer nationalen Engagementstrategie – bei der es um Fragen des Zuwendungsrechts und Infrastruktur für Engagement ebenso geht wie um die Themen Bildung, Integration, Pflege, Arbeitsmarktpolitik und Unternehmensengagement – durch die Organisation eines Fachdiskurses mit Expertise aus der Bürgergesellschaft anzureichern. Dabei kommt es vor allem darauf an, die verschiedenen relevanten Bereiche, die föderalen Ebenen des Staates ebenso wie Wirtschaft und Bürgergesellschaft, gleichermaßen einzubinden. Damit eine nationale Engagementstrategie tatsächlich zur Strategie werden kann, ist im Idealfall ein Umdenken erforderlich, bei dem „alte Zöpfe“ abgeschnitten und neue Strukturen ersonnen werden müssen. Dazu gehört auch, dass Phasen der Entscheidung sich mit solchen der partizipativen Deliberation abwechseln, wozu vor allem moderne Beteiligungsformen via Internet wichtig sind. Mit der für den Herbst 2010 geplanten Online-Beteiligungsphase im WEB2.0-Format versucht das NFEP, auch diesem Erfordernis gerecht zu werden. Der vorliegende dritte Band der Dokumentationsreihe des NFEP, den die Koordinierungsstelle beim Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) nunmehr vorlegt, hält nun den aktuellen Stand der Dinge bei der Entwicklung der Engagementpolitik auf Bundesebene fest. Zur Erinnerung: Im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung vom Herbst 2009 ist die Weiterentwicklung und Umsetzung einer nationalen Engagementstrategie ausdrücklich festgeschrieben. Die Koordinierungsstelle des NFEP hat daraufhin die Ergebnisse der Beratungen aus dem letzten Jahr (s. Bd. 1 u. 2 der Dokumentationsreihe) aufgegriffen, um die nächsten Schritte zu gehen: Am 25. März 2010 fand in der Humboldt Viadrina School of Governance in Berlin ein Auftaktkongress für die laufende Wahlperiode statt. In seiner Begrüßungsrede stellte dabei Prof. Dr. Thomas Olk, Vorsitzender des Sprecherrats des BBE, die Bedeutung des Prozesses und der Aushandlung bei der Weiterentwicklung der Engagementpolitik heraus. Dieter Hackler, im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) verantwortlicher Abteilungsleiter für Engagementpolitik, unterstrich in seiner Rede die Bedeutung der nationalen Engagementstrategie aus Sicht der Bundesregierung und hob hervor, dass eine zeitgemäße Engagementpolitik nicht „top down“, sondern nur unter aktiver Mitwirkung der Bürgergesellschaft entstehen könne. Auf einem mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Staat, Wirtschaft und Bürgergesellschaft besetzten Podium wurde anschließend über Woher und Wohin der Engagementpolitik diskutiert und eine aktuelle Bestandsaufnahme präsentiert. Alle Beiträge sind im vorliegenden Band dokumentiert. Ebenfalls dokumentiert sind die sechs jeweils eintägigen Dialogforen, die im April 2010 an wechselnden Orten in Berlin stattfanden und sich mit folgenden Themen beschäftigten; • Zuwendungsrecht, • Freiwilligendienste, • Bildung, • Arbeitsmarktpolitik/Erwerbsarbeit, • Infrastruktur, • Unternehmen in der Bürgergesellschaft. Diese Foren, die jeweils mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Bürgergesellschaft und Wissenschaft besetzt waren, hatten die Aufgabe, die Ergebnisse der beiden Kongresse aus dem Jahr 2009 aufzugreifen und die aktuellen Probleme und Herausforderungen in der Engagementpolitik zu diskutieren, zu bündeln und mit Handlungsempfehlungen zu versehen, die in möglichst konzisen Ergebnispapieren zusammengefasst werden sollten. Die Dialogforen waren lebhafte Veranstaltungen, bei 7 Einleitung denen sehr engagiert diskutiert und gestritten wurde. Allen Teilnehmenden gilt unser Dank und unser Respekt angesichts der Geduld, die solche „diskursiven Großveranstaltungen“ jedem einzelnen abverlangen. Am Ende jedes Dialogforums stand ein mehrseitiges Papier mit Handlungsempfehlungen für die konkrete Ausgestaltung der Engagementstrategie. Im vorliegenden Band sind die Dialogforen so aufbereitet, dass neben dem Ergebnispapier auch ein kurzer Bericht über die wichtigsten Punkte, die von der Koordinierungsstelle vorher in Auftrag gegebenen und allen Teilnehmenden vorgelegten Gutachten sowie thematische Stellungnahmen angedruckt sind. Mit Hilfe dieser Dokumente ist es möglich, eine genaue Vorstellung vom Stand der Dinge zu erlangen. Die Ergebnispapiere aller Dialogforen – insgesamt über 30 Seiten engagementpolitische Problembeschreibungen und Handlungsempfehlungen – hat die Koordinierungsstelle des NFEP Anfang Mai 2010 dem BMFSFJ übergeben. Dort wurden sie gesichtet und als Grundlage für einen im Herbst 2010 geplanten Kabinettsbeschluss der Bundesregierung verwendet. Dieser Beschluss wird einen weiteren Meilenstein darstellen und seinerseits den Anstoß für die Weiterentwicklung der nationalen Engagementstrategie geben. Denn das Wesen dieser Strategie besteht im Prozess selbst. Dauerhafte Fortschritte lassen sich in der Engagementpolitik nur erzielen und sichern, wenn sie auf einem Prozess der Beratschlagung und gleichberechtigten Teilhabe basiert. Dieser Prozess ist fallibel und gelegentlich auch störanfällig. Doch sollte das nicht dazu führen, ihn in Frage zu stellen. Zum Modell des deliberativen Austauschs gibt es in der von Vielfalt und Heterogenität geprägten demokratischen Gesellschaft heute keine sinnvolle Alternative. Die beteiligten Akteure müssen sich dauerhaft darauf einstellen, neue Kooperationsverhältnisse einzugehen und an einer neuen Aufgaben- und Verantwortungsteilung zu arbeiten. Das berührt vor allem das Verhältnis des Staates zu einer heute immer selbstbewusster gewordenen Bürgergesellschaft. Um die neuen Facetten und Aspekte in diesem Verhältnis zu beleuchten, hat der Europarat im vergangenen Jahr im Zusammenspiel mit europäischen Nicht-Regierungsorganisationen einen Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess (Code of Good Practice for Civil Participation in the Decision Making Process) verabschiedet. Dort werden die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Staat und Bürgergesellschaft an spezifische Diskurs- und Verfahrensregeln geknüpft, die den politischen Prozess transparenter und inklusiver machen sollen. Die Dokumentation dieses Kodexes bildet den Abschluss des vorliegenden Bandes. 8 Zum Abschluss möchte ich der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass der Prozess der Entwicklung einer nationalen Engagementstrategie auch weiterhin von großer Dynamik, zupackenden Menschen und wegweisenden Beschlüssen gekennzeichnet sein möge. Es geht dabei auch um die Zukunft des demokratischen Gemeinwesens, und das sollte uns jede Anstrengung wert sein. Wie auch immer man die ganze Sache bewerten mag – am Ende geht es nicht ohne fleißige Helferinnen und Helfer, die sich der Sache verschreiben und dabei auch bereit sind, über die Grenzen des eigentlich Zumutbaren zu gehen. Mein Dank gilt Ina Bömelburg, Tobias Quednau, Benjamin Reitz und Christine Dehne, meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Koordinierungsstelle, ohne die das alles nicht funktionieren würde. Schließlich sei auch Regina Vierkant für die umsichtige und gewissenhafte Gestaltung des vorliegenden Berichts gedankt. Serge Embacher, im sehr heißen Sommer 2010 Plenum am 25. März 2010 Hackler - Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung Dieter Hackler, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung einer Nationalen Engagementstrategie Sehr geehrter Herr Professor Olk, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, meine sehr geehrten Damen und Herren, „Kein Problem der Welt wird gelöst, wenn wir nur träge darauf warten, bis ein Zuständiger sich darum kümmert.“ Das hat der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King einmal gesagt. Ich würde sogar noch weiter gehen: Ohne die Kreativität und ohne die Eigeninitiative des Einzelnen ist Fortschritt – in welchem Bereich auch immer – überhaupt nicht denkbar! Aber mit Kreativität und Eigeninitiative ist das natürlich so eine Sache: Das lässt sich nicht per Dekret verordnen oder gar steuern! Wir können nur den Nährboden schaffen, in dem Kreativität und Eigeninitiative gedeihen – ein Umfeld, in dem Menschen sich beteiligen wollen, sich verantwortlich fühlen und aus eigener Motivation heraus aktiv werden. Genau deshalb sind wir heute hier. „Wir“ – das sind Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Politik. „Wir“ – das sind ganz unterschiedliche Perspektiven auf bürgerschaftliches Engagement, von denen unser gemeinsames Ziel nur profitieren kann. Dieses Ziel ist eine Nationale Engagementstrategie. Herzlichen Dank, dass Sie hier sind, und herzlich willkommen hier im Robert-Koch-Saal der HumboldtViadrina School of Governance! Die Wahl des Ortes sollten wir durchaus programmatisch verstehen: Gestern vor 118 Jahren, am 24. März 1882, hat Robert Koch hier in einem benachbarten Saal eine Entdeckung bekannt gegeben, die die Welt veränderte: die Entdeckung des Tuberkulose-Bakteriums. Damals war die Tuberkulose in Europa weit verbreitet. In der Altersgruppe der 15- bis 40-jährigen ging damals jeder zweite Todesfall auf Tuberkulose zurück. Mit massiven volkswirtschaftlichen Folgen: Denn diese Menschen fehlten als Arbeitskräfte. Der Mediziner und spätere Nobelpreisträger Robert Koch hat eine Menge Zeit, Energie und Herzblut in 10 die Lösung dieses Problems investiert. Nicht weil er sich „zuständig“ fühlte – um noch einmal das Zitat von Martin Luther King aufzugreifen. Nein, er widmete sich deshalb so intensiv diesem Problem, weil er schlicht und einfach ein leidenschaftlicher Forscher und Mediziner war. Die meisten Menschen haben eine solche Leidenschaft – etwas, wofür sie sich vorbehaltlos begeistern und für das ihnen keine Mühe zu groß und kein Weg zu weit scheint. Mit diesen Kräften können wir eine Menge Gutes bewegen. Wie wir diese Kräfte aktivieren und bündeln, wie wir Menschen motivieren, ihre Fähigkeiten, Talente, Neigungen und Interessen einzubringen, wie wir Netzwerke schmieden zwischen Zivilgesellschaft, Unternehmen und Staat – all diese Fragen werden bei der Entwicklung einer Nationalen Engagementstrategie für unser Land eine Rolle spielen. Und weil eine Strategie immer nur so gut ist wie ihre Umsetzung, darf gerade eine Engagementstrategie nicht fernab der gesellschaftlichen Probleme am Reißbrett entstehen! Sie muss aus der lebendigen Vielfalt des Engagements heraus entstehen. Wenn wir uns zur Umsetzung unserer Engagementstrategie verantwortungsbewusste und eigeninitiativ handelnde Bürgerinnen und Bürger wünschen, dann müssen wir ihrer Eigeninitiative und ihrer Verantwortung schon bei der Strategieentwicklung durch Mitgestaltungsmöglichkeiten Raum geben. Das ist die Idee. Die breite Beteiligung der Zivilgesellschaft ist also gewissermaßen schon Teil der Strategie: • Dadurch fließen die Erfahrungen der Menschen ein, die sich engagieren. • Dadurch nutzen wir die schöpferische Kraft der Bürgerinnen und Bürger. • Dadurch gewinnen wir schon bei der Planung den nötigen Rückenwind für die Umsetzung. • Und dadurch stärken wir unsere Demokratie. Hackler - Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung Meine Damen und Herren, eine Demokratie ist nur so stark wie ihre Zivilgesellschaft unabhängig ist. Deshalb erhoffe ich mir eine Strategie, die die Zielgruppen befähigt, selbst zum Akteur, zum aktiven Problemlöser zu werden; eine Strategie, die den Engagierten Rahmenbedingungen bietet, die ihnen erlauben, sich mit ihren ganz speziellen Fähigkeiten als aktive Problemlöser in die Gesellschaft einzubringen; eine Strategie, die verantwortungsbewusst mit der wertvollen Ressource Zeit unserer Engagierten umgeht und sicherstellt, dass diese Ressource so wertschöpfend wie möglich eingesetzt wird; Jeder Bürger unseres Landes soll sich dort einbringen können, wo genau seine Fähigkeiten und Talente gefragt sind. Das kann dort sein, wo es vor allem auf Herzenswärme und Hilfsbereitschaft ankommt. Was würden wir ohne die vielen Helferinnen und Helfer in Suppenküchen, Jugendzentren oder Seniorentreffs tun, um nur einige zu nennen! Andere wiederum stellen ihre herausragenden, beruflichen Qualifikationen in ihrer Freizeit in den Dienst einer guten Sache: die Rechtsanwältin, die ein kostenloses Gutachten für eine Flüchtlingsfamilie erstellt, der Musiklehrer, der sozial benachteiligten Kindern kostenlos Klavierunterricht anbietet oder die Schriftstellerin, die älteren Menschen bei der Aufzeichnung ihrer Erinnerungen hilft. Wo immer Menschen sich Zeit für Verantwortung nehmen, bleibt der Zusammenhalt unserer Gesellschaft intakt! Daran kann man manchmal den Glauben verlieren. Wenn man die Zeitung aufschlägt, dann hat man ja oft den Eindruck, dass der Ellenbogen zunehmend unser gesellschaftliches Zusammenleben bestimmt. Und dann liest man immer wieder von Menschen, die die Welt mit ihrem Engagement ein Stück besser machen. • Judy Korn halbiert mit ihrem Violence Prevention Network die Rückfallquote strafffälliger Jugendlicher und spart dem Staat damit etwa 20.000 Euro für jeden vermiedenen Rückfall; • Murat Vural sorgt mit seinem Interkulturellen Bildungs- und Förderverein dafür, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund füreinander Verantwortung auf ihrem Bildungsweg übernehmen; • Andreas Heinicke bringt mit seiner Idee zum „Dialog im Dunkeln“ mittlerweile über 6000 blinde Menschen in über 30 Ländern in Arbeit, indem er sie befähigt, Sehende durch Ausstellungen im Dunkeln zu führen. Noch viele weitere Namen könnte man an dieser Stelle nennen! Denn solche Ideen gibt es überall in unserem Land. Ich möchte, dass wir sie aufspüren, fördern und ihnen erlauben, ihre Kraft zu entfalten. Ich möchte erprobte und wirksame Lösungsansätze als Modelllösungen vervielfältigen, um sie für die gesamte Gesellschaft nutzbar zu machen. Dabei helfen uns auch Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer, die mit viel Pioniergeist und Kreativität aus einem sozialen Projekt eine rentable Geschäftsidee entwickeln, so wie die Sozialunternehmerin Katja Urbatsch, die im Dezember 2009 für ihr Projekt „Arbeiterkind“ den Deutschen Engagementpreis erhalten hat. Motiviert durch ihre eigene Biografie hat sie ein Mentorensystem entwickelt: Es zeigt Kindern aus nicht-akademischen Familien Bildungsperspektiven auf, ermutigt sie zum Bildungsaufstieg und unterstützt sie auf ihrem Weg zu einem erfolgreichen Studium. Mittlerweile helfen über 1000 Mentorinnen und Mentoren in 70 Ortsgruppen jungen Menschen bei ihrem Ziel, als erste ihrer Familien einen Hochschulabschluss zu erlangen. Diejenigen, die dieses Ziel erreichen, ermutigen andere allein schon durch ihr Vorbild. Viele werden ihrerseits Menschen in ähnlicher Situation helfen. Das zeigt: Solche Ideen erzeugen Multiplikatoreffekte. Wie ein Stein, der ins Wasser fällt, versetzen sie ihr Umfeld in Bewegung! Meine Damen und Herren, unsere Nationale Engagementstrategie soll die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus mehr solche dynamische und wirksame Lösungen sozialer Probleme entstehen! Gut 23 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland. Das sind sehr viele. Aber wir wissen aus Umfragen, dass die Zahl derer, die grundsätzlich bereit sind, ihre Fähigkeiten in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, noch viel größer ist. Wie viel könnten wir gewinnen, wenn wir das enorme Engagementpotenzial älterer Menschen noch besser nutzten? Die Generation, die heute in Rente geht, ist die aktivste und gesündeste Rentnergeneration aller Zeiten. Wie viel leichter gelänge die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, wenn noch mehr engagierte Migrantinnen und Migranten als Vorbilder, Mittler und Wegbereiter wirken würden? Mir liegt sehr viel daran, dass wir sowohl ältere Menschen als auch Menschen mit Migrationshintergrund viel stärker in die Engagementförderung einbeziehen. Wo passende Angebote fehlen oder wo es vielleicht auch nur bei der Kommunikation hakt, können wir die Rahmenbedingungen verbessern. Niemand soll an fehlenden Informationen, Möglichkeiten oder Angeboten scheitern, sich zu engagieren! Es lohnt sich, in Beteiligungsmöglichkeiten für möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zu investieren. Denn die besten Ideen entstehen dort, wo Menschen mit Freude und Begeisterung dabei sind! Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns einig, dass wir eine starke Zivilgesellschaft aus aktiven Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern brauchen und dass dieses Gesellschafts- und Menschenbild einer Nationalen Engagementstrategie zugrunde liegen soll. 11 Hackler - Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung Einig sind wir uns aber sicherlich auch, dass die Nationale Engagementstrategie ebenso die Verantwortung des Staates gegenüber seinen Bürgern spiegeln soll. Vor diesem Hintergrund noch einige Worte zur Rolle der Bundesregierung bei der Entwicklung der Nationalen Engagementstrategie. Was wir politisch brauchen, ist eine abgestimmte Engagementförderung – und zwar abgestimmt sowohl zwischen Bund, Ländern und Gemeinden als auch zwischen den Ressorts auf Bundesebene. Denn ein Problem in unserer Engagementpolitik war bisher, dass die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Das ist ja ganz typisch bei Querschnittsaufgaben. Auf der Ebene des Bundes möchte ich deshalb zunächst einmal, dass sich alle Ressorts konkrete Vorhaben für die Engagementförderung stellen. Das ist ein wichtiger Schritt, um eine ressortübergreifende Engagementpolitik zu entwickeln. Eine Kabinettbefassung zur Nationalen Engagementstrategie streben wir noch in diesem Jahr an. Was wir zu diesem Zeitpunkt präsentieren, ist nicht in Stein gemeißelt. Es bleibt offen für weitere Ideen. Was wird am Ende dieses Entwicklungsprozesses stehen? „Diese Frage ist zu gut, um sie mit einer Antwort zu verderben!“ hat Robert Koch einmal gesagt, nach dem dieser Saal benannt ist. Auf welche Frage er mit damit Bezug genommen hat, weiß ich nicht. Aber sie passt gut hierher! Denn auch der Entwicklungsprozess, der heute offiziell beginnt, ist zu gut, um ihn mit der Prognose eines Endergebnisses zu verderben! Ich vertraue darauf, dass Sie das Beste daraus machen werden – so wie Sie das auch dort tun, wo Sie sich sonst engagieren! Herzlichen Dank für Ihren Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für Ihre Bereitschaft, die Nationale Engagementstrategie mitzugestalten. Das ist für uns alle eine große Chance. Denn mit Ihrer Beteiligung können wir das bürgerschaftliche Engagement als das stärken und fördern, was es ist: Das Herzstück unserer Demokratie! 12 Olk - Begrüßung Prof. Dr. Thomas Olk, Vorsitzender des BBE-Sprecherrats Begrüßung Sehr geehrter Herr Hackler, sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrte Frau Helbig, sehr geehrte Damen und Herren, ich darf Sie im Namen des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE) sehr herzlich zur heutigen Veranstaltung des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation hier im Robert-KochHörsaal begrüßen. Herr Hackler hat den Geist des Robert-Koch-Hörsaals bereits beschworen. Wir befinden uns aber auch in den Räumen der HumboldtViadrina School of Governance. Damit haben wir einen weiteren, hervorragenden Bezug zu dem, was das Nationale Forum für Engagement und Partizipation darstellt: ein Lehrstück und Praxisexperiment, in dem neue Formen der Governance erprobt werden. Herr Hackler hat bereits deutlich hervorgehoben, dass Regieren nicht top-down funktioniert. Es geht also darum, den Staat nicht als Vater Staat, sondern als Partnerstaat in einem Geflecht unterschiedlicher Akteure auf Augenhöhe zu platzieren. Durch eine enge Zusammenarbeit, gemeinsame Verabredungen, Selbstverpflichtungen der Akteure und damit auch durch eine Verantwortungsteilung soll etwas erreicht werden, das sonst nicht erreicht werden könnte. Wir haben damit ein sehr komplexes Manöver vor uns. Es erklärt sich nicht von selbst, ist schwierig, erfordert Reflexion und muss den Akteuren zum Teil auch erstmal nahe gebracht werden. Aber das Manöver ist unvermeidbar. Herr Hackler hat deutlich gemacht, dass die politische Förderung, die Verbesserung der Rahmenbedingungen, die Unterstützung des unentgeltlichen, freiwilligen Engagements nur als politische Querschnittsaufgabe zu bewältigen ist. Querschnittsaufgaben können nicht top-down durch Anweisungen und Verordnungen gelöst werden. Es braucht vieler Partner, nicht nur aus dem öffentlichen Bereich, also Bund, Ländern und Kommunen. Das ist eine wichtige Achse, aber es gibt noch die verschiedenen Ressorts. All die starken, selbstbewussten, von sich selbst überzeugten Ministerialbürokratien, die ihre eigene Handlungslogik haben und die morgens nicht dafür aufstehen, um mit dem nächsten Hause zu kooperieren. Wir haben sowohl in der Horizontalen zwischen den einzelnen Ressorts als auch in der Vertikalen zwischen Bund, Ländern und Kommunen im öffentlichen Bereich erheblichen Diskussions- und Reflexionsbedarf über Rollen, Verantwortlichkeiten und die Notwendigkeit von Kooperationen. Aber das Nationale Forum für Engagement und Partizipation geht noch einen Schritt weiter. Staatliche Institutionen sollen nicht nur untereinander, sondern auch mit der Zivilgesellschaft kooperieren. Und wenn ich die Zivilgesellschaft sage, meine ich es selbstironisch. Denn es ist ja ein substantiierender Begriff für eine Vielfalt, manche sagen auch für den Pudding, den man versucht an die Wand zu nageln. Es gibt vielleicht nichts Schlimmeres für einen preußischen Beamten als diese Kooperation. Aber sie muss sein. Und dann kommt als Drittes auch noch die Wirtschaft an Bord. Auch bei der Wirtschaft ist es nicht so, dass alle das gleiche denken, wollen und fühlen. Es gibt die berühmten kleinen und mittleren Unternehmen, es gibt große Unternehmen, es gibt börsennotierte Unternehmen, es gibt Familienunternehmen, und alle ticken irgendwie anders. All diese unterschiedlichen Akteure sollen gemeinsam in ein Boot. Das muss ein ziemlich großes Boot sein, und es muss klar sein, wer an welcher Stelle rudert und wer steuert. Gerade vor dem Hintergrund der Finanzknappheit in den öffentlichen Haushalten und all der Schwierigkeiten, wenn staatliche Institutionen versuchen, die Rahmenbedingungen für Zivilgesellschaft zu gestalten, müssen wir deutlich machen, was wir nicht meinen. Es geht nicht um die Indienstnahme der Zivilgesellschaft für den Staat. Es geht nicht um die Instrumentalisierung zivilgesellschaftlicher Akteure für die Legitimation einer vielleicht nicht so 13 Olk - Begrüßung gelungenen staatlichen Politik. Es geht aber andersherum auch nicht darum, einfach nur Forderungen an den Staat zu erheben. In diesen Rollen gefallen wir uns ja oft. Lobbyisten kennen ihr Geschäft: noch eine Forderung, noch ein Wahlprüfstein, stellen wir mal eine Forderung an andere. Das sind die eingeübten Rollen, die wir schon kennen, und die müssen wir überdenken. Worum geht es aber im positiven Sinne? Es geht um das Zusammenspiel der vielen unterschiedlichen Akteure, deshalb Governance. All die genannten Akteure handeln nach unterschiedlichen Spielregeln. Sie sollen in einem gemeinsamen Prozess zusammengebracht werden, um auszuhandeln, was gemeinsam geht und was nicht geht. Dabei muss auch über den Tellerrand der Tagespolitik hinausgeschaut werden. Die Tagespolitik ist wichtig und muss abgearbeitet werden. Aber es bedarf auch eines Leitbildes, an dem sich die Akteure orientieren können. Wo soll es hingehen? Was bedeutet zivilgesellschaftliche Politik? Was heißt Stärkung von Zivil- oder Bürgergesellschaft? Wenn wir darüber mal intensiv sprechen, wird auch mancher Unterschied zu Tage kommen. Die Bürgergesellschaft ist kein Kuchenbacken. Es ist das zivile Austragen von Konflikten und unterschiedlichen Meinungen und Positionen. Das muss möglich sein, aber nach den zivilgesellschaftlichen Regeln, nämlich gewaltfrei und mit Empathie für die Rolle des anderen. Zu diesen zivilgesellschaftlichen Regeln gehört auch – und das ist ein wichtiger Punkt - eine Konsensorientierung in dem Sinne, dass man schaut, welche produktiven gemeinsamen Ergebnisse bekommen wir denn hin, ohne dass einer seine Interessenlage verleugnen muss. Das gilt für alle drei Akteursgruppen: Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat. Der vor uns liegende Prozess im Nationalen Forum für Engagement und Partizipation bietet die große und neue Chance, sich intensiver mit der Perspektive des jeweils anderen auseinanderzusetzen. In Kenntnis dieser anderen Perspektive lassen sich bessere Lösungen für die Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft erarbeiten. Denn eine Politik zur Unterstützung der Rahmenbedingungen des bürgerschaftlichen Engagements muss Akteure darin stärken, etwas zu tun, das sie sowieso tun würden, wenn man sie ließe. Es gibt heute eine Reihe von Bedingungen, die das erschweren. Das kann sich beim Kuchenbacken für den Vereinsbasar schon zeigen. Bei einem solchen Prozess des Perspektivwechsels und der gemeinsamen Auseinandersetzung, zu dem ich sich alle herzlich einladen möchte, gibt es natürlich auch Risiken. Er zwingt uns, unsere eigene 14 Perspektive nicht zu verwischen. Es muss klar sein, wer was gesagt und wer was zu verantworten hat. Es bleibt dabei, jeder hat seine Rolle, jeder hat seine ureigenen Interessen und Sichtweisen. Nach dem Prozess muss man unterscheiden können, was einerseits von wem in den Prozess eingebracht wurde und was andererseits politisch umgesetzt wurde. Das betrifft einen besonders wichtigen Punkt: Das, was staatliche Politik ist, muss von den verfassungsrechtlich dafür vorgesehenen Organen auch verantwortet werden. Zivilgesellschaft maßt sich nicht an, eine Verantwortung zu übernehmen, die verfassungsgemäß dafür vorgesehene politische Organe zu tragen haben. Insofern bleibt es bei dem Recht der Politik auf die Durchsetzung bindender Entscheidungen. Aber sowohl Wirtschaft als auch Zivilgesellschaft sind an dem Prozess beteiligt, Themen, Anliegen und Sichtweisen in diesen Prozess einzubringen. Dadurch werden, so ist die Hoffnung, die politischen Entscheidungsträger schlauer und damit die politischen Resultate besser als sie ohne die Beteiligung wären. Dieser verbesserte politische Output stellt einen politischen Mehrwert für diesen schwierigen Prozess dar. Er ermöglicht eine größere Berücksichtigung von Anliegen und Themen aus der Gesellschaft. Damit wird Politik sach-, problem- und realitätsnäher. Und es gibt eine echte Beteiligung der eben genannten Akteure. Dadurch wird die Politik bei diesen auch besser legitimierbar und nachvollziehbarer. Nur solange der Prozess diesen Mehrwert bringt, ist er auch sinnvoll. Der Erfolg des Prozesses hängt aber davon ab, dass alle Beteiligten mitmachen, nicht blockieren, ihre Rolle angemessen ausfüllen und Verantwortung übernehmen. Um zu beurteilen, inwiefern das Nationale Forum für Engagement und Partizipation diesen Ansprüchen gerecht wird, muss der Prozess, der ein Governance-Experiment darstellt, selbst der Evaluation unterliegen. Man muss kritisch schauen: Haben wir bessere Ergebnisse? Haben wir eine bessere Berücksichtigung? Haben wir Beteiligung? Haben wir mehr Akzeptanz von politischen Maßnahmen? Oder nicht? Das wären genau die Fragen, die es nach Ende des Prozesses zu beantworten gilt. Ich möchte noch kurz die Rolle des BBE in diesem Prozess als Veranstalter des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation erläutern. Das BBE ist ein trisektorales Netzwerk. Wir haben über 240 Mitgliedsorganisationen aus allen drei Bereichen der Gesellschaft und müssen ein breites Spektrum von Akteuren vernetzen. Damit verfügen wir über ideale Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen für den Prozess zu schaffen. Außerdem können wir uns Partikularismen nicht leisten. Denn es würde sofort Olk - Begrüßung auffallen und Widerstand hervorrufen, wenn wir zu Gunsten bestimmter Bereiche und zu Lasten anderer agieren würden. Wir müssen alle Akteursgruppen und ihre berechtigten Anliegen im Auge haben. Und: Wir sind akzeptiert, das hat sich in drei Workshops mit allen drei Stakeholder-Gruppen im Vorfeld gezeigt. Darin sehen wir eine Verpflichtung, es gut zu machen. Wir haben diese Verpflichtung übernommen. Es hat sich im letzten Jahr gezeigt: Manches, was in kürzester Zeit machbar war, wäre ohne die Strukturen des BBE nicht machbar gewesen. All das zeigt, dass das BBE als Veranstalter eines solchen Prozesses sehr gut geeignet ist. Insofern ist es nicht ganz zufällig, dass das Bundesministerium das BBE gebeten hat, das Nationale Forum für Engagement und Partizipation zu veranstalten. Wie geht es nun weiter? Was passiert in den nächsten Monaten und im Laufe des heutigen Tages? Das Nationale Forum für Engagement und Partizipation ist ein echter Begleitungsprozess, der auch die Begleitung der Ressortabstimmung umfassen soll. Das ist ein Novum und in dieser Form noch nie geschehen. Es wird so sein, dass wir einen ersten Kabinettsbeschluss vorbereiten, der noch für dieses Jahr erwartet wird. Es wird aus der Fülle der möglichen Themen erstmal um sechs spezifische Themenbereiche gehen: Zuwendungsrecht, Freiwilligendienste, Bildung und Engagement, Erwerbsarbeit und Engagement, Infrastruktur sowie Unternehmen und Engagement. Dieses sind keineswegs die einzigen und vielleicht auch nicht in jeder Hinsicht die dringlichsten Themen. Aber die politische Tagesordnung legt es nah, sie jetzt zu bearbeiten. Neben diesen Themen gibt es weitere wichtige Themen. Denken sie z. B. an sozialräumliche Prozesse, etwa Programme wie Soziale Staat, überhaupt die Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements für die Kommune. Der Prozess müsste nach dieser Runde von Dialogforen weitergehen. Herr Hackler hat ja angedeutet, dass es auch so geplant ist. Wenn Sie also nicht mit ihrem Lieblingsthema dabei sind, gibt es einen Themenspeicher, in den wir es gerne aufnehmen. Wir sind gespannt auf Hinweise, welche Themen uns womöglich durch die Lappen gegangen sind. Wenn also alles so weiter läuft wie geplant, wird es weitere Dialogforen geben. Die sind aber noch der Schnee von Übermorgen. des Prozesses, in der es nicht mehr darum geht, alle Fragen aufzuwerfen und alles für wichtig zu halten. Jetzt geht es um Fokussierung und darum, Prioritäten zu setzen. Jetzt müssen wir sagen, was in den Bereichen, in denen wir politisch etwas bewegen wollen, die ganz wichtigen Dinge sind und was zu diesen Themen im Kabinettsbeschluss stehen sollte. Das steht heute und im April an. Im Anschluss an die gleich stattfindende Podiumsdiskussion werden sich Expertinnen und Experten in den trisektoral besetzten sechs Arbeitsgruppen an die Arbeit machen, Überschriften für diese Themen zu finden. Die Ergebnisse werden an das Ministerium weitergereicht und dann die Diskussionsgrundlage für den weiteren Prozess sein. Die Aufgabe ist nicht, möglichst viele Forderungen an die Regierung zu stellen. Das wäre nicht produktiv und würde den politischen Prozess mit Themen überladen, die man nicht abarbeiten kann. Wir müssen fokussieren, was ist besonders wichtig, was muss jetzt unbedingt und was kann später geregelt werden. Noch einmal: Alle Beteiligten bleiben in ihrem Verantwortungsbereich. Niemand muss Angst haben, dass er instrumentalisiert oder für Zwecke missbraucht wird. Es geht um einen konstruktiven Prozess des sich Aufeinandereinlassens in einem Aushandlungsprozess in einem spannenden Governance-Experiment, das, so hoffen wir, zu anderen, zu besseren Resultaten führt als durch die üblichen Formen der Politikrituale erwartbar gewesen wäre. Natürlich gibt es die üblichen Formen des Lobbying, der Einflussnahme weiterhin. Keiner kann oder will das einschränken. Klassische Verbändeanhörungen, Runden mit und ohne Kamin und ähnliche Formate werden weiter stattfinden. Es geht darum, diesen Prozess zu gestalten, und alles andere läuft weiter wie gehabt. In diesem Sinne bitte ich Sie heute, ihren Sachverstand und ihre Expertise einzubringen, konstruktiv mitzuarbeiten, und ich freue mich auf einen spannenden Prozess. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit. Jetzt geht es darum, in den Dialogforen ganz konkret an den Themenschwerpunkten für die ersten sechs Themenfelder zu arbeiten. Im letzten Jahr haben wir Netze ausgeworfen und erstmal alles eingesammelt, was uns zu bestimmten Themen einfällt und gesagt wird. Das ist einfach, da muss man sich noch nicht so sehr konzentrieren. Wir sind jetzt aber in einer Phase 15 Podiumsdiskussion Anke Schaefer (Moderatorin): In der kommenden Stunde geht es darum, wie eine nationale Engagementstrategie sinnvoll und zielgerichtet entwickelt werden kann. Wie also, um mit den Worten von Prof. Olk zu sprechen, soll das große Boot aussehen, in dem jeder genau weiß wo er sitzt, wer rudert und wer steuert. Ich möchte Ihnen gerne die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiums vorstellen: Christoph Linzbach ist Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Familie Senioren, Frauen und Jugend Prof. Dr. Thomas Olk ist Vorsitzender des BBESprecherrates. Markus Grübel ist Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement im Deutschen Bundestag. Sibylle Laurischk ist Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion und Vorsitzende des Familienausschusses im Deutschen Bundestag Monika Helbig ist Staatsekrerärin im Berliner Senat und Beauftragte des Landes Berlin für Bürgerschaftliches Engagement. Dr. Marita Hilgenstock betreut bei der RWE-AG das Thema Corporate Responsibility. Moderatorin: Es ist wichtig, die unterschiedlichen Perspektiven zusammenzuführen. Wie kann eine nationale Engagementstrategie aus Sicht des Ministeriums, aus Sicht des Parlamentes, aus Sicht des Landes Berlin und eben auch aus Sicht der Zivilgesellschaft entwickelt werden. Und nicht zuletzt: Was erwartet die Wirtschaft? Zunächst eine Frage an Herrn Linzbach. Wie skizzieren Sie die wichtigsten Aspekte einer nationalen Engagementstrategie? Christoph Linzbach: Noch liegt die Strategie nicht vor. Sie wissen, dass wir im vergangenen Jahr einen Prozess hatten, der 16 auch in einer Kabinettsbefassung mündete und danach in Abstimmung mit der Zivilgesellschaft weitergeführt wurde. Ich will das mit dem vergleichen, was wir dieses Jahr vorhaben. Prof. Olk hat zurecht gesagt, dass wir nicht dasselbe erneut auflegen dürfen, was wir im vergangenen Jahr gemacht haben. Wichtig ist, dass ein Text für die Kabinettsbefassung Substanz hat. Er sollte wesentliche Vorhaben, zwei bis drei, so unsere Vorstellung, der anderen Bundesressorts aus ihren jeweiligen Zuständigkeitsfeldern beinhalten. Das wird die Grundlage für die Ressortabstimmung sein. Vorgeschaltet haben wir jetzt diese Veranstaltung mit den sechs Themenschwerpunkten. Die Koordinierungsstelle des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation wird uns dann in den nächsten Tagen eine Zusammenfassung übermitteln. Wir werden uns dann in den nächsten Wochen zu den Ergebnissen der jeweiligen Dialogforen verhalten. Wir stellen uns vor, dass wir in den nächsten Wochen auf der Grundlage dessen, was heute und in den Dialogforen im April erarbeitet wird, eine Einschätzung darüber vornehmen werden, was aus unserer Sicht in eine Ressortabstimmung eingebracht werden könnte. Das heißt: Wir greifen ganz konkret die Themen auf, die heute hier bearbeitet werden, und bringen sie in den Prozess ein. Mir ist wichtig eines deutlich zu machen. Es handelt sich um einen integrierten Prozess. Hier sind auch Ressortvertreterinnen und Ressortvertreter anwesend und sie werden auch an den Foren im April teilnehmen. Es ist also ein kontinuierlicher Diskussionsprozess. Danach beginnt dann die eigentliche Ressortabstimmung. Bitte nageln Sie mich heute noch nicht fest, für wann wir eine Kabinettsbefassung vorsehen. Wir müssen erst einmal ein Gefühl dafür bekommen, wie viel Zeit auch die anderen Bundesressorts benötigen, die vielleicht nicht so nah am Thema Engagement sind wie wir, um ihre Beiträge zu liefern. Aber für dieses Jahr auf jeden Fall, lieber früher als später, damit wir dann auch in der Nachfolge eines Kabinettsbeschlusses noch ausreichend Zeit haben wichtige Vorhaben umzusetzen. Podiumsdiskussion Moderatorin: Vielen Dank. Eine Frage an Herrn Grübel: Wie sehen Sie aus Sicht des Parlaments die nationale Engagementstrategie? Markus Grübel: Als Parlament setzen wir die Regierung ein und kontrollieren sie. Wir begrüßen es, dass die neue Regierung fortsetzt, was die alte Regierung begonnen hat. Manchmal gibt es auch Brüche beim Regierungswechsel. Wir haben den Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement wieder eingerichtet und, etwas pathetisch gesagt, es befindet sich im Einsetzungsbeschluss fast der Ritterschlag für das Nationale Forum für Engagement und Partizipation. Dort haben wir das Nationale Forum für Engagement und Partizipation ausdrücklich erwähnt. Ich zitiere unter den Aufgaben: „ ... im Dialog mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren, wie z. B. dem Nationalen Forum für Engagement und Partizipation, den Trägern im gemeinnützigen Sektor, den Wohlfahrtsverbänden, den kommunalen Spitzenverbänden, den Dachverbänden der unterschiedlichen Bereiche (Kultur, Sport, Soziales, Gesundheit, Bildung, Katastrophen- und Bevölkerungsschutz u. a.) an der Fortentwicklung der Engagementpolitik des Bundes mitzuwirken.“ Wir haben uns das ausdrücklich in den Aufgabenkatalog hinein geschrieben. Sie haben auf dem Banner stehen: „Das Nationale Forum für Engagement und Partizipation begleitet die Bundesregierung.“ Auch wir begleiten als Unterausschuss die Bundesregierung, und das Nationale Forum für Engagement und Partizipation begleitet, so empfinden wir das, unsere Arbeit im Unterausschuss. Wir haben im Unterausschuss in den nächsten Monaten Themen auf der Tagesordnung, die auch Ihre Themen sind. Auch Themen aus den Dialogforen, wie z. B. die Weiterentwicklung der Freiwilligendienste, wie die Reform des Zuwendungsrechtes, wie Engagementförderung als Infrastrukturförderung, etc. So sind wir verhältnismäßig eng verzahnt. Zum Auftakt haben wir die erste Arbeitssitzung mit einem Bericht aus dem BBE und aus dem Nationalen Forum für Engagement und Partizipation begonnen, weil wir im Grunde an der gleichen Sache arbeiten und den Prozess begleiten. Moderatorin: Abgeordnete sind aber sehr eingespannt in Sitzungen etc. Werden sich die Abgeordneten dezidiert in diesen Prozess einbringen? Markus Grübel: Selbstverständlich ja. Moderatorin: Frau Laurischk, wollen sie da noch etwas hinzufügen? Vielleicht auch die Rolle, die die Bundesfamilienministerin hier spielen kann? Sibylle Laurischk: Wir hatten gestern eine Sitzung des Unterausschusses, und die Ministerin war in dieser Sitzung auch dabei und hat ihre Vorstellungen in einer ersten Befassung darlegen können. Es ist ein wichtiges Signal, dass auch in einem Unterausschuss dargestellt wird, dass die Regierung sich der Aufgabe, die im Koalitionsvertrag steht, widmen wird. Dass wir als Parlamentarier Einfluss nehmen werden, da können sie sicher sein. Mir war aus der Erfahrung in der vergangenen Legislaturperiode, in der das Thema Integration im Bundestag immer wieder eine Rolle gespielt hat, sehr wichtig, in der Aufgabenstellung des Unterausschusses auch das Thema Integration aufzunehmen und auf die Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund in der Zivilgesellschaft großen Wert zu legen. Ich gehe davon aus, dass im Nationalen Forum für Engagement und Partizipation solche Fragen auch Niederschlag finden. Ebenso sollten sie in allen Ressorts der Bundesregierung Berücksichtigung finden, sodass das Thema Integration, das den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern soll, auch insofern eine ganz breite Aufstellung findet. Denn sie gelingt nur, wenn wir in der Zivilgesellschaft die Gemeinsamkeiten herausstellen und wegkommen von Ghetto- und Ausgrenzungssituationen. Das ist ein sehr anspruchvolles Feld, das wir sicher nicht in kurzer Zeit bewältigen können. Aber gerade deswegen braucht es eine Strategie, eine lang angelegte Zielsetzung. Moderatorin: Frau Helbig, Sie sprechen für das Land Berlin. Wir haben gehört, dass wir die Strategie brauchen, dass wir sie wollen. Vielleicht gibt es aber auch den ein oder anderen Stolperstein aus ihrer Sicht? Monika Helbig: Die Tatsache, dass wir heute hier zusammen sitzen, ist eine Entwicklungslinie, angefangen mit der Bestandsaufnahme der Enquete-Kommission seinerzeit, der Runde von Dialogforen, die am Ende der letzten Legislaturperiode stattfand. Ich bin sehr dankbar, dass sowohl von Herrn Prof. Olk als auch von Herrn Hackler sehr klar herausgearbeitet wurde, dass alle Ebenen auch in ihrer Zuständigkeit beteiligt werden müssen. Das ist einer der Hauptkritikpunkte gewesen, den auch ich schon in der Vergangenheit mehrfach formuliert habe. Letztendlich kümmert sich der Bund um ein wichtiges Thema. Aber man muss sehr genau hinsehen, welche Akteure gibt es schon, die eine Menge Gutes tun. Ich habe es so verstanden, dass alle Akteure in diesem Prozess mitgenommen werden sollen. Ich fand den Satz von Herrn Hackler sehr schön: „Demokratie ist nur so stark wie 17 Podiumsdiskussion Zivilgesellschaft unabhängig ist.“ Das ist einer der Schlüsselsätze für das, was hier passieren muss, wenn wir von einer nationalen Engagementstrategie reden. Das Land Berlin macht eine Menge. Wir sind dabei, eine umfassende Engagementplattform zu entwickeln, wo man im Internet die Szene erkennen kann, also sehen, welches Engagement es gibt. Das ist ein Ansatz, der auch für den Bund interessant ist. Was aber immer wieder Kritik hervorgerufen hat, wenn man Eckpunkte miteinander verabredet, ist die Frage: Was erreicht man mit vom Bund finanzierten Modellprojekten? Es gibt eine Menge guter Ansätze, die finanziert wurden, dann endet die Finanzierung des Bundes und die Länder oder die Kommunen sind nicht in der Lage, diese Projekte, die gut entstandenen Ideen weiterzufinanzieren. Ich möchte wiederholt appellieren, dass man in künftigen Überlegungen dieses gleich berücksichtigt. Wie soll es am Ende der Kette weitergehen mit den guten Ideen, die entstanden sind. Wenn ich mir noch etwas wünschen darf, was am Ende in einer nationalen Strategie stehen soll und kann, dann bitte ich darum, einfach mal auf die Kompetenzverteilung innerhalb der Republik zu schauen und zu sehen, was bundesgesetzlich regelbar ist. Wir werden natürlich mit solch einer Strategie wieder in eine Situation kommen, dass sie irgendwann einmal im Bundesrat landet. Auch da habe ich als zuständige Staatssekretärin im Land Berlin mit dem Thema zu tun und sehe schon, dass dann alle wieder auf dem Baum sind und sagen, dass die Kompetenzverteilung innerhalb der Republik verletzt wurde. Deswegen kann ich nur an den Bund appellieren, zu prüfen, was bundesgesetzlich möglich ist. Da spielen Haftungsrecht, steuerrechtliche Änderungen, aber z. B. auch die Frage, wie Engagement als Brücke in die Erwerbsarbeit genutzt werden kann, eine wichtige Rolle. Wie gehe ich mit den erworbenen Kompetenzen im Rahmen von Engagement um? Wie kann ich vielleicht eine gesetzliche Verpflichtung für Unternehmen schaffen, dass sie das bei ihrer Personalauswahl berücksichtigen. Das wäre ein Beispiel, das mir konkret einfällt. Moderatorin: Bevor wir zu Frau Dr. Hilgenstock kommen, gleich die Anschlussfrage an Prof. Olk. Warum braucht man überhaupt eine nationale Engagementstrategie? Warum muss sie beim Staat verankert sein? Ist nicht die Zivilgesellschaft in sich stark genug, bürgerschaftliches Engagement zu fördern? Thomas Olk: Das ist eine wichtige Frage. Natürlich ist es so, dass auch Skepsis formuliert wird. Auch aus der Zivilgesellschaft heraus wird immer wieder die Frage 18 gestellt, ob das nicht zu staatslastig ist. Der Begriff Nationale Engagementstrategie ist geradezu erfurchterheischend. Das kann ein Riesending werden und klingt nach viel Bürokratie und Gleichmacherei. Man kann das an konkreten Beispielen sehen, ob es das Freiwilligendienstestatusgesetz oder ähnliche Dienste sind. Es kann nicht darum gehen, ein Format durch den Bund zu formulieren und das flächendeckend in alle Bereiche herunterzudeklinieren. Das wäre der falsche Weg. Das würde vorhandene Ressentiments und Vorbehalte stärken. Sondern es geht darum, Rahmenbedingungen zu setzen, z. B. qualitative Mindestbedingungen in denen sich Vielfalt dann auf einem bestimmten qualitativen Niveau bewegen kann. Solche Dinge sind machbar. Wenn Akteure der Zivilgesellschaft sagen, sie machen das alles ganz ohne Staat, habe ich manchmal auch das Gefühl, dass sie etwas vergessen. Staatliche Institutionen regeln unseren Alltag jeden Tag, das geht von der Haftung und Versicherung über Hygienebestimmungen beim Kuchenbacken bis zu den großen Fragen. Ohne den Staat fehlen also auch die notwendigen Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft. Es kommt aber darauf an, wie der Staat es macht. Das wird die entscheidende Frage sein. Nicht Gleichmacherei über ganz große, einheitliche Programme und Maßnahmen, wie wir sie schon mal in den 70er Jahren gehabt haben, wird das Ziel sein. Deswegen heißt es auch nicht nationaler Engagementplan. Es ist eine Strategie. Das signalisiert eine Pluralität von Akteuren, die kooperieren und Rahmenbedingungen setzen. Moderatorin: Eine Gruppe sind auch die Unternehmen. Frau Dr. Hilgenstock, welchen Beitrag können die Unternehmen dort leisten? Marita Hilgenstock: Ich spreche hier für eine Unternehmensgruppe, die sich gefunden hat, weil die Unternehmen zweierlei tun, wenn sie sich gesellschaftlich engagieren. Sie kooperieren mit Institutionen der Zivilgesellschaft und fördern insbesondere das zivilgesellschaftliche Engagement ihrer Mitarbeiter. Wir haben uns zunächst gefunden, um voneinander zu lernen: Wo muss was passieren, wo können wir besser werden? Wir sind immer wieder auf die gleichen Fragen gekommen, die wir jetzt auch im Rahmen des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation und der Strategie diskutieren. Wir als Unternehmen können durchaus auch ein aktiver Part sein. Einmal, wenn wir unsere Mitarbeiter motivieren, sich zu engagieren und ihnen Möglichkeiten geben, haben wir einen Zugang zu Engagierten, den wir bisher nicht hundertprozentig ge- Podiumsdiskussion nutzt haben. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch unsere unternehmerische Kompetenz. Wir sehen durchaus im Kleinen, das es hilft, wenn wir mit diesem Know-How an geeigneter Stelle beratend mithelfen können. Unser Know-How könnte durchaus im Rahmen der Entwicklung dieser Engagementstrategie nutzen, um den einen oder anderen Aspekt mehr wirtschaftlich, wettbewerbsmäßig zu sehen, ohne gleich Berührungsängste zu wecken. Moderatorin: Auf die Berührungsängste will ich gleich kommen. Wird Ihnen manchmal Kritik entgegen gehalten, dass die Unternehmen damit letztendlich doch Geld machen wollen? Marita Hilgenstock: Eher am Rande. Was wir eher sehen ist, dass schon eine genaue Vorstellung existiert, was Unternehmen tun sollten. Da fällt das Stichwort „Verpflichtende Bedingungen für Unternehmen“. Das kann es aus unserer Sicht nicht sein. Wir sind kreativ und wollen uns einbringen. Wir wollen da auch für uns selbst einen Nutzen haben, und wir sehen, dass uns unsere Mitarbeiter für die Möglichkeiten, die sie haben, danken. Wir sehen uns aber auch als aktiven Part in der Gesellschaft, denn auch Unternehmen sind auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt angewiesen, auf Bildung oder auf eine Lösung der Migrationsprobleme. Gerade auf dem Pfad einer Engagementstrategie, sollten wir uns gemeinsam überlegen, was da machbar ist. Wir würden uns in einer Rolle wohl fühlen, in der wir mitarbeiten können. Wir sind im Augenblick ein stückweit glücklich, aber auf der anderen Seite hadern wir: Wir haben jetzt ein eigenes Dialogforum für Unternehmensengagement. Das heißt wir haben eine gewisse Sonderrolle. Man arbeitet sich damit langsam an die Rolle von Unternehmen heran. Darüber muss gesprochen werden, insofern ist es als Thema wichtig und richtig. Wir halten es aber auch für wichtig, dass wir in den anderen Themen in den Dialogforen vertreten sind, und haben auch Kollegen gefunden, die sich dieser Themen annehmen. Moderatorin: Herr Prof. Olk, ich würde gerne fragen: Muss das noch so sein, dass die Unternehmen ein Dialogforum für sich haben? Thomas Olk: Nein, das muss nicht so sein. In einer solchen Gruppe lernen vielleicht auch eher andere etwas über Unternehmen und bürgerschaftliches Engagement. Die Unternehmen haben das Problem, dass sie nicht zusammensitzen möchten, um sich selbst zum Thema zu machen. Das verstehe ich sehr gut. Auf der anderen Seite gibt es, und das muss man auch sehen, keine so große geschichtliche Tradition der Kooperation zwischen Unternehmen und der Zivilgesellschaft, wie z. B. in England oder den USA. Und es gibt erhebliche wechselseitige Schwierigkeiten der Anpassung, wenn Unternehmen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen etwas gemeinsam machen wollen. Das gilt für beide Seiten. Da gibt es keine Schuldzuweisungen. Ein solches Dialogforum macht nur dann Sinn, wenn dort nicht nur Unternehmensvertreter sitzen. Das wäre überflüssig. Da müssen die anderen Akteure auch drin sitzen, da geht es um Fragen der Kooperation und Vernetzung und die Probleme, die dabei bestehen. Meine Beobachtung ist, Frau Hilgenstock kann das vielleicht korrigieren, dass Unternehmen sich gerne untereinander vernetzen, aber die Vernetzung mit anderen Akteuren ist eine Aufgabe, die noch vor uns liegt. Das sehen wir als BBE, da wollen wir weiterkommen und dafür brauchen wir möglicherweise eine solche Gruppe. Moderatorin: Herr Linzbach, wie beurteilen sie die Zusammensetzung der heutigen Foren und speziell das Forum, in dem sich Unternehmen äußern werden? Christoph Linzbach: Ich finde das Thema Engagement und Unternehmen sehr spannend. Wir haben vorgesehen, dass wir in dieser Legislaturperiode den ersten Engagementbericht der Bundesregierung vorlegen werden. Der wird sich in einem allgemeinen Teil mit einem Überblick über die Situation des Engagements in Deutschland beschäftigen. In einem zweiten Teil wird er das Thema Unternehmensengagement aufgreifen. Da hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Viele Unternehmen entwickeln ein neues Selbstverständnis. Sie sehen sich zunehmend auch als gesellschaftlich relevante Akteure vor Ort. Es gibt nach wie vor viele kleine lokale Unternehmen, die dann z. B. die Trikots von einem Verein finanzieren. Das ist und bleibt wichtig. Das Rollenverständnis im Themenfeld Engagement von Unternehmen verändert sich. Das sollten wir verfolgen und begleiten und für das gesamte Engagementfeld nutzen. Monika Helbig: In der Tat gibt es sehr unterschiedliche Ausprägungen von Engagement in Unternehmen. Herr Linzbach hat die kleinen lokalen Partnerschaften angesprochen. Es gibt aber auch große Unternehmen, die zum Teil schon eigene CSR-Abteilungen haben. Die sehen das mehr aus dem Personalentwicklungsaspekt. Die Engagementbewegten wünschen sich mehr Vernetzung in die Zivilgesellschaft. 19 Podiumsdiskussion Ein ganz wichtiger Aspekt sind auch Unternehmen, die Patenschaften haben und zum Beispiel junge Leute in Ausbildungsverhältnissen beim Start ihres Berufslebens begleiten. Das kann und sollte man befördern, denn da kann man mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Auf der einen Seite kann man jungen Menschen, die keinen erstklassigen Bildungsabschluss haben, eine Chance bieten. Auf der anderen Seite können die Unternehmen auch ihren eigenen Nachwuchs rekrutieren. Das ist eine Idee, die man noch mehr transportieren und verstärken könnte, und man muss prüfen welche gesetzlichen Regelungen das flankieren können. Moderatorin: Das Thema ist wichtig. Noch eine Replik darauf von Frau Dr. Hilgenstock? Marita Hilgenstock: Ich kann dem nur zustimmen. Gerade bei der Frage, wie kommen Jugendliche oder Langzeitarbeitslose in Arbeit, können Unternehmen Ideen entwickeln, die auch dem Unternehmen selbst nutzen. Wir sprachen von Interessen der Zivilgesellschaft. Es gibt gemeinsame Interessen von Zivilgesellschaft und Unternehmen. Da haben wir eine gute Chance, gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen. Wenn wir diese gemeinsamen Punkte gefunden haben, dann ist es auch für diejenigen, die gesellschaftliches Engagement in den Unternehmen verantworten und deren Auftrag es zunächst ist, Geld zu verdienen, leichter zu vermitteln. Wir müssen uns nicht um Fördermittel kümmern, aber wir müssen uns in dem Unternehmen schon rechtfertigen, wofür wir Geld ausgeben. Das sollte man anerkennen. Da können Zivilgesellschaft und Politik Hilfestellungen geben, dass wir gemeinsame Handlungsfelder finden. Dann wird es auch nachhaltig gemacht. Moderation: Lassen sie uns noch über den Prozess des Findens der Strategie sprechen. Frau Helbig, was erwarten Sie genau von diesem Prozess? Sollte man nicht ein klares Ziel haben, was am Ende dieses Findungsprozesses stehen sollte? Monika Helbig: Ich wünsche mir schon, dass es am Ende konkrete Ideen gibt, was letztendlich diese nationale Engagementstrategie ausmacht. Da müsste auf der einen Seite die Definition des Feldes der Zivilgesellschaft stehen und auf der anderen Seite die Handlungsmöglichkeiten, die vorrangig seitens des Bundes auch ergriffen werden können. Ein wichtiger Punkt ist das Thema Transparenz. Berlin hat aktuell eine sehr 20 schwierige Debatte zu diesem Thema. Die Frage Transparenz im Dritten Sektor spielt sowohl für das Engagement als auch für den Zuwendungsgeber auf mehrfachen Ebenen eine Rolle. Ich würde mir wünschen, dass der Bund dieses Thema hier an dieser Stelle noch mal bearbeitet. Das könnte eines der Ergebnisse aus den Foren sein, dass man Eckpunkte definiert, was man unter Transparenz versteht. Was muss letztendlich für die, die sich engagieren oder Geld geben wollen, an Information öffentlich sein. Wir machen in Berlin eine umfassende Plattform „Engagiert in Berlin“, und da haben wir ein paar Transparenzgrundsätze definiert. Weil wir der Meinung sind, dass das zwingend erforderlich ist, wenn man das Thema Engagement befördern will. Moderatorin: Transparenz soll auch dadurch erreicht werden, dass man sich auch online an den Foren beteiligen kann, Herr Olk? Thomas Olk: Bürgerbeteiligung ist eine andere Art der Transparenz. Wir wollen das nicht durcheinander bringen. Bürgerbeteiligung über diese Online-Befragung ist wichtig und daher auch Teil des Prozesses. Es ist auch eine neue Form, über das Internet Beteiligung zu verbreitern. Aber hier geht es klar um eine Bringschuld des Dritten Sektors. Die Organisationen, die sich selbst zivilgesellschaftlich nennen - das ist ein Qualitätsbegriff -, müssen da auch gewisse Standards erfüllen. Dazu gehört auch Transparenz über bestimmte Parameter ihres Handelns. Dann kann man auch an andere entsprechende Forderungen stellen und ist für Dritte, die sich freiwillig engagieren wollen, durchsichtig. Das ist ein gutes Thema. Ein anderes wichtiges Thema ist natürlich die Infrastruktur. Wir haben immer noch ein großes Problem, das nicht kleiner wird, gerade wegen der Finanzschwierigkeiten auf kommunaler Ebene. Wir haben auf der kommunalen Ebene die vielen Infrastruktureinrichtungen, die ganz wichtig sind, wie der Freiwilligensurvey immer wieder herausarbeitet. Für die Vermittlung, für die Öffentlichkeitsarbeit, für die Entwicklung von Organisationen im Freiwilligenmanagement. Diese Organisationen brauchen professionelle Kerne vor Ort. Ehrenamt kann nicht alleine durch Ehrenamtliche angeregt, vermittelt und betreut werden. Ich sehe ein massives Problem der Glaubwürdigkeit, wenn wir auf der einen Seite auf der Bundesebene eine nationale Engagementstrategie entwickeln und dann miterleben müssen, wie auf kommunaler Ebene alles abgeholzt wird, was nach Engagementförderung aussieht. Das wäre eine Katastrophe und darf nicht passieren. Podiumsdiskussion Moderatorin: Frau Laurischk, die Frage an sie. Wir haben schon gehört, dass all das, was heute in den Dialogforen diskutiert wird, nicht das letzte Wort ist. Aber gibt es Themen, die auch noch diskutiert werden müssen? Sibylle Laurischk: Gerade das bürgerschaftliche Engagement hat als Thema eine Offenheit. Wir sollten uns hüten, die Themen vorzugeben oder abschließend zu betrachten. Der Prozess in einer freiheitlichen Gesellschaft muss offen bleiben. Da ist staatliches Handeln ein gewisses Risiko. Deswegen ist das Stichwort Transparenz sicherlich gut. Einflussnahme darf nicht dazu führen, dass bestimmte Felder im bürgerschaftlichen Engagement en vogue sind und der Rest möglicherweise außen vor bleibt. Die Offenheit muss auch in der Dialogfähigkeit der Akteure gewahrt bleiben. Worum es uns geht, ist das Engagement der Bürgerschaft, der Wirtschaft und auch des staatlichen Sektors. Das es nicht nur etwas ist, was zufällig stattfindet und je nach Kassenlage auch geliebt ist, sondern das es eine Struktur ist, die jede lebendige Gesellschaft braucht. Nur wenn sich der einzelne Mensch in seinem Impuls, etwas tun zu wollen, in dem Recht etwas tun zu können, wiederfindet. Dann haben wir eine lebendige, eine freiheitliche Gesellschaft. Dieses Wechselspiel braucht jeder Staat als Grundlage. Deswegen muss man sich hüten, Themen zu sehr zu definieren. Es wird heute Aufgabe der Foren sein, Ansätze zu entwickeln. Die spannende Frage wird dann sein, wie die Bundesregierung diese Initiativen, diese Impulse umsetzt und wie sie das Thema am Laufen hält. Denn was jetzt in einer ersten Befassung umgesetzt wird, auch in diesem Jahr noch, wie wir gehört haben, wird nicht das Ende der Veranstaltung sein. Wir müssen es offen halten. Bemerkenswert war, was die Ministerin Schröder gestern im Unterausschuss sagte. Bürger und Bürgerinnen, die im bürgerschaftlichen Engagement stehen, sind selbstbewusst. Dieser selbstbewusste Mensch ist Grundlage jeglichen demokratischen Handelns. Deswegen keine engen Themen, offen, klar und transparent sein und Infrastruktur im Rahmen des Möglichen und Notwendigen vorhalten. Insofern fand ich das Stichwort professionelle Kerne zu schaffen, die das Engagement ermöglichen und leichter machen, interessant. Moderatorin: Herr Linzbach, es gibt am Horizont ein Statusgesetz für Freiwilligendienste zu sehen, aber noch ferner vielleicht ein Gesetz zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements. Wäre das etwas, was am Ende stehen könnte? Christoph Linzbach:: Ich kann mir vorstellen, dass das Freiwilligendienstestatusgesetz auch Teil der Strategie sein wird. Hier sind wir im Moment in der Hausabstimmung. Es gibt auch im Verbändebereich Diskussionen. Es geht darum, die verschiedenen Formate der Freiwilligendienste unter ein Dach zu stellen. Die sind sehr unterschiedlich. Der Freiwilligendienst aller Generationen hat ein Acht-StundenFormat, während die Jugendfreiwilligendienste ein Vollzeitformat sind. Wenn man das in ein Gesetz bringt und gewisse Standards sicherstellen will, muss man auf jeden Fall gewährleisten, dass alle Formate unbeschädigt bleiben und ihre Entwicklungsperspektive behalten. Außerdem ist im Koalitionsvertrag der Begriff Förderplan enthalten. Als Zusammenstellung all der strategischen Maßnahmen, die die Bundesregierung in diesem Feld unternimmt, könnte das etwas sein, das man sich bis zum Ende der Legislaturperiode vorstellen könnte. Ich stimme ausdrücklich zu, dass die Strategie mit dem Kabinettsbeschluss nicht am Ende ist, sondern die Umsetzung erst anfängt. Auch die Strategie muss weiter entwickelt werden. Das ist ein Stück Arbeit im Fortschritt, work in progress könnte man sagen. Der letzte Punkt, den Sie angesprochen haben, das Gesetz zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements steht sehr weit am fernen Horizont. Es ist viel gesagt worden über Zuständigkeiten der Länder, der Kommunen, die zu beachten sind. Da werden wir im Rahmen der Engagementstrategie sehr darauf achten. Das ist ein Vorhaben, was zwar im Koalitionsvertrag steht, das ich persönlich in nächster Zeit, ganz offen gesagt, für nicht realisierbar halte. Moderatorin: Wir haben jetzt viel über Strukturen, Zuständigkeiten und Institutionen gesprochen. Zum Abschluss noch ganz kurz: Warum engagieren Sie sich eigentlich persönlich für das bürgerschaftliche Engagement, Herr Grübel? Markus Grübel: Weil es mir Freude macht, Verantwortung zu tragen. Da, wo ich als bürgerschaftlich Engagierter tätig bin, macht es mir Freude, und als Präsident vom Blasmusikverband sage ich meinen Leuten immer: Ehrenamt muss Freude machen. In dem Moment, in dem ich es als Belastung und Qual empfinde, läuft etwas falsch. Ich habe mit der kirchlichen Jugendarbeit angefangen und es hat mir immer Freude gemacht. Das zu vermitteln ist wichtig, nicht immer dieses sich opfern müssen, sondern es macht mir Freude mich einzubringen, anderen zu helfen. 21 Podiumsdiskussion Moderatorin: Herr Olk, sind Sie, wenn Sie es tun, immer so durchsetzt von der gesellschaftlichen Relevanz, oder spüren Sie auch die pure Freude? Thomas Olk: Es ist interessant, welches Psychogramm sie gerade erstellen. Ich bin auch gleichzeitig Vorstandsvorsitzender einer kleinen Stiftung, die bundesweit versucht, Bürgergesellschaft zu gestalten. Das macht mir Gestaltungsspaß. Wir haben einen Integrationswettbewerb. Wir haben schon in einer Zeit, als das noch nicht so normal war, Engagement von Migrantinnen und Migranten ausgezeichnet. Gestern habe ich von einem Vertreter dieser Szene die Frage gehört: Ist das jetzt Migrationsvorder- oder -hintergrund? Der Punkt ist, dass sie durch das Engagement die Aufnahmegesellschaft mitgestalten, und da gab es erstaunlich kreative Projekte und Ideen. In denen wurde deutlich, dass Migrantinnen und Migranten keine Adressaten für Befürsorgung und keine Opfer, sondern Gestalter sind. Diese Erfahrung ist für mich die Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Monika Helbig: Engagement ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammen hält, und deshalb ist es wichtig, dass man neben dem, was man an professioneller Arbeit leistet, auch noch etwas tut, das darüber hinausgeht. Da kommt auch etwas zurück. Man opfert sich nicht nur für jemanden oder eine Sache auf, sondern man erfährt auch eine positive Reaktion, wenn man etwas ehrenamtlich oder freiwillig für die Gesellschaft tut. Jeder, der diese Erfahrung machen kann oder gemacht hat, der wird auch nicht mehr loslassen. Deshalb ist es wichtig denen, die sich vielleicht noch engagieren wollen, eine Möglichkeit zum Engagement zu bieten, weil sie vielleicht mit einer Idee herumlaufen, aber noch nicht so richtig den Zugang gefunden haben. Das ist einer der Punkte, die wir erarbeiten müssen, diese Möglichkeit zu schaffen. Moderatorin: Frau Laurischk, was spüren Sie persönlich, wenn Sie ehrenamtlich tätig sind? Sibylle Laurischk: Durch das Ehrenamt bin ich in die Politik gekommen. Das ist für viele eine erste Erfahrung. Man will etwas erreichen, man will etwas verändern. Ganz konkret: Als ich als Mutter mit drei Kindern im Schlepptau und der Mütterinitiative Hangrutsche beim Finanzbürgermeister der Stadt Offenburg erschienen bin und gesagt habe, dass wir mehr Kindertagesbetreuungseinrichtungen brauchen und es dort hieß, brauchen wir 22 nicht, da ging das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf los. Und spätestens als wir Mütter dann anfangen mussten, unsere Kinder im Bürgermeisterbüro zu wickeln, war er schon etwas mehr überzeugt. Solche Erfahrungen bringen dann auch kommunalpolitisches Engagement und in meinem Fall auch den Weg in die Politik. So finden Menschen immer wieder Themen, bei denen sie sagen, da ist was los, da soll was passieren, da will ich etwas bewegen. Das sind die Impulse, die wir in einer offenen, freiheitlichen Gesellschaft brauchen, die wir als Politikerinnen und Politiker aufnehmen müssen. Das ist mir ungemein wichtig und ich bin immer noch im Vorstand eines kleinen Vereins und erlebe dort ganz andere Probleme als hier in Berlin. Marita Hilgenstock: Ich musste gerade bei dem Wickeln schmunzeln. Daran kann ich gut anknüpfen. Es ist immer schön, in Projekten zu sehen, was in der Gesellschaft für eine gestalterische Kraft herrscht. Ich kann mich an das Dorf erinnern, in dem unsere Tochter zur Welt kam. Wir hatten keinen Spielplatz, den hat die Dorfjugend gebaut. Wir hatten keinen Kindergarten. Wir haben der Kirche den Raum abgeschwatzt. Wir hatten ein Provisorium, das zehn Jahre gehalten hat, und das motiviert einen. Christoph Linzbach: Ich bin zwar von morgens bis abends von der gesellschaftlichen Relevanz des bürgerschftlichen Engagements durchdrungen, insofern kann ich das absolut bedienen, was sie eben gefordert haben. Ich habe früher relativ viel gemacht, hätte heute auch gerne mehr Zeit, mir Initiativen und Projekte vor Ort anzuschauen. Es gibt viel im Land, das man noch nicht kennt und gerne kennenlernen möchte und das auch Wertschätzung verdient. Bei mir konkret steht das Gespräch mit Frau Dr. Zimmermann an, die mir einen Platz in einem nachberuflichen Tätigkeitsfeld, wenn ich mal in Rente gehe, sichern soll. Damit kann man gar nicht früh genug beginnen. Dialogforen Dialogforum „Reform des Zuwendungsrechts“ Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogforums am 13. April 2010 und des vorbereitenden Workshops am 25. März 2010 • Gerhard Bäumer, Bundesministerium der Finanzen • Werner Ballhausen, Bündnis für Gemeinnützigkeit • Dr. Martina Beckmann, Bundesministerium der Justiz • Rainer Bode, Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultureller Zentren NRW • Dr. Christine Bruhn, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung • Ulla Engler, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Gesamtverband • Dr. Michael Ernst-Pörksen, C.O.X. Steuerberatungs- und Treuhandgesellschaft • Wolfgang Gottschlich, Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen • Stephan Jentgens, Deutscher Bundesjugendring • Dirk Kirchner, KPMG • PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement • Vera Klier, Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen • Volker Languth-Wasem, Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe • Kerstin Piontkowski, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge • Carsten-Michael Pix, Deutscher Feuerwehrverband • Matthias Potocki, Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement des Deutschen Bundestags • Bernd Roeder, Deutscher Olympischer Sportbund • Dietrich Schippel, aktiv in Berlin – Landesnetzwerk Bürgerengagement • Gabriele Schulz, Deutscher Kulturrat • Tina Seifert, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Manfred Spangenberg, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement • Dr. Klaus Spieler, Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland • Verena Staats, Bundesverband Deutscher Stiftungen • Wolfgang Thiel, Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen • Gerhard Timm, Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege • Michael Triltsch, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts Regeln vereinfachen – Gestaltungsfreiheit schaffen Bericht über das Dialogforum „Reform des Zuwendungsrechts“ am 13. April 2010 im Deutschen Bundestag Bürgerschaftliches Engagement findet oft in Organisationen statt. Ein Großteil dieser Organisationen, dazu zählen große Verbände genauso wie kleine Vereine und Initiativen, wird durch öffentliche Gelder unterstützt und ist damit unmittelbar vom Zuwendungsrecht betroffen. Ein Zuwendungsrecht, das der Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen gerecht wird und sowohl für Zuwendungsgeber als auch Zuwendungsnehmer unbürokratisch zu handhaben ist, ist daher zentral für die Förderung bürgerschaftlichen Engagements. Es bildet damit wie das Gemeinnützigkeitsrecht, das Spendenrecht, das Vereinsrecht und versicherungsrechtliche Bestimmungen einen essentiellen Baustein der rechtlichen Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement. Das Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts konnte bei der Erarbeitung seiner Handlungsempfehlungen am 13. April 2010 an die Diskussion anschließen, die insbesondere von großen Verbänden seit längerem geführt wird. Vor allem in den Punkten Jährlichkeitsprinzip, Festbetragsfinanzierung, Rücklagenbildung, Besserstellungsverbot, zuwendungsfähige Ausgaben, Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements als Eigenmittel und Umsatzsteuerrecht war mit den „Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Entbürokratisierung und Modernisierung des Zuwendungsrechts“ die Debatte schon sehr präzise vorstrukturiert. des Bundesministeriums der Finanzen, des Bundesverwaltungsamtes und des Bundesrechnungshofes vor allem dem Grundsatz der sparsamen und missbrauchsfreien Verwendung öffentlicher Gelder. Beide Anliegen sind berechtigt. Daher wird es auch künftig weitere Diskussionen geben. Dies gilt z. B. für das Jährlichkeitsprinzip. Auf zivilgesellschaftlicher Seite besteht der wohlbegründete Wunsch, das Prinzip der Jährlichkeit bei der Mittelzuweisung flexibler zu gestalten, da Projektverläufe im Gegensatz zu öffentlichen Haushalten nicht vor dem Jahreswechsel Halt machen. Dagegen weist die staatliche Seite darauf hin, dass öffentliche Haushalte nicht beliebig in der Verwaltung gestaltet werden können, sondern von Parlamenten beschlossen werden. Ein Abrücken vom Jährlichkeitsprinzip zieht daher die Schwierigkeit nach sich, mehrjährige Verpflichtungen und damit auch ungewisse Wechsel auf die Zukunft eingehen zu müssen. An diesem Beispiel kann man ganz konkret die Schwierigkeiten ablesen, die sich aus einer Modernisierung des Zuwendungsrechts ergeben. Im Rahmen des Dialogforums wurde der aktuelle Handlungsbedarf jedoch noch einmal genauer beschrieben. Dabei wurde deutlich, dass zwischen Zivilgesellschaft und Staat noch massiver Diskussionsund Klärungsbedarf besteht. Zum Teil treffen sehr unterschiedliche Wahrnehmungen und Handlungslogiken aufeinander. Während es den Organisationen der Zivilgesellschaft um Flexibilität, mehr Handlungsfreiheit und Entbürokratisierung geht, dienen die Regelungen des Zuwendungsrechts aus der Sicht 25 Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts Ergebnisse Mit dem vom Bundesministerium der Finanzen initiierten Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements ist ein wichtiger Reformschritt zur Vereinfachung und Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts gelungen. Dennoch besteht weiterer Reformbedarf, vor allem im Bereich des Zuwendungsrechts. Durch den Abbau unnötiger Bürokratie könnte die Effektivität von öffentlichen Zuwendungen gesteigert werden. Zur besseren Förderung des bürgerschaftlichen Engagements sollten deshalb im Zuwendungsrecht und in der Zuwendungspraxis bürokratische Hemmnisse abgebaut werden mit dem Ziel, den Verwaltungsaufwand für beide Seiten zu verringern und zusätzlich mehr Rechtssicherheit und Gestaltungsfreiheit zu schaffen. 1. Allgemeine Nebenbestimmungen Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Die Verwaltungsvorschriften zu § 44 BHO (Bundeshaushaltsordnung) enthalten umfangreiche Nebenbestimmungen, die – versehen mit einer hohen Regelungsdichte – die Auflagen und Pflichten für den Zuwendungsempfänger beschreiben und in der Regel zu Bestandteilen des Zuwendungsbescheides erklärt werden. Durch eine Vereinfachung des Zuwendungsrechts könnte der Verwaltungsaufwand bei der Gestaltung zivilgesellschaftlicher Projekte verringert werden. Lösungsvorschlag Die Allgemeinen Nebenbestimmungen der Bundeshaushaltsordnung sollten, soweit dies möglich ist, vereinfacht werden. Insbesondere sollte geprüft werden, wie die dort verankerten Mitteilungspflichten des Zuwendungsemp26 fängers stärker ins Verhältnis zur Höhe der Zuwendung gesetzt werden können. Auch eine Ausdehnung der zweimonatigen Mittelverwendungsfrist sowie praktikablere Regelungen für die Verzinsung von Rückzahlungsansprüchen (z. B. durch längere Bewirtschaftungszeiträume und höhere Bagatellgrenzen) würden dazu beitragen, den Verwaltungsaufwand für Zuwendungsempfänger und Zuwendungsgeber zu reduzieren. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Die Bundesregierung wird gebeten, die Nebenbestimmungen der BHO zu überarbeiten. Unter Beteiligung der Zivilgesellschaft sollte für geringfügige Zuwendungen ein insgesamt vereinfachtes Zuwendungsverfahren angestrebt werden, das die positiven Erfahrungen aus den Bundesländern berücksichtigt. 2. Jährlichkeitsprinzip Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Für Zuwendungsempfänger ist nicht das Kalenderjahr maßgeblich, innerhalb dessen öffentliche Mittel aufgrund des Jährlichkeitsprinzips ausgegeben werden müssen, sondern der Zeitraum des geförderten Vorhabens insgesamt. Lösungsvorschlag Es sollte daher geprüft werden, inwieweit durch haushalterische Instrumente eine überjährige Mittelbereitstellung realisiert werden kann. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Die Bundesregierung sollte zusammen mit dem Haushaltsgesetzgeber die Frage klären, wie eine Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts überjährige Mittelbereitstellung, z. B. durch die Ausbringung von Verpflichtungsermächtigungen oder durch die vermehrte Bereitstellung von Selbstbewirtschaftungsmitteln, realisiert werden kann. 3. Festbetragsfinanzierung Schritte zur Implementierung des Vorhabens Die Bundesregierung wird gebeten, das haushaltsrechtliche Verbot, Rücklagen aus eigenen Mitteln zu bilden, unter Berücksichtigung der positiven Erfahrungen aus den Bundesländern zu überdenken. Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) 5. Besserstellungsverbot Die weit verbreitete Fehlbedarfsfinanzierung erschwert die Planbarkeit der Verwendung öffentlicher Mittel. Außerdem setzt sie keine Anreize für Organisationen, während des Förderzeitraumes zusätzliche Mittel einzuwerben. Bei der Festbetragsfinanzierung wird die Förderung dagegen beim Zuwendungsempfänger belassen, auch wenn weitere Mittel eingehen. Sie kann damit die Ausweitung von Projekten befördern und entlastet zugleich den Zuwendungsgeber bei der Prüfung des Verwendungsnachweises. Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Lösungsvorschlag Es sollten Wege aufgezeigt werden, inwieweit der Einsatz der Festbetragsfinanzierung durch entsprechende Verwaltungsvorschriften und -richtlinien ausgeweitet werden kann. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Die Bundesregierung wird gebeten, im Rahmen der Bund-Länder-Koordinierung auf eine vermehrte Festbetragsfinanzierung hinzuwirken. 4. Rücklagenbildung Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Institutionell geförderte Zuwendungsempfänger tragen die Risiken eines „normalen“ Geschäftsbetriebes. Ebenso kann der Eingang von Spenden das Bilden von Rücklagen erforderlich machen. Das Steuerrecht lässt daher im Rahmen der Gemeinnützigkeitsanerkennung die Bildung von Rücklagen – in eingeschränktem Umfang – zu. Daran sollte sich auch das Zuwendungsrecht orientieren. Lösungsvorschlag Bei institutionellen Förderungen sollte eine Harmonisierung des haushaltsrechtlichen Verbots, Rücklagen aus eigenen Mitteln zu bilden, mit den steuerrechtlichen Vorschriften der Abgabenordnung geprüft werden. Die Beschäftigungsbedingungen bei Zuwendungsempfängern sind heute nicht mehr direkt mit dem Referenzbereich „Beschäftigte des Bundes“ vergleichbar. So sind z. B. befristete Beschäftigungsverhältnisse bei Zuwendungsempfängern im Rahmen der Projekttätigkeit weit verbreitet. Besserstellungen in Teilbereichen können daher Nachteile in sonstigen Bereichen gegenüberstehen. Lösungsvorschlag Es sollte deshalb geprüft werden, ob durch eine Modernisierung und Anpassung des Besserstellungsverbots bürokratischer Aufwand vermindert werden kann. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Die Bundesregierung und der Haushaltsgesetzgeber werden gebeten zu prüfen, wie durch eine Neufassung des Besserstellungsverbots angemessene Vergütungen gewährleistet werden können. 6. Anerkennung zuwendungsfähiger Ausgaben Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Die unterschiedlichen Praktiken und Anerkennungen von zuwendungsfähigen Ausgaben durch Bund, Länder und Kommunen sind für die Empfänger zum Teil schwer nachzuvollziehen. Lösungsvorschlag Es sollten daher Möglichkeiten für die Entwicklung einheitlicher und verständlicher Regelungen für die zuwendungsfähigen Ausgaben ausgelotet werden. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Bund und Länder werden gebeten, einheitliche und verständliche Regelungen für die zuwendungsfähigen Ausgaben zu erarbeiten. 27 Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts 7. Bürgerschaftliches Engagement als Eigenmittel Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Grundsätzlich ist es auf Bundesebene über fachspezifische Förderrichtlinien möglich, bürgerschaftliches Engagement als Eigenmittel zu berücksichtigen. Klarere Regelungen wären indes für diese Form der Anerkennung hilfreich. Lösungsvorschlag Es sollte geprüft werden, inwieweit die Möglichkeit der Anerkennung von bürgerschaftlichem Engagement als Eigenmittel in die Verwaltungsvorschriften zu § 44 BHO aufgenommen werden kann. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Die Bundesregierung wird gebeten, zusammen mit den übrigen Ressorts der Bundesregierung und den Bundesländern zu prüfen, inwieweit die Erfahrungen in einzelnen Bundesländern und der Europäischen Union eine stärkere Anerkennung des bürgerschaftlichen Engagements als Eigenmittel in den Verwaltungsvorschriften von Bund und Ländern zulassen. 8. Umsatzsteuerrecht Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Da als Zuwendung gedachte Finanzierungen der öffentlichen Hand zunehmend in den Verdacht geraten, verdeckte Entgelte zu sein, werden sie mit Umsatzsteuer belegt. Lösungsvorschlag Für den Zuwendungsgeber sollte deshalb klargestellt werden, wo die Grenzlinie zwischen Entgelt und Zuschuss verläuft, damit für den Zuwendungsempfänger wieder Rechtssicherheit hergestellt wird. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Die Bundesregierung wird gebeten, durch geeignete Maßnahmen Rechtssicherheit wiederherzustellen und insbesondere das Problem der nachträglichen Heranziehung zur Umsatzsteuer zu lösen. 28 Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts Kurzfassung Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Zuwendungsrechts Das staatliche Zuwendungsrecht entspricht nicht mehr den Anforderungen an ein modernes und zukunftsfähiges Recht. Es ist vielfach durch ein Übermaß an Bürokratie gekennzeichnet. Dadurch wird die Effektivität von Zuwendungen gemindert. Ebenso werden die Eigenständigkeit der Zuwendungsempfänger und das Prüfungs- und Mitspracherecht der öffentlichen Zuwendungsgeber erschwert. Durch eine Vereinfachung und Verbesserung des Zuwendungsrechts ließe sich der Verwaltungsaufwand für beide Seiten wesentlich verringern und zusätzlich ein Mehr an Rechtssicherheit und Gestaltungsfreiheit schaffen. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins benennen die grundsätzlichen Schwierigkeiten. Sie machen zugleich konkrete Vorschläge für eine Reform des Zuwendungsrechts. Die Bundesregierung ist damit aufgefordert, das Zuwendungsrecht zu entbürokratisieren und zu modernisieren. Wesentliche Ziele dieses Reformprozesses sollten sein: Entbürokratisierung der Verwaltungsvorschriften zu § 44 BHO und der Allgemeinen Nebenbestimmungen (ANBest) Die Verwaltungsvorschriften zu § 44 BHO enthalten umfangreiche Nebenbestimmungen, die Auflagen und Pflichten für den Zuwendungsempfänger beschreiben. Sie sind einheitlich gegliedert und im Inhalt weitgehend ähnlich. Gleichwohl sind sie in aller Ausführlichkeit für institutionelle Zuwendungsempfänger (ANBest - I), für Projektförderung (ANBest P), für Projektförderung an Gebietskörperschaften (ANBest - GK) und für Projektförderung auf Kostenbasis (ANBest - P - Kosten) gefasst. Die ANBest bilden damit kein rationales Regelwerk, sondern stehen als Beispiel für eine überzogene Regelungsdichte im Zuwendungsrecht. Der Deutsche Verein empfiehlt deshalb die ANBest zu vereinheitlichen und zu straf fen. Dabei sind insbesondere die Mitteilungspflichten des Zuwendungsempfängers stärker ins Verhältnis zur Höhe der Zuwendung zu setzen. Es sollte eine Neudefinition der „zeitnahen Verwendung“ der Mittel erfolgen, und mit Ausnahme von zeitlich festgebundenen Ausgabenpositionen (wie z. B. Personalkosten) auch eine Ausdehnung der zweimonatigen Verwendungsfrist geprüft werden. Ebenso ist für die Verzinsung von Rückzahlungsansprüchen eine praktikable Regelung zu finden. Flexiblere Handhabung des Jährlichkeitsprinzips Öffentliche Zuwendungsgeber und Zuwendungsempfänger sind an den Grundsatz der Jährlichkeit gebunden, sofern nicht eine Verpflichtungsermächtigung vorliegt. Grundsätzlich heißt das: Alle Ausgaben sind bis zum Ende des Jahres zu tätigen. Jahresübergreifende Projekte müssen deshalb haushaltstechnisch in zwei Projekte aufgeteilt werden, um dieser Bedingung Rechnung zu tragen. Diese Wirkung des Jährlichkeitsprinzips erscheint lebensfern. Für Zuwendungsempfänger ist nicht das Kalenderjahr maßgeblich, sondern der Zeitraum des geförderten Vorhabens insgesamt. Vom Deutschen Verein wird deshalb empfohlen, die Zuwendungen über den gesamten Projektzeitraum zu bewilligen. Bei mehrjährigen Bewilligungen sollte dann eine Übertragbarkeit der Mittel ermöglicht werden. Vermehrte Festbetragsfinanzierung Die momentan verbreitete Form der Fehlbedarfsfinanzierung sollte ersetzt werden, da mit ihr falsche ökonomische Anreize gesetzt werden. Bei dieser Finanzierungsart werden jene Projektträger „bestraft“, die mehr Einnahmen erzielen oder zusätzliche Dritt29 Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts mittel akquirieren. Eigene erwirtschaftete Mittel führen hier sofort zu einer Kürzung des errechneten Fehlbedarfs und damit zur teilweisen Rückzahlung der Zuwendung. Leistung und Erfolg werden so diskreditiert. Grundgedanke der Festbetragsfinanzierung ist dagegen, das Vorhaben mit einem im Voraus festgesetzten Betrag zu fördern und für den Fall, dass das Vorhaben kostengünstiger zu realisieren ist, die Mittel beim Zuwendungsempfänger zu belassen. Damit werden Zuwendungsempfänger veranlasst, weitere Drittmittel einzuwerben. Diese Finanzierungsart sollte daher immer dann gewährt werden, wenn dadurch die Ausweitung des Projektes begünstigt oder die Akquisition weiterer Finanzierungsmittel unterstützt wird. Lockerung des sogenannten „Besserstellungsverbotes“ Zuwendungen des Bundes zur institutionellen und projektbezogenen Förderung dürfen nur mit der Auflage bewilligt werden, dass der Zuwendungsempfänger seine Beschäftigten nicht besser stellt als vergleichbare Beschäftigte des Bundes (sog. Besserstellungsverbot). Das Besserstellungsverbot gilt für sämtliche mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängende Regelungen und Leistungen. Damit besteht eine erhebliche Regelungsdichte, die in ihrer Wirkung zweifelhaft erscheint. So gilt das Besserstellungsverbot beispielsweise nicht bei Zuwendungen auf Kostenbasis. Hier wird davon ausgegangen, dass Personalkosten bei gewerblich orientierten Unternehmen immer dann zuwendungsfähig sind, wenn sie bei wirtschaftlicher Betriebsführung anfallen. Dieser allgemeine Wirtschaftlichkeitsgrundsatz sollte jedoch für alle Zuwendungsempfänger in gleichem Maß gelten. Zudem bietet eine völlige Übernahme der Vergütungsregeln des öffentlichen Dienstes nicht mehr die erforderliche Flexibilität. Zuwendungsempfängern gelingt es immer weniger, für zeitlich befristete Projekte qualifiziertes Personal zu den in der öffentlichen Verwaltung vorgegebenen Tarifen zu gewinnen. Eine Anpassung des Besserstellungsverbots ist dringend geboten. Bei der Bemessung der zuwendungsfähigen Ausgaben sollten nur die Vergütungen berücksichtigt werden, die für vergleichbare Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gezahlt werden. Darüber hinausgehende Zahlungen können aus sonstigen Mitteln des Zuwendungsempfängers bestritten werden. Mit diesem Verfahren würde eine leistungsgerechtere Entlohnung ermöglicht. 30 Zeitgemäße Ausgaben Definition zuwendungsfähiger Gegenwärtig gibt es noch sehr unterschiedliche Praktiken und Anerkennungen von zuwendungsfähigen Ausgaben. Bund, Länder und Kommunen haben unterschiedliche Festlegungen, was sie für zuwendungsfähig halten. So bestehen beispielsweise erhebliche Unsicherheiten bei der Anrechnung von Versicherungen, Personal- und Betriebskosten (sog. Overheadkosten), Beratungskosten oder Reise- und Fahrtkosten. Nach Ansicht des Deutschen Vereins müssen daher einheitliche und verständliche Regelungen für die zuwendungsfähigen Ausgaben geschaffen werden. Dabei sind insbesondere für die genannten Probleme Lösungen zu finden. Eine konkrete Beschreibung sowie Erläuterungen von zuwendungsfähigen Ausgaben sollte ins Internet eingestellt werden, damit auch „kleine“ Zuwendungsempfänger die Möglichkeit haben, sich im Vorfeld einer Förderung zu informieren. Anerkennung bürgerschaftlichen ments als Eigenmittel Engage- Bürgerschaftliches Engagement beschränkt sich nicht nur auf die Bereitstellung finanzieller Ressourcen. Vielmehr sind viele Menschen auch bereit, gemeinnützigen Organisationen Zeitressourcen für die Erfüllung zivilgesellschaftlicher Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Dieses zeitliche Engagement (sog. Zeitspende) wird aber weder in den Verwaltungsvorschriften noch in den Allgemeinen Nebenbestimmungen im Zuwendungsverfahren des Bundes als Eigenleistung anerkannt. Das heißt: Bürgerschaftliches Engagement wird in der Bundesförderung vielfach nicht honoriert. In einigen Bundesländern kann es hingegen als Eigenmittel in den Kosten- und Finanzierungsplan der beantragten Förderung eingestellt werden. Damit werden jene Organisationen gestärkt, die an Stelle von finanziellen Mitteln die Engagementzeit ihrer Mitglieder einbringen. Zudem wird mit diesem Verfahren deutlich gemacht, dass durch bürgerschaftliches Engagement relevante Werte produziert werden. Die Anerkennung von Bürgerschaftlichem Engagement als Eigenmittel des Zuwendungsempfängers sollte deshalb in die Verwaltungsvorschriften zu § 44 BHO und in die entsprechenden Regelungen auf Landes- und Kommunalebene eingeführt werden, um die erforderliche Verbindlichkeit herbeizuführen. Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts Klarheit im Umsatzsteuerrecht schaffen Zunehmend geraten als Zuwendung gedachte Finanzierungen der öffentlichen Hand in den Verdacht, verdeckte Entgelte zu sein. Im Ergebnis droht die Belegung der Zuschüsse mit Umsatzsteuer. Inzwischen folgt auch der Bundesfinanzhof nicht mehr dem Wortlaut der Umsatzsteuerrichtlinie, wonach Zuwendungen aus öffentlichen Kassen, die ausschließlich auf Grundlage des Haushaltsrechts vergeben werden, grundsätzlich nichtsteuerbare „echte Zuschüsse“ sind. Für die Beteiligten sind die Grenzlinien zwischen Auftrag und Zuschuss damit kaum noch erkennbar. Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert, diesen Konflikt zeitnah zu lösen und die gebotene Rechtssicherheit herzustellen. Dabei sollte die bestehende und bewährte Differenzierung zwischen einem nicht umsatzsteuerbaren Zuschuss und einem steuerbaren Leistungsaustausch beibehalten, jedoch klarer als bislang gefasst werden. Anmerkung Die Empfehlungen des Deutschen Vereins finden Sie in einer ausführlicheren Fassung unter: http:// www.deutscher-verein.de/05-empfehlungen/2009/ september/Empfehlungen_zur_Modernisierung_ und_Entbuerokratisierung_des_Zuwendungsrechts. 31 Dialogforum „Weiterentwicklung der Freiwilligendienste“ Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogforums am 14. April 2010 und des vorbereitenden Workshops am 25. März 2010 • Ulrich Beckers, Jugend für Europa • Michael Bergmann, Deutscher Caritasverband • Florian Bernschneider, MdB • Michael Bogatzki, AFS Interkulturelle Begegnungen • Hartmut Brombach, Bundesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr • Ulla Eberhard, Kölner Freiwilligenagentur • Dr. Jaana Eichhorn, Deutsche Sportjugend • Hartwig Euler, Arbeitskreis Lernen und Helfen in Übersee • Dr. Kornelia Folk, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Dr. Andreas Frank, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung • Marco Franosch, Auswärtiges Amt • Kai Gehring, MdB • Hejo Held, Deutsches Rotes Kreuz • Dr. Astrid Hencke, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Susanne Huth, INBAS-Sozialforschung • PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement • Ariane Krieg, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Irene Krug, Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik • Dr. Hans-Joachim Lincke, Zentrum für Zivilgesellschaftliche Entwicklung (ZZE) • Frank Lonny, Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NordrheinWestfalen • D örte Lüdeking, Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik • Ronald Münch, Auswärtiges Amt • Beate Oertel, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Dr. Christa Perabo, Landes-Ehrenamtsagentur Hessen • Christiane Richter, Bundesverband Seniorpartner in School • Sönke Rix, MdB • Nicole Schmidt, Freiwilligenzentren mittenmang Schleswig-Holstein • Veronika Schneider, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband • Martin Schulze, Bundesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr • Maja Schweitzer, Auswärtiges Amt • Uwe Slüter, Bundesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr • Thomas Stein, FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag • Prof. Dr. Heinz-Dietrich Steinmeyer, Westfälische Wilhelms-Universität Münster • Peter Tobiassen, Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen • Anna Veigel, Deutsche UNESCO-Kommission • Hannes Wezel, Städtenetzwerk Baden-Württemberg Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Vielfalt unter einem Dach Bericht über das Dialogforum „Freiwilligendienste“ am 14. April 2010 im BMFSFJ, Berlin Freiwilligendienste sollen als eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements weiterentwickelt werden – darüber waren sich die 37 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogforums am 14. April 2010 einig. Freiwilligendienste ermöglichen den Dienstleistenden, ihre sozialen und individuellen Kompetenzen zu erweitern, sich aktiv ins Gemeinwesen einzubringen und damit einen wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Deshalb soll künftig mehr Menschen das Ableisten eines Freiwilligendienstes ermöglicht werden. Dabei kommt es darauf an, die Qualität der Dienste zu verbessern und die Vorteile für den Einzelnen und das Gemeinwesen populärer zu machen. Die besondere Herausforderung liegt darin, der Vielfalt an Diensten im In- und Ausland, die vom Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und dem Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) über die Förderprogramme „Weltwärts“ und „Kulturweit“, den Europäischen Freiwilligendienst bis zu den Freiwilligendiensten aller Generationen (FdaG) reicht, gerecht zu werden. All diese Dienste unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich ihrer rechtlichen Grundlage, ihrer finanziellen Ausstattung und der Rahmenbedingungen wie Dauer und Stundenumfang sowie der Form der pädagogischen Begleitung und Betreuung. Die Förderung von Freiwilligendiensten soll ein Baustein der nationalen Engagementstrategie sein. In ihrer Koalitionsvereinbarung haben CDU/CSU und FDP am 26. Oktober 2010 die Absicht erklärt, Freiwilligendienste im Rahmen einer gemeinsamen, ressortübergreifenden Strategie zu fördern und die rechtlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Aufgabe des Dialogforums war es, Empfehlungen für dieses Vorhaben zu entwickeln. Neben den zuständigen Ressorts der Bundesregierung kamen die verschiedenen Freiwilligendienstträger und Trägerverbünde sowie zentrale Akteure aus der Forschung und der AG „Freiwilligendienste“ des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement zusammen. Auch einige Bundestagsabgeordnete haben im Dialogforum mitgewirkt. Mit seinen thematischen Schwerpunkten knüpfte das Dialogforum an die Fachdiskussionen der vergangenen Jahre und aktuelle fachwissenschaftliche Expertisen an. Zentral war die Frage, wie eine gleichberechtigte Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen an Freiwilligendiensten ermöglicht werden kann. Bestimmten Gruppen fehlt aus ganz unterschiedlichen Gründen der Zugang zu Freiwilligendiensten. Mehrere Expertinnen und Experten haben daher die spezifischen Problemlagen und Bedürfnisse von Seniorinnen und Senioren, Menschen mit Einwanderungsgeschichte und sozial benachteiligten oder individuell beeinträchtigten Menschen dargelegt. In den Ergebnissen ist festgehalten, wie diese bei der Förderung von Freiwilligendiensten durch den Bund berücksichtigt werden könnten. Anknüpfend an die aktuelle Debatte um die Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate hat das Dialogforum sich mit den möglichen Auswirkungen der Veränderungen im Zivildienst auf den Bereich der Freiwilligendienste befasst. Darüber hinaus ging es um den Ausbau der Jugendfreiwilligendienste, die Problematik der Umsatzbesteuerung von Trägern und Einsatzstellen und die weitere Förderung der FdaG. In der Diskussion um die Gestaltung eines Freiwilligendienstestatusgesetz hat sich einmal mehr gezeigt, dass es äußerst schwierig sein dürfte, die Jugendfreiwilligendienste mit den FdaG in einem Gesetz zu integrieren. Die Unterschiede zwischen beiden Dienstformen wurden in der Debatte noch einmal herausgearbeitet. Während Jugendfreiwilligendienste in der Regel Vollzeitdienste mit hohem Fortbildungsanteil sind, bei denen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen oft auch auf sozialversicherungsrecht33 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste liche Absicherung angewiesen sind, lassen sich bei den FdaG keine allgemeinen Festlegungen bezüglich Umfang, Mindestanforderungen und sozialer Absicherung definieren: Welcher Dauer und welchen Umfang an Wochenstunden sollte ein Freiwilligendienst umfassen? Wieviele Tage an Fort- und Weiterbildung sollten gesetzlich festgeschrieben sein? Sollte es einen allgemein gültigen sozialversicherungsrechtlichen Status für alle Freiwilligendienstleistenden geben? Die Förderung des Programms Freiwilligendienste aller Generationen könnte auch unabhängig von einer gesetzlichen Regelung gestaltet werden. Die Diskussion im Dialogforum hat gezeigt, dass es anstelle einer Standardisierung darauf ankommt, die Freiwilligendienste aller Generationen so zu fördern, dass sie das bürgerschaftliche Engagement vor Ort anregen und bereichern. 34 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Ergebnisse Freiwilligendienste sollen weiterentwickelt werden. Ihre gesellschaftliche Anerkennung soll verbessert werden. Insbesondere gilt es, neue Zielgruppen für einen Freiwilligendienst zu gewinnen und mehr Organisationen und Kommunen darin zu unterstützen, sich für Freiwilligendienste zu öffnen. nen folgende Zielgruppen berücksichtigt werden: Seniorinnen und Senioren, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Erwerbslose, Erwerbstätige (die Mindestzahl der Wochenstunden kann für diese Personengruppe eine Barriere bilden und wurde im Dialogforum kontrovers diskutiert), sozial Benachteiligte und individuell Beeinträchtigte (z. B. Menschen mit Behinderung). 1. Zielgruppen für Freiwilligendienste Für unterschiedliche Zielgruppen sollten unterschiedliche Formen entwickelt werden, da sie jeweils besondere Rahmenbedingungen benötigen, z. B. einen höheren fachlichen Begleitungsbedarf oder spezielle pädagogische Konzepte. Damit Träger die Möglichkeit haben, einen Freiwilligendienst anzubieten, der den speziellen Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe gerecht wird, sollten sie mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden. Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Freiwilligendienste sind eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements und sollen zugleich den Erwerb sozialer und individueller Kompetenzen ermöglichen. Grundsätzlich sollen Freiwilligendienste allen Bevölkerungsgruppen offen stehen. Bei der Förderung von Freiwilligendiensten stellt sich daher die Frage, wie eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, welche Barrieren bestehen und welche Lösungen und Fördermaßnahmen vorgeschlagen werden können. Ein Problem beim Ausbau der Freiwilligendienste besteht in einer unzureichenden Forschungs- und Datenlage über Zielgruppen und deren besondere Bedürfnisse. Dazu gehört auch die Erforschung hemmender Faktoren und fehlender Zugänge für die unterschiedlichen Zielgruppen. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Für die Förderung von Freiwilligendiensten sollte eine einheitliche Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung definiert werden. Es kommt darauf an, wirksame Förderinstrumente (etwa pädagogische Konzepte, Finanzierung, Pauschalen) zu identifizieren und anzupassen bzw. Alternativen zu entwickeln. Um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung oder Beeinträchtigung an Freiwilligendiensten zu erleichtern, sollte bei der Förderung dieser Dienste ein erhöhter Begleitungsbedarf berücksichtigt werden. Die Freiwilligendienstträger sollten in die Lage versetzt werden, unterschiedlich befähigten Freiwilligendienstleistenden eine angemessene Begleitung zu ermöglichen, und zwar unabhängig davon, ob sie bereits fallspezifische Leistungen (z. B. psycho-soziale Beratung für Freiwillige mit Behinderungen, die gemäß §§1, 4, 5, 9 SGB IX und §§ 53, 54 SGB XII möglich sind) erhalten oder nicht. Bei der Weiterentwicklung von Freiwilligendiensten sollten – dem jeweiligen Format angemessen – neben der Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachse- Um Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zu Freiwilligendiensten zu erleichtern, sollten Migrantenorganisationen neben der eigenen Trägerschaft verstärkt Lösungsvorschläge 35 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste in den Bereichen Zielgruppenakquise und pädagogische Begleitung und als Einsatzstellen eingebunden werden. Dazu benötigen Migrantenorganisationen Informationen über Freiwilligendienste, Kontakt- und Kooperationsbeziehungen zu Freiwilligendienstträgern sowie personelle, fachliche und finanzielle Unterstützung. Berufliche Orientierung durch einen Freiwilligendienst ist für bestimmte Zielgruppen besonders wichtig. Kompetenzbilanzen und besondere Vorbereitungsoder Anschlussprogramme (Qualifizierung) z. B. der Bundesagentur für Arbeit sollten so gestaltet werden, dass sie die im Freiwilligendienst erworbenen Kompetenzen sichtbar machen bzw. nutzen. Dadurch soll der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden. Daneben ist zu prüfen, inwieweit die mit dem Bezug von Leistungen nach SGB II verbundenen Auflagen einem Engagement im Freiwilligendienst im Wege stehen (siehe Dialogforum Arbeitsmarktpolitik). Bestehende Regelförderangebote für die verschiedenen Zielgruppen sollten mit den speziellen Angeboten im Rahmen der Freiwilligendienste kombiniert werden. Die besondere Qualität des Freiwilligendienstes als Bildungs- und Orientierungsdienst sollte dabei erhalten bleiben. Der Europäische Freiwilligendienst formuliert hinsichtlich der Flexibilisierung von Dienstzeiten und der zusätzlichen Förderung bestimmter Zielgruppen Lösungsansätze, die auf nationale Freiwilligendienste übertragen werden können. 2. Zivildienstverkürzung Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Die Entwicklung der Freiwilligendienste sollte grundsätzlich unabhängig von der Verkürzung des Zivildienstes betrieben werden. Die Veränderungen im Zivildienst haben jedoch Auswirkungen auf den Bereich der Freiwilligendienste. Die Weiterentwicklung der Jugendfreiwilligendienste muss daher auch im Zusammenhang mit der Verkürzung des Zivildienstes gesehen werden. Lösungsvorschlag Die Verkürzung des Zivildienstes sollte hinsichtlich der Auswirkungen auf die Entwicklung der Freiwilligendienste geprüft werden. Dazu gehört u. a. die Prüfung eines Mitteltransfers. Freiwerdende Zivildienstmittel sollen für den Ausbau der Jugendfreiwilligendienste genutzt werden. Jugendfreiwilligendienste können eine 36 attraktive Anschlussoption zum Zivildienst sein, wenn die Rahmenbedingungen entsprechend gestaltet sind. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Die Bundesregierung sollte prüfen, wie die Freiwilligendienste so gestaltet werden können, dass sie an den Zivildienst anschließen. Insbesondere ist darauf zu achten, dass eine freiwillige Verlängerung des Zivildienstes und die Freiwilligendienste gleich ausgestattet werden. Die Dauer dieser freiwilligen Verlängerung sollte flexibel gehandhabt werden. 3. Ausbau der Freiwilligendienste 3.1 Jugendfreiwilligendienste Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Jugendfreiwilligendienste können junge Menschen dazu anleiten, soziale Verantwortung zu übernehmen und gemeinwohlorientiert zu handeln. Junge Menschen profitieren in ganz besonderer Weise von der Ausübung eines Engagements für ihre persönliche und berufliche Entwicklung und leisten gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Aufgaben. Diese Potentiale sind noch nicht hinreichend entwickelt. Lösungsvorschlag Jugendfreiwilligendienste sollten qualitativ und quantitativ ausgebaut werden. Bei der Gestaltung der verschiedenen Dienste sollten die verschiedenen Zielgruppen berücksichtigt werden. Es kommt darauf an, den Anteil von Freiwilligendienstleistenden pro Jahrgang zu erhöhen. Alle, die einen Freiwilligendienst machen möchten, sollten dazu die Möglichkeit erhalten. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Die Bundesregierung sollte prüfen, wie die unterschiedlichen Dienste aufeinander abgestimmt werden können. Alle Plätze in den Jugendfreiwilligendiensten (national und transnational) sollten finanziert und mit einer erhöhten Pauschale ausgestattet werden, so dass die Träger von Freiwilligendiensten besser in die Lage versetzt werden, die Bildungsmaßnahmen im Rahmen der Dienste auszubauen. Die Höhen der Förderpauschalen sollten je nach Zielgruppe differenziert werden. Zudem sollte die Anerkennung des Engagements in Jugendfreiwilligendiensten verbessert werden (z.B. Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste durch Bildungsgutscheine, Kompetenznachweise und Kompetenzbilanzen, Vergünstigungen und gezielte Kampagnen). Der europäische Youth Pass kann als Vorbild für einen Kompetenznachweis auf nationaler Ebene genutzt werden. stellen. Daneben sollten die Entwicklung der FdaG und die Werbung weiter finanziert werden. Es sollten weitere Träger dafür gewonnen werden, einen Freiwilligendienst anzubieten. Kooperationen zwischen Trägern der Freiwilligendienste und Migrantenorganisationen, die in den Bereichen Zielgruppenakquise, pädagogische Begleitung oder als Einsatzstellen tätig werden bzw. sich als Träger etablieren wollen, sollten gefördert werden. Der Bund sollte dazu gemeinsam mit den Bundesländern und den Trägern eine Strategie initiieren. Die Träger sollten dazu konkret benennen, welche Bedingungen gegeben sein müssen, um die Dienste auszubauen. Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) 4. Umsatzsteuerbefreiung Träger und Einsatzstellen sind durch die Umsatzsteuerpflicht bei Verträgen nach § 11 Absatz 1 Jugendfreiwilligendienstegesetz (JFDG) mit einem großen finanziellen sowie verwaltungstechnischen Aufwand konfrontiert. Lösungsvorschlag 3.2 Freiwilligendienste aller Generationen Freiwilligendienste sollten als Lerndienste grundsätzlich von der Umsatzsteuer befreit werden. Ziel sollte eine eindeutige Klärung der Umsatzbesteuerung der Träger sein. Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Schritte zur Implementierung des Vorhabens Freiwilligendienste können den Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement erleichtern, sollten aber klar davon unterschieden werden. Bei der Entwicklung spezieller Förderprogramme für Zielgruppen sollte dies berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber sollte im Umsatzsteuergesetz einen Befreiungstatbestand einführen. Auf der Ebene der Bundesländer gibt es eine gute Kooperation der unterschiedlichen Träger. Diese Vernetzung schließt jedoch die nicht geförderten Träger noch nicht mit ein. Auf Bundesebene fehlt die Einbindung der Wohlfahrtsverbände bei den Freiwilligendiensten aller Generationen (FdaG). Der Bekanntheitsgrad der FdaG ist nicht ausreichend. Dies verhindert oft, dass auch neue Träger und Einsatzstellen die FdaG umsetzen. Lösungsvorschlag Die FdaG sollten so gestaltet werden, dass sie Interessierten den Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement erleichtern. Neue Träger und Einsatzstellen können einfacher gewonnen werden, wenn Trägerverbünde, Länder und kommunale Spitzenverbände sowie Städte, Gemeinden und Landkreise kooperieren. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Da die Weiterfinanzierung der FdaG unklar ist, sollte die Bundesregierung in Absprache mit den Ländern und Kommunen die Fortführung nach 2011 sicher Es sollte geprüft werden, inwieweit die Europäische Mehrwertsteuersystemrichtlinie der Umsatzsteuerbefreiung von Trägern entgegensteht und inwieweit die Bundesregierung darauf hinwirken kann, dies zu ändern. Das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit sollte dazu genutzt werden. 5. Freiwilligendienstestatusgesetz: Überblick zu den aktuellen Positionen Der folgende Überblick fasst die aktuellen Gemeinsamkeiten und Differenzen zur Thematik zusammen und sollte bei der Erarbeitung eines Freiwilligendienstestatusgesetzes durch die Bundesregierung berücksichtigt werden. A. Konsens Ziele eines Freiwilligendienstestatusgesetzes • Berücksichtigung möglichst aller Freiwilligendienstformate. Das umfasst die sog. geregelten Freiwilligendienste auf Grundlage gesetzlicher Regelungen oder staatlicher Förderrichtlinien (FSJ/ FÖJ, „kulturweit“, Freiwilligendienste aller Generationen, „weltwärts“) sowie die sog. ungeregelten Freiwilligendienste (Kurzzeitfreiwilligendienste, längerfristige Freiwilligendienste). • Keine Schwächung einzelner Formate 37 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste • Verbesserung der Übersichtlichkeit • Stärkung der Rechtssicherheit sowie des Status von Freiwilligendienstleistenden • Abgrenzung zum bürgerschaftlichen Engagement, zur Erwerbsarbeit und zum Pflichtdienst • Freiwilligendienste als Bildungsdienste verorten • Berücksichtigung von Fragen der sozialen Sicherung bedeuten Die entsprechenden Regelungen sollten an die Lebens-, Berufs- und Familiensituation angepasst werden. • Den Freiwilligen sollte im Rahmen von Vollzeitdiensten für die Zeit nach ihrem Dienst der soziale Status erhalten bleiben, den sie vor Beginn des Dienstes hatten (status quo ante). Charakter und Struktur des Gesetzes Besonderer Teil: passgenaue Regelungen für die einzelnen Dienstformen • Unterteilung des Gesetzes in einen allgemeinen Teil und einen besonderen Teil • Allgemeiner Teil mit Definition und Mindestanforderungen für Freiwilligendienste • Besonderer Teil mit passgenauen Regelungen für die einzelnen Dienstformen Allgemeiner Teil: Definition • Es gibt unterschiedliche Definitionen von Freiwilligendiensten (siehe unten). Für alle Definitionen gilt, dass Freiwilligendienste gleichzeitig der Gesellschaft und der persönlichen Bildung der Freiwilligen dienen und dafür nur solche Tätigkeiten in Frage kommen, die keine Erwerbsarbeitsplätze ersetzen. Zudem sind sie freiwillig und unentgeltlich. Allgemeiner Teil: Mindestanforderungen für Freiwilligendienste • Freiwilligendienste basieren auf einer vertraglichen Selbstverpflichtung, in der Dauer, Art und zeitlicher Umfang der Tätigkeit festgelegt werden. • Freiwilligendienste haben Begleitkonzepte. • Freiwilligendienste fördern die soziale und fachliche Erfahrung. • Freiwillige leisten ergänzende und arbeitsmarktneutrale Tätigkeiten in Einsatzstellen bzw. Einrichtungen. • Freiwilligendienste werden von gemeinnützigen Organisationen oder öffentlichen Trägern angeboten. • Freiwillige erhalten einen allgemein gültigen Nachteilsausgleich als Zeichen der Anerkennung, wie z. B. Anspruch auf Kindergeld oder auf Waisenrente. • Aufwandsentschädigungen können gewährt und anfallende Kosten erstattet werden. Fragen der sozialen Sicherung • Freiwillige sind gegen Krankheit, Unfall und Berufsunfähigkeit gemäß den bestehenden Standards abzusichern. Es sollten passgenaue Regelungen für die unterschiedlichen Zielgruppen entwickelt werden. • Falls kein eigener sozialversicherungsrechtlicher Status möglich ist, darf der Freiwilligendienst keine sozialversicherungsrechtliche Schlechterstellung 38 Unterscheidung passgenauer Regelungen für: • Jugendfreiwilligendienste im Inland mit enger Orientierung am Jugendfreiwilligendienstegesetz (JFDG), • Internationale Jugendfreiwilligendienste. B. Dissens Allgemeiner Teil: Definition Beispiele für die unterschiedlichen Definitionen zu Freiwilligendiensten: • Die Enquetekommission definiert sie als ganztägige Dienste und als eine besondere, staatlich geförderte Form bürgerschaftlichen Engagements, in der sich Jugendliche und junge Erwachsene für das Gemeinwohl engagieren. • Nach Rauschenbach/Liebig sind Freiwilligendienste hinsichtlich Dauer, Umfang, Einsatzorte sowie sozialer Absicherung und Gratifikation vertraglich zwischen Freiwilligen und Organisation geregelt, im Falle bestimmter Dienste zusätzlich gesetzlich festgeschrieben. Sie sind vom Grundsatz her nicht vergütet und formal zeitlich begrenzt. • Im Bericht der Kommission ‚Impulse für die Zivilgesellschaft’ werden die neuen Freiwilligendienste für alle Altersgruppen als zeitlich und inhaltlich flexibel für engagementbereite Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen beschrieben. Zugleich berücksichtigen sie die Interessen der Organisationen und Einrichtungen hinsichtlich der Planbarkeit und Verbindlichkeit der Einsätze. • Internationale Freiwilligendienste stellen eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements dar, bei dem Anfang und Ende, Dauer und Umfang, Inhalt, Aufgaben, Ziele und Art der freiwilligen Tätigkeit ebenso vereinbart sind wie der finanzielle und organisatorische Rahmen, die rechtliche und soziale Absicherung. Dies wird i. d. R. zwischen Freiwilliger/m, Einsatzstelle/Projektpartner im Ausland und Träger/Entsendeorganisation schriftlich vereinbart. Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Allgemeiner Teil: Mindestanforderungen für Freiwilligendienste – Dauer Hier gibt es unterschiedliche Positionen: • Freiwilligendienste sind Blöcke aus mindestens drei zusammenhängenden Monaten; auf der Grundlage von mindestens 20 Wochenstunden für ältere Menschen bzw. 30 Wochenstunden für junge Menschen und einer maximalen Dauer von 24 Monaten. • Freiwilligendienste haben einen Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und eine Dauer von mindestens sechs Monaten. • Freiwilligendienste haben einen Umfang von mindestens 15 Wochenstunden und sind befristet auf max. 24 Monate. Allgemeiner Teil: Mindestanforderungen für Freiwilligendienste – Begleitkonzepte Hinsichtlich des Umfangs der Bildungsangebote gibt es einen Dissens: • Bei Vollzeitfreiwilligendiensten für Jugendliche liegt der Umfang der pädagogischen Begleitung bei 25 Tagen pro Jahr; für ältere Freiwilligendienstleistende (ab 28 Jahre) sollte mindestens ein Tag pro Monat angeboten werden. • Die Dauer der Bildungsmaßnahmen beträgt, bezogen auf einen zwölfmonatigen Dienst, mindestens 20 Tage (ausgenommen fremdsprachige Schulung). • Die Träger der Freiwilligendienste aller Generationen (FDaG) müssen eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Wochenstunden pro Jahr sicherstellen. Besonderer Teil: passgenaue Regelungen für die einzelnen Dienstformen Hier besteht ein Dissens bezüglich der Berücksichtigung jüngerer Freiwilliger unter 28 Jahre: • Legaldefinition der FDaG in § 2 Absatz 1a SGB VII sieht keine Altersbegrenzung vor; FDAG sollen auch für Jugendliche möglich sein. • Der Bundesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr befürwortet die Einführung eines Freiwilligendienstes für Menschen ab 28 Jahren im In- oder Ausland. Soziale Sicherung Unterschiedliche Vorstellungen zur konkreten Ausgestaltung reichen von: • einem allgemein gültigen sozialversichungsrechtlichen Status für alle Freiwilligendienste mit: einer beitragsfreien Anrechnungszeit in der Rentenversicherung, • einer Absicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung, • der Möglichkeit der Familienversicherung sowie der Absicherung des Status quo ante im Rahmen der Arbeitslosenversicherung bis hin zu einer • Beschränkung auf passgenaue Regelungen für die einzelnen Dienstformate, z. B. für die Internationalen Freiwilligendienste u.a. möglichst beitragsfreie Mitgliedschaft im gesetzlichen Sozialversicherungssystem während des Dienstes, wenn nötig Verlängerung des Status nach dem Dienst, • beitragsfreie Anrechnungszeit in der Rentenversicherung, • beitragsfreie Anrechnungszeit in der Arbeitslosenversicherung; Sicherung des Status quo ante, • Absicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung, • Krankenversicherung u. a. Absicherung durch private Gruppenversicherung und gesetzliche Familienversicherung. Bei den Freiwilligendiensten aller Generationen geht es z. B. um • eine gesetzliche Unfallversicherung laut der Legaldefinition in § 2 Absatz 1a SGB VII • grundsätzliche Sozialversicherungsfreiheit: Geht der Tätigkeitsumfang über ein Drittel einer vergleichbaren Vollzeitstelle hinaus, unterliegen die Tätigkeiten der Einkommenssteuerpflicht sowie unter Umständen auch der Sozialversicherungspflicht. • Von zentraler Bedeutung für Träger und Freiwillige ist die Frage, inwiefern die Zahlung einer pauschalierten Aufwandsentschädigung den Freiwilligeneinsatz als sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis qualifiziert. Freiwilligendienste erfüllen nicht die Merkmale von Erwerbsarbeit, da sie keinen Erwerbszweck verfolgen. Der Dienst ist nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet, sondern verfolgt arbeitsmarktneutral gemeinnützige Ziele. Eine gesetzliche Klarstellung respektive Regelung dieser Frage erscheint daher dringend erforderlich. Möglich wäre eine Änderung von § 14 Abs. 1 S. 3 SGB IV in Verbindung mit einem erweiterten steuerrechtlichen Privilegierungstatbestand in § 3 EStG mit der Folge, dass die privilegierten Aufwandsentschädigungen nicht als Arbeitsentgelt gelten. 39 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Uwe Slüter Kurzgutachten: Mögliche Rahmenbedingungen für ein Freiwilligendienstestatusgesetz (FWDStG) I. Vorbemerkungen 1. Einführung Freiwilligendienste sind seit einigen Jahren verstärkt im Blick von Politik und Öffentlichkeit. Freiwilligendienste bieten den Teilnehmenden Erfahrungsräume. Sie öffnen die Augen für soziale Notlagen und bieten Einblicke in soziale Berufe. Gleichzeitig tragen sie zur Persönlichkeitsentwicklung bei, indem vor allem junge Freiwillige lernen, Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen, eigenes Handeln, Verhalten und Einstellungen kritisch zu hinterfragen, eigenes Handeln bewusster zu erleben und eine realistischere Selbsteinschätzung zu gewinnen. Alle Freiwilligen lernen eigene Grenzen kennen und akzeptieren und werden dabei unterstützt, eine eigene persönliche und berufliche Perspektive zu entwickeln. Gleichzeitig können die Freiwilligen ihre Kommunikations-, Kooperations-, Entscheidungs-, Urteils-, Kritik- und Konfliktfähigkeit erweitern. Freiwilligendienste ermöglichen Partizipation und Lernen von Mitbestimmung, fördern zudem die Entwicklung politischer Handlungsperspektiven und ermutigen zur Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung. Freiwillige, insbesondere Freiwillige, die einen Auslandsdienst geleistet haben, bringen ihre friedens- und entwicklungspolitischen Kompetenzen in unsere Gesellschaft ein. Die schwarz-gelbe Bundesregierung strebt in ihrer Koalitionsvereinbarung von Oktober 2009 eine gemeinsame ressortübergreifende Strategie an, um einheitliche und transparente Bedingungen für alle Freiwilligendienstleistenden zu schaffen. Weiter strebt sie einen einheitlichen Status für Freiwilligendienstleistende im Zuge eines Freiwilligendienststatusgesetzes an. Zudem soll der Kindergeldbezug in Zeiten geregelter und ungeregelter Jugendfreiwilligendienste vereinheitlicht werden.1 40 In seinem Grundriss einer engagementpolitischen Agenda fordert das Nationale Forum für Engagement und Partizipation vor allem eine ressortübergreifende und einheitliche Regelung.2 Darüber hinaus müssen ausreichend Plätze zur Verfügung gestellt werden. Dazu ist die Bereitstellung der finanziellen und (steuer-) rechtlichen Rahmenbedingungen notwendig. In diesem Zusammenhang soll auch geprüft werden, ob ein einheitlicher Status für Freiwilligendienstleistende die Förderung, rechtliche Absicherung und Ausweitung der Freiwilligendienste nachhaltig sichern und fördern kann.3 Mit der Absicht, einen einheitlichen Status für Freiwilligendienstleistende zu schaffen, greift die Bundesregierung vor allem einen Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2005 auf. Dort wird die Bundesregierung aufgefordert zu prüfen, inwieweit ein Bundesfreiwilligendienstgesetz die Freiwilligendienste nachhaltig sichern und fördern kann.4 Im Zuge der Vorbereitungen zur Fortsetzung des Nationalen Forums, das sich intensiv mit einem Freiwilligendienststatusgesetz beschäftigen will, wurde ich um ein Kurzgutachten zu möglichen Rahmenbedingungen für ein solches Gesetz gebeten. Die folgenden Ausführungen plädieren für die Schaffung eines einheitlichen Mindeststandards für Freiwilligendienste unter Berücksichtigung vorhandener Formate und besonderer Anforderungen unterschiedlicher Zielgruppen. Eine verbesserte Förderung der Freiwilligendienste – insbesondere der Jugendfreiwilligendienste – ist notwendig, aber nicht Gegenstand dieses Kurzgutachtens. Die Vorschläge sind ein erster Diskussionsbeitrag. 2. Hintergrund Die Notwendigkeit eines FWDStG wird insbesondere vor dem Hintergrund einer Freiwilligendienstvielfalt Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste diskutiert, die sich in den letzten Jahren – auch politisch motiviert – entwickelt hat. 3. Übersicht über in Deutschland angebotene Freiwilligendienstformen: Geregelte Freiwilligendienste (auf Grundlage gesetzlicher Regelungen oder staatlicher Förderrichtlinien): • Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ)/Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ): Die weitaus größte Rolle bei den Freiwilligendiensten spielt das FSJ mit steigender Tendenz! Daneben können junge Menschen ein FÖJ leisten. Das FSJ und FÖJ können auch im Ausland geleistet werden. Rechtliche Grundlage ist das Jugendfreiwilligendienstegesetz (JFDG). • Kulturweit: „kulturweit“ ist seit 2009 ein Freiwilligendienstangebot des Auswärtigen Amts in Kooperation mit der Deutschen UNESCO-Kommission. „kulturweit“ ermöglicht Menschen aus Deutschland im Alter zwischen 18 und 26 Jahren, sich für 6 oder 12 Monate im Ausland im Bereich der Kultur- und Bildungspolitik zu engagieren. Rechtliche Grundlage ist das JFDG. • Freiwilligendienste aller Generationen (FDaG): Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wurden auf Grundlage der Empfehlungen der Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“ ab 2005 Modellprojekte zum „generationsübergreifenden Freiwilligendienst“ vom BMFSFJ für junge und hauptsächlich ältere Menschen gefördert. Nachfolger ist das am 1. Januar 2009 gestartete Programm „Freiwilligendienste aller Generationen“. Wer sich im Umfang von mindestens 8 Wochenstunden für die Dauer von mindestens 6 Monaten engagiert, erhält u. a. einen Anspruch auf Qualifizierung und fachliche Begleitung und ist in der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert. Rechtliche Grundlage ist die Legaldefinition in § 2 Absatz 1a SGB VII. • Auch der Europäische Freiwilligendienst (EFD) ist durch Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates ein geregelter Dienst. Junge Freiwillige aus Deutschland leisten einen Dienst im Ausland, oder ausländische junge Menschen leisten einen Freiwilligendienst in Deutschland. Rechtliche Grundlage ist der Beschluss Nr. 1719/2006/EG des Rates der Europäischen Union. Der EFD wird ausdrücklich auf EU-Ebene nicht als Beschäftigungsverhältnis gesehen. • Förderprogramm „weltwärts“: Das Förderprogramm „weltwärts“ soll das Engagement junger Menschen für die „Eine Welt“ nachhaltig fördern und versteht sich als Lerndienst, der jungen Menschen einen interkulturellen Austausch in Entwicklungsländern ermöglicht. Die Rahmenbedingungen sind in der Richtlinie zur Umsetzung des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes des BMZ geregelt. Nicht geregelte Freiwilligendienste: • Kurzzeitfreiwilligendienste: Häufig wollen junge Menschen einen Dienst leisten, der eine kürzere Dauer als 6 Monate hat. Modelle für kurzzeitige Freiwilligendienste bieten Einsatzmöglichkeiten zwischen drei und 6 Monaten, die dem FSJ vergleichbar sind. • Ungeregelte längerfristige Freiwilligendienste: Das Ziel der Völkerverständigung prägt die längerfristigen Freiwilligendienste, die sich grundsätzlich an junge Frauen und Männer richten und mit Ausnahme des „Anderen Dienst“ im Ausland nach § 14b Zivildienstgesetz (ZDG) nicht gesetzlich geregelt sind. Die Bedeutung hat sich seit dem Start des Förderprogramms „weltwärts“ durch das BMZ erheblich verringert. Wo es keine rechtlichen oder fördertechnischen Rahmenbedingungen gibt, die eingehalten werden müssen, gibt es auch viele Formen von Freiwilligendiensten. Die Aufzählung ist deshalb nicht abschließend. Freiwilligendienste haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt: 5 FSJ Inland 40.000 6 FÖJ Inland 2.200 FSJ Ausland (und FÖJ) 700 ungeregelte FWD Inland 650 Förderprogramm „welt- 2.900 wärts“ sonstige FWD Ausland 2.000 7 Europäischer Freiwilli- 1.200 gendienst (800 Entsendungen; 400 Freiwillige in Deutschland) „kulturweit“ 8 190 Zahlen zu den FDaG sind erst ab Februar oder März 2010 im Rahmen der Veröffentlichung einer Befragung zu erwarten (Stand Januar 2010). 41 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste II. Ziele des FWDStG Folgende Ziele sollten mit der Gesetzesinitiative verbunden sein: Erhöhung der Übersichtlichkeit und Rechtssicherheit ohne Schwächung erfolgreicher FreiwilligendienstModelle Neue gesetzgeberische Vorgaben müssen die vorhandenen Freiwilligendienst-Formen weiter stärken. Dies gilt insbesondere für das FSJ, aber auch für das Förderprogramm „weltwärts“. eng am Förderprogramm „weltwärts“ orientieren, diese gesetzgeberisch festschreiben und um den gesamten Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Amtes erweitert werden. • Artikel 4: Freiwilligendienst für Menschen ab 28 Jahre im In- oder Ausland. Es muss geprüft werden, ob zwischen Regelungen für das In- und Ausland zusätzlich unterschieden werden muss. Sollte es schwierig sein, die unterschiedlichen Bedarfe der Zielgruppe in einem einheitlichen Status zu bündeln, kann es auch Sinn machen, das FWDStG auf Jugendfreiwilligendienste zu beschränken. Verbesserung der gesellschaftlichen Anerkennung IV. Inhalte Ein Fördergesetz muss passgenaue Rahmenbedingungen für die einzelnen Freiwilligendienst-Formate schaffen, die einerseits Benachteiligungen verhindern, andererseits Anreize schaffen, einen Freiwilligendienstleisten zu wollen. 1. Allgemeiner Freiwilligendienststatus Verbesserte Rahmenbedingungen für Freiwilligendienste schaffen Bereits 2005 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, verbesserte Rahmenbedingungen für Freiwilligendienste zu schaffen. Trotz der Novellierung des JFDG haben sich die Rahmenbedingungen für Jugendfreiwilligendienste nicht ausreichend verbessert. Einheitliche Zuständigkeiten für Freiwilligendienste schaffen Eine ressortübergreifende Gestaltung der Freiwilligendienste stellt die Zusammenarbeit mit Familien-, Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Integrations- oder auch Gesundheitspolitik sicher. Die Steuerung sollte beim BMFSFJ liegen, auch wenn andere Ressorts Angebote vorhalten. Ein besonderes Augenmerk muss stets auf die besonderen Interessen und Belange junger Menschen gelegt werden. III. Rechtliche Rahmung Ein FWDStG könnte als Artikelgesetz gestaltet werden mit folgenden Artikeln: • Artikel 1: Allgemeiner Freiwilligendienststatus • Artikel 2: Freiwilligendienst für Menschen bis 27 Jahren im Inland. Die Regelungen sollten sich eng am JFDG orientieren. • Artikel 3: Freiwilligendienst für Menschen bis 27 Jahren im Ausland. Die Regelungen sollten sich 42 1.1 Ziele Folgende allgemeine Ziele sollten mit der Regelung eines allgemeinen Freiwilligendienststatus verbunden sein. Abgrenzung der Freiwilligendienste vom Pflichtdienst Regelmäßig wird eine Debatte um die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht als „soziale Schule der Nation“ für junge Männer und Frauen alternativ zum Zivildienst geführt. Handlungsleitend in der Debatte sind befürchtete Lücken im Bereich der sozialen Dienste, und deshalb wird mehrheitlich für einen Pflichtdienst aus funktionalen Gründen plädiert. Eine allgemeine Dienstpflicht ist nicht nur aus ökonomischen und politischen Gründen, sondern vor allem aus ethischen und verfassungsrechtlichen Gründen der falsche Weg. Leitend in der Debatte bleibt, dass solche Forderungen deutschem und internationalem Recht widersprechen. Freiwilligendienste als besonderen Teil des bürgerschaftlichen Engagements beschreiben – Abgrenzung zum allgemeinen bürgerschaftlichen Engagement Freiwilligendienste sind eine besondere, eigene Form des bürgerschaftlichen Engagements, und zwar jenseits des traditionellen Ehrenamts, jenseits von Pflicht, Erwerbsarbeit, Ausbildung und Zivildienst.9 Notwendig ist es, trotz aller Gemeinsamkeiten zwischen Freiwilligendiensten und bürgerschaftlichem Engagement zu unterscheiden, um den Regelungsrahmen für ein künftiges Gesetz einzugrenzen und gleichzeitig von den Bestrebungen nach einem Bundesgesetz zur nachhaltigen Förderung des bürgerschaftlichen Engagements abzugrenzen. Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Freiwilligendienste als Bildungsprojekt verorten 1.2.1 Mindestanforderungen Der Bildungsanspruch ist konstitutives Element der Freiwilligendienste und macht ihre besondere Attraktivität aus. Der Bildungscharakter und der Bildungsanspruch in und von Freiwilligendiensten sind zu erhalten. Freiwilligendienste enthalten Statuselemente verschiedener anderer Tätigkeitsformen und sind doch etwas Eigenes: Freiwilligendienste sind arbeitsmarktneutral zu gestalten Freiwilligendienste sind zuerst ein Bildungsprojekt mit einem expliziten Bildungsauftrag in Abgrenzung zum formalen Lernen. Eine Engführung auf berufsqualifizierende und/oder arbeitsmarktpolitische Instrumente birgt für die Freiwilligendienste die Gefahr, den Anspruch der Arbeitsmarktneutralität aufzugeben. Freiwilligendienste für junge Menschen sollen helfen, die Lebenslagen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu verbessern Die gesetzlich geregelten Jugendfreiwilligendienste zielen auf die Verbesserung der Lebenslagen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Soziale Bildung soll jungen Menschen die Möglichkeit geben, in der Praxis soziale Erfahrung zu sammeln und einen Beitrag zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu leisten. Damit bezieht sich das JFDG auf das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Der Referenzrahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetz, muss auch im FWDStG für die Zielgruppe junge Menschen verbindlich festgeschrieben werden. Freiwilligendienste für Menschen ab 28 Jahren sollen u. a. helfen, in den Arbeitsmarkt zu integrieren, biografische Übergänge zu gestalten und sinnvolle Engagementfelder zu entdecken. 1.2 Definition mit Mindestanforderungen für alle geregelten und ungeregelten Freiwilligendienste Es gibt unterschiedliche Definitionen von Freiwilligendiensten. Sie reichen von der auf die ganztägigen Dienste ausgerichteten Definition der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“10 bis hin zur weiteren Definition von Rauschenbach/Liebig.11 Danach sind Freiwilligendienste „Dienstverhältnisse innerhalb gemeinnütziger Organisationen, die im Zwischenbereich von Ehrenamt und (formalen) Bildungsangeboten angeboten werden. Sie sind mit obligatorischen Bildungsangeboten verknüpft und werden in Form freiwilliger Selbstverpflichtung zumeist von jungen, aber auch von älteren Menschen in Anspruch genommen.“ • Freiwilligendienste sind nicht „herkömmliches Ehrenamt“, aber freiwilliges bzw. bürgerschaftliches Engagement. • Freiwilligendienste sind nicht Pflichtdienst, aber der Freiwillige verpflichtet sich. Freiwilligendienste sind keine Arbeitsverhältnisse, aber auch fremdnützige Hilfstätigkeit. • Freiwilligendienste sind nicht Ausbildungsverhältnis, aber Bildungsdienst. Sortiert man diesen Abgrenzungsmerkmalen positive Kriterien zu, ergeben sich folgende Mindestanforderungen: • Freiwilligendienste basieren auf einer vertraglichen Selbstverpflichtung, in der Dauer, Art und zeitlicher Umfang der Tätigkeit festgelegt werden. • Freiwilligendienste werden pädagogisch begleitet, dienen der sozialen und fachlichen Erfahrung. • Freiwillige leisten „überwiegend praktische Hilfstätigkeiten“, worin auch die gewünschte soziale Komponente und der Bildungscharakter zum Ausdruck kommen. • Freiwillige kommen in gemeinwohlorientierten Einsatzstellen bzw. Einrichtungen zum Einsatz. • Freiwilligendienste werden von gemeinnützigen Organisationen oder öffentlichen Trägern angeboten. • Freiwillige erhalten einen allgemein gültigen Nachteilsausgleich als Zeichen der Anerkennung, wie z. B. Anspruch auf Waisenrente und Kindergeld. 1.2.2 Offene Fragen Bei der Diskussion eines Allgemeinen Status gibt es einige „Klippen“ und offene Fragen. Zwei Beispiele: Dauer Neben formalen Gemeinsamkeiten zwischen Freiwilligendiensten und bürgerschaftlichem Engagement gibt es vor allem bei der Frage der Dauer unterschiedliche Auffassungen. • Die Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“ definiert: „Generationsübergreifende Freiwilligendienste sollten länger dauern können als ein Jahr, in Vollzeit ausgeübt werden oder mit wenigen Stunden Zeiteinsatz in der Woche, Beruf und Familie begleitend. In der Regel sollte eine Mindestdauer von 3 43 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste zusammenhängenden Monaten mit mindestens 20 Wochenstunden und einer Höchstdauer bis zu 24 Monaten bei Diensten im In- und Ausland eingehalten werden. Bei berufsbegleitenden Formen sollte jedenfalls eine entsprechende zeitliche Mindestanforderung festgelegt werden.“12 Für die FDaG sind inzwischen gesetzlich im Rahmen der Legaldefintion nach § 2 Absatz 1a SGB VII mindestens 6 Monate und mindestens 8 Wochenstunden festgelegt. • Jugendfreiwilligendienste sind in der Regel vergleichbar einer Vollzeittätigkeit. FSJ und FÖJ dauern zwischen mindestens 6 und höchstens 18 Monaten (in Ausnahmefällen 24 Monate). • Kurzzeitfreiwilligendienste sind ebenfalls Jugendfreiwilligendienste und sind bereits ab 3 Monaten möglich. • Freiwilligendienste im Ausland sind ebenfalls in der Regel Vollzeitdienste und dauern in der Regel 12 Monate, aber auch hier gibt es zeitliche Ausnahmen. Einige Träger bieten den Dienst bereits ab 6 Monaten bis zu einer Dauer von 24 Monaten an. Außerhalb der FDaG gibt es in Deutschland im Grundsatz nur Vollzeitfreiwilligendienste, die überwiegend Jugendfreiwilligendienste sind. Die politisch geforderte zeitliche Flexibilisierung wurde bei der Novellierung des JFDG zwar in der möglichen Ableistung in Blöcken, der Ausgestaltung mit einem besonderen Konzept bis zu einer Dauer von 24 Monaten, der Möglichkeit der Ableistung mehrerer Freiwilligendienste nacheinander sowie der Option eines kombinierten In- und Auslandsdienstes umgesetzt. Eine Abkehr von der Vollzeittätigkeit bei Jugendfreiwilligendiensten war jedoch politisch nicht gewollt. Die Arbeitsgruppe „Freiwilligendienste“ des BBE definiert Freiwilligendienste in einem Arbeitspapier als Dienst mit mindestens 3 zusammenhängenden Monaten und maximal 24 Monaten mit je 15 Wochenstunden.13 Die im Fachforum Freiwilligendienste zusammengeschlossenen Träger, zu denen die Mitglieder des BAK-FSJ, BAK-FÖJ und des Gesprächskreises Internationale Freiwilligendienste gehören, definieren Freiwilligendienste als Blöcke aus mindestens drei zusammenhängenden Monaten; auf der Grundlage von mindestens 20 Wochenstunden und einer maximalen Dauer von 24 Monaten. Den Trägern geht es bei dieser Minimaldefinition um eine Abgrenzung zum bürgerschaftlichen Engagement. verhältnis der eigenen Art definiert wird. Menschen, die sich in Freiwilligendiensten sozial und ohne Gewinnerzielungsabsicht engagieren, dürfen in ihrer sozialen Sicherung jedoch nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne ihr Engagement stünden. Besonders der Schutz vor Krankheit, Unfall, Invalidität und Haftpflichtschäden – dieser Schutz kann je nach Lebens-, Berufs- und Familiensituation unterschiedlich aussehen – muss verbindlich geregelt sein. Fraglich ist, ob ein eigener Status im Rahmen eines allgemeinen Freiwilligendienststatus konsensfähig ist und welche Merkmale er haben sollte. • Die Tätigkeit in den gesetzlich geregelten Jugendfreiwilligendiensten FSJ und FÖJ ist beschäftigungsähnlich und deshalb sozialversicherungspflichtig.14 Träger bzw. Einsatzstellen müssen vollständig für die Sozialversicherungsbeiträge aufkommen.15 • Für das Programm Kulturweit gilt wie im FSJ-Ausland die gesetzliche Sozialversicherungspflicht. • Ungeregelte Freiwilligendienste im Inland sind nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Beschäftigungsverhältnisse und damit sozialversicherungspflichtig.16 • Die Freiwilligendienste aller Generationen sind grundsätzlich sozialversicherungsfrei. Die Freiwilligen sind lediglich in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert.17 Geht der Tätigkeitsumfang über ein Drittel einer vergleichbaren Vollzeitstelle hinaus, unterliegen die Tätigkeiten der Einkommenssteuerpflicht18 und es kann auch dazu kommen, dass die Tätigkeit als sozialversicherungspflichtig eingestuft wird. • Im Förderprogramm „weltwärts“ besteht keine gesetzliche Sozialversicherungspflicht, weil von einer Entsendung der Freiwilligen ausgegangen wird. Der private Versicherungsschutz umfasst mindestens eine Auslandskrankenversicherung, Unfallversicherung inkl. Invalidität und Todesfall, eine Pflegeversicherung, eine Haftpflicht- und Rücktransportversicherung. • Der Europäische Freiwilligendienst hält für alle Teilnehmer/innen eine private Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Haftpflichtversicherung vor. Rechtliche und soziale Fragen – Status Ziel sollte ein allgemein gültiger sozialversicherungsrechtlicher Status sein, dieser könnte wie folgt aussehen: Es gibt vor allem bei der Frage der rechtlichen und sozialen Absicherung der Freiwilligen große Unterschiede. Ziel muss es sein, dass der Status eines Teilnehmers an Freiwilligendiensten als ein Rechts- • Die Freiwilligen sollen von der Rentenversicherung als versicherungsfrei aufgenommen und die Dienstzeit als beitragsfreie Anrechnungszeit gewertet werden. 44 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste • In der Arbeitslosenversicherung sollten die Freiwilligen nach Beendigung ihres Dienstes denselben Status erhalten, den sie vor ihrem Freiwilligendienst innehatten. • Die Freiwilligen sollen in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen werden (Berufsgenossenschaft). • Junge Menschen sollen die Möglichkeit erhalten, über ihre Eltern in der Familienversicherung versichert zu bleiben. • Nicht alle Freiwilligen benötigen diesen sozialversicherungsrechtlichen Status umfassend. Im Einzelfall muss geprüft werden, ob insbesondere für Freiwillige, die älter als 27 Jahre sind, alle Regelungen notwendig ist. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass sich ein derartiger Status einfach realisieren lässt, weil Freiwilligendienste im Inland als beschäftigungsähnlich definiert werden. Der in der Sozialversicherung gebräuchliche Begriff der Beschäftigung geht weit über den Arbeitsbegriff hinaus. Im Prinzip sind alle Tätigkeiten, auch die, bei denen der Lerneffekt im Vordergrund steht, Beschäftigung. Damit sind alle Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland sozialversicherungspflichtig und alle Inlandsfreiwilligendienste damit wahrscheinlich ebenfalls sozialversicherungspflichtig. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Bundesregierung ein Mandat für die Harmonisierung der sozialen Sicherung an die EU abgeben wird,19 deshalb lassen sich europäische Richtlinien zur Schaffung eines Freiwilligendienststatus in Deutschland nicht nutzen. Sollte sich ein derartiger allgemeiner sozialversicherungsrechtlicher Status nicht realisieren lassen, sollten passgenaue Regelungen für die unterschiedlichen Zielgruppen geschaffen werden. 2. Passgenaue Regelungen für die unterschiedlichen Zielgruppen und – Formate Neben einem allgemeinen Freiwilligendienststatus sind passgenaue Regelungen für die unterschiedlichen Zielgruppen und Formate (In- und Auslandsdienste für Jüngere und Ältere, siehe oben unter III., Artikel 2-4) notwendig. 2.1 Sozialversicherungsrechtliche Absicherung Für einen Freiwilligendienst für Menschen bis 27 Jahren im Inland20 sollten die Regelungen des JFDG gelten. Für einen Freiwilligendienst für Menschen bis 27 Jahren im Ausland sollten die Regelungen des Förderprogramms „weltwärts“ gesetzgeberisch festgeschrieben werden. Freiwilligendienstleistende ab 28 Jahre benötigen sehr unterschiedliche rechtliche und sozialversicherungsrechtliche Rahmenbedingungen. Erhalten sie Taschengeld oder Verpflegung und/ oder Unterkunft in den Einrichtungen, ist davon auszugehen, dass im Inland Sozialversicherungsbeiträge anfallen. Dann kann auf die Lösung für Artikel 2 (Inland junge Menschen) oder bei einer Entsendung auf Artikel 3 (Ausland junge Menschen) zurückgegriffen werden. 21 2.2 Dauer Empfohlen wird ein Regelungsrahmen für eine überwiegende Tätigkeit, also wenigstens 20 Stunden/ Woche für ältere Menschen, für junge Menschen sollten 30 Wochenstunden als Regel festgeschrieben werden. Ausnahmen sind denkbar. So lassen sich sinnvoll Bildungselemente und Begleitangebote integrieren. Berechtigte Interessen der Organisationen und Einrichtungen hinsichtlich der Planbarkeit und Verbindlichkeit können so ebenso berücksichtigt werden. Innerhalb dieses Zeitkorridors muss die Dauer des Freiwilligendienstes flexibel gestaltbar bleiben. 2.3 Begleitung der Freiwilligen Unabhängig von der Dauer und Form eines Freiwilligendienstes ist eine Begleitung sicherzustellen, die es den Freiwilligen ermöglicht, ihre Erfahrungen in einer Gruppe von Freiwilligen zu reflektieren und in gesellschaftliche Zusammenhänge einzuordnen. Abhängig von der Zielgruppe und Lebensphase sind unterschiedliche Begleitkonzepte notwendig. Die begleitende Bildung kann sich auch nicht nur auf die Begleitung durch Mentorinnen und Mentoren beschränken. Die Notwendigkeit der pädagogischen Begleitung für junge Menschen ist durch Gesetzesevaluationen und diverse Befragungen der Freiwilligen belegt. Mit dem Umfang von 25 Seminartagen pro Freiwilligenjahr wurden in In- und Auslandsdiensten gute Erfahrungen gemacht. Die Seminartage sollten bei Dienstzeiten, die kürzer als ein Jahr sind, wenigstens 2 Tage pro Monat betragen. Die pädagogische Begleitung für Freiwillige ab 28 Jahre sollte ebenfalls geregelt sein. Auch sie haben ein Recht auf Begleitangebote, die sich an den Bedarfen der Freiwilligen ausrichten müssen. Vorgeschlagen wird, „älteren“ Freiwilligen einen Rechtsanspruch auf Seminarteilnahme und Begleitangebote einzuräumen und sie gleichzeitig zur Teilnahme an einem Seminartag pro Monat zu verpflichten. 45 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste 2.4 Trägerprinzip Ein Freiwilligendienst braucht in allen Formaten Trägerstrukturen, die in der Lage sind, die Einhaltung der Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards zu garantieren. Die Träger übernehmen die Gesamtverantwortung für die Ausgestaltung des Dienstes. Notwendig ist eine plurale Trägerlandschaft und – in der Regel – eine Trennung von Einsatzstelle und Träger. Ein wichtiges Ziel des FWDStG sollte die Stärkung vorhandener Dienstformen und Trägerstrukturen sein. Eine Beibehaltung des Prinzips der geborenen Träger, wie sie das FSJ-Gesetz kennt, ist für das Inland zu empfehlen. Das Prinzip der bundeszentralen Organisation der Jugendfreiwilligendienste sollte mit dem neuen Gesetz unterstützt und auch für andere Formate übernommen werden. Neben den bisherigen bewährten Trägern in den In- und Auslandsdiensten bedarf es aber auch der Anerkennung neuer Träger gemäß zu entwickelnder Standards. Die Rolle des Staates als Anbieter von Freiwilligendiensten ist klärungsbedürftig. Im letzten Jahr initiierte das Auswärtige Amt mit „kulturweit“ einen Jugendfreiwilligendienst für das Ausland ohne Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure. 2.5. Anerkennungskultur Gesellschaftliche Anerkennung für das Engagement sollte sich auch in Form von Vergünstigungen ausdrücken. Ein Fördergesetz sollte unter dem Stichwort Anerkennungskultur passgenaue Rahmenbedingungen für die einzelnen Formate schaffen, die einerseits Benachteiligungen verhindern, andererseits Anreize schaffen, einen Freiwilligendienst leisten zu wollen. Beispiele, deren rechtliche Verankerung zielgruppenspezifisch geprüft werden sollte: • Ausgabe eines „Freiwilligendienst-Ausweises“, der Voraussetzung wäre für • eine verbilligte BahnCard, • kostenlose Familienheimfahrten mit der Bahn, • die begünstigte Nutzung aller anderen öffentlichen Verkehrsmittel, • eine ermäßigte Nutzung öffentlicher und privater Angebote wie Theater, Museen, Bäder und Konzerte, • bevorzugten Zugang/einen Bonus für Universität und Berufsausbildung, • Anerkennung als Praktikum bei einschlägigen Ausbildungsgängen, 46 • Verkürzung der Ausbildung bei entsprechenden Ausbildungsgängen und Tätigkeiten, • Befreiung von der Praxisgebühr/Medikamentenzuzahlung, • Befreiung von der Rundfunkgebühr, • Verlängerung des Kindergeldbezugs um Dauer des Freiwilligendienstes, da ansonsten eine schnelle Studienaufnahme im Vordergrund stehen könnte. Das gleiche gilt für die Familienversicherung bei der Krankenversicherung und die Waisen-/Halbwaisenrente. • Bildungsgutscheine, die vielfältig einsetzbar sind, z. B. für die Zahlung von Studiengebühren, vor allem aber, um Fortbildungen und Weiterbildungen zu bezahlen; • Honorierung der Ableistung eines Freiwilligendienstes • bei Ausbildungsvergabe im öffentlichen Dienst, • bei Wartesemesterregelungen an den Universitäten, • Garantie für Arbeitsplatzerhalt bei Aussetzen (wie Sabbatjahrregelung), • Zeugnisse, Zertifikate, Kompetenzbilanzierung. • Die geringen Freibeträge für Freiwillige bei Bedarfsgemeinschaften beim ALG II machen ein Engagement aus finanzieller Sicht für diese Zielgruppe wenig attraktiv. Hier braucht es höhere Freibeträge. V. Zusammenfassung Ein FWDStG bietet die Chance für mehr Rechtssicherheit und Übersichtlichkeit im vielfältigen Bereich der Freiwilligendienste. Der Bereich kann dadurch mehr Anerkennung erfahren, weiterentwickelt und zukunftsfähig gemacht werden. Dabei wird es darauf ankommen, eine Überregulierung zu vermeiden und einzelne Freiwilligendienstangebote nicht zu schwächen. Die Diskussion ist auf Grundlage des Koalitionsvertrages eröffnet. Das Nationale Forum für Engagement und Partizipation bietet eine Plattform zum Austausch und zur Lösungssuche. Ziel sind sinnvolle, möglichst konkrete Handlungsvorschläge an den Gesetzgeber, die vom gesamten Feld getragen werden und in ein mögliches Gesetzgebungsverfahren eingespeist werden können. Anmerkungen 1 Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. Beschlossen und unterzeichnet am 26.10.2009, S. 80. 2 Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (2009) (Hg.): Nationales Forum für Engagement Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste und Partizipation. Erster Zwischenbericht. Berlin. Hintergrund ist die Forderung des Dialogforums „Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen“, ein Bundesgesetz zur nachhaltigen Förderung des bürgerschaftlichen Engagements mit den Zielen einer systematischen Förderpolitik, Transparenzerweiterung und Beteiligung der Zivilgesellschaft zu entwickeln. In den Regelungskatalog sollen die Jugendfreiwilligendienste ebenfalls aufgenommen werden. 3 Ebd., S. 15 4 Bundestagsdrucksache 15/4395. 5 Vom Autor telefonisch erfragt, aus öffentlich zugänglichen Quellen bezogen oder nach Befragung Verantwortlicher geschätzt. Basis ist entweder das Jahr 2009 oder 2008. 6 Die Statistik des BAK FSJ weist für 2007/2008 ca. 35.000 Zugänge ins FSJ aus. Zusätzlich, so wird geschätzt, gibt es nochmals ca. 5.000 Einsatzplätze bei nicht bundesweit organisierten Trägern. 7 Stand 2008, ohne FSJ-14c (ca. 1.200), incl. 14b (ca. 550); Quelle: Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF). 8 Zum 1.9.09 entsandte Freiwillige. 9 Dieses hat die Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft festgehalten und bezieht sich auch auf die gleichnamige Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags. 10 „Freiwilligendienste sind eine besondere, staatlich geförderte Form bürgerschaftlichen Engagements, in der sich Jugendliche und junge Erwachsene im Rahmen eines FSJ/ FÖJ, EFD oder auch eines internationalen Freiwilligendienstes für das Gemeinwohl engagieren (Enquete-Kommission „Zukunft des BE“ 2002; S. 251). 11 Weiter: „Freiwilligendienste sind hinsichtlich ihrer Dauer, Umfang, Einsatzorte sowie sozialer Absicherung und Gratifikation vertraglich zwischen Freiwilligen und Organisation geregelt, im Falle bestimmter Dienste zusätzlich gesetzlich festgeschrieben. Sie sind vom Grundsatz her nicht vergütet und formal zeitlich begrenzt.“ Vgl. Rauschenbach, Thomas; Liebig, Reinhard (2002): Freiwilligendienste – Wege in die Zukunft. Gutachten zur Lage und Zukunft der Freiwilligendienste für den Arbeitskreis Bürgergesellschaft und Aktivierender Staat der Friedrich Ebert-Stiftung. Bonn, S. 5. 12 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2004): Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland. Bericht der Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft. Berlin, S. 10 und 11. 13 Freiwilligendienste – was sie als eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements auszeichnet; Entwurf eines Positionspapiers der AG 3 „Freiwilligendienste“ des BBE vom 18.9.2009. 14 Dies gilt auch für die ungeregelten Freiwilligendienste im Inland, deren Beschäftigungsumfang in der Regel mehr als ein Drittel einer Vollzeittätigkeit umfasst. Sie haben zwar keinen Arbeitnehmerstatus, sind jedoch beschäftigungsähnlich und deshalb in die gesetzlich geregelte Sozialversicherung vollständig einzubeziehen. 15 Bei den Inlandsdiensten steht zwar nicht die für den Arbeitsvertrag typische Verpflichtung zur Leistung bestimmter Arbeit im Vordergrund, damit genügt die Tätigkeit in den Freiwilligendiensten keiner arbeitsrechtlichen Einordnung als Arbeitnehmer/-in. Allerdings geht der in der Sozialversicherung gebräuchliche Begriff der Beschäftigung weit über den Arbeitsbegriff hinaus. 16 In Prüfungen einzelner Träger kommen die Prüfer zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einmal werden generationsübergreifende FWD im Modellprojekt, die in Vollzeit angeboten wurden, als voll sozialversicherungspflichtig eingestuft. Eine andere Prüfung eines Kurzzeitdienstes in Vollzeit kam zu dem Schluss, dass die Mini-Job-Regelung zugrunde zu legen ist. Es besteht Handlungsbedarf. 17 Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, § 2 Abs. 1a. 18 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2008): Praxishandbuch zum Freiwilligendienst aller Generationen. Vgl.: www.freiwilligendienste-aller-Generationen.de. S. 34 ff. 19 In der EU wird die Frage von Freiwilligendiensten unter dem Stichwort Mobilität diskutiert. Die Mobilitätsempfehlung der EU sieht vor, dass Freiwillige nicht als Arbeitnehmer zu betrachten sind und dass ihnen bei grenzüberschreitenden Aktivitäten keine Steine in den Weg gelegt werden dürfen. Es handelt sich aber nur um eine Empfehlung. In der gemeinsamen Zielsetzung des Rates ging es 2007 den Nationalstaaten darum, Freiwilligendienste unter rechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Sie wurden als nicht-formale Bildungsveranstaltungen und die Dienstleistenden als Nicht-Arbeitnehmer qualifiziert. Von europäischer Seite gäbe es Ansatzpunkte, die es ermöglichen würden, konsequent eine eigene Richtlinie für Freiwilligendienste zu erlassen, die den transnationalen Austausch ermöglicht. Sozialrechtlich ist das verbunden mit der so genannten Wanderarbeiterrichtlinie aus dem Jahre 1971. 20 Dies umfasst junge Menschen, die in Deutschland leben oder für einen Freiwilligendienst nach Deutschland einreisen. 21 Siehe auch Fußnote 10. 47 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Dr. Nicole D. Schmidt Thesen: Zur Zielgruppe Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen Kompetenz, Empowerment und gesellschaftliche Teilhabe durch Freiwilligendienste (Erfahrungen aus Bundesmodellprojekten des BMFSFJ bei mittenmang) Menschen mit Behinderungen sind Bürgerinnen und Bürger, die in unserer Gesellschaft faktisch noch nicht wirklich gleichgestellt sind, obwohl Gesetzesgrundlagen hierfür vorliegen. Zumeist werden sie als Hilfeempfänger gesehen, für die gesellschaftliche Anstrengungen unternommen werden müssen. Die Erfahrungen von mittenmang mit Bundesmodellprojekten zeigen: Das eigene freiwillige Engagement von Menschen mit Behinderungen stärkt diese Personen in ihren Fähigkeiten, fördert oder aktiviert ihre Kompetenzen durch den Freiwilligendienst, ermöglicht Empowerment und Bewusstheit anstelle eines Rückzugs oder Verharren in Betroffenheit. Das Engagement führt zur gesellschaftlichen Teilhabe in Richtung einer inklusiven Gesellschaft. Die Sicherstellung der gesellschaftlichen Teilhabe von Ausgrenzung bedrohter Menschen (etwa Menschen mit Behinderungen oder auch Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund mit Problemen wie Bildungsferne oder Altersarmut) und die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements u. a. in Form von Freiwilligendiensten sind gesellschaftspolitische Querschnittsaufgaben. Die Erfahrungen von mittenmang zeigen, dass multiple Problemlagen synergetische Lösungen im freiwilligen Engagement finden können: persönliche Stärkung im Spektrum der Lebensbewältigung und Salutogenese, Teilhabe in der Gemeinschaft, Förderung der Beschäftigungsfähigkeit, positive Effekte in Bezug auf Bildungsferne, Armutsprobleme (Isolation) und Gemeinwesen-Effekte. 48 Die Gruppe der Menschen mit Behinderungen stellt eine zahlenmäßig wachsende Gruppe dar (Zunahme von Behinderung im Alter/demografische Effekte; Zunahme von psychischen Erkrankungen etc.). Diese Gruppe ist grundsätzlich geeignet, in bürgerschaftliches Engagement und Freiwilligendienste eingebunden zu werden, wenn die Bedingungen stimmen (z. B. spezifisches Freiwilligen-Management mit individueller, fachlicher Freiwilligenbegleitung). Zudem können die verschiedenen Altersgruppen – vom Jugendlichen mit z. B. Lernbehinderungen bis zum älteren Menschen – eingebunden werden. Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Susanne Huth Thesen: Zum freiwilligen Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund. Zum Begriff „benachteiligte Jugendliche“ Auch wenn repräsentative Daten zum freiwilligen Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland noch immer fehlen, so ist durch zahlreichen Studien und Praxisbeobachtungen bekannt, dass Menschen mit Migrationshintergrund im traditionellen Freiwilligensektor und damit auch in den Freiwilligendiensten deutlich unterrepräsentiert sind. Zugleich nehmen benachteiligte Jugendliche – unter denen solche mit Migrationshintergrund einen überproportionalen Anteil stellen – die Möglichkeit, einen Freiwilligendienst zu leisten, verhältnismäßig seltener wahr, als dies Jugendliche mit höheren Bildungsabschlüssen und aus sozial gesicherten Verhältnissen dies tun. Die folgenden Ausführungen geben einen knappen Überblick über • die Definition von „Migrationshintergrund“ sowie den Kenntnisstand über das freiwillige Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund; • den Benachteiligtenbegriff in der Kinder- und Jugendhilfe, der Arbeitsförderung sowie im Bundesprogramm „Freiwilligendienste machen kompetent“. Zum freiwilligen Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund Menschen mit Migrationshintergrund Bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund handelt es sich um Personen, die nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen sind, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländerinnen und Ausländer und alle in Deutschland Geborene mit zumindest einem zugezogenen oder als Ausländerin bzw. Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil. Der Migrationsstatus einer Person wird hierbei aus seinen persönlichen Merkmalen zu Zuzug, Einbürgerung und Staatsangehörigkeit sowie aus den entsprechenden Merkmalen seiner Eltern bestimmt. Dies bedeutet, dass in Deutschland geborene Deutsche einen Migrationshintergrund haben können, sei es als Kinder von Spätaussiedler(inne)n, als Kinder ausländischer Elternpaare oder als Deutsche mit einseitigem Migrationshintergrund. Dieser Migrationshintergrund leitet sich dann ausschließlich aus den Eigenschaften der Eltern ab. Die Betroffenen können diesen Migrationshintergrund aber nicht an ihre Nachkommen vererben. Dies ist dagegen bei den Zugewanderten und den in Deutschland geborenen Ausländer(inne)n der Fall. Nach den heutigen ausländerrechtlichen Vorschriften umfasst diese Definition somit üblicherweise Angehörige der 1. bis 3. Migrantengeneration. Bei den Personen mit Migrationshintergrund wird unterschieden zwischen Personen mit Migrationshintergrund im engeren Sinne (Zugewanderte und in Deutschland geborene Ausländerinnen und Ausländer) und solchen mit Migrationshintergrund im weiteren Sinne.1 Kenntnisstand zum freiwilligen Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund Die Datenlage über das Ausmaß und die Kontexte des freiwilligen Engagements von Menschen mit Migrationshintergrund, ihre Motivlagen zur Übernahme von Engagementaktivitäten und Barrieren gegenüber einem Engagement ist noch immer unzureichend. Neuere Zahlen einer Repräsentativbefragung (Halm/ Sauer 2007) zeigen, dass annähernd zwei Drittel (64%) der türkeistämmigen Menschen mit Migrationshintergrund in Vereinen, Verbänden, Gruppen oder Initiativen aktiv sind, wobei eine höhere Bildung und eine längere Aufenthaltsdauer in Deutschland die Beteiligungsquote begünstigen. Dieser Anteil entspricht in etwa dem Aktivitätsgrad der deutschen Gesamtbevölkerung (70%). 49 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Türkeistämmige Menschen mit Migrationshintergrund sind am ehesten in türkischen Vereinen und Gruppen aktiv (40%), vor allem im kulturellen, religiösen und im Freizeitbereich. Die Beteiligung in interkulturellen und deutschen Vereinigungen ist dann höher, wenn hier gemeinsame Anliegen und Interessen berührt werden, beispielsweise in der politischen und beruflichen Interessenvertretung, im Sport oder bei Aktivitäten am Wohnort. den Freiwilligendienst nach Deutschland eingereist („Incoming“). Rechnet man diese Gruppe ab, dann reduziert sich der Anteil von tatsächlich in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländern bzw. von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf rd. 3 % bzw. 4 % in den beiden Freiwilligendiensten. Damit sind sie stark unterrepräsentiert angesichts eines Gesamtanteils von rd. 13 % in der altersgleichen Bevölkerung. 4 Über diese Beteiligung hinaus sind 10% der türkeistämmigen Menschen mit Migrationshintergrund auch freiwillig engagiert; in der deutschen Gesamtbevölkerung liegt dieser Anteil bei mehr als einem Drittel. Hier ist der Zusammenhang mit dem Bildungsgrad und dem beruflichen und finanziellen Hintergrund noch deutlicher als bei der Beteiligungsquote. Derart besser integrierte Menschen mit Migrationshintergrund engagieren sich häufiger als solche, die weniger gut in die Gesellschaft eingebunden sind. Der Begriff „benachteiligte Jugendliche“ wird in der Jugendhilfe, Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe genutzt. Der Begriff wird vor allem durch die für die Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe relevanten Rechtsbereiche SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) und SGB III (Arbeitsförderungsrecht) umschrieben – jedoch nicht exakt definiert. Insgesamt engagieren sich Menschen mit Migrationshintergrund eher informell in Bereichen der gegenseitigen Hilfe und Selbsthilfe und in ihren ethnischen Gemeinschaften. Das „Migrantin- bzw. Migrant-Sein“ bestimmt dabei die Formen und Inhalte des Engagements, die Bewältigung der eigenen Situation bzw. der Situation der eigenen Gruppe in der Migration steht im Mittelpunkt und ist Anlass dafür, sich zu engagieren.2 Der Benachteiligtenbegriff schließt neben einer individuellen Beeinträchtigung vor allem eine soziale Benachteiligung mit ein. Die Betroffenen gelten als sozial benachteiligt, wenn ihre Lebenschancen erheblich eingeschränkt werden, weil sie einer bestimmten Gruppe angehören. Sowohl das dritte als auch das achte SGB verbinden mit der sozialen Benachteiligung Rechtsansprüche. Die Sonderauswertung der Migrantenstichprobe des zweiten Freiwilligensurvey ergibt, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund zu 61% außerhalb von Familie und Beruf aktiv in Vereinen, Gruppen, Organisationen oder Einrichtungen beteiligen. 23% der befragten Menschen mit Migrationshintergrund des Freiwilligensurveys sind freiwillig engagiert. Dabei ist zu beachten, dass in der Migrantenstichprobe des Freiwilligensurveys deutschsprachige und somit eher gut sozial eingebundene Menschen mit Migrationshintergrund vertreten sind. Die Durchführung der Telefoninterviews in deutscher Sprache führte dazu, dass sich vergleichsweise viele formal höher gebildete Menschen mit Migrationshintergrund an der Umfrage beteiligten.3 Kinder- und Jugendhilfe Der Evaluation von FSJ und FÖJ ist zu entnehmen, dass Jugendliche aus dem Ausland oder in Deutschland lebende junge Menschen mit ausländischer Herkunft einen Freiwilligendienst mit Anteilen von rd. 6 % im FSJ und rd. 7 % im FÖJ leisten. Nicht alle Träger betreuen solche Jugendlichen, im FSJ sind es 60 % der Träger und im FÖJ ist es etwas über die Hälfte der Träger. Etwa zur Hälfte sind die in Frage kommenden jungen Menschen aus dem Ausland im Rahmen eines Austauschprogramms extra für 50 Zum Begriff „benachteiligte Jugendliche“ § 13 SGB VIII bezeichnet als Zielgruppe der Jugendsozialarbeit individuell beeinträchtigte und sozial benachteiligte junge Menschen bis zum 27. Lebensjahr, die sozialpädagogische Hilfen angeboten bekommen sollen, die ihre schulische und berufliche Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern. Eine nähere Zielgruppenbestimmung erfolgt im Gesetz selbst nicht. Von einer sozialen Benachteiligung ist in der Regel immer dann auszugehen, wenn die altersmäßige gesellschaftliche Integration nicht wenigstens durchschnittlich gelungen ist, insbesondere bei Haupt- und Sonderschülern ohne Schulabschluss, Absolventen eines Berufsvorbereitungsjahres, Abbrechern von Maßnahmen der Arbeitsverwaltung, schulischer und beruflicher Bildungsgänge, Langzeitarbeitslosen, jungen Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, jungen Menschen mit Sozialisationsdefiziten, jungen Menschen, die in besonderen sozialen Schwierigkeiten sind, bei ausländischen jungen Menschen und Aussiedlern (mit Sprachproblemen) auch dann, wenn ihre schulischen Qualifikationen höher Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste als der Hauptschulabschluss liegen; schließlich bei jungen Menschen mit misslungener familiärer Sozialisation und durch gesetzliche Rahmenbedingungen benachteiligte Mädchen und junge Frauen (http:// www.good-practice.de/3349.php). Als individuelle Beeinträchtigungen können alle physischen und psychischen oder sonstigen persönlichen Beeinträchtigungen individueller Art, wie z. B. Abhängigkeit, Verschuldung, Delinquenz, Behinderung oder auch wirtschaftliche Benachteiligung betrachtet werden. Aber auch individuelle Beeinträchtigungen, insbesondere psychische, physische oder sonstige persönliche Beeinträchtigungen individueller Art, insbesondere Lernbeeinträchtigung, Lernstörung, -schwächen, Leistungsbeeinträchtigung, -störungen, -schwächen, Entwicklungsstörungen sind als solche einzuordnen.5 Arbeitsförderung In SGB III werden lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte Jugendliche als Zielgruppen berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen und bei der Förderung der Berufsausbildung genannt. In der Geschäftsanweisung für ausbildungsfördernde Maßnahmen (HEGA 05/2007, lfd. Nr. 7) wird die Zielgruppe nach § 242 „Außerbetriebliche Berufsausbildung“ wie folgt definiert: Zur förderungsfähigen Zielgruppe gehören Jugendliche und junge Erwachsene ohne berufliche Erstausbildung, die die allgemeine Schulpflicht erfüllt haben. Förderungsfähig sind lernbeeinträchtige und sozial benachteiligte Auszubildende, die auch mit ausbildungsbegleitenden Hilfen eine betrieblichen Ausbildung nicht erfolgreich absolvieren können. Eine Altersbeschränkung sieht das Gesetz nicht vor. Als lernbeeinträchtigt gelten Auszubildende • ohne Hauptschul- oder vergleichbaren Abschluss bei Beendigung der allgemeinen Schulpflicht, • aus Förderschulen für Lernbehinderte unabhängig vom erreichten Schulabschluss, • mit Hauptschul- oder vergleichbarem Abschluss bei Beendigung der allgemeinbildenden Schulpflicht ausnahmsweise nur dann, wenn erhebliche Bildungsdefizite vorliegen, die erwarten lassen, dass ohne Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen ein Berufsabschluss nicht zu erreichen ist. In diesen Fällen ist der Psychologische Dienst der Agentur für Arbeit einzuschalten. Als sozial benachteiligt gelten insbesondere Auszubildende unabhängig von dem erreichten allgemeinbildenden Schulabschluss, • die nach Feststellung des Psychologischen Dienstes verhaltensgestört oder wegen gravierender sozialer, persönlicher und/oder psychischer Probleme den Anforderungen einer betrieblichen Berufsausbildung nicht gewachsen sind, • die Teilleistungsschwächen (z. B. Legasthenie, Dyskalkulie, ADS) aufweisen, • für die Hilfe zur Erziehung im Sinne des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VII) geleistet worden ist oder wird, wenn sie voraussichtlich in der Lage sein werden, die Anforderungen der regulären Maßnahmen nach § 241 SGB III zu erfüllen. Wenn aufgrund gravierender Probleme im Bereich der Erziehung bereits eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Abschluss einer nach dem SGB III geförderten außerbetrieblichen Ausbildung von dem Jugendlichen nicht erreicht werden kann, sondern eine Ausbildung in einer speziellen Erziehungseinrichtung angezeigt ist, kann eine Förderung nach dem SGB III nicht erfolgen. Allein die Tatsache der Unterbringung in einem Erziehungsheim oder in einer sonstigen Form des betreuten Wohnens bewirkt keine Förderungsverpflichtung der Jugendhilfe für die Kosten, die für die Teilnahme an der Ausbildungsmaßnahme entstehen. Die Verpflichtung des Jugendhilfeträgers, während der Maßnahme weiterhin die Aufwendungen für betreutes Wohnen (§§ 27, 34, 41 SGB VIII) zu übernehmen, wird dadurch nicht berührt. Die Einzelfallentscheidung erfolgt auf der Grundlage der engen Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Trägern der Jugendhilfe und der Agentur für Arbeit (§ 9 Abs. 3 SGB III, §§ 13, 81 SGB VIII sowie der „Empfehlungen zur Zusammenarbeit der Agenturen für Arbeit mit den Kommunen bei der beruflichen und sozialen Integration junger Menschen“ (RdErl 14/2000 – Ziffer 4.4). Davon betroffen sind: • ehemals drogenabhängige Jugendliche, • straffällig gewordene Jugendliche, • jugendliche Spätaussiedler mit Sprachschwierigkeiten, • ausländische Jugendliche, die aufgrund von Sprachdefiziten oder bestehender sozialer Eingewöhnungsschwierigkeiten in einem fremden soziokulturellen Umfeld der besonderen Unterstützung bedürfen, • allein erziehende junge Frauen/Männer.6 51 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Bundesprogramm „Freiwilligendienste machen kompetent“ Als Zielgruppe des Bundesprogramms werden ebenfalls „benachteiligte Jugendliche“ gefasst. Wie die Ergebnisse der Evaluation des FSJ und FÖJ zeigen, können vor allem Jugendliche aus bildungsfernen Schichten die im freiwilligen Engagement bestehenden Potenziale und Gelegenheiten für informelle Bildungsprozesse bisher kaum nutzen. Daher wurden im Bundesprogramm „Freiwilligendienste machen kompetent“ die Schulqualifikation bzw. der Bildungsstatus junger Menschen als entscheidender Faktor bzw. Indikator für Benachteiligung definiert. Das Programm richtet sich an junge Menschen aus bildungsarmen, sozial benachteiligten und partizipationsfernen Schichten mit einer niedrigen Schulqualifikation (kein Schulabschluss oder Hauptschulabschluss). Unter diesem Aspekt gehören zur Zielgruppe: • junge Menschen ohne oder mit niedrigen Schulabschlüssen, • junge Menschen, die nach der Schule keine Ausbildung begonnen oder ihre Ausbildung abgebrochen haben, • junge Menschen mit besonderen Problemlagen bzw. Förderbedarfen (z.B. Sprachvermögen, abweichendes Verhalten, Behinderungen) und • junge Menschen mit Migrationshintergrund.7 Anmerkungen 1 Quelle: Statistisches Bundesamt: http://www. destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/ Internet/DE/Content/Statistiken/Bevoelkerung/ MigrationIntegration/Migrationshintergrund/ Aktuell,templateId=renderPrint.psml. 2 Quelle: Huth, Susanne (2009): Handlungsfeld Beteiligung, in: Mund, Petra; Theobald, Bernhard (Hg.): Kommunale Integration von Menschen mit Migrationshintergrund – ein Handbuch. Berlin. S. 283-288. 3 Quelle: Gensicke, Thomas; Picot, Sibylle; Geiss, Sabine (2006): Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999 – 2004. Wiesbaden. S. 304f. 4 Quelle: Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik e. V. (2006): Ergebnisse der Evaluation des FSJ und FÖJ - Systematische Evaluation der Erfahrungen mit den neuen Gesetzen zur „Förderung von einem freiwilligen sozialen Jahr bzw. einem freiwilligen ökologischen Jahr“ (FSJ-/ FÖJ-Gesetze) im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, S. 236f. 52 5 Quelle: Good Practice Center - Förderung von Benachteiligten in der Berufsbildung (www.goodpractice.de). 6 Quelle: http://www.arbeitsagentur.de/zentralerContent/A05-Berufl-Qualifizierung/A051-Jugendliche/Publikation/pdf/GA-BaE-07-2007.pdf. 7 Quelle:http://www.fwd-kompetent.de/index.php?id=114. Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Prof. Dr. Gisela Jakob Thesen: Überlegungen zu einem Freiwilligendienstestatusgesetz In der Fachdiskussion hat sich in den letzten Jahren ein Konsens herauskristallisiert, dass ein Freiwilligendienstestatusgesetz (im Folgenden FWDStG) für die Jugendfreiwilligendienste notwendig ist. Dies hätte den Vorteil einer Angleichung der verschiedenen Jugendfreiwilligendienste, wie sie derzeit unter der Federführung verschiedener Ministerien umgesetzt werden. Darüber hinaus könnte eine solche gesetzliche Regelung, die den Status von Jugendfreiwilligendiensten bestimmt, steuerrechtliche Klarheit schaffen. Nicht zuletzt ist eine solche Regelung wichtig, um den Status der Freiwilligendienste im Ausland klarzustellen. Problematisch erscheint mir eine solche vereinheitlichende Regelung allerdings für die neuen „Freiwilligendienste aller Generationen“ – und dies aus verschiedenen Gründen: Bislang gibt es in der Fachöffentlichkeit keinen Konsens über die Subsumtion der „Freiwilligendienste aller Generationen“ unter das Dach „Freiwilligendienste“. Dies macht sich derzeit an der Auseinandersetzung über die zu leistende Mindeststundenzahl fest. Die Debatte darüber, ob ein Freiwilligendienst nun mindestens 8 oder 15 Stunden umfassen muss, ist nur ein Symptom dafür, dass die Unterordnung der freiwilligen Tätigkeiten in dem generationsbezogenen Programm unter das Label Freiwilligendienste nicht überzeugt. Es fehlt bislang eine fachlich tragfähige Bestimmung, was die „Freiwilligendienste aller Generationen“ als Freiwilligendienste kennzeichnet. Während dies für die Jugendfreiwilligendienste mit dem Fokus auf Bildungserfahrungen und bürgerschaftliches Engagement in einer lebensgeschichtlichen Übergangsphase geklärt ist, ist bis heute offen, was denn nun den inhaltlichen Kern der generationsof fenen Freiwilligendienste ausmachen soll und – vor allem – was sie von regulären Formen freiwilligen bürgerschaftlichen Engagements unterscheidet. Der Hinweis auf die Begleitung und auf Bildungserfahrungen der „neuen“ Freiwilligendienstler trägt nicht. In vielen Formen bürgerschaftlichen Engagements, und dies reicht von den Hospizvereinen und AIDSInitiativen bis zu den Sportvereinen und Freiwilligen Feuerwehren, sind Bildungsprozesse immanenter Bestandteil. Dabei wird fachliches Wissen ebenso erworben wie soziale, kommunikative und reflexive Kompetenzen. Bildung ist demnach kein exklusives Element für Freiwilligendienste aller Generationen. Hinzu kommt bei den generationsoffenen Freiwilligendiensten, dass unklar ist, was – neben der Vermittlung fachlicher Kenntnisse für das Engagement – die Zielsetzung von Bildungsprozessen sein soll. Wozu soll eine ein- bis zwei Mal im Monat stattfindende eintägige Qualifizierung in einer max. sechsmonatigen freiwilligen Tätigkeit, die danach i. d. R. nicht fortgeführt wird, dienen? Die Kriterien der Verbindlichkeit und der zeitlichen Anforderungen tragen ebenfalls nicht als besondere Kennzeichnung von Freiwilligendiensten aller Generationen. Auch andere Formen freiwilligen bürgerschaftlichen Engagements sind hoch verbindlich angelegt, und nicht selten sind engagierte Bürgerinnen und Bürger mit einem hohen Stundenkontingent aktiv. Bleibt als letztes Kriterium noch der Hinweis auf Menschen in Übergangsphasen, die sich in einem Freiwilligendienst aller Generationen engagieren. Aus meiner Sicht liegen dafür keine aussagekräftigen Erkenntnisse vor. Dies mag auf einen Teil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zutreffen. Erwerbslose oder Rentnerinnen und Rentner befinden sich allerdings nicht per se in einer Statuspassage. 53 Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Resümee: In vielen Projekten, die derzeit unter dem Dach der „Freiwilligendienste aller Generationen“ laufen, wird – abhängig von den lokalen Akteuren – wertvolle Arbeit geleistet. Allerdings gibt es keine tragfähige fachliche Begründung für die Kennzeichnung dieser Aktivitäten als „Freiwilligendienste aller Generationen“. Die Tätigkeiten sind Varianten freiwilligen Engagements, die aufgrund der Vorgaben des Programms sehr stark verregelt sind. Damit sind wiederum zahlreiche Folgeprobleme (Nähe zu Erwerbsarbeit, pauschalierte Aufwandsentschädigungen, Sozialversicherungspflicht etc.) verbunden. Neben der mangelnden fachlichen Begründung gibt es weitere Argumente gegen eine noch stärkere rechtliche Kodifizierung dieser Freiwilligendienste aller Generationen: Damit würde eine besondere Variante freiwilligen Engagements festgeschrieben und staatlich gefördert, die stark verregelt und mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden ist. Statt eines solchen standardisierten Modells müsste es derzeit vielmehr darum gehen, ein Modell staatlicher Unterstützung lokaler Engagementförderung zu entwickeln, dass den Kommunen und den Akteurinnen und Akteuren vor Ort Spielräume lässt für eine Entwicklung, die den lokalen Gegebenheiten angemessen ist (vgl. dazu das Gutachten von Jakob/Röbke 2010 für das Dialogforum „Infrastrukturförderung“). Zum weiteren Vorgehen bezüglich eines Freiwilligendienstestatusgesetzes: Aus meiner Sicht macht es Sinn, beim weiteren gesetzgeberischen Vorgehen die Regelungen für die Jugendfreiwilligendienste von Regelungen zu anderen Freiwilligendiensten zu trennen. Da ein Freiwilligendienstestatusgesetz für die Jugendfreiwilligendienste weitgehend unstrittig ist und z. B. die Situation der Auslandsdienste verbessern würde, wäre eine zeitnahe gesetzliche „Lösung“ im Sinne eines solchen Gesetzes angemessen. Von (weiteren) gesetzlichen Regelungen zu den Freiwilligendiensten aller Generationen würde ich derzeit entschieden abraten, da es hier noch viele ungeklärte Fragen gibt: • So steht eine sorgfältige Evaluation der (neuen) generationsoffenen Freiwilligendienste, in der diese im Kontext des jeweiligen lokalen Umfeldes in den Blick genommen werden, noch aus. • Des weiteren sind die vorgesehenen Regelungen für diese Freiwilligendienste in der Fachöffentlichkeit und bei den verschiedenen Akteurinnen und 54 Akteuren, die mit Engagementförderung befasst sind, höchst umstritten. • Vieles spricht dafür, die Freiwilligendienste aller Generationen im Kontext der Debatte um eine Stärkung der lokalen Engagementförderung durch Bund und Länder zu diskutieren. Dabei könnten diese Freiwilligendienste eine Variante bürgerschaftlichen Engagements (neben vielen anderen) sein. Bei einer staatlichen Unterstützung lokaler Engagementförderung ginge es dann allerdings nicht um strikte Vorgaben und Detailregelungen, sondern damit sollten die Kommunen (und die zivilgesellschaftlichen Akteure vor Ort) in die Lage versetzt werden, einen engagementförderlichen und -ermöglichenden Rahmen zu schaffen. Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste Christiane Richter Thesen: Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für Seniorinnen und Senioren im Freiwilligendienst Die Zahlen der Bevölkerungsstatistik für die Bundesrepublik Deutschland weisen eindeutig den demografischen Wandel aus. Der demografische Wandel zwingt uns, gesellschaftliche Aufgaben völlig neu zu denken. Wir können es uns für die Zukunft nicht leisten, auf die Ressourcen der Generation in der dritten Lebensphase zu verzichten. Vielmehr sollten wir bei der Gestaltung des bürgerschaftlichen Engagements und insbesondere der Freiwilligendienste die Realitäten und Möglichkeiten dieser Menschen in unserer Gesellschaft berücksichtigen. Erfahrungen in diesem Bereich sind inzwischen durch den generationsübergreifenden Freiwilligendienst in den Jahren 2005 bis 2008 gesammelt worden und vom Zentrum für Zivilgesellschaftliche Entwicklung (ZZE) evaluiert worden.1 Hier kann man ablesen, dass erhebliche Zuwachsraten im Engagement zu erreichen sind, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dagegen wird eine Begrenzung auf 24 Monate nicht akzeptiert, da die Seniorinnen und Senioren, wenn sie die ihnen angemessene Aufgabe für das letzte Drittel ihres Lebens gefunden haben, ungern ein so genanntes Engagementhopping wie die jüngeren Menschen anstreben. Bei der Konzeption eines Freiwilligenstatusgesetzes sind daher aus den oben genannten Gründen die Möglichkeiten und Bedürfnisse der älteren Generation im Sinne eines Gesetzes für alle Generationen angemessen zu berücksichtigen. Seniorpartner in School e.V. (SiS) hat seit 2001 Erfahrungen in der Umsetzung eines Freiwilligendienstes sammeln können. Es ist gelungen, in diesem Zeitraum das Konzept von SiS in insgesamt 9 Bundesländern einzuführen und inzwischen 800 Seniorpartner als Mediatoren in den Schulen bundesweit einzusetzen. Notwendigerweise sollten diese Zahlen gesteigert werden, da in der Generation der dritten Lebensphase noch erhebliche Reserven schlummern. Zwei Faktoren sind entscheidend, um dieses Ziel zu erreichen: 1. Fragen der Motivation, 2. stimmige Rahmenbedingungen. Bei der Frage der Motivation wird immer wieder betont, dass Seniorinnen und Senioren einer verbindlichen, verpflichtenden Aufgabe neben dem Aspekt des lebenslangen Lernens den Vorrang geben. Die Bereitschaft sich zu engagieren hängt auch maßgeblich davon ab, welcher zeitliche Aufwand je Woche gefordert wird. Eine Verpflichtung von wöchentlich zwischen 5 bis zu höchstens 8 Stunden wird erfahrungsgemäß als oberste Grenze im Rahmen einer Verpflichtungserklärung akzeptiert. Anmerkung 1 Zentrum für Zivilgesellschaftliche Entwicklung, Die wissenschaftliche Begleitung des Bundesmodellprogramms Generationenübergreifende Freiwilligendienste, durchgeführt im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Abschlußbericht. September 2008. In: http://www.freiwilligendienste-aller-generationen. de/fileadmin/inhalt_dokumente/generationsuebergreifende-freiwilligendienste-080915.pdf. 55 Dialogforum „Bildung und bürgerschaftliches Engagement“ Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogforums am 21. April 2010 und des vorbereitenden Workshops am 25. März 2010: • Eva-Maria Antz, Stiftung Mitarbeit • Katarina Batarilo, Centrum für soziale Investitionen und Innovationen (CSI) • Dr. Jeannette Behringer, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg • Dr. Claire Bortfeldt, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Mara Dehmer, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge • Dr. Karin Fehres, Deutscher Olympischer Sportbund • Jörg Freese, Deutscher Landkreistag • Dr. Thorsten Geißler, Bundesministerium für Bildung und Forschung • Eva Geithner, Deutsche Sportjugend • Silke Gerstenberger, Stiftung der Deutschen Wirtschaft • Daniel Grein, Deutscher Bundesjugendring • Ramona Hartmann, Freiwilligenagentur Cottbus • Birger Hartnuß, Staatskanzlei Rheinland-Pfalz • Sigrid Meinhold-Henschel, Bertelsmann Stiftung • Dagmar Hesse, Bundesministerium des Inneren • Rainer Hub, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche Deutschland • Reinhild Hugenroth, Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik • Thomas Kegel, Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland • PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement • Michael Kriegel, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband • Sophia Lehmbrock, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Jens Maedler, Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung • Nadine Mersch, Deutscher Bundesjugendring • Dr. Georg Mildenberger, Centrum für soziale Investitionen und Innovationen (CSI) • Jörg Miller, Universität Duisburg Essen, Zentrum für gesellschaftliches Lernen und soziale Verantwortung • Annette Mörchen, Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung • Prof. Dr. Chantal Munsch, Universität Siegen, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie • Prof. Dr. Siglinde Naumann, Fachhochschule Nordhausen • Prof. Dr. Thomas Olk, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg • Bianka Pergande, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung • Christiane Richter, Bundesverband Seniorpartner in School • Sabine Rüger, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Carola Schaaf-Derichs, Landesfreiwilligenagentur Berlin • Prof. Dr. Ortfried Schäffter, Humboldt-Universität zu Berlin – Institut für Erziehungswissenschaften • Yvonne Schütz, Städtetag Baden-Württemberg • Dr. Hans Th. Sendler, EUSENDOR • A xel Stammberger, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Tina Stampfl, Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik • Dr. Annette Steinich, Bundesministerium für Bildung und Forschung • Bernhard Suda, Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V • Gottfried Wolf, Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Senioren des Landes BadenWürttemberg • Brigitta Wortmann, BP Europa SE • Dr. Gertrud Zimmermann, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Engagement – Möglichkeiten – Bilden Bericht über das Dialogforum „Bildung und bürgerschaftliches Engagement“ am 21. April 2010 in der Humboldt-Viadrina-School of Governance, Berlin Bereits die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements hat festgehalten, dass Menschen im Engagement wichtige soziale und personale Kompetenzen erwerben, die das Lernen in Schule und Hochschule ergänzen können. Doch kommt die Bereitschaft und Fähigkeit sich zu engagieren nicht von selbst. Sie müssen erworben und gefördert werden, brauchen Anregungen, Freiräume und Vorbilder. Mit diesen Fragen befassten sich am 21. April 2010 die 32 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogforums „Bildung und bürgerschaftliches Engagement“. Ziel des Forums war es, bildungs- und engagementpolitische Fachdebatten zusammenzutragen und so zu verdichten, dass sie als Handlungsempfehlungen für eine nationale Engagementstrategie dienen können. Um dem facettenreichen Thema Bildung und Engagement gerecht zu werden, wurden drei Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit dem Verhältnis von Bildungseinrichtungen und Engagement, mit Qualifizierung und Weiterbildung für Hauptamtliche und freiwillig Engagierte in zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie mit der Frage der Anerkennung der im Engagement erworbenen Kompetenzen befassten. Die Debatte um die Entwicklung von Bildungseinrichtungen hatte zu berücksichtigen, dass Bildungspolitik in Deutschland Ländersache ist. Daher richteten sich die Empfehlungen vor allem auf ein Bundesmodellprogramm zur Förderung von Engagement und Partizipation in Kindertagesstätten, Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen sowie auf die Weiterentwicklung von Einzelprogrammen der Ressorts der Bundesregierung. Die Abstimmung zwischen Bund und Ländern ist vor allem dann entscheidend, wenn die Vernetzung von Bildungseinrichtungen mit bürgergesellschaftlichen Akteuren auf lokaler Ebene unterstützt werden soll – hier knüpfte das Dialogforum an die bildungspolitische Debatte um lokale Bildungsbündnisse an. Weiterbildung- und Qualifizierung sind essentiell für eine gute Zusammenarbeit zwischen freiwillig Engagierten und hauptamtlich Tätigen. Deshalb hat das Dialogforum empfohlen, die Förderung des Bundes in diesem Bereich stärker auf verschiedene Zielgruppen und berufsbiografische Verläufe auszurichten. Dies setzt eine strategische Förderung und Abstimmung zwischen den Ressorts der Bundesregierung, aber auch klarere Informationen über bestehende Angebote voraus. Schließlich ging es bei der Diskussion um die Anerkennung von Kompetenzen aus dem Engagement darum, dass Kompetenznachweise ein nützliches Mittel zur Anerkennung solcher Fähigkeiten und Fertigkeiten sein können. Neben der Verwertbarkeit für die berufliche Laufbahn ging es jedoch vor allem darum, Standards für die Qualität von Kompetenznachweisen zu definieren. Am Ende wurde festgehalten, dass es auf vielen Feldern noch Forschungsbedarf gibt. Darüber, was bürgerschaftliche Kompetenzen sind und wie und wo sie erworben werden, weiß man beispielsweise noch zu wenig. Weiterführende Forschungsfragen zum Zusammenhang von Bildung und bürgerschaftlichem Engagement ergänzen daher die Ergebnisse des Dialogforums. 57 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Ergebnisse Bürgerschaftliches Engagement trägt entscheidend zur Verbesserung des Bildungs- und Qualifikationsniveaus in Deutschland bei, benötigt dafür aber lern- und engagementförderliche Rahmenbedingungen. Der Zugang zum Engagement ist allerdings sozial ungleich verteilt. Ziel muss deshalb sein, alle Bevölkerungsgruppen unabhängig von Herkunft und Bildungsstand zum bürgerschaftlichen Engagement zu ermutigen und zu befähigen. 1. Öffnung von Bildungseinrichtungen für bürgerschaftliches Engagement Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen sowie Institutionen der Erwachsenenund Weiterbildung wie z. B. die Volkshochschulen und Einrichtungen der konfessionellen Weiterbildung, aber auch andere Akteure, die das informelle Lernen pflegen wie z. B. Verbände, Vereine, Initiativen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, sind wichtige Partner für die Förderung bürgerschaftlichen Engagements, da sie Menschen in allen Lebensphasen und Lebenslagen begleiten und fördern. Sie sollen dazu aufgefordert und darin unterstützt werden, Engagement, Partizipation und Demokratie in ihr Leitbild und ihre Praxis zu integrieren. Bildungseinrichtungen und Bildungsinstitutionen können bei der Erfüllung ihres Auftrags durch bürgerschaftliches Engagement bzw. zivilgesellschaftliche Akteure wirksam unterstützt werden. Die Einrichtungen sollten ermutigt und befähigt werden, Kooperationen mit bürgerschaftlichen Akteuren einzugehen. (z. B. durch Service Learning). In Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen sollten dafür geeignete Angebote entwickelt werden. Bildungseinrichtungen und Akteure aus allen gesellschaftlichen Bereichen sollen motiviert und befähigt werden, Bildungsbündnisse und Vernetzungen einzugehen, um Lernen in verschiedenen Engagementfeldern zu ermöglichen. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Die Bundesregierung sollte ein Modellprogramm initiieren, das Möglichkeiten zur Stärkung von Engagement und Partizipation in Kindertagesstätten, Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen aufzeigt. Dabei kann an die Erfahrungen z. B. aus dem Programm der Bund-Länder-Kommission „Demokratie lernen & leben“ und anderer erfolgreicher Programme wie z. B. die Förderung von Netzwerken von Eltern mit Migrationshintergrund in verschiedenen Bundesländern angeknüpft werden. Es sollte u. a. auf Basis einer Bestandsanalyse geprüft werden, wie in Kooperation mit den Ländern kommunalpolitische und andere Akteure vor Ort bei der Vernetzung und Förderung der Zusammenarbeit von Bildungseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen Akteuren unterstützt werden können. Lösungsvorschlag Durch die Ressorts der Bundesregierung sollte jeweils geprüft werden, inwieweit zielgruppen- und themenspezifische Programme entwickelt werden können (z. B. Qualifizierungsmaßnahmen und andere Formen der qualifizierenden Entwicklungsbegleitung für Bildungseinrichtungen). Eine demokratische, kooperative und beteiligungsfördernde Organisationskultur ermöglicht es Lernenden, sich zu engagieren und ihr Lernumfeld mitzugestalten Das Thema Engagement und Engagementförderung sollte in den Bildungsbericht der Bundesregierung und das nationale Bildungspanel aufgenommen werden. 58 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement 2. Qualifizierung und Weiterbildung für Hauptamtliche und freiwillig Engagierte Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Bedarfsorientierte professionelle Begleitung soll bürgerschaftliches Engagement unterstützen und fördern. Daher müssen Aus-, Fort- und Weiterbildung von Hauptamtlichen und freiwillig Engagierten Bestandteil einer Engagementstrategie des Bundes sein. Sie sollten sowohl dem Bedarf der Hauptamtlichen (Berufsbilder, organisationales Lernen, Freiwilligenmanagement) als auch der freiwillig Engagierten (optionales Lernen je nach Tätigkeitsbereich, Freiwilligenmanagement) gerecht werden. Es besteht bereits eine Vielfalt an Bildungs- und Qualifizierungsangeboten, die sich auf unterschiedliche Zielgruppen und Themenfelder beziehen. Dies führt zu einer Unübersichtlichkeit der Angebote. Oftmals fehlt ein gemeinsames Verständnis über den Eigensinn des freiwilligen Engagements und die darauf bezogenen Angebote „zivilgesellschaftlichen Lernens“ (z. B. politische Bildung, Demokratiebildung, lebenslanges Lernen). In zahlreichen Organisationen fehlt ein Verständnis für eine integrative Verantwortungskultur (Haupt- und Ehrenamt verzahnen) und für eine engagementfreundliche Lernkultur aller dort Tätigen. Übersichtlichkeit und ein gemeinsames Verständnis sind notwendig für die bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Bildungs- und Qualifizierungsangebote und ihrer Standards. Lösungsvorschlag Für Organisationen sollten Anreize geschaffen werden, die Zusammenarbeit mit freiwillig Engagierten in ihr Leitbild integrieren. Für eine systematische Weiterbildung, Qualifizierung und Begleitung von freiwillig Engagierten müssen verlässliche und transparente Strukturen verstetigt, neue geschaffen und bekannt gemacht werden. Bestimmte Bevölkerungsgruppen wie z. B. ältere Bürgerinnen und Bürger, bildungsbenachteiligte Menschen und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sollten einen besseren Zugang zu lebenslangem Lernen und Qualifizierungsmöglichkeiten im Engagement erhalten. Dazu zählen neue Zugangswege und passgenaue Bildungsangebote. Bildungs- und Qualifizierungsangebote sollten sich stärker an biographischen Schnittstellen (Übergänge zwischen Lebensphasen) orientieren. Um entsprechende Angebote zu schaffen, bedarf es weiterführender Forschungsvorhaben und Konzepte. Hauptamtlich Tätige in Verwaltung, Politik, Bildungseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen für den Umgang mit freiwillig Engagierten qualifiziert werden. Dies sollte Teil des Berufsbildes und insoweit Bestandteil der Aus-, Fortund Weiterbildung sein. Es ist der Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt förderlich • gemeinsam Qualifizierungsmaßnahmen zu durchlaufen, • durch Freiwilligenmanagement die Rollen Hauptamtlicher und freiwillig Engagierter zu definieren und • bei der Organisationsentwicklung auf integrierte „Personalführung“ hinzuwirken. Hier gilt es, erfolgreiche Modelle weiter zu fördern, neue zu entwickeln und gute Erfahrungen zu übertragen. Schritte zur Implementierung des Vorhabens (Lösungswege) Die von den Ressorts der Bundesregierung vorangetriebenen Projekte zur engagementbezogenen Qualifizierung und Weiterbildung sollten in einer Bestandsaufnahme erfasst, evaluiert und weiterentwickelt werden. Dies sollte in eine ressortübergreifende Vernetzung münden. Bestehende Angebote der Aus-, Fort- und Weiterbildung sollten bundesweit und online-gestützt transparenter und besser erreichbar gemacht werden. Es sollte geprüft werden, inwieweit Organisationen durch ein Engagement-Audit zertifiziert werden können. 3. Anerkennung der im Engagement erworbenen Kompetenzen Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Engagement braucht Anerkennung. Die Bildungswirkungen des freiwilligen Engagements sollten gezielt ins öffentliche Bewusstsein gehoben werden. Es sollte sichtbar werden, dass die vielfältigen Formen freiwilligen Engagements zur Stärkung 59 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement personaler, sozialer, kultureller, fachlicher und methodischer Kompetenzen beitragen. Diese sind für die freiwillig Engagierten und ihre gesellschaftliche Teilhabe, für den Zugang zu Bildungseinrichtungen sowie für den (Wieder-) Eintritt in das Erwerbsleben wichtig, werden aber noch nicht hinreichend berücksichtigt. Lösungsvorschlag Im bürgerschaftlichen Engagement erworbene Kompetenzen sollten eine stärkere Wertschätzung erfahren, indem sie im formalen Bildungssystem und in der Arbeitswelt berücksichtigt sowie in der öffentlichen Wahrnehmung anerkannt werden. Es sollten vergleichbare und aussagekräftige Nachweisstrukturen (z. B. Kompetenznachweise und Kompetenzbilanzen) geschaffen werden, die dies unterstützen. Dabei sollte auf bestehende Strukturen aufgebaut werden. Schritte zur Implementierung des Vorhabens In Abstimmung mit den Bundesländern, den zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Wirtschaft sollte die Bundesregierung Mindeststandards für Kompetenznachweise entwickeln, die auf bestehenden Kompetenznachweisen aufbauen und für Unternehmen (Personalentscheidungen) und Bildungseinrichtungen aussagekräftig sind. Insbesondere sollte geprüft werden, wie die Kompetenznachweise für den Zugang zu Studien- und Ausbildungsplätzen berücksichtigt werden können. Die im Engagement erworbenen Kompetenzen könnten die formalen Bildungsabschlüsse ergänzen. Arbeitgeber (Unternehmen, Verwaltung und Organisationen) sollten dazu angeregt werden, die im bürgerschaftlichen Engagement erworbenen Kompetenzen in ihrer Personalverantwortung anzuerkennen. Die Mindeststandards sollten die verschiedenen Engagementformen (Dauer, Umfang und Art des Engagements, Organisationsform) und die Bedürfnisse der freiwillig Engagierten in verschiedenen Lebensphasen (Schüler, Erwerbslose, Seniorinnen und Senioren) sowie Prozessqualitäten (z. B. Transparenz, Partizipation) berücksichtigen. Da es bereits eine Vielzahl von Kompetenznachweisen und Kompetenzerfassungsverfahren gibt, sollte ein Überblick über die bestehenden Ansätze geschaffen und ihre Bekanntheit gesteigert werden. Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) dient als Referenzrahmen für die europaweite Vergleich60 barkeit von Qualifikationen. Die im Engagement erworbenen Kompetenzen sollten wie beim EQR auch bei der Entwicklung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) einbezogen werden. Die Bundesregierung wird gebeten zu prüfen, wie Unternehmen dafür gewonnen werden können, Mitarbeitern Zeiträume für die engagementbezogene Qualifizierung zu schaffen. Darüber hinaus sollte geprüft werden, wie Bund und Länder die Qualifizierung für das bürgerschaftliche Engagement fördern können, indem sie sie bei Sonderurlaub bzw. Freistellungsregelungen berücksichtigen. 4. Forschungsbedarf, Datenerhebung und Berichterstattung Der Zusammenhang zwischen Bildung und bürgerschaftlichem Engagement ist bislang nicht hinreichend erforscht. Zudem muss die Datenerhebung und Berichterstattung zu den Themen Bildung und bürgerschaftliches Engagement grundsätzlich besser miteinander verknüpft werden. Die Bundesregierung sollte in Kooperation mit der Wissenschaft eine Forschungsagenda zum Zusammenhang von Bildung und bürgerschaftlichem Engagement entwickeln. Insbesondere sind dabei folgende Punkte zentral: a) Es besteht Forschungsbedarf zur Frage, welche Kompetenzen in den verschiedenen Formen und Ausprägungen des bürgerschaftlichen Engagements erworben werden. Hierzu zählt beispielsweise auch das Engagement mittels elektronischer Medien. Diese Frage ist wichtig, wenn beispielsweise gezielte Angebote an engagementferne Zielgruppen gerichtet werden sollen. Im Zusammenhang mit diesen Zielgruppen geht es nicht nur um den Erwerb von beruflichen Kompetenzen, die formale Bildungsangebote ergänzen, sondern auch um das „zivilgesellschaftliche Lernen“ demokratischer Denk- und Handlungsweisen. b) Wie müssen Bildungs- und Qualifizierungsangebote für engagementferne und/oder bildungsbenachteiligte Gruppen gestaltet werden? In diesem Zusammenhang ist auch die Entwicklung von spezifischen Weiterbildungs- und Beratungsangeboten für Multiplikatoren und Menschen in pädagogischen Berufen (Lehrer, Kursleiter von Weiterbildungseinrichtungen etc.) ein wichtiger Gegenstand der Engagementforschung. c) Der Zugang zum Engagement ist bislang oft abhängig von der sozialen Herkunft. Es sollte erforscht Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement werden, inwiefern Bildungseinrichtungen dazu beitragen können, dass auch engagementferne Gruppen Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement erhalten. d) Der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Bereitschaft, sich zu engagieren, sollte mittels einer Erhebung zum bürgerschaftlichen Engagement auf europäischer Ebene vergleichbar werden. e) Wie können Menschen durch persönliche Ansprache und Begleitung zum Engagement motiviert werden, und welche Infrastruktur ist dafür nötig? f) In der amtlichen Statistik, z. B. im Mikrozensus, sollten die Daten zum Engagement mit solchen zum Bildungs- und sozialen Hintergrund verknüpft werden. g) Bürgerschaftliches Engagement sollte als Bestandteil informeller Bildung in die regelmäßige Berichterstattung zur Bildung aufgenommen werden (dies gilt für Bund, Länder und Kommunen). Dies sollte auch beim Nationalen Bildungspanel geschehen. 61 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Birger Hartnuß Kurzgutachten: Schulöffnung und bürgerschaftliches Engagement Für die Bewältigung zentraler Herausforderungen und Probleme unserer Gesellschaft gewinnt bürgerschaftliches Engagement zunehmend an Bedeutung. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass die Frage danach, wie Bereitschaft und Motivation zum freiwilligen Engagement entstehen und welche Bedeutung die Zivilgesellschaft für unser Bildungssystem hat, zunehmend virulent wird. Bürgerschaftliches Engagement kommt nicht von selbst und automatisch zustande, sondern bedarf entsprechender normativer Orientierungen und Handlungsdispositionen, die erworben und erlernt werden müssen. Hierfür wird neben der Familie, den Peer-Groups und den zivilgesellschaftlichen Organisationen, insbesondere den Jugendverbänden, vor allem den öffentlichen Institutionen des Erziehungs- und Bildungssystems Verantwortung zugeschrieben. Im Rahmen des vorliegenden Kurzgutachtens steht daher die Schule als zentrale Instanz im Erziehungs- und Bildungssystem im Mittelpunkt.1 In den letzten Jahren hat sich für den Erwerb bürgerschaftlicher Kompetenzen in Anlehnung an Debatten im angelsächsischen Raum auch in Deutschland der Begriff „civic education“ durchgesetzt. Gemeint ist damit im Kern die Erziehung und Bildung zum „kompetenten, mündigen Bürger“. Im Begriff „civic education“ bündeln sich Ansätze und Strategien der politischen Bildung, der Stärkung von Partizipation von Kindern und Jugendlichen, der demokratischen Gestaltung des Alltags in pädagogischen Einrichtungen sowie der Förderung von freiwilligem Engagement (vgl. Hartnuß 2007, S. 165). Ziel ist die Entwicklung bzw. Herausbildung von Bereitschaften und Fähigkeiten zur Mitbestimmung bei und Mitgestaltung von allgemeinen gesellschaftlichen und sozialen Belangen. Bürgerschaftliches Engagement im Zusammenhang von Bildung, Schule und Lernen zu diskutieren, ist bislang alles andere als selbstverständlich. Die aktuellen Debatten um die Krise der Schule und um 62 Perspektiven moderner Bildung verweisen jedoch auf überraschende Anknüpfungspunkte und Bezüge zwischen Bildung, Schule und bürgerschaftlichem Engagement. Die öffentliche Debatte um die PISA-Studie hatte zunächst tiefe Verunsicherungen ausgelöst. Nachdem erste Reaktionen vor allem auf schulinterne Reorganisation und die Intensivierung kognitiver Wissensvermittlung gerichtet waren, gehen die Reformbestrebungen inzwischen erfreulicherweise auch in andere Richtungen, die neue Denk- und Handlungsoptionen sichtbar werden lassen. 1. Bürgerschaftliches Engagement und Bildung Es ist sicherlich nicht völlig falsch, gegenwärtig von einer „neuen Bildungsdebatte“ zu sprechen, die sich deutlich von den Diskussionen um eine Bildungsreform der vergangenen Jahrzehnte unterscheidet. Es geht ganz offensichtlich nicht mehr nur um begrenzte Korrekturen und Justierungen, sondern um grundlegende Veränderungen, um eine konzeptionelle und institutionelle Neudefinition unseres Bildungs- und Erziehungssystems (vgl. Olk 2007). Diese Bemühungen um eine Neubestimmung von Bildung und Erziehung sind keineswegs auf Deutschland beschränkt, sondern lassen sich auch in anderen europäischen Ländern beobachten. In Europa befindet sich die Schule als Institution und das schulische Lernen insgesamt in einer Krise (du Bois-Reymond 2007). Die Anforderungen einer globalisierten Wissensgesellschaft, die tiefgreifenden Umbrüche im System der Arbeit und der Arbeitsbiographien sowie nicht zuletzt soziale Ausgrenzungsprozesse haben dazu beigetragen, dass wir völlig neue Formen des Lernens und der Bildung benötigen, um die gesellschaftlichen Herausforderungen meistern zu können (vgl. ebd.). Neue Konzepte von Bildung und Lernen gehen zunehmend davon aus, dass neben dem formellen Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Lernen in der Schule auch das außerschulische und informelle Lernen anerkannt, gefördert und mit dem schulischen Lernen verknüpft werden muss. Gelernt wird an vielen Orten, auch im bürgerschaftlichen Engagement. Hier liegt die zentrale Herausforderung, um Schule und bürgerschaftliches Engagement neu zu denken und damit sowohl für das bürgerschaftliche Engagement als auch für die Schule neue Perspektiven zu eröffnen. Die geforderte grundlegende konzeptionelle und institutionelle Neudefinition unseres Bildungs- und Erziehungssystems zielt auf ein umfassendes Lern- und Bildungskonzept, das die unterschiedlichen Bildungsinstitutionen, Bildungsorte, Bildungsaufgaben und Bildungsprozesse in ein neues Verhältnis bringt, das Kindern und Jugendlichen optimale Bildungs- und Teilhabechancen bietet, sie auf die Bewältigung von Anforderungen des Alltags und der Zukunft vorbereitet und für eine gelingende Lebensführung rüstet. Unter der Überschrift „Bildung ist mehr als Schule!“ wurde 2002 in den Leipziger Thesen (vgl. Bundesjugendkuratorium u. a.) ein erweitertes Bildungsverständnis formuliert, das aus der Perspektive der Jugendhilfe verstärkt sozialpädagogische Akzente setzt. Der zwölfte Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2005) stellt dieses neue Bildungsverständnis in den Mittelpunkt seiner Analysen und Überlegungen. Bildung zielt demnach auf eine allgemeine Lebensführungs- und Bewältigungskompetenz. Ein entsprechend erweitertes Bildungskonzept verbindet gleichauf mit Aufgaben der kulturellen und materiellen Reproduktion auch Aspekte der sozialen Integration und des sozialen Lernens (vgl. Rauschenbach/Otto 2004, S. 20ff.). Der zwölfte Kinder- und Jugendbericht unterscheidet in seinem Bildungskonzept daher zwischen einem kulturellen, einem materiell-dinglichen, einem sozialen und einem subjektiven Weltbezug (vgl. BMFSFJ 2005, S. 110f.). Mit Bezug auf die kulturelle Welt geht es um die Aneignung des kulturellen Erbes. In der materiell-dinglichen Welt müssen Wissen und Kompetenzen erworben werden, die erforderlich sind, um sich mit der gegenständlichen Welt auseinanderzusetzen, sich diese anzueignen und sie weiterzuentwickeln. Der soziale Weltbezug zielt auf das Verstehen der sozialen Ordnung der Gesellschaft, die Auseinandersetzung mit den Regeln des kommunikativen Umgangs und der politischen Gestaltung des Gemeinwesens, aber auch auf die Entwicklung von Kompetenzen zur Beteiligung an der Gestaltung der sozialen Umwelt. Der subjektive Weltbezug markiert die Prozesse der Personwerdung, Identitätsbildung und Persönlichkeitsentfaltung als wichtige Bildungsdimensionen. Bildung und Lernen werden in diesem Konzept verstanden als ein selbstgesteuerter erfahrungsbezogener Kompetenzbildungsprozess, als ein „anhaltender und kumulativer Prozess des Erwerbs der Fähigkeit zur Selbstregulierung und als subjektive Aneignung von Welt in der aktiven Auseinandersetzung mit und in diesen Weltbezügen“ (ebd. 2005, S. 111). Voraussetzung für solche Bildungsprozesse sind Bedingungen und Gelegenheiten, konkrete Kontexte, in denen die Welt in diesen unterschiedlichen Dimensionen erschlossen werden kann. Hier geht es sowohl um Orte, an denen diese Zugänge möglich werden, als auch um Modalitäten, die es den Menschen ermöglichen, sich lernend mit der Welt auseinanderzusetzen. Im Kontext eines solchen Bildungsverständnisses kommt bürgerschaftlichem Engagement ein hoher Stellenwert zu. Seine Bedeutung für Bildungsprozesse wird im zwölften Kinder- und Jugendbericht ausdrücklich hervorgehoben. Bildung umfasst demnach nicht nur kognitives Wissen, sondern auch soziales Lernen – Kompetenzen wie Kommunikations-, Kooperations- und Teamfähigkeit, Empathie und soziales Verantwortungsbewusstsein – sowie demokratisches Rüstzeug und bürgerschaftliche Kompetenzen – also Partizipations- und Mitbestimmungsfähigkeiten als mündige Bürgerinnen und Bürger. Bürgerschaftliches Engagement ist dabei sowohl Bildungsfaktor bzw. -ziel als auch Bildungsort. Engagement und die dabei stattfindenden informellen Bildungsprozesse z. B. in Vereinen, Projekten und Initiativen eröffnen Möglichkeiten für ein informelles Lernen in lebensweltlichen Zusammenhängen, für ein gemeinsames Problemlösen zusammen mit anderen. Dabei steht der Erwerb von Wissen in engem Zusammenhang mit der Aneignung bürgerschaftlicher Kompetenzen. Wissen wird dadurch intensiver und nachhaltiger angeeignet; Teamfähigkeit und Verantwortlichkeit sind Teil des Lernvorgangs. Die Zusammenhänge zwischen freiwilligem Engagement und informellem Lernen wurden im Freiwilligensurvey 2004 auch empirisch erfasst. Demnach lässt sich freiwilliges Engagement als wichtiges informelles Lernfeld beschreiben. Im Engagement werden einerseits Fachwissen, andererseits soziale und organisatorische Kompetenzen erworben. Dies gilt besonders bei jungen Menschen. Sie erwerben durch ihr Engagement vielfach Fähigkeiten, die für sie persönlich wichtig sind. 55 % der Engagierten im Alter zwischen 14 und 30 geben an, dass das Engagement in sehr hohem bzw. hohem Maße Gelegenheiten zum Erlernen von Fähigkeiten bietet, die für sie persönlich 63 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement wichtig sind (vgl. Gensicke u. a. 2006, S. 27 ff.). Dass in Settings des freiwilligen Engagements informelle Lernprozesse stattfinden und dabei Kompetenzen erworben werden, die für eine moderne Bildung hohe Bedeutung haben, belegen auch die Ergebnisse einer empirischen Studie der Technischen Universität Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts zum informellen Lernen im Jugendalter (vgl. Düx u. a. 2008). Demnach verfügen in ihrer Jugend engagierte Erwachsene über mehr Erfahrungen und auch Kompetenzen als Nicht-Engagierte. Dies gilt insbesondere für Organisations-, Gremien- und Leitungskompetenzen. Ein weiterer zentraler Befund der Studie betrifft die sozialisatorische Wirkung freiwilligen Engagements: Wer als Jugendlicher gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, engagiert sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsener. 2. Schule und Bürgergesellschaft Bislang ist weder ein breiter gesellschaftlicher Diskurs darüber im Gange, warum „bürgerschaftliches Engagement“ in der Schule betrieben werden sollte, noch hat das bürgerschaftliche Engagement Eingang gefunden in die allgemeinen pädagogischen Zielbestimmungen der Schule (vgl. Edelstein 2007). Wenn jedoch – ausgehend von einem erweiterten Verständnis – Bildung nun also nicht nur kognitives Wissen, sondern auch soziales Lernen (Kompetenzen wie Kommunikations-, Kooperations- und Teamfähigkeit, Empathie und soziales Verantwortungsbewusstsein) sowie demokratisches Rüstzeug und bürgerschaftliche Kompetenzen (Partizipations- und Mitbestimmungsfähigkeiten als mündige Bürgerinnen und Bürger) umfasst, dann sind auch die pädagogischen Institutionen gefordert, Arrangements zur Verfügung zu stellen, die es ermöglichen, dass in der nachwachsenden Generation Bereitschaft und Fähigkeiten zur Übernahme von Verantwortung für das Gemeinwesen und zur aktiven Beteiligung an der Gestaltung des sozialen, kulturellen und politischen Lebens entwickelt werden. Der Schule als einzige Einrichtung, die (grundsätzlich) alle Kinder und Jugendlichen erreicht, kommt dabei besondere Aufmerksamkeit zu. Aber auch wenn die Bedeutung bürgerschaftlicher Kompetenzen für ein modernes Verständnis von Bildung anerkannt wird, stellt sich dennoch die grundsätzliche Frage, ob die Institution Schule als eine tragende Säule des Bildungssystems strukturell überhaupt dazu in der Lage ist, diese Komponenten von Bildung zu vermitteln, entsprechende Lern- und Erfahrungsräume zu eröffnen und dabei auch noch mit anderen gesell64 schaftlichen Institutionen und Akteuren zu kooperieren, oder ob diese Anforderungen an die Schule eher naiv sind, von vornherein eine Überforderung bedeuten und von daher zum Scheitern verurteilt sind. Rauschenbach (2005) macht in diesem Kontext auf einige Spannungsfelder zwischen Schule und bürgerschaftlichem Engagement aufmerksam, die vergegenwärtigen, dass beide Bereiche unterschiedlichen Funktionslogiken unterliegen und nicht ohne weiteres miteinander vereinbar sind. So ist die Schule eine Pflichtveranstaltung, der die Wahlfreiheit des bürgerschaftlichen Engagements gegenüber steht. Die Schule ist in erster Linie von professioneller, bezahlter Arbeit akademisch ausgebildeter Pädagogen geprägt. Bürgerschaftliches Engagement dagegen lebt vom Engagement aus freien Stücken, nicht von bezahlter Arbeit. Schule steht in dem strukturellen Zwang zur Leistungsbewertung und Differenzbildung. Sie ist damit ein Ort der Selektion. Bürgerschaftliches Engagement lebt vom gemeinschaftlichen Tun, vom gemeinsamen Handeln für eine Idee oder ein Vorhaben ohne direkten Leistungsdruck und Bewertung. Schule ist eine eigenständige Lernwelt, die tendenziell vom persönlichen Lebensumfeld der Schülerinnen und Schüler abgekoppelt ist. Bürgerschaftliches Engagement entfaltet sich dagegen in aller Regel in lebensweltlichen Bezügen sozialer Orte und Nahräume. Dort werden Schülerinnen und Schüler im ganzheitlichen Sinne als Menschen wahrgenommen, wohingegen sie in der Schule vor allem Träger der Schülerrolle sind. Inhalte und Themen schulischen Lernens sind durch Curricula und Lernpläne weitgehend vorgegeben, Wahl- und Entscheidungsspielräume sind eingeschränkt. Im freiwilligen Engagement ist es dagegen offen, für welche Projekte ich mich entscheide. Im konkreten Engagement gibt es wiederum deutlich mehr Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten als in der Schule. Schulisches Lernen findet häufig ohne unmittelbaren Bezug auf konkrete Anlässe und direkte Verwertbarkeit statt, bleibt damit abstrakt. Bürgerschaftliches Engagement setzt in der Regel unmittelbar an realen Situationen an und versucht, Lösungen für konkrete Anforderungen zu entwickeln. Und schulisches Lernen ist in der Regel „Vorratslernen“ in einer „Als-ob-Situation“, es ergeben sich aus künstlichen Lernarrangements keine direkten und unmittelbaren Folgen. Bürgerschaftliches Engagement dagegen ist stets Handeln in realen Situation mit realen Konsequenzen des eigenen Tuns. Aus dieser Gegenüberstellung lässt sich leicht schließen, dass sich Partizipation und Bürgerengagement als Bildungsziel nicht ohne weiteres, gewissermaßen als zusätzliche Bildungsaufgabe in traditioneller Form curricular in der Schule verankern lässt. Im Schulalltag Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement stoßen daher Demokratie- und Engagement-Lernen, insbesondere wenn sie den schulischen Kernbereich des Unterrichts berühren, immer wieder an Grenzen von Notendruck, begrenzten Zeitbudgets, engen Lehrplanvorgaben und frontalen Methoden (siehe die Beiträge in Böhme/Kramer 2001). Demokratie- und Engagement-Lernen kann daher nicht allein im Unterricht stattfinden. Partizipation und Bürgerengagement müssen vielmehr als Prinzipien im Schulalltag spür- und erfahrbar sein und sich als Elemente der Schulkultur entfalten. Eine solche Schul- und Lernkultur lässt sich jedoch nicht in einem künstlichen, hermetisch gegenüber der realen Lebenswelt abgeschotteten Lernort Schule entwickeln. Schule ist dabei auf die Kooperation mit außerschulischen Partnern und Akteuren angewiesen; sie muss sich hin zu ihrem Umfeld öffnen und selbst Teil und Ort des Gemeinwesens werden. Diese Forderung (einer gemeinwesenorientierten Schule) ist nicht neu, und in den vergangenen Jahren haben Impulse für eine äußere Öffnung im Schulsystem spürbare Verbreitung gefunden. Eine Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts macht darauf aufmerksam, dass es kaum noch eine Schule gibt, die keine Beziehungen zu Einrichtungen, Diensten und Organisationen im Wohnumfeld aufgebaut hat (vgl. Behr-Heintze/Lipski 2005). Die Aufnahme von Kontakten und die Kooperation von Schule mit außerschulischen Partnern sind eine wichtige Bereicherung für schulisches Leben und Lernen und eröffnen darüber hinaus neue Chancen auch für Engagementund Demokratie-Lernen. Umgekehrt ist Kooperation allein jedoch noch kein Garant dafür, dass sich Schulen eine demokratische „Verfassung“ geben und sich Partizipation als Gestaltungsprinzip schulischen Alltags manifestiert. Dafür bedarf es beider Seiten, gepaart mit einer äußeren Öffnung der Schule für Kooperationen, Partnerschaften, Bündnisse mit Akteuren der Zivilgesellschaft, müssen sich Bürgengagement und Demokratie im Selbstverständnis der Schule niederschlagen, und zwar derart, dass sich demokratische Spielregeln in den normalen Mechanismen und Abläufen des schulischen Alltags widerspiegeln und von allen in und an Schule Beteiligten erlebt werden. Worum es bei der Etablierung bürgerschaftlicher Bildungsansprüche in der Schule geht, ist daher nicht weniger als ein Prozess schulischer Organisationsentwicklung, in der demokratische Prinzipien der Mitbestimmung und Mitgestaltung sowie die Öffnung der Schule hin zum Gemeinwesen Eingang finden in schulische Leitbilder und Selbstverständnisse, die sich im Schulalltag als Kultur der Teilhabe niederschlagen. Die Enquete-Kommission des Bundestages hat hier für ein Leitbild entworfen, mit dem sie die Schule als demokratischen Ort und partnerschaftlich orientiertes Lernzentrum im Gemeinwesen beschreibt. Dieses Leitbild zeichnet sich durch eine enge Verknüpfung und Kombination von Strategien der inneren und äußeren Öffnung von Schule aus. Wege der inneren Öffnung zielen darauf ab, durch neue Formen des Unterrichtens und Lernens Prinzipien wie Handlungsorientierung, eigentätiges und verständnisintensives Lernen zu stärken und dabei Erfahrungen der demokratischen Mitbestimmung und der Verantwortungsübernahme in realen Handlungs- und Entscheidungssituationen zu ermöglichen. Gleichzeitig geht es um die demokratische Gestaltung des Schulalltags insgesamt durch bspw. die Aufwertung der Rolle von Schüler- und Elternvertretungen, die Stärkung von Begegnungs- und Kooperationsformen und ein gemeinsames Engagement von Schülern, Lehrern und Eltern. Strategien der äußeren Öffnung zielen auf die Einbettung der Schulen in das umliegende Gemeinwesen, ihre Integration in die lokale Bürgergesellschaft. Durch die enge Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und auch Wirtschaftsunternehmen können schuluntypische Zugänge und Sichtweisen in Prozesse des schulischen Lernens und Lebens einbezogen werden. Dadurch erfährt Schule eine lebensweltliche Öffnung und Bereicherung. Sie kann dadurch gleichzeitig für Aktivitäten und gemeinschaftliches Leben der Gemeinde aufgeschlossen werden und sich zu einem Zentrum des Gemeinwesens entwickeln. In Deutschland wird gegenwärtig verstärkt auf den Ausbau von Ganztagsschulen gesetzt. Die Ausdehnung der täglichen Schulzeit und die dabei zum Tragen kommenden pädagogischen Konzepte innerhalb und außerhalb des Unterrichts bieten vielfältige Anlässe und Gelegenheiten für Zusammenleben und -arbeiten im Sinne einer demokratischen und bürgerschaftlichen Gemeinschaft. Umgekehrt eröffnen bürgerschaftliche Perspektiven der Schule – nicht nur der Ganztagsschule – sowohl neue Chancen für Unterricht und Wissensvermittlung als auch für einen umfassenden Bildungsanspruch, der soziale und bürgerschaftliche Kompetenzen gleichbedeutend mit einschließt. Formen der Kooperation der Schule mit der Jugendhilfe sowie anderen Akteuren des Gemeinwesens können wichtige Beiträge für die Verbesserung der Bedingungen für Bildung, Erziehung und Betreuung liefern. Dass diese Vorstellung nicht nur an Argumentationskraft sondern auch an praktischer Relevanz gewonnen hat, findet seit einigen Jahren seinen Ausdruck in der Diskussion um die Gestaltung kommunaler 65 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement bzw. regionaler Landschaften der Bildung und des Lernens (vgl. Deutscher Verein 2007). Kern dieser Debatte ist die Sichtbarmachung und Akzeptanz der spezifischen Stärken und Potenziale unterschiedlicher Bildungsorte (sowohl formelle, nonformale wie informelle) mit dem Ziel, sie vermehrt aufeinander zu beziehen, in Kooperation zu bringen und auf diese Weise dem Anspruch eines umfassenden Bildungsangebots im lokalen Raum gerecht zu werden. Die konkrete Gestaltung so verstandener Bildungs- oder Lernlandschaften berührt vor Ort ganz verschiedene Handlungsdimensionen. Mit Blick auf die Adressatinnen und Adressaten von Bildungsangeboten geht es um die Gestaltung anregender Lern- und Lebensumgebungen mit Gelegenheitsstrukturen (auch) für informelles Lernen. Unter zivilgesellschaftlicher Perspektive geht es um die Konstituierung öffentlich verantworteter, partizipativ orientierter Bildungsnetzwerke. Aus professioneller Perspektive stellt sich die Aufgabe inter-institutionell koordinierter Fortbildungen von Fach- und Leitungskräften. Und nicht zuletzt geht es aus einer planerischen Perspektive um die Etablierung einer integrierten Bildungsplanung als Teil der Raum- und Stadtplanung (vgl. Stolz 2008). 3. Schulöffnung, Engagement- und Demokratieförderung in Schulen – Erfahrungen, Ansätze und Methoden In vielen Schulen gib es bereits gute, zum Teil auf jahrelange Erfahrungen und Traditionen beruhende Ansätze der Förderung gesellschaftlicher Verantwortung und schulischer Öffnungsprozesse. Gleichwohl halten die Vorwürfe, die mit der Debatte um eine bürgerschaftliche Orientierung von Schule verbundenen Erwartungen seien nur „alter Wein in neuen Schläuchen“, all dies gäbe es doch längst, einem Realitätscheck nicht stand. Die entscheidende Frage bleibt letztlich, inwiefern all diese Projekte und Ansätze eine strategische Verankerung in den pädagogischen Konzepten der Schule erfahren, sie miteinander verknüpft und integraler Bestandteil schulischen Selbstverständnisses oder jenseits des Kernauftrages der Institution lediglich schmückendes Beiwerk sind, das zwar durchaus willkommen, im Ernstfall aber doch entbehrlich ist. Genau hieran aber mangelt es in der Praxis noch häufig. Gleichwohl: Auf dem Weg zu einem demokratischen, Engagement und Verantwortung fördernden, kooperativen Leitbild fangen die Schulen nicht „bei Null“ an. Es gibt ermutigende Ansätze und Entwicklungen, von denen die Wichtigsten im Folgenden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) skizziert werden. 66 Besonders sichtbarer Ausdruck bürgerschaftlicher Öffnung von Schulen sind Formen der Zusammenarbeit mit Vereinen, Verbänden und anderen Einrichtungen im schulischen Umfeld. Es gibt kaum eine Schule, die völlig hermetisch gegenüber ihrem Wohnumfeld existiert. Schulkooperationen mit Organisationen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit, des Sports, der Kultur, des Natur- und Umweltschutzes etc. gehören zur Normalität im deutschen Schulsystem. Die Öffnung der Schulen für Kooperationen und Partnerschaften mit öffentlichen Einrichtungen und gesellschaftlichen Organisationen im schulischen Umfeld ist inzwischen in den Schulgesetzen aller Länder verankert. Externe Akteure, Ressourcen und Potenziale bereichern schulisches Leben, tragen zur Öffnung gegenüber dem Gemeinwesen bei und unterstützen erfahrungsorientiertes Lernen. Dies allein ist jedoch noch kein Hinweis auf eine Verankerung demokratischer und bürgergesellschaftlicher Prinzipien im Schulalltag (vgl. BehrHeintze/Lipski 2005). Gleichwohl ist das Spektrum bürgerschaftlicher Initiativen in und für Schulen außerordentlich bunt und vielfältig. Projektunterricht ist eine etablierte Unterrichtsform; dabei arbeiten Schulen regelmäßig mit Externen und Partnern im schulischen Umfeld zusammen. Projekttage und Projektwochen tragen häufig dazu bei, dass der räumliche Rahmen der Schule überschritten wird und Schülerinnen und Schüler Erfahrungen in Realität und Alltag von Unternehmen, Einrichtungen und Organisationen machen. Sie sind damit ein wichtiger Baustein der äußeren und inneren Öffnung. Auch Sozialpraktika und Seitenwechselprojekte sind inzwischen an vielen Schulen ein fester Bestandteil. Sie ermöglichen Schülerinnen und Schülern vielerorts Einblicke in fremde Lebenswelten und ermöglichen das Erproben von Verantwortungsübernahme und Engagement. Dabei kooperieren Schulen mit sozialen Einrichtungen und Organisationen wie bspw. Pflegeheimen, Krankenhäusern oder sozialen Projekten für Wohnungslose. Nicht selten unterstützen bei diesen Aktivitäten auch Freiwilligenagenturen und ähnliche Einrichtungen die Schulen mit Beratung, Begleitung und Vermittlung entsprechender Einsatzstellen. Besondere Bedeutung für eine bürgergesellschaftliche Ausrichtung von Schulen hat die Beteiligung von Eltern sowie die Zusammenarbeit mit Elternfördervereinen, die sich vielerorts gegründet haben. Über die traditionelle Arbeit der Elternvertretungen hinaus spielt die Unterstützung von Elterninitiativen und schulischer Fördervereine eine zunehmend größere Rolle. Dabei akquirieren sie nicht nur finanzielle Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Mittel für die Schule, sie bringen sich auch mit vielfältigen Aktivitäten in das Schulleben ein und fungieren bisweilen als Agenten für die Gewinnung und Vermittlung externer Kompetenzen (z. B. für Projektwochen). Nicht selten sind Fördervereine Träger für bestimmte Vorhaben und Projekte wie Schulfeste oder Schulkonzerte. An vielen Schulen haben sich Projekte und zum Teil auch längerfristige Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen etabliert. Unternehmen stärken Bezüge zur Arbeitswelt, unterstützen bei der Einmündung in Arbeit und Beruf, bringen finanzielle Ressourcen und fachliches Know How in die Schulen ein. Die Landschaft solcher Kooperationsvorhaben und gemeinsamer Projekte im Rahmen von Corporate-Citizenship-Programmen von Unternehmen ist inzwischen extrem vielfältig (vgl. hierzu ausführlich Hartnuß/Heuberger 2010, S. 478ff.). Um Wirtschaft und Schulen stärker aufeinander zu beziehen, haben sich deutschlandweit rund 450 regionale Arbeitskreise „Schule – Wirtschaft“ gegründet. Ziel ist vor allem die ökonomische Bildung der Schülerinnen und Schüler und die Vorbereitung auf das Berufsleben. An Bedeutung gewonnen haben in den vergangenen Jahren auch unterschiedliche Formen von Patenschafts- und Mentoring-Projekten. Dabei geht es sowohl um Hilfen bei den Hausaufgaben, um Schlichtung von Konflikten und Schwierigkeiten im Schulalltag wie zu Hause als auch um Unterstützung bei Bewerbungen und beim Einstieg in Ausbildung und Beruf. Das Spektrum dieser Aktivitäten ist inzwischen erheblich angewachsen. Insbesondere Seniorinnen und Senioren nutzen diese Möglichkeiten, um ihre Erfahrungen und Kompetenzen in der nachberuflichen Phase für das Gemeinwohl einzubringen. Sie bereichern damit den schulischen Alltag und bieten Kindern und Jugendlichen in der Schule Angebote, die von professionellen Pädagogen in dieser Form häufig nicht angeboten werden können. Eine zentrale Form der Einübung von Demokratie und Mitbestimmung in der Schule ist die Schülerpartizipation. Hierzu gehören die Übernahme formaler Funktionen wie Klassen- und Schülersprecher, die Mitgliedschaft in Schülerräten und Schulkonferenzen, aber auch die Mitarbeit bei Schülerzeitungen oder Projekten in der Schule. Inzwischen gibt es vielerorts Initiativen, die formalen Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule auf eine breitere Basis zu stellen und damit das schulische Leben insgesamt zu demokratisieren. Der Aufbau von Klassenräten, Stufenund Schulparlamenten verfolgt einen basisdemokratischen Ansatz, der Partizipation und Mitbestimmung jeder und jedes Einzelnen in der Schule von Anfang an ermöglicht (vgl. Edelstein 2007). Viele (außerschulische) gesellschaftliche Akteure und Organisationen bemühen sich seit einigen Jahren intensiv darum, Möglichkeiten für Mitbestimmung und Mitgestaltung von Kindern und Jugendlichen zu stärken und nehmen dabei zunehmend auch den Lern- und Lebensort Schule in den Blick. Partizipation ist zentrales Anliegen von Bundes- und Landesjugendringen. Stiftungen wie die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und die Stiftung Demokratische Jugend entwickeln neue Praxismodelle und beteiligen sich an ihrer Umsetzung. Servicestellen für Jugendbeteiligung sind Ansprechpartner und bieten vor Ort Unterstützung an. Im BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“ wurden zahlreiche Praxisbausteine und Anregungen erarbeitet, die in Schulen erprobt und umgesetzt werden können. Leider gab es für das Programm nach seinem Ausklang infolge der Föderalismusreform keine (bundesweite) Anschluss- bzw. Transfermöglichkeit. Die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe) bemüht sich seither darum, die in dem Programm gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse in der schulischen Wirklichkeit zu verankern. Einige Länder haben ihrerseits Transferprogramme auf den Weg gebracht und führen damit ihre demokratiepädagogischen Bemühungen in Schulen fort. Insgesamt aber sind die Potenziale für Selbst- und Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern in der Schule längst nicht ausgeschöpft (vgl. Bertelsmann Stiftung 2007). Zwar gibt es im Bereich der Öffnung der Schule vielfältige Ansätze und Erfahrungen der Kooperation und Unterstützung, jedoch sind solche Projekte und Vorhaben, in denen es ausdrücklich um die Verknüpfung von schulischen und außerschulischen Lernprozessen und um den Erwerb bürgerschaftlicher Kompetenzen geht, mit Blick auf die Gesamtheit unserer Schulen bislang noch die Ausnahme. In diesem Zusammenhang hat in Deutschland seit einigen Jahren die Methode des Service Learning an Bedeutung gewonnen (vgl. hierzu ausführlich Sliwka 2004). Service Learning ist ein Lehr-Lernprinzip. Es beinhaltet das Lernen gesellschaftlicher Verantwortung in Verbindung mit der praxisorientierten Vermittlung konkreter Wissensinhalte und der Öffnung der Schule gegenüber dem Gemeinwesen. In Deutschland hat die Freudenberg-Stiftung viel zur Adaptation dieses noch recht jungen Ansatzes beigetragen. Inzwischen hat sich ein bundesweites Netzwerk „Service Learning“ gegründet, das sich um die Weiterentwicklung und Verbreitung des Instruments bemüht. BadenWürttemberg ist bislang das einzige Land, das das 67 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Lernen von gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung in Form des TOP SE (Themenorientiertes Projekt Soziales Engagement) curricular im Rahmenlehrplan der Realschule verankert hat. 4. Herausforderungen, Perspektiven, Handlungsempfehlungen Bislang ist es nicht gelungen, bürgerschaftliches Engagement in angemessener Form in den aktuellen Bildungsreformprozessen zu verankern (vgl. Hartnuß 2008, Hartnuß/Heuberger 2010). Dies kann nur gelingen, wenn deutlich wird, dass es sich hierbei nicht um eine beliebige zusätzliche Aufgabe für Schule handelt, sondern es um den Kernauftrag der Schule selbst geht. Schule kann ihren Auftrag durch eine bessere Verzahnung unterschiedlicher Formen des Lernens und durch die Nutzung der Bildungspotenziale bürgerschaftlichen Engagements besser erfüllen. Mehr noch: Sie ist bei der Erfüllung ihrer Aufgaben in zunehmendem Maße auf bürgerschaftliches Engagement angewiesen (vgl. Olk 2007). Die Bemühungen um die Ausbildung sozialer, demokratischer und bürgerschaftlicher Kompetenzen und die dafür notwendigen Kooperationen von Schule mit dem Gemeinwesen müssen daher auch Teil von Schulentwicklungsprozessen sein und im Begriff der Schulqualität ihren Niederschlag finden: Schulen, die sich um Möglichkeiten für Mitbestimmung und Mitgestaltung bemühen, die mit Organisationen und Akteuren im Gemeinwesen zusammenarbeiten, sind bessere Schulen. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass Schulentwicklung nicht als allein staatlich oder innerschulisch zu leistende Aufgabe zu begreifen ist. Schulentwicklung bedeutet aus einer Systemperspektive die Selbstorganisation der Einzelschule innerhalb staatlicher Vorgaben hin zur qualitätsorientierten Profilbildung (Rahm/Schröck 2005). Dabei ist die enge Zusammenarbeit von Professionellen, Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern ein zentrales Element. Den Ansprüchen einer „guten Schule“ lässt sich nur durch ein enges Zusammenwirken aller am Bildungsprozess Beteiligten gerecht werden. „Kooperative Schulentwicklung ist ein Lernprozess, in dem organisationseigene Ressourcen über das Zusammenwirken aller schulischen Statusgruppen mit dem Ziel einer Qualitätsverbesserung des Bildungsangebotes mobilisiert werden.“ (Rahm 2008) Vor dem Hintergrund der notwendigen Verzahnung und Optimierung bestehender Bildungsangebote kommt dabei auch zivilgesellschaftlichen Akteuren und Organisationen und ihren Lern- und Bildungsan68 geboten in oder im Umfeld der Schule Bedeutung zu. Kooperative Schulentwicklung ist damit eine Herausforderung sowohl für die Einzelschule, die in ihren Bemühungen verstärkt bürgerschaftliches Engagement sowie die Zusammenarbeit mit außerschulischen Einrichtungen mitdenken muss, als auch für die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die durch ihre aktive Mitwirkung Verantwortung für die Weiterentwicklung der Schule übernehmen. Sollen das frühzeitige Erlernen bürgerschaftlichen Engagements und die Stärkung von Partizipation wirkungsvoll in Schulen und anderen Bildungsinstitutionen verankert werden, sind ein klares politisches Bekenntnis sowie entsprechende Initiative hierfür gefragt. Dies betrifft sowohl die Bundesregierung als auch die Ebene der Länder. So könnten etwa durch ein Bund-Länder-Programm neue Formen der Zusammenarbeit von Schulen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, neue Formen des Lernens und Unterrichtens, in denen Verantwortungsübernahme und Engagement integriert sind (wie z. B. beim Service Learning), sowie die Entwicklung einer neuen Lernkultur initiiert und vorangetrieben werden. Mit einem solchen Programm könnte zudem sinnvoll an Erfahrungen aus dem BLK-Programm „Demokratie Lernen & Leben“ angeknüpft werden. 2 Ein deutliches Bekenntnis zur Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements und zivilgesellschaftlicher Öffnung der Bildungsinstitutionen wäre es freilich, wenn diesem Anliegen bei den derzeitigen Bemühungen von Bund und Ländern, bis zum Jahr 2015 den Anteil der gesamtstaatlichen Aufwendungen für Bildung und Forschung auf 10 % des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, ein angemessener Platz eingeräumt würde. Die Bundeskanzlerin sowie die Regierungschefs der Länder haben sich im Oktober 2008 auf dem Qualifizierungsgipfel in Dresden auf dieses Ziel verständigt. Seitdem wurden zusätzliche Mittel für Bildung und Forschung von Bund und Ländern bereitgestellt sowie neue bildungspolitische Schwerpunkte in den Bereichen frühkindliche Bildung, Schule, Berufsausbildung, Hochschule und Weiterbildung gesetzt. Nicht wenige dieser Maßnahmen bieten – wie etwa im Bereich Schule der weitere Ausbau von Ganztagsschulen oder der Schulsozialarbeit – unmittelbare Bezugspunkte zur Förderung von Engagement und Partizipation. Diese Bezüge sollten nicht nur hergestellt, sondern über das 10%-Ziel für Bildung und Forschung und auch mit entsprechenden Mitteln gefördert werden. Den Ländern kommt für die Gestaltung des Bildungssystems eine zentrale Rolle zu. Ihre Kompetenzen Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement sind mit der Föderalismusreform weiter gestärkt worden, wogegen die Handlungsspielräume des Bundes in Bildungsfragen erheblich eingeschränkt wurden. Bei den Ländern liegt daher auch eine besondere Verantwortung, Anliegen der Engagement- und Demokratieförderung durch eigene Initiative zu stärken. Eine Reihe von Ländern ist in diesem Sinne bereits aktiv. Um bürgerschaftliches Engagement im Schulsystem wirkungsvoll zu verankern, stehen den Ländern verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die sie in Berücksichtigung ihrer je spezifischen Situation (Schulstruktur, aktuelle Reformprojekte, landespolitische Prioritäten etc.) nutzen sollten. Hierzu gehören insbesondere; • Verankerung von civic education in den Schulgesetzen: Über die allgemeinen Formulierungen von Bildungszielen, in denen die Bildung und Erziehung zur gesellschaftlichen Verantwortung meist bereits enthalten ist, und den bestehenden Regelungen zur Schulöffnung und Kooperation mit außerschulischen Partnern hinaus wäre es sinnvoll, civic education als Aufgabe von Schulen mit eigenem Paragraphen festzuschreiben. Auf diese Weise würde ein klarer, auch rechtlicher Bezugsrahmen für civic education geschaffen, der allein natürlich noch kein Garant für die Etablierung entsprechender Angebote im Schulalltag ist, jedoch den engagierten Akteuren in den Schulen mehr Handlungssicherheit geben würde. Zudem würde hiervon ein starker politischer Impuls ausgehen, sich vor Ort ernsthaft mit dem Thema auseinander zu setzen. • klare Verortung von civic education beim Ausbau von Ganztagsschulen: Gleiches gilt für die Gestaltung von Ganztagsschulen. Bisherige Regelungen eröffnen zwar durchaus Chancen, eindeutige Positionierungen zur Engagement- und Demokratieförderung als Teil der Ganztagsschulentwicklung können jedoch zu mehr Handlungssicherheit sowohl bei schulischen als auch außerschulischen Partnern beitragen.3 • Landesprogramme zur Engagement- und Demokratieförderung in Schulen: Mit eigenen Programmen (z. B. Transferprogramme zum BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“, Landesprogramme wie „Engagement macht Schule“ oder zum Service Learning, u. a.), die von einigen Ländern bereits aufgelegt wurden, können Projekte und Methoden der Engagementförderung erprobt und etabliert werden. Durch solche Programm können Schulen – jenseits staatlicher Verpflichtungen durch gesetzliche Regelungen – wirkungsvoll in der praktischen Umsetzung von civic education unterstützt werden. • B eteiligung der Länder an Programmen der Engagementförderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen: Impulse zur Stärkung von bürgerschaftlichem Engagement und Partizipation in Schulen wurden in den vergangenen Jahren vor allem von zivilgesellschaftlichen Organisationen an die Schulen herangetragen (insbesondere durch den Bundesjugendring, Landesjugendringe, Freiwilligenagenturen und -zentren, die Bundesvereinigung kulturelle Jugendbildung, Sportverbände, Natur- und Umweltschutzorganisationen etc.). In diesem Bereich spielten und spielen auch Programme von Stiftungen eine besondere Rolle.4 Die Länder sollten entsprechende Kooperationsangebote sorgfältig prüfen und die Chancen, die sich aus einer Zusammenarbeit für die Entwicklung von konkreten Projekten und Ansätzen bieten, nutzen. • Förderung von civic education durch Preise und Wettbewerbe: Wie auch für andere politische Anliegen ist es ein probates Mittel, auch Engagement- und Demokratieförderung durch Schule zum Gegenstand von Wettbewerben und Preisen zu machen und auf diese Weise öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen und Schulen auf ihrem Weg zu ermutigen und zu unterstützen. • Erarbeitung von Empfehlungen und Handreichungen zur praktischen Umsetzung von civic education: Für die Erprobung von Ansätzen und Methoden der Engagementförderung ist es für Schulen hilfreich, praxisorientierte Empfehlungen und Handreichungen zur Verfügung zu stellen, in denen Erfahrungen gelungener Beispiele aufgearbeitet sind, Erfolgskriterien von Projekten beschrieben und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten dargestellt sind. Die Länder können bei der Erstellung solcher Arbeitsmaterialien auf die Erfahrungen zivilgesellschaftlicher Organisationen zurückgreifen und gemeinsam mit ihnen entsprechende Publikationen erarbeiten. • Entwicklung von Modellregionen: Engagementförderung in und durch Schulen braucht Kooperation und Vernetzung mit gesellschaftlichen Organisationen. Besonders wirkungsvoll könnte dies durch die Entwicklung von Modellkommunen bzw. -regionen geschehen, in denen Schulen, Kindertagesstätten, Jugendorganisationen, kommunale Einrichtungen, die Verwaltung etc. eng miteinander zusammenarbeiten und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sowie die Förderung ihres gesellschaftlichen Engagements ein gemeinsames Anliegen ist, das im Alltag durch eine Vielzahl von Partizipationsangeboten in unterschiedlichen Lebensbereichen sichtbar wird. Hierfür braucht es finanzielle Ressourcen, Vernetzungsstrukturen, Qualitätskriterien, ggf. fachliche und wissenschaft69 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement liche Begleitung. Solche Modellregionen hätten jedoch durch ihren Beispielcharakter eine hohe Ausstrahlung. Der Aufbau von Modellregionen ist vielleicht das wirkungsvollste Instrument, das die Länder in ihrem Bemühen, Bürgerengagement und Partizipation nachhaltig im Bildungssystem zu verankern, ergreifen können. Die Öffnung der Schule für Kooperationen und Partnerschaften mit der Bürgergesellschaft, für die Verschränkung unterschiedlicher Formen des Lernens braucht Qualifizierung und Weiterbildung. Die pädagogischen Profis in Schule und Gemeinwesen müssen bereits in ihrer Ausbildung auf ein neues Selbstverständnis vorbereitet werden, das Zusammenarbeit und Partnerschaften als konstitutives Element einschließt. Das nötige Wissen und die Kompetenzen für eine partnerschaftliche Kooperation zwischen den Institutionen des öffentlichen Bildungs- und Erziehungssystems mit der Zivilgesellschaft benötigen Verankerung in den Curricula der Ausbildungsgänge von Lehrerinnen und Lehrern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen und müssen einfließen in die Konzepte von Fort- und Weiterbildung. Entsprechende Impulse und Vorstöße gilt es gezielt an die Kultusministerkonferenz und die Hochschulrektorenkonferenz heranzutragen und ihre Umsetzung einzufordern. Inzwischen gibt es bundesweit einen reichhaltigen Fundus an Erfahrungen, Ideen und Modellen für das Lernen von Bürgerschaftlichkeit und die Kooperation von Bildungseinrichtungen mit dem Gemeinwesen. Die gesammelten Erfahrungen gilt es aufzubereiten, so dass Modelle transparent und übertragbar werden. Dabei sind Qualitätskriterien zu entwickeln und zu sichern. Erfahrungen aus dem BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“ und aus dem Feld des Service Learning zeigen bereits, dass dies erfolgreich möglich ist. Auch Wirtschaftsunternehmen können und sollen sich stärker als bisher an der Erfüllung des gesellschaftlichen Auftrags zur Erbringung qualitativ hoher Bildung beteiligen. Dabei gilt es jedoch, einen umfassenden Anspruch von Bildung zu gewährleisten und diesen nicht ökonomistisch zu verengen. Als Teilnehmer und Partner sind Unternehmen in der aktuellen Bildungsreformdiskussion willkommen, nicht jedoch als dominierende Entscheider über die Ausrichtung schulischer Curricula und Bildungsinhalte. Aus diesem Grunde muss Bildung als öffentliches Gut auch weiterhin primär durch die Bereitstellung öffentlicher Mittel in seiner Qualität gewährleistet werden. Nur so ist der Gefahr vorzubeugen, dass sich Abhängigkeiten von privaten Zuwendungen nicht auf Bildungsinhalte übertragen (vgl. Hartnuß/Heuberger 2010). 70 Bislang noch völlig unausgeschöpft sind die Chancen, die sich aus einer stärkeren Verknüpfung von civic education mit dem Nachhaltigkeitsdiskurs ergeben können. Inzwischen hat die deutsche Debatte über Nachhaltigkeit den alleinigen Fokus auf ökologische Themen verlassen und es werden in einer erweiterten Perspektive Fragen eines erfolgreichen Wirtschaftens mit Anforderungen an die ökologische und soziale Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft verknüpft. Dabei ist „Verantwortung“ der Schlüsselbegriff für nachhaltiges Handeln. Wichtigste Ressource für verantwortliches Handeln (ökonomisch, ökologisch und sozial) aber ist Bildung. Damit kommt Fragen bürgerschaftlicher Bildung auch für den Nachhaltigkeitsdiskurs ein hoher Stellenwert zu. Zwar nehmen die öffentliche Diskussion zum Thema Nachhaltigkeit wie auch die entsprechende Berichterstattung von Bund und Länder inzwischen durchaus Bezug zu Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung als Bestandteil nachhaltiger Politik. Allerdings sind diesbezügliche Berichtspassagen eher deskriptiv und zeigen wenig konkrete Handlungsoptionen auf. Auch die UNDekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ konzentriert sich in ihren Aktivitäten nicht allein auf ökologische Anliegen. Dennoch ist die Anzahl von ausgezeichneten Projekten, die sich dem Thema Engagementförderung widmen, bislang sehr überschaubar. Wenn Nachhaltigkeit in einem weit gefassten Sinne tatsächlich Anspruch moderner Politik ist, dann ist die Frage, wie junge Menschen an Verantwortung herangeführt werden, sicher kein Nebenschauplatz, sondern eine zentrale Frage von Bildung. Dies in der öffentlichen Debatte deutlicher herauszustellen ist gleichermaßen Aufgabe von Politik und Zivilgesellschaft. Die Verknüpfung von Schule und Bürgergesellschaft braucht Druck und Initiative sowohl „von oben“ über Fachdiskurs und bildungspolitische Initiative als auch „von unten“ durch eine lebendige Praxis guter Projekte und Modelle. Die bestehenden Ansätze gilt es daher zu stärken und fortzuentwickeln. Dabei sind Möglichkeiten des gegenseitigen Lernens und des Transfers erprobter Modelle von zentraler Bedeutung. Vernetzung, Bündnisse und Partnerschaften sind auch hier der richtige Weg, um erfolgreichen Ideen zu ihrer Verbreitung zu verhelfen. Orte des Austauschs, des Lernens und gemeinsamer Strategieentwicklung sind auf nationaler, europäischer wie internationaler Ebene notwendig. In Deutschland hat sich unter anderem mit der Tagungsreihe „Schule und Bürgergesellschaft“ des BBE hierfür ein gutes Forum etabliert. Der Blick über die nationalen Grenzen hinaus macht aber deutlich, dass es gerade in diesem Feld sehr unterschiedliche Traditionen und Entwicklungen gibt, die gezielt aufgegriffen und für die Bildungsreformbemühungen in Deutschland aufgearbeitet werden sollten. Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Das von der Europäischen Union ausgerufene Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft 2011 bietet hierfür nicht nur einen aktuellen Anlass. In der Entscheidung des Rates vom 27.11.2009 werden die Mitgliedsstaaten auch ausdrücklich zu einem verstärkten Austausch zu Fragen der Bildung und Erziehung zur Bürgerschaftlichkeit aufgefordert. (4) Die Freiwilligentätigkeit stellt eine bereichernde Lernerfahrung dar, ermöglicht den Erwerb sozialer Fertigkeiten und Kompetenzen und trägt zur Solidarität bei. (...) ( 6) In den vom schnellen Wandel geprägten Gesellschaften werden wirksame Maßnahmen zur Unterstützung von Freiwilligentätigkeiten benötigt, damit sich mehr Menschen ehrenamtlich engagieren. Deshalb müssen Peer-Learning und der Austausch und die Entwicklung bewährter Verfahren auf lokalen, regionalen, nationalen und Gemeinschaftsebenen gefördert werden.“ 5 Veränderungen im öffentlichen Bildungs- und Erziehungssystem sind kompliziert und langwierig. Massive Bedenken und Widerstände begleiten die Reformprozesse. Bürgergesellschaftliche Reformperspektiven haben es dabei häufig schwer, sich Gehör zu verschaffen. Daher ist es geboten, nicht nur hartnäckiger zu argumentieren, sondern auch mit schlagkräftiger Unterstützung. Bürgerschaftliche Akteure brauchen mehr Vernetzung und Bündelung sowie die Unterstützung aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Medien. Bündnispartner aus diesen Bereichen, die sich mit Anliegen der Engagement- und Demokratieförderung identifizieren, können die Bemühungen wirkungsvoll unterstützen und so den öffentlich Druck auf das Bildungs- und Schulsystem erhöhen. Das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft 2011 bietet auch hierfür Chancen, die bei den Planungen für die Gestaltung des Jahres von Bund und Ländern, aber auch den zivilgesellschaftlichen Organisationen und Netzwerken aufgegriffen werden sollten. Kampagnen und öffentliche Veranstaltungen im Rahmen des Jahres können den Anliegen bürgerschaftlicher Bildungsreformen ein wirkungsvolles Sprachrohr geben. Der Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt, ob es gelingt, die zentralen Planer und Entscheidungsträger aus Schulentwicklungs- und Bildungspolitik an den Tisch zu bekommen, sie von den Chancen und Notwendigkeiten einer bildungspolitischen und bildungspraktischen Verankerung bürgerschaftlichen Engagements zu überzeugen und gemeinsam mit ihnen Strategien der Realisierung zu entwerfen. Anmerkungen 1 Die im Folgenden ausgeführten Überlegungen für die Schule lassen sich analog auch für den vorschulischen wie den nachschulischen Bereich anstellen und entsprechende Konsequenzen daraus ziehen. Analysen und Perspektiven einer zivilgesellschaftlichen Öffnung von Kindergärten und Hochschulen finden sich in dem Beitrag von Birger Hartnuß und Frank Heuberger „Ganzheitliche Bildung in Zeiten der Globalisierung. Bürgergesellschaftliche Perspektiven für die Bildungspolitik“ (Hartnuß/Heuberger 2010). 2 Diese Forderung findet sich auch in den engagementpolitischen Empfehlungen des Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement für die 17. Legislaturperiode, die in Auswertung der ersten Ergebnisse des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation im Oktober 2009 vom Sprecherrat des BBE an die neue Bundesregierung adressiert wurden. 3 Eine ausführliche Argumentation zu Chancen der Engagement- und Demokratieförderung in ganztägigen Lernarrangements findet sich in Hartnuß/ Maykus 2005. 4 So ist die Erprobung und Verbreitung der Methode des Service Learning maßgeblich von der Freudenberg-Stiftung gefördert worden. Aktuelles Beispiel für die Initiative von Stiftungen in diesem Bereich ist das von der Bertelsmann-Stiftung aufgelegte Programm „Jugend und Engagement“. 5 Amtsblatt der Europäischen Union vom 22.01.2010, Entscheidung des Rates vom 27. November 2009 über das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven Bürgerschaft (2011). Literatur • Behr-Heintze, Andrea/Lipski, Jens (2005): Schulkooperationen. Stand und Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen Schulen und ihren Partnern. Ein Forschungsbericht des DJI. Schwalbach/Ts. • Bertelsmann Stiftung (2007): Vorbilder bilden. Gesellschaftliches Engagement als Bildungsziel. Carl Bertelsmann-Preis 2007. Gütersloh. • Böhme, Jeanette/Kramer, Rolf-Torsten (Hg.) (2001): Partizipation in der Schule. Theoretische Perspektiven und empirische Analysen. Opladen. • Bundesjugendkuratorium/Sachverständigenkommission für den Elften Kinder- und Jugendbericht/ AGJ (2002): Bildung ist mehr als Schule – Leipziger Thesen. In: Forum Jugendhilfe, 26. Jg., Heft 3, S. 2. • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.) (2005): Zwölfter Kinder- und Jugendbericht. Bonn/Berlin. 71 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement • du Bois-Reymond, Manuela/Diepstraten, Isabelle (2007): Neue Lern- und Arbeitsbiographien. In: Kahlert, Heike/Mansel, Jürgen (Hg.): Bildung, Berufsorientierung und Identität im Jugendalter. Weinheim und München. • Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hg.) (2007): Diskussionspapier des Deutschen Vereins zum Aufbau kommunaler Bildungslandschaften. Berlin. • Düx, Wiebken/Prein, Gerald/Sass, Erich/Tully, Claus J. (2008): Kompetenzerwerb im freiwilligen Engagement. Eine empirische Studie zum informellen Lernen im Jugendalter. Wiesbaden. • Edelstein, Wolfgang (2008): Überlegungen zum Klassenrat: Erziehung zu Demokratie und Verantwortung. In: Die Ganztagsschule, Heft 2. • Edelstein, Wolfgang (2007): Schule und bürgerschaftliches Engagement. Vortrag auf der Tagung „Bürgergesellschaft und Bildung – Gesellschaftliches Engagement als Bildungsziel“ der Bertelsmann Stiftung und des BBE. 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Einleitung Seit einigen Jahren lässt sich die Annäherung von zwei Themenfeldern beobachten, die lange Zeit eigenständig existierten und wenig bis gar nichts miteinander zu tun hatten: dem Bildungs- und Kompetenzdiskurs auf der einen Seite und den Debatten über bürgerschaftliches, freiwilliges, zivilgesellschaftliches Engagement auf der anderen Seite. Wurde der Bildungsdiskurs vor allem mit Schule, mit formaler Bildung und mit späterem beruflichen Erfolg in Verbindung gebracht, vielleicht sogar nahezu gleichgesetzt – und hatte darin seine allgemeine, grundlegende Bedeutung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen –, so waren die Erörterungen um das Ehrenamt und das freiwillige Engagement nicht nur vor allem auf den außerschulischen Bereich, auf die Freizeit gerichtet, sondern darin geradezu ein symbolhafter Ausdruck eines nichtfunktionalistischen Engagements junger Menschen aus freien Stücken. Für viele wurde das freiwillige Engagement in einem Verein, einem Verband, in der Kirche, in einer Initiative oder einer politischen Gruppierung mit den ausgeprägten Elementen des Gleichaltrigenbezugs, des Spaßes, einem Stück Selbstverwirklichung sowie der weitaus stärker empfundenen Selbstwirksamkeit zu einer Alternativerfahrung und zu einem Gegenentwurf zu den vielfach mit Zwang und Pflicht behafteten schulischen Bildungssettings. Diese Ausgangslage hat sich im letzten Jahrzehnt aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen merklich verändert. Einige Facetten sollen hier nur kursorisch genannt werden: • Im Anschluss an die ersten PISA-Studien (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001), die vor allem Fragen der Literalität, der Mathematik und der Naturwissenschaft in den Mittelpunkt ihrer Kompe tenzmessungen gerückt hatten, ist eine generelle Diskussion um Kompetenzen, Kompetenzdimensionen und Kompetenzdiagnostik entstanden, die fast zwangsläufig auch die Frage nach anderen Inhalten und Dimensionen des Kompetenzerwerbs nach sich gezogen hat (vgl. etwa BMFSFJ 2005). • Begünstigt wurde diese Debatte durch eine wiederbelebte Auseinandersetzung um die Koordinaten eines zeitgemäßen Bildungsbegriffs: „Bildung ist mehr als Schule“ wurde dabei zu einem programmatischen Leitmotiv für ein erweitertes Bildungsverständnis (vgl. etwa Bundesjugendkuratorium 2001; Bundesjugendkuratorium u. a. 2002; Münchmeier/Otto/Rabe-Kleberg 2002). Damit wurden in der Folge dann aber auch verstärkt die „anderen Seiten der Bildung“ ins Blickfeld gerückt (vgl. Otto/ Rauschenbach 2004). • Während sich die Diskussion um Kompetenzen und Bildung in Deutschland vor allem im Anschluss an die erste PISA-Studie ausgebreitet hat (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001), waren die Studien über ehrenamtliches, freiwilliges oder zivilgesellschaftliches Engagement – im Folgenden auch zusammengefasst unter dem Begriff des zivilgesellschaftlichen Engagements – lange Zeit eher von Fragen der Prävalenz, also der Verbreitung, der Motivation und der mit diesem Engagement verbundenen Erwartungen geprägt (vgl. Beher/Liebig/ Rauschenbach 2002). • Erst über die neueren Debatten um das informelle Lernen im Jugendalter (vgl. Rauschenbach/Düx/ Sass 2006) kam verstärkt die Frage auf, ob, und falls ja, was denn junge Menschen im Rahmen ihres Freiwilligenengagements eigentlich lernen, wurde das zivilgesellschaftliche Engagement als eine mögliche Bildungsressource ins Blickfeld gerückt (vgl. etwa Konsortium Bildungsberichterstattung 2006). Mit anderen Worten: Die stärkere Ausrichtung der Bildungsthematik an der Kompetenzfrage, die gleich73 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement zeitige Ausweitung der Referenzpunkte für einen erweiterten Bildungsbegriff, der konsequent über die schulische Bildung hinausweist, sowie die sich allmählich ausbreitende Sorge, dass ein fast ausschließlich kognitiv ausgerichtetes Bildungskonzept den zukünftigen Herausforderungen an eine individuelle Lebensführung der nachwachsenden Generation nicht gerecht werden kann, öffnete auf Seiten des Bildungsdiskurses den Blick auf jene Horizonte, die auch mit dem freiwilligen, zivilgesellschaftlichen Engagement zu tun haben. Zeitgleich hat im Rahmen der Engagementforschung nach und nach eine stärkere empirische Ausrichtung Einzug gehalten, deren prägnantester Ausdruck 1999 im Start des inzwischen drei Mal durchgeführten Freiwilligensurveys seinen Niederschlag fand (vgl. Rosenbladt 2001; Gensicke/Picot/Geiss 2006). Zugleich hat eine deutlicher akzentuierte Debatte über die Beweggründe und Formen des Engagements zu einer stärkeren Akzentuierung der individuellen Facetten und des individuellen Nutzens geführt (vgl. Rauschenbach/Müller/Otto 1992) und dabei auch den Blick frei gelegt auf die impliziten wie expliziten Bildungspotenziale des Freiwilligenengagements. Vor allem die Frage nach dem Kompetenzerwerb durch das zivilgesellschaftliche Engagement junger Menschen hat zu intensiveren Debatten und ersten Studien geführt. Damit stand der Kompetenzerwerb außerhalb der etablierten Modalitäten schulisch-formaler Bildung ebenso auf der Tagesordnung wie die anderen Dimensionen des individuellen Kompetenzerwerbs. Da die großen internationalen Vergleichsstudien ausschließlich auf die schulischen Kernfächer ausgerichtet waren, konnten sie diese anderen Dimensionen bislang auch nicht erfassen. ihrem persönlichen Umfeld oder des öffentlichen Lebens. Jugendstudien haben wiederholt belegt, dass der Einsatz für ein Anliegen, eine Idee oder für andere Menschen für viele Jugendliche in diesem Alter ganz selbstverständlich ist und zu ihrem persönlichen Lebensstil gehört (vgl. Jugendwerk der Deutschen Shell 2000, 2002, Shell Deutschland Holding 2006; Gille u. a. 2006). Bestätigt wurden derartige Befunde aber auch durch die bisherigen Freiwilligensurveys, die nachgewiesen haben, dass junge Menschen im Schulalter mit zu den engagiertesten Altersgruppen gehören (vgl. Picot 2001; Gensicke/Picot/Geiss 2006). 2.1 Zur Bedeutung des Engagements im Jugendalter Freiwilliges Engagement realisiert sich für Jugendliche im konkreten Tun, in realen Ernstsituationen – ganz im Unterschied zu den vielfachen „Als-Ob-Situationen“ in der Schule. In der konkreten Übernahme von sozialer Verantwortung in lebensweltlichen Zusammenhängen im Rahmen dieses Engagements erfahren Heranwachsende oft zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sie etwas können, dass man sie braucht, dass man ihnen außerhalb des Schonraums der Familie und außerhalb des pädagogisch-inszenierten Settings Schule etwas zutraut, kurz: dass sie dort Anerkennung und Bestätigung erfahren – mit allen Konsequenzen des Erfolgs, aber auch des Scheiterns an Realsituationen, in denen sich die Einzelnen bewähren müssen. 2. Das Engagement im Jugendalter Derartige Formen des Engagements werden inzwischen verstärkt als eine Form von Bildungsarbeit wahrgenommen. Das war nicht immer so. Lange Zeit wurde ehrenamtliches Engagement vor allem als einseitiges Geben, als gute Tat, meist aus altruistischen Motiven verstanden. Jemand spendete Zeit, Können und Motivation für andere Menschen, für eine Idee oder gute Sache. Dies war nach Meinung vieler der soziale Kitt, der Gemeinschaften und Gesellschaften zusammenhielt – und den es zu bewahren galt. Seit den 90er-Jahren wird sehr viel stärker die Reziprozität, also das wechselseitige Geben und Nehmen des freiwilligen Engagements betont und ins Blickfeld gerückt (vgl. Rauschenbach/Müller/Otto 1992). Dies hat zugleich den Blick geöffnet für die Seiten des individuellen und gesellschaftlichen Nutzens der unterschiedlichen Formen des Engagements. Allen Unkenrufen zum Trotz sind auch in der heutigen Zeit noch viele Jugendliche freiwillig engagiert und beteiligen sich aktiv an vielen Angelegenheiten in In Anbetracht derartiger Entwicklungen innerhalb der Engagementforschung, die auch als Ausdruck einer allgemein gewachsenen Bereitschaft verstanden Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend zunächst die Bedeutung des Engagements im Jugendalter skizziert werden. Anschließend steht die wachsende Bedeutung eines kompetenzbasierten Bildungsbegriffs für das Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt, bevor dann einige Facetten des Zusammenhangs von Engagement und Bildung zur Diskussion gestellt werden. Den Abschluss bilden einige Handlungsempfehlungen auf der Basis der neueren wissenschaftlichen Diskussion um Bildung und Engagement.1 74 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement werden können, sich mit Fragen des Engagements auseinanderzusetzen – und infolgedessen u. a. Bundestagskommissionen (vgl. Enquete-Kommission 2002) und eigenständige Berichtsformate nach sich zogen (vgl. Alscher u. a. 2009) –, gerät das freiwillige Engagement von jungen Menschen zunehmend in den Blick von Öffentlichkeit und Politik. Dabei wird dem Engagement von Jugendlichen heute sowohl eine gesellschaftliche (a) als auch individuelle Bedeutung (b) zugeschrieben. (a) Gesellschaftliche Bedeutung des freiwilligen Engagements im Jugendalter: In Demokratien, die auf der aktiven Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürger basieren und auf diese angewiesen sind, erscheint das soziale und politische Engagement junger Menschen als ein Gradmesser für deren spätere aktive Teilhabe an der Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft. Um auch zukünftig zivilgesellschaftliches Engagement in gemeinnützigen Organisationen und damit die Grundlagen für die Zivilgesellschaft aufrechtzuerhalten, kommt der Einbindung junger Menschen eine wichtige Bedeutung zu. Das Nachwachsen Jugendlicher in Formen des freiwilligen, zivilgesellschaftlichen Engagements und in der gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme wird dementsprechend als eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Weiterentwicklung von Demokratie und Zivilgesellschaft gesehen (vgl. EnqueteKommission 2002). (b) Individuelle Bedeutung des freiwilligen Engagements im Jugendalter: Daneben wird dem freiwilligen Engagement in jüngerer Zeit verstärkt auch eine wichtige individuelle Bedeutung beigemessen, bietet es doch Jugendlichen Möglichkeiten für erste eigene Erfahrungen im Umgang mit gesellschaftlichen Organisationen und gemeinnützigen Einrichtungen, für eigene neue und andersartige Lern- und Bildungsprozesse, für den Erwerb vielfältiger Kompetenzen, für die Einübung demokratischer Spielregeln sowie für Teilhabe, Mitbestimmung, Selbstorganisation und die Vertretung ihrer eigenen Interessen. Die Übernahme von Verantwortung für andere Menschen, für Inhalte oder Sachen erscheint heute als ein wichtiger Aspekt der sozialen Integration Heranwachsender in einer tendenziell eher desintegrativen Gesellschaft (vgl. Düx u. a. 2008; Enquete-Kommission 2002). 2.2 Zur Empirie freiwilligen Engagements junger Menschen Empirisch zeigt sich, dass das freiwillige Engagement jungen Menschen einen wichtigen Schritt aus dem privaten in den öffentlichen Raum und damit eine Ausweitung ihres Erfahrungshorizonts ermöglicht (vgl. Buhl/Kuhn 2005). Neben Eltern und Freunden stellt soziales Engagement eine von drei Säulen dar, die zu einer erfolgreichen sozialen Entwicklung, zu gesellschaftlicher Partizipation und zu sozialer Integration Heranwachsender beitragen können (vgl. Reinders 2005). Mittlerweile kann auf eine ganze Reihe von Forschungsbefunden zum jugendlichen Engagement zurückgeblickt werden (vgl. als Überblick Düx 1999; Düx/Sass 2006). Grundsätzlich ist damit auf eine in den letzten Jahren erheblich verbesserte Datengrundlage zu verweisen, auch wenn die Angaben zum Umfang des Engagements sowie zur Verteilung auf Felder und Inhalte in den vorliegenden Studien, je nach verwendeten Begrifflichkeiten und Fragestellungen, nach wie vor schwanken. Dementsprechend ergeben sich in Abhängigkeit von der Fragestellung, von der Definition des Engagements, von der Untersuchungsrichtung und den gewählten Alterseinteilungen in den verschiedenen Studien unterschiedliche Quoten ehrenamtlich engagierter Jugendlicher, die aber nicht unbedingt Ausdruck empirischer Beliebigkeit sind, sondern eher als Beleg für die nach wie vor unterschiedlichen empirischen Zugänge zu dieser Problematik zu werten sind (vgl. Beher/LiebigRauschenbach 2002; Rauschenbach 1999). Beim Vergleich unterschiedlicher repräsentativer bundesdeutscher Bevölkerungsumfragen zu Mitgliedschaft und freiwilligem Engagement der Altersgruppe der 14- bis 20-Jährigen kommt v. Santen auf eine Bandbreite zwischen 12 und 40 Prozent engagierter junger Menschen (vgl. v. Santen 2005). In diesen Studien reicht die Fragestellung von freiwilligem – auch kurzzeitigem und projektgebundenem – Engagement bis hin zur Ausübung eines Amtes. Diese unterschiedlichen Zahlen machen insoweit genau die Schwierigkeiten der empirischen Erfassung freiwilligen Engagements Jugendlicher deutlich (vgl. Düx 2000; BMFSFJ 2005; Züchner 2006). Zieht man die verschiedenen Wellen der Freiwilligensurveys als bislang umfangreichsten Datensatz zum zivilgesellschaftlichen Engagement in Deutschland heran, so engagieren sich bundesweit zwischen 37 (1999), 36 (2004) und 35 Prozent (2009) aller jungen Menschen zwischen 14 und 24 Jahren. Zu ähnlichen Befunden gelangt auch die letzte Shell-Jugendstudie (vgl. Shell Deutschland Holding 2006). Die ersten beiden Freiwilligensurveys von 1999 und 2004 ermittelten zudem den höchsten Anteil ehrenamtlich Engagierter bei den unter 20-Jährigen (vgl. Gensicke/ Picot/Geiss 2006). 75 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Allerdings finden sich innerhalb der Gruppe junger Menschen deutliche Unterschiede im Engagement. So belegen verschiedene Studien, dass sich überwiegend sozial gut integrierte deutsche Jugendliche mit höherer Schulbildung engagieren (vgl. Gaiser/de Rijke 2006; Düx u. a. 2008; Reinders 2009). Zugleich korrespondieren der Zugang zum Engagement sowie die Art des Engagements mit den sozialen Ressourcen und den kulturellen Interessen im Elternhaus. Nach wie vor engagieren sich mehr männliche als weibliche Jugendliche. Auch findet sich ein deutlich geringerer Anteil Engagierter bei den jungen Menschen mit Migrationshintergrund (vgl. Gensicke/Picot/Geiss 2006), was nicht zuletzt auch mit ihrer im Schnitt geringeren schulischen Qualifikation zusammenhängen dürfte (vgl. etwa Düx u. a. 2008). Weitere milieuspezifische Einflussfaktoren für ein Engagement Heranwachsender sind Merkmale wie ein großer Freundeskreis, biografisch stabile Wohnverhältnisse oder die Bindung an eine Religionsgemeinschaft (vgl. Gensicke/Picot/ Geiss 2006; Rauschenbach 1999). Folgt man der letzten Shell-Studie, so sind 40 Prozent der befragten Jugendlichen in Vereinen aktiv, 23 Prozent im Bereich Schule/Hochschule, 15 Prozent in einer Kirchengemeinde/-gruppe, 13 Prozent in einem selbst organisierten Projekt, 12 Prozent in Jugendorganisationen (vgl. Shell Deutschland Holding 2006). Und in der Untersuchung von Düx u. a. (2008) engagieren sich Jugendliche bis zum Alter von 22 Jahren überwiegend im kirchlichen Umfeld (22%), im Sport (21%), in den Rettungsdiensten (12%) und in Jugendverbänden (10%). In allen Bereichen geben mindestens 50 Prozent der Engagierten an, auch in der Jugendarbeit als dem typischen Einstiegsfeld für jugendliches Engagement ehrenamtlich tätig gewesen zu sein. Dabei bezieht sich das Engagement junger Menschen bis zu 24 Jahren überwiegend auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. In den Feldern der Schule und Jugendarbeit geben über 80 Prozent der jungen Engagierten als Zielgruppe ihres Engagements Kinder und Jugendliche an, im Sport sind es mit Blick auf diese Altersgruppe 70 Prozent, im kirchlich-religiösen Bereich zwei Drittel (vgl. Gensicke/ Picot/Geiss 2006). Das heißt, die freiwillige Tätigkeit junger Menschen richtet sich überwiegend an Gleichaltrige bzw. an nur wenig jüngere Personen, in der Regel als Gruppenarbeit im Rahmen der außerschulischen Jugendarbeit (vgl. Enquete-Kommission 2002; Rauschenbach 2009a). Insgesamt zeigt sich anhand der neueren Studien also zum einen, dass nach wie vor ein zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen in einem 76 nicht zu unterschätzenden Umfang anzutreffen ist, dass zum anderen auch die damit verbundenen gesellschaftlichen wie individuellen Dimensionen nicht zu unterschätzen sind, auch wenn sie vielfach zunächst außerhalb des eigentlichen Bildungsdiskurses zum Thema geworden sind. 3. Kompetenzbasierte Bildung im Jugendalter Eine deutlich anders gelagerte Entwicklung hat die Diskussion um Fragen der Bildung und der Kompetenz genommen, welche hier nicht erschöpfend behandelt werden kann. Lediglich einige ausgewählte Dimensionen dieser beiden Begrifflichkeiten werden ins Blickfeld gerückt. Menschen lernen immer und überall. Die Frage, ob das bürgerschaftliche Engagement ein wesentlicher, gar ein exklusiver Ort ist, an dem anders und Anderes gelernt wird als in der Schule und anderen Lernfeldern, ist empirisch schwierig zu klären. Ähnlich wie in der Familie finden sich auch hier alle Ebenen alltäglicher Erfahrungen und möglicher Lernprozesse. Gegenüber den hochgradig formalisierten Bildungssystemen, in denen primär kognitives Wissen in spezifischer, zumeist standardisierter Form eingeübt wird, findet sich in den Organisationen des bürgerschaftlichen Engagements eine große Bandbreite äußerst heterogener Lerninhalte, die zudem auf höchst unterschiedliche Weise angeeignet werden. Die Erhebung informeller Lernprozesse ist somit generell schwierig, da diese vielfach nicht nur ungeplant und außerhalb geregelter Lernumwelten stattfinden, sondern zudem die möglichen Einflussvariablen nur schwer getrennt voneinander betrachtet werden können (vgl. Reinders 2009, S. 20ff). Diese Vielfalt und Nicht-Fassbarkeit der unterschiedlichen Lerninhalte und -formen erschwert es, Dimensionen des Lernens in diesen Settings zu beschreiben. Es gibt bisher keine geprüften Instrumente, mit denen man unterschiedlichste Formen des Kompetenzerwerbs messen und erfassen kann. Dies gilt noch mehr für informelle Lernprozesse, da diese von ihrem Charakter her ungeplant sind und damit kaum gezielt beobachtet, geschweige denn gemessen werden können. Mehr noch: Die Schwierigkeiten der Annäherung an den Kompetenzerwerb im Rahmen informellen Lernens hängen auch damit zusammen, dass hierbei die Frage nach den anderen Bildungsorten mit Fragen nach den anderen Bildungsinhalten und den anderen Bildungsmodalitäten, also den Formen der Aneignung Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement und des Lernens, vielfach bis zur Unkenntlichkeit ineinander vermengt werden (vgl. dazu ausführlich Rauschenbach 2009b). Das heißt: Es existiert keine einheitliche Vorstellung davon, was informelles Lernen eigentlich heißen könnte. Hinzu kommt, dass in der bisherigen gesamten Kompetenzforschung kaum ein Augenmerk auf die Frage gelegt worden ist, wo und wie Kompetenzen eigentlich erworben werden. Orte und Modalitäten des Kompetenzerwerbs spielen vorerst kaum eine Rolle. Dies aber macht es für die weitaus diffuseren, weniger standardisierten Formen des informellen Lernens noch schwieriger, Orte, Inhalte und Formen genauer zu benennen. Hinzu kommt ein weiteres Problem. Nicht zuletzt um dem Sachverhalt gerecht zu werden, dass Kompetenzen nicht auf die Enge der bisherigen untersuchten Kompetenzdimensionen der PISA-Forschung reduziert werden können, ist ein erweiterter, kompetenzbasierter Bildungsbegriff erforderlich, wie er beispielsweise im 12. Kinder- und Jugendbericht zugrunde gelegt worden ist (vgl. BMFSFJ 2005). Dieser beinhaltet vier Kompetenzdimensionen: 1 . Unter kultureller Kompetenz wird die sprachlichsymbolische Fähigkeit verstanden, sich die von Menschen geschaffene kulturelle Welt mittels Zeichen und Sprache sinnhaft zu erschließen, sie zu deuten, zu verstehen, sich in einer Symbolwelt bewegen zu können. Das kommt vor allem dem traditionellen Verständnis von Bildung nahe, also dem, was Schule leisten soll. 2 . Als instrumentelle Kompetenz umschreibt der 12. Kinder- und Jugendbericht jene Fähigkeiten, die sich auf die materiell-dingliche Welt beziehen, etwa sich praktisch, physisch im Leben bewegen und verhalten zu können, also nicht nur mental, semantisch oder virtuell, sondern sich ganz konkret in einer stofflichen Umgebung, in der Natur, in einer Welt von Produkten, in einer technischen Welt zurechtzufinden (eine Fähigkeit, die in modernen Informations- und Wissensgesellschaften immer stärker unterschätzt wird). 3 . Der dritte Kompetenzbereich, die soziale Kompetenz, ist auf die soziale (Um-)Welt ausgerichtet und umfasst, vereinfacht ausgedrückt, all das, was sich auf andere Menschen, auf das menschliche Zusammenleben, auf das Gemeinwesen bezieht, also etwa kommunikative Kompetenz, soziale Verantwortung oder politische Bildung. 4 . Und schließlich bedarf es einer vierten Kompetenzdimension, die sich auf die subjektive Welt bezieht. Angesprochen wird damit die personale Kompetenz, also etwa die Fähigkeiten, mit sich selbst, mit seinen eigenen Emotionen, Hoffnungen und Ängsten, mit seiner eigenen Körperlichkeit umgehen zu können, sich selber wahrzunehmen, sich zu sich selbst verhalten zu können und so etwas wie eine personale Identität zu entwickeln. Informelles Lernen und damit auch der Kompetenzerwerb im zivilgesellschaftlichen Engagement bewegt sich dabei vor allem in den drei letztgenannten Bereichen. Zivilgesellschaftliches Engagement hat insoweit insbesondere für junge, aber auch für alle anderen Menschen, eine eigene Bildungsrelevanz (vgl. Rauschenbach u. a. 2007). Dies ist Thema des folgenden Abschnitts. 4. Bildung im zivilgesellschaftlichen Engagement In den letzten Jahren rückten die Bildungspotenziale jugendlichen Engagements verstärkt in den Mittelpunkt. In Wissenschaft, Politik und den Organisationen des freiwilligen Engagements wird allgemein davon ausgegangen, dass das Engagement junger Menschen Lern- und Bildungsprozesse, insbesondere sozialer Art, sowie das Hineinwachsen in demokratische Spielregeln befördert (vgl. Thole/Hoppe 2003; Enquete-Kommission 2002; Otto/Rauschenbach 2004; Corsa 1998, 2003). So sind die Themen Bildung, Demokratielernen und Kompetenzerwerb durch freiwilliges Engagement in den letzten Jahren zunehmend in den Blick der empirischen Forschung geraten. In der jüngeren Jugendverbandsforschung etwa werden verstärkt Fragen des Kompetenzerwerbs, des sozialen Lernens und der Nachhaltigkeit der im Engagement erworbenen Fähigkeiten ins Blickfeld gerückt (vgl. Lehmann 2005; Fauser/Fischer/Münchmeier 2006; Schwab 2006; Reinders 2005; Richter/ Jung/Riekmann 2006). Hofer/Buhl (2000) kommen bei der Sichtung empirischer Studien zum Einfluss freiwilligen Engagements auf die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen zu dem Befund, dass trotz der Heterogenität der Forschungsergebnisse von positiven Einflüssen sozialen Engagements auf die Persönlichkeitsentwicklung ausgegangen werden kann. Die Studie von Düx u. a (2008)2 weist darauf hin, dass im Engagement Heranwachsender neben sozialen und persönlichkeitsbildenden Eigenschaften bzw. Fähigkeiten insbesondere Organisations-, Leitungs-, Team- und Gremienkompetenzen entwickelt und vertieft werden. Anders als in der Schule wird überwiegend durch Handeln in Realsituationen gelernt im Sinne von „learning by doing“. Die in § 11 des Achten Sozialgesetzbuches definierte Aufgabe der Jugendarbeit, junge Menschen zu Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Mitverantwortung sowie zu so77 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement zialem Engagement zu befähigen, scheinen die Jugendverbände zu erfüllen. Sie fungieren als Ermöglichungsräume, in denen Heranwachsende befähigt werden, in realen Situationen gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und an der mikrosozialen Gestaltung der Gesellschaft teilzuhaben. In puncto Kompetenzerwerb wird deutlich, dass die in ihrer Jugend Engagierten, verglichen mit der Gruppe der Nicht-Engagierten, über ein breiteres Spektrum an Erfahrungen und Kompetenzen verfügen. Besonders groß sind die Differenzen zwischen den beiden Gruppen, wenn es um Organisations-, Gremien- und Leitungskompetenzen geht. Zudem zeigt sich ein Zusammenhang zwischen dem jugendlichen Engagement und der gesellschaftlichen Beteiligung im Erwachsenenalter. Mit anderen Worten: Freiwilliges Engagement junger Menschen hat auch Auswirkungen auf das gesellschaftliche Engagement im Erwachsenenalter. Wer als Jugendlicher gesellschaftliche Verantwortung im freiwilligen Engagement übernimmt, macht dies mit größerer Wahrscheinlichkeit auch im Erwachsenenalter. Im Anschluss an die neu entfachte Bildungsdebatte nach PISA wurde schließlich in den letzten Jahren das freiwillige Engagement zudem als eine wichtige gesellschaftliche Ressource und soziale Quelle entdeckt, nicht zuletzt auch als ein Bildungsort für Heranwachsende. Freiwilliges Engagement besitzt also spezifische Potenziale zum Kompetenzerwerb. Kurz: Es • ist ein eigenes, wichtiges Lernfeld, • ist ein Übungsfeld für politische Bildung und demokratische Kompetenz, • bietet unterschiedlichen Akteuren unterschiedliche Lerngewinne, • ist ein wichtiger Ort der sozialen Integration, • ist ein wichtiges Rekrutierungsfeld für Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsberufe und • bietet eher gut gebildeten Jugendlichen zusätzliche Lernchancen, wodurch aber auch wiederum schichtspezifische Unterschiede verstärkt werden. Mit Blick auf Settings des freiwilligen Engagements als Orte und Gelegenheiten des Lernens lässt sich demnach festhalten: Während junge Menschen in der Schule oder in der Arbeitswelt meist in der Rolle der Schülerin oder des Schülers bzw. des Arbeitnehmenden verhaftet bleiben, und daher dort so etwas wie institutionalisierte partikularisierte Rollenbeziehungen dominieren, müssen sie sich im freiwilligen Engagement in aller Regel als eigene Person einbrin78 gen, können sich jedoch zugleich aber auch selbst als Person erfahren. Im freiwilligen Engagement kommt somit stärker die „ganze Person“ zum Tragen, so dass das hierauf bezogene Lernen auch eine erhöhte Chance eines verbundenen „Lernens mit Kopf, Herz und Hand“ eröffnet. Hierin liegt das bislang unterschätzte Potenzial alternativer, ergänzender Bildungsprozesse des freiwilligen Engagements – etwa in Jugendfreiwilligendiensten (vgl. Rauschenbach/ Liebig 2002; Rauschenbach 2007a) – in den gegenwärtigen Bildungsbiografien junger Menschen. Dass junge Menschen nach eigener Einschätzung von diesem Engagement auch profitieren, legen die Befunde mehrerer empirischer Studien nahe, sei es der Freiwilligensurvey von 2004 (vgl. Gensicke/Picot/Geiss 2006), die Evaluationsstudie zum Freiwilligen Sozialen bzw. Ökologischen Jahr sowie andere Studien zu diesem Themenbereich (Rauschenbach 2007a), kleinere Studien zum Lernen im Freiwilligenengagement (vgl. Lehmann 2005) und nicht zuletzt die genannte, umfangreiche Studie zum Kompetenzerwerb im Freiwilligenengagement (vgl. Düx u. a. 2008).3 Nach den Befunden der zuletzt genannten Studie und der dabei durchgeführten qualitativen Erhebungen kommen Lernprozesse in den Settings des freiwilligen Engagements – im Unterschied zur Schule – in der Regel den Interessen der Jugendlichen weitaus näher, sofern diese in selbstbestimmter Form und mit selbst gewählten Inhalten stattfinden. Die Mehrheit schreibt den Erwerb der Kompetenzen dabei sowohl den offenen Bildungsprozessen in non-formalen Kontexten als auch den informellen Lernpotenzialen in den Formen des freiwilligen Engagements zu. Insgesamt gilt es, Jugendliche in diesen Formen des Engagements und den darauf bezogenen Urteilen ernst zu nehmen und zu unterstützen. So können sie erfahren, dass das eigene Handeln auch Konsequenzen für sie selbst, für ihre Zukunft, aber auch für Dritte hat. Sobald sie sich nur als Anhängsel einer Erwachsenenkultur empfinden, wird die Chance ihrer aktiven, bildenden Beteiligung verschenkt. Kinder und Jugendliche müssen Übernahme von sozialer Verantwortung positiv, partizipativ erleben können und sehen, dass es etwas bringt, sich selbst einzubringen.4 5. Handlungsempfehlungen Abschließend werden vor dem Hintergrund der hier gemachten Ausführungen einige Handlungsempfehlungen für die weitere Gestaltung und den Ausbau der Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Bildungspotenziale im freiwilligen, zivilgesellschaftlichen Engagement formuliert: 1 . Freiwilligenengagement junger Menschen als gesellschaftliche Ressource: Menschen, die sich in ihrer Jugend zivilgesellschaftlich engagiert haben, werden sich auch im Erwachsenenalter mit einer höheren Wahrscheinlichkeit engagieren. Dieser Zusammenhang muss aus zwei Gründen im Blick behalten werden: Zum einen ist das Engagement im Jugendalter eine wichtige Voraussetzung für ein generelles zivilgesellschaftliches Engagement im späteren Lebensalter, aber auch für ein höheres Maß an sozialer Teilhabe und Mitgestaltung einer zivilgesellschaftlichen Demokratie. Zum anderen ist in den nächsten 25 Jahren im Lichte des demografischen Wandels ein eher steigender Bedarf an personenbezogenen sozialen Dienstleistungen („Dienste am Menschen“) zu erwarten, wofür die Erfahrungen eines zivilgesellschaftlichen Engagements im Jugendalter in vielen Fällen eine wichtige Vorerfahrung ist. Daher kommt der Frage des freiwilligen Engagements im Jugendalter in Zukunft eine eher wachsende Bedeutung zu. 2. N otwendige zivilgesellschaftliche Freiräume: Das zivilgesellschaftliche Engagement zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellt sich vielfältiger und dynamischer dar, als es von außen oft betrachtet wird. In diesem Engagement kommt auch ein Stück weit das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Individuum zum Ausdruck, vermittelt über sogenannte „intermediäre Instanzen“, also über Vereine, Verbände, Kirchen und vieles mehr. Die Formen des Engagements sind dabei nicht nur Ausdruck der individuellen Bereitschaft, etwas für sich, für andere oder für eine Sache aus freien Stücken, jenseits beruflicher und finanzieller Interessen zu tun. Sie sind zugleich immer auch eine Zustandsbeschreibung der sich verändernden gesellschaftlichen Kontexte. Genau in dieser Hinsicht wird es in Zukunft mehr denn je darauf ankommen, ob die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dem „Projekt Zivilgesellschaft“ genügend Raum lassen, um sich produktiv weiterzuentwickeln. Hierfür müssen künftig noch mehr als bisher alle Akteure, die am Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen beteiligt sind, ihren Beitrag leisten. Dies gilt für Kindertageseinrichtungen ebenso wie für die Schule, für die Kinder- und Jugendarbeit gleichermaßen wie für Vereine und Initiativen. 3. Bedeutung anderer Bildungsorte: Bisherige Orte des zivilgesellschaftlichen Engagements, etwa die Offene Jugendarbeit, die Jugendverbandsarbeit, das kommunale Vereinswesen oder die Angebote der politischen Bildung, müssen mit ihren Angeboten und Ressourcen stärker mit der Schule vernetzt werden, etwa im Rahmen der Ganztagsschulen als Bestandteil des nicht-unterrichtlichen Angebots oder im Rahmen der lokalen Bildungslandschaften. Insgesamt wird es entscheidend darauf ankommen, ob es gelingt, junge Menschen im Rahmen der schulbezogenen Teilhabe auch für Fragen des zivilgesellschaftlichen Engagements zu gewinnen. Schule sollte ungleich mehr als in der Vergangenheit zu einem Ort der Einübung in sozialer Verantwortungsübernahme werden. Nur dadurch kann es gelingen, auch jene jungen Menschen zu erreichen, die bislang keine Zugänge zu den außerschulischen Angeboten gefunden haben, ohne dass sich die Frage neuer Pflichtdienste oder ähnlicher Wege der Beteiligung stellt. 4. K ompetenzforschung und die Bedeutung freiwilligen Engagements: Nach wie vor ist eine systematische Unterschätzung der Bildungspotenziale des Freiwilligenengagements zu beobachten. Die durch Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements erworbenen Kompetenzen müssen in Zukunft besser sichtbar gemacht, stärker gesellschaftlich anerkannt und bildungspolitisch aufgewertet werden. Hierzu gehört auch eine verbesserte Erforschung im Rahmen der Kompetenzdiagnostik und einer außerschulischen Bildungsforschung. Als Thema der Engagementforschung muss es zu einem Standardthema werden. 5. J ugendliche als Zivilakteure der Gegenwart und Zukunft: Es gilt, junge Menschen als Akteure und Ko-Produzenten in ihrem freiwilligen Engagement und in ihrem Urteil ernst zu nehmen. Sie müssen in diesem Engagement erfahren können, dass das eigene Handeln auch Konsequenzen für sie selbst, für ihre Zukunft, aber auch für Dritte hat. Die Jugend braucht eigene, von der Erwachsenenwelt unabhängige, Verantwortungsräume, sonst wird die Chance ihrer aktiven Beteiligung verschenkt. Junge Menschen müssen Demokratie positiv, partizipativ erleben können und sehen, dass es Folgen hat, sich selbst einzubringen. Nur so kann ihre Demokratiefähigkeit wachsen. Aktive Einbindung stärkt die Akzeptanz von politischen Gestaltungsprozessen. 6. Zivilgesellschaftliches Engagement als jugendlicher Lebensstil: Jugendliche engagieren sich aus eigenem Interesse und eigener Bereitschaft. Es ist damit eine (eigentlich dankbare) Aufgabe für Politik und Gesellschaft, den Jugendlichen Zugänge und Gelegenheiten zu freiwilligem Engagement und zu aktiver Partizipation zu eröffnen – und das nicht nur auf den vermeintlichen „Spielwiesen“ der außerschulischen Jugendarbeit, sondern auch ganz gezielt inmitten der öffentlichen Bildungssy79 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement steme, also etwa an den Schulen oder Universitäten. Hier bestehen noch erhebliche, ungenutzte Gestaltungspotenziale. 7. V erbesserte Bedingungen der Erreichbarkeit junger Menschen: Um die Bildungspotenziale des zivilgesellschaftlichen Engagements stärker zu nutzen, müssen die Rahmenbedingungen für das freiwillige Engagement in der außerschulischen Jugendbildung, aber auch im Rahmen der Freiwilligendienste sowie vor allem in der Zusammenarbeit mit der Schule verbessert und ausgebaut werden. Nur so können die Kompetenzdimensionen des zivilgesellschaftlichen Engagements vom Grundsatz her alle Kinder und Jugendlichen erreichen. Anhang 1. Ausgewählte zentrale Ergebnisse der Studie zum Kompetenzerwerb von Jugendlichen im freiwilligen Engagement (vgl. Düx u. a. 2008). Die Kernfrage der Studie lautete: Was lernen Jugendliche durch ein freiwilliges Engagement in ehrenamtlichen Settings? Um Antworten auf diese Frage zu erhalten, wurden zwei Erhebungen durchgeführt. Zum einen wurden im Rahmen einer qualitativen Erhebung 74 engagierte Jugendliche im Alter zwischen 15 und 22 Jahren sowie 13 ehemals engagierte Erwachsene zu ihren (Lern-)Erfahrungen in drei unterschiedlichen Settings des freiwilligen Engagements leitfadengestützt interviewt – in Jugendverbänden, in Initiativen und in der politischen Interessenvertretung bzw. Schülervertretung. Zum anderen wurden in einer standardisierten, telefonischen Erhebung über 2.000 Personen im Alter zwischen 25 und 40 Jahren befragt, von denen 1.500 im Jugendalter mindestens ein Jahr ehrenamtlich aktiv waren, während dies bei den anderen 550 Befragten nicht der Fall war. Befragt wurden sie vor allem zu Umfang, Ausmaß und Qualität ihrer selbst eingeschätzten Kompetenzen sowie zum vermutlichen Einfluss der unterschiedlichen Bildungsorte auf diesen Kompetenzerwerb. Auf diese Weise sollten sich zumindest Hinweise identifizieren lassen, ob und wenn ja, in welchen Bereichen diese Settings engagierten jungen Menschen exklusive oder zumindest privilegierte Bildungsmöglichkeiten eröffnen. Beiden Erhebungen lässt sich zunächst einmal entnehmen, dass die untersuchten Segmente des freiwilliges Engagements für junge Menschen aus deren Sicht wichtige gesellschaftliche Lernfelder 80 darstellen, in denen Kompetenzen vor allem in den Dimensionen personaler, sozialer und praktischer Bildung erworben werden. Die Befunde unterstützen dabei die These, dass hier anders und Anderes gelernt wird als in der Schule. Dies lässt sich in mehrfacher Hinsicht zeigen und anhand einiger Themenblöcke illustrieren (vgl. ausführlich Düx u. a. 2008, S. 261ff.). (1) Engagementspezifische Kompetenzen: Während Schule insbesondere kulturelle – und darin überwiegend kognitive – Kompetenzen vermittelt, weisen die Befunde der qualitativen Untersuchung vor allem auf die Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen durch ein entsprechendes ehrenamtliches Engagement hin. Die Ergebnisse der standardisierten Untersuchung ermöglichen darüber hinaus weitere Präzisierungen: Durch ein ehrenamtliches Engagement werden ganz spezifische Bereiche der sozialen Bildung und der Persönlichkeitsbildung entwickelt und gefördert, nicht zuletzt so etwas wie Management- oder Leitungskompetenzen. Und die dort erworbenen Kompetenzen werden als „extrafunktionale Fertigkeiten“ überall genutzt, sind gewissermaßen multifunktional einsetzbar: in der Schule, in der Familie und im Freundeskreis ebenso, wie in der Arbeitswelt und im Beruf. (2) Zunahme des sozialen Kapitals durch das Engagement: Neben der Erweiterung des Wissens und Könnens im Bereich der sozialen und personalen Kompetenzen spielt der Erwerb sozialen Kapitals, d. h. der Aufbau (neuer) persönlicher Kontakte und Beziehungen, in allen Settings des freiwilligen Engagements eine große Rolle. Wie zahlreiche Aussagen in den Interviews nahe legen, lassen sich im Rahmen des freiwilligen Engagements Erfahrungen sozialer Zugehörigkeit machen, die weit über den sozialen Nahraum der Familie hinausgehen und den Handlungsspielraum sowie das Beziehungsnetz Heranwachsender zum Teil erheblich erweitern. (3) Engagierte und Nicht-Engagierte im Vergleich: Es zeigt sich, dass die in ihrer Jugend Engagierten durchgängig über ein breiteres Spektrum an Erfahrungen und damit offenbar auch über mehr Kompetenzen verfügen als Nicht-Engagierte. Besonders groß sind die Differenzen zwischen diesen beiden Gruppen mit Blick auf bestimmte Aspekte sozialer und kultureller Kompetenzen, vor allem bei organisatorischen Aufgaben, Gremienarbeit, rhetorischen Fähigkeiten, pädagogischen Aktivitäten (Gruppenleitung und Training) sowie Teamerfahrungen, der Publikation eigener Texte sowie den Leitungskompetenzen. Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Besonders schwach sind Unterschiede hingegen zwischen den früher Engagierten und Nicht-Engagierten vor allem in Bereichen, die eher alltagspraktische, soziale oder instrumentelle Kompetenzen berühren, die überall vorkommen können, sei es die Betreuung kleiner Kinder, kranker oder alter Menschen, sei es die Beratung in Beziehungskonflikten oder sei es die Reparatur eines technischen Gerätes. Aber auch bei jenen kulturellen Kompetenzen, die man insbesondere in der Schule oder in der Berufsausbildung erwirbt, z. B. musikalische Fertigkeiten, des Erlernen einer Fremdsprache oder die Erstellung einer Finanzabrechnung, sind die Differenzen zwischen den einst Engagierten und Nicht-Engagierten relativ gering. (4) Freiwilliges Engagement – ein wichtiger Lernort für demokratische Bildung: Die von Wissenschaft, Politik und Verbänden vertretene Annahme, dass das Engagement Jugendlicher ein wichtiger gesellschaftlicher Lernort für den Erwerb und die Förderung sozialer Eigenschaften und Fähigkeiten ist, wird im quantitativen wie qualitativen Teil der Studie bestätigt. Allerdings lassen sich in der standardisierten Erhebung keine Hinweise dafür finden, dass das freiwillige Engagement in der Jugendarbeit hierfür ein exklusiver Lernort wäre. Beide Befragungen liefern jedoch hinreichend Indizien, die die allgemeine Annahme einer verbesserten Entwicklung und Einübung demokratischer Fähigkeiten, Kenntnisse und Einstellungen durch Verantwortungsübernahme im Rahmen eines ehrenamtlichen Engagements unterstreichen. Für die für Mitbestimmung und Mitgestaltung einer demokratischen Zivilgesellschaft wichtigen Kompetenzen wie Interessenvertretung und „Gremienkompetenz“, also die Kenntnis und Anwendung formal-demokratischer Verfahrensweisen und Spielregeln, scheint das freiwillige Engagement für Jugendliche allerdings vorerst ein nahezu exklusiver Lernort zu sein. (5) Reflexionsvermögen und Handlungswirksamkeit: In der Engagement-Studie bestätigen sich darüber hinaus Befunde amerikanischer Untersuchungen zum sozialen Engagement Heranwachsender, wonach Jugendliche dabei mit Inhalten, Normen und Werten konfrontiert werden, die ihre Reflexion über gesellschaftspolitische Bedingungen und ihre eigene Rolle innerhalb der Gesellschaft hin zu mehr sozialem und politischem Bewusstsein anregen können. Zugleich erhalten sie hier die Möglichkeit, durch ihr eigenes freiwilliges, aktives Engagement sich selbst als Handelnde zu erleben, die durch ihre Mitwirkung in gemeinnützigen Organisationen kleine oder größere Veränderungen herbeiführen können. (6) Erfahrung gesellschaftlicher Nützlichkeit: Durch die lange Schulphase werden Heranwachsende in Deutschland weitgehend von sozialer und gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme ferngehalten. Die qualitativen Interviews liefern Hinweise dafür, dass das freiwillige Engagement jungen Menschen demgegenüber bereits im Jugendalter die Möglichkeit eröffnet, in einem geschützten Rahmen nach und nach soziale und gesellschaftliche Aufgaben sowie Verantwortung für andere zu übernehmen. Auf diese Weise können sie die für Heranwachsende wichtige Erfahrung konkreter Nützlichkeit sowie gesellschaftlicher Relevanz ihres eigenen Tuns machen. (7) Engagementspezifische Lernchancen und -formen: Die organisatorischen Formen des Engagements unterscheiden sich von vielen anderen Lernorten vor allem dadurch, dass hier bereits im Kindes- und Jugendalter durch die aktive, partielle Übernahme von Verantwortung in der konkreten Praxis in Ernstsituationen gelernt wird. Gemäß den Befunden der qualitativen Erhebung scheinen die Lernprozesse in Settings des freiwilligen Engagements – im Unterschied zur Schule – in der Regel den eigenen Interessen der Jugendlichen weitaus mehr zu entsprechen, zumal sie in einem Umfeld in häufig selbstbestimmter Form und mit selbst gewählten Inhalten stattfinden. Die Kombination von hoher Motivation durch frei gewählte Verantwortungsbereiche und einem gemeinsamen Handeln in der Gleichaltrigengruppe, verbunden mit den Herausforderungen durch die übernommene Verantwortung sowie der Unterstützung durch Erwachsene, bietet spezifische lern- und entwicklungsförderliche Bedingungen, die die Settings des ehrenamtlichen Engagements zu besonderen Lernfeldern und „Ermöglichungsräumen“ für Heranwachsende machen. In der Freiwilligkeit, Vielfalt und Selbstbestimmtheit des Lernens liegen die Chancen und Stärken dieses außerschulischen Lernfeldes. (8) „Learning by doing“: Obwohl Fortbildungsveranstaltungen wichtig und auch in der Jugendarbeit für eine Reihe von Aufgaben nahezu unerlässlich sind – insbesondere in den Hilfs- und Rettungsorganisationen sowie für die eigene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen –, zeigt sich doch zugleich, dass für die Aneignung vieler Kompetenzen das „learning by doing“, also das lernende Handeln unter Realbedingungen, das Sammeln von eigenen Erfahrungen ohne die handlungsentlastenden Als-Ob-Situationen typischer schulischer Lernsettings, in der Praxis des Engagements eine erhebliche Bedeutung hat. 81 Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Insgesamt zeigen die Befunde der Studie, dass nur wenige der Engagierten, die angeben, ihre Kompetenzen überwiegend im ehrenamtlichen Engagement erworben zu haben, hierfür ausschließlich Kurse und Schulungen der Organisationen nennen. Die Mehrheit schreibt den Erwerb der Kompetenzen sowohl den offenen Bildungsprozessen in non-formalen Kontexten als auch den informellen Lernpotenzialen in den Formen des praktischen Engagements zu. Dieser Befund lässt sich anhand der qualitativen Befragung bestätigen, bei der an vielen Beispielen deutlich wird, dass im Engagement informelle und non-formale Lernmöglichkeiten und -angebote ineinander greifen und sich gegenseitig verstärken. Die Studie scheint somit im Kern den Befund zu belegen, dass in den aktivierenden Formen jugendlichen Engagements zumindest für die ehrenamtlich aktiven Personen erhebliche Bildungspotenziale enthalten sind und nach Einschätzung der Betroffenen diese bei ihnen auch wiederholt zum Tragen kamen. Dennoch muss in den nächsten Jahren die diesbezügliche Forschung weiter intensiviert werden, um das potenzielle Leistungsvermögen und die tatsächlich abgerufenen Leistungen der Kinder- und Jugendarbeit für die Kinder und Jugendlichen ebenso wie für die ehrenamtlich aktiven Personen differenzierter zu erfassen. 2. Weitere Befunde aus empirischen Studien zur Verantwortungsübernahme und prosozialem Verhalten Die bereits erwähnten Studien wie die 13. und 14. Shell-Jugendstudie (vgl. Jugendwerk der Deutschen Shell 2000, 2002) weisen auf einen positiven Zusammenhang zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und politischem Interesse, politischer Aktivität sowie Vertrauen in politische Institutionen hin. Die Studien von Reinders (2005, 2006) zeigen ganz ähnlich, dass zivilgesellschaftlich Engagierte sich stärker an politischen Wahlen beteiligen als Nichtengagierte. Die kausalen Zusammenhänge von Prosozialität und zivilgesellschaftlichem Engagement benötigen allerdings noch genauere Untersuchungen, wie eine aktueller Befund von Prein u.a . zeigt (vgl. Prein/Sass/ Züchner 2009, S. 538f.). In Studien aus den USA, die entgegen den deutschen Studien zum Teil Längsschnittcharakter besitzen, zeigt sich bei sozial engagierten im Highschool-Alter, dass die Bereitschaft zu politischer Partizipation und die prosoziale Orientierung bei gemeinnützig Tätigen im Zeitverlauf zunimmt (vgl. Metz/McLellan/Youniss 2003). Die Längsschnittstudien zeigen aber auch, dass die kausale Erklärung des politischen und sozialen In82 teresses nicht oder nur schwach über das soziale Engagement im Community Service erfolgen kann, da das entsprechende Interesse bei diesen Jugendlichen bereits von Anfang an höher ist (vgl. Kerestes/Youniss/ Metz 2004). Die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf Deutschland bleibt jedoch fraglich und bedarf vergleichender Studien (vgl. Reinders 2009, S. 21). Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch das aus dem amerikanischen stammende „Service learning“ (vgl. Sliwka/Frank 2004; Sliwka u. a. 2004). Service kann mit „Dienst am Gemeinwohl“ übersetzt werden, welches neben verbesserten Lernleistungen, so die Hoffnung, verantwortliche Persönlichkeiten und einen vertieften Lernerfolg ermöglichen. Es stellt ein Konzept des Lehrens und Lernens dar, welches Wissens- und Kompetenzerwerb integriert. Kern des Konzeptes ist der Gedanke, dass die Lernenden – in der Regel Schüler/innen oder Studierende – ihr Wissen in gemeinnützige Tätigkeiten einbringen, erweitern und sich zusätzliche Kompetenzen aneignen. Erste Hinweise zur Wirkung des Konzepts finden sich lediglich im Hinblick auf ein gesteigertes subjektives Wissen (vgl. Reinders 2009, S. 31). Weitergehende Forschungen stehen für Deutschland noch aus. Interessant und weiterführend ist im Kontext der hier anstehenden Forschungsfragen schließlich auch ein allerdings noch nicht empirisch überprüftes Modell zu Voraussetzungen, Gestalt und Auswirkungen gemeinnütziger Tätigkeit im Jugendalter von Reinders (vgl. Reinders 2009, S. 32). (s. Abb. 1) Kurze Erläuterung des Modells: • Zu beachten sind die Voraussetzungen für ehrenamtliches Engagement: ausgeprägte soziale Netzwerke, ein gehobener Bildungsstand, individuelle Motive (überschaubare Tätigkeit, kurz- bis mittelfristige Bindung, Spaß bei der Tätigkeit und Anknüpfungspunkte für eigene Interessen). • Tätigkeitsformen: Die Befunde von Youniss/Yates (1997) betonen die Bedeutung der direkten Interaktion für den Erwerb von sozialen und politischen Kompetenzen, Düx u. a. (2008) hingegen verweisen auf den persönlichen Einsatz in Organisationen und die Übernahme von Leitungstätigkeiten, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich die personalen Kompetenzen erweitern (Düx u.a. 2008) im Sinne der Intensität als förderliche Variable. • Erfahrungen: Selbstwirksamkeit als möglicher Initiator für den Kompetenzerwerb. • Kompetenzen: Kernstück der Argumentation ist die Entfaltung sozialer Kompetenzen, die eine politisch mündige Akteursfähigkeit herstellen. Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement Abb. 1: Theoretisches Modell zu Voraussetzungen, Gestalt und Auswirkungen gemeinnütziger Tätigkeit im Jugendalter Soziale Netzwerke Tätigkeitsinhalte Handlungswirksamkeit Bildungsstand Personale Kompetenzen Soziale Kompetenzen Gemeinnützige Tätigkeit Motiv Region Tätigkeitsintensität Voraussetzungen Tätigkeitsformen Veränderung Selbstbild Erfahrungen Politische Partizipation Kompetenzerwerb Quelle: Reinders 2009, S. 32 Dieses Modell könnte dazu beitragen, die Forschungsperspektive zum Kompetenzerwerb innerhalb des zivilgesellschaftlichen Engagements zu systematisieren. Anmerkungen 1 Die nachfolgenden Teile basieren auf Passagen in anderen Texten und Veröffentlichungen (vgl. etwa Rauschenbach 2009c). 2 Die zentralen Ergebnisse sind im Anhang (1) ausführlicher zu finden. 3 Die zentralen Ergebnisse sind im Anhang (1) zusammengefasst. 4 Weitere empirische Studien, die eine hohe Bedeutung des Engagements für Verantwortungsübernahme und prosoziales Verhalten zum Gegenstand haben, sind kurz im Anhang (2) zusammengefasst. Literatur • Alscher, Mareike/Dathe, Dietmar/Priller, Eckhard/ Speth, Rudolf (2009): Bericht zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. Herausgegeben vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Berlin. • Beher, Karin/Liebig, Reinhard/Rauschenbach, Thomas (2002): Das Ehrenamt in empirischen Studien. Ein sekundäranalytischer Vergleich. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Schriftenreihe Band 163. 3. Aufl. 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S. 201-209. 85 Dialogforum „Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement“ Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogforums am 22. April 2010 und des vorbereitenden Workshops am 25. März 2010 • Dr. Selma Aposkitis, Deutscher Bundestag, Büro Heinz Golombeck, MdB • Dr. Karl Birkhölzer, Technische Universität Berlin • Dr. Claire Bortfeldt, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Margot Bähnisch, Staatskanzlei des Landes Brandenburg • Dr. Eugen Baldas, Deutscher Caritasverband • Tobias Baur, Humanistische Union Deutschland • Henny Engels, Deutscher Frauenrat • H erbert Fuchs, Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg • Dr. Christian Groni, Büro des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien • Christoph Hahn, Deutscher Gewerkschaftsbund • PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement • Dr. Eckhard Priller, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung • Jonathan Przybylski, Phineo gGmbH • Dieter Rehwinkel, Centrum für Corporate Citizenship Deutschland • Gerold Reichenbach, MdB • Susanne Rindt, Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik • Sabine Rüger, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • D r. Marlene Schubert, Zentralverband des Deutschen Handwerks • Inga Schulenburg, Büro des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien • Viola Seeger, Robert Bosch Stiftung • Manfred Spangenberg, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement • Stefan Sträßer, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände • Matthias Thorns, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände • Dr. Johannes Warmbrunn, Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Senioren des Landes Baden-Württemberg • Hans-Peter Wilka, Arbeitsgemeinschaft der Beiräte für Migration und Integration in RheinlandPfalz • Alexander Zachrau, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement Erwerbsarbeit und Engagement aufeinander abstimmen; Chancen, Hindernisse, Gefahren Bericht über das Dialogforum „Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement“ am 22. April 2010 in der Landesvertretung Niedersachsen, Berlin Im Dialogforum Engagement und Erwerbsarbeit wurde, ähnlich wie im Dialogforum „Freiwilligendienste“, sehr kontrovers diskutiert. Dies ist sicherlich nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass hier verschiedene Grundsatzfragen aufgeworfen wurden, die bereits seit längerem die Debatte beherrschen. Inwieweit besteht die Gefahr, dass der vermehrte Einsatz von Engagierten reguläre Arbeitsplätze verdrängt? Sind Pauschalen der richtige Anreiz fürs Engagement? Inwieweit sollten die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik auf Zwang basieren? Besteht nicht das Risiko, dass die Förderung des Engagements im Zusammenhang mit Erwerbsarbeit auf seine arbeitsmarktqualifizierende Dimension reduziert wird? Schließlich wurde auch die brisante Frage nach der Lückenbüßerfunktion des bürgerschaftlichen Engagements für staatliches Handeln erneut aufgeworfen. Dieser Ausschnitt von Fragen weist bereits darauf hin, dass in diesem Bereich noch viel Diskussionsbedarf besteht. Einig waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, zu denen sowohl Vertreter der Zivilgesellschaft als auch Vertreter der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften gehörten, darin, dass zwischen den Politikfeldern Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik einerseits und Engagementpolitik andererseits wichtige Zusammenhänge bestehen und sie daher besser aufeinander abgestimmt werden sollten. Vor allem wurde deutlich, dass es bei der Debatte nicht darum geht, die Integration in den Arbeitsmarkt dem bürgerschaftlichen Engagement unterzuordnen. Vielmehr sollen – und hier besteht Nachholbedarf - die Potentiale des Engagements für die Integration in den Arbeitsmarkt aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang spielen vor allem die Kompetenzen, die durch bürgerschaftliches Engagement vermittelt werden, eine wichtige Rolle. Diese Kompetenzen sollen, so die einhellige Meinung, künftig besser sichtbar gemacht werden. Neben der Bedeutung des Engagements für die Integration in den Arbeitsmarkt wurden auch Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik für andere Übergangsphasen und Lebenssituationen diskutiert. Dabei geht es darum, wie das bürgerschaftliche Engagement so in die individuelle Biographie integriert werden kann, dass damit Komplementäreffekte in Bezug auf andere Lebensphasen verbunden sind. Zudem stellten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogforums die Chancen des bürgerschaftlichen Engagements in ökonomischen Zusammenhängen heraus. Hier wurde insbesondere die Bedeutung der Sozialwirtschaft und des Dritten Sektors hervorgehoben. Die in diesen Bereichen aktiven Organisationen und Unternehmen (Sozialunternehmen, Wohlfahrtsverbände, etc.) gehen oftmals aus bürgerschaftlichem Engagement hervor und übernehmen zahlreiche wichtige gesellschaftliche Aufgaben, denen sich weder die staatliche Seite noch gewinnorientierte Unternehmen widmen. Vor diesem Hintergrund wurde diskutiert, wie diese Akteure der sozialen Ökonomie systematisch unterstützt werden können. Neben den Chancen, die im Bereich von Engagement und Erwerbsarbeit bestehen, wurden auch die Risiken thematisiert, insbesondere die Tendenz zur Bezahlung in verschiedenen Engagementbereichen. Besonders kritisch wurde die Gewährung von Pauschalen beleuchtet. Zwar seien diese einerseits als Anreiz für bestimmte Tätigkeiten nötig, andererseits liege hier die Gefahr, wie z. B. die Entstehung eines nicht gewünschten Niedriglohnsektors sowie die Instrumentalisierung des bürgerschaftlichen Engagements für Erwerbszwecke. Abschließend wurde angesichts der Feststellung, dass in diesem Themenfeld wissenschaftliche Erkenntnisse weitestgehend fehlen, der Forschungsbedarf formuliert. 87 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement Ergebnisse Viele Erwerbsbiographien (vor allem von Frauen, aber zunehmend auch von Männern) sind gekennzeichnet von Phasen wechselnder Beschäftigungsintensität (Vollzeit-, Teilzeit-, prekäre Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Elternzeit usw.). Im Zuge dieser Entwicklung entstehen – teils freiwillig, teils unfreiwillig – auch neue Tätigkeitsformen zwischen Engagement und Erwerbsarbeit. Eine klare Trennung lässt sich dabei häufig nicht mehr ausmachen. Arbeitsmarkt- und Engagementpolitik müssen daher aufeinander abgestimmt werden. Dabei sollte der Eigensinn des Engagements berücksichtigt werden. Die Integrationseffekte des Engagements sollten gestärkt werden, ohne dass reguläre Erwerbsarbeit verdrängt wird. 1. Engagement und Erwerbsarbeit in Übergangsphasen Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) a. Im bürgerschaftlichen Engagement können Kompetenzen erworben, aufrecht erhalten und vertieft werden, die für das Arbeitsleben immer wichtiger werden. Dieser Kompetenzerwerb wird jedoch oft nicht anerkannt, weder bei Arbeitgebern noch bei Arbeitsagenturen. b. Bürgerschaftliches Engagement gewinnt für unterschiedliche Gruppen an Bedeutung. Älteren bietet es z. B. die Möglichkeit, den Ausstieg aus dem Erwerbsleben sinnstiftend zu gestalten. Jungen Menschen und Erwerbslosen kann es den Einstieg oder Wiedereinstieg in das Berufsleben erleichtern. Diese Übergangsphasen gilt es zu gestalten. c. Bürgerschaftliches Engagement und Erwerbsarbeit stehen nicht in Konkurrenz, sondern verhalten sich komplementär zueinander. Engagement ist auch eine Art „Frühwarnsystem“, das gesellschaftliche Probleme aufzeigt und in dem sich in88 novative Lösungen erproben lassen. Daraus entstehen oft längerfristig auch neue Chancen für das Erwerbsleben. Lösungsvorschläge a. Die Arbeitsvermittlung sollte (z. B. beim Profiling) so ausgestaltet werden, dass sie die im bürgerschaftlichen Engagement erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten angemessen berücksichtigt. Qualifizierungsmaßnahmen der Arbeitsagentur sollten stärker an die im bürgerschaftlichen Engagement erworbenen Kompetenzen anschließen. Zudem sollten Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung Kompetenzerwerb im bürgerschaftlichen Engagement im Rahmen ihrer Qualifizierungsangebote fördern. Die Aufnahme einer Tätigkeit im bürgerschaftlichen Engagement sollte als Eigenbeitrag zur Entwicklung einer Erwerbsarbeitsperspektive anerkannt und unterstützt werden. Der Wert des informellen Lernens im bürgerschaftlichen Engagement sollte anerkannt und durch Kompetenznachweise sichtbar gemacht werden. Arbeitsmarkt- und engagementpolitische Akteure der verschiedenen Ebenen sollten dazu systematisch zusammenarbeiten. b. Um unterschiedliche Gruppen (z. B. ältere Menschen, Erwerbslose etc.) für bürgerschaftliches Engagement zu gewinnen, bedarf es gezielter Förderangebote, damit sich das soziale Integrationspotential des bürgerschaftlichen Engagements entfalten kann. c. Um den Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktpolitik und Engagement besser zu gestalten, bedarf es einer Berichterstattung über die Entwicklungen im Engagement auf allen föderalen Ebenen. Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement Schritte zur Implementierung des Vorhabens (Lösungswege) a. Die Bundesregierung wird gebeten zu prüfen, auf welchem Wege es Erwerbslosen ermöglicht werden kann, ihr bürgerschaftliches Engagement mit Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen zu verbinden. Dazu sollten durch Modellprojekte Kooperationsmöglichkeiten zwischen Arbeitsagenturen und Infrastruktureinrichtungen der Engagementförderung entwickelt werden. Es sollte außerdem geprüft werden, inwieweit und aus welchen Quellen Erwerbslosen Mittel für ihr Engagement gewährt werden können (z. B. laut SGB II). Die Ressorts der Bundesregierung werden gebeten, in Abstimmung mit Ländern, Wirtschaft und Wissenschaft Mindeststandards für Kompetenznachweise zu entwickeln, die für Arbeitgeber aussagekräftig sind. Dazu sollten die bestehenden Aktivitäten zwischen den Ressorts gebündelt und koordiniert werden. b. Die Bundesregierung sollte die Sozialpartner durch Modellprojekte dazu motivieren, gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Trägern Engagementformen für den Übergang in das Nacherwerbsleben bzw. für die Zeiten zwischen verschiedenen Erwerbsphasen zu entwickeln. c. Es bedarf zusätzlicher Programme, mit denen Mischformen zur Beschäftigung von engagierten Erwerbslosen gefördert werden. Öffentliche und neue gemeinwohlorientierte Dienstleistungen sollen auf diese Weise ermöglicht werden. 2. Engagementverträglichkeit der Arbeitsmarktpolitik Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) a. Einige arbeitsmarktpolitische Regelungen erschweren das Engagement von Erwerbslosen. Insbesondere die ständige Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt ist dabei ein Hemmnis. Die entsprechende gesetzliche Regelung, die Erwerbslosen Engagement ermöglicht, ist der Arbeitsverwaltung vor Ort oftmals nicht hinreichend bekannt. b. Die Anrechnung von Aufwandspauschalen auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II führt für Erwerbslose häufig zu Problemen, die die Bereitschaft zum Engagement hemmen können. Problematisch ist dabei insbesondere die Ungleichbehandlung von Aufwandspauschalen bei Erwerbstätigen gegenüber Erwerbslosen. c. Für zahlreiche Formen des bürgerschaftlichen Engagements sind Qualifikationen erforderlich, die in der Freizeit oder durch Inanspruchnahme des tariflichen Urlaubs nicht erworben werden können. Lösungsvorschlag a. Um Arbeitsmarktpolitik engagementverträglich zu gestalten, sollte eine Engagementverträglichkeitsprüfung in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen eingeführt werden. b. Die Rahmenbedingungen für Aufwandsentschädigungen aus dem Engagement sollten so gestaltet werden, dass das Engagement von Erwerbslosen nicht anders behandelt wird als das von Erwerbstätigen. Zudem sollten unterschiedliche Formen der Aufwandsentschädigung zu einer vergleichbaren Anrechnung auf die Sozialleistungen führen. c. Durch die Gestaltung arbeitsrechtlicher Regelungen sollte Engagierten die Möglichkeit eingeräumt werden, für Fortbildungen mit dem Ziel des Qualifikationserwerbs für die Ausübung des bürgerschaftlichen Engagements eine Freistellung zu erhalten. Schritte zur Implementierung des Vorhabens a. Die Bundesregierung wird gebeten zu prüfen, wie am Beispiel der Kulturverträglichkeitsprüfung Kriterien für eine Engagementverträglichkeitsprüfung in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft gewonnen werden können. b. Die Bundesregierung wird gebeten, Möglichkeiten einer Harmonisierung der Anrechnung der Aufwandspauschalen zu prüfen. Dabei sollte der anrechnungsfreie Freibetrag für Erwerbslose an die Höhe der Übungsleiterpauschale angeglichen werden, sodass Erwerbslose gegenüber Erwerbstätigen nicht schlechter gestellt werden. c. Bund und Länder werden gebeten, die arbeitsrechtliche Freistellung für den Zweck der Qualifizierung zum bürgerschaftlichen Engagement in die Bildungsurlaubsgesetze des Bundes und der Länder bzw. in die jeweiligen Sonderurlaubsgesetze aufzunehmen. 3. Zivilgesellschaftliche Organisationen stärken Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Zivilgesellschaftliche Organisationen erbringen wichtige Leistungen für die Gesellschaft. Dabei sind sie 89 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement häufig auf freiwillig Engagierte angewiesen. Daher bedarf es einer beständigen Fortentwicklung der Organisationen und einer produktiven Zusammenarbeit zwischen Hauptamtlichen und freiwillig Engagierten. Die Notwendigkeit, diese Kooperation zu entwickeln (ggfs. auch über Mittlerorganisationen), findet bei der Förderung aus öffentlichen Mitteln nicht ausreichend Beachtung. Lösungsvorschlag Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten darin unterstützt werden, professionell und kontinuierlich zu arbeiten. Insbesondere sollten Organisationsentwicklung und Etablierung eines Freiwilligenmanagements unter Berücksichtigung der Partizipationsbedürfnisse der Engagierten gefördert werden. verbindet, sollte systematisch unterstützt und gefördert werden. b. Engagierte sollten durch Fachkräfte angeleitet und kontinuierlich begleitet werden, damit sie die Aufgaben fachlich angemessen erfüllen können. Schritte zur Implementierung des Vorhabens a. Die Bundesregierung sollte prüfen, durch welche Instrumente die Entwicklung des Sozialwirtschaftssektors systematisch unterstützt und gefördert werden kann. b. Die mittelbaren Träger der Staatsverwaltung sollten in die fachliche Anleitung eingebunden werden. 5. Engagement und Aufwandsentschädigungen Schritte zur Implementierung des Vorhabens Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Die Ressorts der Bundesregierung sollten im Rahmen der Zuwendungspraxis darauf hinwirken, dass Kosten für Freiwilligenmanagement und Organisationsentwicklung als zuwendungsfähige Ausgaben anerkannt werden. Die Zahlung von Aufwandspauschalen über tatsächlich entstandene Kosten hinaus ist in vielen Engagementbereichen gängige Praxis. Diese Praxis ist jedoch gesetzlich nicht hinreichend geregelt und begrifflich nicht klar umschrieben. Dies führt einerseits dazu, dass in bestimmten Engagementbereichen die Rechtssicherheit fehlt, Aufwandspauschalen zu gewähren. Zum anderen resultiert daraus eine mangelhafte Differenzierung zwischen Engagement und Erwerbsarbeit. Letztere ist sozialversicherungs- und steuerpflichtig. 4. Professionalisierung, Innovation und Engagement Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) a Aus dem Engagement heraus ergibt sich ein Potential für reguläre Arbeitsplätze (insbesondere für Frauen). Diese entstehen sowohl in bestehenden Einrichtungen als auch in neu gegründeten, innovativen Unternehmen. Dieses Potential sollte genutzt werden. b. Viele gesellschaftliche Aufgaben, insbesondere im Sozialbereich, werden durch Engagierte erledigt. Dabei kommt es darauf an, die Engagierten durch Fachkräfte anzuleiten, sodass sie die Aufgaben fachlich angemessen erfüllen können. Dabei dürfen reguläre Beschäftigungsverhältnisse jedoch nicht aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen verdrängt werden. Lösungsvorschläge Die gesetzliche Grundlage für die Gewährung von Aufwandspauschalen im Engagement sollte analog zur Übungsleiterpauschale bedarfsgerecht erweitert werden. Es sollte auf der Basis einer Legaldefinition zwischen bürgerschaftlichem Engagement und anderen gemeinwohlorientierten Tätigkeiten differenziert werden, um Aufwandspauschalen zahlen zu können, wo sie notwendig sind, zugleich aber zu verhindern, dass Engagement für Erwerbszwecke instrumentalisiert wird. Lösungsvorschläge Schritte zur Implementierung des Vorhabens a. Erwerbslose Engagierte sollten darin unterstützt werden, ihr freiwilliges Engagement in eine reguläre Beschäftigung zu überführen. Es sollte geprüft werden, inwieweit erfolgreiche Länderregelungen (z. B. in Baden-Württemberg) zur Differenzierung zwischen bürgerschaftlichem Engagement und anderen gemeinwohlorientierten Tätigkeiten auf die Bundesebene übertragen werden können. Der Sektor der Sozialwirtschaft, welcher Gemeinwohlorientierung mit unternehmerischem Handeln 90 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement 6. Forschung Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Über die Zusammenhänge zwischen Engagement und Erwerbsarbeit fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere zu den Übergängen, der Entgrenzung und den wechselseitigen Beeinflussungen. Lösungsvorschlag Die Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Engagement und Erwerbsarbeit sollten systematisch durch Grundlagen- und anwendungsbezogene Forschung verbessert werden. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Durch eine adäquate Forschungsagenda sind die Aktivitäten und Projekte unterschiedlicher wissenschaftlicher Einrichtungen und Institutionen zu bündeln und zu koordinieren. In diesem Rahmen sollte u. a. eine Bestandsaufnahme darüber gemacht werden, welche Instrumente staatliche Akteure sowie die Sozialpartner bereits geschaffen haben, um Übergänge zwischen Engagement, Erwerbsarbeit und Erwerbslosigkeit zu gestalten. 91 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. Expertise: „Engagement und Erwerbsarbeit“ Bürgerschaftliches Engagement, Erwerbsarbeit, Arbeitsmarktpolitik und neue Rahmenbedingungen: Herausforderungen und Wechselwirkungen 1. Einführung Erwerbsarbeit und bürgerschaftliches Engagement standen lange Zeit in einem komplementären Verhältnis zueinander. Dies ist nicht zuletzt auf die traditionell verstetigte Teilung von Erwerbsarbeit und Freizeitbereich zurückzuführen. Erst seit den 1970er und 1980er Jahren wird diese Trennlinie zunehmend durchbrochen. Das Arbeitszeitvolumen verkürzt sich bei gleichzeitiger Zunahme der Arbeitszeitproduktivität und bietet hiermit zusätzlichen Raum für Freizeitaktivitäten. Mehr und mehr wird die kulturelle und soziale Dominanz der Erwerbsarbeit in Frage gestellt. „Neue“ Formen von Arbeit, gekennzeichnet durch Teilzeit, kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse oder den Wechsel zwischen Erwerbsarbeit und Phasen der Erwerbslosigkeit, prägen zunehmend das Bild. Gleichzeitig verändert sich das klassische Ehrenamt zusehends. Aufwandsentschädigungen und auf ein berufliches Vorankommen ausgerichtete Engagementmotive lassen Engagement und Erwerbsarbeit ein Stück weit zusammenrücken. Ein weiterer Berührungspunkt ergibt sich aus einer systematischen Verschiebung sozialstaatlicher Aufgaben vom Staat hin zur Gesellschaft. Die Zusammenarbeit Hauptamtlicher und Ehrenamtlicher ist in diesem Zusammenhang unter sich verändernden Bedingungen zu betrachten. Dieser kurze Abriss sich wandelnder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen macht deutlich, dass das Verhältnis von freiwilligem, gemeinwohlorientiertem Engagement, Existenzsicherung und marktrationalem Handeln eines der aktuell spannendsten Diskussionsfelder für Theorie, Praxis und Politik zum bürgerschaftlichen Engagement ist. Das vorliegende Kurzgutachten soll die Wechselwirkungen und Spannungsverhältnisse zwischen den Feldern Engagement und Erwerbsarbeit schlaglichtartig und aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben. Wesentliches Ziel ist es, die aktuelle wissenschaftliche Debatte zum Thema „Bürger92 schaftliches Engagement und Erwerbsarbeit“ so aufzubereiten, dass eine fundierte Grundlage für die weitere Arbeit des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation geschaffen ist. Entsprechend dieser Zielstellung werden im ersten Teil des Papiers die Systeme „Bürgerschaftliches Engagement“ und „Erwerbsarbeit“ genauer betrachtet. Aktuelle Herausforderungen und gesellschaftliche Veränderungen werden beleuchtet, die Wechselwirkungen beider Bereiche beschrieben. Im zweiten Kapitel „Bürgerschaftliches Engagement als Brücke in die Erwerbstätigkeit“ werden die Chancen und besonderen Vorzüge freiwilligen Engagements für die Erwerbstätigkeit in den Blick genommen. Ausgehend von einem kurzen Abriss zu Kompetenzerwerb und Qualifizierung im bürgerschaftlichen Engagement wird die aktuelle Arbeits- und Beschäftigungspolitik in Bezug auf den Eigensinn und die Eigenlogik freiwilliger Tätigkeiten untersucht. Gleichzeitig wird diskutiert, inwieweit einzelne Engagementgruppen bürgerschaftliches Engagement als Brücke in die Erwerbsarbeit nutzen (können). Kapitel drei „Bürgerschaftliches Engagement und Dritter Sektor“ betrachtet den benannten Themenbereich hinsichtlich seiner Organisationsperspektive. Ausgehend von einer Analyse der Zusammenarbeit haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter werden Mischformen in der Grauzone zwischen Engagement und Erwerbsarbeit genauer untersucht. 2. Die Entwicklung des Verhältnisses von bürgerschaftlichem Engagement und Erwerbsarbeit 2.1 Entwicklung und Strukturwandel der Erwerbsarbeit Erosion des Normalarbeitsverhältnisses Engagementpolitik steht insgesamt vor der Herausforderung, mit den bereits angedeuteten Umbrüchen Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement im Feld der Erwerbsarbeit umzugehen. Für die Industriearbeitsgesellschaft war das Normalarbeitsverhältnis (Vollzeit, tageszeitlich begrenzt, regelmäßig, kontinuierlich und existenzsichernd) kennzeichnend und mit dem Versprechen einer Vollbeschäftigung ideologisch abgesichert. Die Bedingungen dieses „alten Gesellschaftsvertrages“ sind in der Wissensund Dienstleistungsgesellschaft im Wandel. Das so genannte Normalarbeitsverhältnis hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel von seiner allgemeinen Geltung und gesellschaftlichen Stabilisierungskraft eingebüßt. Längst hat sich eine parallele arbeitsgesellschaftliche Realität etabliert, die in der Medienöffentlichkeit auch unter dem Schlagwort „Prekarisierung“ diskutiert wird. Insbesondere an den Rändern der Erwerbsgesellschaft sind unsichere, als atypisch bezeichnete Beschäftigungsformen entstanden. Im Jahr 2008 befanden sich 60,1 Prozent aller Beschäftigten im Alter zwischen 25 und 64 Jahren in einem Normalarbeitsverhältnis. Seit 2001 ist diese Form der traditionellen Beschäftigung um 4,6 Prozentpunkte zurückgegangen. Im internationalen Vergleich hatten nur Polen und die Niederlande sowie Luxemburg und Malta noch größere Rückgänge zu verzeichnen (vgl. Eichhorst/Kuhn/Thode/Zenker 2009). Pluralisierung und Entgrenzung der Erwerbsarbeit Ein „Ende der Arbeitsgesellschaft“, wie noch in den 1980 und 1990er Jahren diskutiert (vgl. u. a. Offe 1984, Rifkin 1995), ist jedoch eindeutig nicht zu erwarten. Arbeit ist weiterhin, wenn auch in immer unterschiedlicheren, immer ausdifferenzierteren Formen bestimmend für das Leben fast aller Menschen. Zwei eng miteinander verbundene Trends lassen sich identifizieren: Pluralisierung und Entgrenzung von Erwerbsarbeit. Selbstständige und freiberufliche Erwerbstätigkeit ist zunehmend von projektförmigen Arbeitsstrukturen, flexiblen Kooperationsnetzwerken, Mikro- und Einzelunternehmen gekennzeichnet. Diese Pluralisierung von Erwerbsformen ist mit Entgrenzungsprozessen der Erwerbsarbeit verbunden (vgl. Gottschall/Voß 2003; Kratzer 2003, Mutz 2002). Ein wichtiger Aspekt der Entgrenzung ist die seit den 1980er Jahren beschleunigte Ausweitung der Erwerbsarbeitsförmigkeit auf Tätigkeiten v. a. der Erziehung, Pflege und Betreuung, die bislang überwiegend im privaten, häuslichen Bereich von Frauen geleistet wurden, zum anderen die Verberuflichung von vormaligen Tätigkeiten sozialen Engagements. Der Ausbau öffentlicher und privater sozialer Dienste brachte einerseits eine Vielzahl neuer Erwerbsarbeitsplätze und einen großen Professionalisierungsschub mit sich, verdrängte aber andererseits freiwilliges, unentgeltliches Engagement. Umgekehrt wirken Prinzipien des bürgerschaftlichen Engagements auch in den Bereich der Erwerbsarbeit hinein, wie es die Leitwerte der Gemeinwohlorientierung und Partizipation bei den Organisationen des Dritten Sektors zeigen (vgl. Bericht der Enquete-Kommission 2002, Bd. 4). Debatten zur „Zukunft der Arbeit“ und zum „erweiterten Arbeitsbegriff“ In den vergangenen etwa 30 Jahren haben eine ganze Reihe von Wissenschaftler/innen diese Tendenzen aus unterschiedlichen Blickwinkeln beschrieben und analysiert. In Deutschland und Frankreich wurde in den 1980er Jahren die Debatte zur „Dualwirtschaft“ (vgl. u. a. Huber 1979, Gorz 1983) geführt, in den 1990er Jahren ging es v.a. um die „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“ (vgl. stellvertretend Dombois 1999, MayerAhuja 2003) und die Herausbildung einer „pluralen Tätigkeitsgesellschaft“ (vgl. Beck 2000, Mutz 2001, Schäfers 2001). Feministische und ökologisch orientierte Wirtschaftswissenschafter/innen (vgl. stellvertretend Biesecker 2000) befassten sich zuerst mit der Entwicklung eines „erweiterten Arbeitsbegriffes“ und einer darauf basierenden umfassenden Analyse gesellschaftlicher Arbeit unter Einschluss der informellen und häuslichen Wirtschaft. Der folgende, breiter geführte Diskurs um einen erweiterten Arbeitsbegriff, wie ihn Hildebrandt (2007) zusammenfasst, stellt nicht nur auf die Anerkennung von anderen, gegenüber der Erwerbsarbeit historisch-systematisch klar abgegrenzten Formen gesellschaftlicher Arbeit ab. Sowohl im Konzept der „Mischarbeit“, wie es in einem interdisziplinären Projekt der Hans-Böckler-Stiftung entwickelt wurde (vgl. Verbundprojekt Arbeit und Ökologie 2000), als auch im von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung inspirierten Konzept der „Triade der Arbeit“ (vgl. Schäfers 2001) wurde versucht, die Veränderungen der Grenzen und die Vielzahl der Übergänge zwischen den verschiedenen Arbeitsformen zu erfassen und analysieren. Das Forschungsprojekt „Agora“ schließlich kombinierte aktuelle mit historischen Analysen der Entwicklung der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit in ihren unterschiedlichsten Formen (vgl. Kocka/Offe 2000). Erwerbsarbeit im Dritten Sektor In der jüngsten Zeit verstärkten sich Debatten und Forschungsaktivitäten zum Dritten Sektor, da dieser sowohl die gemeinnützigen Organisationen der Sozialwirtschaft versammelt als auch den überwältigenden Teil des organisierten freiwilligen Engagements umfasst. Der Dritte Sektor ist einerseits ein Teil der Problematik der Pluralisierung und Entgrenzung der Erwerbsarbeit, atypische Beschäftigungsverhältnisse sind hier fast doppelt so häufig anzutreffen wie 93 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt, die Entlohnung liegt darunter (siehe dazu v. a. Zimmer/Priller 2007 und Dathe/Priller 2010). In Ostdeutschland sind 16 Prozent der Erwerbstätigen im Dritten Sektor in Ein-Euro-Jobs beschäftigt. Insgesamt droht eine weitere Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse und die Entwicklung zum Niedriglohnsektor (vgl. Dathe/ Hohendanner/Priller 2009). Andererseits wird in der engagementpolitischen Debatte immer wieder vom Dritten Sektor bzw. den in ihm versammelten Organisationen erwartet, Erwerbsarbeit und Engagement in ein produktives Verhältnis zu setzen. DGB-Konzept „Gute Arbeit“ Einen weiteren, für die gegenwärtige Diskussion um die Entwicklung der Arbeit bedeutenden Strang markiert das vom DGB entwickelte Index-Konzept „Gute Arbeit“ (www.dgb-index-gute-arbeit.de). Hier wurden Qualitätskriterien formuliert, die zunächst vornehmlich auf die Beurteilung von Erwerbsarbeitsplätzen durch die Arbeitnehmer/innen selbst ausgerichtet waren, sich jedoch ebenfalls auf unbezahlte Arbeit im Engagementbereich anwenden lassen, wie es in einem Forschungsprojekt der Hans-Böckler-Stiftung „Die subjektive Dimension guter Arbeit“ aktuell geschieht. Eine wichtige Dimension des Konzepts „Gute Arbeit“ ist die Work-Life-Balance, so dass hier auch die arbeits(zeit)politischen Fragen der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Engagement angesprochen sind. Das Interesse der Arbeitnehmer/innen und der Gewerkschaften trifft sich zumindest für Höherqualifizierte mit den Personalentwicklungspolitiken von Unternehmen vieler Branchen, die gut ausgebildete, motivierte, eigenständig und im Team arbeitende, kreative Beschäftigte benötigen, um wirtschaftlich auf den Märkten der Informations- und Wissensgesellschaft bestehen zu können. 2.2 Entwicklung und Strukturwandel des bürgerschaftlichen Engagements Eine Vielzahl aktueller gesellschaftspolitischer Veränderungen und Herausforderungen, insbesondere die im vorigen Kapitel erläuterten Entwicklungen im Bereich der Erwerbsarbeit, bleibt nicht ohne Folgen für die Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft. Nachfolgend sollen schlaglichtartig und in aller Kürze die wichtigsten Entwicklungen diskutiert werden. Individualisierungs- und Flexibilisierungstendenzen Individualisierungs- und Flexibilisierungstendenzen aus dem System der Erwerbsarbeit mit unterschiedlichen Anforderungen an lebenslanges Lernen, fle94 xible Arbeitszeiten und –orte beeinflussen auch die Struktur bürgerschaftlichen Engagements. Das traditionelle Ehrenamt, gekennzeichnet durch langjährige, kontinuierliche Aktivitäten und hierarchische Strukturen, wird immer mehr in den Hintergrund gedrängt (vgl. Kühnlein/Böhle 2002). Selbstorganisierte Zusammenschlüsse in Bürgerinitiativen oder Selbsthilfegruppen sind das Ergebnis eines Bedürfnisses der Engagierten nach Verwirklichung individueller Motive und Interessen. Gleichzeitig gibt es eine gestiegene Notwendigkeit des flexiblen Zeitmanagements, welches es ermöglicht, Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Freizeit (bzw. freiwilliges Engagement) zu kombinieren. Häufigere Fluktuationen der Engagiertenzahlen durch Ein- und Austritte sind nicht ungewöhnlich (vgl. BMFSFJ 2009a). Es stellen sich verstärkt Herausforderungen an Organisationen des Dritten Sektors, solche Angebote bereitzuhalten, die eine kurzfristige oder auch kurzzeitige, zeitlich flexible Ausübung einer freiwilligen Tätigkeit ermöglichen.1 Professionalisierung Zivilgesellschaftliche Organisationen als zentrale Orte des bürgerschaftlichen Engagements2 haben in den letzen Jahren umfassende Organisationsentwicklungsprozesse durchlaufen, sich zunehmend professionalisiert und ihre Strukturen und Arbeitsweise ökonomischen Faktoren unterworfen. Unterschiedliche Aufgaben des traditionellen Ehrenamtes sind im Zuge dieser Professionalisierungstendenzen vor allem im sozialen Bereich in die Entwicklung hauptamtlicher Stellen übergegangen (vgl. Kühnlein/ Böhle 2002). Die zunehmende wirtschaftliche Orientierung und Übernahme ehemals staatlicher sozialpolitischer Aufgaben hat zu einem veränderten Verhältnis von Haupt- und Ehrenamtlichkeit geführt (vgl. BMFSFJ 2009a). Monetarisierung Bürgerschaftliches Engagement ist per Definition unentgeltlich. Ausnahmen hiervon bilden überschaubare Kostenerstattungen und Aufwandsentschädigungen bis hin zu geldwerten Leistungen wie z.B. kostenfreie Weiterbildungen oder Qualifizierungen. Obwohl der 2. Freiwilligensurvey gezeigt hat, dass der Großteil der Freiwilligen (86 Prozent) keine materiellen Gratifikationen für seine Tätigkeiten erhält3, gibt es immer mehr Stimmen, die vor einer schleichenden Monetarisierung des bürgerschaftlichen Engagements warnen (vgl. Liebig/ Rauschenbach 2010). Insbesondere mit dem Blick auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse, nicht-existenzsichernde Transferleistungen oder Rentenzahlungen und längere Zeiten der Erwerbslosig- Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement keit erscheint ein bezahltes Ehrenamt an Attraktivität zu gewinnen.4 Ausgehend von der Definition der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ (vgl. Bericht der Enquete-Kommission 2002; Bd. 4, S. 7390) widerspricht eine solche Entwicklung jedoch den Basisprinzipien der Freiwilligkeit, Selbstbestimmtheit und der Unabhängigkeit von einem Streben nach materiellen Gewinn im bürgerschaftlichen Engagement. Motiv- und Wertewandel Bereits seit einiger Zeit wird ein Motiv- und Wertewandel im bürgerschaftlichen Engagement diagnostiziert. Auf dem Prüfstand steht in diesem Zusammenhang die das bürgerschaftliche Engagement charakterisierende Gemeinwohlorientierung. Die Erhebungen der letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass diese weiterhin signifikant bleibt, jedoch interessanterweise vor allem bei Engagierten aus den ostdeutschen Bundesländern (alte Länder: 33 Prozent / neue Länder 40 Prozent), bei jungen Menschen (Gruppe der 14-30jährigen: 1999: 38 Prozent; 2004: 47 Prozent) und Erwerbslosen (+ 9 Prozent) eine zunehmende Bedeutung der Interessenorientierung zu verzeichnen ist (vgl. Gensicke et al. 2006, S. 91ff). Diese Gruppen möchten mit ihrer Tätigkeit auch eigene Interessen vertreten, Probleme lösen und ihr Engagement nutzen, um beruflich voran zu kommen. Junge Menschen stehen unter einem immer größer werdenden Druck hinsichtlich Schule, Ausbildung und erster Berufstätigkeit. Umgekehrt überprüfen deshalb auch sie ihre Aktivitäten hinsichtlich ihres Mehrwertes. Dieser neue „Typ“ Engagierter handelt sehr wohl gemeinwohlorientiert, versucht hierbei allerdings auch unterschiedliche Erwartungen zu kombinieren, zweckrational zu handeln und eigene Interessen im Blick zu behalten (vgl. Gensicke 2006, S. 213 ff).5 Demografischer Wandel Weiterhin in den Fokus zu nehmen bleibt der zunehmende gesamtgesellschaftliche Alterungsprozess und dessen Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft. Bei gleichzeitig sinkendem Erwerbsausstiegsalter und steigender Lebenserwartung6 beherrschen Diskussionen zur Leistungsfähigkeit des Systems sozialer Sicherung und zur Generationengerechtigkeit die Öffentlichkeit. Kocka betont den Sinn zivilgesellschaftlichen Engagements als Alternative zu marktbezogener Erwerbsarbeit nach der Verrentung/Pensionierung und untätigem Ruhestand im Alter (vgl. Kocka 2008, S. 228ff). Gemäß eines Gutachtens des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung wird im Zuge des demografischen Wandels die Rolle der älteren Menschen für die Zivilgesellschaft sogar im mer wichtiger, da die Zivilgesellschaft langfristig von einem Rückgang der Engagementzahlen betroffen ist.7 Die höchsten Verluste im Engagement und Ehrenamt sind regional betrachtet im ländlichen Raum allgemein und in den ostdeutschen Gebieten zu erwarten (vgl. Mai/ Swiaczny 2008). Wirtschaftliche Gesamtlage Noch bleibt abzuwarten, welche Reaktion die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Engagementbereitschaft der Bürger/innen haben wird. Werden Tendenzen wie z. B. berufsorientierte Interessen an der Ausübung einer freiwilligen Tätigkeit oder aber Monetarisierungsbestrebungen zunehmen? Folgt man dem Bericht zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland, so kommt es gemäß der These vom Strukturwandel des Engagements zu einer Konzentration auf informelle Engagement- und kleinere Organisationsformen (vgl. BMFSFJ 2009a S. 57). Bedingt durch eine stärkere Fokussierung auf individuelle Belange und die private Wohlfahrt erfolgt Engagement zukünftig mitunter stärker auf den eigenen sozialen Nahraum beschränkt. Nicht zuletzt wird auch auf die Gefahr hingewiesen, dass anhaltend schlechte wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu einer weiteren Erosion der Mittelschicht als eigentlicher Basis des bürgerschaftlichen Engagements führen (ebd., S. 58). 2.3 Zeitpolitik und die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit, Familie und Engagement Bereits die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ (vgl. Bericht der Enquete-Kommission 2002, Bd. 4, S. 402) hat darauf hingewiesen, dass „der Wechsel zwischen Erwerbsarbeit und Engagement oder zwischen Familie und Erwerbsarbeit (…) immer schwieriger geworden“ ist. Entgrenzungsprozesse zwischen den Bereichen Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Engagement finden ihren Niederschlag vor allem auf der Ebene der zeitlichen Dimension. Vereinfacht ausgedrückt: Je stärker jemand in einer der genannten Sphären eingebunden ist, umso weniger Zeit bleibt für die anderen beiden Tätigkeitsbereiche.8 Einerseits gilt mit Blick auf die lebensweltliche Taktvorgabe für Erwerbstätige i. d. R. die Dominanz der Erwerbsarbeit gegenüber den beiden anderen Sphären. Andererseits führt insbesondere die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die Frauen die Hauptlast für die Familienarbeit zuweist, dazu, dass ihnen der Zugang zu Erwerbsarbeit und Engagement erschwert wird. Und schließlich können sich viele Frauen infolge 95 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement der Doppelbelastung durch Familie und Beruf nur freiwillig engagieren, wenn sie nicht Vollzeit arbeiten (vgl. Bericht der Enquete-Kommission 2002, Bd. 4, S. 419f.). Entsprechend bestätigen empirische Studien, dass teilzeiterwerbstätige Mütter sich häufiger engagieren als nicht erwerbstätige Hausfrauen und Mütter sowie Vollzeit beschäftigte Mütter (vgl. Geiss/Picot 2007). Zuvorderst die Befunde des 2. Freiwilligensurveys 1999-2004 (vgl. Gensicke/Picot/Geiss 2006, S. 247ff.) untermauern die Hemmnisse, Erwerbsarbeit, Familie und Engagement in individuellen Lebensentwürfen zu vereinbaren.9 Zusammenfassend verhindert die gegenwärtige gesellschaftliche Arbeitsteilung die stärkere Integration der Frauen in die Erwerbsarbeit, ermutigt Männer nicht zur Aufgabe familiärer Aufgaben und hemmt die Entfaltung bürgerschaftlichen Engagements. Um diese bestehenden Strukturen gesellschaftlicher Arbeitsteilung und geschlechtsspezifischer Segmentierung aufzubrechen, bedarf es Veränderungen in der Erwerbsarbeit, in Familien sowie im Engagementbereich. Mit Blick auf die Vereinbarkeit aller drei Sphären geht es demnach darum, Übergänge zwischen ihnen zu optimieren. Von zentralem Interesse ist demzufolge, inwieweit diese Bereiche gegenwärtig lebensweltlich miteinander verzahnt sind und wie sie sich inhaltlich wechselseitig befruchten können. Zunächst wirft dies indes die Frage auf, welche Möglichkeiten und Gelegenheiten eine (Tätigkeits-)Gesellschaft bereitstellt, Erwerbsarbeit, Familie und Engagement zeitlich miteinander vereinbaren zu können. Mit anderen Worten: Die soziale Qualität der Tätigkeitsgesellschaft bemisst sich an der realen Chance der Menschen, in ihrem Leben das Verhältnis von Erwerbsarbeit, freier Tätigkeit und Muße möglichst frei zu gestalten 10 Aus engagementpolitischer Perspektive bedeutet dies, neben Familienzeit und Erwerbsarbeitszeit eine eigene Zeit für bürgerschaftliches Engagement (Engagement- oder Gemeinwohlzeit) zu ermöglichen (vgl. Bericht der Enquete-Kommission 200, Bd. 4, S. 651ff.). Die Einflussnahme auf zeitliche Bedingungen bzw. auf zeitliche Wirkungen von politischen, wirtschaftlichen und lebensweltlichen Bedingungen menschlicher Existenz wird unter dem Konzept „Zeitpolitik“ diskutiert. Dabei unterscheidet insbesondere das partizipative Element die moderne demokratische Zeitpolitik von traditionellen Veränderungen der gesellschaftlichen Zeitordnung (vgl. Mückenberger, 2004 S. 3). Zeitpolitik im Rahmen der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit ist längst kein sozialwissenschaft96 liches Nischenthema mehr. Vielmehr nehmen sich dieses Themas mittlerweile unterschiedliche gesellschaftspolitische (z. B. tarif- oder familienpolitische) Interessengruppen an.11 Demgegenüber steht die Diskussion um eine engagementpolitische Perspektiverweiterung von Zeitpolitik erst am Anfang. An den Schnittstellen von Engagement- und Beschäftigungspolitik sei hier exemplarische auf vorgeschriebene Mobilitätseinschränkungen von Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfängern verweisen. Angesichts der maßgeblich durch die Erwerbsarbeit vorgegebenen Taktvorgaben kommt betrieblichen Vereinbarungen und tarifvertraglichen Regelungen zu flexiblen Arbeitszeitmodellen (Teilzeit, Gleitzeit, Arbeitszeitkonten etc.)12 sowie dem Ausbau von Ganztagseinrichtungen in Kindergarten und Schule besondere Bedeutung für die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit mit Familie und Engagement zu, da diese Maßnahmen den Beschäftigten Selbstorganisation bzw. Souveränität im Umgang mit ihrer Zeit ermöglichen. Bürgerschaftlichem Engagement kommt zudem die Nutzung von Freistellungsrechten zugute. Insgesamt ist diesbezüglich die Unterstützung des Engagements von Beschäftigten durch den Arbeitgeber – etwa im Rahmen von corporate volunteering (vgl. BBE 2009, Erster Zwischenbericht, S. 54) – ausbaufähig. Woran es derzeit noch mangelt, sind zeitpolitische Konzepte, die alle drei Bereiche – Erwerbsarbeit, Familie und Engagement – berücksichtigen und integrieren. Zu untersuchen wäre bspw., inwieweit vorhandene Konzepte auf eine solche integrierte Perspektive übertragbar sind. Für den Bereich Familie unterscheidet z. B. Martina Heitkötter (2009) zeitstrukturpolitische, infrastrukturpolitische, informationsbezogene Gestaltungsansätze lokaler Zeitpolitik sowie einen Ansatz, der die Wechselwirkung von örtlicher Zeitorganisation und räumlicher Gestaltung in Städten berücksichtigt. Zeitstrukturpolitische Ansätze zielen auf die Ausweitung bzw. Flexibilisierung von Öffnungs-, Betreuungs- und Schalterzeiten, Fahrplänen, Arztoder Handwerkerzeiten. Infrastrukturpolitische Ansätze beziehen sich auf die zeitpolitische Gestaltung lokaler Infrastruktur- und Dienstleistungsangebote mit dem Ziel, Wegezeiten und Zugangshemmnisse zu minimieren. Informationsbezogene Ansätze suchen unter Zuhilfenahme unterschiedlichster Medien (vom Faltblatt bis zum Internet) alltagsrelevante Informationen zu Dienstleistungsangeboten zu bündeln, um dadurch einen niedrigschwelligen Zugang hierzu zu vereinfachen. Und schließlich verfolgen Ansätze, die die lokale Zeitorganisation mit räumlicher Gestaltung koppeln, beispielsweise den Zweck, verwaiste Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement öffentliche Räume durch neue Nutzungsmuster zu beleben und Orte sowie Gelegenheiten der Begegnung für die Bevölkerung zu schaffen. 2.4 Das Verhältnis von bürgerschaftlichem Engagement und Erwerbsarbeit unter sich wandelnden Rahmenbedingungen Bürgerschaftliches Engagement kann Erwerbsarbeit qualitativ anreichern, es kann für Erwerbslose, Berufs(wieder)einsteiger/innen den Übergang in die Erwerbsarbeit erleichtern, mittels Familien- oder Nachbarschaftshilfe können Versorgungsarbeiten unterstützt werden, Sonderformen wie z. B. Tauschringe können sogar Eigenarbeit hervorbringen. Die Pluralisierung von Engagementformen eröffnet neue Gestaltungsmöglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement, gleichzeitig können diese neuen Entwicklungstendenzen – wie bereits gezeigt wurde – Erosion und Entgrenzung hervorrufen. Der unter 1.1 beschriebene Wandel der Arbeit bedingt unterschiedliche Entwicklungen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements, der in unmittelbarem Zusammenhang zu den Bereichen Familie und Erwerbsarbeit steht. Veränderungen in einer Sphäre bringen auch Auswirkungen auf andere Lebensbereiche mit sich: Pluralisierung und Entgrenzung bedeutet nicht nur die Auflösung bisheriger Grenzen, sondern auch die Herausbildung neuer Strukturen und Charakteristika. So besteht die Gefahr, dass bürgerschaftliches Engagement vermehrt nutzenmaximiert und unter ökonomischen Gesichtspunkten ausgeübt wird, was dem Eigensinn des Engagements gänzlich wiederspricht (vgl. Bericht der Enquete-Kommission 2002, Bd. 4, S.407). Eine weitere Form der Entgrenzung ergibt sich aus den oben beschriebenen Auswirkungen der Professionalisierung bzw. Verberuflichung bestimmter Engagementfelder. Aus freiwilligem Engagement wurden reguläre Beschäftigungsverhältnisse, ein Umstand, der insbesondere im Bereich der sozialen Dienstleistungen zu einer Diskussion über die Marginalisierung und Verdrängung freiwilliger und unentgeltlicher Arbeit geführt hat. Gestiegene Herausforderungen an eine Arbeitsverdichtung und zunehmende Belastungen der Erwerbsarbeit z. B. hinsichtlich zeitlicher Flexibilität und räumlicher Mobilität können sich negativ auf die Rahmenbedingungen freiwilligen Engagements auswirken. Umgekehrt ermöglicht eine flexible Arbeitszeitgestaltung positiv formuliert auch neue Chancen für freiwillige Tätigkeiten. Gleichzeitig bleiben veränderte Interessen und Orientierungen im Engagement selbst nicht ohne Wirkung. Zunehmende Monetarisierungstendenzen, die ehren amtliche Tätigkeiten mitunter nah an den Rand atypischer Erwerbsarbeitsverhältnisse drängen, führen zu einer Verschränkung von freiwilligem Engagement und materieller Gratifikation, die eine neue Dimension zwischen finanziell motiviertem Engagement, materieller Folgebereitschaft (verbunden mit einem gewissen Verlust der Eigenlogik des Engagements durch Fremdsteuerung13) und der Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements als „Arbeit“ eröffnet. Hingewiesen werden muss in diesem Zusammenhang allerdings auch auf den Umstand, dass eine monetäre Unterstützung bestimmter Gruppen von Engagierten auch vor materiellen Nachteilen schützen kann und ihre Zugangsmöglichkeiten zum Engagement erleichtert (vgl. Evers 2007, S. 134), denn bisher sind vor allem jene Menschen in besonders hohem Maße bürgerschaftlich engagiert, die einer geregelten Erwerbsarbeit nachgehen (vgl. Gensicke et al. 2006).14 Damit wird deutlich, dass ein erhöhtes Zeitkontingent, wie es z. B. Erwerbslose haben, nicht per se zu einer erhöhten Engagementneigung führt. Eine gemeinwohlorientierte freiwillige Tätigkeit setzt offenbar selbst eigene (finanzielle) Ressourcen voraus. Unter den Bedingungen zunehmender Massenarbeitslosigkeit verbinden bereits heute unterschiedliche Modellversuche der öffentlich geförderten Beschäftigung im gemeinnützigen Bereich die Gewährung staatlicher Transferzahlungen mit der Übernahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Hier öffnet sich eine neue Grauzone: Öffentlich geförderte Beschäftigungsmaßnahmen im gemeinnützigen Bereich unterliegen einem klaren Kosten-Nutzen-Kalkül und sollen vor allem materielle Ressourcen (Einkommen) kompensieren (vgl. Blaschke 2006). Diese Entwicklung führt zu einem erhöhten Arbeitsmarktbezug öffentlich geförderter gemeinnütziger Tätigkeit, obwohl sich beide Konzepte recht grundlegend unterscheiden: Bürgerschaftliches Engagement ist freiwillig, es dient der Partizipation am Gemeinwesen und ist weitestgehend selbstorganisiert. Öffentlich geförderte Beschäftigung im gemeinnützigen Bereich erfolgt auf Druck von außen, entweder sozialstaatlich-administrativ oder zumindest durch finanzielle Armut oder soziale Ausgrenzung. Sie ist de facto ein Ersatz für eine reguläre Erwerbstätigkeit, stellt neben einem (zumeist geringen) Einkommen einen Arbeitsmarktbezug, gekennzeichnet durch Teilhabe und Anerkennung, her. In der Regel bieten sich hierbei nur eingeschränkte Möglichkeiten der Selbst- oder Mitbestimmung. Die Tätigkeitsfelder beider Bereiche können vollkommen identisch sein, in jedem Fall jedoch gemeinnützig und von öffentlichem Interesse. Diese Dimensionen werden unter 3.1 „Aktive Arbeitsmarktpolitik und Bürgerschaftliches Engagement“ noch einmal genauer diskutiert. 97 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement Wenn Engagement einer geldwerten Leistung gleichgesetzt wird, treten andere Aspekte des Engagements in den Hintergrund. Wer freiwillig aktiv wird, wer gestaltet und sich einsetzt, möchte dafür Anerkennung und Wertschätzung erfahren und möchte mitentscheiden. Wenn das Engagement auf eine ökonomische, in Kennziffern fassbare Ressource reduziert wird, besteht dann die Gefahr, dass dieser unabdingbare Zusammenhang von Gestalten und Entscheiden verlorengeht? Die aufgeführten Tendenzen der Verschränkung von Arbeit und Engagement führen damit zwangsläufig auch zu einer Wertediskussion, insbesondere zu den Kernelementen Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit. Nicht zuletzt nimmt bürgerschaftliches Engagement im sich wandelnden Sozialstaat eine veränderte Rolle ein: Immer mehr Aufgaben und Funktionen können nicht mehr staatlich erfüllt werden, da finanzielle Ressourcen hierfür nach dem vorherrschenden Politikmuster nicht bereitgestellt werden. Sollen etablierte Angebote und Infrastrukturen im Gemeinwesen (vor allem auf kommunaler Ebene) nicht gänzlich verloren gehen, so springen immer häufiger freiwillig Engagierte ein. Sie sollten hierbei jedoch weder zu Lückenbüßern für gesellschaftlich notwendige, jedoch von Hauptamtlichen ungern ausgeführte Tätigkeiten werden, noch ein preiswerter bzw. unbezahlter Ersatz in Arbeitsbereichen sein, die eigentlich zu entlohnen wären (vgl. Bericht der Enquete-Kommission Bd. 4, S. 410). 3. Bürgerschaftliches Engagement als Brücke in die Erwerbstätigkeit 3.1 Aktive Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement Ausgehend von der Frage, wie sich das Verhältnis von aktiver Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftlichem Engagement bis heute entwickelt hat, richtet sich der Blick in diesem Abschnitt vornehmlich auf den aktuellen Bestand und die Ausgestaltung der beschäftigungspolitischen Instrumente sowie ihre Wirkung auf das Engagement. Aspekte der Organisationsentwicklung und -politik im Dritten Sektor, in dessen Organisationen sowohl ein Großteil der Beschäftigungsmaßnahmen durchgeführt werden als auch der überwiegende Teil des organisierten bürgerschaftlichen Engagements stattfindet, werden abschließend in Kapitel „Bürgerschaftliches Engagement und Dritter Sektor in der Organisationsperspektive“ erörtert. 98 Aktive Arbeitsmarktpolitik vor und nach den HartzReformen Die 1980er und 1990er Jahre waren von einer aktiven Arbeitsmarktpolitik geprägt, deren beschäftigungsfördernde Instrumente (wie ABM, SAM/SAE, BSHG § 19.2 etc.) zunächst überwiegend tariflichen Bedingungen folgten, sich dann sukzessive immer weiter davon entfernten, aber immer – mit Ausnahme der Maßnahmen nach BSHG § 19.1 – voll sozialversicherte Arbeitsverhältnisse begründeten. In dieser Zeit hatten die Beschäftigungsmaßnahmen „einen erheblichen Anteil am Aufbau und Erhalt vieler sozialer und kultureller Einrichtungen und damit an der Entwicklung lokaler Infrastruktur als Ganzes“. Damit haben sie auch indirekt freiwilliges Engagement gefördert, das in diesen Einrichtungen eine „Ermöglichungsstruktur“ fand. (vgl. Kotlenga 2007, S. 134) Mit dem Umbau der Arbeitsmarktpolitik im Zuge der HartzReformen sind zum einen die Maßnahmen öffentlicher Beschäftigungsförderung deutlich reduziert worden. Faktisch dominieren seit 2006 die sog. Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigungen (MAE-Maßnahmen nach § 16 Abs. 3 SGB II, auch als „Zusatzjobs“ oder „Ein-Euro-Jobs“ bekannt) die arbeitsmarktpolitische Förderkulisse. Im Jahr 2007 befanden sich bundesweit rund 261.000 Personen in MAE-Maßnahmen, davon 114.000 in Ostdeutschland. Das entsprach 83,8 % bzw. 76,6 % aller Maßnahmen der öffentlichen Beschäftigungsförderung im jeweiligen Gebiet. Die MAE-Maßnahmen sind sehr kurzfristig angelegt, die durchschnittliche Dauer betrug 2006 gut 5 Monate. Die Zuschüsse der Jobcenter sind auf maximal 300 Euro/Monat (für die Mehraufwandsentschädigung der Teilnehmenden plus Trägerkosten) begrenzt (alle Zahlen aus amtlichen Quellen der BA nach Dathe/Priller 2010). Für die Träger, die die MAE-Jobs organisieren, bedeuten diese Rahmenbedingungen eine geringe Planungssicherheit, häufige Teilnehmerwechsel sowie außerordentlich knappe Mittel für personelle und sachbezogene Infrastruktur und Qualifizierung der Teilnehmenden. Damit schwinden auch die oben skizzierten infrastrukturellen Mitnahmeeffekte des Engagementbereichs. Das gilt vor allem für kleinere, lokale Einrichtungen, die aufgrund der Modalitäten der Maßnahmevergabe ins Hintertreffen zu überregional tätigen Trägern wie den großen Wohlfahrtsverbänden geraten (vgl. Kotlenga 2007, S. 136). Konkurrenz und Verdrängungseffekte Durch die spezifische Ausgestaltung der aktuellen, öffentlich geförderten Beschäftigung und durch die Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement quantitative Ausweitung der Zusatzjobs kommt es erstmals zu einer spürbaren Konkurrenz mit dem freiwilligen Engagement. Hier überschneiden sich sowohl die beteiligten Träger als auch die Beschäftigungsfelder. Zudem nähern sich materielle Gratifikationen (etwa Auslagenersatz, Aufwandsentschädigung) in beiden Bereichen zunehmend an, ohne dass dabei nachvollziehbar Verhältnismäßigkeiten mit Blick auf Unterschiede zwischen „notwendigem Broterwerb“ und freiwilligem Engagement reflektiert werden. Deutlich unterschieden werden muss der Status der Maßnahmenteilnehmer gegenüber dem der freiwillig Engagierten. Die MAE-Maßnahmen sind keine freiwillige Tätigkeit, bei Verweigerung der Teilnahme droht eine Kürzung der ALG-II-Bezüge. Das Instrument wird erklärtermaßen zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft eingesetzt (Kotlenga, ebd.). Desweiteren sind die Zusatzjobber in der Regel 30 Stunden pro Woche einsetzbar und gegenüber ihrer Trägereinrichtung weisungsgebunden, also insgesamt „verfügbarer“ als Freiwillige. Hier ergeben sich Verdrängungsmechanismen und Gemengelagen, die in Fachdiskursen immer wieder angesprochen werden, aber noch nicht ausreichend empirisch beforscht sind. Zur Seite der regulären Beschäftigung hin findet ebenfalls Verdrängung statt. Vormals tariflich bezahlte, öffentliche oder freigemeinnützige Dienstleistungen (etwa Straßenreinigung, Grünflächenpflege, aber auch Altenpflege und Kinderbetreuung) werden durch Arbeitsgelegenheiten ersetzt. Die niedrigeren Kosten spielen hierbei eine große Rolle, aber auch die erzwungene Flexibilität der Maßnahmeteilnehmer. Sie sind „Beschäftigte dritter Klasse“, denn sie verfügen weder über einen regulären Arbeitsvertrag mit entsprechendem Kündigungsschutz noch über Tarif- und Koalitionsfähigkeit, denn sie gelten nicht als Arbeitnehmer, fallen also auch nicht unter das Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsrecht. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt zu dem Ergebnis, dass es infolge der MAEMaßnahmen zu massiven Verdrängungseffekten regulärer Arbeit kommt und zugleich die Übernahmechancen der MAE-Kräfte in reguläre Beschäftigung sehr gering sind (vgl. Kettner/Rebien 2007 nach Dathe/Priller 2010). Die Beschäftigungsprogramme „Bürgerarbeit“, „JobPerspektive“ und „Kommunal-Kombi“ Das in Sachsen-Anhalt und Thüringen unter dem Namen „Bürgerarbeit“ in der Erprobung befindliche Modell öffentlich geförderter Beschäftigung unterscheidet sich von den MAE-Jobs vor allem hinsichtlich der längeren Laufzeit und der arbeitsrechtlichen Ausgestaltung als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Hauptzielgruppe sind Langzeitarbeitslose mit mehreren Vermittlungshemmnissen. Das Nettoeinkommen liegt nicht über dem ALG-II-Regelsatz. Die Maßnahme „Bürgerarbeit“ ist für die zugewiesenen Erwerbslosen verpflichtend und mit Leistungsentzug bewehrt. Die Einsatzgebiete sind „gemeinwohlorientierte Arbeiten, die nach Aussage der Initiatoren nicht oder nicht mehr finanzierbar sind, nichtsdestotrotz aber als gesellschaftlich erforderlich gelten“ (Kotlenga 2007, S.137). Das quantitativ umfangreichere Programm „JobPerspektive“ richtet sich ebenfalls an schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose als Zielgruppe und beruht auf Lohnkostenzuschüssen an Wirtschaftsunternehmen im allgemeinen. Welche Auswirkungen dies auf den Engagementbereich hat, ist noch wenig untersucht. Ebenfalls kaum untersucht sind Verdrängungseffekte im Zusammenhang mit dem Programm „Kommunal-Kombi“, bei dem es um Einsatzfelder wie Sport, Schule, Bibliotheken, Tourismus, Betreuung von Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen geht. Aufgrund der relativ niedrigen Bundeszuschüsse ist hier allerdings die Inanspruchnahme potenzieller Träger gering gewesen (vgl. Dathe/Priller 2010). Sollten sich vergleichbare Ansätze der kostengünstigen, aktivierenden Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose zusätzlich zu den MAE-Jobs in relevanten Größenordnungen durchsetzen, so wäre aber durchaus mit einer Verdrängung sowohl von regulärer Beschäftigung als auch von freiwilligem Engagement zu rechnen. Sozialwirtschaft im Dilemma Die entscheidende Problematik für die Organisationen des Dritten Sektors sieht Kotlenga (2007) darin, dass sie bei Beteiligung an der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik „tendenziell in Widerspruch zu ihrer sozialanwaltlichen Funktion und zu den für den gemeinnützigen Bereich oftmals behaupteten Grundprinzipien von Freiwilligkeit, Solidarität und Partizipation (geraten)“. Die Autorin weiter: „Gemeinnützige Organisationen werden auf ihre Rolle als Dienstleister reduziert, die sich im forcierten Wettbewerb untereinander und mit privaten for-profit-Anbietern behaupten müssen“ (ebd., S.136). Eckpunkte einer „engagementfreundlichen“ aktiven Arbeitsmarkpolitik Die Konturen einer aktiven und „engagementfreundlichen“ Arbeitsmarkpolitik bzw. öffentlich geförderten Beschäftigung sind bislang konzeptionell kaum entwi99 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement ckelt, durchsetzungsfähige politische Initiativen sind außer Sichtweite. Gleichwohl formulieren Kotlenga (2007) und ähnlich Blaschke (2006) einige Eckpunkte: • Freiwilligkeit des Zugangs und der Teilnahme, freie Wahl der Tätigkeitsfelder, • armutsfestes Mindesteinkommen und Sozialversicherungspflichtigkeit für die Teilnehmenden, • die Infrastruktur der Beschäftigungsprojekte muss auch für freiwillig Engagierte zur Verfügung stehen, d.h. es werden Anreiz-, Lern- und Ermöglichungsorte für bürgerschaftliches Engagement geschaffen. 3.2 Engagement als Brücke in die/aus der Erwerbsarbeit? Die Bedeutung freiwilliger Tätigkeiten für Erwerbslose, Berufs(wieder) einsteiger/innen und Menschen im Ruhestand Erwerbslose Erwerbslose gehören zu den Wachstumsgruppen im bürgerschaftlichen Engagement und engagieren sich zunehmend.15 Das Bild der Engagierten als elitäre Aktivbürger/innen einerseits, die sich für Benachteiligte einsetzen, womit letztere andererseits eher Objekte bürgerschaftlichen Engagements werden, scheint also überholt. Vermehrt auf den sozialen (Nah)-Bereich und den Selbsthilfebereich orientiert, ist das Engagement sozial Benachteiligter insgesamt eine Partizipationsform ganz eigener Art. Es beinhaltet sowohl klassische Elemente der Gemeinwohlorientierung als auch des Eigennutzes und findet häufig außerhalb institutioneller Kontexte in typischen Tätigkeitsfeldern (Nachbarschaftsinitiativen, Arbeitslosenselbsthilfe etc.) statt (vgl. Blaschke 2003). Zu bedenken bleibt, dass sich die ökonomische und soziale Benachteiligung Erwerbsloser mitunter auch auf deren gesellschaftliche Beteiligung negativ auswirkt 16 (vgl. Trube 2004). Blaschke (2006) geht davon aus, dass mit der Erwerbslosigkeit gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten sowie bürgerliche und politische Rechte schwinden, da sie recht eng an die Erwerbsarbeit selbst gekoppelt sind (vgl. Blaschke 2006, S. 86f). Auch für das Engagement Erwerbsloser sind soziale Einbindung, gesellschaftlicher Status und Bildung entscheidende Voraussetzungen für die Übernahme einer freiwilligen Tätigkeit und nicht unbedingt ihr durch Arbeitslosigkeit gestiegenes Zeitkontingent (vgl. Gensicke 2006). Welche Chancen bietet freiwilliges Engagement nun? Alternativ zur Erwerbsarbeit entsteht ein Raum für Teilhabe, Integration, Statuserlangung und Identitätsstiftung. Engagierte haben bestimmte persönliche Vorteile: wie z. B. 100 bessere Chancen bezüglich einer beruflichen Integration, monetäre oder nichtmonetäre Anerkennungen und Leistungen, soziale Kontakte und den Erhalt bzw. Ausbau fachlicher und sozialer Kompetenzen (ebd., S. 48f). Die gestiegene Engagementbereitschaft Erwerbsloser zeugt von sozialer Eigeninitiative und Verantwortungsbereitschaft. Arbeitslose erheben einen ausgeprägten Anspruch auf gesellschaftliche Beteiligung und politische Mitbestimmung (vgl. Gensicke et al. 2006, S.19) Bürgerschaftliches Engagement kann den Verlust eines Arbeitsplatzes nicht ersetzen. Auch können natürlich Ursachen, die in wechselnden Konjunkturbedingungen oder stystemstrukturellen Problemen begründet sind, mit dieser Form gesellschaftlicher Teilhabe nicht überwunden werden (vgl. Trube 2004). Angesichts fehlender Arbeitsplätze kann „nur“ eine relative Erhöhung der Chancen auf einen Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit erzielt werden (vgl. Rothländer 2006). Möglichkeiten für sinnvolle Tätigkeiten, Mitgestaltung, die Aufnahme in soziale Netzwerke und Anerkennung haben positive Auswirkungen auf die allgemeine Lebenszufriedenheit und erleichtern die (Re)-Integration in die Gesellschaft (vgl. Göttling 2006, S. 64ff). Bürgerschaftliches Engagement kann dazu beitragen, Marginalisierung und Ausgrenzung Erwerbsloser strukturell einzuschränken und soziale, wirtschaftliche sowie identitätsstiftende Strukturen zu schaffen. Darüber hinaus sind insbesondere für Erwerbslose der Kompetenzerwerb bzw. -erhalt und Qualifizierungsangebote jenseits formeller Arbeit von großer Bedeutung. Problematisch bleibt hier die Frage der materiellen Absicherung. Bürgerschaftliches Engagement Erwerbsloser setzt eine entsprechende Zielgruppenorientierung auf der Angebotsseite voraus: Es muss sich um eine Form des Engagements handeln, welche mit den verfügbaren Ressourcen Arbeitssuchender (Zeit, Geld, Mobilität) geleistet werden kann (vgl. Schöning 2006). Für Erwerbslose existiert ein Widerspruch zwischen rein gemeinwohlorientierten Engagementmotiven und der individuellen Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes (vgl. Trube 2004). Wiedereinsteiger/innen Der berufliche Wiedereinstieg von Frauen und auch Männern, die ihr Erwerbsleben längere Zeit für die Familienarbeit unterbrochen haben, gestaltet sich häufig schwierig (vgl. BMFSFJ 2009). Wissen und Kompetenzen können veralten; der erste Arbeitsmarkt reagiert auf solche Bewerber/innen häufig skeptisch. Ebenso wie für Erwerbslose scheint das Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement bürgerschaftliche Engagement hier positive Effekte für die Berufsfähigkeit bereitzustellen, es wird mitunter sogar als „Übergangsarbeitsmarkt“ bezeichnet (vgl. Trube 2004, Priller/Zimmer 2006). Langjährige Erwerbsunterbrecher/innen haben über freiwillige Tätigkeiten die Möglichkeit sich zu qualifizieren. Fähigkeiten und Fertigkeiten werden erprobt bzw. aktualisiert und durch informelles Lernen erworben. Über den Aufbau von sozialen Beziehungen und Netzwerken (Sozialkapital) und die Möglichkeit der Orientierung in unterschiedlichen Interessengebieten jenseits des Erfolgszwangs des ersten Arbeitsmarktes bietet das freiwillige Engagement einen guten Ausgangspunkt für eine individuelle berufliche Neuausrichtung (vgl. Welskopp-Deffaa 2009). Immer wieder wird in diesem Zusammenhang diskutiert, ob bürgerschaftliches Engagement eine Brückenfunktion erfüllen kann, die es ermöglicht, über eine zunächst unbezahlte freiwillige Tätigkeit in ein Anstellungsverhältnis zu gelangen. Die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse im Dritten Sektor ist in den letzten Jahren insgesamt stark angestiegen (vgl. Dathe/Priller 2010). Die Anstellung erfolgt häufig auf befristeten oder projektbezogenen Teilzeitstellen. Dies ist ein Umstand, der zunächst einen schnellen Wiedereinstieg zu ermöglichen scheint, bietet er doch niedrige Zugangsbarrieren und flexible Arbeitszeiten und damit die Möglichkeit, Erwerbsarbeit und Familie miteinander zu kombinieren. Gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr, hier den Grundstein für eine neue Form prekärer Beschäftigungsverhältnisse zu legen, die insbesondere Frauen und (ältere oder schlecht ausgebildete) Langzeitarbeitslose in ihrer beruflichen Biografie schwächt. Berufsanfänger/innen Bürgerschaftliches Engagement bietet jungen Menschen häufig erstmals die Möglichkeit sich, außerhalb schulischer Kontexte erfolgreich zu erleben. Informelle Lernprozesse im freiwilligen Engagement steigern die Bildungs- und Beschäftigungsfähigkeit von Berufseinsteiger/innen (vgl. Schenkel 2008). Gleichzeitig werden für viele Arbeitgeber diese dort erworbenen Schlüsselkompetenzen oder „soft skills“ immer wichtiger. Zahlreiche Unternehmen haben dies mittlerweile erkannt und beziehen bürgerschaftliches Engagement unmittelbar in ihre Personalauswahl und -entwicklung ein. Eine weitere Form der Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements ist die Anerkennung freiwilliger Tätigkeiten bei der Vergabe von Stipendien oder Ausbildungsplätzen bzw. der Anrechnung des Engagements als Praktika, Wartesemester oder ähnliches (vgl. Kühnlein/ Böhle 2002, S. 105). Exkurs: Bürgerschaftliches Engagement älterer Menschen: eine Brücke aus der Erwerbsarbeit? In der Nacherwerbsphase bietet die Übernahme gemeinwohlorientierter Aufgaben und Funktionen die Chance, einer sinnvollen Betätigung nachzugehen, Selbstbestätigung, Anerkennung und Inklusion zu erfahren sowie die über ein ganzes Erwerbsleben gesammelten Erfahrungen und Kompetenzen weiterzugeben bzw. sogar auszubauen (vgl. Kocka 2008). Der demografische Wandel macht eine solche Entwicklung hin zum Engagement älterer Menschen sogar notwendig, fällt es doch Organisationen immer schwerer, junge Menschen für ein Engagement zu gewinnen, während die Teilnahmebereitschaft älterer Menschen erheblich zugenommen hat (vgl. Gensicke et al. 2006, S. 282ff).. Erste Überlegungen gehen soweit, bereits in der Altersteilzeit aktiv für ein Ehrenamt zu werben. Unternehmen und Betriebe könnten hier aktiv den Übergang von der Erwerbsarbeit in den Ruhestand mitgestalten. Kocka schlägt vor, die Ehrenamtlichkeit im Ruhestand mittels kleiner Zusatzverdienste attraktiver zu gestalten (vgl. Kocka 2008, S. 230). Dies ist ein Ansatz, der mit einer kritischen Beobachtung zunehmender Altersarmut zukünftig sicherlich Gegenstand unterschiedlicher Diskussionen zum Thema „Monetarisierung im bürgerschaftlichen Engagement“ sein wird. 3.3 Kompetenzerwerb und Qualifizierung durch bürgerschaftliches Engagement Die Tatsache, dass bürgerschaftliches Engagement und Erwerbsarbeit sich in hohem Maße verschränken und ergänzen, wird nicht zuletzt an den Wechselwirkungen der Kompetenzen sichtbar, die in den jeweiligen Kontexten erworben und eingesetzt werden. Kompetenzen werden vor allem praktisch erworben und informell gelernt: im sozialen Umfeld, im Arbeitsleben oder eben im bürgerschaftlichen Engagement. Darunter fallen berufsrelevante Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie arbeitsfeldübergreifende sog. Schlüsselkompetenzen wie Teamfähigkeit, Organisationsfähigkeit, Kreativität, Kontakt-, Kritik- sowie Konfliktfähigkeit. Mit der Erkenntnis, dass die meisten der im beruflichen und im privaten Leben wichtigen Lernprozesse informell stattfinden – laut Einschätzung der FaureKommission der UNESCO aus dem Jahr 1972 rund 70% – und einem damit einhergehenden Paradigmenwechsel in der Bildungsdebatte rückte auch das bürgerschaftliche Engagement als informeller Rahmen des Kompetenzerwerbs in den Blick, nachvollziehbar beispielsweise am Bildungsbericht für Deutschland aus dem Jahr 2006 (Konsortium Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland, S. 64-67). 101 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement Parallel zur Betrachtung des Erwerbs und Erhalts von Kompetenzen hat sich eine Diskussion um Kompetenzerfassung, -bilanzierung und Kompetenznachweise entwickelt, in die vielfältige Beiträge eingebracht wurden,17 die bis dato noch nicht vollständig zusammengetragen und dokumentiert worden und insgesamt – auch bei den institutionellen Akteuren im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements – zu wenig bekannt sind.18 Feststellbar ist, dass in den Verfahren der Kompetenzerfassung objektiv-testförmige Messungen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Gearbeitet wird überwiegend mit subjektorientierten Selbsteinschätzungsverfahren, die an den individuellen biographischen Erfahrungen ansetzen und in geringerem oder größerem Ausmaß Fremdeinschätzungen hinzuziehen. Je nach Konzept werden diese Verfahren von den Engagierten eigenständig durchgeführt oder pädagogisch begleitet, in jedem Fall haben die Engagierten dabei einen aktiven Part.19 Ein zweiter, auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt relevanter Aspekt ist die Erstellung von Kompetenznachweisen, also der schriftlichen Dokumentation von Kompetenzen, die im Engagement erworben und/oder unter Beweis gestellt wurden. Abgesehen davon, dass eine schriftliche Bescheinigung einen wesentlichen Bestandteil der Anerkennungskultur im Engagement darstellt, können sich die in o. g. Verfahren erarbeiteten Dokumente oder Mappen in Bewerbungsverfahren auf dem Arbeitsmarkt positiv für die Engagierten auswirken. Beachtet werden muss jedoch, dass weder die Verfahren zur Kompetenzerfassung noch die daraus erwachsenden Kompetenzbilanzen einer zentral gesteuerten Standardisierung oder Überprüfung unterliegen. Obwohl eine solche Standardisierung insgesamt für eine bessere Akzeptanz der Dokumente/Zertifikate und somit für mehr Aussagekraft u. a. für Arbeitgeber sorgen könnte, stehen ihr grundsätzliche Bedenken entgegen, das freiwillige Engagement auf diese Weise zu schematisieren und arbeitsmarktlogischen Überlegungen zu unterwerfen (vgl. Rindt, in: BBE-Newsletter 20/2009) . Eindeutiger ist die Situation bei Fort- und Weiterbildungen, die Engagierten im Zusammenhang mit ihrem Engagement angeboten werden und mit denen sie u. a. befähigt werden sollen, die direkt mit den Anforderungen des jeweiligen Engagementfeldes einhergehenden Anforderungen gut bewältigen zu können. Bedarf herrscht hier insbesondere bei Engagierten in verantwortlichen bzw. Mentoring-/Leitungspositionen oder im Freiwilligenmanagement. Als bewusst geplante, (non-)formale Qualifizierungseinheiten werden solche Kurse, Seminare, Workshops usw. nicht nur als Maßnahmen zur Kompetenzbildung 102 und -bescheinigung, sondern auch als notwendiger Teil der Anerkennungskultur angesehen (s. AG ‚Bildung und Qualifizierung‘ des BBE: „Freiwillige haben ein Recht auf Qualifizierung!“). 4. Bürgerschaftliches Engagement und Dritter Sektor in der Organisationsperspektive Für einen vollständigen thematischen Überblick ist auch die Organisationsperspektive wichtig. Der Blick sollte sich dabei sowohl auf die Organisationen des Dritten Sektors, in dem der überwiegende Teil des Engagements gebunden ist, als auch auf die Organisationen im Erwerbssystem richten. Die organisationssoziologische Perspektive ist bislang in der Diskussion um die Bedingungen und Voraussetzungen von Engagement vernachlässigt worden. Mit dem Freiwilligensurvey hat sich auf der Seite der empirischen Forschung ein Blick auf die individuelle Dimension des Engagements verfestigt. Der Blick aus und auf Organisationen ist aber notwendig, weil hier die Schnittstellen von Arbeit und Engagement zu verorten sind und weil sie auch wesentlich dafür verantwortlich sind, ob es den dort Tätigen gelingt, Engagement und Erwerbsarbeit sinnvoll und produktiv miteinander zu verbinden. Die Organisationen gestalten auch die Bedingungen gemeinnütziger Arbeit wesentlich mit und sind durch ihr Verhalten zentrale Akteure der ‚Zeitpolitik‘ und auch des Anerkennungssystems rund um das Engagement. 4.1 Nebeneinander von Haupt- und Ehrenamtlichkeit Im Dritten Sektor findet sich immer häufiger ein Nebeneinander von drei Tätigkeitsprofilen, im Einzelnen denen • von ‚klassischen‘ Erwerbsarbeiter/innen, • von atypischne Beschäftigungsverhältnissen (u. a. Teilzeitkräfte, geringfügig Beschäftigte; öffentliche Beschäftigungsverhältnisse auf 1-Euro-Basis, MAE) und • von freiwillig Engagierten in ‚Reinform‘. Menschen mit diesen Tätigkeitsprofilen leisten zu sehr unterschiedlichen Konditionen eine ähnliche, bisweilen dieselbe Arbeit. Das stellt sowohl auf der individuellen Ebene (Umgang miteinander, Wertschätzung, Neid, Konkurrenzdenken und Bedrohungswahrnehmung) als auch auf der hier näher betrachteten hierarchisch-organisatorischen Ebene für die Organisation selbst (Kompetenzen/Zuständigkeiten, Gleichberechtigung, Arbeitsplatzbeschreibungen) hohe Anforderungen. Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement Quantitative Aussagen In diesem Zusammenhang stellen sich Fragen nach der Koexistenz dieser Tätigkeitsprofile, insbesondere welches quantitative Ausmaß die benannten Phänomene haben. Gegenwärtig wird für Organisationen des Dritten Sektors die Zahl der Vollzeit- bzw. der Teilzeitstellen sowie der geringfügig Beschäftigten bundesweit auf mehr als drei Millionen geschätzt. Genaue Angaben zur Zahl der Arbeitsplätze und zur Struktur der Beschäftigungsverhältnisse liegen aktuell nicht vor. Dies erschwert spezifische Aussagen. Anhand partiell vorliegender Daten lassen sich wesentliche Tendenzen sichtbar machen (vgl. Dathe/Priller 2010, S. 526ff.). Im Zeitraum von 1996 bis 2008 schwankt die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Dritten Sektor – nach Hochrechnungen mit den Daten des IAB-Betriebspanels – zwischen 1,7 und 1,9 Millionen. Dabei hat sich der Anteil des Dritten Sektors an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von sechs auf sieben Prozent erhöht (vgl. Dathe/Hohendanner/Priller 2009, S. 2). Nach Angaben der Wohlfahrtsverbände ist die Zahl der Einrichtungen von 2000 bis 2004 um sechs Prozent und die Anzahl der Beschäftigten um 22 Prozent gestiegen. Allerdings basiert der Beschäftigungszuwachs hauptsächlich auf einer Zunahme bei den Teilzeitkräften und den geringfügig Beschäftigten um 39 Prozent. Innerhalb des Zeitraums von vier Jahren nahm die Anzahl der Teilzeitkräfte und der geringfügig Beschäftigten um 186.034 zu. Die Gesamtzahl der ehrenamtlich sozial Engagierten weist die Gesamtstatistik der Freien Wohlfahrtspflege seit den letzten Berichtszeiträumen unverändert mit 2,5 bis 3 Millionen aus (vgl. Dathe/Priller 2009). Die Einbindung von Engagement ist dabei ein wesentliches Charakteristikum des Dritten Sektors, auf Leitungsebene wie auch im operativen Geschäft (vgl. Zimmer 2007). Individualisierungs- und Flexibilisierungstendenzen bei den Engagierten stellen die Organisationen dabei vor die Herausforderung, auch kurzzeitige, zeitlich flexible freiwillige Tätigkeiten zu integrieren (siehe oben). Der Anteil der Teilzeitbeschäftigung hat sich im Dritten Sektor von 29 Prozent im Jahr 1996 auf 49 Prozent im Jahr 2008 erhöht. Die Teilzeit hat damit in diesen Organisationen eine wesentlich höhere Bedeutung als im öffentlichen Dienst (29 Prozent) und bei den privatwirtschaftlich erbrachten sozialen Dienstleistungen (38 Prozent). Minijobs sind eine besondere Form der Teilzeitbeschäftigung: 13 Prozent der Beschäftigten im Dritten Sektor waren 2008 geringfügig beschäftigt. Der Anteil der Mini-Jobber liegt zwar niedriger als bei den privatwirtschaftlich erbrachten sozialen Dienstleistungen (17 Prozent), aber mit 12 Prozent leicht über dem Gesamtdurchschnitt. Neben der Teilzeitbeschäftigung ist der hohe Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse typisch für den Dritten Sektor. 2008 waren 15 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse im Dritten Sektor befristet, in dem vergleichbaren Teil der Privatwirtschaft liegt der Anteil bei lediglich acht Prozent. Noch dramatischer ist die Situation bei den Neueinstellungen: Etwa zwei Drittel sämtlicher Neueinstellungen im ersten Halbjahr 2008 erfolgten auf Basis eines befristeten Arbeitsvertrags. Nur im öffentlichen Dienst zeigt sich mit einem Anteil von 73 Prozent eine noch exzessivere Befristungspraxis. Die Ausweitung der befristeten Einstellungen wird durch die Abhängigkeit der Dritt-Sektor-Organisationen von öffentlicher Finanzierung verursacht, die meist in Form von (befristeten) Projektfinanzierungen erfolgt. Die Finanzierung aus arbeitsmarktpolitischen Programmen trägt mit ihrer zeitlichen Beschränkung ebenfalls dazu bei (vgl. Dathe/Hohendanner/Priller 2009, S. 4). Qualitative Aussagen Was bedeutet das für die Arbeitsbedingungen im Dritten Sektor (qualitatives Ausmaß)? Wurde das Nebeneinander verschiedener Tätigkeitsprofile lange Zeit als besonderer Vorteil und als Kennzeichen für flexible Beschäftigungsverhältnisse im Dritten Sektor angesehen, ergeben sich heute zunehmend Fragen nach den Grenzen der Entwicklung hin zu atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Andere Analysen weisen auf die geringe Entlohnung hin und aus den Organisationen des Dritten Sektors werden erste Forderungen nach einem Mindestarbeitslohn gestellt (vgl. Dathe/Priller 2009, S. 531). Wechselwirkungen zwischen Engagement und Erwerbsarbeit Es zeigt sich, dass nicht nur innerhalb des Dritten Sektors zwischen Engagement und Erwerbsarbeit viele Beziehungen und Wechselwirkungen bestehen. Beide Tätigkeits- und Arbeitssphären ergänzen einander (vgl. Zimmer 2007). Ein konkretes Beispiel ist das Handlungsfeld der Altenarbeit und Pflege. Dieser Bereich ist geprägt von einem ungeregelten Nebeneinander der Pflege durch 103 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement Familienangehörige, Verwandte, Nachbarn, bürgerschaftlich Engagierte, legale und halblegale Hilfskräfte, geringfügig Beschäftigte, Um- und Angelernte sowie Fachkräfte. Gleichzeitig steht bereits heute fest, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2020 auf mehr als 2,6 Mio. Menschen ansteigen wird. Der Bedarf an Pflegenden wird um mindestens 20 Prozent höher sein als heute (vgl. Weisbrod-Frey 2008). Bürgerschaftliches Engagement ist eine sinnvolle, an Bedeutung gewinnende Ergänzung professioneller Pflegeleistungen. Es gilt, durch fortzuentwickelnde Formen der Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt einen Beitrag dafür zu leisten, dass kommunikative und seelische Betreuung auch künftig unverzichtbare Bestandteile professioneller Pflegeleistungen bleiben. Zukünftig werden professionelle Pflegekräfte jedoch zunehmend mit Anforderungen eines guten Freiwilligenmanagements konfrontiert. Sie sind gefordert, bürgerschaftliches Engagement als Partner auf Augenhöhe in die Pflege einzubeziehen. Hier besteht Bedarf bei der Fortentwicklung professioneller Standards. Zugleich müssen sich die Engagierten in der Pflege auch an den fachlichen Standards professioneller Pflege orientieren. Engagierte Gruppen benötigen in diesem sensiblen Aufgabengebiet Schulung, Anleitung durch kompetente Fachkräfte sowie professionelles Know-how für die Koordinierung und Organisation (vgl. Koordinierungsausschuss des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE) (2006): Impulspapier »Bürgerschaftliches Engagement in der Pflege«). Verallgemeinert folgt daraus, dass qualitative Aspekte der Beschäftigung und des Nebeneinanders von Haupt- und Ehrenamtlichkeit künftig noch stärker aus der Organisationsperspektive berücksichtigt werden müssen, um Faktoren wie Überlastung, schlechte Arbeitsbedingungen und geringe Entlohnung auf allen Ebenen entgegen wirken zu können. Da gerade im Dritten Sektor die Kombination von regulärer Arbeit und freiwilligem Engagement zunimmt und die Grenzen zwischen beiden Bereichen verschwimmen, sind diesen Fragen im Rahmen verstärkter Forschung mehr Aufmerksamkeit zu widmen (vgl. Dathe/Priller 2009, S. 544ff.). Dies gilt ebenso für die offene Frage, welche Instrumente die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Tätigkeitsprofile sinnvoll unterstützen können (z. B. detaillierte Aufgabenbeschreiben, Schulungen, Freiwilligenmanagement). 104 4.2 Monetarisierung des Engagements Nach der Definition der Enquete-Kommission ist bürgerschaftliches Engagement unentgeltlich. Vor allem in sozialen Einrichtungen existieren jedoch unterschiedliche Formen des Entgelts bzw. der Aufwandsentschädigungen für Engagierte neben der Bezahlung von 1-Euro-, Mini- und Niedriglohnjobs. Beispiel Pflege Mögliche Auswirkungen der Monetarisierung werden z. B. wiederum im Pflegebereich deutlich. Hier existieren bereits unterschiedliche Formen von: • entgeltlichem Engagement: v. a. Aufwandspauschalen auf Stundenbasis, z. B. im Rahmen des § 45c Absatz 3 SGB XI sowie von • im Wesentlichen unentgeltlichem Engagement: Beschränkung auf die Erstattung tatsächlich entstandener Aufwendungen, z. B. Fahrt- oder Telefonkosten. In § 45c Abs. 3 Satz 2 SGB XI ist geregelt: „Die Förderung dieser niedrigschwelligen Betreuungsangebote [...] dient insbesondere dazu, Aufwandsentschädigungen für die ehrenamtlichen Betreuungspersonen zu finanzieren“. Unstrittig ist, dass den ehrenamtlichen Betreuungspersonen tatsächlich entstandene Kosten, zum Beispiel für Fahrgeld, Telefon usw. erstattet werden. Die Förderpraxis hat indessen gezeigt, dass eine Reihe von Trägern von Betreuungsangeboten Aufwandsentschädigungen auf Stundenbasis gewähren, die in Einzelfällen über 10 Euro je Stunde betragen. Argumentiert wird dahingehend, dass im Sportbereich vergleichbare Aufwandsentschädigungen (nach § 3 Nr. 26 EStG, sog. Übungsleiterpauschale) üblich sind und die Empfänger sich durchweg als Ehrenamtliche verstehen. Mit Blick darauf sei Gleichbehandlung gefordert. Engagierte könnten sonst nicht in ausreichender Zahl gewonnen werden und überdies würden alle diejenigen von der Mitwirkung an den Projekten ausgeschlossen, die auf eine Entschädigung in dieser Form angewiesen seien. Demgegenüber wird insbesondere seitens der Kommunen und eines Teils der Akteure im Engagementbereich argumentiert, dass die Praxis der Träger die Basis für das bürgerschaftliche Engagement gefährde, bei dem regelmäßig keine Aufwandsentschädigungen auf Stundenbasis gewährt werden. Eine Festlegung einer Obergrenze auf Stundenbasis wird abgelehnt, unter anderem weil dadurch der Charakter Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement eines Arbeitsverhältnisses mit allen daraus sich ergebenden Konsequenzen entstehe (vgl. Warmbrunn 2009, S. 1). Unumstritten ist dabei, dass die Kompensation von zu wenig (teuren) hauptamtlichen Pflegkräften durch (billige) bürgerschaftlich Engagierte nicht akzeptabel ist. Die 2006 veröffentlichte RICH-Nursing-Studie hat nachgewiesen, dass es sehr deutliche Zusammenhänge zwischen einer guten Qualität der Arbeitsumgebung (Arbeitsbedingungen), einer am Pflegebedarf orientierten Stellenbesetzung des hauptamtlichen Pflegepersonals (Personalschlüssel) und guten Behandlungsergebnissen gibt. Bürgerschaftliches Engagement kann vor diesem Hintergrund nur eine Ergänzung zur professionellen Pflege sein (vgl. Weisbrod-Frey 2008). Erfahrungen aus der Praxis haben auch gezeigt, dass es innerhalb der Einrichtung bestimmte, einforderbare Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit von Hauptamtlichen und Engagierten gegen muss – von der klaren Abgrenzung der beiden Tätigkeitsbereiche über die Schaffung von Beteiligungsstrukturen für die Engagierten bis hin zu Qualifizierungsangebote für beide Seiten (vgl. Kochanek 2008). Insgesamt kann bürgerschaftliches Engagement Hauptamtlichkeit z. B. in der Pflege auch künftig nur sinnvoll ergänzen. Dafür bedarf es bestimmter Rahmenbedingungen. Welchen Einfluss die zunehmende Monetarisierung des Engagements auf diese Rahmenbedingungen hat, ist noch nicht hinreichend wissenschaftlich untersucht. Für die Organisationsperspektive stellen sich in diesem Zusammenhang folgende wichtige Fragen: lich, aber auch im Hinblick auf die individuelle Lebensführung und -sicherung, zahlreiche neue Schwierigkeiten und Chancen mit sich gebracht. Unsichere, oft zeitlich befristete ‚atypische Beschäftigungsformen‘ wie Teilzeitarbeit, Minijobs und MAE-Maßnahmen prägen und dominieren inzwischen vor allem den Dritten Sektor. Dort führt das Nebeneinander von voll Erwerbstätigen, geringfügig Beschäftigten und klassisch ehrenamtlich/unentgeltlich Arbeitenden zu besonderen Herausforderungen: Verantwortlichkeiten und Aufgabenverteilung, Art und Rolle von finanzieller Gratifikation sowie Gestaltungsmacht und Management müssen gut durchdacht werden. Der Bereich der Altenarbeit und Pflege hält viele Praxisbeispiele dafür bereit, dass und auf welche Weise bürgerschaftliches Engagement professionelle und kommerzielle Leistungen ergänzen kann, verdeutlicht aber auch, dass diese keinesfalls verdrängt werden können und dürfen. Im Dritten Sektor, an den der Anspruch herangetragen wird, Erwerbsarbeit und überwiegend unentgeltliches Engagement systematisch sinnvoll und produktiv zu verbinden, ist die durch die spezifische Ausgestaltung der aktuellen öffentlich geförderten Beschäftigung und die quantitative Ausweitung der Zusatzjobs entstehende Konkurrenz mit freiwilligem Engagement inzwischen spürbar. Davon ausgehend, dass eine Wiederherstellung der Vollerwerbstätigkeit unrealistisch ist, erscheint ein Denken in völlig neuen Dimensionen erforderlich, denn öffentlich geförderte Beschäftigung in gemeinnützigen Projekten ist zunächst nichts anderes als ein Substitut für Erwerbstätigkeit. Bürgerschaftliches Engagement kann Erwerbsarbeit nicht ersetzen. Gleichzeitig darf es nicht für die „Verwahrung“ langfristiger und schwer vermittelbarer Erwerbsloser instrumentalisiert werden. • Kann eine Bezahlung zur Folge haben, dass Engagement wie Erwerbsarbeit behandelt wird, eventuell sogar wie Niedriglohnarbeit? • Welche Auswirkungen hat das Nebeneinander von Freiwilligen und 1-Euro-Jobbern auf das Verhältnis beider Gruppen zueinander? • Welche Auswirkungen hat dieses Nebeneinander auf die sozialen Einrichtungen selbst und wie gehen sie damit um? Engagement hat ein großes Potenzial für den Erwerb und Erhalt von Kompetenzen, ohne dabei allein den Erfordernissen des Arbeitsmarktes unterworfen zu sein. Gleichzeitig kann es auf unterschiedliche Weise als Brücke in die Erwerbsarbeit dienen. Die wachsende Flexibilisierung ist nicht nur für Engagierte zunehmend attraktiver, Engagement kann damit auch größere gesellschaftliche Wirkung entfalten. Darüber hinaus hält es in hohem Maße Möglichkeiten der persönlichen Sinnstiftung und Selbstverwirklichung bereit. 5. Fazit Um das Potenzial bürgerschaftlichen Engagements jedoch gesellschaftlich und individuell fruchtbar zu machen, müssen günstige Bedingungen geschaffen werden. Das bedeutet die Gestaltung von Anreiz, Lern- und Ermöglichungsstrukturen, die den Engagierten eine sinnerfüllende Tätigkeit jenseits Die Erosion des lange Zeit den Arbeitsmarkt faktisch und normativ bestimmenden Normalarbeitsverhältnisses und die damit verbundene Pluralisierung und Entgrenzung der Erwerbsarbeit haben gesellschaft 105 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement der auf Einkommen ausgerichteten Erwerbsarbeit ermöglichen. Dafür sind beschäftigungspolitische Instrumente vonnöten, die Erwerbslose nicht unter Androhung von Sanktionen in demotivierendes Quasi-Engagement bringen, sondern die über die freiwillige Teilnahme, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und gute Betreuung zu echtem freiwilligen – und damit eher dauerhaftem! – Engagement ermutigen. Weiterhin besteht für den gesamten Bereich des bürgerschaftlichen Engagements die dringende Notwendigkeit, die Monetarisierungstendenzen und ihre jeweiligen konkreten Umsetzungsformen überlegt einzusetzen und auf ihre Konsequenzen hin zu prüfen. Eine materielle Gratifikation bürgerschaftlichen Engagements kann Zugangsmöglichkeiten zum Engagement erleichtern und damit sozial Benachteiligten mehr Chancen zur Partizipation am Gemeinwesen eröffnen. Hier besteht die besondere Herausforderung darin, den Eigensinn des Engagements nicht zu gefährden und sich dennoch veränderten Rahmenbedingungen und den Interessen Engagierter zu öffnen. Die Debatte zum existenzsichernden und bedingungslosen Grundeinkommen stellt in diesem Zusammenhang eine interessante Perspektive für die Entwicklung von Erwerbsarbeit und bürgerschaftlichem Engagement dar. Eine wesentliche Voraussetzung für bürgerschaftliches Engagement ist eine Infrastruktur, die nicht nur Räumlichkeiten und Sachmittel, sondern auch personelle Ressourcen, Vernetzungshilfen und (Weiter-) Bildungsmöglichkeiten bereitstellt. Dies muss Hand in Hand mit einer partizipationsfördenden Zeitpolitik gehen, die unterschiedlichen Personengruppen eine leichtere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Engagement erlaubt. Veränderungen und Entwicklungen in den Bereichen Erwerbsarbeit und bürgerschaftliches Engagement bewirken Herausforderungen, die eine Durchlässigkeit und Zusammenarbeit beider Systeme erforderlich macht. Dazu gehört, das Verhältnis der verschiedenen Akteure im bürgerschaftlichen Engagement klarer zu bestimmen. Auf gesellschaftlicher Ebene gehören hierzu die Organisationen des Dritten Sektors, die Träger von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und nicht zuletzt Unternehmen, deren Corporate-Citizenship (CC)-Aktivitäten immer mehr in den Fokus rücken. Auf innerorganisatorischer und interaktionaler Ebene zählen dazu insbesondere hauptamtliche bzw. entlohnte Kräfte, Entscheider/innen und Freiwilligenmanager/innen und die Engagierten selbst. Um Überlastung, schlechte Arbeitsbedin106 gungen und unterdurchschnittlich geringe Entlohnung der bezahlt Tätigen zu vermeiden, müssen qualitative Aspekte des Nebeneinanders von Haupt- und Ehrenamtlichkeit stärker aus der Organisationsperspektive berücksichtigt und gründlicher erforscht werden. Wirtschaftsunternehmen können auf unterschiedliche Weise zum bürgerschaftlichen Engagement beitragen: zum einen indirekt, durch die Berücksichtigung gesellschaftlicher Anliegen bei wirtschaftlichen Entscheidungen, etwa umweltpolitischer oder arbeitszeitpolitischer Natur (Corporate Social Responsibility). Im korporatistischen Wirtschafts- und Sozialstaatsmodell Deutschland sind Unternehmensentscheidungen im Binnenbereich durch Umwelt- und Arbeitsschutzgesetze, Mitbestimmungsrechte, Tarifverträge etc. recht weitgehend institutionalisiert, verrechtlicht und in feste Aushandlungsmodelle eingebunden. Der Blick sowohl der Fachwissenschaft als auch der Engagementpolitik richtet sich daher vorwiegend auf CC, also auf das freiwillige Engagement von Unternehmen in der „Außenwelt“ der Gesellschaft (vgl. Backhaus-Maul/Braun 2010). Angesichts der Komplexität des Themas und seiner Bedeutung für die Weiterentwicklung des Themenfeldes „Engagement und Erwerbsarbeit“ wäre idealerweise ein eigenes Kurzgutachten angemessen. Interessante Forschungsaspekte zum Wechselverhältnis Engagement/Erwerbsarbeit in Bezug auf die Unternehmensperspektive wären z. B.: • Welche Optionen für Brückenbildung zwischen Engagement und Beruf sind wünschenswert und möglich? • Welche Human-Resources-/Personalentwicklungs-Modelle werden bereits praktiziert, die die Weiterbildung von Mitarbeiter/innen gezielt mit dem bürgerschaftlichen Engagement verbinden bzw. eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Engagement ermöglichen? Kooperationen auf Augenhöhe zwischen Drittem Sektor und Unternehmen erfordern es, dass beide bereit und in der Lage sind, die Perspektive der jeweils anderen Sphäre einzunehmen, ihre Eigenlogik zu verstehen und anzuerkennen. Kein Bereich darf dabei sein Selbstverständnis und seine handlungsleitenden Prinzipien zum alleingültigen Maßstab erheben. Zusammenfassend besteht ein großer Forschungsbedarf zu Wechselwirkungen von bürgerschaftlichem Engagement und Erwerbsarbeit. Zunächst gilt es, Forschungsergebnisse aus beiden Sphären zu bündeln. Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement Gleichwohl bedarf es weiterführender Studien an den Schnittstellen von Engagement und Erwerbsarbeit. Das Ziel sollte sein, möglichen sozialen Kollateralschäden infolge absehbarer und bereits erkennbarer Kollisionen beider Bereiche vorzubeugen. Zum anderen erscheint es angezeigt, gangbare Wege der Verzahnung beider Bereiche nachzugehen, um hieraus resultierende gesellschaftliche Potenziale und Synergien nutzbar zu machen. Voraussetzung hierfür ist grundsätzlich ein wechselseitiges Verständnis der relevanten Akteure für die grundlegenden, bereichsspezifischen Dynamiken und Handlungslogiken und nicht zuletzt auch eine engagementpolitische Erweiterung des arbeitsmarktpolitischen Blickwinkels hin zu einer umfassenderen beschäftigungspoltischen Perspektive. Anmerkungen 1 Für diejenigen Engagementbereiche, die Kontinuität und Qualitätssicherung durch Qualifikation erfordern, wie z. B. die Pflege, sind solche Entwicklungen durchaus problematisch. (Vgl. BMFSFJ 2009a, S. 91) 2 Laut 2. Freiwilligensurvey finden 85 Prozent der freiwilligen Tätigkeiten unter dem Dach zivilgesellschaftlicher Organisationen statt. (Vgl. Gensicke et al. 2006) 3 Vgl. Gensicke et al. 2006, S. 151: 7 Prozent erhalten für ihr Engagement eine pauschale Aufwandsentschädigung, 2 Prozent ein Honorar und 6 Prozent eine geringfügige Bezahlung. 4 Vgl. Gensicke et al. 2006, S. 153. Deutlich zugenommen hat der Anteil geringfügiger Bezahlungen z. B. bei den freiwilligen Tätigkeiten für Arbeitslose (1999: 2 Prozent, 2004: 6 Prozent). 5 Corsten, Kauppert und Rosa gehen sogar soweit zu behaupten, dass es sich beim viel beschworenen Gemeinsinn um eine Interpretation der eigenen „Wir-Intention“ handelt und die fokussierten Motive Ausdruck der subjektiven Reflektion biografischer Entwicklung sind (Corsten/Kauppert/ Rosa 2008). Dies stellt allgemein kein Hindernis für bürgerschaftliches Engagement dar, sollte jedoch hinsichtlich weiterer Aktivierungsdiskurse berücksichtigt werden. 6 Kocka (2008, S. 221) stellt fest, dass die Erwerbstätigkeit von Menschen über 65 Jahren enorm gesunken ist, unabhägig vom gesetzlich festgelegten, oftmals späteren „offiziellen“ Ruhestandsalter. 7 Dieser Rückgang fällt für die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche und Regionen unterschiedlich aus: Bis zum Jahr 2050 nimmt die Anzahl jedoch in allen Tätigkeitsbereichen ab, da die geburtenstarken Jahrgänge jenes Alter erreicht haben, in dem das Engagement potenziell nachlässt und die nachfolgenden Altersgruppen kontinuierlich kleiner werden. Einen Rückgang gibt es im Bereich Schule und Kindergarten. Gravierender sind die Entwicklungen im Bereich Unfall- und Rettungswesen sowie bei der Feuerwehr – die Anzahl der ehrenamtlichen Tätigkeiten geht um knapp ein Viertel zurück. Auch in den Bereichen Sport und Bewegung sowie in der Jugendarbeit und Erwachsenenbildung liegt der Rückgang aufgrund der hohen Beteiligung junger Teilnehmer mit 20 Prozent eher hoch. Verluste mit ca. 10 Prozent sind in den Bereichen Umwelt-, Natur- und Tierschutz zu erwarten. 8 Eine Einbeziehung veränderter Zeitstrukturen in der Moderne würde hier zu weit führen. Dennoch sei auf die Erfahrung verdichteter Zeitabläufe hingewiesen, wie sie Hartmut Rosa (2005) unter dem Titel „Beschleunigung“ beschreibt: Technische Beschleunigung in Transport, Kommunikation und Produktion haben vordergründig zu individueller Mobilität und Flexibilität beigetragen, verkehren sich in ihrer Wirkung indes ins Gegenteil, d. h. zur Wahrnehmung einer in sich erstarrten und bewegungslosen Beschleunigungsspirale anstelle einer gerichteten Vorwärtsbewegung. Ein aus engagementpolitischer Perspektive relevantes Beispiel sind etwa die Berufspendler/innen, die täglich Stunden in Hochgeschwindigkeits-ICEs verbringen, während derer sie zahlreichen Tätigkeitsbereichen entzogen sind. Und mit Blick auf „verdichtete Produktionsprozesse“ sei auf Gymnasial-Schüler/innen hingewiesen, die sich unter „G8“ einem solchen Druck ausgesetzt sehen, dass sie ihre Stundepläne um Freizeit- und Vereinstätigkeiten kürzen. 9 Bemerkenswert ist indes, dass Eltern mit Kindern ab 4 Jahren häufiger freiwillig engagiert sind als Frauen und Männer der entsprechenden Altersgruppe insgesamt. Dies erklärt sich allerdings dadurch, dass die Kinder selbst häufig Anlass zum Engagement sind, etwa in Schule, Kindergarten, Vereinen (ebd., S. 251). 10 Vgl. die Präambel des Manifests „Zeit ist Leben“ der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik. 11 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2009): Memorandum Familie leben.; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2006): Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit; Deutscher Verein, Observatorium für die Entwicklung der sozialen Dienste in Europa (2009): Zeitpolitik als Instrument der Familienpolitik. Erinnert sei auch an die DGBKampagne „Samstags gehört Vati mir“ anlässlich der Mai-Demonstration 1956. 107 Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement 12 Obschon die o. g. Entgrenzungsprozesse zwischen Erwerbsarbeit und den anderen Lebensbereichen mit Flexibilisierungsprozessen einhergehen (Enquete-Kommission 2002, Bd. 4 S. 420f.), wirkt sich die Flexibilisierung der Erwerbsarbeit nicht einseitig negativ auf bürgerschaftliches Engagement aus. Die Auswirkungen hängen vielmehr von den unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen ab und fallen zudem für weibliche und männliche Beschäftigte unterschiedlich aus. Traditionelle Flexibilisierungsformen wie Schicht- und Wochenendarbeit zeitigen bspw. nach wie vor negative Effekte auf bürgerschaftliches Engagement. 13 Ausgehend von der Definition der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ (Bericht Enquete-Kommission 2002, Band 4, S. 73-90), welche bürgerschaftliches Engagement als freiwillig, nicht auf materiellen Gewinn hin ausgerichtet, als gemeinwohlorientiert und als in der Regel gemeinschaftlich/ kooperativ ausgeübte Tätigkeit charakterisiert, ist von einem Grundunterschied der Systeme „Erwerbsarbeit“ und „Engagement“ auszugehen. Dieser liegt vor allem in der Eigenlogik und dem Eigensinn des bürgerschaftlichen Engagements begründet: Produktivität bezieht sich in seinem Zusammenhang vor allem auf die Bildung von sozialem Kapital. Ganz bewusst wird der Begriff „Tätigkeiten“ verwendet, als Abgrenzung zur ökonomisierten Form von Arbeit. 14 Mit einem Anteil von 40 % stellen die Erwerbstätigen die größte Gruppe unter den rund 23 Mio. Engagierten in Deutschland. 15 Vgl. Gensicke et al. 2006: 27 Prozent der Befragten sind freiwillig engagiert, weitere 48 Prozent sind zu einem Engagement bereit. Besonders auffällig ist der Anstieg des freiwlligen Engagements von Erwerbslosen in den ostdeutschen Bundesländern von 22 Prozent (1999) auf 26 Prozent (2004). 16 Dauerarbeitslosigkeit und daraus resultierende soziale Exklusion gefährden über eine mangelnde Identifikation mit dem Gemeinwesen die elementare Basis einer funktionierenden Bürgergesellschaft. 17 Ein wichtiges Instrument, das nationale Qualifikationen europaweit vergleichbar und transparent machen soll, ist der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR), dessen Kernstück aus acht Referenzniveaus besteht; diese sollen Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen beschreiben, und zwar unabhängig davon, wo und in welchem Zeitraum diese erworben wurden. In Deutschland wird der EQR mit dem Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) umgesetzt, der sich gegenwärtig noch in Arbeit befindet und deshalb noch keine praktische Relevanz besitzt, diese aber nach seiner Fertig108 stellung auch in Bezug auf das bürgerschaftliche Engagement entwickeln kann. 18 Zu dieser Einschätzung kam das Dialogforum 7 Qualifizierung und Organisationsentwicklung für Engagierte und Hauptamtliche des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation des BBE (vgl. BBE 2009, Erster Zwischenbericht). 19 Beispiele dafür sind die Kompetenzbilanzen des Projekts ‚Freiwilligendienste machen kompetent‘ und die des DJI, der ‚ProfilPASS‘, der ‚Qualipass‘, der ‚Kompetenznachweis Kultur‘ und der ‚Youthpass‘ (Hoorn/ Stampfl 2009); außerdem der ‚TalentKompass NRW‘, der ‚Kompetenzreflektor‘ und die ‚Kompetenzwerkstatt für Schüler und Jugendliche‘ (Erpenbeck/von Rosenstiel 2007). Die Webseite www.competences. info des in Münster ansässigen Vereins zur Förderung Lernender Regionen e. 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März 2010: • Uwe Amrhein, Stiftung Bürgermut • Bernward Baule, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz • Thomas Böhme, Staatskanzlei Niedersachsen • Prof. Dr. Elisabeth Bubolz-Lutz, Forschungsinstitut für Geragogik • Gunnar Czimczik, Deutscher Bundesjugendring • Almuth Draeger, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung • Walter Dreßbach, Ehrenamtsagentur Main-Kinzig-Kreis • Katja Eichhorn, Deutscher Caritasverband • Dr. Jörg Ernst, Netzwerk Ruhrgebiet • Ingo Esser, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Matthias Fack, Landesstelle für Katholische Jugendarbeit in Bayern • Max Fischer, meinverein Service GmbH • Andrea Frenzel-Heiduk, Bundesland Bremen, Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales • Peter Friedrich, Martin-Luther-Universität HalleWittenberg • Thomas Haigis, Stadt Filderstadt • Ursula Helms, NAKOS • Dr. Marita Hilgenstock, RWE AG • Katrin Hirseland, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge • Prof. Dr. Gisela Jakob, Hochschule Darmstadt • Dr. Frank Jost, vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung • Thomas Kegel, Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland • Tobias Kemnitzer, Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen • PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement • Ursula Kopp, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Ursula Krickl, Deutscher Städte- und Gemeindebund • Kathrin Kummerow, Engagiert in Deutschland • Dr. Reinhard Lang, UPJ • Jürgen Luig, Hansestadt Lübeck, FB 2 Wirtschaft und Soziales • Frank Mayer, Freiwilligenagentur Bremen • Andreas Pautzke, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement • Mechthild Rawert, MdB • Hildegard Reppelmund, Deutscher Industrie- und Handelskammertag • Christiane Richter, Bundesverband Seniorpartner in School • Dr. Thomas Röbke, Landesnetzwerk Bayern • Heidemarie Rubart, Stiftung Demokratische Jugend • Carola Schaaf-Derichs, Landesfreiwilligenagentur Berlin • Tania-Aletta Schmidt, Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen • Hanns-Jörg Sippel, Stiftung Mitarbeit • Loring Sittler, Generali Zukunftsfonds • Ulrike Sommer, Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen • Ebru Tepecik, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge • Prof. Dr. Ralf Vandamme, Städtetag Baden-Württemberg • Andrea Vasse, Hansestadt Hamburg, Leitstelle für Integration und Zivilgesellschaft • Dagmar Vogt-Janssen, Fachbereich Senioren der Landeshauptstadt Hannover • Joachim Weiß, Deutsches Rotes Kreuz • S teffi Wiesner, Freiwilligenagentur PotsdamMittelmark • Bettina Windau, Bertelsmann Stiftung • André Christian Wolf, Westfälische WilhelmsUniversität Münster • Gunnar Wörpel, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband • Stephan Würz, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Alexander Zachrau, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dialogforum Infrastrukturförderung Vernetzen und Abstimmen – Wer macht was? Bericht über das Dialogforum „Infrastrukturförderung“ am 27. April 2010 im BMFSFJ, Berlin Auf allen föderalen Ebenen existieren Vereine, Initiativen, Anlaufstellen, Mittlerorganisationen und Netzwerke. Sie bilden eine Engagement fördernde Infrastruktur, die das Engagement des Einzelnen ermöglicht und absichert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogforums – dazu gehörten neben Vertretern der verschiedenen föderalen Ebenen und mehreren Ressorts der Bundesregierung auch Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichsten zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaftler und Unternehmensvertreter – waren sich darin einig, dass diese Infrastruktur unerlässlich ist. • die Bedeutung der Engagementpolitik für andere Politikfelder wie z. B. Bildungs-, Gesundheits-, oder Standortpolitik aufzeigen, • den Austausch über engagementpolitische Aktivitäten zwischen verschiedenen Fachbereichen in der Verwaltung unterstützen und Engagementpolitik als strategische Querschnittsaufgabe etablieren, • Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenbringen, um die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zu koordinieren und zu vernetzen, • bestehende und neue Initiativen und Akteure der Bürgergesellschaft unterstützen. Im Dialogforum standen vor allem zwei Aspekte im Vordergrund: die verlässliche Förderung einer Engagement fördernden Infrastruktur auf allen föderalen Ebenen und die Stärkung der Kommunen als engagementpolitische Akteure. Außerdem hoben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hervor, dass eine bessere Abstimmung sowohl zwischen den föderalen Ebenen als auch den unterschiedlichen Ressorts der Bundesregierung zu einer effektiveren Engagementförderung führen würde, die auf bestehenden Strukturen aufbauen und der Entstehung von sogenannten Projektruinen vorbeugen könnte. Zudem wurden Möglichkeiten aufgezeigt, die rechtlichen Rahmenbedingungen im Sinne einer verlässlichen Infrastrukturförderung zu verbessern. So müsse vor allem die Gemeinnützigkeit der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements durch die Finanzämter vor Ort auch in der Praxis anerkannt werden. Ebenso wäre die Anerkennung des bürgerschaftlichen Engagements als Eigenmittel im Rahmen des Zuwendungsrechts förderlich. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hoben hervor, dass der öffentlichen Hand insbesondere bei der verlässlichen Förderung eine Verantwortung für die Sicherung dieser Infrastruktur zukommt. Die gegenwärtig verbreitete Projektförderung sei nicht hinreichend verlässlich. Stattdessen solle durch die öffentliche Hand eine Sockelfinanzierung bereitgestellt werden, die es den Einrichtungen ermöglicht, weitere Mittel für eine Mischfinanzierung einzuwerben. Außerdem müssten vor allem Kommunen als engagementpolitische Akteure vor Ort gestärkt werden, findet Engagement doch vor allem lokal statt. Kommunen sollten darin unterstützt werden, eine strategische Engagementförderung mit den lokalen Akteuren zu entwickeln – selbstverständlich unter Wahrung der kommunalen Selbstverwaltung. Dazu sollten vor Ort insbesondere Anlauf- und Koordinierungsstellen geschaffen werden, die je nach lokalen Gegebenheiten 113 Dialogforum Infrastrukturförderung Ergebnisse Eine aktive Bürgergesellschaft (Institutionen, Initiativen, Netzwerke) bedarf einer verlässlichen und effektiven Infrastruktur (personelle Kapazitäten, Räume und Technik, rechtliche Rahmenbedingungen), um das vielfältig sich entwickelnde bürgerschaftliche Engagement und die Partizipation von Bürgern zu ermöglichen und abzusichern. Sie ist auf allen föderalen Ebenen Voraussetzung, um Engagement zu ermöglichen, zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Der öffentlichen Hand kommt bei der Schaffung, Gestaltung und Verstetigung dieser Strukturen eine zentrale Rolle zu. Dabei kommt es zum einen darauf an, dass Bund, Länder und Kommunen auf den jeweiligen Ebenen eine verlässliche Förderung der bürgerschaftlich getragenen Engagementinfrastruktur gewährleisten. Zum anderen müssen die Kooperation und Koordinierung zwischen den föderalen Ebenen des Staates und den drei Sektoren (Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft) intensiviert werden. Dabei muss eine Antwort auf die Finanzsituation der Kommunen und deren Auswirkung auf die Engagementinfrastrukturförderung gefunden werden. 1. Aufgaben der Bundesregierung bei der verlässlichen Förderung der Infrastruktur Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) 1. In den letzten zehn Jahren hat Engagementpolitik erheblich an Bedeutung gewonnen. Die engagementpolitische Abstimmung der Ressorts der Bundesregierung wird dem bisher nicht gerecht. Die erforderliche Abstimmung zwischen den Ressorts sowie den föderalen Ebenen ist daher nicht ausreichend. Insgesamt muss der Stellenwert der Engagementpolitik weiter gestärkt und eine verlässliche Engagementinfrastruktur geschaffen respektive ausgebaut werden. 114 2. Die gegenwärtige Engagementförderung basiert zunehmend auf kurzfristigen Projekten und Modellvorhaben. Erfolgreiche Ansätze zur Infrastrukturbildung bedürfen jedoch der Verstetigung und damit einer verlässlichen Förderung. 3. Einige rechtliche Rahmenbedingungen stehen der Etablierung einer engagementfördernden Infrastruktur entgegen. Lösungsvorschlag 1. Die engagementpolitische Abstimmung zwischen den Ressorts der Bundesregierung sollte ausgebaut und intensiviert werden. Dies gilt auch für die Abstimmung zwischen den föderalen Ebenen. 2. Eine nationale Engagementstrategie sollte bei der Förderung der Infrastruktur auf bestehende Strukturen in Bund, Ländern und Kommunen aufbauen, zur Weiterentwicklung beitragen und eine verlässliche Förderung sicherstellen. Dabei sollen verbindliche Abstimmungsformate zwischen Bund, Ländern und Kommunen geschaffen werden. Ziel sollte es sein, die kontinuierliche Arbeit von Organisationen, Netzwerken und Initiativen zu unterstützen. Engagementfördernde Infrastruktureinrichtungen auf allen föderalen Ebenen sollen in die Lage versetzt und motiviert werden, durch Ko-Finanzierung (z. B. mit Unternehmen und Stiftungen) ihre Arbeit zu verstetigen. Dazu ist eine nachhaltige Sockelfinanzierung durch die öffentliche Hand unerlässlich. 3. Zudem sollten rechtliche Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie die Etablierung einer verlässlichen engagementfördenden Infrastruktur fördern. Schritte zur Implementierung des Vorhabens 1. Programme des Bundes sollten darauf ausgelegt werden, dass sie Engagement und Partizipation Dialogforum Infrastrukturförderung fördern. Leistungen der Zivilgesellschaft und Unternehmen in bestehenden Programmen sollten sichtbar gemacht und unterstützt werden. Die Bundesregierung wird gebeten, die Maßnahmen der einzelnen Ressorts zur Förderung der Engagementinfrastruktur sichtbar zu machen und zu koordinieren. Der Staatssekretär des für Engagementpolitik federführenden Ressorts sollte die Funktion des Beauftragten der Bundesregierung für Engagementpolitik übernehmen. Zur öffentlichen Darstellung von Erfolgen wie Problemen der Engagementpolitik, als Bezugspunkt für öffentliche Reflexion und Standortbestimmung, als Antriebsmodus für die weitere Ausformung einer effizienten Engagementinfrastruktur und zur Verstetigung der politischen Arbeit auf allen föderalen Ebenen wird die Etablierung eines Berichtswesens im zweijährigen Rhythmus vorgeschlagen. Ein solcher Engagementbericht der Bundesregierung bezieht die föderalen Ebenen und die Stakeholder (Unternehmen, Zivilgesellschaft) mit ein. 2. Die Bundesregierung sollte prüfen, wie eine Sockelfinanzierung für engagementfördende Infrastruktureinrichtungen gestaltet werden kann. Diese Sockelfinanzierung sollte Teil eines Instruments zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements sein. Dieses Instrument sollte folgende Komponenten umfassen: • Infrastrukturförderung (durch eine Sockelfinanzierung), • Programme (themen- und zielgruppenspezifische Angebote), • Innovation/Experimente. Bis zur Umsetzung einer Sockelfinanzierung sollte der Projektförderzeitraum auf deutlich mehr als 3 Jahre erweitert werden. Dabei sollte eine Festbetragsfinanzierung Grundlage sein (vgl. Dialogforum „Reform des Zuwendungsrechts“). Für die Förderung sollte gemeinsam mit den Beteiligten auf die Entwicklung bestimmter Kriterien und Qualitätsziele von engagementfördernder Infrastruktur hingewirkt werden. Sie sollten transparent und einfach sein, damit auch kleinere Initiativen die Möglichkeit haben, Förderungen zu beantragen. 3. Folgende rechtliche Regelungen sollten im Rahmen einer nationalen Engagementstrategie besonders berücksichtigt werden: a. Bei der Förderung kommunaler Infrastruktur durch den Bund ist die Regelung zur Förderung ehrenamtlicher Strukturen in der Selbsthilfe (SGB XI, §45d; SGB V, §20c) beispielgebend. b. Die Bundesregierung wird gebeten, die Umsetzung des § 52 Abs. 2 Nr. 25 AO in die Praxis umzusetzen und dafür Sorge zu tragen, dass die Förderung bürgerschaftlichen Engagements als gemeinnütziger Zweck von den Finanzämtern vor Ort anerkannt wird. c. Bei der Förderung der Partizipation ist die Regelung zur Jugendhilfe des § 71 SGB VIII beispielgebend und sollte zur Übernahme in andere politische Handlungsfelder übernommen werden [Dissens unter den Kommunen]. d . Bürgerschaftliches Engagement sollte im Rahmen des Zuwendungsrechts als Eigenmittel anerkannt werden. 2. Engagementförderung in Kommunen und Regionen Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Bürgerschaftliches Engagement findet vor allem auf lokaler Ebene statt. In den Kommunen wird unmittelbar deutlich, dass der Einzelne durch sein gesellschaftliches Engagement den Zustand des Gemeinwesens beeinflussen und mitgestalten kann. Engagement leistet einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und zur Zukunftsfähigkeit. Der Staat ist mehr denn je auf eine vitale Bürgergesellschaft, ihre Kraft und ihre kreativen Potentiale angewiesen. Städtische und ländliche Räume sind durch eine große Vielfalt der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen wie Problemlagen gekennzeichnet. Förderansätze des bürgerschaftlichen Engagements müssen diese Unterschiedlichkeit berücksichtigen. Mehr als bisher gilt es, die Ressourcen und Kompetenzen vor Ort dauerhaft zu entwickeln. Dies bedeutet, die Autonomie der lokalen Bürgergesellschaft zu stärken und die kommunalen Verantwortungsträger zu ermutigen, mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung in der Kommune zu verwirklichen. Eine engagementfördernde Infrastruktur trägt zur Innovation, Qualität und Attraktivität des jeweiligen Standortes bei. Die Entwicklung der Engagementinfrastruktur in städtischen und ländlichen Räumen sollte daher Teil einer strategischen und systematischen Entwicklung der Engagementförderung sein 115 Dialogforum Infrastrukturförderung und zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie den drei Sektoren (Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft) abgestimmt werden. In vielen Kommunen ist eine strategische Entwicklung der Engagementförderung jedoch noch nicht ausreichend etabliert. Zudem steht Engagementförderung als freiwillige Leistung häufig unter Finanzierungsvorbehalt. Der Bund fördert bislang Modellprojekte, die oft mit kommunalen Konzepten nicht ausreichend abgestimmt sind. Dadurch ist keine kontinuierliche Infrastrukturentwicklung möglich. Der Bund kann derzeit keine Infrastruktur in den Kommunen jenseits von Modellprojekten und -programmen fördern, obwohl der Bedarf besteht. Lösungsvorschlag Durch unterstützende Rahmensetzungen des Bundes, in Abstimmung mit Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden sowie unter Wahrung der kommunalen Selbstverwaltung sollten Kommunen darin unterstützt werden, eine strategische Engagementförderung mit den lokalen Akteuren zu entwickeln. Dazu sollten vor Ort Anlauf- und Koordinierungsstellen (abgestimmt auf die konkreten Bedarfs- und Ausgangslagen) vorhanden sein, die u. a. • die Bedeutung der Engagementpolitik für andere Politikfelder wie z. B. Bildungs-, Gesundheits-, oder Standortpolitik aufzeigen, • den Austausch über engagementpolitische Aktivitäten zwischen verschiedenen Fachbereichen in der Verwaltung unterstützen und Engagementpolitik als strategische Querschnittsaufgabe etablieren, • Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenbringen, um die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zu koordinieren und zu vernetzen, • bestehende und neue Initiativen und Akteure der Bürgergesellschaft unterstützen. Schritte zur Implementierung des Vorhabens Um die Förderung der Infrastruktur besser zu koordinieren, sollte der Bund mit den betreffenden Ressorts ein regelmäßiges Treffen mit den Engagementministern der Länder sowie den kommunalen Spitzenverbänden institutionell verankern. Kommunen sollten zusammen mit den kommunalen Akteuren darin unterstützt werden, ihre Erfahrungen 116 im Bereich der Engagementförderung auszutauschen und sich kollegial zu beraten. Dazu sollten neben der Einrichtung von Landesnetzwerken auch bundesweite Netzwerke gefördert und deren Arbeit eng abgestimmt werden. Die Engagementförderung der Kommunen sollte auf Landesebene vernetzt und koordiniert werden. Bund und Ländern kommt die Aufgabe zu, Plattformen für den Austausch, für die Qualifizierung und Beratung bereit zu stellen und Abstimmung zu ermöglichen. Es sollte geprüft werden, wie der Bund eine allgemeine Förderung der Engagementpolitik übernehmen kann. Zudem sollte der Bund die aufgrund einer fachlichen Zuständigkeit vorhandenen Möglichkeiten (z. B. Gesundheitspolitik, ländliche Räume) nutzen, um Engagementinfrastruktur auf kommunaler Ebene direkt zu fördern. Dazu gehört auch eine Verlängerung von Laufzeiten bei Modellprojekten. Es sollte ein Modellprogramm der Bundesregierung zur engagementfördernden Infrastrukturentwicklung insbesondere in strukturschwachen ländlichen Räumen initiiert werden. Dabei sollten die beteiligten Ressorts ihre Aktivitäten aufeinander abstimmen. Bei Modellprojekten des Bundes sollte mit dem Ziel einer nachhaltigen Implementierung und Vernetzung eine zeitliche Verlängerung in Angriff genommen werden (Projekttransfer, Skalierung). Die Bundesregierung sollte ein Modellprojekt initiieren, das die Kommunen beim Aufbau einer internetbasierten Infrastruktur unterstützt [Dissens]. Langfristig sollte geprüft werden, inwieweit eine Lockerung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Kommunen notwendig und umsetzbar ist. Dabei soll eine verbindliche Abstimmung des Bundes mit Ländern und Kommunen Voraussetzung der föderalen Kooperation sein. Forschung und Evaluation Zur Etablierung einer strategischen Engagementförderung vor Ort ist eine Bestandsaufnahme notwendig. Dazu bedarf es der Evaluation der Instrumente und Qualitätsziele und -kriterien. Der Bund sollte in Abstimmung mit Ländern, den kommunalen Spitzenverbänden und der Zivilgesellschaft Instrumente und Standards der Evaluation von Infrastruktur entwickeln. Dialogforum Infrastrukturförderung Prof. Dr. Gisela Jakob/Dr. Thomas Röbke Gutachten: Engagementförderung als Infrastrukturförderung 1. Stand lokaler Engagementförderung und Auftrag des vorliegenden Gutachtens 1.1 Anlaufstellen und Netzwerke in den Kommunen – ein neuer Typus Engagement fördernder Infrastrukturen Im Kontext der Weiterentwicklung einer nationalen Engagementstrategie kommt dem Aufbau und der nachhaltigen Förderung von Infrastrukturen für das bürgerschaftliche Engagement eine Schlüsselstellung zu. Neben dem reichhaltigen Vereins- und Verbandsleben, welches das bürgerschaftliche Engagement gemeinsam mit politischen Parteien und Kirchen in Deutschland traditionell prägt, lässt sich seit etwa 30 Jahren der Aufstieg eines neuen Typs von Infrastruktur beobachten. Es handelt sich dabei vor allem um Anlaufstellen zur Engagementförderung im lokalen Raum, die neben der Vermittlung von freiwilligen Tätigkeiten und der Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung zivilgesellschaftlicher Anliegen vor allem eine große Kreativität in der Entwicklung neuer Engagementmöglichkeiten an den Tag gelegt haben. Diese Initiativen sind parteilich und konfessionell meist ungebunden und verstehen sich als Plattform und soziale Orte für engagierte und engagementinteressierte Bürgerinnen und Bürger sowie für Organisationen, die mit Engagement befasst sind. Bürgerstiftungen, Mehrgenerationenhäusern, Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros, Selbsthilfekontaktstellen, Bürgerstiftungen, Lokalen Agenda 21-Initiativen, Stadtteilbüros und ähnlichen Einrichtungen zur lokalen Engagementförderung ist gemeinsam, dass sie Aktivitäten bürgerschaftlichen Engagements bündeln, befördern und die Zugangswege dahin ebnen. Dieser neue Typus von Einrichtungen steht für die Bestrebung, das bürgerschaftliche Engagement in seiner Breite und Vielfalt im Gemeinwesen sichtbar und fruchtbar zu machen. Zudem entstanden und entstehen diese Einrichtungen nicht zufällig in einer Phase wachsender gesellschaftlicher Individualisierung, in der immer mehr Menschen eine Vielzahl von Handlungsoptionen (auch für ihr freiwilliges Engagement) erwarten und sich zugleich weltanschauliche Bindungen zunehmend lockern. In der Fachdebatte besteht Einigkeit, dass dieser Typus von Einrichtungen für die Gestaltung einer kommunalen Engagementlandschaft unverzichtbar ist (vgl. Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestags 2002, S. 298ff., Jakob 2010, Olk/Klein/Hartnuß 2010).1 Freilich haben viele dieser Anlaufstellen bis heute keine ausreichende und nachhaltige Finanzierungsgrundlage sicherstellen können. Daneben scheint der Bezug zu den vielfältigen, oft traditionell verwurzelten Engagementmöglichkeiten vor Ort nicht immer zum gegenseitigen Vorteil ausgestaltet zu sein. Vielerorts besteht noch Misstrauen gegenüber diesen neuen Infrastrukturformen, das sich etwa in der Vermutung äußert, die Infrastruktureinrichtungen könnten Ehrenamtliche aus traditionellen Engagementfeldern „abziehen“. Umso wichtiger wurde daher in den letzten Jahren der Aufbau von Netzwerken auf lokaler und überregionaler Ebene. Hiermit konnten bestehende Vorurteile abgebaut und auf einer pragmatischen Arbeitsebene die Kooperationschancen der wachsenden Schar von Akteuren im Feld des bürgerschaftlichen Engagements ausgelotet werden. Gemeinsame Projekte (beispielsweise Patenschaftsmodelle oder Nachbarschaftshilfen) konnten mithilfe dieser entstehenden Netzwerke ermöglicht werden, um damit eine gemeinsame Weiterentwicklung der Engagementlandschaft zu erzielen. Netzwerke des bürgerschaftlichen Engagements wachsen mit dem Wunsch, der bunten und an manchen 117 Dialogforum Infrastrukturförderung Stellen auch wuchernden Engagementlandschaft eine diskursive Plattform zu geben, um gemeinsame Projekte voranzubringen, Doppelarbeit zu vermeiden und die Schnittstellen zu Partnern außerhalb des Dritten Sektors (Wirtschaft, Politik, Verwaltung) zu gestalten, denn diese verlangen in der Regel nach strategisch handlungsfähigen Partnern, die „mit einer Stimme“ sprechen können. Netzwerke scheinen für diese Aufgabe besonders geeignet, weil sie die Selbstständigkeit ihrer Mitglieder auf Augenhöhe wahren und dennoch wichtige Koordinierungsarbeit leisten können (vgl. Röbke 2009). 1.2 Kommunen als Engagementförderer Die entstandenen neuen Infrastrukturen zur Engagementförderung sind Ausdruck dafür, dass sich in vielen Kommunen Ansätze für eine politikfeldübergreifende Engagementpolitik herausgebildet haben (vgl. Bogumil/Holtkamp 2010). Unter Begriffen wie „Bürgerkommune“ und bürgerorientierte Kommune haben seit den 1990er Jahren zahlreiche Gemeinden neue Initiativen zum Ausbau von Bürgerbeteiligung und zur Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements auf den Weg gebracht. „Politikverdrossenheit“ und Veränderungen in den Engagementstrukturen haben dazu beigetragen, dass in vielen Kommunen neue Aktivitäten zur Engagementförderung in Gang gesetzt worden sind. Angesichts von Finanzknappheiten und Haushaltssicherungsprogrammen, aber auch aufgrund von Vorbehalten lokaler Akteure gegenüber neuen Konzepten einer professionellen Engagementförderung hält sich der Ausbau einer flächendeckenden modernen Infrastruktur zur Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements bislang allerdings in Grenzen. Damit die Kommunen ihre Aufgabe zur Engagementförderung wahrnehmen können, müssen sie von der Landes- und der Bundespolitik unterstützt werden. 1.3 Zur Förderung von Infrastrukturen auf Bundes- und Landesebene Allerdings haben Förderprogramme wie das Modell Mehrgenerationenhäuser oder Bündnisse für Familien in den letzten Jahren eine durchaus ambivalente Wirkung entfaltet. Einerseits wurden damit in den Landkreisen und Kommunen durch Kofinanzierung und begleitende Unterstützung Anreize und neue Infrastrukturen geschaffen. Andererseits hinterlassen sie manche Projektruine nach Ablauf der Förderperiode, bis ein neues, ähnliches Förderprogramm aufgelegt wird und damit der Flickenteppich der sich mühsam über Wasser haltenden Anlaufstrukturen und Netzwerke erweitert wird. 118 Vor diesem Hintergrund ist die von der letzten Bundesregierung (Kabinettsbeschluss vom 7. Juli 2009) und nun durch den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung bekräftigte Absicht zu begrüßen, eine „Nationale Engagementstrategie“ im Dialog mit den Partnern der Zivilgesellschaft zu formulieren. So will die Bundesregierung ihre engagementpolitischen Aktivitäten im Dialog mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren besser koordinieren. Nur durch den umfassenden Einbezug der Experten der Zivilgesellschaft kann das Ziel einer nachhaltig wirksamen Infrastruktur des bürgerschaftlichen Engagements erreicht werden. Die Koalitionsvereinbarung bekräftigt ausdrücklich: „Die vielfältigen Investitionen im Engagement sind besser zu fördern, stärker zu vernetzen und vor allem denen zugänglich zu machen, die wir für bürgerschaftliches Engagement begeistern wollen. Wir wollen eine Nationale Engagementstrategie u. a. zusammen mit dem Nationalen Forum für Engagement und Partizipation umsetzen, ein Gesetz zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements verfolgen, das alle geeigneten Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Infrastruktur und Stabilisierung von Engagement und Partizipation berücksichtigt und zur Bündelung, Abstimmung und Weiterentwicklung von Förderprogrammen ein geeignetes bundeseinheitliches Förderinstrument aufstellen.“ (Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP, S. 80. In: http://www.cdu.de/doc/ pdfc/091026-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf) Auch auf Landes- und Bundesebene sind in den letzten Jahren – häufig mit Unterstützung durch die jeweilige Landes- und Bundespolitik – Netzwerke und Zusammenschlüsse zur Engagementförderung entstanden. In einem Teil der Bundesländer sind Landesnetzwerke gegründet worden, in denen sich zivilgesellschaftliche Organisationen und/oder Kommunen zusammengeschlossen haben. Die entscheidende Neugründung auf der Bundesebene war 2002 das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) als trisektoraler Zusammenschluss von Engagement fördernden Organisationen. Hinzu kommen auf Landes- und Bundesebene Dachorganisationen und Zusammenschlüsse der Freiwilligenagenturen, der Selbsthilfekontaktstellen, der Seniorenbüros etc., bei denen die politische Interessenvertretung sowie die fachliche Unterstützung ihrer Mitgliederorganisationen im Vordergrund stehen. 1.4 Anforderungen an eine systematisch angelegte Engagementpolitik Im Fokus des hier vorgelegten Gutachtens steht die lokale Engagementförderung und die Entwicklung Dialogforum Infrastrukturförderung von Ideen und Vorschlägen, wie insbesondere die Infrastrukturen in den Kommunen unterstützt werden können. Ausgehend von einer Sichtung der bestehenden „Engagementlandschaft“ und unter Berücksichtigung vorliegender Expertisen wird es darum gehen zu eruieren, was die Kommunen für den Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur zur Engagementförderung brauchen. Ziel wäre eine Engagementpolitik, die • den Spagat schafft zwischen der Vielfalt und Dynamik einer wachsenden Engagementlandschaft – die ja nicht beschnitten werden soll – und einem „ordnungspolitischen“ Paradigma, Fördermittel möglichst effizient und effektiv einzusetzen; • im Sinne der Bürgerinnen und Bürger eine leicht zugängliche, transparente und verlässliche Infrastruktur des Engagements zu gestalten hilft; • es ermöglicht, dass traditionell verwurzeltes Ehrenamt in Kirchen, Parteien, Vereinen und Verbänden mit neueren Formen des bürgerschaftlichen Engagements, die sich aus den Initiativen der letzten vier Dekaden entwickelt haben, Synergien entwickelt, statt Konkurrenz pflegt; • zur steten Weiterentwicklung kommunaler „Engagementlandschaften“ und notwendiger übergreifender Vernetzungsstrukturen beiträgt; • den Eigensinn des bürgerschaftlichen Engagements und seine Verortung im sozialen Nahraum beachtet; • Einrichtungen, Dienste und Unternehmen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens darin unterstützt, sich für Engagement und Partizipation zu öffnen, um die Lebensqualität des gemeinschaftlichen Zusammenlebens zu verbessern; • (mehr) Bürgerinnen und Bürger für das freiwillige Engagement für ihre Mitmenschen zu begeistern imstande ist. Diese inhaltlichen Ziele sind allerdings nur konstruktiv anzugehen, wenn zugleich über die Art und das Selbstverständnis des Verhältnisses von Staat und Zivilgesellschaft weiter nachgedacht wird. Viele Schlagwörter, vom ermöglichenden Staat bis zu Good Governance machen die Runde. So richtig deren gedanklicher Ausgangspunkt ist – zumal bei der Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Zivilgesellschaft – so wenig ausformuliert sind die Methoden und Instrumente einer nachhaltigen Förderung neuer zivilgesellschaftlicher Infrastrukturen durch den Staat. In den letzten Jahren wurde nicht zuletzt im Kontext zivilgesellschaftlicher Diskussionen die Frage aufgeworfen, ob die Verfahren des Zuwendungsrechts optimiert werden müssten2, da sie im Kern obrigkeitsstaatliches Denken perpetuierten und das Prinzip einer gemeinsamen Augenhöhe zwischen Staat und Zivilgesellschaft nicht einlösen könnten. Umgekehrt sind Verfahren des Leistungsaustausches, wie sie sich vor allem auf kommunaler Ebene mit der Ausbreitung des Neuen Steuerungsmodells (Berichtswesen, Benchmarking, Leistungsverträge, Zielvereinbarungen, Unternehmen Stadt etc.) ausgebreitet haben, für die Förderung des bürgerschaftlichen Engagement problematisch, weil sie dessen Eigensinn beschneiden und zu einer „Verdienstleistung“ des Engagements beitragen können. In dem vorliegenden Gutachten wird vorgeschlagen, ein prozess- und dialogorientiertes Förderverfahren zu entwickeln, das von den kommunalen (und regionalen) Perspektiven für die Gestaltung der jeweiligen lokalen Engagementstrukturen ausgeht. Das bedeutet, dass die Konzipierung einer kohärenten kommunalen Engagementpolitik ein fundamentaler Bestandteil einer auf Nachhaltigkeit angelegten Infrastrukturförderung sein muss. Dabei gilt es, den Governanceprozess der Formulierung von Engagementstrategien durch örtliche Akteure und die finanzielle Unterstützung der dabei entwickelten Maßnahmen und Ziele fördertechnisch zusammen zu bringen. Vorbilder hierfür finden sich in verschiedenen Dorferneuerungsprogrammen einzelner Bundesländer, die schon seit Jahrzehnten erfolgreich durchgeführt werden, sowie auch in den Förderrichtlinien des LEADER(+)-Programms, einer Initiative der EU zur Stärkung ländlicher Räume. Ähnliche Ansätze verfolgt derzeit das Bundesmodellprogramm „Aktiv im Alter“ des BMFSFJ, bei dem neue Projekte in enger Absprache mit den Kommunen initiiert werden, oder auch das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“, bei dem die Kommunen vor einer Förderung ein Konzept für ihren Beitrag entwickeln müssen. Diese Förderverfahren könnten wichtige Hinweise für die Konstruktion einer nationalen Engagementstrategie liefern, die sich an dem Leitbild eines ermöglichenden Staates orientiert. Ein zweiter interessanter „Baustein“ einer nachhaltigen Förderpraxis könnte der Aufbau eines Bundesfonds sein, der die Selbststeuerungspotenziale der Zivilgesellschaft bewusst in das Förderverfahren einbezieht. Dieser Fonds hätte den Vorteil, gegenüber Förderanträgen offener reagieren zu können als dies in der Regel klassische Förderrichtlinien von Modellprogrammen zulassen. Eine fondsbasierte Förderung wäre ein passendes Pendant zu einem Antragsverfahren, das die jeweiligen örtlichen Vorbedingungen konstruktiv und flexibel aufgreift.3 119 Dialogforum Infrastrukturförderung 2. Zwischenergebnisse des „Nationalen Forums für Engagement und Partizipation“ und andere Stellungnahmen zum Thema Das hier vorgelegte Gutachten knüpft an die intensiven Diskussionen der ersten beiden Sitzungen des „Nationalen Forums für Engagement und Partizipation“ am 27.04.2009 und 15.05.2009 in Berlin an (vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009a) und berücksichtigt die Stellungnahmen einzelner Einrichtungen und Verbände, die als Kommentare zu den Verhandlungen des Nationalen Forums nach Veröffentlichung des Zwischenberichtes beim Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement eingegangen sind (vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009b). Das Dialogforum 1 hat sich dezidiert mit der Frage der „Infrastruktur: Engagementangebote und Engagementförderung in Bund, Ländern und Kommunen“ befasst. Gesonderte Stellungnahmen wurden u. a. von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft der Selbsthilfegruppen, dem Malteser Hilfsdienst und den im Deutschen Caritasverband zusammengeschlossenen Freiwilligenzentren verfasst. In all diesen Beiträgen ist eine hohe Übereinstimmung in den Aufgabenbeschreibungen der Einrichtungen und Kernforderungen zu sehen, die an eine künftige nationale Engagementstrategie zu richten sind: Aufgaben „Engagement fördernde Infrastrukturen sollten • Akteure beraten, qualifizieren und begleiten, • deren Aktivitäten koordinieren und Kooperationen herbeiführen bzw. unterstützen, • (politische) Teilhabe auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene einfordern und fördern, • „ Entrepreneurship“ und eine gesellschaftliches Engagement unterstützende Organisationsentwicklung (…) bei den Akteuren vorantreiben • und sich darüber hinaus für eine zukunftsgerichtete Weiterentwicklung von Engagementangeboten und Engagementförderung auf der jeweiligen Ebene bzw. für das jeweilige Themenfeld oder die jeweilige Zielgruppe verantwortlich sehen.“ (Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009a, S. 34) Abgestimmte Förderstrategien In den Stellungnahmen wird eine nachhaltige Förderung der Engagementinfrastrukturen und eine Abkehr von kurzfristigen Modellfinanzierungen gefordert: 120 • Auch wenn der Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur eine gemeinsame Angelegenheit von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ist, wird bei realistischer Betrachtung die Grundlast einer Sockelfinanzierung durch die öffentliche Hand zu tragen sein, da es bei der Engagementförderung schwierig ist, nennenswerte Eigeneinnahmen zu generieren. Grenzen zwischen bezahlten Dienstleistungen und ehrenamtlicher Tätigkeit müssen gewahrt bleiben. Zudem ist es kaum möglich, Unternehmen oder Mäzene für Aufgaben der Regelfinanzierung dauerhaft zu gewinnen. • Dennoch findet ein massiver „Return of Investment“ statt. Um diesen sichtbar zu machen, sollte bürgerschaftliches Engagement als Eigenanteil bei Förderungen umfassend anerkannt werden. Dies ist derzeit nur von Fall zu Fall und mit einem hohen bürokratischen Aufwand möglich. • Top-down-Strategien, die zum Teil bei Bundesmodellprojekten praktiziert werden, sind kontraproduktiv, das sie oft zu „kopflastigen“ und praxisfernen Förderprogrammen führen, die für die Akteure vor Ort nicht mehr finanzierbar sind (vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009b, S. 67ff.). • Es bedarf einer abgestimmten Förderstrategie zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die vorhandene Praxis in den Kommunen sollte dabei starke Beachtung finden. Vernetzung der Engagement fördernden Einrichtungen und Organisationen • Bürgerschaftliches Engagement muss in Netzwerken und Anlaufstellen als Querschnittsthema sichtbar gemacht werden. • Anlaufstellen und Infrastruktureinrichtungen sollten als Mittlerorganisationen unabhängig von Trägerlogiken und -egoismen handeln können, um dialogfähig zu sein, Kooperationen anzuregen und Netzwerke zu initiieren. • Kommunale Infrastrukturen sollten allerdings, auch wenn sie trägerunabhängig sind, gut in der jeweiligen „Engagementlandschaft“ vernetzt sein und mit der Kommune kooperieren. In der Kommunalverwaltung selbst sollten eigene Ansprechpartner und Anlaufstellen eingerichtet werden, die auch intern an dem Umbau zu einer bürger- und engagementfreundlichen Verwaltung mitwirken. Die Thematik nachhaltiger Infrastrukturen durchzieht die Stellungnahmen und Expertisen, die sich mit der Weiterentwicklung der Engagementlandschaft befassen, allerdings schon seit etwa einer Dekade. So empfiehlt die Enquete-Kommission „Zukunft des Dialogforum Infrastrukturförderung Bürgerschaftlichen Engagements“ (2002) in ihrem Bericht den Ausbau der lokalen Infrastruktur zur Engagementförderung und spricht sich dabei für kooperative Konzepte aus. Schon 2002 stellte sich die Problematik, bei wachsender Vielfalt an Infrastruktureinrichtungen und in Anbetracht der finanziellen Situation zu integrierten Lösungen zu kommen. Der Vorrang der Kommunen dürfe allerdings nicht Anlass für Bund und Länder sein, sich aus der Engagementförderung zurück zu ziehen. Die Kommunen seien demnach mit einem systematischen Aufbau von Infrastrukturen allein überfordert. Erst als Gemeinschaftsaufgabe aller föderalen Ebenen könne die Förderung lokaler Infrastrukturen auf sicheren Füßen stehen (ebd., S. 314ff.). Partnerschaften, Kooperationsverbünden oder lokalen/regionalen/landesweiten Netzwerken zusammenzuschließen, geht in die richtige Richtung. (...) Es [gilt] erfolgreiche Beispiele der Projektkooperation und Vernetzung stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen (...) Einer dieser Erfolgsfaktoren ist der Aufbau von stabilen Einrichtungen wie z. B. Freiwilligenagenturen, Freiwilligenzentren, Seniorenbüros und Selbsthilfekontaktstellen von Kommunen und Verbänden oder auch Bürgerstiftungen. (...) Deshalb ist es besonders wichtig, die engagementstärkende Infrastruktur dieser intermediären Einrichtungen finanziell abzusichern“ (vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2005). Zudem spricht sich die Enquete-Kommission für eine nachhaltige Förderung der vernetzenden Dachorganisationen wie NAKOS, BaS, bagfa etc. aus. 3. Überblick über Infrastrukturen und Anlaufstellen zur lokalen Engagementförderung Die Empfehlungen der Enquete-Kommission in diesen Punkten sind bis heute nicht umgesetzt. Zwar war die Gründung des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement ein unmittelbares Resultat des Kommissionsberichtes. Die Dachorganisationen (siehe die anhaltende Debatte um NAKOS u. a.) sind hingegen nicht nachhaltig abgesichert. Im Gegenteil: Ihre Finanzierungsgrundlagen scheinen immer fragiler zu werden. Weder hat der Bund ein Modellprogramm für lokale Anlaufstellen des bürgerschaftlichen Engagements entwickelt noch mit einer Förderung zur konsequenten Kooperation der schon bestehenden Einrichtungen wie Seniorenbüros, Selbsthilfekontaktstellen und Freiwilligenagenturen beigetragen. Stattdessen wurden aus den Bereichen einzelner Fachpolitiken heraus neue Modellprojekte und Einrichtungsformate entwickelt, die in einem Teil der Kommunen große Überschneidungen mit den bestehenden Infrastrukturen aufwiesen. Dies gilt etwa für das Programm Mehrgenerationenhäuser oder die Leuchtturmprojekte der „Freiwilligendienste aller Generationen“. 3.1 Zum Begriff „Infrastrukturen“ der Engagementförderung Aus den vielen weiteren Diskussionsbeiträgen, die in den folgenden Jahren veröffentlicht wurden, sei an dieser Stelle noch das Diskussionspapier des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagements „Zukunftstrends der Bürgergesellschaft“ erwähnt, das vom Koordinierungsausschuss des BBE 2005 verabschiedet wurde. Um zu einer verbesserten Passung von Angebot und Nachfrage im bürgerschaftlichen Engagement unter dem Druck wachsender Konkurrenz um materielle Ressourcen zu gelangen, wird auch an dieser Stelle auf die zentrale Bedeutung nachhaltiger Infrastrukturen und sozialer Netzwerke hingewiesen: „Der Trend, sich zwecks langfristiger Stärkung des Bürgerengagements zu strategischen • Dies sind zunächst einmal die eigenständigen Einrichtungen, die trägerübergreifend bürgerschaftliches Engagement in den Kommunen anregen, fördern und weiterentwickeln. Dazu gehören die Freiwilligenagenturen und vergleichbare Einrichtungen, Seniorenbüros, Selbsthilfekontaktstellen, Bürgerstiftungen, Mehrgenerationenhäuser, Lokale Bündnisse für Familien, Lokale-Agenda-21Initiativen etc. • Zu den Infrastrukturen lokaler Engagementförderung gehören natürlich auch die Anlauf- und Koordinierungsstellen in den Kommunalverwaltungen, die als Ansprechpartner für das Engagement sowie auch als Akteure zur Anregung und Ein empirischer Blick auf die Szene der Infrastruktureinrichtungen und Netzwerke bezeugt ein beeindruckendes Wachstum seit Mitte der 1990er Jahre. Nach wie vor sind die Einrichtungen und Zusammenschlüsse allerdings unzureichend abgesichert, und viele Einrichtungen befinden sich in einer prekären Situation (vgl. Lang 2010). Auch die Fragen nach der Kooperation der verschiedenen Infrastruktureinrichtungen vor Ort sowie ihre Rolle in der Kommune stehen nach wie vor auf der Tagesordnung. Wenn in der Fachdebatte von Infrastrukturen der Engagementförderung die Rede ist, dann sind damit grundlegende Einrichtungen, Zusammenschlüsse und Angebote gemeint, mit denen bürgerschaftliches Engagement ermöglicht und gefördert wird. Engagement fördernde Infrastrukturen gibt es in allen gesellschaftlichen Sektoren und auf allen föderalen Ebenen. 121 Dialogforum Infrastrukturförderung Ermöglichung des Engagements vor Ort wirken. Diese Anlaufstellen unterscheiden sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Profile, und sie sind mit ganz unterschiedlichen Aufträgen ausgestattet. • Darüber hinaus haben sich in einzelnen Kommunen auch eigenständige Einrichtungen zur Engagementförderung wie z. B. das „Zentrum Aktiver Bürger“ in Nürnberg (Röbke 2008a) herausgebildet, die als zivilgesellschaftliche Organisation einen umfassenden Auftrag zur Unterstützung des Bürgerengagements wahrnehmen und dabei von der Kommune unterstützt werden. • Infrastrukturen zur Engagementförderung gibt es natürlich auch innerhalb von Organisationen wie Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, örtlichen Vereinen, Einrichtungen und Stiftungen. Wenn innerhalb eines Verbandes oder einer Einrichtung Strukturen zur Gewinnung und Begleitung Ehrenamtlicher bereit stehen, dann sind dies Infrastrukturen zur Engagementförderung. • Auch die landes- und bundesweiten Zusammenschlüsse, die auf die Förderung bürgerschaftlichen Engagements zielen, sind Infrastrukturen zur Engagementförderung. Letztendlich gehören auch die Stabsstellen in den Landesregierungen sowie Einrichtungen wie die Landes-Ehrenamtsagentur Hessen, die im Auftrag der Landesregierung Engagementförderung betreiben, zu den Infrastrukturen. 3.2 Eigenständige Infrastruktureinrichtungen, Anlaufstellen und Netzwerke zur Engagementförderung Die Infrastrukturentwicklung von Anlaufstellen zur lokalen Engagementförderung begann in den 1980er Jahren mit dem Aufbau lokaler Selbsthilfekontaktstellen. Die „Landschaft“ Engagement fördernder Einrichtungen in den Kommunen hat sich seither vielfältig ausdifferenziert (vgl. zum Folgenden ausführlich Jakob 2010). In den 1990er Jahren kamen, angestoßen durch ein Bundesmodellprojekt, die Seniorenbüros hinzu. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre sind zahlreiche Freiwilligenagenturen und -zentren entstanden, die sich seither in vielen Städten und Gemeinden etabliert haben. Ebenfalls Ende der 1990er Jahre wurden, angeregt durch das Vorbild der amerikanischen Community Foundations, die ersten Bürgerstiftungen gegründet, die sich seither – zumindest was die Zahl der Neugründungen angeht – zu einem Erfolgsmodell entwickelt haben. Forciert durch Modellprogramme unter der Federführung des BMFSFJ sind in den letzten Jahren weitere Einrichtungen und Zusammenschlüsse wie Lokale Bündnisse für Familien und Mehrgenerationenhäuser entstanden, die bei ihren Aufgaben zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und zum Aufbau neuer 122 Generationenbeziehungen auf zivilgesellschaftliche Strukturen und bürgerschaftliches Engagement zurückgreifen. Dies ist aber in den einzelnen Einrichtungen unterschiedlich ausgeprägt, und Engagementförderung steht keineswegs im Fokus aller Mehrgenerationenhäuser und Lokaler Familienbündnisse. Bundesweit verbreitete Engagement fördernde lokale Infrastrukturen Einrichtungstypus Anzahl Freiwilligenagenturen/-zentren ca. 3004 Seniorenbüros ca. 2505 Selbsthilfekontaktstellen 2126 Lokale Bündnisse für Familie 5997 Mehrgenerationenhäuser 5008 Bürgerstiftungen 2379 Die Zusammenstellung zeigt, dass sich mittlerweile eine vielfältige „Landschaft“ Engagement fördernder Einrichtungen herausgebildet hat, die träger- und zielgruppenübergreifend tätig sind. Bei der Aufzählung muss allerdings beachtet werden, dass sich die Einrichtungen je nach den lokalen Gegebenheiten und abhängig von finanziellen und personellen Rahmenbedingungen erheblich voneinander unterscheiden. Dies gilt für ihre Personalausstattung, für ihr Selbstverständnis und ihre Arbeitsweise sowie auch für die Einbindung in die Kommune und die Kooperation mit anderen Organisationen vor Ort. Ein entscheidender Unterschied besteht darin, dass Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros, Selbsthilfekontaktstellen und Bürgerstiftungen ihren Kernauftrag in der Förderung von Engagement und Selbsthilfe sehen. Ihre Aktivitäten sind auf die Beratung und Vermittlung engagementinteressierter Bürgerinnen und Bürger, auf die Beratung von Vereinen und Kommunen sowie auf die Entwicklung neuer Engagementgelegenheiten und Projekte fokussiert. Mehrgenerationenhäuser und Lokale Bündnisse für Familien nutzen hingegen das bürgerschaftliche Engagement, um ihren jeweiligen Auftrag wie die Verbesserung der Generationenbeziehungen oder die Schaffung einer familienfreundlichen Kommune zu realisieren. Im Zentrum steht nicht die Förderung von Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement an sich, sondern das Engagement ist Mittel zum Zweck, um die jeweiligen familien-, generationen- und Dialogforum Infrastrukturförderung demografiepolitischen Zielsetzungen zu verwirklichen. Dieses unterschiedliche Verständnis von Engagement und Engagementförderung könnte den Hintergrund dafür abgeben, dass im Selbstverständnis einiger Mehrgenerationenhäuser und noch stärker in der Selbstpräsentation Lokaler Familienbündnisse der Bezug auf bürgerschaftliches Engagement fehlt. So ermittelt zwar die Wirkungsforschung, mit der das Modellprogramm der Mehrgenerationenhäuser begleitet wird, eine Zahl von ca. 15.000 Ehrenamtlichen, die in den Einrichtungen tätig sind, dort mittlerweile 61 Prozent des Personals ausmachen und ein Viertel der Arbeitsstunden erbringen (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2008, S. 22 ff.). Dies gestaltet sich jedoch in den einzelnen Mehrgenerationenhäusern sehr unterschiedlich. Nach wie vor gibt es Einrichtungen, die darauf ausgerichtet sind, nach dem Muster klassischer sozialer Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft professionelle Dienstleistungen z. B. in der Kindertagesbetreuung zu erbringen und die dabei keine Bezüge zum bürgerschaftlichen Engagement herstellen. 3.3 Weitere Infrastrukturen und Einrichtungen Zusätzlich zu diesen eigenständigen Einrichtungen kommen weitere engagementfördernde Einrichtungen hinzu, die allerdings aufgrund ihrer Heterogenität nicht quantitativ erfasst sind. Weitere Engagement fördernde Einrichtungen in Kommunen Einrichtungstypus Lokale Anlaufstellen zur Engagementförderung (innerhalb der Kommunalverwaltung oder als eigenständige Einrichtungen) tadtteilbüros (im Rahmen des Programms Soziale S Stadt-Programms) Dorfläden u.a. Einrichtungen zur Dorferneuerung Nachbarschaftshäuser Soziokulturelle Zentren Lokale Agenda 21-Initiativen Eltern-Kind- und Familienzentren Pflegestützpunkte Etc. Viele Kommunen haben lokale Anlaufstellen zur Engagementförderung direkt in der Kommunalverwaltung geschaffen. Diese Freiwilligen- und Ehrenamtsagenturen, Koordinationsstellen für bürgerschaftliches Engagement etc. sind Ansprechpartner für einzelne Bürgerinnen und Bürger ebenso wie für die Vereine und Verbände vor Ort. Sie informieren engagementinteressierte Bürgerinnen und Bürger, beraten Vereine in Engagementfragen, entwickeln gemeinsam mit lokalen Akteuren neue Projekte und koordinieren Qualifizierungsangebote. In Baden-Württemberg ist diese Variante Engagement fördernder Einrichtungen infolge der Engagementpolitik des Landes und deren Ausrichtung auf Kommunen sehr weit verbreitet. Aber auch Kommunen in anderen Bundesländern haben solche Stellen eingerichtet. Insbesondere kleine Gemeinden, für die die eigenständige Einrichtung einer Freiwilligenagentur zu aufwändig wäre, sowie Landkreise nutzen die Anlaufstellen in der Verwaltung, um die Engagementförderung in ihren Gemeinden anzuregen und zu koordinieren. Mit einer engen Anbindung der Infrastruktureinrichtungen an die Kommunen ist sichergestellt, dass die Engagementförderung ein kommunales Anliegen ist und dementsprechend von Kommunalpolitik und -verwaltung politisch und finanziell mitgetragen wird. Allerdings ist mit einer solchen kommunalen Ausrichtung auch eine starke Abhängigkeit von der Kommune und von politischen Machtstrukturen verbunden. Auch nach einem Wechsel an der politischen Spitze oder einer Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Kommunalparlament muss deshalb sichergestellt sein, dass Strukturen der Engagementförderung erhalten bleiben. Die „Landschaft“ von Infrastrukturen zur Unterstützung von Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement wird noch vielfältiger und zugleich unübersichtlicher, wenn man die zahlreichen Organisationen und Zusammenschlüsse hinzunimmt, die sich in einzelnen Kommunen vor dem Hintergrund lokaler Traditionen entwickelt haben: Nachbarschaftshäuser, soziokulturelle Zentren, Lokale Agenda 21-Initiativen, Stadtteilbüros im Rahmen des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ sowie Eltern-Kind- und Familien-Zentren. Hinzu kommen seit kurzem Pflegestützpunkte, die den Auftrag haben, engagierte Bürgerinnen und Bürger stärker als bislang in die Pflegeberatung und -begleitung zu integrieren oder auch die seit letztem Jahr bestehenden Servicestellen für Bildungspatenschaften unter der Federführung der Staatsministerin für Integration. Diese Einrichtungen reagieren auf gesellschaftliche Veränderungen und damit einhergehende Problem123 Dialogforum Infrastrukturförderung lagen und setzen bei deren Bearbeitung auf Bürgerbeteiligung und -engagement sowie auf sektorenübergreifende Kooperationen. Sie arbeiten dabei mit Kommunalverwaltung und -politik, mit öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und mit privatwirtschaftlichen Akteuren wie Geschäften und Unternehmen zusammen. Allerdings unterscheiden sich die Einrichtungen und Zusammenschlüsse vor Ort stark in der Art und Weise, wie ernst sie bürgerschaftliches Engagement nehmen und wie sie die Beziehungen zu anderen lokalen Akteuren gestalten. Mit diesen Einrichtungen bildet sich ein neuer Organisationstyp heraus, der sich durch eine intermediäre Rolle und die Vermittlung zwischen verschiedenen sozialen Welten auszeichnet (vgl. Bertelsmann Stiftung 2008). In Lokalen Bündnissen für Familie kooperieren Partner aus der Kommunalpolitik, freien Trägern und sozialen Einrichtungen sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen und Wirtschaftsverbänden. In Mehrgenerationenhäusern werden mit der Unterstützung von Existenzgründerinnen und Existengründern und mit der Bereitstellung von Dienstleistungen für Unternehmen unternehmerische Handlungslogiken erprobt. Die Freiwilligenagenturen bringen mit Projekten wie Freiwilligentagen, Marktplätzen und „Seitenwechseln“ gemeinnützige Träger mit Unternehmen zusammen und stiften dabei neue Kooperationsbeziehungen. Ob daraus dauerhafte Kooperationen und neue Modelle einer Aufgabenund Verantwortungsteilung im Sinne eines kommunalen Welfare Mixes entstehen (vgl. Olk 2007; Klie/ Roß 2005), muss sich allerdings erst noch erweisen. 3.4 Aktuelle Probleme und förderpolitischer Handlungsbedarf In der Fachdebatte besteht Konsens, dass es einer zumindest grundständigen Förderung von Infrastruktureinrichtungen bedarf und dass dies eine öffentliche Aufgabe ist (vgl. Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ 2002: 317; Klie u. a. 2004). Auch in programmatischen Äußerungen auf der Bundesebene, im Rahmen der vom BMFSFJ gestarteten Initiative „ZivilEngagement Miteinander – Füreinander“, werden Bürgerstiftungen, Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros und Mehrgenerationenhäuser als wichtige Infrastrukturen für das Engagement vor Ort gesehen, die der staatlichen Unterstützung bedürfen (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2007). Ein differenzierter Blick auf den Stand lokaler Engagementförderung und auf die bundesweiten Förderaktivitäten verweist allerdings auf Probleme. So be124 steht ein offensichtliches „Missverhältnis“ zwischen den verbalen Bekundungen auf der politischen Ebene einerseits und der finanziellen Anerkennung und Absicherung der Engagement fördernden Einrichtungen andererseits (Evers/Riedel 2004). Nur ein Teil der Kommunen nimmt die Aufgabe wahr, moderne Strukturen zur Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement aufzubauen. Dies ist nicht nur der Finanzknappheit der Gemeinden geschuldet, sondern auch Ausdruck dafür, dass Vorstellungen von lokaler Demokratie und Konzepte einer professionellen Engagementförderung bislang nicht überall auf Akzeptanz stoßen. Viele der Engagement fördernden Einrichtungen befinden sich in einer ungesicherten Situation. Ihre Personalausstattung, die sich zum großen Teil auf eine Vollzeitstelle oder gar nur auf eine Teilzeitstelle beschränkt, ist unzureichend. Nur ein Teil der Einrichtungen kann auf der Basis einer zumindest mittelfristig gesicherten finanziellen Grundlage arbeiten. Für viele der Einrichtungen gilt hingegen, dass ihre finanzielle Situation prekär und ihre Existenz akut gefährdet ist. Während Anlaufstellen, die in die Kommunalverwaltung eingebunden sind, vergleichsweise sicher etabliert sind, haben vor allem eigenständige Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros u. a. in der Trägerschaft eines Vereins mit unsicheren finanziellen Rahmenbedingungen zu kämpfen. Nach wie vor müssen Einrichtungen aus finanziellen Gründen ihre Arbeit einstellen. Bei den Bürgerstiftungen besteht das Problem, dass es vielen Stiftungen aufgrund ihres geringen Stiftungsvermögens nicht möglich ist, professionelles Personal einzustellen. Dementsprechend fehlt es vielen Bürgerstiftungen an Professionalität, die Aktivitäten tendieren dazu, sich zu verzetteln, und der systematische Aufbau des Stiftungskapitals wird vernachlässigt (vgl. Bundesverband Deutscher Stiftungen 2007, S. 102). Für die Mehrgenerationenhäuser besteht die große Unsicherheit, wie es mit den Einrichtungen vor Ort nach der Modelllaufzeit und dem Wegfall der Bundesmittel weitergehen wird. Darüber hinaus ist durch das Bundesmodellprogramm und die Implementation dieser Einrichtungen unabhängig von örtlichen Bedarfen in einigen Kommunen eine schwierige Situation entstanden. Das Angebot der Mehrgenerationenhäuser überschneidet sich zum Teil mit dem Aufgabenprofil bereits bestehender Einrichtungen wie Seniorenbüros oder Familienzentren. Hinzu kommt, dass mit einem derartigen Top-down-Prozess ein „altbekanntes“ Dilemma verschärft wird: Den Kommunen werden Aufgaben übertragen, ohne gleichzeitig die entsprechenden finanziellen Mittel bereitzustellen. Dialogforum Infrastrukturförderung 4. Netzwerke der Engagementförderung 4.1 Netzwerke auf kommunaler Ebene Parallel zu den Infrastruktureinrichtungen haben sich in Kommunen und auch auf Landes- und Bundesebene thematisch orientierte Netzwerke gebildet, die darauf zielen, bürgerschaftliches Engagement anzuregen, zu koordinieren und zu unterstützen. Städtenetzwerke existieren etwa in München (FOEBE), Hamburg (Aktivoli), Berlin (Aktiv in Berlin), Augsburg (Bündnis für Augsburg), Köln und Hannover. Ein wichtiges Aufgabenfeld der kommunalen Netzwerke besteht darin, an der Entwicklung eines Selbstverständnisses für die Engagementförderung in der jeweiligen Kommune und an der Ausformulierung eines Leitbilds für eine bürgerorientierte Kommunalentwicklung mitzuwirken. Beispielhaft sei die Berliner Charta zum bürgerschaftlichen Engagement genannt, die Standards der Freiwilligenarbeit wie Versicherungsschutz, Fortbildungsangebote, Anerkennungskultur etc. als Selbstverpflichtung der Unterzeichnenden festschreibt (vgl. www.aktiv-in-berlin). Zudem haben es kommunale Engagementnetzwerke übernommen, durch gemeinsame Veranstaltungen die öffentliche Sichtbarkeit des Engagements zu erhöhen und über gemeinsame Projekte zur Vernetzung unterschiedlichster Partner beizutragen. Beispiele dafür sind sog. Ehrenamtsbörsen, bei denen sich die lokalen Akteure gemeinsam präsentieren oder auch Marktplätze, Partnerschafts- und Freiwilligentage, mit denen Kooperationen zwischen gemeinnützigen Organisationen und Wirtschaftsunternehmen angeregt werden (vgl. Bertelsmann Stiftung 2008, Jakob 2010a). Darüber hinaus stellen Netzwerke mit Internetauftritten und anderen Medien vielfältige Informationen über Fortbildungen und andere wichtige engagementrelevante Themen zur Verfügung (beispielhaft die Datenbank der FOEBE München). Auch in dem Modellprogramm „Lokale Bündnisse für Familie“ steht der Netzwerkgedanke im Zentrum. In den Lokalen Bündnissen arbeiten Akteure aus verschiedenen Organisationen und gesellschaftlichen Sektoren zusammen, um die Rahmenbedingungen für Familien in den Kommunen zu verbessern. 4.2 Regionale Netzwerke Im Vergleich zu den großen Städten sind regionale Netzwerke (zum Beispiel auf Landkreisebene) noch selten. Meist bilden sich regionale Kooperationen im Zuge von Modellprogrammen (wie LEADER), brechen aber auch leicht wieder auseinander, wenn die Modellfinanzierung ausläuft. In letzter Zeit kann man verstärkt die Gründung von Freiwilligenagenturen und Netzwerken auf Landkreisebene beobachten. Diese Einrichtungen haben zum Teil eine gegenüber den städtischen Agenturen unterschiedene Aufgabenbeschreibung. So werden sie konzeptionell stärker mit der Unterstützung der lokalen Vereinslandschaft (durch Fortbildung und Beratung) sowie mit koordinierenden Aufgaben betraut (vgl. Röbke 2008). 4.3 Netzwerke und Koordinationsstellen in den Bundesländern Auch auf Länderebene spielen Netzwerke eine wichtige Rolle (vgl. Centrum für Bürgerschaftliches Engagement o. J., Rüttgers 2010). Das älteste Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement besteht in Baden-Württemberg. Es wurde 1999 gegründet und umfasst neben einer Stabsstelle im Minsterium für Arbeit und Soziales, die das übergreifende Netzwerkmanagement übernimmt, verschiedene Teilnetzwerke, die staatliche und zivilgesellschaftliche Partner verknüpfen. So existieren ein Städtenetzwerk, eine Landkreisnetzwerk und ein Gemeindenetzwerk in Kooperation mit den jeweiligen kommunalen Spitzenverbänden sowie Themen- und Einrichtungsnetzwerke des bürgerschaftlichen Engagements wie die ARBES10, die Freiwilligenagenturen, Seniorengenossenschaften und weitere zivilgesellschaftliche Initiativen bündelt (vgl. Klie/Roß 2005, Rüttgers 2010). Mit dem zweimal jährlich tagenden „Forum Landesnetzwerk“ wurde eine übergreifende Austauschplattform geschaffen. Die Netzwerkarbeit wird durch ehrenamtliche Bürgermentoren unterstützt, die für ihre Aufgaben qualifiziert werden und Kompetenzgruppen des bürgerschaftlichen Engagements in vielen Städten und Gemeinden des Landes bilden. Schon in den ersten fünf Jahren dieses Qualifizierungsprojektes (2000-2004) wurden über tausend Bürgermentorinnen und -mentoren qualifiziert. Auch in anderen Bundesländern sind vergleichbare Programme zur Qualifizierung entwickelt worden, die darauf zielen, Bürgerinnen und Bürger für die Engagementförderung vor Ort mit Wissen und Kompetenzen auszustatten (vgl. dazu Programme wie ELFEN in Niedersachsen, SeniorTrainerinnen in Nachfolge des gleichnamigen Bundesmodellprojekts in Bayern, Engagement-Lotsen in Hessen). In Bayern existiert seit 2003 ein Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, das mit staatlicher Förderung vor allem die parteilich und konfessionell unabhängigen Anlaufstrukturen des bürgerschaftlichen Engagements wie Freiwilligenagenturen, Selbsthilfekontaktstellen, Bürgerstiftungen, Seniorenbüros und Familienzentren umfasst (vgl. Magel/Franke 2006).11 125 Dialogforum Infrastrukturförderung Das Landesnetzwerk ist eine zivilgesellschaftliche Organisation, die vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen finanziell unterstützt wird und mit dem Ministerium zusammen arbeitet. Ein vom Sozialstaatssekretär einberufener „Runder Tisch Bürgerschaftliches Engagement“ versammelt seit 2009 neben dem erwähnten Landesnetzwerk auch die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege und der Kommunen, Vertreter der Landtagsparteien sowie weitere Verbandsvertreter und Experten aus der Wissenschaft. Der Runde Tisch hat die Aufgabe, Leitlinien einer abgestimmten Engagementpolitik in Bayern zu entwerfen. Vernetzungsstellen in anderen Bundesländern sind aufgrund ihrer direkten Einbindung in Ministerien stark staatlich geprägt. In Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Hessen spielt die Staatskanzlei eine herausragende koordinierende Rolle in der Engagementpolitik. In anderen Bundesländern übernehmen Fachressorts diese Aufgabe (in NRW etwa das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration). Das Land Thüringen hat 2002 mit der Thüringer Ehrenamtsstiftung eine vernetzende Stelle geschaffen, die per Satzung eng an staatliche Funktionen bzw. Landtagsmandate gekoppelt ist. Mit einem Kuratorium werden wichtige zivilgesellschaftliche Verbände des Landes in die Ehrenamtsstiftung eingebunden. Für die Bundesebene sei hier lediglich auf die herausragende Rolle des 2002 gegründeten Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement (BBE) verwiesen, das sich als ein trisektorales Netzwerk versteht und in dem staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure kooperieren. In den letzten Jahren hat sich das BBE als wichtige Informationsplattform (z. B. mit dem 14-tägig erscheinenden Newsletter und etlichen Internetplattformen) etabliert. Mit der jährlich stattfindenden „Woche des Bürgerschaftlichen Engagements“ organisiert das BBE das wichtigste bundesweite „Event“ des bürgerschaftlichen Engagements, das vor allem durch die Medienpartnerschaft mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen einen hohen öffentlichen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Etliche jährliche Fachtagungen ermöglichen den Austausch von Experten aus Verbänden, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Als „Lobbyist“ für das bürgerschaftliche Engagement ist das BBE politisch beratend etwa bei Gesetzesvorhaben tätig, die das bürgerschaftliche Engagement berühren. Durch den Auftrag der Organisation des „Nationalen Forums für Engagement und Partizipation“ wurde diese Rolle noch einmal gestärkt.12 126 All diese Netzwerke und Koordinierungsstellen haben in den letzten Jahren reichhaltige Aktivitäten entfaltet. Sie sind wichtige Akteure in der Formulierung von Engagementpolitik und wirken an der Entwicklung engagementfreundlicher Rahmenbedingungen mit, die sich auch für die Situation vor Ort, in den Vereinen und Kommunen, auswirken. Beispiele dafür sind die Verbesserungen im Bereich des Versicherungsschutzes für Ehrenamtliche, die in vielen Bundesländern in den letzten Jahren erzielt worden sind, sowie neue Aktivitäten für eine Ausweitung der Anerkennungskultur mit Ehrenamtsnachweisen, Ehrenamtscards etc.. Wie schon bei der Analyse der Infrastrukturen, so ist auch auf der Ebene der Netzwerke festzustellen: Sie sind vielfältig aus unterschiedlichen Akteurskonstellationen und Traditionen gewachsen. Eine Koordination durch die Staatskanzlei eines Bundeslandes hat sicher größere „Durchgriffsmöglichkeiten“ als eine Ansiedlung in einem Fachressort. In Baden-Württemberg ist eine starke Ausrichtung am kommunalen Bereich wahrzunehmen, Bayern hingegen setzt stark auf zivilgesellschaftliche Anlaufstrukturen. In Bundesländern, die bislang staatlich orientierte Koordinationsfunktionen bevorzugt haben, wird derzeit über die Unterstützung oder Gründung zivilgesellschaftlicher Netzwerke nachgedacht (so z. B. in NRW, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt). Offenbar zeichnet sich doch nach anfänglich unterschiedlichen Entwicklungspfaden ab, dass die wirksamste Aufstellung ein Tandem aus einer Koordinierungsstelle in der Landesverwaltung (möglichst mit hoher Querschnittskompetenz) und einer zivilgesellschaftlichen Netzwerkstruktur ist, die in unterschiedlichen Konstellationen (als trisektorales Bündnis, Stiftung o. ä.) konstruiert werden kann. Wie die Erfahrungen mit bestehenden Netzwerken zeigen, sind auch die zivilgesellschaftlichen Plattformen und Zusammenschlüsse auf staatliche Unterstützung in Form einer Sockelfinanzierung angewiesen. Um ihre Arbeitsfähigkeit zu sichern und Kontinuität sicherzustellen, reichen kurzatmige Projektförderungen nicht aus, sondern es bedarf einer grundständigen Finanzierung, die allerdings durch zusätzliche Mittel aus Mitgliedsbeiträgen, aus der Akquise von Projekten und Aufträgen etc. aufgestockt werden sollte. 5. Förderpolitische Konsequenzen 5.1 Zwischen Standardisierung und Eigensinnigkeit – Dilemmata staatlicher Engagementpolitik Engagementpolitik ist mit einem grundsätzlichen Dilemma konfrontiert, dass aus der Funktionsweise Dialogforum Infrastrukturförderung staatlicher Politik und der Eigensinnigkeit bürgerschaftlichen Engagements resultiert. Staatliche Politik mit ihren klassischen Instrumenten der Gesetzgebung und der finanziellen Steuerung ist durch ein standardisiertes Vorgehen gekennzeichnet, das dementsprechend auch vereinheitlichende Wirkungen hat. Dem widerspricht die Freiheit bürgerschaftlichen Engagements, das davon lebt, dass neue Wege beschritten werden, dass innovative Prozesse in Gang gesetzt werden, ohne dass von vornherein klar ist, wie diese Initiativen ausgehen werden und das von ungleichzeitigen Entwicklungen gekennzeichnet ist. Das Engagement kann sich auch gegen etablierte Strukturen und Organisationen wenden und neue Modelle und Handlungsmuster hervorbringen. Beispiele dafür sind die sozialen Bewegungen der 1980er und 1990er Jahre ebenso wie die Hospizbewegung oder – in neuester Zeit – die Initiativen, die sich gegen Verregelungen des Internets zur Wehr setzen. Hinzu kommt, dass für viele engagierte Bürgerinnen und Bürger das Engagement gerade als Gegenwelt zu bürokratischen und technokratischen Abläufen Bedeutung bekommt und Möglichkeiten für selbstbestimmtes Handeln und gesellschaftliche Mitgestaltung eröffnet. rale Traditionen eine Rolle. So sind in den ostdeutschen Bundesländern oder in Nordrhein-Westfalen starke soziokulturelle Einrichtungen vorhanden, die beispielsweise in Bayern nur in den großen Städten anzutreffen sind. Dies ist in der Förderpolitik der jeweiligen Bundesländer begründet. Teils spielen auch besondere, aber eher zufällige Interessenskonstellationen eine Rolle, so dass an einem Ort eine blühende Agenda-21-Bewegung, am anderen eine besonders agile Seniorenpolitik für das aktive Alter, an einem weiteren eine stark gemeinwesenorientierte Familienpolitik existieren. Gesamtkonzepte, die das bürgerschaftliche Engagement als Querschnittsthema für alle Bereiche kommunaler Daseinsvorsorge systematisch ausbuchstabieren, sind hingegen selten.13 Dies bedeutet allerdings nicht, staatliche Instanzen aus ihrer Verantwortung für die Schaffung förderlicher Rahmenbedingungen zu entlassen. Vielmehr kommt es darauf an, der Besonderheit und Eigensinnigkeit des Engagements Rechnung zu tragen und neue Gesetzesinitiativen auf ihre Aus- und Nebenwirkungen hin zu überprüfen. Staatliche Politik auf Landes- und Bundesebene hat vor allem die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die zivilgesellschaftliche Strukturen stärken und bürgerschaftliches Engagement ermöglichen. 5.2 Zur Rolle von Staat und Kommunen in der Engagementförderung Angesichts der Eigensinnigkeit bürgerschaftlichen Engagements kommt der Kommune und einer lokal ausgerichteten Engagementpolitik, die von der Kommune und den zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort gemeinsam ausgehandelt und getragen wird, eine große Bedeutung zu. Wir haben in dem hier vorliegenden Gutachten gezeigt, wie vielgestaltig diese Einrichtungen und Zusammenschlüsse organisiert sein können. Hieran sind besondere lokale Entwicklungspfade verantwortlich, aber auch zeitlich versetzte Wellen von Modellprogrammen, die an unterschiedlichen Orten unterschiedlich erfolgreich waren. So finden sich beispielsweise Städte mit höchst erfolgreich arbeitenden Seniorenbüros neben solchen, die diese Form der Anlaufstelle gar nicht kennen, dafür aber eine gut eingeführte Freiwilligenagentur oder Bürgerstiftung aufweisen, die zum Teil ähnliche Aufgaben bewältigt. Teils spielen auch föde Diese Vielgestaltigkeit sollte mit aller Behutsamkeit gefördert und weiterentwickelt, dort aber auch gebündelt und vernetzt werden, wo sie ansonsten zu Ausdünnung und Unübersichtlichkeit vieler kleiner, für sich nicht überlebensfähiger Initiativen führt. Im Folgenden werden einige Leitlinien und Vorschläge für die Engagementförderung entwickelt: Zur Rolle von Staat und Kommunen für eine nachhaltige Förderung zivilgesellschaftlicher Strukturen Im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements ist es schon aufgrund des Politikfeldes schwierig, nennenswerte Eigeneinannahmen durch Dienstleistungen zu erzielen. Sponsoring, Mäzenatentum und die Einwerbung von Drittmitteln bei Stiftungen werden vor allem begrenzte Projekte unterstützen, allerdings kaum für eine Basisfinanzierung sorgen. Bis auf den Bereich der Stiftungen, die einen eigenen Kapitalstamm aufbauen können, muss man damit rechnen, dass ein dauerhafter Förderbedarf bestehen bleibt. Der in der Debatte hin und wieder auftauchende Hinweis, dass nach einer gewissen Phase der Modellfinanzierung Anlaufstellen und Netzwerke des bürgerschaftlichen Engagements genügend Schubkraft erhalten haben müssten, um auf eigenen Füßen zu stehen, erweist sich als unrealistisch. Einschlägige Expertisen sprechen sich deshalb für eine fördernde Engagementpolitik aus, in der der öffentlichen Hand (Bund, Länder und Kommunen) eine zentrale Rolle für die Schaffung, Unterstützung und Verstetigung von Engagement fördernden Infrastrukturen zukommt (vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009, S. 13ff.). Dies entlässt 127 Dialogforum Infrastrukturförderung zivilgesellschaftliche Organisationen und Wirtschaftsunternehmen nicht aus der Verantwortung. Sie tragen die Verantwortung für engagementförderliche Rahmenbedingungen in ihren eigenen Organisationen und sind auch wichtige Partner für die Engagement fördernden Einrichtungen im Gemeinwesen. So haben viele Infrastruktureinrichtungen Kooperationsmodelle mit Unternehmen entwickelt, in denen sie diese in ihren Engagementaktivitäten unterstützen und die Organisation von Freiwilligentagen, Seitenwechseln etc. zugleich als Dienstleistung „verkaufen“. Auch die Beratung von gemeinnützigen Einrichtungen in Fragen des Freiwilligenmanagements wird zum Teil als Dienstleistung erbracht, die zum Einkommen der Infrastruktureinrichtung beiträgt. Die bisherigen Erfahrungen zeigen allerdings, dass für eine grundständige Absicherung der Infrastruktureinrichtungen und Netzwerke eine öffentliche Unterstützung notwendig ist. Koordinierte Engagementpolitik der drei föderalen Ebenen Wenn es um eine grundständige finanzielle Förderung der lokalen Engagementförderung geht, sind vor allem die Kommunen gefragt. Auch wenn sich die Einrichtungen neue Wege zur Finanzierung ihrer Arbeit erschließen und bereits heute kreative Modelle der Mischfinanzierung aus verschiedenen Quellen entwickelt haben, wird für viele Einrichtungen eine grundständige Absicherung notwendig sein, um auf dieser Basis Projekte und Aufträge und damit verbundene zusätzliche Mittel zu akquirieren. Dabei geht es keineswegs um eine Vollfinanzierung, sondern gefragt sind Finanzierungsmodelle, die für die Einrichtungen Anreize schaffen, um mit Projekten, Beratungsleistungen und kreativen Formen des Einwerbens von Spenden und Sponsoringmitteln zusätzliche Mittel zu akquirieren. renzen durch verschiedene Projektförderungen vermieden und die kommunale Ebene gestärkt werden. Eine solche koordinierte Engagementpolitik muss auf jeden Fall die unterschiedlichen lokalen Traditionen und landesspezifischen Pfade der Engagementförderung berücksichtigen. Finanzielle Unterstützung der Kommunen durch die Bundespolitik Damit die Kommunen ihren Auftrag zur Engagementförderung wahrnehmen können, brauchen sie die Unterstützung durch die Bundesländer und vor allem durch die Bundesregierung. Eine Bundesförderung dürfte sich allerdings nicht in standardisierten Instrumenten erschöpfen, sondern sollte so angelegt sein, dass sie der Eigensinnigkeit des Engagements gerecht wird. Zielsetzung sollte sein, die Kommunen in die Lage zu versetzen, in Kooperation mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren vor Ort ihre eigene engagementpolitische Agenda zu entwickeln und umzusetzen. Im Kontext des „Nationalen Forums für Engagement und Partizipation“ wurden bereits verschiedene Modelle diskutiert, wie von Seiten des Bundes die kommunale Ebene unterstützt werden könnte. So gab es die Überlegung für eine öffentliche Sockelfinanzierung, bei der vom Bund 50 Prozent und von den Kommunen jeweils 25 Prozent der Kosten für eine Engagement fördernde Infrastruktur vor Ort übernommen werden (vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009, S. 35). Angesichts der Haushaltssituation vieler Kommunen und ihrer Aufgabenüberlastung dürfen die Kommunen in ihrem Auftrag zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements aber nicht allein gelassen werden. Sie müssen in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge wahrzunehmen. Eine kontinuierliche bundespolitische Förderung kommunaler Strukturen steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zur föderalen Struktur des Staates und der grundgesetzlich gesicherten kommunalen Selbstverwaltung. Das Grundgesetz räumt den Städten und Gemeinden eine kommunale Selbstverwaltung „in allen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ ein (Art. 28). Diese Frage nach den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen für eine Unterstützung der Kommunen durch den Bund bedarf einer Klärung. Auf allen föderalen Ebenen sollten – unter Beteiligung der relevanten zivilgesellschaftlichen Akteure – Engagementförderkonzepte und -strategien entwickelt werden. Zugleich braucht es aber auch eine stärkere Koordinierung der verschiedenen Aktivitäten, die von Kommunen, Bundesländern und der Bundesregierung angeregt werden. Dabei geht es nicht um eine Vereinheitlichung, sondern mit einem koordinierten Vorgehen könnten Ressourcen gebündelt, Konkur- Darüber hinaus lohnt sich ein Blick in andere Politikfelder, in denen es bereits Förderstrukturen und Instrumente gibt, wo die drei föderalen Ebenen kooperieren. Ein Beispiel dafür, dass auch für die Unterstützung der Engagementförderung in den Kommunen relevant sein könnte, ist das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadtteile mit Erneuerungsbedarf: Soziale Stadt“. Es wird unter der Federführung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und 128 Dialogforum Infrastrukturförderung Stadtentwicklung umgesetzt und vom Bund mit mehreren Millionen Euro bezuschusst. Allerdings weist das Förderprogramm Soziale Stadt auch Probleme auf, die aus dem stark ausgeprägten städtebaulichen Fokus oder auch aus der auf zehn Jahre begrenzten Projektförderung resultieren. Eigensinn ermöglichen Der grundlegende Widerspruch der Engagementpolitik, die gängige Praxis staatlicher Förderung mit einer ermöglichenden und großzügigen Haltung zu verbinden, die den Eigensinn des bürgerschaftlichen Engagements achtet, wurde schon erwähnt. Er ist freilich nicht beispiellos und unauflöslich. Eine ähnliche Konstellation lässt sich beispielsweise in der Kulturpolitik vorfinden. Durch die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Kunst einerseits und die freiwillige Selbstverpflichtung einer öffentlichen Unterstützung von Kunst und Kultur andererseits sind Förderverfahren entstanden, die ganz bewusst Instrumentalisierung und Überbürokratisierung vermeiden wollen. Viele kulturelle Einrichtungen können mit einem Budget arbeiten, ohne gegenüber einem Auftraggeber rechtfertigen zu müssen, welche Künstler jeweils ausgestellt werden, welche Inszenierungen zu sehen sind oder welche Bücher angeschafft werden. Dieser Vertrauensvorschuss sichert das lebendige, staatlich geförderte Kulturleben in Deutschland, um das uns so viele andere Nationen beneiden. Eine Freiheit und Eigensinn der Bürgerinnen und Bürger achtende Förderpolitik sollte derartige Grundsätze beherzigen. 5.3 Governance und Beteiligung als Orientierung für eine Engagementförderpolitik Vernetzung der bestehenden Infrastrukturen als kommunale Aufgabe Angesichts der Ausdifferenzierung der lokalen „Engagementlandschaft“ besteht ein kommunalpolitischer Gestaltungsauftrag darin, Kooperationsstrukturen und Netzwerke zwischen den verschiedenen Einrichtungen und Zusammenschlüssen zu schaffen, um Aufgabenüberschneidungen zu vermeiden und Ressourcen zu bündeln. Die Einrichtungen müssen stärker als bislang zusammen arbeiten. Unter dem Dach der lokalen Engagementförderung sollten gemeinsam Projekte entwickelt und durchgeführt werden, und der Netzwerkgedanke müsste eine größere Rolle spielen. Akteure aus Kommunalpolitik und -verwaltung müssen dabei die Moderation dieser Prozesse übernehmen, die verschiedenen Akteure „an einen Tisch bringen“, Aushandlungsprozesse ermöglichen und gemeinsam mit den Akteuren aus den zivilgesell schaftlichen Einrichtungen Strategien entwickeln, wie drängende Probleme im Gemeinwesen angegangen werden können. Leitbild für eine bürgerorientierte Kommune Die Maßnahmen zur Infrastrukturförderung sollten perspektivisch in ein Gesamtkonzept für eine lokale Bürgergesellschaft eingebunden werden. Für eine systematisch angelegte lokale Engagementförderung ist es notwendig, dass die Kommunen selbst über ein Leitbild oder zumindest grundlegende Vorstellungen verfügen, welchen Stellenwert bürgerschaftliches Engagement in ihrer Gemeinde haben soll und wie Engagement und Beteiligung gefördert werden sollen. Dabei hilft der Blick in andere Kommunen und lassen sich Anregungen aus anderen Gemeinden aufgreifen.14 Angesichts der unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten muss allerdings jede Kommune ihren eigenen Weg in Richtung auf eine lokale Bürgergesellschaft entwickeln (vgl. Christner/Würz/ Vandamme 2007; Jakob/Koch 2007). Dies muss in Kooperation und Aushandlungsprozessen mit den Akteuren der Zivilgesellschaft, einzelnen Bürgerinnen und Bürger ebenso wie Organisationen geschehen. Wichtige „Bausteine“ einer lokalen Engagementförderung, die für alle Kommunen gelten, sind dabei die Entwicklung einer angemessenen Anerkennungskultur, umfassende Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger und professionell geführte Infrastruktureinrichtungen, die zur Sicherstellung einer kontinuierlichen und fachlich fundierten Arbeit auf hauptamtliches und ehrenamtliches Personal angewiesen sind. Beteiligung und Kooperation von Anfang an Vor allem ist es wichtig, Beteiligungsstrukturen schon in den Formulierungsprozess lokaler Engagementpolitik konstitutiv einzubauen. Hierfür gibt es gelungene Beispiele: So setzt beispielsweise das Programm LEADER+, eine Initiative der EU zur Stärkung ländlicher Raume, voraus, dass sich lokale Aktionsgruppen aus Politik und Verwaltung gemeinsam mit Bürgerinnnen und Bürgern bilden, um sich an der Analyse der bestehenden Defizite und Chancen und der daraus resultierenden Maßnahmeentwicklung zu beteiligen. Ähnliches gilt für Dorferneuerungsprozesse in einzelnen Bundesländern (z. B. Thüringen, Hessen, Niedersachsen, RheinlandPfalz). In Bayern beispielsweise setzt die Förderung einzelner Maßnahmen der Dorferneuerung voraus, dass „einfache“ Bürgerinnen und Bürger gemeinsam mit Vertretern aus Politik und Verwaltung in einem professionell moderierten Prozess zunächst einen 129 Dialogforum Infrastrukturförderung Dorfentwicklungsplan für ihr Dorf entwickeln und diesen dann öffentlich zur Diskussion stellen, bevor einzelne Maßnahmen finanziert werden. Diese systematische Berücksichtigung des Governance-gedankens schon zu Beginn und als Teil des Förderverfahrens mag zunächst Mehrarbeit verursachen. Sie regt aber dazu an, sich über die notwendige Strukturentwicklung vor Ort abzustimmen und sorgt für eine bessere Nachhaltigkeit, bevor man sich oft unreflektiert in Fördertöpfen bedient, die den Infrastrukturaufbau des bürgerschaftlichen Engagements nicht voranbringen. 5.4 Förderinstrumente und -kriterien Kommune als koordinierende Instanz In den Förderrichtlinien des Modellprogramms Mehrgenerationenhäuser findet sich der richtige Gedanke, den neuen Einrichtungstyp mit schon bestehenden Einrichtungen (beispielsweise Kindergärten, Seniorenbüros, Mütterzentren etc.) zu verknüpfen, anstatt wieder eine völlig neue Institution ins Leben zu rufen. Diese Empfehlung könnte auch bei der nachhaltigen Förderung von Infrastrukturen eine Rolle spielen, um eine weitere Differenzierung der Engagementszene zu vermeiden. Anlaufstellen können an Bürgerbüros, Dorfläden, Bürgerhäusern, soziokulturellen Stadtteilzentren etc. „angedockt“ werden. U. E. sollten im Hinblick auf eine Förderung nachhaltiger Infrastrukturen zunächst die Kommunen als Adressaten angesprochen werden. Damit erhält die Kommune die Federführung im Verfahren der Beantragung. Wen die Kommune dann bei der Formulierung der lokalen Engagementpolitik einbezieht bzw. wer sich schließlich als Träger von Infrastrukturen herausbildet, sollte dem lokalen Diskussionsprozess überlassen bleiben. Dieses wird beim derzeit laufenden Förderverfahren zu Koordinierungsstellen des bürgerschaftlichen Engagements im ländlichen Raum in Bayern eingesetzt wie beim Bundesmodellprogramm „Aktiv im Alter“. Auch in dem Programm Soziale Stadt sind die Kommunen von Anfang an beteiligt und müssen selbst ein Konzept für ihre Beteiligung und ihren Beitrag zur Verbesserung der Infrastrukturen in einem Stadtteil vorlegen. Dieses Verfahren der Erstansprache der Kommune und die damit verbundene verantwortliche Koordinierungsrolle sowie ihre finanzielle Eigenbeteiligung an den jeweiligen Projekten erhöht die Chance für eine nachhaltige Sicherung. Vereinfachung der Antragsverfahren Anlaufstellen und Netzwerke haben es häufig mit unterschiedlichen Formen der Förderung zu tun: Immer 130 häufiger ergänzen kurzfristige Werkverträge, die ein eindeutiges Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis konstituieren, die „klassischen“ Zuwendungsarten. Diese Konstellationen können dem Gedanken einer Partnerschaft auf Augenhöhe (die auch Kritik vertragen muss) zuwiderlaufen. In den kommenden Jahren wird es in der Unterstützung der Zivilgesellschaft darauf ankommen, den Begriff des ermöglichenden Staates nicht nur philosophisch und staatsrechtlich, sondern in der konkreten Förderpraxis mit Leben zu füllen und möglichst unkomplizierte Verfahren der Beantragung, Ausreichung, Überprüfung und Abrechnung zu entwickeln, die durch Vertrauen gegenüber den engagierten Bürgerinnen und Bürgern gekennzeichnet sind. Zudem muss berücksichtigt werden, dass im Prinzip auch Nicht-Professionelle in der Lage sein müssen, Förderungen zu beantragen und abzuwickeln. Viele gut arbeitende, kleinere Initiativen des bürgerschaftlichen Engagements (zum Beispiel Migrantenorganisationen) werden durch die bestehenden Förderverfahren eher abgeschreckt und damit auch systematisch benachteiligt. Des weiteren sollte bürgerschaftliches Engagement als Eigenmittelanteil in allen Förderarten anrechenbar sein. Schaffung eines Fonds zur Engagementförderung Neben offen zu gestaltenden Förderrichtlinien, die die Entwicklung einer kohärenten Engagementpolitikstrategie vor Ort einbeziehen, sollte über einen Fonds als Förderinstrument nachgedacht werden, mit dem es möglich ist, bei der Beurteilung der Förderanträge und der Bewilligung der Mittel zivilgesellschaftlichen Sachverstand einzubeziehen. Derartige Fonds haben sich auf Bundesebene im Kulturbereich (Fonds Bildende Künste, Darstellende Künste, Soziokultur etc.) bewährt. Die Vergabekriterien eines derartigen Fonds sollten offen und flexibel gestaltet werden. Ähnlich wie bei der Konstruktion mancher EU-Fonds könnte eine Servicestelle die Antragsteller unterstützen. Die Anträge könnten sich an folgenden Kriterien orientieren: • Kundenorientierung: Wie wird sichergestellt, dass Bürgerinnen und Bürger leicht und transparent an die für ihr Engagement wichtigen Informationen gelangen? • Anerkennung: Wie werden kommunale Verbesserungen in der Anerkennungskultur unterstützt? • In welcher Weise kann die zu fördernde Infrastruktureinrichtung einen Beitrag zu Vernetzung und Kooperation in der lokalen Engagementszene leisten? Inwieweit ist sie selbst in einem lokalen Netzwerk verankert? Dialogforum Infrastrukturförderung • Nach welchen Maßstäben und Standards soll Beratung und Vermittlung stattfinden? • Inwiefern beteiligt sich die zu fördernde Infrastruktureinrichtung an der Weiterentwicklung der „Engagementszene“ vor Ort (Entrepreneurship – Modernisierung der vorhandenen Engagementlandschaft; Umsetzung neuer Ideen)? • Wie kann eine zu fördernde Infrastruktureinrichtung zu einer Verbesserung der Fortbildungsmöglichkeiten vor Ort (für Haupt- und Ehrenamtliche) beitragen? • Welchen Beitrag können Infrastruktureinrichtungen zur Sicherung der Standards für ehrenamtliche Mitarbeit bzw. zu ihrer Qualitätsverbesserung in den vielfältig vorhandenen lokalen Engagementbereichen beitragen? 5.5 Netzwerkbildung unterstützen Neben Infrastruktureinrichtungen sind Netzwerke ein zweiter wichtiger Baustein der Engagementlandschaft. Um eine dauerhafte Plattform zur zivilgesellschaftlichen Artikulation und Weiterentwicklung der Engagementpolitik zu garantieren, sollten zivilgesellschaftliche oder trisektorale Netzwerke zumindest auf Bundes- und Länderebene bestehen. Sie sollten Politik und staatliche Verwaltung bei der Weiterentwicklung engagementpolitischer Strategien unterstützen und hierbei den zivilgesellschaftlichen Diskurs fokussieren und öffentlich machen. Die konkrete Gestalt der Netzwerke wird sich entsprechend der jeweiligen personellen, lokalen, regionalen, landestypischen und bundesweiten Gegebenheiten unterscheiden. Ihre Organisation erfordert auf jeden Fall ein Netzwerkmanagement und dafür qualifiziertes Personal. Anmerkungen 1 Vgl. auch die Ergebnisse des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation (Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009a, S. 13f. und S. 28 ff.). 2 Wie weit hier die Positionen auseinander liegen, konnte man an der Diskussion um die Gesetzesinitiative „Hilfen für die Helfer“ der letzten Bundesregierung erkennen, die zwischen einer faktischen Abschaffung des Status der Gemeinnützigkeit über vorsichtige Korrekturen des Gemeinnützigkeitsrechts bis hin zu dessen massiver Ausweitung hin und her wogte. 3 Förderungen durch Bundesfonds bestehen beispielsweise im Kulturbereich (Fonds Soziokultur, Fonds Darstellende Künste etc.). Zur Idee, einen Fonds für die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements einzurichten vgl. Backhaus-Maul/ Nährlich/Speth (2009). 4 Vgl. www.bagfa.de; Zugriff am 20.01.2010. 5 Vgl. www.seniorenbueros.org.; Zugriff am 20.01.2010. 6 Mit der Zahl 212 sind die Selbsthilfekontaktstellen erfasst, deren Hauptaufgabe in der Selbsthilfeunterstützung besteht. Darüber hinaus gibt es weitere 59 Einrichtungen, in denen die Selbsthilfeunterstützung lediglich eine Nebenaufgabe darstellt (vgl. Thiel 2008). 7 Vgl. www.lokale-buendnisse-fuer-familie.de; Zugriff am 20.01.2010. 8 Vgl. www.mehrgenerationenhaeuser.de; Zugriff am 20.01.2010. 9 Der Länderspiegel Bürgerstiftungen der Aktiven Bürgerschaft weist 237 Bürgerstiftungen mit einem Gesamtvermögen von rund 110 Mio. Euro aus, die den „10 Merkmalen einer Bürgerstiftung“ des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen entsprechen (vgl. Polterauer u. a. 2008). Diese Merkmale sollen die Unabhängigkeit der Bürgerstiftungen von Partikularinteressen seitens der Kommunen, der Geldinstitute oder einzelner Stifter sicherstellen. Über das Gütesiegel des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, das beantragt werden muss und von einer Jury für die Dauer von zwei Jahren vergeben wird, verfügten allerdings nur 166 Bürgerstiftungen (vgl. www.die-deutschen-buergerstiftungen.de; Zugriff am 27. Februar 2009). 10 Die Arbeitsgemeinschaft des Bürgerschaftlichen Engagements (ARBES) ist ein freiwilliger Zusammenschluss von bürgerschaftlich engagierten Gruppierungen in Baden-Württemberg, in der sich vor allem lokale zivielgesellschaftliche Inititativen, aber auch unabhängige landesweite Verbände der Engagementförderung zusammengeschlossen haben (www.arbes-bw.de). 11 Die Evaluation des Landesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement findet sich als Download unter www.wir-fuer-uns.de. 12 Im Rahmen des vorliegenden Gutachtens kann nicht die gesamte Bandbreite an Netzwerken und Dachorganisationen erfasst werden, die mit Engagementförderung befasst ist. Eine wichtige Rolle spielen auch thematisch ausgerichtete Netzwerke wie das Unternehmen Partner der Jugend (UPJ) und das Centrum für Corporate Citizenship Deutschland (CCCD), die mit der Aufgabe befasst sind, Corporate-Citizenship-Aktivitäten zu befördern. Auch ältere Organisationen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) weisen netzwerkartige Strukturen auf. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. 131 Dialogforum Infrastrukturförderung 13 Zur Aufstellung der Maßnahmen der Engagementpolitik des Bundes und der einzelnen Bundesländer seit 2002 vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2009), S. 150-154 und S. 160f. 14 Leitbildentwicklung und die dazu notwendige Organisation der lokalen Diskurse sind in der bayerischen Dorferneuerung schon Teil der Förderung (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 2009). In staatlich geförderten Schulen der Dorf- und Landentwicklung wird hierfür professionelle Moderation zur Verfügung gestellt. Fortbildungen, Tagungen, kollegiale Beratungen mit anderen Kommunen, Exkursionen zu gelungenen Beispielen könnten analog zur Dorferneuerung auch den Prozess der Formulierung einer lokalen Engagementpolitik flankieren. Literatur • Backhaus-Maul, Holger/Nährlich, Stefan/Speth, Rudolf (2009): „In eigener Regie! Plädoyer für eine bessere (Selbst-)Steuerungs- und Leistungsfähigkeit der Bürgergesellschaft“. In: http://www.aktivebuergerschaft.de/vab/resourcen/Denkschrift_Buergergesellschaft_2009.pdf. • Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (2009): Ländliche Entwicklung in Bayern. Dorferneuerungsrichtlinien DorfR 2009. In: www.landentwicklung.bayern.de. • Bertelsmann Stiftung (2008) (Hg.): Grenzgänger, Pfadfinder, Arrangeure. 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S. 38 -43. • w ww.aktiv-in-berlin.de • w ww.bagfa.de • w ww.die-deutschen-buergerstiftungen.de • w ww.lokale-buendnisse-fuer-familie.de • w ww.mehrgenerationenhaeuser.de • w ww.seniorenbueros.org 133 Dialogforum Infrastrukturförderung Prof. Dr. Heinz-Jürgen Dahme/Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt Gutachten: Engagementpolitik als Infrastrukturförderung – zur engagementpolitischen Bedeutung und Entwicklung von Verbänden im Sozialsektor 1. Rahmenbedingungen verbandlicher Engagementpolitik Die Modernisierung der Freien Wohlfahrtspflege ist ein schon seit langem stattfindender Prozess. Schon in den 1980er Jahren begann die Freie Wohlfahrtspflege Entwicklungen zur Effektivitätssteigerung ihrer Arbeit einzuleiten. Erinnert sei hier an das sogenannte „Sozialmanagement“ (vgl. Müller-Schöll/Priepke 1983) mit dessen Hilfe eine bessere Arbeitsorganisation und Personalführung implementiert werden sollte. Das Sozialmanagement war ursprünglich ein intern induzierter Modernisierungsansatz der Freien Wohlfahrtspflege. In der Zwischenzeit haben alle Träger und Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege einen intensiven, durch den Sozialgesetzgeber ausgelösten, Modernisierungsprozess durchlaufen, der die Schaffung eines wettbewerblichen Ordnungsrahmens im Sozialsektor zum Ziel hatte. Die Leitbilder der Verbände wurden reformiert, Qualitätsprozesse neu definiert und die Aufsichtsfunktionen neu geordnet. Hierbei ging es primär darum, aus weltanschaulich und sozialpolitisch begründeten gemeinnützigen Organisationen sozialwirtschaftliche Leistungserbringer zu formen, deren zentrale Aufgabe die Erbringung von professionellen Dienstleistungen ist, die unter Effektivitäts- und Effizienzkriterien darstellbar und kontrollierbar sind. Nachdem man innerhalb der Verbände jahrelang darum gerungen hat, wie man sich zum wettbewerblich organisierten Sozialsystem positionieren soll, haben sich nun alle Verbände dazu durchgerungen, den wettbewerblichen Ordnungsrahmen als notwendige und positive Bedingung ihrer Arbeit anzuerkennen. Damit sind neue (Folge-)Modernisierungsprozesse verbunden, die sich gegenwärtig auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig vollziehen: uf der Mikroebene führt der Professionalisierungsschub der Unternehmen zu einer immer stärkeren Auf- und Ablösung ihrer wohlfahrtsverbandlichen Einbettung. Betriebliche Zielgrößen bestimmen zunehmend das 134 Handeln und geraten dadurch in Konflikt mit den verbandlichen, werteorientierten Zielsetzungen. Zugleich verschärfen sich die verbandsinternen Konkurrenzen auf der lokalen oder regionalen Ebene. Auf der Mesoebene geht es um ein modernisiertes Konzept multifunktional bestimmter Verbandlichkeit. Sozialanwaltschaft und Dienstleistungsorientierung müssen koordiniert werden, während sich gleichzeitig die Interessen zwischen Fachverbänden und Dachverbänden auseinander entwickeln. Das Konzept der kleinteilig versäulten Fachverbände scheint überholt, und dementsprechend entwickeln sich auf den jeweiligen Sektor bezogen unternehmerisch orientierte Verbandsstrukturen. Bei den großen konfessionellen Wohlfahrtsverbänden ist auch die Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Verband Teil der Reformagenda. Auf der Makroebene wird die Frage der strategischen Positionierung der Freien Wohlfahrtspflege intensiv diskutiert und mit Blick auf die staatliche Sozialpolitik nach neuen wirksamen spitzenverbandlichen Strukturen gesucht. Die Einbindung der Freien Wohlfahrtspflege und ihrer Einrichtungen in einen wettbewerblichen Ordnungsrahmen ist mit Dilemmata verbunden, was sich gegenwärtig auch an dem die Wohlfahrtsverbände tangierenden Thema der Entwicklung einer nationalen Engagementpolitik nachweisen lässt, in der die Wohlfahrtsverbände erkennbar in die Rolle eines Getriebenen geraten sind. Die Wohlfahrtsverbände haben sich – entgegen der Prognose in der Miegel-Studie (vgl. Ottnad/Wahl/Miegel 2000) – trotz Adaption des Wettbewerbdenkens und ihrer starken betriebswirtschaftlichen Orientierung nicht zu reinen sozialwirtschaftlichen Akteuren entwickelt und standhaft – trotz der damit verbundenen organisationsinternen Probleme – an ihrer Strategie einer multifunktional ausgerichteten Verbandspolitik festgehalten. Sie sehen sich auch weiterhin zugleich als zivilgesellschaftliche Vereinigungen, Dialogforum Infrastrukturförderung sozialpolitische Mitgestalter, sozial-anwaltliche Interessenvertretung und Dienstleistungserbringer. Das Festhalten an dieser Strategie, die zum Selbstbild aller Wohlfahrtsverbände gehört, erhöht allerdings die Spannungen zwischen der betrieblichen Ebene einerseits und den Einflussmöglichkeiten des Verbandes andererseits, weil die Träger und Einrichtungen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung (sowohl für die Gemeinwesenökonomie, aber auch für die Arbeitsmarktpolitik und das Bruttosozialprodukt) zunehmend in die Lage versetzt werden, eigenständig auch ein verbandspolitisches Mandat wahrzunehmen und ihre wirtschaftlichen Interessen über eigene Arbeitgeberverbände und Tarifgemeinschaften selbstständig zu vertreten. In dieser Gemengelage findet gegenwärtig auch die verbandliche Diskussion um die strategische Ausrichtung in der neuen Engagementpolitik statt: Der hohen normativen Anerkennung einer Engagementpolitik auf der Verbandsebene steht die zivilgesellschaftliche Schwächung der Verbände durch Prozesse der wirtschaftlich bestimmten Ausgliederung, Privatisierung und Standardisierung der Dienstleistungen gegenüber. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass von einer konsistenten Stellungnahme zur neuen Engagementpolitik seitens der Verbände gegenwärtig nicht gesprochen werden kann. Die Wohlfahrtsverbände können ihre Rolle als unterstützender und kritischer Partner der Politik – auch bezogen auf die neue Engagementpolitik – nur wahrnehmen (so ihre eigene Einschätzung), wenn es ihnen gelingt, die mittlerweile primär wirtschaftlich ausgerichteten Trägerinteressen so zu koordinieren und zu organisieren, dass die Dienstleistungserbringung durch die (Sozial-)Betriebe auch im Interesse der Hilfebedürftigen erfolgt. Leistungserbringung muss demnach vor allem bedürfnisorientiert gestaltet werden, was durchaus in Widerspruch zu einer effizienzfokussierten Leistungserbringung treten kann. Aus Sicht der Verbände besteht deshalb, vor dem Hintergrund ihrer sozialwirtschaftlichen Entwicklung und betriebswirtschaftlichen Erfolge, für die Einrichtungen und sozialen Dienste vor Ort eine Bringschuld: Da die Leistungserbringung in den zu Sozialbetrieben gewordenen Einrichtungen auch weiterhin durch zivilgesellschaftliches Engagement und Spenden gestützt wird, geradezu darauf angewiesen ist und dies zukünftig in noch stärkerem Maße als bislang sein wird, besteht auch die Notwendigkeit, die in den verschiedenen Arbeitsfeldern der Verbände erbrachten Leistungen (bspw. Umfang der Arbeit, Fachlichkeit des Personals, Entgeltstrukturen, Qualität, Wirkungen) transparent zu machen. Durch Strategien des Qualitätsmanagements soll gewährleistet werden, dass sich die Wohlfahrtsverbände in der Öffentlichkeit als Quali tätsgaranten ausweisen, denen es gelingt, effiziente Dienstleistungsorientierung, Fachlichkeit der Arbeit in den Sozialen Diensten sowie Werte- und Mitgliederorientierung miteinander zu verknüpfen. Da Wohlfahrtsverbände auch weiterhin – wenn auch mit sinkender Tendenz – mitgliedschaftlich verfasste Organisationen sind und darüber hinaus ein hohes Maß an bürgerschaftlichem Engagement organisieren und binden, bedarf es staatlicher Regelungen, einerseits um diese zivilgesellschaftliche Funktion (angesichts ihrer abnehmenden Bedeutung) zu stärken, andererseits aber auch, um die hier zivilgesellschaftlich geleistete Arbeit (im Rahmen der Wohlfahrtsverbände) für den Sozialstaat und das Gemeinwesen transparent zu machen. Aus verbandlicher Sicht ist es deshalb notwenig, für die Bürgerinnen und Bürger, die sich in den Diensten der Freien Wohlfahrtspflege engagieren, einen rechtlichen und finanziellen Handlungsrahmen zu schaffen, der durch entsprechende zuwendungsrechtliche Regelungen unterfüttert werden muss. Mehr Transparenz über Organisation der Arbeit und Leistungserbringung in den Sozialverbänden (sowohl durch Professionelle wie durch Ehrenamtliche) sowie öffentliche Rechnungslegung über Kosten und Nutzen Sozialer Dienste könnten dazu beitragen, das Vertrauen in den Gemeinwohlbezug der Verbände zu stärken. 1.1 Zur Empirie des Bürgerschaftlichen Engagements Die Anzahl der ehrenamtlich Tätigen in der Freien Wohlfahrtspflege beträgt nach der Gesamtstatistik der BAGFW (Gesamtstatistik 2008) ca. 2,5 - 3,0 Mio. Menschen. Bezogen auf 2008 sind den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege 34.817 Selbsthilfegruppen angeschlossen oder werden von der Freien Wohlfahrtspflege angeboten und unterstützt (vgl. Abb. 1). Gegenüber 2004 hat sich diese Zahl kaum verändert. Auch im längerfristigen Zahlenvergleich (siehe die Erhebung von 1996) pendeln sich die Zahlen bei knapp unter 35.000 Selbsthilfegruppen und Gruppen bürgerschaftlichen Engagements ein. Im Bereich der Selbsthilfegruppen und Gruppen bürgerschaftlichen Engagements finden sich nur wenig hauptamtlich Beschäftigte. 2008 waren es 6.708 Beschäftigte, zwei Drittel davon in Teilzeitbeschäftigung. Auch diese Zahlen sind gegenüber der Erhebung von 2004 konstant. Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände bspw. haben keine natürlichen Mitglieder, ebenso die Parität. Die Volkssolidarität (VS) bspw., die Mitglied in der Parität ist, organisiert in Ostdeutschland ca. 300.000 Mitglieder, die jedoch in der Gesamtstatistik nicht auftauchen, da dort nur die Parität als Dachverband von Mitgliedsorganisationen Berücksichtigung 135 Dialogforum Infrastrukturförderung Abb. 1: Selbsthilfegruppen und Gruppen des bürgerschaftlichen Engagements in der Freien Wohlfahrtspflege 1977 - 2008, Quelle: BAGFW 2008, S.14 40000 35000 34914 30000 25000 25327 20000 34923 34817 28397 27362 22120 15000 10000 5000 9828 0 1977 1984 1987 1990 findet. Insgesamt kann man von ca. 4 - 5 Mio. natürlichen Mitgliedern in Untergliederungen der Freien Wohlfahrtspflege ausgehen (vgl. dazu auch Boeßenecker 2005), die nur zum Teil identisch sind mit den in den Verbänden tätigen Ehrenamtlichen. 2. Bausteine einer verbandlichen Engagementpolitik 2.1 Die Auseinandersetzung um das Gemeinnützigkeitsprinzip Die Organisationsstrukturen in der Freien Wohlfahrtspflege einerseits gemeinwesenbezogene „gemischtwirtschaftliche“ Strukturen auf der örtlichen Ebene mit entsprechend kleinteiligen unternehmerischen Größenordnungen und einflusspolitisch organisierte Verbandsstrukturen auf Landes- und Bundesebene andererseits. Sie sind Resultat des Korporatismus im organisierten Wohlfahrtskapitalismus (der sog. „mixed economy“), als der Freien Wohlfahrtspflege noch der Status eines exklusiven, bevorzugten Partners des Sozialstaates zuerkannt wurde, dessen Expertise bei der programmatischen Ausgestaltung der sozialen Daseinsvorsorge und bei der fachlichen Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen des Sozialstaates gefragt war wie auch bei der Umsetzung der wohlfahrtsstaatlichen Aufga136 1996 2000 2004 2008 ben vor Ort bevorzugt Berücksichtigung fand. Diese bevorzugte Stellung der Freien Wohlfahrtspflege ist durch den wettbewerblichen Ordnungsrahmen geschwächt worden. Das Gemeinnützigkeitsprinzip, Folge der sozialstaatlich verankerten Anerkennung der Freien Wohlfahrtspflege und ihrer Einrichtungen als Partner des Sozialstaates (Subsidiaritätsprinzip), ist weiterhin in Kraft und stärkt bis heute die Stellung der Freien Wohlfahrtspflege gegenüber anderen Leistungserbringern im Sozialsektor (bspw. privat-gewerblichen Anbietern von sozialen Dienstleistungen), so die Schlussfolgerung aus wettbewerbsbezogener Perspektive. Die Organisationsstrukturen in der Freien Wohlfahrtspflege stehen in latentem Gegensatz zu den aktuellen Anforderungen einer vernetzten und Versorgungsketten abbildenden Unternehmensstruktur, deren zentraler Bezugspunkt eine effiziente Dienstleistungsproduktion ist. Die gegenwärtig schon zu beobachtenden Entwicklungen der Fusionierung und Vernetzung von Einrichtungen (auch trägerübergreifend) zeigen, dass die Geschäftsfeldpolitik auch mit der Anforderung verbunden ist, effizientere und (mit Blick auf den Kapitalbedarf) risikoärmere unternehmerische Strukturen der Hilfeerbringung zu schaffen. Die Wohlfahrtsverbände sind zweifellos auf dem Weg in die Sozialwirtschaft, ihre Organisationsstrukturen aber diesem Trend noch nicht entsprechend restrukturiert. Und auch die Dialogforum Infrastrukturförderung sozialrechtliche Privilegierung steht im Widerspruch zu den neuen nationalen, vor allem aber europapolitischen Gegebenheit. Dabei rückt gegenwärtig vor allem die Auseinandersetzung um die Tauglichkeit des Gemeinnützigkeitsprinzips in der deutschen Wohlfahrtspflege in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen und der Modernisierungsanforderungen. Die Europäische Kommission stuft große Teile der sozialen Dienstleistungserstellung in der Bundesrepublik als unternehmerische Tätigkeit ein, für die demnach das Subventionsverbot der EU gilt. Zugleich werden die Sozialunternehmen gezwungen, ihren Kapitalstock zu erhöhen, um die nötigen Investitionen vornehmen zu können. Durch diese Entwicklung nimmt der Druck auf das Gemeinnützigkeitsprinzip zu, weil es aus unternehmerischer Sicht der sozialwirtschaftlichen und unternehmerischen Entwicklung in den Einrichtungen Schranken auferlegt. Es drängt sich die Frage auf, ob das Gemeinnützigkeitsprinzip angesichts des von der EU auch für den sozialen Dienstleistungssektor geltend gemachten wettbewerblichen Ordnungsrahmens obsolet geworden ist. Dazu ist es notwendig, den gegenwärtig vorherrschenden Blick auf Leistungserbringer (also den Einrichtungen und Diensten, die sich zu Betrieben entwickeln) zu lösen und sich in Erinnerung zu rufen, welche Bedeutung das Gemeinnützigkeitsprinzip für den Sozialstaat und das Gemeinwesen hat. Gemeinnützigkeit ist in erster Linie sozialpolitisch zu verorten: Das Prinzip der Daseinsvorsorge knüpft die Schaffung und die Weiterentwicklung der sozialen Infrastruktur an den vorhandenen Bedarf und nicht an die Möglichkeit der Gewinnerzielung. Aus Sicht der Verbände ist das Gemeinnützigkeitsprinzip ein fundamentales Gestaltungselement der Zivilgesellschaft. Soziale Dienste gemeinnütziger Anbieter leisten einen wichtigen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt ,und sie erzeugen einen zivilgesellschaftlichen Mehrwert. Allerdings ergeben sich aus verbandlicher Sicht auch Nachteile aus der ihnen zuerkannten Gemeinnützigkeit, wie bspw. die zeitnahe, satzungsgetreue Mittelverwendung, die Einschränkung der unternehmerischen Handlungsfähigkeit durch die gemeinnützige Vermögensbildung und das Verbot der Quersubventionierung aus dem gemeinnützigen Bereich in wirtschaftliche Geschäftsbetriebe. Aus verbandlicher Perspektive besteht ein enger Zusammenhang zwischen Gemeinnützigkeit und Bürgerengagement: Bürgerengagement ist ein wesentliches Merkmal des Gemeinnützigkeitsregimes des sozialen Dienstleistungssektors und auch in einem sich zum Sozialmarkt entwickelnden Sektor langfristig unverzichtbar und durch die Wohlfahrtsverbände zu organisieren. Und das nicht nur aus finanziellen Überlegungen. Das Diakonische Werk stellt stellvertretend für die Freie Wohlfahrtspflege fest, dass Bürgerengagement in der Freien Wohlfahrtspflege nicht nur finanzpolitisch (Entlastungseffekte) und sozialwirtschaftlich (effizienzbezogen) begründet werden darf und Freie Wohlfahrtspflege sich nicht nur auf effiziente Leistungserbringung reduzieren darf, denn ihr Tätigwerden sei „auf der Grundlage der Menschenwürde, der Solidarität und des sozialen Zusammenhalts mit dem Effekt der Teilhabe der Nutzerinnen und Nutzer bzw. Bürgerinnen und Bürger an der Gestaltung, Erbringung und Evaluierung sozialer Dienste“ verbunden. Nutzer und Nutzerinnen sind dabei sowohl Personen und Gruppen mit besonderem Bedarf als auch darüber hinaus gesamtgesellschaftlich eingebundene Bürger als Akteure der Zivilgesellschaft. Aus verbandlicher Sicht steht damit das Gemeinnützigkeitsprinzip nicht im Widerspruch zum Wettbewerbsprinzip, sondern ist Ausdruck einer nationalstaatlich gewollten Ausprägung desselben, für dessen Regelungskompetenz die jeweiligen Mitgliedsstaaten der EU zuständig sind. 2.2 Positionierung zu rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen der Engagementpolitik Die Verbände fordern in verschiedenen Stellungnahmen die Verbesserung der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen des bürgerschaftlichen Engagements. Hierzu gehört in erster Linie die Forderung, das Zuwendungsrecht zu vereinfachen: „Das staatliche Zuwendungsrecht ist in seiner derzeitigen Ausgestaltung unübersichtlich und durch ein Übermaß an Bürokratie gekennzeichnet. Es behindert bürgerschaftliches Engagement“ (Teske, Vizepräsident des DW der EKD). Hierbei soll das Verhältnis des Staates zu den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege neu justiert werden. Aus verbandlicher Sicht ist dabei insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich bei Zuwendungen nicht um Subventionen für private Vorhaben handelt, sondern um anteilige Beiträge der öffentlichen Hand zur Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben. Das Proprium der Zuwendungsempfänger des Dritten Sektors sei deshalb in der Zwecksetzung, der Mittelverwendung und ihrer Kontrolle angemessen zu wahren. Gefordert wird durch die Verbände die Ersetzung der Fehlbedarfsfinanzierung durch eine Festbetragsfinanzierung und die Anerkennung des von den Verbänden aktivierten bürgerschaftlichen Engagements als Eigenmittel, die Erleichterung der Förderung mehrjähriger Projekte und die Abschaffung des Besserstellungsverbotes. Die Dachverbände haben hierzu eigens eine Projektgruppe „Reform des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts“ eingesetzt, die 137 Dialogforum Infrastrukturförderung an Vorschlägen zur Vereinfachung und Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts sowie an einer Selbstverpflichtung des Dritten Sektors zu mehr Transparenz arbeitet. Im Spendenrecht soll eine Vereinfachung der Zuwendungsbescheinigungen mit dem Ziel der Vermeidung unnötiger Overhead- bzw. Organisationskosten erfolgen. Die Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereins- und Stiftungsvorständen soll begrenzt werden. Gefordert wird eine Beschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz sowie für nicht abgeführte Steuern und Sozialabgaben. Einzelne Verbände wie die Diakonie möchten bürgerschaftliches Engagement in Form von Zeitspenden auf Bundesebene als Eigenmittel anerkannt haben. 2.3 Neue engagementpolitische Instrumente und Konzepte in den Sozialverbänden a) Internet1 Das Internet spielt eine zunehmende Rolle in der Beratung und Unterstützung von Freiwilligen. Dabei wird es in erster Linie als Forum genutzt, die Angebote der Freiwilligenarbeit bekannt zu machen, die Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern und Hinweise auf bestehende Organisationsformen zu geben. Die Nutzung des Internet als eigenständiges Kommunikations- und Austauschforum mit Chat-Funktionen, als Gruppenersatz, ist dagegen bislang wenig entwickelt und wird teilweise auch aus inhaltlichen bzw. datenschutzrechtlichen Gründen als nicht sehr sinnvoll angesehen. In einigen Verbänden wird daran gearbeitet, das bestehende Internetangebot zu erweitern. Gegen diese Entwicklung wird häufig kritisch hervorgehoben, dass das Internet die Konsumentenorientierung innerhalb des bürgerschaftlichen Engagements verstärke, insbesondere in Hinblick auf Engagementformen, die der Selbsthilfe zuzurechnen sind. Vielen Menschen genüge es, sich die sie interessierenden Informationen im Internet zu beschaffen, und für ein weitergehendes Engagement (bspw. in einer Selbsthilfegruppe) habe man dann keine Veranlassung mehr. Keineswegs bestätigt wird in Verbandsbefragungen allerdings die These, das Internet könne mittelfristig die Funktion der Gruppe als Austauschorgan ersetzen. Die psychologische Funktion individueller Unterstützung im persönlichen Kontakt wird nach wie vor nachgefragt und entwickelt sich parallel zu der feststellbaren Konsumentenorientierung eines Teils der engagementinteressierten Bevölkerung. Einzelne Verbände (der Paritätische bspw.) arbeiten intensiv an der Qualifizierung ihres Internetangebots und sehen hierin eine wichtige Plattform-Funktion für das bürgerschaftliche Engagement. 138 b) Bürgerschaftliches Engagement und Migration Eine Verstärkung der Migrantenorientierung in der Förderung und Aktivierung von bürgerschaftlichem Engagement wird seit einigen Jahren heftig gefordert und in einzelnen Verbänden mit Bezug auf neue Aufgaben (z. B. Selbsthilfe) diskutiert. Ein Vorwurf lautet, die bestehenden Infrastruktureinrichtungen seien überwiegend auf den deutschen Kulturkreis ausgerichtet, und in Folge dessen könnten zu wenig Menschen mit Migrationshintergrund für Engagement aktiviert werden. In Deutschland sind auf lokaler Ebene gegenwärtig einige tausend Migrantenselbstorganisationen (MSO) tätig, die Engagement im Rahmen ihres jeweiligen Kontextes fördern. Diese MSOs sind vorwiegend mit kulturellen, schulischen und freizeitbezogenen Aktivitäten befasst. „Die Verknüpfung der MSO mit der etablierten und gesetzlich verankerten gesundheitsbezogenen Selbsthilfeunterstützung über eine der vielen Selbsthilfekontaktstellen scheint kaum zu existieren“ (Kofahl 2007). Dabei muss zwischen dem Begriff der Migrantenselbsthilfe und Migrantenselbstorganisation unterschieden werden: Migrantenselbstorganisation entstehen und arbeiten im Wesentlichen bezogen auf soziale und politische Zielsetzungen. Eine Vielzahl von MSO haben demnach gesellschafts- und sozialpolitische Bezugspunkte. Was sich in den letzten Jahren geändert hat, ist in erster Linie die „Wahrnehmung bei den deutschen Akteuren.“ Bis in die jüngste Zeit hinein wurden die MSOs politisch kaum gefördert, es sei denn über ABM und das Programm Arbeit statt Sozialhilfe im Rahmen des alten BSHG. Diese Förderung hat zu einer Professionalisierung der Verbandsarbeit in den MSOs geführt. Versuche der MSOs, eine den Spätaussiedlern vergleichbare Förderung zu erhalten, sind immer wieder abgelehnt worden und erst in jüngster Zeit – mit dem starken Rückgang von neuen Spätaussiedlern – beginnt die Politik auch die MSOs zu fördern. Die bestehenden Infrastruktureinrichtungen der Verbände spielen dabei allerdings kaum eine Rolle. 3. Organisationsentwicklung in der Freien Wohlfahrtspflege mit Bezug auf Engagementpolitik Blickt man auf die Modernisierungsbestrebungen der einzelnen Verbände, so ergeben sich in knapper Zusammenfassung folgende Akzentsetzungen: Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) hat auf die veränderten Rahmenbedingungen im Sozialsektor mit einer umfassenden verbandspolitischen Reorganisation Dialogforum Infrastrukturförderung reagiert. Diese besteht im Kern in einer Qualifizierungsoffensive zur Institutionalisierung einer AWOQualitätspolitik und einer AWO-Qualitätssicherung in Verbindung mit einer AWO-Wettbewerbsstrategie zur Zukunftssicherung des Verbandes (vgl. Brückers 1998). Ziel der Qualitätsoffensive ist es, ein Auseinanderfallen des Verbandes zu verhindern und die Arbeiterwohlfahrt zu einem „unverwechselbaren Gütezeichen“ zu entwickeln. In der Ökonomisierung des Sozialsektors wird die Gefahr einer Entwicklung der Verbände zu professionellen Dienstleistern gesehen, die den Gemeinwesenbezug und das Engagement verdrängen könnte: „Die rapide Umformung der Verbände in professionelle Dienstleistungsunternehmen lässt das Augenmerk auf die Qualität der Leistung, die Bedürfnisse der ‚Kunden‘ und auf den wirtschaftlichen Erfolg richten. Professionalität begründet sich dabei immer weniger in weltanschaulichen Positionen, sondern im fachlichen Können. Es wird in den Verbänden gezwungenermaßen in ökonomischen Kategorien gedacht, und die Verantwortlichen in den Vorständen und Geschäftsführungen sind vorwiegend mit Fragen des Organisationsmanagements zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der professionellen Arbeitsfelder ausgelastet“ (Pott 2000, S. 7). Ein zentrales Ziel der Organisationsentwicklung in der AWO ist die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements. Dies erfordert aus Verbandssicht ein professionelles Management, das in einer zweifelsfreien Zuständigkeit auf der Führungs- und Leitungsebene seinen sichtbaren Ausdruck findet. Ihre Festlegung beinhaltet Kompetenzen über finanzielle und personelle Ressourcen. Sie ist Teil des definierten Anforderungsprofils der betreffenden Funktion. Ein wesentlicher Aspekt der Wertschätzung von Engagement ist aus Sicht der AWO die Einbeziehung in das verbandliche und betriebliche Informations- und Kommunikationssystem. Die Beteiligung der Engagierten bzw. Ehrenamtlichen am Informationsaustausch und an für ihre Aufgabenwahrnehmung relevanten Gremien zählt zu den Maßstäben einer willkommenen Mitarbeit auf Augenhöhe. Kritisch weisen führende Verbandsvertreter darauf hin, dass der Aufbau eines neuen Freiwilligenmanagements in erster Linie von der Einstellung und dem Problembewusstsein einzelner Geschäftsführungen, Vorstände oder Einrichtungsleitungen abhängt. Eine verbandspolitisch abgestimmte und verbindliche strategische Ausrichtung zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements existiert nicht. Um dieses Defizit zu überwinden ist im Rahmen der Verbandsentwicklung ein Pilotprojekt in einem größeren Bezirksverband durchgeführt worden, zu dem neben der Entwicklung von zielgruppenspezifischen Standards die Identifizierung von verbandspolitischen Qualitätsstandards gehört. Bei der Festlegung der zielgruppenspezifischen Standards wurde versucht, vorrangig durch die Brille der Engagierten zu gucken. Bei den verbandspolitischen Qualitätsstandards wurde darauf geachtet, einen Gestaltungsrahmen für bürgerschaftliches Engagement in den verschiedenen Arbeitsbereichen und Verbandsebenen zu erreichen. Hierzu gehören Standards wie „Bürgerschaftliches Engagement wird als integrative Querschnittsaufgabe in allen Verbands- und sozialen Dienstleistungsorganisationen festgelegt“ und „Die Maßnahmen zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements werden auf ihren Erfolg hin überprüft und weiter entwickelt“. Der Deutsche Caritasverband (DCV) sieht in der Veränderung fachlicher, politischer und ökonomischer Rahmenbedingungen einen zwingenden Grund zu einer Überprüfung der Leistungsfelder der verschiedenen Ebenen caritativer Organisationen und der Kommunikation und Kooperation zwischen diesen Ebenen (vgl. Zentralrat des DCV). Der Verband will seine spitzenverbandlichen Funktionen inhaltlich präzisieren und stärken und entsprechend diesen Funktionen die Leistungen der Verbandszentrale optimieren. Die Kooperation und Kommunikation zwischen der Verbandszentrale des DCV einerseits und den Geschäftsstellen der Diözesan-Caritasverbände, der zentralen caritativen Fachverbände und caritativen Bundesarbeitsgemeinschaften sollen neben einer verbandspolitischen Orientierung durch eine leistungsvertragliche Orientierung neu gestaltet und gestärkt werden. Die Differenzierung von Lobbyarbeit und Dienstleistung ist innerhalb des DCV ein heftig diskutierter Bezugspunkt der künftigen Organisationsentwicklung. In seinen strategischen Zielen hat der Deutsche Caritasverband auch die Neubestimmung der Freiwilligenarbeit akzentuiert. Die zivilgesellschaftliche Verankerung der Caritas zu erhalten, ist danach ein Hauptanliegen des Verbandes. Aus Sicht des Verbandes stehen alte und neue Formen des freiwilligen Engagements nicht in Konkurrenz zueinander, sondern müssen gleichermaßen anerkannt und gefördert werden. Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (DW der EKD) hat nach der deutschen Einigung verschiedene Phasen der Reorganisation durchschritten, was durch die Einsetzung einer Struktur- und Personalkommission durch den Diakonischen Rat symbolisiert wird. Eine neue Zusammenarbeit zwischen der Bundesgeschäftsstelle, den Landesund Fachverbänden ist vorgesehen. Auf einer zweiten Ebene soll die Zusammenarbeit zwischen der Bundes- und den Landesgeschäftsstellen sowie den Diensten und Einrichtungen verbessert werden. Es 139 Dialogforum Infrastrukturförderung soll stärker in Projektgruppen gearbeitet werden und die Partizipation der Landesverbände und Dienste und Einrichtungen soll optimiert werden. Durch Auslagerung von Dienstleistungsbereichen sollen neue Formen der Kooperation zwischen Verbandszentrale und Untergliederungen ermöglicht werden. Die Positionierung des DW hinsichtlich der verschiedenen Freiwilligendienste lässt erstmals auch die Bezugnahme auf das bürgerschaftliche Engagement erkennen. Im Grundsatzpapier „Freiwilliges Engagement in Kirche und Diakonie“ stellt das DW der EKD fest, dass die Prägekraft des Engagements in der Gesellschaft zwar nachlässt, dass aber „viele Menschen durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit auch eine Form finden, ihren Glauben auszudrücken und zu leben“ (DW 2006, S. 15). Die evangelische Kirche versteht ihren öffentlichen Auftrag als Seelsorge am Gemeinwohl. Daran nimmt auch das Ehrenamt teil. Offizielle Statistiken weisen für die Gliedkirchen der EKD knapp eine Million Ehrenamtliche aus. Davon sind 70% Frauen (Erhebungsbasis 2002, vgl. Statistik der Ev. Kirche in Deutschland). Das Ausmaß der Tätigkeit ist dabei sehr unterschiedlich. So ist das Engagement in Kirchenchören ein Bereich, der in stetem Wachstum begriffen ist. Gleichwohl ist auch im Bereich der Evangelischen Kirche und in der Diakonie seit geraumer Zeit eine Diskussion darüber im Gange, wie die Rahmenbedingungen für das ehrenamtliche Engagement verbessert werden können. Dabei seien hier einige Zielsetzungen genannt: • Beteiligung: Ehrenamtliche sollten die Möglichkeit erhalten, mehr Verantwortung zu übernehmen, bspw. auch im Bereich der Finanzen; • regelmäßige Nachwuchsgewinnung; • Begleitung und Ermutigung durch Hauptamtliche bzw. durch die Gemeindeleitung ist notwendig; • Rahmen: Oft mangelt es an genügender Bereitstellung von Arbeitsmitteln und Räumen; • Qualifikation: Aus- und Fortbildung ist nicht nur ein notwendiges Instrument für die Qualifizierung im Ehrenamt, sondern zugleich ein für die Ehrenamtlichen wertvolles Element der Gegenleistung für ihr Engagement. Dies gilt nicht nur im Sinne der Gewinnung von neuen Qualifikationen, sondern auch mit Blick auf die subjektive Lebensorientierung; • Anerkennung: Gottesdienstliche Einführung in den ehrenamtlichen Dienst, Verabschiedung, jährlicher Tag der Ehrenamtlichen in der Gemeinde sind hier einige Elemente der ideellen Anerkennung des Ehrenamts und bringen zum Ausdruck, dass das Ehrenamt konstitutives Element des Gemeindeaufbaus ist. Es gibt hierzu eine Reihe von Leitlinien der einzelnen Landeskirchen und Materialien der Diakonischen Werke. 140 • Finanzierung: Das Ehrenamt soll keine materielle Vergütung erfahren, allerdings sollten die Auslagen erstattet werden. Es bedarf darüber hinaus aus Sicht der Kirche und der Diakonie der stärkeren finanziellen Ausstattung für verbesserte Rahmenbedingungen (u. a. auch für das hauptamtliche Personal). Dabei sind auch außerkirchliche Finanzierungsquellen wie Stiftungen und Sponsoring zu nennen; • Abgrenzung: Das Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen bedarf aus Sicht der Kirche und der Diakonie klarer Abgrenzungen und eigener Wertschätzung. Freiwillige sind keine Lückenbüßer, sondern haben ihr eigenes Profil und bringen ihre eigenen Kompetenzen ein. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) befindet sich in einem umfassenden Prozess der verbandlichen Reorganisation. Dieser begründet sich aus der Einschätzung des Verbandes, dass die zukünftigen Rahmenbedingungen im Bereich sozialer Dienstleistungen das DRK vor erhebliche Herausforderungen stellen wird. Es wird von einem Rückgang der staatlichen Förderung, einem verschärften Wettbewerb im Sozialsektor und einer wachsenden Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen ausgegangen. Das DRK hat sich entschieden, seine derzeitigen Strukturen diesen veränderten Rahmenbedingungen anzupassen, insbesondere sich dem im marktfähigen und nicht-marktfähigen Bereich schärfer werdenden Wettbewerb zu stellen und mit einer nationalen Aufgabenanalyse (Portfolio) darauf reagiert. Konsequenz dieser Aufgabenanalyse ist aus Sicht des Verbandes die Notwendigkeit der Trennung der marktfähigen von den nicht-marktfähigen Bereichen (unter einem „gemeinsamen Dach“), die Nutzung von Synergieeffekten und eine effiziente Leistungserbringung und Mittelverwendung. Die gesamtverbandlichen Reorganisationsmaßnahmen zielen auf • die finanzielle, personelle und organisatorische Trennung der sogenannten marktfähigen Aufgaben von den Idealvereinsaufgaben; • die unverzügliche rechtliche Prüfung und baldige Einführung geeigneter aufbauorganisatorischer Modelle (z. B. gemeinnützige Stiftung als Träger von Sozialbetrieben, Holding etc.); • d ie Stärkung einer gemeinsamen Unternehmenskultur (insbesondere im Führungs- und Leitungsbereich). Im nicht-marktlichen Bereich sollen die dezentralen Strukturen gestärkt und ehrenamtliche Dienste stärker ausgebaut werden. Ziel des Verbandes ist der Auf- und Ausbau eines professionellen Perso- Dialogforum Infrastrukturförderung nalmanagements für Rotkreuz-Gemeinschaften und Ehrenamtliche, z. B. über verbesserte Fortbildungsangebote für diese Tätigkeiten. Nach umfänglichen Debatten hat sich das DRK im Rahmen seiner Strategieentwicklung entschieden, das Spannungsfeld von marktlichen und nicht-marktlichen Aufgabenfeldern nicht zu verlassen, sondern in ihm zu bleiben und im DRK einen gemeinsamen Raum für bürgerschaftliches Engagement zu schaffen, nicht zuletzt, um die Anerkennung seiner Gemeinnützigkeit zu erhalten. Aus verbandlicher Sicht sollen neue Wege und Formen, das freiwillige, ehrenamtliche, Bürgerschaftliche Engagement einzubeziehen weiter entwickelt werden. Bei der Ansprache potentieller Freiwilliger will sich das DRK bewusst auf Frauen und Männer im höheren Lebensalter, die so genannten „jungen Alten“, konzentrieren. Der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) sieht sich durch die veränderten Rahmenbedingungen im Sozialsektor ebenfalls vor erheblichen Reorganisationsnotwendigkeiten. Dabei müssen aufgrund der besonderen Verbandsstruktur die Beziehungen von Haupt- und Ehrenamtlichen im Verband in den Blick genommen und die Rolle von Landesverbänden und örtlichen Mitgliederverbänden geklärt werden. Die Aktivierung von Engagement und die Kombinierung der verschiedenen selbstorganisierten Organisationsformen im Verband führen dabei zu unterschiedlichen Akzentuierungen der innerverbandlichen Strategie auf der Ebene der Landesverbände. Das Gesamtthema bürgerschaftliches Engagement und dessen Unterstützungsstrukturen spielt in den Landesverbänden eine wichtige Rolle. Dabei sind einige Länder besonders aktiv in der Engagementpolitik und haben diese zum Leitthema erklärt. Die Unterstützungsstrukturen für das freiwillige Engagement im Bereich der Parität weisen keine erkennbaren Überschneidungen zu dem Bereich der organisierten Selbsthilfe auf und lassen sich nach Aussage der Mehrzahl der Experten auch nicht für diese mobilisieren. Umgekehrt sind die Infrastrukturen der Selbsthilfeunterstützung nur in Ausnahmefällen mit einer weitergehenden Engagementpolitik befasst. Für den Paritätischen handelt es sich also um ein wichtiges Thema, das aber auf Grund seiner Nähe zur neuen kommunalen Sozialpolitik, die das in der Bevölkerung vorhandene Engagementpotenzial als sozialpolitische Ressource zu entdecken beginnt, auch mit Risiken für den Verband behaftet ist. Diese bestehen in erster Linie darin, dass die verbandlichen Zwecksetzungen mit den sozialpolitischen Zielen, auf lokaler Ebene GovernanceStrukturen zu schaffen, die sich einem bürgerschaftlich orientierten Sozialstaatsumbau widmen und das bürgerschaftliche Engagement unter finanziellen Ent lastungsgesichtspunkten mit der professionellen Hilfe verkoppeln sollen, in Eins gesetzt bzw. vermischt werden. Die Landesverbände des Paritätischen halten das Thema Selbsthilfe als Teilbereich des bürgerschaftlichen Engagements überwiegend für ein Thema von besonderer verbandspolitischer Wichtigkeit. Allerdings sind die Unterstützungsstrukturen für die Selbsthilfe auf Verbandsebene sehr unterschiedlich ausgeprägt und zum Teil (noch) gar nicht vorhanden. Teilweise übernehmen Referenten des Verbandes diesen Aufgabenbereich in Nebenaufgabe, was aus ihrer Sicht zu einer völlig unzureichenden Unterstützungsmöglichkeit für das Selbsthilfethema im Verband führt. Das Gleiche lässt sich für das Thema bürgerschaftliches Engagement feststellen, das fast überall ein von der Selbsthilfe abgesondertes (verbandliches) Eigenleben führt. Auf Verbandsebene sind nur selten systematisch ausgerichtete Diskussions- und Reflexionsforen vorhanden, die auf Veränderungen in der Gesamtstruktur der Selbsthilfe reagieren könnten und Impulse für die Weiterentwicklung der Verbandsarbeit geben könnten oder die Themen Selbsthilfe und bürgerschaftliches bündeln. In einigen Landesverbänden des Paritätischen sind bereits erste Schritte unternommen worden, um die organisatorischen Binnenstrukturen im Sinne einer Engagement unterstützenden Verbandskultur weiter zu entwickeln. Dabei geht es in erster Linie um die Intensivierung des Dialogs mit den Mitgliedsorganisationen, die in der Parität als Ebene der Leistungserbringer fungieren und das Engagement organisieren und bündeln, und deren systematische Integration in die Verbandsarbeit. Es geht aber auch um die konzeptionelle Verkoppelung aller engagementfördernden Strukturen des Verbandes in extra dafür ausgewiesenen Organisationseinheiten. 4. Verbandliche Engagementpolitik als soziale Dienstleistung für öffentliche Kostenträger Dezentralisierte Politikstrategien, Strategien also, in denen der Bund oder das Land lediglich Rahmenbedingungen formuliert und die programmatische Ausgestaltung weitgehend der kommunalen Ebene mit viel Ermessensspielraum überträgt (wie bspw. in der lokalen Arbeitsmarktpolitik, der lokalen Integrationspolitik, der Politik lokaler Bildungslandschaften und der auf Inklusion verpflichteten Behindertenhilfe beobachtbar), haben in die nationale Sozialpolitik Eingang gefunden und mittlerweile auch die Steuerung der Sozialen Dienste erreicht. Gestalt und Erbringungsformen Sozialer Dienste verändern sich dadurch (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2010). Dezentralisierte Politikstrategien mit Auswirkungen auf die Sozialen 141 Dialogforum Infrastrukturförderung Dienste und die Wohlfahrtsverbände findet man unter einer Vielzahl von Namen: Kommunalisierung, Community Organizing, Sozialraumbezug und ähnliches. Ziel dieser Strategien ist es, lokale Ressourcen zu aktivieren und zu bündeln, die politische Steuerung bei der Bearbeitung lokaler Probleme durch die Kommune zu stärken und effizientere Formen der Problembearbeitung zu implementieren. Diese Kommunalisierungsstrategien haben auf lokaler Ebene weitere Dezentralisierungsprozesse zur Folge (z. B. Sozialraumorientierung), die der Zielsetzung folgen, lokale Akteure einschließlich der Bürgerschaft für kommunale Aufgaben zu aktivieren und zivilgesellschaftliche Organisationen und Sozialorganisationen in die Durchführung der kommunalen Selbstverwaltungsaufgaben einzubeziehen (dieser Ansatz wird als Local Governance bezeichnet). Local Governance hat das Ziel, die Kommune und die örtlichen Akteure zu mehr Eigenverantwortung zu aktivieren und Ansätze für eine eigenverantwortliche lokale Problembearbeitung zu generieren. Das strategische Management in Kommunalverwaltungen kann Bestandteil der Local Governance werden. Die Propagierung von Local Governance zum neuen Leitbild der Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung wird dazu beitragen und ist schon jetzt Ursache dafür, dass das Lokale, das Gemeinwesen, der soziale Nahraum eine politische Aufwertung erfährt und dadurch zu einem neuen Maßstab der Sozialpolitik wird: Sozialpolitik, die Regulierung des Sozialen ist nicht länger exklusives Vorrecht des nationalen Sozialstaats, sondern wird zu einer genuinen Aufgabe der subnationalen, substaatlichen Ebenen (im Fall der Bundesrepublik: der Kommunen) erklärt. Diese Entwicklungen könnte man sehr allgemein als Dezentralisierungsprozess sozialstaatlicher Aufgaben beschreiben. Die alte sozialstaatliche Arbeitsteilung zwischen staatlicher Politikentwicklung und örtlicher Politikumsetzung ist brüchig geworden, da von der lokalen Ebene zunehmend erwartet wird, dass sie eigene Ansätze einer eigenverantwortlichen kommunalen Sozialpolitik entwickelt. Dadurch bahnt sich eine Transformation sozialstaatlicher Regulation und Organisation durch die Neuordnung von Verantwortung an, die international als staatliche Devolution, also als „Tieferzonung“ staatlicher Verantwortung und Richtlinienkompetenz durch Stärkung der Autonomie lokaler Settings (vgl. Grell 2008) oder als Dezentralisierung, d. h. als politisch gewollte Aufgabenübertragung an eigenständige subnationale Selbstverwaltungsebenen (bei uns auch als Kommunalisierung bezeichnet) wie als Dekonzentration von Verwaltungsaufgaben (vgl. Wollmann 2010) diskutiert wird. Die Dezentralisierungspolitik von Bund und Ländern stellt für die 142 kommunale Sozialpolitik eine große Herausforderung dar, nicht nur weil sich hier neue Kosten für das Gemeinwesen abzeichnen, sondern auch weil die Entwicklung einer autonomen, substaatlichen Sozialund Inklusionspolitik von den Kommunen nur mittels des Einsatzes neuer Steuerungs- und Handlungsinstrumente bewältigt werden kann. Die Dezentralisierung von Aufgaben hat in der Bundesrepublik in der Arbeitsmarktpolitik ihren Ursprung und ist mittlerweile auch fester Bestandteil der neuen Fürsorgepolitik des aktivierenden Staates. In den 1990er Jahren wurde durch die EU eine Reihe von dezentralisierten Fördermaßnahmen angestoßen. Der Dezentralisierungsgedanke hat seitdem die Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigungsförderung stark beeinflusst. Beobachten lässt sich schon seit längerem: Arbeitsmarktpolitik ist nicht mehr vorrangig Beschäftigungsförderung, die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt hat Priorität, die Eigenverantwortung der Arbeitnehmer rückt in den Vordergrund, und durch die Dezentralisierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und Kompetenzen wird die arbeitmarktpolitische Rolle der Kommunen aktiviert. Territoriale Beschäftigungspakte sollen die zentralstaatliche Arbeitsmarktpolitik ergänzen (z. T. aber auch ersetzen). Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit setzt man seitdem verstärkt auf sog. sozialräumliche Lösungen durch die lokale Gemeinschaft (vgl. Eick u. a. 2004), wie z. B. die Entwicklung einer lokalen Ökonomie zur Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für sozial benachteiligte Gruppen. Da individuelle Hilfebedarfe und die Konzentration von Armutsproblemen immer kleinräumig auftreten, spielen in der Dezentralisierungspolitik Sozialräume und ihre Aktivierung eine herausragende Rolle. Sozialarbeit soll sich dementsprechend zu einer bürgerschaftlichen Sozialarbeit weiterentwickeln, deren Aufgabe es (auch) wird, die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements im Sozialraum zu betreiben und die Zusammenarbeit mit Bürgern/innen und zivilgesellschaftlichen Vereinigungen im sozialen Nahraum zu organisieren, um auf diesem Wege soziale Integrationsaufgaben wahrzunehmen. Im Rahmen der Neuordnung der Sozialhilfe durch das SGB XII (aber nicht nur da) wurde das Aktivierungsparadigma für Soziale Dienste verpflichtend, und Hilfeempfänger sind dazu verpflichtet, bürgerschaftliches Engagement zu leisten (was das SGB II als Pflicht zur Wahrnehmung von Arbeitsgelegenheiten umschreibt). Durch die Betonung des Subsidiaritätsprinzips (Betonung der Eigenverantwortung und der primären Zuständigkeit von Familien für materi- Dialogforum Infrastrukturförderung elle und soziale Hilfen), bei gleichzeitiger Betonung des Nachrangprinzips, ist auch die Zivilgesellschaft aufgefordert, sich in Form von bürgerschaftlichem Engagement an den Aufgaben der Sozialhilfe zu beteiligen. Dadurch ist die Sozialhilfe anschlussfähig geworden an den Diskurs über Zivilgesellschaft, Bürgerkommune und bürgerschaftliches Engagement, der die Neujustierung des Sozialstaates zum aktivierenden Sozialstaat, der eine neue Arbeitsteilung zwischen Bürger, Zivilgesellschaft und Staat sucht, von Anfang an begleitet hat (vgl. dazu die Berichte der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages). Die Einbeziehung des Bürgers in die sozialstaatliche Leistungserstellung (sei es nun in Form von Selbsthilfe, familiärer Eigenverantwortung oder zivilgesellschaftlichem Engagement) soll sicherstellen, dass soziale Arbeit als Koproduktion von professioneller Hilfe, bürgerschaftlichem Engagement und Eigenarbeit organisiert wird, um damit das freiwillige Engagement in die Leistungskette sozialer Dienste berechenbar einzubauen. Die Verbände reagieren auf diese Herausforderung in erster Linie durch die Beteiligung bzw. Initiierung von Modellprojekten, die in unterschiedlichen sozialen Dienstleistungsbereichen eine dauerhafte Verknüpfung von professionellen Angebotsformen und freiwilligen Leistungen erproben. Hierbei geht es bspw. in der Behindertenhilfe darum, ein neues fallübergreifendes und sozialraumorientiertes Steuerungs- und Finanzierungsmodell zu entwickeln, das eine Integration aller professionellen Akteure in der Region, aber insbesondere die Einbeziehung von Ehrenamtlichen, Bürgerhelferinnen und –helfern sowie Organisationen und Personen jenseits der Behindertenhilfe ermöglicht. Die sozialprofessionelle Inklusionsarbeit im Stadtteil könnte dabei anteilig in der Berechnung der Fachleistungsstunden Berücksichtigung finden. Von den Verbänden bzw. ihren Trägern und Einrichtungen wird in diesem Zusammenhang gefordert, ihren Fokus um die Perspektive des Sozialraums zu erweitern. Im Rahmen von Community Organizing soll die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im Stadtteil verbessert werden. Die verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteure eines Sozialraums sollen gemeinsam die Verbesserung ihres Lebensumfelds gestalten. Dezentrale Politikstrategien sind höchst anspruchsvoll, da den Kommunen Aufgaben zuwachsen, mit denen sie bislang nur peripher beschäftigt waren. Angesichts der chronisch schlechten finanziellen Ausstattung der Kommunen ist auch fraglich, ob sie diese anspruchsvolle Arbeit überhaupt leisten können: nämlich die Substitution des Wohlfahrtsstaates durch die Wohlfahrtsgesellschaft. Da ein Großteil der mit diesem Projekt verbundenen Aufgaben (vor allem die Aktivierung von bürgerschaftlichem Engagement und deren Vernetzung mit den professionellen Hilfen) auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips an die Wohlfahrtsverbände delegiert werden, müssen die Wohlfahrts- und Sozialverbände verbandliche Strategien zur Aktivierung und sinnvollen Nutzung von Engagement entwickeln. Dieser Aufgabe können sie sich aufgrund ihres Anspruchs, Gemeinnützigkeitsakteure zu sein, nicht entziehen. Die Verkoppelung von Entgeltregelungen für die von ihnen erbrachten sozialen Dienstleistungen mit Bedingungen der Aktivierung und Einbeziehung von lokalem Engagementpotenzial seitens der öffentlichen Kostenträger macht es auch unmöglich, diese Aufgabe nicht zu leisten. Die Wohlfahrts- und Sozialverbände sind demnach gehalten, eine eigene verbandliche Engagementpolitik zu entwickeln und zu implementieren, wollen sie zum einen ihren Gemeinnützigkeitsstatus angesichts der weiter zunehmenden Vermarktlichung des sozialen Dienstleistungssektor nicht verlieren und wollen sie zum anderen weiterhin als professionelle Dienstleister in der vorhandenen sozialen Infrastruktur vor Ort tätig sein. Die Entwicklung verbandlicher Engagementpolitiken ist für die Wohlfahrts- und Sozialverbände eine Überlebensnotwenigkeit. Herausforderungen bei der Entwicklung einer eigenständigen verbandlichen Engagementpolitik stellen sich nicht nur aufgrund der Ziele, Vorgaben und Auflagen durch öffentliche Kostenträger ein, sondern auch durch Besonderheiten, Eigentümlichkeit, Traditionen und Selbstbilder, die das schon vorhandene Feld des bürgerschaftlichen Engagements prägen. 5. Entwicklungstrends und Herausforderungen für eine verbandliche Engagementpolitik Seit der Arbeit der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagement“ (vgl. EnqueteKommission 2002) ist die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zu einem zentralstaatlich gesteuerten Anliegen geworden. Engagementförderung, bspw. in Form von Selbsthilfeförderung und der Schaffung von dazugehörigen selbsthilfefördernden Infrastrukturen, ist zwar schon länger Aufgabe staatlicher Politik (vgl. Breitkopf/Wohlfahrt 1995), war aber bis zu diesem Zeitpunkt vor allem Angelegenheit der Länder und darauf ausgerichtet, Gelegenheitsstrukturen für ein freiwilliges Engagement zu fördern. Seit der Enquetekommmission, die ihren Auftrag bekanntlich aus der Agenda 2010 der Schröder-Regierung ableitete und dementsprechend als Instanz eines auf Aktivierung orientierten Sozialstaatsumbaus agierte, ist Engagementförderung zur Engagementpolitik weiterentwickelt worden. Selbsthilfe und Engagement 143 Dialogforum Infrastrukturförderung haben nicht länger – wie zuvor – den Charakter einer die sozialstaatlichen Leistungen ergänzenden Aktivität, sondern sollen diese langfristig substituieren oder aber gleichberechtigt neben die professionellen Leistungsangebote treten und diese entlasten. Deshalb lässt sich von einer etatistischen Wende in der deutschen Engagementpolitik sprechen, die durch die Enquetekommission eingeleitet wurde. Im Rahmen der neuen Engagementpolitik ist die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zu einem härteren Politikbereich geworden, der nicht mehr allein durch die Ministerialverwaltung gestaltet wird. Die Akteure der Zivilgesellschaft und die Bürgerinnen und Bürger, die sich auf der neu gestalteten EngagementPlattform betätigen, sehen sich seitdem verstärkt mit politischen Forderungen und, soweit sie finanzielle Unterstützung erhalten, auch mit Auflagen konfrontiert, das bei ihnen vorhandene Engagementpotenzial sozialstaatlichen Zielen zu unterstellen. a) Angesichts der Herausforderungen des demografischen Wandels und mit Blick auf eine funktionierende Bürgergesellschaft fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) freiwilliges Engagement auf vielfältige Weise: als Investition in bürgerschaftliches Engagement. Seit dem Sommer 2007 bündelt die Initiative ZivilEngagement „Miteinander – Füreinander“ Projekte, Maßnahmen und Vorhaben, mit denen das BMFSFJ das freiwillige Engagement stärkt. Engagementförderung erhält dadurch einen hohen Stellenwert und wird politischer. Darüber ist nach Ansicht des Bundesfamilienministeriums eine Abstimmung mit der Wirtschaft im Sinne von Corporate Citizenship für eine erfolgreiche Engagementpolitik unerlässlich. Das bürgerschaftliche Engagement in und von Unternehmen müsse zu einem wichtigen zivilgesellschaftlichen Faktor weiter ausgebaut werden. Und auch die enge Kooperation mit den Organisationen der Zivilgesellschaft ist demzufolge unerlässlich – nicht zuletzt deshalb, um mehr Klarheit und Struktur von Informationen und Angeboten zu erreichen. Die Verbände der Zivilgesellschaft haben es bislang versäumt, auf diese etatistische Wende, die Politisierung des Engagements durch den Staat, eine angemessene Antwort zu finden. Die Gründe hierfür liegen zum einen in dem dominanten sozialwirtschaftlichen Reorganisationsprozess, der zu einer weiteren Schwächung und Marginalisierung der Potenziale für freiwilliges Engagement geführt hat (z. B. durch die Entwicklung neuer Unternehmensstrukturen mit professioneller statt zivilgesellschaftlicher Steuerung), zum anderen in der nach wie vor starken Politiknähe verbandlicher Programmatiken, die die Entwicklung einer eigenständigen zivilgesellschaftlichen Position in den Hintergrund drängen. Die etatistische Wende 144 in der Engagementförderung führt dazu, dass die Verbände im Sozialsektor ihre verbandlichen Strategien dieser Wende anpassen (um Staats- und Politiknähe zu demonstrieren), die Engagementpolitik aber noch ein Stück weiter politisieren, wenn sie im Gegenzug vom Staat bessere Rahmenbedingungen für das Engagement (bspw. Gemeinnützigkeitsanerkennung der Verbandsarbeit trotz zunehmender Ökonomisierung ihrer Betriebe) und staatliche Investitionen in eine engagementfördernde Infrastruktur fordern (die Liste reicht hier von der Schaffung einer Pflichtaufgabe für Länder und Kommunen bis hin zur Finanzierung von Vollzeitstellen für die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement für jeden Spitzenverband aus Landeslotteriegeldern). Daraus ergibt sich die scheinbar paradoxe Situation, dass das bürgerschaftliche Engagement mittlerweile fast überall verbandspolitisch einen hohen Stellenwert einnimmt, indem die Wahrnehmung dieser Aufgabe in der Aufbauorganisation der Verbände fast überall ausgewiesen wird, die Entwicklung innerverbandlicher strategischer Konzepte aber defizitär, noch nicht in Angriff genommen oder gar nicht durchsetzbar ist, weil die regionalen und örtlichen Ebenen ihre jeweils eigenen Politiken der Engagementförderung nach Maßgabe der betrieblichen Interessen vor Ort implementieren. Die Freie Wohlfahrtspflege hat es bislang versäumt, eine zivilgesellschaftliche Antwort auf die staatliche Herausforderung einer Engagementpolitik zu finden. Dieser Tatbestand setzt sich fort bis hin zu ihrer Rolle im BBE, die häufig inner- wie interverbandlich ungeklärt und umstritten ist. b) Das Engagementpotential, das sich den Verbänden vor Ort bietet, wird mittlerweile nicht mehr nur als eine lästige Aufgabe neben der professionellen Arbeit wahrgenommen, nicht mehr als Hemmschuh bei der Verbetriebswirtschaftlichung der sozialen Einrichtungen betrachtet. Das Engagementpotential in den Verbänden wird mittlerweile vielfach als strategische Ressource und Qualitätsquelle für den unternehmerischen Bereich sozialer Dienste entdeckt und verbandsstrategisch entsprechend aufgewertet. Einrichtungsleitungen beginnen zu begreifen, welchen Stellenwert das bürgerschaftliche Engagement für die Qualität sozialer Dienste haben kann. Folge davon ist, dass in den vergangenen Jahren in zahlreichen Diensten und Einrichtungen ein systematisches Freiwilligenmanagement aufgebaut worden ist. Hierbei handelt es sich bislang aber eher um Initiativen und Projekte strategisch denkender regionaler Verbände oder örtlicher Einrichtungen als um eine gesamtstrategisch mit dem Spitzenverband abgestimmte verbandliche Engagementpolitik. Die Notwendigkeit der Entwicklung einer Gesamtstrategie Dialogforum Infrastrukturförderung wird aber durchweg von den Verbänden anerkannt, und dementsprechend werden fast überall verschiedene Ansatzpunkte (bspw. die Entwicklung von Qualitätsstandards) zu ihrer Durchsetzung diskutiert. c) Große Bereiche des bürgerschaftlichen Engagements befinden sich in einem Prozess des Wandels, sowohl ihrer Aufgaben wie ihrer Funktionen, der sich vor allem als Professionalisierung des freiwilligen Engagements bemerkbar macht. Diese Entwicklung lässt sich im Bereich der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe sowohl auf Ebene der Selbsthilfegruppen wie der Selbsthilfeorganisation beobachten. Dieser Wandel ist wesentlich das Ergebnis der politischen wie fachlichen Anerkennung dieser Engagementformen: Selbsthilfegruppen und -organisationen haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu wichtigen Akteuren im Gesundheitswesen entwickelt. Dadurch ist die Patientenberatung jenseits der professionellen Ebene aufgewertet worden und hat zur politisch geförderten Inklusion dieser Engagementformen in das System der gesundheitlichen Versorgung geführt. Resultat dieser Anerkennungsprozesse sind verbesserte Förderstrukturen durch die Krankenkassen einerseits und – das ist die Kehrseite – die Professionalisierung in den Selbsthilfeorganisationen andererseits. Die in früheren Zeiten häufig gestellte Frage, ob die gleichzeitige Wahrnehmung von Selbsthilfe- und Dienstleistungsaufgaben sich nicht widersprechen, die immer noch gültig ist, ist durch die aktuelle Entwicklung faktisch entschieden worden, denn Selbsthilfe- und Dienstleistungsfunktion gehen bei einer größeren Anzahl von Selbsthilfeorganisationen – nicht zuletzt aufgrund politischer Vorgaben und Auflagen infolge finanzieller Förderung der Selbsthilfe durch Krankenkassen und andere öffentliche Akteure – ineinander über. Viele Selbsthilfeorganisationen verstehen sich heute schon als beides: Dienstleister und Selbsthilfeorganisation, manchmal auch noch als politische Interessenvertretung der Selbsthilfe. Die Übergänge von der Selbsthilfe zur sich professionalisierenden Beratungsorganisation sind dadurch fließend geworden, und die Selbsthilfeorganisationen bemühen sich (damit sind sie den großen Wohlfahrtsverbänden nicht unähnlich), ihre Multifunktionalität auszubauen und durch den Aufbau professioneller Strukturen zu unterfüttern. Da die Wohlfahrtsverbände einen Großteil der Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen verbandlich integriert haben, erwarten Selbsthilfegruppen wie Selbsthilfeorganisationen von den Verbänden einen Service, da sie für ihre Mitgliedschaft nicht selten einen Mitgliedsbeitrag leisten. Engagementförderung durch die Verbände bedeutet demnach zukünftig auch Unterstützungs- und Fortbildungsleistungen für die bei ihnen organisierten Engagierten bereit zu stellen, denn diese können sich fachlich kompetent nur engagieren, wenn sie dazu befähigt bzw. qualifiziert werden. Verbandliche Engagementförderung bedeutet demnach auch, Engagementförderung stärker als bislang als Dienstleistung zu organisieren und die verbandliche Engagementpolitik um diese Dimension anzureichern. d) Extern induzierte Professionalisierungsprozesse von Engagementformen sind reflexiv, denn sie erzeugen auch ein Modernisierungsproblem bei Selbsthilfeorganisationen (z. T. auch bei Selbsthilfegruppen). Dieses zeigt sich deutlich in den traditionell gewachsenen Strukturen der Selbsthilfeorganisationen, die teilweise dazu führen, dass Leitungsfunktionen, aufgrund der gestiegen fachlichen Anforderungen, nicht mehr angemessen besetzt werden können. Auch bei den (gesundheitsbezogenen) Selbsthilfekontaktstellen ist diese reflexive Modernisierung angekommen, denn auch sie sind aufgrund politischer Vorgaben und Auflagen mit neuen fachlichen Anforderungen konfrontiert, bspw. damit, das Aufgabenspektrum der Kontaktstellen zu erweitern und sich der Förderung anderer Engagementformen zu öffnen. Mit diesen Herausforderungen gehen die Kontaktstellen gegenwärtig noch defensiv bis ablehnend um, denn vielfach ist das Verständnis von Engagement hier fachlich geprägt und damit ausschließlich selbsthilfebezogen. Die geschichtliche Entwicklung und Herkunft prägt hier oft in starkem Maße die Aktualität des Handelns der Akteure. Experteninterviews mit Vertreterinnen und Vertretern dieses Akteurstypus lassen deutlich erkennen, dass in den Selbsthilfeorganisationen (nicht in allen, aber in vielen) eine Diskussion um die perspektivischen Zielsetzungen unumgänglich geworden ist und einschneidende Strukturreformen auf der Agenda stehen (sollten). Erscheinungsformen der Überbürokratisierung und hierarchisch erstarrter Kommunikationsformen wurden von vielen der befragten Experten berichtet, und vereinzelt haben Organisationen damit begonnen, hieraus Konsequenzen zu ziehen. Insbesondere die Frage des „quo vadis“, also ob man sich zukünftig stärker als Dienstleister oder weiterhin als Basisbewegung verstehen soll, ist hier von erheblicher Bedeutung. Für die Wohlfahrtsverbände, die bürgerschaftliches Engagement im Selbsthilfesektor organisieren, stellt dieser Sachverhalt eine doppelte Herausforderung dar: Zum einen muss verbandliche Engagementpolitik darauf ausgerichtet sein, einen Überblick über den aktuellen Stand der Modernisierung bzw. schon erkennbare Best-Practice-Beispiele in den ihnen angeschlossenen Selbsthilfegruppierungen zu bekommen, ein schwieriges Unterfangen, denn die Gruppierungen der Selbsthilfe unterhalten häufig nur instrumentell 145 Dialogforum Infrastrukturförderung bestimmte Beziehungen zu den Wohlfahrtsverbänden; Zum anderen müssen die Verbände selbstständige und auf ihre Unabhängigkeit bedachte Gruppierungen auf Modernisierungskurs bringen, damit diese sich professionalisieren, um kompatibel zu bleiben mit den Anforderungen von Politik und Verwaltung an moderne Formen bürgerschaftlichen Engagements. Verbandliche Engagementpolitik muss darauf ausgerichtet sein, Expertise aufzubauen, die vor allem aus Informations- und Beratungspotenzial besteht, das freie und losere Vereinigungen des bürgerschaftlichen Engagements und kleiner zivilgesellschaftliche Vereine akzeptieren und nutzen können. e) Fasst man diese Entwicklungen im Bereich der verbandlich organisierten Engagementpolitik und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die beteiligten Akteure zusammen, dann muss man festhalten: Verbandliche Engagementpolitik kann nur erfolgreich sein (im Sinne, dass sich die im Verband Organisierten auch auf die vom Verband entwickelte Engagementpolitik einlassen und ihr folgen), wenn sie in der Lage ist, Strategien zu entwickeln, die systematisch die vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen der korporativen Mitglieder bzw. Mitgliedsorganisationen nutzt und zur Förderung ihrer Eigeninteressen beiträgt. Dabei erweist sich der Tatbestand, dass viele Mitgliedsorganisationen sich als sozialwirtschaftliche Akteure weiterentwickeln (Professionalisierungstrend) und sich von den Verbänden entkoppeln nicht unbedingt als Hindernis für bestimmte Engagementformen. Der von den reinen Selbsthilfevertretungen oftmals behauptete Gegensatz zwischen der selbsthilfepolitischen und der sozialwirtschaft-politischen Orientierung scheint angesichts des Tatbestands, dass auch Selbsthilfeorganisationen zunehmend sozialwirtschaftlich agieren, wenig plausibel. Wo aus sozialwirtschaftlichen Interessen heraus engagementpolitische Entscheidungen getroffen werden, die den Interessen der Selbsthilfe entgegenstehen, bedarf es verbandsspezifischer Foren, die dies offen thematisieren und auch konflikthaft in die Mitgliedsorganisationen hinein vermitteln. f) Angesichts der sozialwirtschaftlichen Entwicklungen im sozialen Dienstleistungssektor lassen sich in den Verbänden auch Voten (einer Minderheit) registrieren, die eine Rückbesinnung auf die zivilgesellschaftlichen Wurzeln und eine Abkehr von der etatistisch gesteuerten Engagementpolitik fordern. Eine Minderheit will das bürgerschaftliche Engagement, das man zunehmend in staatliche Zielsetzungen eingespannt und instrumentalisiert sieht, wieder als Teil einer sozialen Bewegung organisieren und nicht als Teil der staatlich organisierten Sozialwirtschaft. Dabei 146 geht es zum einen um die Entkoppelung von tradierten Bewegungen (z. B. Arbeiterbewegung, Selbsthilfebewegung) und die Öffnung für neue soziale Bewegungen (Armutsbekämpfung), zum anderen um eine stärkere operative Trennung von Verbandswirklichkeit und Dienstleistungserbringung. In den kirchlichen Verbänden war dies schon immer in der Alternative präsent, sich ausschließlich auf die aus kirchlichen Motiven wichtigen Dienstleistungsbereiche zurückzuziehen. Blickt man auf die aktuelle Situation, so steht die Diskussion um Engagement in engem Zusammenhang mit dem Umbau des Sozialstaats. Engagement und Eigenverantwortung werden vielfach identisch gelesen, und Engagement wird damit zu einer Programmatik umdefiniert, die eher einem libertären Individualismus amerikanischer Prägung gleichkommt als einer gesellschaftlichen Alternativbewegung. Dieser ideologischen Vereinnahmung des Engagements für einen aktivierenden Sozialstaat (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2005) ist mit einem Verweis auf den Ursprung der Engagementdiskussion zu begegnen: In den auf dem Bielefelder Soziologentag diskutierten Beiträgen, die 1977 in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie veröffentlicht wurden, wurde Engagement (damals vor allem in Form von Bürger- und Stadtteilinitiativen und als Selbsthilfebewegung registrierbar) noch als grundsätzliche Alternative zur kontrollierenden Sozialpolitik des Staates und somit als politischer Gegenentwurf analysiert. Der postulierte Gegensatz von staatlicher Fremdhilfe und Engagement, der heutzutage auch noch die Debatten beherrscht, wurde damals schon als ein politisch konstruierter Gegensatz durchschaut, und deshalb wurde schon damals auf die faktische Komplementarität von Staats- und Eigenhilfe verwiesen, ein Tatbestand, der auch heute noch Gültigkeit hat. 6. Schlussbemerkung Bürgerschaftliches Engagement wird von den Verbänden als Überbegriff des ehrenamtlichen, freiwilligen Engagements, der Selbsthilfe und anderer Engagementformen betrachtet. Hierfür soll ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, der neben den fördernden Bedingungen auch die politisch gewollte Einbindung in gesellschaftliche Entwicklungen beinhaltet. Einzelne Landesverbände fordern, die Finanzierung der Infrastruktureinrichtungen des Engagements (Selbsthilfekontaktstellen, Freiwilligenzentralen, Bürgerbüros, Seniorenbüros etc.) als Pflichtaufgabe von Kommune, Land und Bund gesetzlich festzuschreiben. Eine Funktionalisierung des bürgerschaftlichen Engagements für Aufgaben der sozialen Daseinsvorsorge wird ab- Dialogforum Infrastrukturförderung gelehnt. Um Zugangsmöglichkeiten zum bürgerschaftlichen Engagements auch für engagementfernere Gruppen zu schaffen wird u. a. gefordert, den Personalschlüssel im Freiwilligen Sozialen Jahr abzusenken, damit die pädagogischen Herausforderungen besser gemeistert werden können. Freiwilligenarbeit soll als Pflichtbestandteil in schulische Curricula aufgenommen werden, und alters- und behinderungsbedingte Ausgrenzungen sollen beseitigt werden. Verbandlich wird auch anerkannt, dass diese primär an den Staat gerichteten Forderungen mit einer grundlegenden Reform der eigenen Organisationsstrukturen einher gehen müssen. Insofern kann bilanzierend davon gesprochen werden, dass das bürgerschaftliche Engagements auch zu einem verbandspolitischen Leitthema geworden ist. Andererseits ist ebenfalls festzustellen, dass die sozialwirtschaftliche Modernisierung oberste Priorität hat und diese auch die interverbandlichen Konkurrenzen stärkt und koordinierte Vorgehensweisen beispielsweise auf der Ebene der Ligen (regional und überregional) einschränkt. Eine verbandspolitische Strategie bezogen auf das bürgerschaftliche Engagement ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt deshalb nicht zu erkennen. Vieles spielt sich eher auf der Ebene regionaler Gliederungen ab. Bürgerschaftliches Engagement und Markt – das sind gegenwärtig die Pole, zwischen denen die Verbandsentwicklung verläuft, und von der Ausgestaltung des Wettbewerbs und der kommunalen Daseinsvorsorge wird deshalb die zukünftige engagementpolitische Positionierung der Verbände wesentlich abhängen. Anmerkungen 1 Ein Teil der folgenden Ausführungen – insbesondere die mit Blick auf Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen – basiert auf einer Untersuchung der Autoren, die im Verlauf des Sommers 2008 über Selbsthilfe und Selbsthilfeunterstützung im Auftrage des Paritätischen Gesamtverbandes, Berlin, durchgeführt wurde. Insgesamt wurden ca. 40 leitfadengestützte Experteninterviews mit Vertretern/innen der paritätischen Landesverbände sowie mit Vertretern/ innen ausgewählter Selbsthilfeorganisationen auf Landes- und Bundesebene durchgeführt. Literatur • BAGFW (2000): Gesamtstatistik 2000. Bonn. • BAGFW (2004): Gesamtstatistik 2004. Bonn. • BAGFW (2008): Gesamtstatistik 2008. Berlin. • Boeßenecker, Karl-Heinz (2005): Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege. Eine Einführung in Organisationsstrukturen und Handlungsfelder der deutschen Wohlfahrtsverbände. Neuausgabe. Weinheim • Breitkopf/Helmut/Wohlfahrt, Norbert (1995): Selbsthilfegruppen und Soziale Arbeit. 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Münster. • Enquete-Kommission (2002): Bericht Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Opladen. • Grell, Britta (2008): Workfare in den USA. Das Elend der US-amerikanischen Sozialhilfepolitik. Bielefeld. • Kofahl, Christopher (2007): Zur Migrantenorientierung in der Selbsthilfeunterstützung durch Selbsthilfekontaktstellen. In: Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. (Hg.) Selbsthilfegruppenjahrbuch 2007. Gießen, S. 112-119. • Müller-Schöll, Albrecht/Priepke, Manfred (1983): Sozialmanagement. Zur Förderung systematischen Entscheidens, Planens, Organisierens, Führens und Kontrollierens in Gruppen. Frankfurt am Main. • Ottnad, Adrian/Wahl, Stefanie/Miegel, Meinhard (2000): Zwischen Markt und Mildtätigkeit. Die Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege für Gesellschaft, Wirtschaft und Beschäftigung. München. • Pott, Ludwig (2000): Verbandsentwicklung in der Arbeiterwohlfahrt zwischen bürgerschaftlichem Engagement und Markt. In: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Heft 3. • Wollmann, Hellmut (2010): Die subnationalen Ebenen in Deutschland, Frankreich, UK/England, Italien und Schweden: zwischen institutioneller Beharrung und Dynamik (im Erscheinen). 147 Dialogforum Infrastrukturförderung Prof. Dr. Elisabeth Bubolz-Lutz Thesen: Öffentliche Förderung der „Infrastruktureinrichtungen der Engagementförderung“ Die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages und das „Nationale Forum für Engagement und Partizipation“ empfehlen den nachhaltigen Auf- und Ausbau der „Infrastruktureinrichtungen der Engagementförderung“. Dieses Anliegen ist in drei Richtungen hin einzulösen, nämlich im Hinblick auf a) den Auf- und Ausbau der lokalen Engagementstrukturen (z. B. Freiwilligenbörsen, Freiwilligenagenturen), b) den Auf- und Ausbau von neuen Netzwerkstrukturen (z. B. auf Landes- oder aus Bundesebene), die im Anschluss an innovative, gemeinwohlorientierte Projekte entwickelt und gefestigt werden müssen, um ihre Nachhaltigkeit zu sichern, c) die Förderung von Verbänden auf Bundesebene, die als Zusammenschlüsse bürgerschaftlich engagierter Personen und Initiativen dienen. Zu a) Auf- und Ausbau lokaler Engagementstrukturen Die lokalen Engagementinfrastrukturen sind fachund trägerübergreifende Servicestellen sowie wichtige Netzwerkknoten (z. B. die Freiwilligenagenturen der Wohlfahrtsverbände). Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Akquisition und Weiterentwicklung unterschiedlichsten Engagements. Die vom „Nationalen Forum für Engagement und Partizipation“ in die Diskussion gebrachte Sockelfinanzierung wird als wichtiger Baustein zur nachhaltigen Sicherung und Weiterentwicklung des bürgerschaftlichen Engagements auf kommunaler Ebene gesehen. Voraussetzung für Förderung einer Einrichtung sollte sein, dass sie trägerübergreifend das Engagement fördert und dass sich das Anliegen einer Kooperation und Koproduktion (u. a. zwischen Hauptamtlichen 148 und Freiwilligen) in ihren Arbeitsstrukturen und Lernarrangements niederschlägt. Weitere Elemente einer Sockelfinanzierung sind: • hauptberufliche Fach- und Verwaltungskräfte als Garanten für Kontinuität und Qualität der Leistung, • Freiwillige als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und als Kompetenzspenderinnen und Kompetenzspender, • gut erreichbare Räume mit Beratungsraum, Telefon, Computer, Internetzugang etc. Neben der Grundfinanzierung als Gerüst der Arbeit sind die Infrastruktureinrichtungen angehalten, Projektmittel oder andere Finanzierungsquellen zu erschließen, die eine qualitative und quantitative Ausweitung der Arbeit entsprechend den aktuellen Bedürfnissen vor Ort ermöglichen. Zu b) Auf- und Ausbau übergreifender Engagementstrukturen und Engagementnetzwerke Mit Unterstützung durch Mittel öffentlicher Stellen oder Stiftungen entwickeln sich bundesweit zahlreiche innovative Projekte, die einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten (z. B. das Projekt „Pflegebegleiter“ mit bundesweit über 2.000 Freiwilligen). Diese Projektvorhaben sind vielfach so ausgerichtet, dass die Absicherung von Nachhaltigkeit (z. B. durch Aufbau von Netzwerkstrukturen) während der Projektlaufzeit nicht parallel erfolgen kann. Projekte in der Erprobungsphase sind vielmehr dazu angehalten, exemplarisch vorzugehen und zunächst ihre Wirksamkeit innerhalb der Projektstrukturen nachzuweisen. Insofern wird eine Finanzierung benötigt, die es Projekten, die den Nachweis der Wirksamkeit erbracht haben, im Anschluss erleichtert, sich soweit zu implementieren, dass sie sich weiter verbreiten können und auch weiterhin eine Qualitätsentwicklung erfolgen kann. Notwendig ist also die Ermöglichung des Aufbaus von übergreifenden Infrastrukturen – etwa im Sinne von Netzwerken, in denen Dialogforum Infrastrukturförderung man weiterhin voneinander lernt und eine Corporate Identity pflegt. Sind die Infrastrukturen vor Ort bereits etabliert, ist der Finanzierungsbedarf solcher übergreifender Netzwerkknotenpunkte auf Landes- oder Bundesebene sehr überschaubar. Diese Netzwerkknoten hätten die Aufgabe, • die Netzwerkkommunikation zu befördern und hierfür Plattformen zu bieten (inkl. Homepage); • eine Reflexion der Praxis (Erfahrungsaustausch der Standorte) zu organisieren; • eine kontinuierliche Überarbeitung der Lernkonzepte vorzunehmen, die auf den Ergebnissen der Reflexion beruht; • Qualifizierungsarrangements für Multiplikatoren anzubieten, um die Qualität des freiwilligen Engagements immer weiter zu verbessern; • einen Dialog zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen für das jeweilige Engagementfeld (z. B. Pflege) systematisch zu verankern und damit Kooperation und Koproduktion zu erleichtern. Ein Auf- und Ausbau solcher Infrastrukturen rechnet sich auch unter finanziellen Gesichtspunkten. Es kann nicht angehen, dass öffentliche Mittel für den Aufbau von Projekten ausgegeben werden, die dann nach Ende der Projektlaufzeit im Sande verlaufen. Zu c) Förderung von Verbänden auf Bundesebene Ebenfalls sollten einzelne bundesweite Verbände (ebenso wie die Netzwerke BBE, BAGSO, Frauenrat etc.) gefördert werden, sofern sie bürgerschaftliches Engagement implementieren, weiterentwickeln und dessen Qualität etwa durch Fortbildungen steigern (z. B. die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands/ kfd). Diese Verbände stellen vielfach übergreifende Zusammenschlüsse von lokalen Gruppen Ehrenamtlicher dar. Sie sind wichtige Initiatoren und Träger für die Qualifizierung von Ehrenamtlichen sowie die Entwicklung innovativer Ansätze. Insofern müssen sie in ihrer Bedeutung als Infrastruktur für die Nachhaltigkeit bürgerschaftlichen Engagements erkannt und anerkannt werden. Ebenso sind Wege zu suchen, mit denen die Partizipation lokal Engagierter auf Bundesverbandsebene ermöglicht wird. Förderstrukturen sollten so gestaltet werden, dass auch bundesweite Verbände für Maßnahmen auf Bundesebene davon mehr als bisher profitieren können. 149 Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogforums am 30. April 2010 und des vorbereitenden Workshops am 25. März 2010: • Holger Backhaus-Maul, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg • Bernward Baule, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz • Thomas Baumeister, Deutsche Bank AG • Rolf Bösinger, Bundesministerium für Arbeit und Soziales • Dr. Claire Bortfeldt, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Antje Brehmer, Bundesministerium für Arbeit und Soziales • Claudia Bremer, RWE AG • Dr. Michael Bürsch, Centrum für Corporate Citizenship Deutschland • Konstanze Carreras-Solé, BMW Group • Cornelia Coenen-Marx, Evangelische Kirche in Deutschland • Florian Dallmann, Deutscher Bundesjugendring • Vera Fischer, Civil Academy, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement • Leoni Heister, Borromäusverein • Dr. Elvira Helmer, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Dr. Frank W. Heuberger, Staatskanzlei RheinlandPfalz • Dr. Konrad Hummel, vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung • Simone Klein, Katholische Universität EichstättIngolstadt • Peter Kromminga, UPJ • Martin Kunze, Martin-Luther-Universität HalleWittenberg • Peter Kusterer, IBM • Dr. Susanne Lang, Centrum für Corporate Citizenship Deutschland • Dr. Michael Maaß, Hansestadt Hamburg, Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz • Brigitte Manke, Thüringer Ehrenamtsstiftung • Dr. Heide Mertens, Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands • Marika Mund, Familienzentrum Färberhof gGmbh • Thomas Osburg, Intel GmbH Europe • Andreas Pautzke, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement • Christine Pehl, betapharm Arzneimittel • Bianka Pergande, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung • Marcel Pillath, Humboldt-Universität zu Berlin, Forschungszentrum Bürgerschaftliches Engagement • Jonathan Przybylski, Phineo gGmbH • Erik Rahn, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement • Jürgen Röser, Social Angels Stiftung • Dr. René Schmidtpeter, Bertelsmann Stiftung • Heidrun Schwarz, AKTIVOLI Marktplatz Gute Geschäfte (Hamburg) • Tina Seifert, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend • Dr. Hans Th. Sendler, EUSENDOR • Claudia Siebelt, Deutscher Caritasverband • Karin Siegmund, Save The Children Deutschland • Loring Sittler, Generali Zukunftsfonds • Stefanie Wismeth, KPMG • Brigitta Wortmann, BP Europa SE Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship Partnerschaften strategisch entwickeln Bericht über das Dialogforum „Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship“ am 30. April 2010 in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz, Berlin Das Dialogforum „Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship“ nahm im Vergleich zu den anderen Dialogforen eine gewisse Sonderrolle ein. Während die anderen Dialogforen thematisch ausgerichtet waren, standen hier mit den Unternehmen Akteure im Mittelpunkt. Dieses Vorgehen wurde im Vorfeld kritisiert, hätten sich zahlreiche Unternehmensvertreter doch lieber direkt an den thematisch ausgerichteten Dialogforen beteiligt und dort ihre Perspektive eingebracht. Gleichwohl zeigte sich in der Diskussion des Dialogforums, dass die Rolle von Unternehmen in der Bürgergesellschaft nach wie vor nicht hinreichend geklärt ist. Vor diesem Hintergrund bot das Dialogforum für die Akteure aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat die Möglichkeit, diese Rolle gemeinsam zu diskutieren. Dabei wurde herausgestellt, dass eine neue Rollenverteilung zwischen Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft notwendig ist. Neben den Chancen wurden aber auch mögliche Gefahren einer neuen Aufgaben- und Verantwortungsteilung kritisch erörtert. werden sollten. Wie andere Formen des bürgerschaftlichen Engagements fände auch das Engagement von Unternehmen vor allem auf dieser Ebene statt. Dort seien auch bereits Instrumente und Modelle erprobt worden, die das Engagement von Unternehmen in sektorübergreifenden Kooperationen voranbringen. Diskutiert wurde hier vor allem, wie positive Beispiele verbreitet werden und Partnerschaften verbessert werden können. Schließlich waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber einig, dass die Forschung zum Thema Corporate Citizenship ausgebaut werden sollte. Durch praxisorientierte Studien könnten Akteure in die Lage versetzt werden, mehrsektorale Partnerschaften voranzutreiben. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich insoweit einig, dass Kooperationen zwischen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteure idealerweise als strategische und gleichberechtigte Partnerschaften gestaltet werden sollten. Es wurde aber auch deutlich, dass genau hier Defizite bestehen. Daher standen auch weniger die Unternehmen als Akteure im Zentrum der Diskussion, sondern die Frage nach der Form und den Voraussetzungen einer Vernetzung zwischen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen bzw. staatlichen Akteuren. Eine der wichtigsten Voraussetzungen sahen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Abbau wechselseitiger Unkenntnisse und Vorbehalte über Rollen, Erwartungen und Interessen. Um den dazu notwendigen Dialog führen zu können, bedürfe es verlässlicher Strukturen. Darüber hinaus wurde herausgestellt, dass Partnerschaften vor allem auf lokaler und regionaler Ebene angestrebt 151 Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship Ergebnisse Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhalt sind Grundlagen unseres Gemeinwesens. Angesichts der Folgen des demografischen Wandels und der Globalisierung ist die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft vor neue Herausforderungen gestellt. Um gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern und neu zu gestalten, ist gemeinsames Handeln von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat erforderlich. Das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen ist Ausdruck und eine Triebkraft einer neuen Kultur der sektorenübergreifenden Kooperation und Partizipation, in der sich die Rollen von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat verändern. Es gibt ein klares Bekenntnis aller drei Sektoren, dass es sinnvoll und notwendig ist, miteinander zu kooperieren. Diese Partnerschaften erfordern eine wechselseitige Offenheit und echte Bereitschaft zur Kooperation und zugleich ein Bewusstsein über eigene Kernaufgaben und die Stärken des jeweils anderen. Zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen sollten die Akteure aller drei Bereiche ihre jeweils spezifischen Kenntnisse und Kompetenzen einbringen. Eine nationale Engagementstrategie bietet die Chance, die politischen Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln und die Voraussetzungen für eine Partnerschaft zwischen Akteuren aus Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft weiter zu verbessern. Akteure der Wirtschaft bringen sich bereits heute auf vielfältige Weise in die Bürgergesellschaft ein. Sie verstehen sich als ökonomische Akteure und sehen ihre unternehmerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit gesellschaftlicher Verantwortung. Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen (Corporate Citizenship) wird damit zum integralen Bestandteil der Bürgergesellschaft. Vor diesem Hintergrund reicht das bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen von Spenden über das Engagement von Mitarbeitern (Corporate Volunteering), eigene Projekte, den Aus152 tausch mit dem Dritten Sektor über unternehmerische Ansätze bis hin zu Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Auch bei der Schaffung, Gestaltung und Verstetigung einer engagementfördernden Infrastruktur kommt der partnerschaftlichen Kooperation und der gemeinschaftlichen Bereitstellung von Ressourcen eine zentrale Rolle zu. 1. Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren für mehrsektorale Partnerschaften Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Zur Ausschöpfung des vollen Potentials, das in der praktischen Zusammenarbeit von Akteuren aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat liegt, sollten wechselseitige Unkenntnisse und Vorbehalte über Rollen, Erwartungen, Interessen und Ziele abgebaut werden. Die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz und das Verständnis für solche Partnerschaften sollten noch wachsen. Daher ist es erforderlich, sich über Erfolgsund Rahmenbedingungen von Partnerschaften sowie den jeweiligen Nutzen zu verständigen und gemeinsam Lernprozesse anzustoßen. Lösungsvorschlag Ein gesellschaftlicher Dialog zwischen Unternehmen, Staat und zivilgesellschaftlichen Organisationen ist essentiell und sollte stattfinden, um ein neues Bewusstsein für die bürgerschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen und vor allem für das Potential partnerschaftlicher Zusammenarbeit zu fördern. Dabei sollten die verschiedenen Organisations- und Engagementformen, die Erwartungen und Interessen der Akteure, ihre Rollen und Handlungslogiken transparent gemacht werden. Eine Klärung der jeweiligen und gemeinsamen Ziele und die Bereitschaft zum Konflikt sind dabei unerlässlich. Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship Sektorenübergreifende Zusammenarbeit ist auch ein Ringen um die beste Lösung für gesellschaftliche Aufgaben, ein Prozess des Interessenausgleichs und des Aushandelns. Auch daraus entsteht Innovation. Die Kriterien und die Rahmenbedingungen für erfolgreiche mehrsektorale Partnerschaften sollten weiterentwickelt werden. Schritte zur Implementierung des Vorhabens • Auf der Grundlage einer praxisorientierten Bestandsaufnahme von Partnerschaften sollten Rahmenbedingungen und Erfolgskriterien sektorenübergreifender Kooperationen zwischen staatlichen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren herausgearbeitet werden. Die Bundesregierung sollte dies bereits bei der Erstellung des Engagementberichts im Jahr 2012 berücksichtigen. • Gemeinsam von Akteuren aus Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft entwickelte Kriterien für Rahmenbedingungen sollten Grundlage von Förderungen sein. • Die Bundesregierung wird gebeten, eine systematische Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen für sektorenübergreifende Kooperation vorzunehmen. Zuwendungsrechtliche, vergaberechtliche und steuerrechtliche Regelungen sollten unter Beteiligung von Experten der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit so überarbeitet werden, dass sie der Wirklichkeit und dem Potential der sektorenübergreifenden Kooperation gerecht werden. • Auf dieser Grundlage sollte der Bund darauf hinwirken, dass zivilgesellschaftliche Organisationen, Wirtschaftsverbände und gemeinnützige Verbände sowie Unternehmen und die Verwaltung dabei unterstützt werden, Partnerschaften einzugehen. Dies sollte durch Maßnahmen in den Bereichen Qualifizierung, Öffentlichkeitsarbeit und Wissenstransfer geschehen. • Für die Entwicklung einer Kultur der mehrsektoralen Kooperation sollten Erkenntnisse anderer europäischer Länder im Hinblick auf deren Erfolgsfaktoren und Hindernisse genutzt und der Erfahrungsaustausch verstärkt werden. • Es bedarf verlässlicher Strukturen für Dialog, Auseinandersetzungen und Kooperation. Dafür sollten geeignete Foren wie Marktplätze, Runde Tische und Stakeholderprozesse gefördert werden. Außerdem sollten die Möglichkeiten des Internet für solche Diskurse und die praktische Vermittlung von Kooperationen genutzt werden. • Darüber hinaus sollte der Bund die Anerkennung der Partnerschaften verbessern (z.B. durch Einführung als Kategorie beim Deutschen Engagementpreis). Vorbildfunktion der Bundesregierung Die Ressorts der Bundesregierung werden gebeten, sich eng abzustimmen, um eine ganzheitliche Engagementpolitik zu entwickeln. Andere thematisch einschlägige Politikansätze auf Bundesebene sollten integriert werden. Eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Nationalen Forum für Engagement und Partizipation, dem Nationalen CSR-Forum und anderen Beratungsforen sollte gewährleistet werden. Bestandteil der nationalen Engagementstrategie sollte eine Strategie der Förderung sektorenübergreifender Partnerschaften und einer Kultur der partnerschaftlichen Zusammenarbeit sein, die Unternehmen, Organisationen der Zivilgesellschaft und staatliche Einrichtungen gleichermaßen einbezieht. Die Bundesregierung könnte hier eine Vorbildfunktion übernehmen. 2. Kooperationen auf lokaler und regionaler Ebene Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung) Bürgerschaftliches Engagement ist in der Regel lokal angelegt, soll aber auch international umsetzbar sein. Die Mehrzahl der Unternehmen in Deutschland sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU), deren gesellschaftliches Engagement häufig regional orientiert ist. Eine regionale Orientierung auf Standort und Umfeld prägt auch das Engagement vieler großer und globaler Unternehmen. Daher verdient die lokale und regionale Ebene – ebenso wie das Engagement der KMU – besondere Aufmerksamkeit. Auf lokaler und regionaler Ebene sind bereits Instrumente und Modelle erprobt worden, die das Engagement von Unternehmen in sektorübergreifenden Kooperationen voranbringen. Soziale Marktplätze, lokale Unternehmensaktionstage, Verantwortungspartner, Runde Tische und lokale Bündnisse gehören dazu und sind zentrale und anerkannte Bausteine für Unternehmen in ihrem bürgerschaftlichen Engagement. Lösungsvorschläge Kooperationen zwischen den Akteuren auf lokaler und regionaler Ebene sollten systematisch weiterentwickelt werden. Dazu bedarf es der Einigung auf treibende Akteure und Runde Tische vor Ort. Außerdem sollten Qualifizierungsangebote geschaffen werden, die die Vermittlungskompetenzen fördern und stärken (siehe Dialogforum Bildung). 153 Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship Mittlerorganisationen sind ein starker Hebel für die Verbreitung von lösungs- und zukunftsorientiertem kooperativem Unternehmensengagement. Da sie mit einem entsprechenden Profil und Aktivitäten im Bereich Corporate Citizenship als Dienstleister und Entwicklungsagentur einen erheblichen Nutzen für die Gemeinschaft stiften, sollten sie als Bestandteile der Infrastruktur gefördert werden (siehe Dialogforum Infrastrukturförderung). Schließlich ist durch geeignete Strategien (Kampagnen, öffentliche Thematisierung) der Verbreitungsgrad guter Beispiele für das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen zu erhöhen. Schritte zur Implementierung des Vorhabens • Die Bundesregierung wird gebeten, die Schaffung von Anlaufstellen für bürgerschaftliches Engagement auf allen föderalen Ebenen zu unterstützen (siehe DF Infrastruktur). • Die Bundesregierung wird gebeten, die bestehenden guten Beispiele regionaler Kooperation überregional sichtbar zu machen und den überregionalen Austausch zu befördern (z. B. durch Prämierungen und Preise, Vernetzungsveranstaltungen). • Die Bundesregierung wird gebeten, aufbauend auf bestehenden Strukturen in Ländern und Kommunen Modelle für eine nachhaltige Vernetzung der verschiedenen Akteure auf regionaler und kommunaler Ebene weiterzuentwickeln und anzuregen. Gemeinnützige Organisationen, Unternehmen, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Politik und Verwaltung aus Ländern und Kommunen sollten in diesen Prozess einbezogen werden. 3. Aufbau einer handlungsorientierten Forschung zu förderlichen Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren Konkreter Handlungsbedarf Der Bericht zur Lage des bürgerschaftlichen Engagements zeigt, dass die Forschungslage unzureichend ist. Dies gilt insbesondere für die praxisbezogene Forschung. Lösungsvorschlag Die Bundesregierung wird gebeten, im Rahmen einer nationalen Engagementstrategie einen Schwerpunkt auf die Unterstützung handlungs- und zukunftsorientierter Forschung an der Schnittstelle von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu legen. Insbesondere sollte die Evaluation regionaler Partnerschaften vorangetrieben werden. 154 Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship Peter Kromminga/Dr. Reinhard Lang Gutachten: Gemeinnützige Mittler als Katalysatoren für Unternehmensengagement „Kooperationen, in denen Unternehmen, Gemeinnützige und öffentliche Verwaltungen mit ihren spezifischen Kompetenzen gemeinsam an innovativen Lösungen arbeiten, sind mit Blick auf die Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, essentiell“, so Prof. Dr. Birger Priddat, Lehrstuhlinhaber für Politische Ökonomie an der Universität Witten/Herdecke, in seinem Eröffnungsbeitrag zum UPJ-Jahresempfang im November 2009 in der Landesvertretung Brandenburg in Berlin. Das UPJ-Netzwerk bringe die verschiedenen Akteure gezielt zusammen und schaffe einen Ort, um praktische Erfahrungen zu sammeln und Kooperationsprozesse langfristig stabil zu halten. Für die Herstellung und den Erfolg solcher Kooperationen braucht es „Kümmerer“, Geburtshelfer, Übersetzer, Brückenbauer, Grenzgänger, Mittler-Protagonisten im Gemeinwesen mit langem Atem, konkreter Vision und verlässlichem Hinterland. Diese neue Aufgabe als Mittler wird sukzessive von einer wachsenden Zahl unterschiedlicher Akteure übernommen, von Freiwilligenagenturen, Bürgerstiftungen, Stiftungen, Wohlfahrtsverbänden, sozialen Einrichtungen, Quartiersmanagern, Agenda-21-Gruppen, Mehrgenerationenhäusern, aber auch von kommunalen Stellen wie etwa in Baden-Württemberg, Wiesbaden, Saarbrücken oder München.1 Die Mittlertätigkeit für Unternehmensengagement entsteht meist aus Erfahrungen aus anderen gemeinwesenbezogenen Projekten als sinnvolle und bedarfsbezogene Ergänzung des bisherigen Leistungsspektrums dieser Organisationen. Mit Information, Qualifizierung, Beratung, Vermittlung, Vernetzung und mit Projekten für die Zielgruppen Unternehmen, Organisationen, Verbände, Politik und Verwaltung agieren gemeinnützige Mittler in unterschiedlichen Rollen. Als Dienstleister unterstützen sie Unternehmen bei der Recherche und Vermittlung passender Projekte und Kooperationspartner vor Ort und bei der Begleitung oder dem Management von Corporate Volunteering- und weiteren Kooperationsprojekten. Stellvertretend für die inzwischen sehr zahlreichen Projekte dieser Art kann hier der „Make a Difference Day“ von KPMG genannt werden, bei dem das Unternehmen seit dem Projektbeginn 2005 mit UPJ als bundesweitem und an allen Standorten mit lokalen Mittlern zusammenarbeitet. Als Entwicklungsagenturen werden Mittler pro-aktiv. Sie initiieren und setzen niedrigschwellige Impulsprojekte um, die Unternehmen und Organisationen erste Erfahrungen miteinander vermitteln, die zeigen, was alles geht, und die Schritt für Schritt den Boden für neue soziale Kooperationen bereiten, die aus ersten Begegnungen entstehen können. Dies sind z. B. die sozialen Marktplätze, die die Bertelsmann Stiftung und andere Akteure bereits vielfach umgesetzt haben2, oder lokale Unternehmensaktionstage wie etwa „Wiesbaden engagiert“, „MUMM – Mainzer Unternehmen machen mit“, „Brücken bauen“ in der Region Braunschweig, der „Freiwilligentag für Unternehmen“ in Hannover oder „Wirtschaft in Aktion – Für Frankfurt (Oder)“, bei denen sich eine größere Zahl von Unternehmen der Region an einem bestimmten Datum im Jahr einen Tag lang mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in gemeinnützigen Projekten engagieren.3 Solchen Impulsprojekten ist gemeinsam, dass sie niedrigschwellig sind, dass sie Erfahrungsräume bieten und aktivierend für längerfristiges Engagement sind. Mit Plattformen werden Akteure vor Ort eher prozessorientiert in Bewegung gesetzt. Lokale Akteure werden vernetzt, Foren, Runde Tische und multilaterale Partnerschaften aufgebaut. Mittler übernehmen die Aufgabe eines „Faciliator“, sie schieben den Prozess an, moderieren den Austausch, zeigen Möglichkeiten von Corporate Citizenship auf und koordinieren gemeinsame Projekte und Programme. Zunehmend nehmen solche Plattformen spezifische gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen im regionalen oder 155 Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship lokalen Gemeinwesen als Ausgangspunkt, Rahmen und Ziel für die Aktivierung weiteren unternehmerischen Engagements. Breit angelegt ist in dieser Hinsicht das Programm „Unternehmen für die Region“ der Bertelsmann Stiftung, das das Format der „Verantwortungspartner“ nutzt.4 Themen wie Fachkräftemangel, sozialer Zusammenhalt, Bildung oder Familienfreundlichkeit sind für alle Unternehmen am Standort wichtig. Als Verantwortungspartner bündeln Unternehmer einer Region ihr Engagement. Gemeinsam mit weiteren Partnern – Kommunen, Landkreisen, Vereinen, sozialen Einrichtungen – entstehen neue und wirkungsvolle Lösungen für den Standort. Der von UPJ seit mehreren Jahren koordinierte Runde Tisch „Jugend und Wirtschaft“5 zielt auf die spezifischen Herausforderungen im Land Brandenburg und ist getragen von der Erkenntnis, dass förderliche Bedingungen für das Aufwachsen der nächsten Generation zu einem Standortfaktor geworden sind. Die demografische Entwicklung, Arbeitslosigkeit und Mangel an Ausbildungsplätzen, Gewalt und Intoleranz, Defizite bei Bildung, geringe Eigeninitiative und Sozialkompetenz, mangelhafte soziale und kulturelle Infrastruktur – dies sind wesentliche Herausforderungen, die erhöhtes Engagement erfordern. Der „Runde Tisch“ wird mittlerweile von mehr als 25 engagierten Brandenburger Unternehmen getragen, die mit eigenen exemplarischen Projekten in ihrem jeweiligen Umfeld Schritt für Schritt Brücken zwischen den Akteuren bauen, Impulse geben, neues Engagement motivieren und Unternehmen und junge Menschen aktivieren, gemeinsam etwas für sich zu tun. Die Rolle als Dienstleister wird von einer wachsenden Zahl von Mittlern wahrgenommen, da sie angesichts des derzeit wachsenden Bedarfs vor allem größerer Unternehmen an der Vermittlung geeigneter Einsatzstellen für Corporate-Volunteering-Projekte am leichtesten wahrzunehmen und zu finanzieren scheint. Trotz noch bestehender Unsicherheiten in Bezug auf Qualität und Preisgestaltung auf Seiten der Mittler und einem tiefsitzenden und weit verbreiteten Unverständnis bei den Unternehmen, „etwas Gutes zu tun“ als Managementaufgabe zu betrachten und für Dienstleistungen zu bezahlen, wächst jedoch die Einsicht, dass wirkungsvolles Engagement gewisser Voraussetzungen bedarf. Diese Rolle als Dienstleister wird jedoch nicht ausreichen, um die Potenziale sozialer Kooperationen zu heben. Die Aufgaben als Entwicklungsagentur und als Plattform sollten weiter konturiert und Konzepte, Methoden und Geschäftsmodelle entwickelt und erprobt werden.6. Nahe liegende Entwicklungsaufgaben bestehen z. B. darin, schon bestehende 156 nationale und internationale Programme und Instrumente7 mit den Bedarfen an Problemlösung vor Ort abzugleichen und zu übertragen, aber auch Unternehmen dazu zu bewegen, untereinander zu kooperieren, ihre Ressourcen und Kompetenzen bündeln, damit die Chancen steigen, tatsächlich einen Unterschied zu machen und die Lücke zwischen Anspruch an Problemlösung und tatsächlichem Investment ins Gemeinwesen zu verringern. Eine zweite wichtige Aufgabe regionaler Mittlerorganisationen ist die Qualifizierung und Beratung der gemeinnützigen Seite für eine qualitätsvolle Entwicklung von Corporate Citizenship: Bislang stehen in Deutschland vor allem die Perspektive der Unternehmen und bei gemeinnützigen Organisationen an Fundraising orientierte Fragen (Sind mit Corporate Citizenship tatsächlich neue Ressourcen zu gewinnen? Wie kann man Unternehmen ansprechen? Welcher Nutzen wird hier erwartet? etc.) im Mittelpunkt. Dies bestimmt das Verhältnis der Beteiligten. Auf Seiten der Gemeinnützigen, aber auch in Politik und Verwaltung gibt es bislang kaum eine Auseinandersetzung mit den Chancen und Grenzen sozialer Kooperationen, mit den eigenen Zugängen und Zielen und dem Nutzen für die Gemeinwesenentwicklung. Mehr und bessere Unternehmenskooperationen können hingegen nur erreicht werden, wenn es auch auf der gemeinnützigen Seite fachlich fundierte, eigenständige Ziele und Konzepte gibt, die die Unternehmen dann auch zu qualifizierteren Anstrengungen herausfordern und die viel beschworene Augenhöhe herstellen können. Auch soziale Organisationen sollten Corporate Citizenship demnach als ein strategisches Instrument betrachten und einsetzen, um ihre ideellen und fachlichen Ziele besser erreichen zu können und die eigene Problemlösungskompetenz zu erweitern. Hier müssen Konzepte für qualitativ und quantitativ wirkungsvolle Kooperationen entwickelt und erprobt werden, die die spezifischen Beiträge engagierter Unternehmen sinnvoll mit der professionellen fachlichen Arbeit verbinden, um ein Mehr an sinnvoller Leistung für die Adressaten zu erreichen und die Kapazitäten für bessere Ergebnisse im Gemeinwesen zu steigern. Dies entspricht dem grundsätzlichen Anliegen der Unternehmen, mit ihrem gesellschaftlichen Engagement wirkungsvoll zu einem funktionierenden Gemeinwesen beizutragen. Finanziert wird die Arbeit der meisten Mittler aus einer Mischung von öffentlichen Projektförderungen, internen Quer-Subventionen, Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Ehrenamt, Honoraren und einem nicht geringen Einsatz an Engagement. Der öffentlichen Hand kommt hier die Aufgabe zu, die Leistungen gemeinnütziger Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship Mittler als notwendige Infrastrukturaufgaben für die Entwicklung des Gemeinwesens anzuerkennen und gemeinsam mit den Akteuren vor Ort tragfähige Finanzierungsmodelle zu entwickeln, denn im Tun und in praktischen Impulsen auf der lokalen wie auf der nationalen Ebene liegt einer der Schlüssel für die Verbreitung und Vertiefung des bürgerschaftlichen Engagements von Unternehmen (Corporate Citizenship). aus Zivilgesellschaft und Staat geraten, wächst das Verständnis für den spezifischen Beitrag, den die jeweils Anderen mit ihren spezifischen Kompetenzen und Ressourcen in neue Problemlösungen für ein funktionierendes Gemeinwesen einbringen können. Im besten Falle gelingt es, die unterschiedlichen Perspektiven und Interessen der beteiligten Unternehmen, Organisationen und Verwaltung, die zwar im Alltag auf vielfältige Art und Weise aufeinander bezogen sind, institutionell und bei der Regelung gemeinsamer Belange im Gemeinwesen aber (noch) nicht viel miteinander zu tun haben, zusammenzubringen und daraus Ansätze für soziale Kooperationen zu entwickeln und zu begleiten. In dem Maße wie nicht nur Verbände, Politik und Verwaltung, sondern auch die Unternehmen deren Nutzen für die Qualität und das Management von Kooperationsprojekten, für Vernetzung und die Potenziale wirkungsvoller kooperativer Projekte gemeinsam mit anderen Unternehmen erkennen und ein Interesse an einer professionellen Mittlertätigkeit entwickeln, werden sie sich auch an der Finanzierung der erforderlichen Basisinfrastruktur beteiligen UPJ ist das Netzwerk engagierter Unternehmen und gemeinnütziger Mittlerorganisationen in Deutschland. Im Mittelpunkt stehen Projekte, die zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen, indem sie neue Verbindungen zwischen Unternehmen, gemeinnützigen Organisationen und öffentlichen Verwaltungen schaffen. Diese Akteure unterstützt der gemeinnützige UPJ e. V. darüber hinaus mit Informationen und Beratung bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Corporate-Citizenship und Corporate-Social-Responsibility-Aktivitäten. Das bedeutet mittelfristig auch eine stärkere Partizipation in Bereichen, für die Unternehmen bislang nicht zuständig waren: Eine stärkere fachlich begründete Ausrichtung von Kooperationsprojekten erfordert sektorübergreifende Aushandlungen über die wirkungsvollste Art der Problemlösung und deren Rahmenbedingungen. Aus dieser eher strukturellen Dimension von Partnerschaften zwischen Unternehmen und Nonprofit-Organisationen könnte neben den traditionellen korporatistischen Arrangements im Vollzug der Kooperation eine neue Arena für die Definition und Bearbeitung gesellschaftlicher Herausforderungen entstehen, in der bestehende Ansätze und Akteure mit ihren Erfahrungen, Ressourcen und Kompetenzen zusammen ,gebracht und die gegenseitigen Ziele, Erwartungen, Möglichkeiten und Interessen der Beteiligten aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat abgeglichen werden, und um daraus eine gemeinsame Schnittmenge zu identifizieren, die die Basis für wirkungsvolle und partnerschaftliche soziale Kooperationen bilden kann. Dabei zeichnet sich ab, dass sich bei allen Beteiligten nicht nur Einstellungen und Handlungsweisen ändern, sondern in der Praxis die Verantwortung für die Lösung gesellschaftlicher Probleme und die Gestaltung des Gemeinwesens neu ausbalanciert wird. Indem die Engagementaktivitäten von Unternehmen in eine Beziehung zu den Leistungen der beteiligten Kooperationspartner Weitere Informationen http://www.upj.de – das Corporate Citizenship und CSR-Portal Anmerkungen 1 Vgl. zu diesem Beitrag u. a. Bertelsmann Stiftung (Hg.): Grenzgänger, Pfadfinder, Arrangeure. Mittlerorganisationen zwischen Unternehmen und Gemeinwohlorganisationen. Gütersloh 2008; oder: Dresewski, Felix Lang, Reinhard: Zur Entwicklung des Social Case zwischen Unternehmen und Nonprofit-Organisationen; in: Backhaus-Maul, Holger, /Biedermann, Christiane/Nährlich, Stefan, Polterauer, Judith: Corporate Citizenship in Deutschland. Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen. Bilanz und Perspektiven. 2. akt. und erw. Auflage, Wiesbaden 2009, S. 401ff. 2 www.gute-geschaefte.org 3 www.upj.de/aktionstag 4 www.unternehmen-fuer-die-region.de 5 www.upj-brandenburg.de 6 Ein Ort für den offenen kollegialen Austausch über solche Entwicklungsaufgaben ist z. B. das „Praxisforum gemeinnütziger Mittler für Corporate Citizenship“, das auch als Anlaufpunkt für solche Organisationen gilt, die als Mittler aktiv werden wollen - siehe www.upj.de - Rubrik „Projekte“. Siehe dazu auch den Diskussionsbeitrag über Rolle und Aufgaben von Mittlern von Henk Kinds auf der Dialogplattform www.diskutiere.de 7 Im Rahmen des europäischen Projektes „INCLUDE – Pathways to Community Investment“ hat UPJ gemeinsam mit Business in the Community über das CSR360 Global Partner Network (www.csr360.org) mehr als 100 gute Beispiele solcher Programme und Instrumente recherchiert und aufbereitet. 157 Anhang CONF/PLE(2009)CODE1 Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess Verabschiedet durch die Konferenz der INGOs (Internationale Nichtregierungsorganisationen) bei der Tagung am 1. Oktober 2009 (Deutsche Übersetzung im Auftrag des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement) 1. Einführung Eine der größten Sorgen moderner Demokratien ist die Entfremdung der Bürger von politischen Entscheidungsprozessen. In diesem Zusammenhang bildet die Zivilgesellschaft, wie andernorts auch, ein wichtiges Element des demokratischen Prozesses. Sie zeigt den Bürgern alternative Wege auf - neben denen politischer Parteien und Interessengruppen -, unterschiedliche Ansichten zu kanalisieren und eine Vielfalt von Interessen beim Entscheidungsprozess zu gewährleisten. Das Ministerkomitee des Europarats hat - in der CM/ Empfehlung (2007) vom 14. Oktober 2007 - „den wesentlichen Beitrag von Nichtregierungsorganisationen (NRO) zur Entwicklung und Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten, insbesondere durch die Förderung des öffentlichen Bewusstseins, die Teilnahme am öffentlichen Leben und die Gewährleistung von Transparenz und Rechenschaftspflicht bei Behörden“, anerkannt. Bei der Tagung des Forums für die Zukunft der Demokratie des Europarats in Schweden im Juni 2007 forderten die Teilnehmer die Konferenz der INGOs des Europarats auf, einen Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung auszuarbeiten, der Themen wie Mechanismen für eine NRO-Beteiligung bei Entscheidungsprozessen und Mitwirkung der Zivilgesellschaft an der Politik beinhalten sollte. Die Konferenz der INGOs nahm sich dieser Themen an und arbeitete einen Entwurf für den Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess aus. In diesem Dokument werden das Grundprinzip, der Rahmen und die Mittel für eine verbesserte Bürgerbeteiligung dargelegt. Es wurde von erfahrenen Vertretern aus der Zivilgesellschaft erstellt, in einem gesamteuropäischen Beratungspro zess ausgearbeitet, von Mitgliedern nationaler und internationaler NRO geprüft und kommentiert und wird bereits von Aktivisten und Behördenvertretern verwendet. Die Konferenz der INGOs des Europarats hat ein anwenderfreundliches, strukturiertes und pragmatisches Instrument für Entscheidungsträger und eine organisierte Zivilgesellschaft, einschließlich NRO, entwickelt. Der Kodex bietet eine Vielfalt an guten Praktiken. Er besitzt keinen verbindlichen Charakter und schreibt weder Regeln vor noch erfordert er Durchsetzungsinstanzen. Er bietet allen Akteuren des demokratischen Prozesses Richtlinien, die aus tatsächlicher praktischer Erfahrung durch den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen NRO und Behörden entstanden sind. Das Ziel ist es, die Zusammenarbeit zwischen Behörden und NRO zu vereinfachen und die Mitgestaltungsmacht und Beteiligung der Bürger am demokratischen Prozess auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zu stärken. Die Konferenz hat sich bei anderen Institutionen des Europarats Rat und Hilfe geholt. Sowohl der Kongress der Gemeinden und Regionen in Europa als auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats haben den Verhaltenskodex begrüßt. Der Kongress ist bereit, zu seiner Förderung beizutragen und ihn bei seiner Arbeit zu verwenden. Die Parlamentarische Versammlung hat ihrerseits die besondere Bedeutung von eTools bei der Beteiligung betont. Dieses Instrument soll und wird politische Auswirkungen haben. Es wird dem derzeitigen Trend bei lokalen, regionalen und nationalen Behörden zur Zusammenarbeit und der Konsultation der Zivilgesellschaft beim Einsatz moderner Verfahren in der Demokratie Auftrieb geben und gleichzeitig die Beteiligung der Bürger am öffentlichen Leben stärken. 159 Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess 2. Ziele Das Hauptziel dieses Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung ist es, bei der Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für NRO in den Mitgliedstaaten des Europarats und Weißrussland mitzuwirken, indem auf europäischer Ebene eine Reihe von allgemeinen Grundsätzen, Richtlinien, Instrumenten und Mechanismen für die Bürgerbeteiligung beim politischen Entscheidungsprozess definiert werden. Es ist beabsichtigt, dass der Verhaltenskodex auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zum Einsatz kommt. Der Verhaltenskodex basiert auf der Erfahrung von NRO in ganz Europa, die sich über ihre guten Praktiken und erprobte Verfahren der Zusammenarbeit mit Behörden ausgetauscht haben. Ein weiteres Ziel des Verhaltenskodexes ist es, ein wichtiges und effektives Instrument für NRO von der lokalen bis zur internationalen Ebene bei ihrem Dialog mit Parlamenten, Regierungen und Behörden zu sein. Es zielt darauf ab, ein interaktives Instrument und handlungsorientiert zu sein, so dass es sowohl für NRO als auch für Behörden in ganz Europa von Nutzen ist. Um den Einsatz dieses Verhaltenskodex zu fördern, wird es u. a. eine Datenbank für Fallstudien und weitere praktische Werkzeuge geben. Der Verhaltenskodex richtet sich an nationale NRO einschließlich regionaler und lokaler Organisationen in den Mitgliedstaaten des Europarats und Weißrusslands, wie auch an Organisationen auf europäischer und internationaler Ebene. Er richtet sich ebenfalls an Behörden einschließlich Parlamente, Regierungen und öffentlicher Verwaltungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Die Zielgruppe ist groß, aber es ist beabsichtigt, dass bestimmte Teile des Verhaltenskodex auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung eingesetzt werden können. 3. Rahmenbedingungen für die Bürgerbeteiligung 3.1 Parameter der Zivilgesellschaft NRO und die organisierte Zivilgesellschaft tragen wesentlich zur Entwicklung und Umsetzung von Demokratie und Menschenrechten bei. Eine Definition des Europarats für NRO ist in der Empfehlung des Ministerkomitees (2007) 14 zu finden. Sie besagt, dass „NRO freiwillig selbstverwaltete Körperschaften oder Organisationen sind, die gegründet wurden, um die im Wesentlichen nicht gewinnorientierten Ziele ihrer Gründer oder Mitglieder zu verfolgen.“ Für diesen Ver160 haltenskodex für die Bürgerbeteiligung bezieht sich der Begriff auf die organisierte Zivilgesellschaft einschließlich der Vereine, gemeinnützigen Organisationen, Verbände, Stiftungen, Wohltätigkeitsorganisationen sowie geografisch- oder themenbezogenen Gemeinde- und Interessensverbände. Die Kernaktivitäten von NRO konzentrieren sich auf die Werte soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. In diesen Bereichen haben NRO das Ziel, zu fördern und das Leben der Menschen zu verbessern. NRO sind eine wichtige Komponente bei der Beteiligung an einer offenen, demokratischen Gesellschaft, indem sie das Engagement einer Vielzahl von Personen fördern. Die Tatsache, dass viele dieser Personen auch Wähler sind, unterstreicht die ergänzende Funktion zur repräsentativen Demokratie. NRO tragen durch Wissen und unabhängige Fachkompetenz zum Entscheidungsprozess bei. Dies hat dazu geführt, dass Regierungen auf allen Ebenen, von der lokalen bis zur nationalen, sowie internationale Organisationen die wesentlichen Erfahrungen und Kompetenzen von NRO bei der politischen Entwicklung und Umsetzung für sich nutzen. NRO genießen das einzigartige Vertrauen ihrer Mitglieder und der Gesellschaft, Bedenken zu äußern, ihre Interessen zu vertreten und bei Streitthemen involviert zu werden und somit wesentlich zur politischen Entwicklung beizutragen. Dieser Text unterstreicht den Beitrag einer organisierten Zivilgesellschaft zum demokratischen Prozess und konzentriert sich nicht auf die damit verbundene Frage der Bürgerbeteiligung, d. h. auf den einzelnen Bürger. In diesem Fall wird die Entstehung von Vereinen und Verbänden als Akt unabhängiger sozialer Organisation angesehen und nicht ausschließlich als individuelle Handlung. Es wird angenommen, dass organisierte Gruppen bestehen, um die Anliegen ihrer Mitglieder sowie das Allgemeinwohl zu fördern; daher fungieren sie als Schlüssel für die Beteiligung und als Multiplikator für das bürgerschaftliche Engagement. 3.2 Grundlagen der Bürgerbeteiligung Um eine konstruktive Beziehung zu fördern, sollten die NRO und die Behörden auf verschiedenen Ebenen gemäß der folgenden Grundsätze handeln: Beteiligung NRO sammeln und kanalisieren Ansichten ihrer Mitglieder und von Verbrauchergruppen und den betroffenen Bürgern. Dieser Input trägt wesentlich zum politischen Entscheidungsprozess bei und verbessert die Qualität, das Verständnis und die längerfristige Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess Umsetzbarkeit der politischen Vorhaben. Eine Bedingung für diesen Grundsatz ist, dass die Verfahren für die Beteiligung offen und zugänglich sind und auf den für die Beteiligung vereinbarten Parametern basieren. Vertrauen Eine offene und demokratische Gesellschaft basiert auf wirklicher Interaktion zwischen Handlungsträgern und Sektoren (actors and sectors). Auch wenn NRO und Behörden unterschiedliche Rollen spielen müssen, haben sie das gemeinsame Ziel, das Leben der Menschen zu erleichtern. Das kann nur durch Vertrauen, Transparenz, Respekt und gegenseitige Zuverlässigkeit zufriedenstellend erreicht werden. Verantwortung und Transparenz Im öffentlichen Interesse zu handeln erfordert Offenheit, Verantwortung, Klarheit, Transparenz und Rechenschaftspflicht sowohl bei NRO als auch bei Behörden. Unabhängigkeit NRO müssen als freie und unabhängige Körperschaften in Hinblick auf ihre Ziele, Entscheidungen und Handlungen betrachtet werden. Sie haben das Recht, unabhängig zu handeln und Positionen zu vertreten, die von denen der Behörden, mit denen sie sonst zusammenarbeiten, abweichen. 3.3 Bedingungen für die Bürgerbeteiligung Die Bedingungen zur Ermöglichung eines lebendigen Assoziationswesens sind bereits ausführlich dokumentiert. In Übereinstimmung mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (ECHR) erfordern diese die Meinungsfreiheit (Artikel 10 ECHR) und die Versammlungsfreiheit (Artikel 11 ECHR) sowie die jeweilige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Um sicherzustellen, dass die wesentlichen Beiträge von NRO im politischen Entscheidungsprozess ohne Diskriminierung verankert sind, sind ermöglichende Rahmenbedingungen erforderlich. Voraussetzungen für ermöglichende Rahmenbedingungen sind u. a. Rechtsstaatlichkeit, das Einhalten grundlegender demokratischer Prinzipien, politischer Wille, eine vorteilhafte Gesetzgebung, klare Verfahren, langfristige Unterstützung und Ressourcen für eine zukunftsfähige Zivilgesellschaft sowie gemeinsamer Raum für Dialog und Zusammenarbeit. Die Voraussetzungen ermöglichen eine konstruktive Beziehung zwischen NRO und Behörden, die auf gegenseitigem Vertrauen und einem beiderseitigen Verständnis für eine partizipatorische Demokratie fußt. 4. Politisches Engagement Um die grundlegenden politischen Ziele des Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung zu erreichen und um seine Bedeutung und praktische Umsetzbarkeit für NRO bei ihrer Mitwirkung am politischen Entscheidungsprozess sicherzustellen, legt dieser Abschnitt dar, wie die Beteiligung der Zivilgesellschaft aussehen kann. Es gibt bei diesem Prozess zwei miteinander verbundene Dimensionen. Zuerst sind die Ebenen der Beteiligung in Abschnitt IV.i beschrieben, in der Reihenfolge ihrer steigenden Intensität, von der einfachen Bereitstellung von Informationen über Beratung und Dialog bis zur Partnerschaft zwischen NRO und Behörden. Zweitens werden die Schritte des politischen Entscheidungsprozesses in Abschnitt IV.ii dargelegt, d. h. die sechs Schritte, die von Behörden unternommen werden, vom Agenda-Setting über die Umsetzung bis hin zur Überprüfung und Neuformulierung. In einem weiteren Abschnitt (IV.iii) werden Werkzeuge beschrieben, die in jeder Phase eingesetzt werden können und fachgebietsübergreifende Unterstützung beim Beteiligungsprozess bieten. Diese Elemente werden dann in einer Matrix der Bürgerbeteiligung (V) kombiniert, die eine anschauliche Präsentation der Wechselbeziehungen innerhalb des Prozesses bietet. 4.1 Die verschiedenen Ebenen der Beteiligung Das Mitwirken von NRO bei den verschiedenen Schritten des politischen Entscheidungsprozesses variiert je nach Intensität der Beteiligung. Es gibt vier stufenweise ansteigende Beteiligungsebenen, von der Beteiligung mit der niedrigsten zu der mit der höchsten Intensität. Dies sind: Information, Beratung, Dialog und Partnerschaft. Sie können an jedem Schritt des Entscheidungsprozesses eingesetzt werden, sind aber häufig an bestimmten Punkten des Prozesses besonders relevant. (s. Abb. 1) 1. Information Zugang zu Informationen ist die Grundlage für alle folgenden Schritte bei der Mitwirkung von NRO am politischen Entscheidungsprozess. Hierbei handelt es sich um eine relativ niedrige Beteiligungsebene, die gewöhnlich aus einer einseitigen Bereitstellung von Informationen von den Behörden besteht. Von den NRO wird keine Interaktion oder Mitwirkung verlangt oder erwartet. Informationen sind für alle Schritte des Entscheidungsprozesses wichtig. 161 Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess Abb. 1 Information niedrig Beratung BETEILIGUNGSEBENEN 2. Beratung Dies ist eine Form der Initiative, bei der die Behörden NRO nach ihrer Meinung zu einem bestimmten politischen Thema oder einer politischen Entwicklung fragen. Bei der Beratung informieren die Behörden die NRO normalerweise über aktuelle politische Entwicklungen und bitten sie um Kommentare, Ansichten und Rückmeldungen. Die Initiative geht nicht von den NRO aus, sondern von den Behörden, die auch die Themen bestimmen. Beratung ist für alle Schritte des Entscheidungsprozesses wichtig, besonders für die Ausarbeitung, die Überwachung und die Neuformulierung. 3. Dialog Die Initiative für den Dialog kann von beiden Seiten ausgehen, und der Dialog kann entweder weit oder gemeinschaftlich sein. Ein weiter Dialog ist eine Zweiwege-Kommunikation, die auf gegenseitigen Interessen und möglicherweise geteilten Zielen basiert, um einen regelmäßigen Austausch von Ansichten zu gewährleisten. Er reicht von öffentlichen Anhörungen bis zu Treffen zu speziellen Themen zwischen den Behörden und den NRO. Die Diskussion ist breit gefächert und nicht speziell mit einem aktuellen politischen Entwicklungsprozess verbunden. Ein gemeinschaftlicher Dialog basiert auf einem gemeinsamen Interesse für eine spezielle politische Entwicklung. Gewöhnlich führt der gemeinschaftliche Dialog zu einer gemeinsamen Empfehlung, Strategie oder Gesetzgebung. Der gemeinschaftliche Dialog 162 Dialog (weit oder gemeinschaftlich) Partnerschaft hoch besitzt mehr Macht als der weite Dialog, da er mit gemeinsamen, häufigen und regelmäßigen Treffen zur Entwicklung von politischen Kernstrategien einhergeht und oft zu vereinbarten Ergebnissen führt. Der Dialog ist an allen Schritten des politischen Entscheidungsprozesses wertvoll, besonders aber für das Agenda-Setting, die Ausarbeitung und die Neuformulierung. 4. Partnerschaft Eine Partnerschaft impliziert geteilte Verantwortung bei jedem Schritt des politischen Entscheidungsprozesses vom Agenda-Setting über die Ausarbeitung bis hin zur Entscheidung und Umsetzung von politischen Initiativen. Sie ist die höchste Form der Beteiligung. Auf dieser Ebene treffen die NRO und die Behörden für eine enge Zusammenarbeit zusammen, wobei sichergestellt ist, dass die NRO weiterhin unabhängig sind und das Recht haben, unabhängig von einer partnerschaftlichen Situation zu werben und zu agieren. Eine Partnerschaft kann Aktivitäten wie die Delegation einer bestimmten Aufgabe an eine NRO beinhalten, z. B. Erbringung von Dienstleistungen oder auch partizipatorische Foren und die Gründung von Körperschaften mit Mitentscheidungsbefugnis, einschließlich bei der Vergabe von Mitteln. Partnerschaften können in allen Phasen des politischen Entscheidungsprozesses eingegangen werden und sind besonders für die Schritte Agenda-Setting und Umsetzung wichtig. Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess 4.2 Die Phasen des politischen Entscheidungsprozesses Der unten stehende Kreis stellt die sechs verschiedenen Phasen des politischen Entscheidungsprozesses, Agenda-Setting, Ausarbeitung der politischen Linie, Entscheidungsfindung, Umsetzung der Politik, Kontrolle und Neuformulierung der Politik dar. Jeder Schritt bietet NRO und Behörden Gelegenheiten zur Zusammenarbeit (s. Abb. 2). Agenda-Setting Die politische Agenda wird vom Parlament und der Regierung vereinbart, kann jedoch von NRO oder NROGruppen durch Kampagnen und Lobbyarbeit in Bezug auf Themen, Bedürfnisse und Anliegen geformt werden. Neue politische Initiativen resultieren oft aus dem Einfluss von NRO-Kampagnen. Bei diesem Schritt möchten NRO im Namen eines kollektiven Interesses Einfluss auf Entscheidungsträger nehmen und in einer Weise agieren, die die politische Debatte ergänzt. Beiträge der NRO: • Anwaltschaft: Themen, Bedürfnisse und Anliegen für eine bestimmte Verbrauchergruppe, eine Sichtweise oder ein allgemeines öffentliches Interesse ansprechen, die bisher nicht von der Gesetzgebung oder politischen Dokumenten, Urkunden oder Maßnahmen behandelt wurden. • Information und Bewusstseinsbildung: Erkenntnisse der NRO mit den Behörden teilen, Mitglieder, Benutzer und wichtige Bürgergruppen einbeziehen und vertreten und als Kanäle fungieren, um die Bürger zu erreichen; zuhören, reagieren und informieren. • Fachkenntnis und Beratung: Fachleute, die über Wissen in einem speziellen Gebiet verfügen, spielen eine Schlüsselrolle beim Festlegen der politischen Agenda. Ihre Analysen und Forschungen zeigen aktuelle und zukünftige Erfordernisse der Gesellschaft auf und liefern entscheidende Perspektiven. • Innovation: Entwicklung neuer Lösungen und Herangehensweisen; zeigen, wie diese in die politische Agenda integriert werden können. • Dienstleistungen: Hauptakteur bei der Gestaltung von Politik und der Schaffung alternativer oder nicht-existenter Dienstleistungen für eine bestimmte Verbrauchergruppe. Verantwortlichkeiten der Behörden: • Weitergabe von Informationen: Bereitstellung von aktuellen, genauen und zeitnahen Informationen für alle interessierten Parteien in einem zugänglichen Format. • Verfahren: Entwicklung und Befolgung eines transparenten Entscheidungsprozesses. Anbieten klarer, offener und zugänglicher Verfahren zur Beteiligung. Abb.2 Neuformulierung Agenda-Setting Überwachung Ausarbeitung Umsetzung Entscheidung 163 Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess • Bereitstellung von Ressourcen: Ermöglichung der aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft etwa durch Haushaltsbestimmungen, Sachleistungen, oder administrative Leistungen. • Ansprechbarkeit: Gewährleistung aktiver Mitwirkung der kompetenten Behördenvertreter; zuhören, reagieren und Rückmeldung geben. der Lieferung von Belegen für den bevorzugten Vorschlag, z. B. durch Interviews oder Forschung, einbezogen. Die Schaffung von Gelegenheiten für die Beratung sollte ein Schlüsselelement bei diesem Schritt sein, wie auch unterschiedliche Formen des Dialogs, um Anregungen von wichtigen Interessengruppen zu erhalten. Werkzeuge und Mechanismen: Beiträge der NRO: Information: • Leichter und offener Zugang zu relevanten, genauen und zeitnahen Informationen zum politischen Prozess, Unterlagen und politischen Entscheidungsträgern, z. B. Online-Datenbanken. • Forschung, um problematische Sachverhalte zu verstehen und vorgeschlagene Lösungen weiterzuentwickeln. • Kampagnen und Lobbyarbeit von NRO auf Grund von Bewusstseinsschaffung durch politische Papiere, Poster und Flugblätter, Internetseiten, Pressemitteilungen, öffentliche Demonstrationen etc. • Internetseite mit umfassendem Zugriff auf Schlüsseldokumente und Ankündigung öffentlicher Veranstaltungen. • Anwaltschaft: Sicherstellen, dass die Bedürfnisse und Anliegen der Interessengruppen, auf die sich der Entwurf der Politik auswirkt, berücksichtigt werden. • Information und Bewusstseinsbildung: NRO informieren Mitglieder, Verbraucher und wichtige Bürgergruppen über den Ausarbeitungsprozess. • Fachkenntnis und Beratung: Analysen und Forschung zu Themen bereitstellen oder zusätzliche Prioritäten, die in den Ausarbeitungsprozess integriert werden sollen, in den Vordergrund stellen. • Innovation: Lösungen durch die Einführung neuer Herangehensweisen, praktischer Lösungen und konkreter Modelle anbieten, die bestimmten Verbrauchergruppen Vorteile verschaffen. • D ienstleistungen: Anregungen zur Ausarbeitung der Politik, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse bestimmte Verbraucher berücksichtigt und die erforderlichen Bedingungen erfüllt werden. • Überwachungsfunktion: dem Ausarbeitungsprozess folgen, um sicherzustellen, dass die Anliegen von Interessengruppen berücksichtigt werden und dass der Prozess transparent abläuft. eratung: B • Petitionen, entweder durch Online-Tools wie e-petition oder web-forum. • Beratung, online oder anderweitig, um Interessen und Anregungen von Mitgliedern von Interessengruppen zu sammeln. ialog: D • Anhörung und öffentliche Foren mit Interessengruppen, um die Sensibilitäten und Interessen der verschieden Gruppen zu identifizieren und zu interpretieren. • Bürgerforen und Zukunftswerkstätten, um mit Bürgern und NRO zu diskutieren • Schlüsselkontakte zur Regierung, um der Zivilgesellschaft den Zugriff auf Informationen zu aktuellen politischen Initiativen zu ermöglichen. Partnerschaft: • Arbeitsgruppe oder Komitee als permanente oder Ad-hoc-Expertengruppe zur Beratung bei politischen Präferenzen. Ausarbeitung Behörden haben gewöhnlich gut eingeführte Verfahren für die Ausarbeitung von politischen Linien. Hier werden NRO häufig in Bereichen wie der Problemerkennung, dem Vorschlagen von Lösungen und 164 Verantwortlichkeiten der Behörden: • Weitergabe von Informationen: Weitergabe von aktuellen und umfassenden Informationen zum aktuellen Beratungsprozess • Verfahren: Entwicklung und Befolgung der Mindeststandards für die Beratung wie klare Zielsetzungen, Regeln zur Beteiligung, Fristen, Kontakte etc. Organisation offener Beratungstreffen, einschließlich Einladung aller potentiellen Interessengruppen • Bereitstellung von Ressourcen: Bereitstellung adäquater Fristen und Mittel für die Beratung, um die Beteiligung unterschiedlicher Ebenen der Zivilgesellschaft sicherzustellen • Ansprechbarkeit: Gewährleistung aktiver Mitwirkung der kompetenten Behördenvertreter; zuhören, reagieren und Rückmeldung zu Beratungserwiderungen geben. Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess Werkzeuge und Mechanismen: Information: • Leichter und offener Zugang zu politischen Dokumenten, einschließlich einer zentralen Informationsstelle, die in verschiedenen Formaten Informationen über die Entwürfe bereithält, um die Öffentlichkeit zu erreichen. • Internetseite mit umfassendem Zugriff auf Schlüsseldokumente und Ankündigung öffentlicher Veranstaltungen • Kampagnen und Lobbyarbeit, um den Entwurf der Politik durch Stellungnahmen, Briefe, Manifeste zu kommentieren und zu formen. • Webcasts von Anhörungen, Konferenzen und Debatten, die es den Menschen ermöglichen, diese in Echtzeit zu verfolgen. • Forschung, um Anregungen zum Ausarbeitungsprozess zu liefern. Beratung und Dialog: • Anhörungen und Frage-und-Antwort-Foren mit Interessengruppen, um die Sensibilitäten und Bedürfnisse von Angesicht zu Angesicht oder online zu identifizieren und zu interpretieren und Vorschläge zu sammeln. • Expertenseminare und –konferenzen, bei denen Fachleute in die Entwicklung spezialisierter Forschungsmethoden oder Studien involviert werden, die für die Ausarbeitung verwendet werden können. • Komitees mit mehreren Interessengruppen und Körperschaften mit Beratungsfunktion, die aus Vertretern aus dem NRO-Bereich bestehen bzw. diese mit einschließen; können permanent oder ad hoc sein. Partnerschaft: • Hilfe bei der Ausarbeitung: aktive Mitwirkung bei der Ausarbeitung von Teilen des Gesetzgebungsprozesses Entscheidung Die Formen der politischen Entscheidungsfindung variieren durch den nationalen Hintergrund und die nationale Gesetzgebung. Typische Formen sind die Erstellung einer Beschlussvorlage durch ein Ministerium, die Verabschiedung eines Gesetzes durch parlamentarische Abstimmung; oder Volksentscheid, die dann eine entsprechende Gesetzgebung erfordern. Gesetzesentwürfe und –anträge sollten offen für Anregungen und Mitwirkung von NRO sein. Die Behörden sollten unterschiedliche Ansichten und Meinungen einholen und bewerten, bevor Entscheidungen getroffen werden. In dieser Phase ist Beratung für eine infor mierte Entscheidung unabdingbar. Allerdings liegt die endgültige Entscheidungsgewalt bei den demokratisch legitimierten Behörden, es sei denn, die Entscheidung wird aufgrund einer öffentlichen Abstimmung, eines Volksentscheids oder einer Instanz der Mitentscheidung getroffen. Beiträge der NRO: • Anwaltschaft: Einflussnahme auf die Entscheidungsträger vor einer Abstimmung • Information und Bewusstseinsbildung: Information von Mitgliedern, Verbrauchern und wichtigen Bürgergruppen über politische Entscheidungen und ihre möglichen Auswirkungen. • Fachkenntnis und Beratung: Bereitstellung detaillierter Analysen, um zu informieren und Entscheidungsträger zu beeinflussen. • Überwachungsfunktion: Verfolgung des Entscheidungsprozesses, um sicherzustellen, dass er demokratisch, transparent und optimal effektiv abläuft. Verantwortlichkeiten der Behörden: • Weitergabe von Informationen: Weitergabe von Informationen zu Richtlinien oder Gesetzen, die sich gerade im Entscheidungsprozess befinden. • Verfahren: Anbieten und Verfolgen von Verfahren für Instanzen der Mitentscheidung, falls erforderlich • Bereitstellung von Ressourcen: Ermöglichung und Unterstützung der aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft durch Einbeziehung von NRO in die Entscheidungsphase • Ansprechbarkeit: Zuhören, die Anregungen der Zivilgesellschaft berücksichtigen und auf sie reagieren. Werkzeuge und Mechanismen: Information: • Kampagnen und Lobbyarbeit, um Einfluss auf Entscheidungsträger zu nehmen, z. B. durch Flugblätter, Internetseiten, Pressemitteilungen und öffentliche Demonstrationen Beratung und Dialog: • Offene Plenar- oder Ausschusssitzungen, um den offenen Zugang zu Debatten während der Entscheidungsfindung sicherzustellen. Partnerschaft • Gemeinsame Entscheidungsfindung durch Foren, Konsenskonferenzen und andere partizipatorische Treffen • Mitentscheidung wie partizipatorische Haushaltsplanung 165 Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess Umsetzung In dieser Phase sind viele NRO am aktivsten, z. B. bei der Bereitstellung von Leistungen und der Projektabwicklung. Ein großer Teil der Arbeit von NRO in den vorhergehenden Phasen beinhaltet Versuche, die Umsetzung von Politik zu beeinflussen. Diese Phase ist besonders wichtig, um sicherzustellen, dass das beabsichtigte Ergebnis auch erzielt wird. Zugriff auf klare und transparente Informationen zu Erwartungen und Gelegenheiten sowie aktive Partnerschaften sind bei diesem Schritt wichtig. Beiträge der NRO: • Information und Bewusstseinsbildung: in erster Linie gerichtet auf die Schaffung von öffentlichem Bewusstsein, Erklärung von Vor- oder Nachteilen und der Auswirkung von politischen Richtlinien • Bereitstellung von Dienstleistungen: Ein Hauptakteur bei der Umsetzung politischer Initiativen trägt oft die Hauptverantwortung für die Bereitstellung. • Überwachungsfunktion: Überprüfen und Sicherstellen, dass die politischen Richtlinien wie beabsichtigt und ohne ungewollte Nebeneffekte umgesetzt werden. Verantwortlichkeiten der Behörden: • Weitergabe von Informationen: Weitergabe von Informationen zu Umsetzungsstrategien, öffentlichen Ausschreibungsverfahren und Projektrichtlinien • Verfahren: Befolgung vorhandener Regeln und Richtlinien zur Umsetzung von politischen Verfahren • Bereitstellung von Ressourcen: Ermöglichung der aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft in der Umsetzungsphase, u. a. durch Haushaltsbestimmungen, Sachleistungen oder administrative Leistungen • Ansprechbarkeit: Erreichbar sein und auf die besonderen Anforderungen, die sich im Umfeld der Umsetzung ergeben, reagieren Werkzeuge und Mechanismen: Information: • Offener und freier Zugang zu Unterlagen aus dem öffentlichen Sektor, die sich auf Projekte und Entscheidungen zur Umsetzung beziehen • Internetseite mit umfassendem Zugriff auf die wichtigsten Unterlagen und Ankündigung von öffentlichen Veranstaltungen • E-Mail-Benachrichtigungen, in denen anstehende Projekte und Fördermöglichkeiten angekündigt werden. 166 • FAQs - online oder durch andere Kanäle, um Informationen anzubieten, die als Fragen und Antworten aufgemacht sind und die praktische Hilfe und Beratung bieten sollen. • Öffentlich angekündigte Ausschreibungsverfahren, um einen transparenten Prozess für die Bereitstellung von Leistungen zu bieten. eratung: B • Veranstaltungen, Konferenzen, Foren und Seminare, um zu informieren und die Umsetzung politischer Richtlinien mit NRO und der Öffentlichkeit zu diskutieren. Dialog: • Seminare zur Verbesserung von Kompetenzen, um Wissen und Kompetenzen zu mehren, die für die Umsetzung wichtig sind. • Schulungsseminare für NRO und Behörden zu bestimmten Themen, die für die Umsetzung wichtig sind, wie Beschaffung, Projekt- und Förderanträge Partnerschaft: • Strategische Partnerschaft, bei der NRO und Behörden eine Partnerschaft zur Umsetzung von Politik eingehen; dies kann von einem kleinen Pilotprojekt bis zur vollständigen Umsetzungsverantwortung gehen. Monitoring/Überwachung An diesem Punkt besteht die Rolle der NRO darin, die Ergebnisse der umgesetzten politischen Linien zu überwachen und zu kontrollieren. Dazu ist es wichtig, ein effektives und transparentes Kontrollsystem zur Verfügung zu haben, das sicherstellt, dass die Politik/ das Programm den beabsichtigten Zweck erfüllt. Beiträge der NRO: • Anwaltschaft: Überprüfen und erklären, ob die politische Initiative die Nutznießer, für die sie beabsichtigt war, erreicht hat und den für die Gesellschaft beabsichtigten Zweck erfüllt hat. • Fachkenntnis und Beratung: Die Auswirkung der Politik untersuchen; schließt Think Tanks und Forschungsinstitute mit ein. • Bereitstellung von Dienstleistungen: Verantwortung für die Überwachung der Auswirkungen des Programms hinsichtlich der Qualität, Nachhaltigkeit, Effektivität und Fallbeispielen • Überwachungsfunktion: Eine Schlüsselrolle bei der Kontrolle von politischen Auswirkungen, um sicherzustellen, dass die beabsichtigten Ziele erreicht wurden. Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess Verantwortlichkeiten der Behörden: • Weitergabe von Informationen: Weitergabe von Informationen zum aktuellen Stand der Politik • Ansprechbarkeit: Zuhören und zu speziellen Themen, die von NRO oder der Zivilgesellschaft angesprochen werden, Stellung nehmen. Nützliche Werkzeuge und Mechanismen: Information: • Offener und freier Zugang zu Informationen zum Verlauf des politischen Prozesses • Hinweise sammeln, um Fälle und Statistiken zur Projekterfüllung zu erhalten • Evaluierung von Politik und ihre Auswirkung durch Konferenzen und Berichterstattung • Unabhängige Forschungsstudien, um die wichtigsten Erkenntnisse herauszustellen. Beratung: • Feedback-Mechanismen, wie Umfragen, Web-Umfragen oder Fragebögen, um den Verlauf zu verfolgen. Dialog: • Arbeitsgruppe oder Ausschuss bestehend aus NRO (sowohl Verbraucher als auch Anbieter), die für die Überwachung und Evaluierung der politischen Initiative verantwortlich sind. Partnerschaft: • Arbeitsgruppe oder Komitee bestehend aus der NRO und Behörden zusammen in einer strategischen Partnerschaft, um die politische Initiative zu überwachen und zu evaluieren. Neuformulierung Das Wissen, das aus der Auswertung der Umsetzung gewonnen wurde, gepaart mit neuen gesellschaftlichen Erfordernissen erfordert oft eine Neuformulierung der Politik. Dies muss auf dem Zugang zu Informationen und der Gelegenheit zum Dialog, um Bedürfnisse und Initiativen zu erkennen, basieren. Die Neuformulierung ermöglicht den Anstoß eines neuen Zyklus zur Entscheidungsfindung. Beiträge der NRO: • Anwaltschaft: Lobby für die Erneuerung von politischen Richtlinien durch Herausstellung von Grenzen oder Nebenwirkungen der aktuellen Politik, um die Bedürfnisse der Verbraucher oder Bürger zu befriedigen. • Fachkenntnis und Beratung: Forschung und Analysen in Auftrag geben, um Lücken in der aktuellen politischen Situation zu erkennen und eine Begründung für die Neuformulierung zu liefern. • Innovation: Entwicklung neuer Herangehensweisen, um wichtige politische Themen in Angriff zu nehmen; Dies kann ein Schlüsselelement bei der politischen Erneuerung sein. • Bereitstellung von Dienstleistungen: Hindernisse erkennen und Belege sammeln, um entstehende Bedürfnisse herauszustellen, die eine Neuformulierung der politischen Linie erforderlich machen. Verantwortlichkeiten der Behörden: • Weitergabe von Informationen: Weitergabe von Informationen zur möglichen Revision einer politischen Linie und der Wahrnehmung von erforderlichen Änderungen der politischen Linie • Verfahren: Bereitstellung klarer, offener und zugänglicher Verfahren zur Beteiligung • Bereitstellung von Ressourcen: Ermöglichung der aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft • Ansprechbarkeit: Zuhören und auf Anregungen von NRO reagieren Werkzeuge und Mechanismen: Information: • Offener und freier Zugang zu Informationen, um Auswertungen, Studienergebnisse und andere Belege zur aktuellen politischen Linie zu liefern. Beratung: • Konferenz oder Besprechung, um die nächsten, von den Behörden geplanten Schritte festzulegen. • Online-Beratung, um Ansichten der Zivilgesellschaft zur politischen Linie/Folgeprojekten zu sammeln. Dialog: • Seminare oder beratende Foren, um Interessengruppen bei der Entwicklung neuer Richtungen in der Politik zu involvieren, z. B. World Café, open space, weitere Brainstorming-Methoden. Partnerschaft: • Arbeitsgruppe oder Ausschuss, in der/dem NRO zusammen mit anderen Interessengruppen und Behörden eine Expertengruppe bilden mit dem Ziel, eine neue politische Linie zu empfehlen. 4.3 Fachübergreifende Werkzeuge und Mechanismen für die Bürgerbeteiligung Während der Beratungen über den vorliegenden Verhaltenskodex wurden europaweit Werkzeuge ge167 Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess sammelt, die die Beteiligung bei politischen Entscheidungsprozessen unterstützen können: E-Beteiligung eTools bieten ein großes Potential für die Verbesserung der demokratischen Praxis und der Beteiligung einer organisierten Zivilgesellschaft. Sie können in großem Maße zur Transparenz, Rechenschaftspflicht und Erreichbarkeit von Institutionen sowie zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagement, und zu einer Steigerung der politischen Befähigung und der Zugänglichkeit und Inklusivität des demokratischen Prozesses beitragen. Um ihr Potential voll auszuschöpfen, sollten eTools von allen am Entscheidungsprozess Mitwirkenden in ihre Arbeit integriert werden, einschließlich der Behörden auf allen Ebenen und der organisierten Zivilgesellschaft. Steigerung von Kompetenzen in Hinsicht auf die Beteiligung Es ist äußerst wichtig, die Kompetenzen und Fähigkeiten lokaler, regionaler und nationaler NRO zu entwickeln, so dass sie ggf. aktiv bei der Formulierung von politischen Linien, der Projektentwicklung und Dienstleistung mitwirken können. Die Steigerung von Kompetenzen kann auch Schulungsseminare für ein verbessertes Verständnis der wechselseitigen Rollen von NRO und Behörden bei diesem Engagement beinhalten sowie Austauschprogramme, um die Sichtweisen des jeweils anderen besser zu verstehen. Strukturen für die Zusammenarbeit zwischen NRO und Behörden Um die Beziehung zwischen NRO und Behörden zu erleichtern, haben einige Länder koordinierende Körperschaften entwickelt. Dies sind u. a.: Regierungsinstitutionen wie eine Kontaktperson für die Zivilgesellschaft in allen Ministerien oder eine zentrale koordinierende Institution als Ansprechpartner; gemeinschaftliche Strukturen wie Arbeitsgruppen aus mehreren Interessengruppen, Arbeitsgruppen, Sachverständigengremien und weitere beratende Institutionen (permanent oder ad hoc); oder NRO-Allianzen/ Koalitionen, die Ressourcen bündeln und gemeinsame Positionen entwickeln. Rahmendokumente zur Zusammenarbeit zwischen NRO und Behörden In vielen europäischen Ländern wurden Rahmenverträge ausgearbeitet, um die Pflichten, Rollen, Verantwortlichkeiten und Verfahren bei der Zusammenarbeit festzulegen. Diese Dokumente bilden eine klare Grundlage für die Beziehung und erleichtern somit den ständigen Dialog und das gegenseitige Einvernehmen zwischen NRO und Behörden. Sie beinhalten 168 gegenseitige Vereinbarungen mit dem Parlament oder der Regierung, strategische Dokumente für die Kooperation und offizielle, von den Behörden verabschiedete Programme zur Zusammenarbeit. 5. Matrix zur Bürgerbeteiligung Um die Beziehungen zu verdeutlichen zeigt die untenstehende Matrix die Schritte des politischen Entscheidungsprozesses und ihre Verbindung mit den Beteiligungsebenen. Sie basiert auf guten Praktiken und Beispielen aus Zivilgesellschaften in ganz Europa und soll zu eigener Handlung inspirieren und die Interaktion zwischen NRO und Behörden stärken. An jedem Punkt des Entscheidungsprozesses (von links nach rechts) gibt es verschiedene Ebenen von NRO-Beteiligungen (von unten nach oben). Es wird angenommen, dass die einzelnen Schritte des politischen Entscheidungsprozesses auf jeden europäischen Kontext angewandt werden können, von lokal bis hin zu national. Wie bereits erklärt, können die Beteiligungsebenen an jedem Punkt des Entscheidungsprozesses von niedrig bis hoch variieren, und es ist beabsichtigt, dass die vorgeschlagenen Werkzeuge genutzt werden, um Beteiligung zu implementieren. Diese Matrix kann auf vielerlei Weise verwendet werden, z. B. für die Darstellung der Ebenen des Engagements der Zivilgesellschaft bei politischen Prozessen, für die Auswertung von NRO in jeder Phase eines Prozesses oder als eine praktische Quelle für die NRO-Planung von politischer Aktivitäten. Sie stellt keine abschließende Liste dar und kann an viele weitere Anwendungsmöglichkeiten angepasst werden. Die Matrix zeigt die in Beziehung stehenden Elemente der Beteiligung am Entscheidungsprozess. Sie stellt dar, wie durch die oben genannten Werkzeuge die beabsichtigte Beteiligung in jeder Phase des Entscheidungsprozesses erreicht werden kann. Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess Matrix zur Bürgerbeteiligung Partnerschaft Arbeitsgruppe oder Ausschuss Redaktion bei der Ausarbeitung Gemeinsame Entscheidungen Strategische Partnerschaften Arbeitsgruppen oder Ausschuss Arbeitsgruppen oder Ausschuss Seminare zur Steigerung von Kapazitäten Arbeitsgruppen oder Ausschuss Seminare oder Beratungsforen Feedback-Mechanismen Konferenzen oder Besprechungen Mitentscheidungen Dialog Anhörungen und öffentliche Foren Bürgerforen und Zukunftsgremien Schlüsselkontakte zur Regierung Beratung Petitionen Online-Beratung oder andere Beratungstechniken Anhörungen und F&A-Foren Offene Plenaroder Ausschusssitzungen Sachverständigenseminare Schulungsseminare Komitees aus mehreren Interessengruppen und beratende Institutionen Anhörungen und F&A-Foren Offene Plenaroder Ausschusssitzungen Sachverständigenseminare Veranstaltungen, Konferenzen, Foren, Seminare Online-Beratung Komitees aus mehreren Interessengruppen und beratende Institutionen Information Leichter und offener Zugang zu Informationen Offener und freier Zugang zu politischen Dokumente Kampagnen und Lobby-Arbeit Forschung Kampagnen und Lobby-Arbeit Website für Schlüsseldokumente Internetseiten für Schlüsseldokumente Offener Zugang zu Informationen Offener Zugang zu Informationen Internetseite zur Informationsbeschaffung Beweissammlung Offener Zugang zu Informationen Auswertungen E-mail-Benachrichtigungen Kampagnen und Lobby-Arbeit Forschungsstudien FAQ Webcasts Öffentliche Ausschreibungsverfahren Anregungen aus der Forschung Beteiligungsebenen Agenda-Setting Ausarbeitung Entscheidung Umsetzung Überwachung Neuformulierung Schritte des politischen Entscheidungsprozesses 169 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Yasmin Aksu Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. Michaelkirchstr. 17/18 10179 Berlin [email protected] Prof. Dr. Elisabeth Bubolz-Lutz Forschungsinstitut Geragogik Alfred-Herrhausen-Str. 44 58455 Witten [email protected] Prof. Dr. Heinz-Jürgen Dahme Hochschule Magdeburg Stendal Breitscheidstr. 2 39114 Magdeburg [email protected] Ralph Döring Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. Michaelkirchstr. 17/18 10179 Berlin [email protected] Birger Hartnuß Staatskanzlei Rheinland-Pfalz Peter-Altmeier-Allee 1 55116 Mainz [email protected] Susanne Huth INBAS-Sozialforschung GmbH Nonnenpfad 14 60599 Frankfurt am Main [email protected] 170 Prof. Dr. Gisela Jakob Hochschule Darmstadt, FB Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit Adelungstr. 51 64283 Darmstadt [email protected] Dr. Ludger Klein Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. Zeilweg 42 60439 Frankfurt a.M. [email protected] Peter Kromminga UPJ e.V Brunnenstr. 181 10119 Berlin [email protected] Dr. Reinhard Lang UPJ e.V Brunnenstr. 181 10119 Berlin [email protected] Stefanie Lausch Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. Michaelkirchstr. 17/18 10179 Berlin [email protected] Dörte Lüdeking Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. Michaelkirchstr. 17/18 10179 Berlin [email protected] Autorenverzeichnis Prof Dr. Thomas Rauschenbach Deutsches Jugendinstitut Nockherstr.2 81541 München [email protected] Christiane Richter Senior Partner in School Breslauer Platz 1 12159 Berlin [email protected] Susanne Rindt Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. Michaelkirchstr. 17/18 10179 Berlin [email protected] Dr. Thomas Röbke Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern Gostenhofer Hauptstr. 63 90443 Nürnberg [email protected] Dr. Nicole D. Schmidt Freiwilligenzentren mittenmang Schleswig-Holstein e.V. Bismarckstr. 10 24837 Schleswig [email protected] Uwe Slüter Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Freiwilligendienste, BDKJ-Bundesstelle e.V., Carl-Mosterts-Platz 1 40477 Düsseldorf [email protected] Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt Ev. Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe Bochum Immanuel-Kantstr. 18-20 4803 Bochum [email protected] 171 Weitere Publikationen des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation Erster Zwischenbericht Die Dokumentation bietet auf 262 Seiten die Ergebnisse der beiden Fachkongresse des Forums und der 10 engagementpolitischen Dialogforen vom 27. April und 15. Mai 2009. Der Vorsitzende des BBE-Sprecherrates Prof. Dr. fasst in seinem Beitrag „Grundrisse einer engagementpolitischen Agenda“ die Ergebnisse der 10 Dialogforen zusammen. Die Dokumentation bietet in ihren Anhängen auch einen Überblick zu den engagementpolitischen Förderaktivitäten der Bundesministerien und zur Engagementförderpolitik aller 16 Bundesländer. Auf dem Weg zu einer nationalen Engagementstrategie – Perspektiven und Positionen Materialien und Dokumente Band 2 Der 144seitige Band fasst die Stellungnahmen und Kommentare zu den engagementpolitischen Empfehlungen zusammen, die im Rahmen des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation auf zwei Fachkongressen im Frühjahr 2010 erarbeitet wurden. Die Stellungnahmen und Kommentare, die sowohl handlungsfeldspezifisch als auch handlungsfeldübergreifend sind, werden ergänzt durch einen zusammenfassenden Überblickbeitrag und eine Zusammenfassung der bisherigen Empfehlungen des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation. Die Materialien sind über die Koordinierungsstelle erhältlich: Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) Koordinierungsstelle „Nationales Forum für Engagement und Partizipation“ Michaelkirchstr. 17/18 10179 Berlin Telefon: 030 / 629 80-625 www.b-b-e.de 172