Nationales Forum für Engagement und Partizipation Engagement

Werbung
Nationales Forum
für Engagement
und Partizipation
Engagement ermöglichen –
Strukturen gestalten
Handlungsempfehlungen für eine nationale Engagementstrategie
Nationales Forum für
Engagement und Partizipation
Band 3
ISBN: 978-3-00-031931-0
Inhaltsverzeichnis
3
5
6
Editorial
Geleitwort, Staatssekretär Josef Hecken (BMFSFJ)
Einleitung, Dr. Serge Embacher (BBE)
Plenum am 25. März 2010
10
13
16
Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung einer Nationalen
Engagementstrategie, Dieter Hackler (BMFSFJ)
Begrüßung durch den Vorsitzenden des BBE-Sprecherrates Prof. Dr. Thomas Olk
Podiumsdiskussion
Dialogforen
Dialogforum „Reform des Zuwendungsrechts“
25
26
29
Bericht: Regeln vereinfachen – Gestaltungsfreiheit schaffen
Ergebnisse
Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Modernisierung und Entbürokratisierung
des Zuwendungsrechts (Kurzfassung)
Dialogforum „Weiterentwicklung der Freiwilligendienste“
33
35
40
48
49
53
55
Bericht: Vielfalt unter einem Dach
Ergebnisse
Uwe Slüter: Kurzgutachten „Mögliche Rahmenbedingungen für ein Freiwilligendienstestatusgesetz (FWDStG)“
Dr. Nicole D. Schmidt: Thesen „Zur Zielgruppe Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen“
Susanne Huth: Thesen „Zum freiwilligen Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund.
Zum Begriff ‚benachteiligte Jugendliche‘“
Prof. Dr. Gisela Jakob: Thesen „Überlegungen zu einem Freiwilligendienstestatusgesetz“
Christiane Richter: Thesen „Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für Seniorinnen und
Senioren im Freiwilligendienst“
Dialogforum „Bildung und bürgerschaftliches Engagement“
57
58
62
73
Bericht: Engagement – Möglichkeiten – Bilden
Ergebnisse
Birger Hartnuß: Kurzgutachten „Schulöffnung und bürgerschaftliches Engagement“
Prof. Dr. Thomas Rauschenbach: Kurzgutachten „Engagement und Bildung“
Dialogforum „Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement“
87
88
92
Bericht: Erwerbsarbeit und Engagement aufeinander abstimmen; Chancen, Hindernisse, Gefahren
Ergebnisse
Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.: Expertise „Engagement und Erwerbsarbeit.
Bürgerschaftliches Engagement, Erwerbsarbeit, Arbeitsmarktpolitik und neue Rahmenbedingungen: Herausforderungen und Wechselwirkungen“
1
Dialogforum „Infrastrukturförderung“
113
114
117
134
148
Bericht: Vernetzen und Abstimmen – Wer macht was?
Ergebnisse
Dr. Thomas Röbke/Prof. Dr. Gisela Jakob: Gutachten „Engagementförderung als Infrastrukturförderung“
Prof. Dr. Hans-Jürgen Dahme/Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt: Gutachten „Engagementpolitik als Infrastrukturförderung - zur engagementpolitischen Bedeutung und Entwicklung von Verbänden im Sozialsektor“
Prof. Dr. Elisabeth Bubolz-Lutz: Thesen „Öffentliche Förderung der Infrastruktureinrichtungen der
Engagementförderung“
Dialogforum „Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship“
151
152
155
Bericht: Partnerschaften strategisch entwickeln
Ergebnisse
Peter Kromminga/Dr. Reinhard Lang: Gutachten „Gemeinnützige Mittler als
Katalysatoren für Unternehmensengagement“
Anhang
158
170
172
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Weitere Publikationen des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation
Impressum
Herausgeber: Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Michaelkirchstr. 17/18, 10179 Berlin
V.i.S.d.P.: PD Dr. Ansgar Klein, Geschäftsführer des BBE
Redaktion: Dr. Serge Embacher, Ina Bömelburg, Tobias Quednau
Layout und Satz: Regina Vierkant
Fotos: Frank-Michael Arndt
Druck: Druckhaus Köthen, Köthen
Koordinierungsstelle Nationales Forum für Engagement und Partizipation
Dr. Serge Embacher (Projektleitung), Ina Bömelburg, Tobias Quednau, Benjamin Reitz
Telefon: 030 - 6 29 80 625, Telefax: 030 - 6 29 80 152
E-Mail: [email protected], Internet: www.b-b-e.de/nationales-forum/
Berlin Juli 2010
ISBN: 978-3-00-031931-0
Das Nationale Forum für Engagement und
Partizipation wird gefördert vom
Träger der BBE-Geschäftsstelle ist der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V.
2
Editorial
Als sich im Frühjahr 2010 über 300 Expertinnen und
Experten zu zwei Kongressen im Paul-Löbe-Haus
des Deutschen Bundestages versammelten, um in
zehn Dialogforen über Möglichkeiten einer nationalen
Engagementstrategie zu beraten, konnten wir nur
hoffen, was sich im Nachhinein bestätigt hat: Das Nationale Forum für Engagement und Partizipation ist
durch seine fachpolitischen Beiträge zu einer wichtigen Beratungsinstanz für die Engagementpolitik des
Bundes geworden.
mal in Zeiten der allfälligen Krise – die Chance, sich
im Rahmen des engagementpolitischen Prozesses
zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu bekennen. Die Bürgergesellschaft schließlich kann ihre Impulse und Ideen direkt in den politischen Prozess einbringen und ist dabei auch ‘genötigt’, ihre Ideen und
Forderungen einem Realitätstest zu unterziehen.
Durch die breite Einbindung der organisierten Bürgergesellschaft ist eine wichtige Bedingung für gelingende Engagementpolitik erfüllt worden. Die Stärkung der Rahmenbedingungen für die Entfaltung der
Bürgergesellschaft und des bürgerschaftlichen Engagements kann nämlich nur unter Einbeziehung der
Betroffenen glücken. Bürgerbeteiligung ist ein Kernelement von Engagementpolitik. Die systematische
Einbindung von engagementfördernden Unternehmen und Wirtschaftsverbänden sowie die intensive
Mitwirkung von Bund, Ländern und Kommunen im
Forumsprozess machen deutlich, dass die Förderung
des bürgerschaftlichen Engagements und die Entwicklung guter Rahmenbedingungen die enge Kooperation mit Politik und Wirtschaft erfordert.
Man sieht also, dass es sich beim Nationalen Forum
für Engagement und Partizipation um ein anspruchsvolles Format der Begleitung und Vorbereitung von
engagementpolitischen Entscheidungen handelt. Das
Offene und Experimentelle dieses Formats ist kein
Makel, sondern ein Beitrag zur Vitalisierung des demokratischen Gemeinwesens, das vom ergebnisoffenen
Diskurs lebt. Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches
Engagement (BBE), in dem sich die Akteure aus Bürgergesellschaft, Wirtschaft, Staat und Kommunen zum
Zwecke der Engagementförderung vernetzen, kann all
seine Erfahrungen in der trisektoralen Netzwerkarbeit
als Veranstalter des Forums nutzen und damit seine
Veranstalterrolle für das Forum auch weiterhin optimal
wahrnehmen. Die schon seit vielen Jahren im Netzwerk versammelte Expertise kommt Dank seiner Veranstalterrolle für das Nationale Forum für Engagement
und Partizipation noch besser als bislang zur Geltung.
Vor diesem Hintergrund ist das Nationale Forum
für Engagement und Partizipation ein spannendes
Governance-Experiment mit offenem Ausgang. Hier
wird versucht, die Entwicklung einer nationalen Engagementstrategie als einen Aushandlungsprozess
zwischen allen Beteiligten zu organisieren. Dabei ist
jede Seite auf je eigene Weise beteiligt. Die föderalen
Ebenen des Staates – also Bund, Länder und Kommunen – nutzen bei der Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen die Expertise der Engagierten vor
Ort und stehen überdies in der Verantwortung, sich
sachgerecht im Hinblick auf Arbeits- und Verantwortungsteilung abzustimmen. Die Wirtschaft hat – zu-
Mit dem vorliegenden dritten Band unserer Publikationsreihe dokumentieren wir den Auftaktkongress des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation für die
laufende 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages
am 25. März 2010 sowie die sechs Dialogforen vom
April 2010 zu den Themenfeldern Reform des Zuwendungsrechts, Zukunft der Freiwilligendienste, Bildung
und bürgerschaftliches Engagement, Erwerbsarbeit
und Engagement, Infrastrukturförderung und Corporate
Citizenship (Unternehmen in der Bürgergesellschaft).
Damit erhalten die Leserin und der Leser einen guten
Einblick in den aktuellen Entwicklungsstand der Diskussion um die nationale Engagementstrategie.
3
Editorial
Auch die Koordinierungsstelle des Nationalen Forums
für Engagement und Partizipation betrachtet ihre Arbeit
als einen kontinuierlichen Lernprozess. Daher sind wir
dankbar für Kritik und Anregungen und würden es begrüßen, wenn Sie uns – wie nun schon seit über einem
Jahr – auch weiterhin konstruktiv und kritisch begleiten. Darüber hinaus gilt unser Dank dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für
die großzügige Förderung des Nationalen Forums für
Engagement und Partizipation sowie allen engagierten
Menschen, die sich bislang in den Prozess des Aufbaus der nationalen Engagementstrategie eingebracht
haben. Bürgerschaftliches Engagement ist ein zentrales Element des demokratischen Gemeinwesens.
Auf bald im Nationalen Forum für Engagement und
Partizipation! Eine erste Gelegenheit dazu bietet der
zugangsoffene Diskurs zu den vorliegenden Zwischenergebnisses des Forums im Internet im Herbst
diesen Jahres.
Prof. Dr. Thomas Olk
(Vorsitzender des Sprecherrats des BBE)
PD Dr. Ansgar Klein
(Geschäftsführer des BBE)
Dr. Serge Embacher
(Leiter der Koordinierungsstelle des Nationalen
Forums für Engagement und Partizipation)
4
Geleitwort
Wir haben uns in der Engagementpolitik in dieser Legislaturperiode ein großes Ziel gesetzt: die Entwicklung
und Umsetzung einer nationalen Engagementstrategie.
Die beeindruckende Vielfalt des bürgerschaftlichen Engagements vor Ort, das sich in Nachbarschaftsheimen,
Freiwilligenagenturen, Mehrgenerationenhäusern, im
Sportverein, in Bürgerinitiativen, in Sozialunternehmen,
im Hospiz oder bei der Freiwilligen Feuerwehr zeigt,
soll weiter gefördert und ausgebaut werden. Um dies
wirksam voranzutreiben, will die Bundesregierung unter
Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die engagementpolitischen
Aktivitäten in den verschiedenen Ressorts und in Partnerschaft mit Ländern und Kommunen eine gemeinsame Strategie entwickeln. Das heißt nicht, dass Bürgerschaftliches Engagement vereinheitlicht oder „verregelt“
werden soll. Vielmehr verfolgen wir die Absicht, der mit
der Vielfalt des Engagements zugleich anwachsenden
Vielfalt engagementpolitischer Ansätze eine strategische
Perspektive zu geben. Hier kann der Bund in seiner gesamtstaatlichen Verantwortung aktiv werden.
unterschiedlichen Akteure des Engagements und der
Engagementpolitik zu motivieren, sich auf eine echte
Partnerschaft einzulassen.
Die nationale Engamenstrategie als öffentlichen,
transparenten und dialogischen Prozess zu etablieren und zu verstetigen, wird in der laufenden Legislaturperiode unser Ziel sein. Dabei gilt schon heute
unser Dank den vielen engagierten Teilnehmerinnen
und Teilnehmern an den vom Nationalen Forum für
Engagement und Partizipation (NFEP) ausgerichteten sechs Dialogforen im Frühling dieses Jahres.
Die in den Foren versammelte Expertise, aber auch
die spürbare Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme haben wesentlich dazu beigetragen, dass das Nationale Forum dem BMFSFJ wichtige Empfehlungen für
eine nationale Engagementstrategie aufzeigen konnte.
Josef Hecken, Staatssekretär im Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ein wichtiges Merkmal dieser Strategie wird darin bestehen, dass wir sie gemeinsam mit der Bürgergesellschaft entwickeln werden. Durch ihre Teilhabe leistet
sie einen bedeutenden Beitrag zur Stärkung unserer
Demokratie. Die zahlreichen Initiativen, Vereine und
Verbände der organisierten Bürgergesellschaft und
des dritten Sektors, aber auch die engagierten Unternehmen sowie die zahlreichen Stiftungen und Bürgerstiftungen sind wichtige und unabdingbare Akteure für
eine erfolgreiche Umsetzung einer solchen Strategie.
Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass ein kooperatives und von einer neuen Verantwortungsteilung
geprägtes Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und
Bürgergesellschaft hierbei von Bedeutung ist.
In diesem Sinne ist der Beteiligungsprozess in den
Dialogforen ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
Eine ständige Herausforderung besteht darin, die
5
Einleitung
Engagement ermöglichen – Strukturen gestalten:
Chancen für die Bürgergesellschaft
Das freiwillige Engagement von Bürgerinnen und
Bürgern leistet einen unschätzbaren Beitrag zur
Vitalisierung der Demokratie. Das demokratische
Gemeinwesen lebt von Menschen, die sich aktiv
für seine Ausgestaltung einsetzen und damit den
rechtsstaatlich garantierten Freiheitsrechten, wie sie
in Artikel 1-19 des Grundgesetzes beschrieben sind,
reale Bedeutung geben. Was Freiheit sei, wird durch
staatsbürgerliches Handeln erst richtig definiert und
damit lebendig. Darin liegt der selten thematisierte
eigentliche „Wert“ des bürgerschaftlichen Engagements – dass private Freiheitsrechte ihrer wahre Bedeutung erst erlangen, wenn sie von ihren Trägern
zugleich als öffentliche Freiheitsrechte begriffen und
im Engagement gelebt werden. Daraus ergibt sich
auch der Umstand, dass Engagement und Teilhabe
zwei Seiten derselben Medaille sind, da derjenige,
der sich in der Bürgergesellschaft aus freien Stücken
engagiert, daraus auch das Bedürfnis – nicht unbedingt den Anspruch – entwickelt, über die Dinge des
Gemeinwesens mitbestimmen zu wollen. Alle Versuche, diese genuin politische Dimension des Engagements negieren und das Engagement auf die Rolle
des Ehrenamts reduzieren zu wollen, gehen an einer
avancierten Idee von Bürgergesellschaft vorbei.
Um diese Idee in den Blick zu bekommen, lohnt es
sich, zunächst das spezifische Demokratieverständnis zu klären, das dafür am besten geeignet ist. Demokratie ist ja nicht bloß ein Verfahren, um legitime
politische Entscheidungen herbeizuführen. Entscheidend ist vielmehr die Qualität des demokratischen
Verfahrens und damit auch der von ihm produzierten
Entscheidungen. Pflanzen sich in ihm Autorität und
Willkür und damit die Macht der Interessen fort, getarnt unter dem Mantel des korrekten Verfahrens?
Oder entwickelt es sich in einem prozesshaften und
stets falliblen Werden in Richtung einer deliberativen
(beratschlagenden), also von freier Rede und offener
Meinungsbildung bestimmten Demokratie?
6
Ohne Mühe lässt sich in der damit angedeuteten
Bandbreite der Möglichkeiten die deliberative Demokratie als die der Bürgergesellschaft angemessenste
auszeichnen. In der deliberativen Demokratie wird
der politische Prozess selbst zum Grundbaustein
für die demokratische Ordnung. Demokratie wird als
die untrennbare Einheit von öffentlicher Meinungsbildung und freier Entscheidungsfindung wahrgenommen. Erst wenn jene nach Kriterien der Offenheit,
Transparenz, Fairness und Inklusion ausgerichtet ist,
kann diese volle Legitimität für sich beanspruchen.
Akzeptanz und Folgebereitschaft hängen bei demokratischen Entscheidungen wesentlich vom vorangegangenen Prozess der öffentlichen Deliberation, dem
vorbehaltlosen Ringen um das bessere Argument,
ab. Das Prinzip der Volkssouveränität, welches nicht
auf regelmäßige freie Wahlen beschränkt bleiben
darf, findet somit erst im aktiven demokratischen Engagement von Bürgerinnen und Bürgern seinen adäquaten Ausdruck.
Demokratische Politik im diesem deliberativen Sinne
ist als Prozess einer kollektiven Aneignung des Gemeinwesens zu verstehen, bei dem sich aktive Bürgerinnen und Bürger darüber bewusst werden, dass die
Gestaltung gesellschaftlicher Zustände ihre eigene
Angelegenheit ist und es daher auf ihr persönliches
Engagement ankommt. Private Freiheit wird in dieser
Perspektive – wie bereits erwähnt – immer auch als
öffentliche Freiheit gesehen, sich für das Gemeinwohl
zu engagieren.
Die Voraussetzungen für eine solch anspruchsvolle
demokratische Beteiligungskultur sind heute durchaus gegeben. Die über 23 Millionen bürgerschaftlich
Engagierten in Deutschland stehen für eine neue Beteiligungskultur, die auch (und vor allem) demokratiepolitisch relevant ist. Allerdings kommt es darauf an,
geeignete Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches
Engagement zu gestalten, um das bürgerschaftliche
Einleitung
Engagement als Element des demokratischen Prozesses zu ermöglichen und zu fördern.
Vor diesem demokratiepolitischen Hintergrund stellt
das Nationale Forum für Engagement und Partizipation (NFEP) den anspruchsvollen und keineswegs
als Selbstläufer firmierenden Versuch dar, auf Bundesebene einen neuartigen Governance-Prozess in
Gang zu bringen. Governance als Gegenbegriff zu
Government (engl. für „Regierung“) steht dabei für ein
neues Staatsverständnis – ein Verständnis, das von
der Einsicht getragen ist, dass die Qualität politischer
Prozesse umso besser ist, je stärker der Aspekt der
deliberativen Beteiligung darin berücksichtigt ist. Dabei ist Engagementpolitik nur ein kleiner – aber eben
bedeutsamer – Ausschnitt, in dem sich deliberative
Demokratie initiieren und motivieren lässt. Die nationale Engagementstrategie könnte zu einem Experimentierfeld für ein neues Politikverständnis werden,
bei dem es ganz zentral um demokratische Teilhabe
und freien Diskurs geht, bevor die durch Wahlen legitimierten Instanzen – Regierungen und Parlamente
– entscheiden. Was immer sie entscheiden, ihre
Entscheidungen werden umso besser sein, je stärker sie von einem deliberativ geprägten Demokratieverständnis angeleitet werden.
Das NFEP hat nun die ganz spezifische und demokratiepolitisch relevante Aufgabe, die Entwicklung
einer nationalen Engagementstrategie – bei der es
um Fragen des Zuwendungsrechts und Infrastruktur
für Engagement ebenso geht wie um die Themen
Bildung, Integration, Pflege, Arbeitsmarktpolitik und
Unternehmensengagement – durch die Organisation
eines Fachdiskurses mit Expertise aus der Bürgergesellschaft anzureichern. Dabei kommt es vor allem
darauf an, die verschiedenen relevanten Bereiche,
die föderalen Ebenen des Staates ebenso wie Wirtschaft und Bürgergesellschaft, gleichermaßen einzubinden. Damit eine nationale Engagementstrategie
tatsächlich zur Strategie werden kann, ist im Idealfall
ein Umdenken erforderlich, bei dem „alte Zöpfe“ abgeschnitten und neue Strukturen ersonnen werden
müssen. Dazu gehört auch, dass Phasen der Entscheidung sich mit solchen der partizipativen Deliberation abwechseln, wozu vor allem moderne Beteiligungsformen via Internet wichtig sind. Mit der für den
Herbst 2010 geplanten Online-Beteiligungsphase im
WEB2.0-Format versucht das NFEP, auch diesem
Erfordernis gerecht zu werden.
Der vorliegende dritte Band der Dokumentationsreihe des NFEP, den die Koordinierungsstelle beim
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
(BBE) nunmehr vorlegt, hält nun den aktuellen Stand
der Dinge bei der Entwicklung der Engagementpolitik auf Bundesebene fest. Zur Erinnerung: Im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung
vom Herbst 2009 ist die Weiterentwicklung und
Umsetzung einer nationalen Engagementstrategie
ausdrücklich festgeschrieben. Die Koordinierungsstelle des NFEP hat daraufhin die Ergebnisse der
Beratungen aus dem letzten Jahr (s. Bd. 1 u. 2 der
Dokumentationsreihe) aufgegriffen, um die nächsten
Schritte zu gehen:
Am 25. März 2010 fand in der Humboldt Viadrina
School of Governance in Berlin ein Auftaktkongress
für die laufende Wahlperiode statt. In seiner Begrüßungsrede stellte dabei Prof. Dr. Thomas Olk, Vorsitzender des Sprecherrats des BBE, die Bedeutung
des Prozesses und der Aushandlung bei der Weiterentwicklung der Engagementpolitik heraus. Dieter
Hackler, im Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (BMFSFJ) verantwortlicher Abteilungsleiter für Engagementpolitik, unterstrich in seiner
Rede die Bedeutung der nationalen Engagementstrategie aus Sicht der Bundesregierung und hob hervor,
dass eine zeitgemäße Engagementpolitik nicht „top
down“, sondern nur unter aktiver Mitwirkung der Bürgergesellschaft entstehen könne. Auf einem mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Staat, Wirtschaft
und Bürgergesellschaft besetzten Podium wurde anschließend über Woher und Wohin der Engagementpolitik diskutiert und eine aktuelle Bestandsaufnahme
präsentiert. Alle Beiträge sind im vorliegenden Band
dokumentiert.
Ebenfalls dokumentiert sind die sechs jeweils eintägigen Dialogforen, die im April 2010 an wechselnden
Orten in Berlin stattfanden und sich mit folgenden
Themen beschäftigten;
• Zuwendungsrecht,
• Freiwilligendienste,
• Bildung,
• Arbeitsmarktpolitik/Erwerbsarbeit,
• Infrastruktur,
• Unternehmen in der Bürgergesellschaft.
Diese Foren, die jeweils mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Bürgergesellschaft
und Wissenschaft besetzt waren, hatten die Aufgabe, die Ergebnisse der beiden Kongresse aus dem
Jahr 2009 aufzugreifen und die aktuellen Probleme
und Herausforderungen in der Engagementpolitik
zu diskutieren, zu bündeln und mit Handlungsempfehlungen zu versehen, die in möglichst konzisen
Ergebnispapieren zusammengefasst werden sollten.
Die Dialogforen waren lebhafte Veranstaltungen, bei
7
Einleitung
denen sehr engagiert diskutiert und gestritten wurde.
Allen Teilnehmenden gilt unser Dank und unser Respekt angesichts der Geduld, die solche „diskursiven
Großveranstaltungen“ jedem einzelnen abverlangen.
Am Ende jedes Dialogforums stand ein mehrseitiges
Papier mit Handlungsempfehlungen für die konkrete
Ausgestaltung der Engagementstrategie. Im vorliegenden Band sind die Dialogforen so aufbereitet,
dass neben dem Ergebnispapier auch ein kurzer
Bericht über die wichtigsten Punkte, die von der Koordinierungsstelle vorher in Auftrag gegebenen und
allen Teilnehmenden vorgelegten Gutachten sowie
thematische Stellungnahmen angedruckt sind. Mit
Hilfe dieser Dokumente ist es möglich, eine genaue
Vorstellung vom Stand der Dinge zu erlangen.
Die Ergebnispapiere aller Dialogforen – insgesamt
über 30 Seiten engagementpolitische Problembeschreibungen und Handlungsempfehlungen – hat die
Koordinierungsstelle des NFEP Anfang Mai 2010 dem
BMFSFJ übergeben. Dort wurden sie gesichtet und
als Grundlage für einen im Herbst 2010 geplanten
Kabinettsbeschluss der Bundesregierung verwendet.
Dieser Beschluss wird einen weiteren Meilenstein darstellen und seinerseits den Anstoß für die Weiterentwicklung der nationalen Engagementstrategie geben.
Denn das Wesen dieser Strategie besteht im Prozess
selbst. Dauerhafte Fortschritte lassen sich in der Engagementpolitik nur erzielen und sichern, wenn sie
auf einem Prozess der Beratschlagung und gleichberechtigten Teilhabe basiert. Dieser Prozess ist fallibel
und gelegentlich auch störanfällig. Doch sollte das
nicht dazu führen, ihn in Frage zu stellen. Zum Modell des deliberativen Austauschs gibt es in der von
Vielfalt und Heterogenität geprägten demokratischen
Gesellschaft heute keine sinnvolle Alternative. Die beteiligten Akteure müssen sich dauerhaft darauf einstellen, neue Kooperationsverhältnisse einzugehen und
an einer neuen Aufgaben- und Verantwortungsteilung
zu arbeiten. Das berührt vor allem das Verhältnis des
Staates zu einer heute immer selbstbewusster gewordenen Bürgergesellschaft. Um die neuen Facetten und
Aspekte in diesem Verhältnis zu beleuchten, hat der
Europarat im vergangenen Jahr im Zusammenspiel
mit europäischen Nicht-Regierungsorganisationen einen Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess (Code of Good Practice for Civil
Participation in the Decision Making Process) verabschiedet. Dort werden die Kooperationsmöglichkeiten
zwischen Staat und Bürgergesellschaft an spezifische
Diskurs- und Verfahrensregeln geknüpft, die den politischen Prozess transparenter und inklusiver machen
sollen. Die Dokumentation dieses Kodexes bildet den
Abschluss des vorliegenden Bandes.
8
Zum Abschluss möchte ich der Hoffnung Ausdruck
verleihen, dass der Prozess der Entwicklung einer
nationalen Engagementstrategie auch weiterhin von
großer Dynamik, zupackenden Menschen und wegweisenden Beschlüssen gekennzeichnet sein möge.
Es geht dabei auch um die Zukunft des demokratischen Gemeinwesens, und das sollte uns jede Anstrengung wert sein. Wie auch immer man die ganze
Sache bewerten mag – am Ende geht es nicht ohne
fleißige Helferinnen und Helfer, die sich der Sache
verschreiben und dabei auch bereit sind, über die
Grenzen des eigentlich Zumutbaren zu gehen. Mein
Dank gilt Ina Bömelburg, Tobias Quednau, Benjamin
Reitz und Christine Dehne, meinen Kolleginnen und
Kollegen aus der Koordinierungsstelle, ohne die das
alles nicht funktionieren würde. Schließlich sei auch
Regina Vierkant für die umsichtige und gewissenhafte Gestaltung des vorliegenden Berichts gedankt.
Serge Embacher, im sehr heißen Sommer 2010
Plenum
am 25. März 2010
Hackler - Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung
Dieter Hackler, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung
einer Nationalen Engagementstrategie
Sehr geehrter Herr Professor Olk, liebe Kolleginnen
und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, meine
sehr geehrten Damen und Herren,
„Kein Problem der Welt wird gelöst, wenn wir nur
träge darauf warten, bis ein Zuständiger sich darum
kümmert.“ Das hat der amerikanische Bürgerrechtler
Martin Luther King einmal gesagt. Ich würde sogar
noch weiter gehen: Ohne die Kreativität und ohne die
Eigeninitiative des Einzelnen ist Fortschritt – in welchem Bereich auch immer – überhaupt nicht denkbar!
Aber mit Kreativität und Eigeninitiative ist das natürlich
so eine Sache: Das lässt sich nicht per Dekret verordnen oder gar steuern! Wir können nur den Nährboden
schaffen, in dem Kreativität und Eigeninitiative gedeihen – ein Umfeld, in dem Menschen sich beteiligen
wollen, sich verantwortlich fühlen und aus eigener
Motivation heraus aktiv werden. Genau deshalb sind
wir heute hier. „Wir“ – das sind Vertreterinnen und
Vertreter der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der
Politik. „Wir“ – das sind ganz unterschiedliche Perspektiven auf bürgerschaftliches Engagement, von
denen unser gemeinsames Ziel nur profitieren kann.
Dieses Ziel ist eine Nationale Engagementstrategie.
Herzlichen Dank, dass Sie hier sind, und herzlich
willkommen hier im Robert-Koch-Saal der HumboldtViadrina School of Governance!
Die Wahl des Ortes sollten wir durchaus programmatisch verstehen: Gestern vor 118 Jahren, am 24. März
1882, hat Robert Koch hier in einem benachbarten
Saal eine Entdeckung bekannt gegeben, die die Welt
veränderte: die Entdeckung des Tuberkulose-Bakteriums. Damals war die Tuberkulose in Europa weit
verbreitet. In der Altersgruppe der 15- bis 40-jährigen
ging damals jeder zweite Todesfall auf Tuberkulose
zurück. Mit massiven volkswirtschaftlichen Folgen:
Denn diese Menschen fehlten als Arbeitskräfte.
Der Mediziner und spätere Nobelpreisträger Robert
Koch hat eine Menge Zeit, Energie und Herzblut in
10
die Lösung dieses Problems investiert. Nicht weil er
sich „zuständig“ fühlte – um noch einmal das Zitat
von Martin Luther King aufzugreifen. Nein, er widmete sich deshalb so intensiv diesem Problem, weil er
schlicht und einfach ein leidenschaftlicher Forscher
und Mediziner war.
Die meisten Menschen haben eine solche Leidenschaft – etwas, wofür sie sich vorbehaltlos begeistern
und für das ihnen keine Mühe zu groß und kein Weg
zu weit scheint. Mit diesen Kräften können wir eine
Menge Gutes bewegen. Wie wir diese Kräfte aktivieren und bündeln, wie wir Menschen motivieren, ihre
Fähigkeiten, Talente, Neigungen und Interessen einzubringen, wie wir Netzwerke schmieden zwischen
Zivilgesellschaft, Unternehmen und Staat – all diese
Fragen werden bei der Entwicklung einer Nationalen
Engagementstrategie für unser Land eine Rolle spielen. Und weil eine Strategie immer nur so gut ist wie
ihre Umsetzung, darf gerade eine Engagementstrategie nicht fernab der gesellschaftlichen Probleme am
Reißbrett entstehen! Sie muss aus der lebendigen
Vielfalt des Engagements heraus entstehen.
Wenn wir uns zur Umsetzung unserer Engagementstrategie verantwortungsbewusste und eigeninitiativ
handelnde Bürgerinnen und Bürger wünschen, dann
müssen wir ihrer Eigeninitiative und ihrer Verantwortung schon bei der Strategieentwicklung durch Mitgestaltungsmöglichkeiten Raum geben. Das ist die Idee.
Die breite Beteiligung der Zivilgesellschaft ist also gewissermaßen schon Teil der Strategie:
• Dadurch fließen die Erfahrungen der Menschen
ein, die sich engagieren.
• Dadurch nutzen wir die schöpferische Kraft der
Bürgerinnen und Bürger.
• Dadurch gewinnen wir schon bei der Planung den
nötigen Rückenwind für die Umsetzung.
• Und dadurch stärken wir unsere Demokratie.
Hackler - Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung
Meine Damen und Herren, eine Demokratie ist nur so
stark wie ihre Zivilgesellschaft unabhängig ist. Deshalb
erhoffe ich mir eine Strategie, die die Zielgruppen befähigt, selbst zum Akteur, zum aktiven Problemlöser zu
werden; eine Strategie, die den Engagierten Rahmenbedingungen bietet, die ihnen erlauben, sich mit ihren ganz
speziellen Fähigkeiten als aktive Problemlöser in die
Gesellschaft einzubringen; eine Strategie, die verantwortungsbewusst mit der wertvollen Ressource Zeit unserer
Engagierten umgeht und sicherstellt, dass diese Ressource so wertschöpfend wie möglich eingesetzt wird;
Jeder Bürger unseres Landes soll sich dort einbringen können, wo genau seine Fähigkeiten und Talente
gefragt sind. Das kann dort sein, wo es vor allem auf
Herzenswärme und Hilfsbereitschaft ankommt. Was
würden wir ohne die vielen Helferinnen und Helfer in
Suppenküchen, Jugendzentren oder Seniorentreffs
tun, um nur einige zu nennen! Andere wiederum stellen ihre herausragenden, beruflichen Qualifikationen
in ihrer Freizeit in den Dienst einer guten Sache: die
Rechtsanwältin, die ein kostenloses Gutachten für eine
Flüchtlingsfamilie erstellt, der Musiklehrer, der sozial
benachteiligten Kindern kostenlos Klavierunterricht
anbietet oder die Schriftstellerin, die älteren Menschen
bei der Aufzeichnung ihrer Erinnerungen hilft. Wo immer Menschen sich Zeit für Verantwortung nehmen,
bleibt der Zusammenhalt unserer Gesellschaft intakt!
Daran kann man manchmal den Glauben verlieren.
Wenn man die Zeitung aufschlägt, dann hat man ja oft
den Eindruck, dass der Ellenbogen zunehmend unser
gesellschaftliches Zusammenleben bestimmt. Und
dann liest man immer wieder von Menschen, die die
Welt mit ihrem Engagement ein Stück besser machen.
• Judy Korn halbiert mit ihrem Violence Prevention
Network die Rückfallquote strafffälliger Jugendlicher und spart dem Staat damit etwa 20.000 Euro
für jeden vermiedenen Rückfall;
• Murat Vural sorgt mit seinem Interkulturellen Bildungs- und Förderverein dafür, dass Jugendliche
mit Migrationshintergrund füreinander Verantwortung auf ihrem Bildungsweg übernehmen;
• Andreas Heinicke bringt mit seiner Idee zum „Dialog im Dunkeln“ mittlerweile über 6000 blinde Menschen in über 30 Ländern in Arbeit, indem er sie
befähigt, Sehende durch Ausstellungen im Dunkeln zu führen.
Noch viele weitere Namen könnte man an dieser Stelle nennen! Denn solche Ideen gibt es überall in unserem Land. Ich möchte, dass wir sie aufspüren, fördern und ihnen erlauben, ihre Kraft zu entfalten. Ich
möchte erprobte und wirksame Lösungsansätze als
Modelllösungen vervielfältigen, um sie für die gesamte
Gesellschaft nutzbar zu machen. Dabei helfen uns
auch Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer,
die mit viel Pioniergeist und Kreativität aus einem sozialen Projekt eine rentable Geschäftsidee entwickeln,
so wie die Sozialunternehmerin Katja Urbatsch, die
im Dezember 2009 für ihr Projekt „Arbeiterkind“ den
Deutschen Engagementpreis erhalten hat. Motiviert
durch ihre eigene Biografie hat sie ein Mentorensystem
entwickelt: Es zeigt Kindern aus nicht-akademischen
Familien Bildungsperspektiven auf, ermutigt sie zum
Bildungsaufstieg und unterstützt sie auf ihrem Weg zu
einem erfolgreichen Studium. Mittlerweile helfen über
1000 Mentorinnen und Mentoren in 70 Ortsgruppen
jungen Menschen bei ihrem Ziel, als erste ihrer Familien einen Hochschulabschluss zu erlangen. Diejenigen, die dieses Ziel erreichen, ermutigen andere allein
schon durch ihr Vorbild. Viele werden ihrerseits Menschen in ähnlicher Situation helfen. Das zeigt: Solche
Ideen erzeugen Multiplikatoreffekte. Wie ein Stein, der
ins Wasser fällt, versetzen sie ihr Umfeld in Bewegung!
Meine Damen und Herren, unsere Nationale Engagementstrategie soll die Rahmenbedingungen dafür
schaffen, dass aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus mehr solche dynamische und wirksame Lösungen
sozialer Probleme entstehen! Gut 23 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland. Das sind sehr
viele. Aber wir wissen aus Umfragen, dass die Zahl derer, die grundsätzlich bereit sind, ihre Fähigkeiten in den
Dienst der Gesellschaft zu stellen, noch viel größer ist.
Wie viel könnten wir gewinnen, wenn wir das enorme
Engagementpotenzial älterer Menschen noch besser
nutzten? Die Generation, die heute in Rente geht, ist die
aktivste und gesündeste Rentnergeneration aller Zeiten.
Wie viel leichter gelänge die Integration von Menschen
mit Migrationshintergrund, wenn noch mehr engagierte
Migrantinnen und Migranten als Vorbilder, Mittler und
Wegbereiter wirken würden? Mir liegt sehr viel daran,
dass wir sowohl ältere Menschen als auch Menschen
mit Migrationshintergrund viel stärker in die Engagementförderung einbeziehen. Wo passende Angebote
fehlen oder wo es vielleicht auch nur bei der Kommunikation hakt, können wir die Rahmenbedingungen
verbessern. Niemand soll an fehlenden Informationen,
Möglichkeiten oder Angeboten scheitern, sich zu engagieren! Es lohnt sich, in Beteiligungsmöglichkeiten für
möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zu investieren.
Denn die besten Ideen entstehen dort, wo Menschen
mit Freude und Begeisterung dabei sind!
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns einig, dass wir eine starke Zivilgesellschaft aus aktiven
Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern brauchen und
dass dieses Gesellschafts- und Menschenbild einer
Nationalen Engagementstrategie zugrunde liegen soll.
11
Hackler - Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung
Einig sind wir uns aber sicherlich auch, dass die Nationale Engagementstrategie ebenso die Verantwortung
des Staates gegenüber seinen Bürgern spiegeln soll.
Vor diesem Hintergrund noch einige Worte zur Rolle
der Bundesregierung bei der Entwicklung der Nationalen Engagementstrategie. Was wir politisch brauchen, ist eine abgestimmte Engagementförderung –
und zwar abgestimmt sowohl zwischen Bund, Ländern
und Gemeinden als auch zwischen den Ressorts auf
Bundesebene. Denn ein Problem in unserer Engagementpolitik war bisher, dass die eine Hand nicht weiß,
was die andere tut. Das ist ja ganz typisch bei Querschnittsaufgaben. Auf der Ebene des Bundes möchte
ich deshalb zunächst einmal, dass sich alle Ressorts
konkrete Vorhaben für die Engagementförderung stellen. Das ist ein wichtiger Schritt, um eine ressortübergreifende Engagementpolitik zu entwickeln. Eine Kabinettbefassung zur Nationalen Engagementstrategie
streben wir noch in diesem Jahr an. Was wir zu diesem
Zeitpunkt präsentieren, ist nicht in Stein gemeißelt. Es
bleibt offen für weitere Ideen.
Was wird am Ende dieses Entwicklungsprozesses stehen? „Diese Frage ist zu gut, um sie mit einer Antwort
zu verderben!“ hat Robert Koch einmal gesagt, nach
dem dieser Saal benannt ist. Auf welche Frage er mit
damit Bezug genommen hat, weiß ich nicht. Aber sie
passt gut hierher! Denn auch der Entwicklungsprozess, der heute offiziell beginnt, ist zu gut, um ihn mit
der Prognose eines Endergebnisses zu verderben!
Ich vertraue darauf, dass Sie das Beste daraus machen
werden – so wie Sie das auch dort tun, wo Sie sich sonst
engagieren! Herzlichen Dank für Ihren Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für Ihre Bereitschaft, die
Nationale Engagementstrategie mitzugestalten.
Das ist für uns alle eine große Chance. Denn mit Ihrer
Beteiligung können wir das bürgerschaftliche Engagement als das stärken und fördern, was es ist: Das
Herzstück unserer Demokratie!
12
Olk - Begrüßung
Prof. Dr. Thomas Olk, Vorsitzender des BBE-Sprecherrats
Begrüßung
Sehr geehrter Herr Hackler, sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrte Frau Helbig, sehr geehrte Damen
und Herren,
ich darf Sie im Namen des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE) sehr herzlich zur
heutigen Veranstaltung des Nationalen Forums für
Engagement und Partizipation hier im Robert-KochHörsaal begrüßen. Herr Hackler hat den Geist des
Robert-Koch-Hörsaals bereits beschworen. Wir befinden uns aber auch in den Räumen der HumboldtViadrina School of Governance. Damit haben wir
einen weiteren, hervorragenden Bezug zu dem, was
das Nationale Forum für Engagement und Partizipation darstellt: ein Lehrstück und Praxisexperiment, in
dem neue Formen der Governance erprobt werden.
Herr Hackler hat bereits deutlich hervorgehoben,
dass Regieren nicht top-down funktioniert. Es geht
also darum, den Staat nicht als Vater Staat, sondern
als Partnerstaat in einem Geflecht unterschiedlicher
Akteure auf Augenhöhe zu platzieren. Durch eine
enge Zusammenarbeit, gemeinsame Verabredungen,
Selbstverpflichtungen der Akteure und damit auch
durch eine Verantwortungsteilung soll etwas erreicht
werden, das sonst nicht erreicht werden könnte. Wir
haben damit ein sehr komplexes Manöver vor uns.
Es erklärt sich nicht von selbst, ist schwierig, erfordert Reflexion und muss den Akteuren zum Teil auch
erstmal nahe gebracht werden. Aber das Manöver ist
unvermeidbar.
Herr Hackler hat deutlich gemacht, dass die politische
Förderung, die Verbesserung der Rahmenbedingungen, die Unterstützung des unentgeltlichen, freiwilligen Engagements nur als politische Querschnittsaufgabe zu bewältigen ist. Querschnittsaufgaben können
nicht top-down durch Anweisungen und Verordnungen
gelöst werden. Es braucht vieler Partner, nicht nur
aus dem öffentlichen Bereich, also Bund, Ländern
und Kommunen. Das ist eine wichtige Achse, aber es
gibt noch die verschiedenen Ressorts. All die starken,
selbstbewussten, von sich selbst überzeugten Ministerialbürokratien, die ihre eigene Handlungslogik haben
und die morgens nicht dafür aufstehen, um mit dem
nächsten Hause zu kooperieren. Wir haben sowohl in
der Horizontalen zwischen den einzelnen Ressorts als
auch in der Vertikalen zwischen Bund, Ländern und
Kommunen im öffentlichen Bereich erheblichen Diskussions- und Reflexionsbedarf über Rollen, Verantwortlichkeiten und die Notwendigkeit von Kooperationen. Aber das Nationale Forum für Engagement und
Partizipation geht noch einen Schritt weiter. Staatliche
Institutionen sollen nicht nur untereinander, sondern
auch mit der Zivilgesellschaft kooperieren. Und wenn
ich die Zivilgesellschaft sage, meine ich es selbstironisch. Denn es ist ja ein substantiierender Begriff für
eine Vielfalt, manche sagen auch für den Pudding, den
man versucht an die Wand zu nageln. Es gibt vielleicht
nichts Schlimmeres für einen preußischen Beamten
als diese Kooperation. Aber sie muss sein. Und dann
kommt als Drittes auch noch die Wirtschaft an Bord.
Auch bei der Wirtschaft ist es nicht so, dass alle das
gleiche denken, wollen und fühlen. Es gibt die berühmten kleinen und mittleren Unternehmen, es gibt
große Unternehmen, es gibt börsennotierte Unternehmen, es gibt Familienunternehmen, und alle ticken irgendwie anders.
All diese unterschiedlichen Akteure sollen gemeinsam in ein Boot. Das muss ein ziemlich großes Boot
sein, und es muss klar sein, wer an welcher Stelle rudert und wer steuert. Gerade vor dem Hintergrund der
Finanzknappheit in den öffentlichen Haushalten und
all der Schwierigkeiten, wenn staatliche Institutionen
versuchen, die Rahmenbedingungen für Zivilgesellschaft zu gestalten, müssen wir deutlich machen, was
wir nicht meinen. Es geht nicht um die Indienstnahme der Zivilgesellschaft für den Staat. Es geht nicht
um die Instrumentalisierung zivilgesellschaftlicher
Akteure für die Legitimation einer vielleicht nicht so
13
Olk - Begrüßung
gelungenen staatlichen Politik. Es geht aber andersherum auch nicht darum, einfach nur Forderungen
an den Staat zu erheben. In diesen Rollen gefallen
wir uns ja oft. Lobbyisten kennen ihr Geschäft: noch
eine Forderung, noch ein Wahlprüfstein, stellen wir
mal eine Forderung an andere. Das sind die eingeübten Rollen, die wir schon kennen, und die müssen
wir überdenken.
Worum geht es aber im positiven Sinne? Es geht um
das Zusammenspiel der vielen unterschiedlichen
Akteure, deshalb Governance. All die genannten Akteure handeln nach unterschiedlichen Spielregeln.
Sie sollen in einem gemeinsamen Prozess zusammengebracht werden, um auszuhandeln, was gemeinsam geht und was nicht geht. Dabei muss auch
über den Tellerrand der Tagespolitik hinausgeschaut
werden. Die Tagespolitik ist wichtig und muss abgearbeitet werden. Aber es bedarf auch eines Leitbildes,
an dem sich die Akteure orientieren können. Wo soll
es hingehen? Was bedeutet zivilgesellschaftliche Politik? Was heißt Stärkung von Zivil- oder Bürgergesellschaft? Wenn wir darüber mal intensiv sprechen, wird
auch mancher Unterschied zu Tage kommen.
Die Bürgergesellschaft ist kein Kuchenbacken. Es
ist das zivile Austragen von Konflikten und unterschiedlichen Meinungen und Positionen. Das muss
möglich sein, aber nach den zivilgesellschaftlichen
Regeln, nämlich gewaltfrei und mit Empathie für die
Rolle des anderen. Zu diesen zivilgesellschaftlichen
Regeln gehört auch – und das ist ein wichtiger Punkt
- eine Konsensorientierung in dem Sinne, dass man
schaut, welche produktiven gemeinsamen Ergebnisse bekommen wir denn hin, ohne dass einer seine Interessenlage verleugnen muss. Das gilt für alle
drei Akteursgruppen: Zivilgesellschaft, Wirtschaft
und Staat. Der vor uns liegende Prozess im Nationalen Forum für Engagement und Partizipation bietet
die große und neue Chance, sich intensiver mit der
Perspektive des jeweils anderen auseinanderzusetzen. In Kenntnis dieser anderen Perspektive lassen
sich bessere Lösungen für die Rahmenbedingungen
der Zivilgesellschaft erarbeiten. Denn eine Politik zur
Unterstützung der Rahmenbedingungen des bürgerschaftlichen Engagements muss Akteure darin stärken, etwas zu tun, das sie sowieso tun würden, wenn
man sie ließe. Es gibt heute eine Reihe von Bedingungen, die das erschweren. Das kann sich beim Kuchenbacken für den Vereinsbasar schon zeigen.
Bei einem solchen Prozess des Perspektivwechsels und der gemeinsamen Auseinandersetzung, zu
dem ich sich alle herzlich einladen möchte, gibt es
natürlich auch Risiken. Er zwingt uns, unsere eigene
14
Perspektive nicht zu verwischen. Es muss klar sein,
wer was gesagt und wer was zu verantworten hat.
Es bleibt dabei, jeder hat seine Rolle, jeder hat seine ureigenen Interessen und Sichtweisen. Nach dem
Prozess muss man unterscheiden können, was einerseits von wem in den Prozess eingebracht wurde
und was andererseits politisch umgesetzt wurde. Das
betrifft einen besonders wichtigen Punkt: Das, was
staatliche Politik ist, muss von den verfassungsrechtlich dafür vorgesehenen Organen auch verantwortet
werden. Zivilgesellschaft maßt sich nicht an, eine Verantwortung zu übernehmen, die verfassungsgemäß
dafür vorgesehene politische Organe zu tragen haben. Insofern bleibt es bei dem Recht der Politik auf
die Durchsetzung bindender Entscheidungen. Aber
sowohl Wirtschaft als auch Zivilgesellschaft sind an
dem Prozess beteiligt, Themen, Anliegen und Sichtweisen in diesen Prozess einzubringen. Dadurch
werden, so ist die Hoffnung, die politischen Entscheidungsträger schlauer und damit die politischen Resultate besser als sie ohne die Beteiligung wären.
Dieser verbesserte politische Output stellt einen politischen Mehrwert für diesen schwierigen Prozess dar.
Er ermöglicht eine größere Berücksichtigung von Anliegen und Themen aus der Gesellschaft. Damit wird
Politik sach-, problem- und realitätsnäher. Und es gibt
eine echte Beteiligung der eben genannten Akteure.
Dadurch wird die Politik bei diesen auch besser legitimierbar und nachvollziehbarer. Nur solange der
Prozess diesen Mehrwert bringt, ist er auch sinnvoll.
Der Erfolg des Prozesses hängt aber davon ab, dass
alle Beteiligten mitmachen, nicht blockieren, ihre Rolle angemessen ausfüllen und Verantwortung übernehmen. Um zu beurteilen, inwiefern das Nationale
Forum für Engagement und Partizipation diesen Ansprüchen gerecht wird, muss der Prozess, der ein
Governance-Experiment darstellt, selbst der Evaluation unterliegen. Man muss kritisch schauen: Haben
wir bessere Ergebnisse? Haben wir eine bessere
Berücksichtigung? Haben wir Beteiligung? Haben wir
mehr Akzeptanz von politischen Maßnahmen? Oder
nicht? Das wären genau die Fragen, die es nach
Ende des Prozesses zu beantworten gilt.
Ich möchte noch kurz die Rolle des BBE in diesem
Prozess als Veranstalter des Nationalen Forums für
Engagement und Partizipation erläutern. Das BBE
ist ein trisektorales Netzwerk. Wir haben über 240
Mitgliedsorganisationen aus allen drei Bereichen der
Gesellschaft und müssen ein breites Spektrum von
Akteuren vernetzen. Damit verfügen wir über ideale Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen für
den Prozess zu schaffen. Außerdem können wir uns
Partikularismen nicht leisten. Denn es würde sofort
Olk - Begrüßung
auffallen und Widerstand hervorrufen, wenn wir zu
Gunsten bestimmter Bereiche und zu Lasten anderer agieren würden. Wir müssen alle Akteursgruppen
und ihre berechtigten Anliegen im Auge haben. Und:
Wir sind akzeptiert, das hat sich in drei Workshops
mit allen drei Stakeholder-Gruppen im Vorfeld gezeigt. Darin sehen wir eine Verpflichtung, es gut zu
machen. Wir haben diese Verpflichtung übernommen. Es hat sich im letzten Jahr gezeigt: Manches,
was in kürzester Zeit machbar war, wäre ohne die
Strukturen des BBE nicht machbar gewesen. All das
zeigt, dass das BBE als Veranstalter eines solchen
Prozesses sehr gut geeignet ist. Insofern ist es nicht
ganz zufällig, dass das Bundesministerium das BBE
gebeten hat, das Nationale Forum für Engagement
und Partizipation zu veranstalten.
Wie geht es nun weiter? Was passiert in den nächsten Monaten und im Laufe des heutigen Tages? Das
Nationale Forum für Engagement und Partizipation ist
ein echter Begleitungsprozess, der auch die Begleitung der Ressortabstimmung umfassen soll. Das ist
ein Novum und in dieser Form noch nie geschehen.
Es wird so sein, dass wir einen ersten Kabinettsbeschluss vorbereiten, der noch für dieses Jahr erwartet
wird. Es wird aus der Fülle der möglichen Themen
erstmal um sechs spezifische Themenbereiche gehen: Zuwendungsrecht, Freiwilligendienste, Bildung
und Engagement, Erwerbsarbeit und Engagement,
Infrastruktur sowie Unternehmen und Engagement.
Dieses sind keineswegs die einzigen und vielleicht
auch nicht in jeder Hinsicht die dringlichsten Themen. Aber die politische Tagesordnung legt es nah,
sie jetzt zu bearbeiten. Neben diesen Themen gibt es
weitere wichtige Themen. Denken sie z. B. an sozialräumliche Prozesse, etwa Programme wie Soziale
Staat, überhaupt die Bedeutung bürgerschaftlichen
Engagements für die Kommune. Der Prozess müsste
nach dieser Runde von Dialogforen weitergehen. Herr
Hackler hat ja angedeutet, dass es auch so geplant
ist. Wenn Sie also nicht mit ihrem Lieblingsthema dabei sind, gibt es einen Themenspeicher, in den wir es
gerne aufnehmen. Wir sind gespannt auf Hinweise,
welche Themen uns womöglich durch die Lappen
gegangen sind. Wenn also alles so weiter läuft wie
geplant, wird es weitere Dialogforen geben. Die sind
aber noch der Schnee von Übermorgen.
des Prozesses, in der es nicht mehr darum geht, alle
Fragen aufzuwerfen und alles für wichtig zu halten.
Jetzt geht es um Fokussierung und darum, Prioritäten
zu setzen.
Jetzt müssen wir sagen, was in den Bereichen, in
denen wir politisch etwas bewegen wollen, die ganz
wichtigen Dinge sind und was zu diesen Themen im
Kabinettsbeschluss stehen sollte. Das steht heute und
im April an. Im Anschluss an die gleich stattfindende
Podiumsdiskussion werden sich Expertinnen und
Experten in den trisektoral besetzten sechs Arbeitsgruppen an die Arbeit machen, Überschriften für diese Themen zu finden. Die Ergebnisse werden an das
Ministerium weitergereicht und dann die Diskussionsgrundlage für den weiteren Prozess sein. Die Aufgabe
ist nicht, möglichst viele Forderungen an die Regierung zu stellen. Das wäre nicht produktiv und würde
den politischen Prozess mit Themen überladen, die
man nicht abarbeiten kann. Wir müssen fokussieren,
was ist besonders wichtig, was muss jetzt unbedingt
und was kann später geregelt werden. Noch einmal:
Alle Beteiligten bleiben in ihrem Verantwortungsbereich. Niemand muss Angst haben, dass er instrumentalisiert oder für Zwecke missbraucht wird. Es
geht um einen konstruktiven Prozess des sich Aufeinandereinlassens in einem Aushandlungsprozess in
einem spannenden Governance-Experiment, das, so
hoffen wir, zu anderen, zu besseren Resultaten führt
als durch die üblichen Formen der Politikrituale erwartbar gewesen wäre. Natürlich gibt es die üblichen
Formen des Lobbying, der Einflussnahme weiterhin.
Keiner kann oder will das einschränken. Klassische
Verbändeanhörungen, Runden mit und ohne Kamin
und ähnliche Formate werden weiter stattfinden. Es
geht darum, diesen Prozess zu gestalten, und alles
andere läuft weiter wie gehabt. In diesem Sinne bitte
ich Sie heute, ihren Sachverstand und ihre Expertise
einzubringen, konstruktiv mitzuarbeiten, und ich freue
mich auf einen spannenden Prozess. Vielen Dank für
ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt geht es darum, in den Dialogforen ganz konkret
an den Themenschwerpunkten für die ersten sechs
Themenfelder zu arbeiten. Im letzten Jahr haben wir
Netze ausgeworfen und erstmal alles eingesammelt,
was uns zu bestimmten Themen einfällt und gesagt
wird. Das ist einfach, da muss man sich noch nicht so
sehr konzentrieren. Wir sind jetzt aber in einer Phase
15
Podiumsdiskussion
Anke Schaefer (Moderatorin):
In der kommenden Stunde geht es darum, wie eine nationale Engagementstrategie sinnvoll und zielgerichtet
entwickelt werden kann. Wie also, um mit den Worten
von Prof. Olk zu sprechen, soll das große Boot aussehen, in dem jeder genau weiß wo er sitzt, wer rudert
und wer steuert. Ich möchte Ihnen gerne die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Podiums vorstellen:
Christoph Linzbach ist Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Familie Senioren, Frauen und Jugend
Prof. Dr. Thomas Olk ist Vorsitzender des BBESprecherrates.
Markus Grübel ist Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion
und Vorsitzender des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement im Deutschen Bundestag.
Sibylle Laurischk ist Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion und Vorsitzende des Familienausschusses
im Deutschen Bundestag
Monika Helbig ist Staatsekrerärin im Berliner Senat
und Beauftragte des Landes Berlin für Bürgerschaftliches Engagement.
Dr. Marita Hilgenstock betreut bei der RWE-AG das
Thema Corporate Responsibility.
Moderatorin:
Es ist wichtig, die unterschiedlichen Perspektiven zusammenzuführen. Wie kann eine nationale Engagementstrategie aus Sicht des Ministeriums, aus Sicht
des Parlamentes, aus Sicht des Landes Berlin und
eben auch aus Sicht der Zivilgesellschaft entwickelt
werden. Und nicht zuletzt: Was erwartet die Wirtschaft? Zunächst eine Frage an Herrn Linzbach. Wie
skizzieren Sie die wichtigsten Aspekte einer nationalen Engagementstrategie?
Christoph Linzbach:
Noch liegt die Strategie nicht vor. Sie wissen, dass
wir im vergangenen Jahr einen Prozess hatten, der
16
auch in einer Kabinettsbefassung mündete und danach in Abstimmung mit der Zivilgesellschaft weitergeführt wurde. Ich will das mit dem vergleichen, was
wir dieses Jahr vorhaben. Prof. Olk hat zurecht gesagt,
dass wir nicht dasselbe erneut auflegen dürfen, was
wir im vergangenen Jahr gemacht haben. Wichtig ist,
dass ein Text für die Kabinettsbefassung Substanz
hat. Er sollte wesentliche Vorhaben, zwei bis drei, so
unsere Vorstellung, der anderen Bundesressorts aus
ihren jeweiligen Zuständigkeitsfeldern beinhalten. Das
wird die Grundlage für die Ressortabstimmung sein.
Vorgeschaltet haben wir jetzt diese Veranstaltung mit
den sechs Themenschwerpunkten. Die Koordinierungsstelle des Nationalen Forums für Engagement
und Partizipation wird uns dann in den nächsten Tagen
eine Zusammenfassung übermitteln. Wir werden uns
dann in den nächsten Wochen zu den Ergebnissen der
jeweiligen Dialogforen verhalten. Wir stellen uns vor,
dass wir in den nächsten Wochen auf der Grundlage
dessen, was heute und in den Dialogforen im April erarbeitet wird, eine Einschätzung darüber vornehmen
werden, was aus unserer Sicht in eine Ressortabstimmung eingebracht werden könnte. Das heißt: Wir greifen ganz konkret die Themen auf, die heute hier bearbeitet werden, und bringen sie in den Prozess ein. Mir
ist wichtig eines deutlich zu machen. Es handelt sich
um einen integrierten Prozess. Hier sind auch Ressortvertreterinnen und Ressortvertreter anwesend und sie
werden auch an den Foren im April teilnehmen. Es ist
also ein kontinuierlicher Diskussionsprozess. Danach
beginnt dann die eigentliche Ressortabstimmung. Bitte
nageln Sie mich heute noch nicht fest, für wann wir
eine Kabinettsbefassung vorsehen. Wir müssen erst
einmal ein Gefühl dafür bekommen, wie viel Zeit auch
die anderen Bundesressorts benötigen, die vielleicht
nicht so nah am Thema Engagement sind wie wir, um
ihre Beiträge zu liefern. Aber für dieses Jahr auf jeden
Fall, lieber früher als später, damit wir dann auch in der
Nachfolge eines Kabinettsbeschlusses noch ausreichend Zeit haben wichtige Vorhaben umzusetzen.
Podiumsdiskussion
Moderatorin:
Vielen Dank. Eine Frage an Herrn Grübel: Wie sehen
Sie aus Sicht des Parlaments die nationale Engagementstrategie?
Markus Grübel:
Als Parlament setzen wir die Regierung ein und kontrollieren sie. Wir begrüßen es, dass die neue Regierung
fortsetzt, was die alte Regierung begonnen hat. Manchmal gibt es auch Brüche beim Regierungswechsel. Wir
haben den Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement wieder eingerichtet und, etwas pathetisch gesagt, es befindet sich im Einsetzungsbeschluss fast der
Ritterschlag für das Nationale Forum für Engagement
und Partizipation. Dort haben wir das Nationale Forum
für Engagement und Partizipation ausdrücklich erwähnt.
Ich zitiere unter den Aufgaben: „ ... im Dialog mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren, wie z. B. dem Nationalen
Forum für Engagement und Partizipation, den Trägern im
gemeinnützigen Sektor, den Wohlfahrtsverbänden, den
kommunalen Spitzenverbänden, den Dachverbänden
der unterschiedlichen Bereiche (Kultur, Sport, Soziales,
Gesundheit, Bildung, Katastrophen- und Bevölkerungsschutz u. a.) an der Fortentwicklung der Engagementpolitik des Bundes mitzuwirken.“ Wir haben uns das ausdrücklich in den Aufgabenkatalog hinein geschrieben. Sie
haben auf dem Banner stehen: „Das Nationale Forum für
Engagement und Partizipation begleitet die Bundesregierung.“ Auch wir begleiten als Unterausschuss die Bundesregierung, und das Nationale Forum für Engagement
und Partizipation begleitet, so empfinden wir das, unsere
Arbeit im Unterausschuss. Wir haben im Unterausschuss
in den nächsten Monaten Themen auf der Tagesordnung, die auch Ihre Themen sind. Auch Themen aus den
Dialogforen, wie z. B. die Weiterentwicklung der Freiwilligendienste, wie die Reform des Zuwendungsrechtes, wie
Engagementförderung als Infrastrukturförderung, etc. So
sind wir verhältnismäßig eng verzahnt. Zum Auftakt haben wir die erste Arbeitssitzung mit einem Bericht aus
dem BBE und aus dem Nationalen Forum für Engagement und Partizipation begonnen, weil wir im Grunde an
der gleichen Sache arbeiten und den Prozess begleiten.
Moderatorin:
Abgeordnete sind aber sehr eingespannt in Sitzungen
etc. Werden sich die Abgeordneten dezidiert in diesen Prozess einbringen?
Markus Grübel:
Selbstverständlich ja.
Moderatorin:
Frau Laurischk, wollen sie da noch etwas hinzufügen? Vielleicht auch die Rolle, die die Bundesfamilienministerin hier spielen kann?
Sibylle Laurischk:
Wir hatten gestern eine Sitzung des Unterausschusses, und die Ministerin war in dieser Sitzung
auch dabei und hat ihre Vorstellungen in einer ersten
Befassung darlegen können. Es ist ein wichtiges Signal, dass auch in einem Unterausschuss dargestellt
wird, dass die Regierung sich der Aufgabe, die im
Koalitionsvertrag steht, widmen wird. Dass wir als
Parlamentarier Einfluss nehmen werden, da können sie sicher sein. Mir war aus der Erfahrung in der
vergangenen Legislaturperiode, in der das Thema
Integration im Bundestag immer wieder eine Rolle
gespielt hat, sehr wichtig, in der Aufgabenstellung
des Unterausschusses auch das Thema Integration
aufzunehmen und auf die Beteiligung von Menschen
mit Migrationshintergrund in der Zivilgesellschaft
großen Wert zu legen. Ich gehe davon aus, dass im
Nationalen Forum für Engagement und Partizipation solche Fragen auch Niederschlag finden. Ebenso sollten sie in allen Ressorts der Bundesregierung
Berücksichtigung finden, sodass das Thema Integration, das den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern
soll, auch insofern eine ganz breite Aufstellung findet.
Denn sie gelingt nur, wenn wir in der Zivilgesellschaft
die Gemeinsamkeiten herausstellen und wegkommen von Ghetto- und Ausgrenzungssituationen. Das
ist ein sehr anspruchvolles Feld, das wir sicher nicht
in kurzer Zeit bewältigen können. Aber gerade deswegen braucht es eine Strategie, eine lang angelegte
Zielsetzung.
Moderatorin:
Frau Helbig, Sie sprechen für das Land Berlin. Wir
haben gehört, dass wir die Strategie brauchen, dass
wir sie wollen. Vielleicht gibt es aber auch den ein
oder anderen Stolperstein aus ihrer Sicht?
Monika Helbig:
Die Tatsache, dass wir heute hier zusammen sitzen, ist eine Entwicklungslinie, angefangen mit der
Bestandsaufnahme der Enquete-Kommission seinerzeit, der Runde von Dialogforen, die am Ende
der letzten Legislaturperiode stattfand. Ich bin sehr
dankbar, dass sowohl von Herrn Prof. Olk als auch
von Herrn Hackler sehr klar herausgearbeitet wurde,
dass alle Ebenen auch in ihrer Zuständigkeit beteiligt
werden müssen. Das ist einer der Hauptkritikpunkte
gewesen, den auch ich schon in der Vergangenheit
mehrfach formuliert habe. Letztendlich kümmert sich
der Bund um ein wichtiges Thema. Aber man muss
sehr genau hinsehen, welche Akteure gibt es schon,
die eine Menge Gutes tun. Ich habe es so verstanden, dass alle Akteure in diesem Prozess mitgenommen werden sollen. Ich fand den Satz von Herrn
Hackler sehr schön: „Demokratie ist nur so stark wie
17
Podiumsdiskussion
Zivilgesellschaft unabhängig ist.“ Das ist einer der
Schlüsselsätze für das, was hier passieren muss,
wenn wir von einer nationalen Engagementstrategie reden. Das Land Berlin macht eine Menge. Wir
sind dabei, eine umfassende Engagementplattform
zu entwickeln, wo man im Internet die Szene erkennen kann, also sehen, welches Engagement es gibt.
Das ist ein Ansatz, der auch für den Bund interessant
ist. Was aber immer wieder Kritik hervorgerufen hat,
wenn man Eckpunkte miteinander verabredet, ist die
Frage: Was erreicht man mit vom Bund finanzierten
Modellprojekten? Es gibt eine Menge guter Ansätze, die finanziert wurden, dann endet die Finanzierung des Bundes und die Länder oder die Kommunen sind nicht in der Lage, diese Projekte, die gut
entstandenen Ideen weiterzufinanzieren. Ich möchte
wiederholt appellieren, dass man in künftigen Überlegungen dieses gleich berücksichtigt. Wie soll es am
Ende der Kette weitergehen mit den guten Ideen, die
entstanden sind. Wenn ich mir noch etwas wünschen
darf, was am Ende in einer nationalen Strategie stehen soll und kann, dann bitte ich darum, einfach mal
auf die Kompetenzverteilung innerhalb der Republik
zu schauen und zu sehen, was bundesgesetzlich regelbar ist. Wir werden natürlich mit solch einer Strategie wieder in eine Situation kommen, dass sie irgendwann einmal im Bundesrat landet. Auch da habe
ich als zuständige Staatssekretärin im Land Berlin
mit dem Thema zu tun und sehe schon, dass dann
alle wieder auf dem Baum sind und sagen, dass die
Kompetenzverteilung innerhalb der Republik verletzt
wurde. Deswegen kann ich nur an den Bund appellieren, zu prüfen, was bundesgesetzlich möglich ist. Da
spielen Haftungsrecht, steuerrechtliche Änderungen,
aber z. B. auch die Frage, wie Engagement als Brücke in die Erwerbsarbeit genutzt werden kann, eine
wichtige Rolle. Wie gehe ich mit den erworbenen
Kompetenzen im Rahmen von Engagement um? Wie
kann ich vielleicht eine gesetzliche Verpflichtung für
Unternehmen schaffen, dass sie das bei ihrer Personalauswahl berücksichtigen. Das wäre ein Beispiel,
das mir konkret einfällt.
Moderatorin:
Bevor wir zu Frau Dr. Hilgenstock kommen, gleich
die Anschlussfrage an Prof. Olk. Warum braucht man
überhaupt eine nationale Engagementstrategie? Warum muss sie beim Staat verankert sein? Ist nicht die
Zivilgesellschaft in sich stark genug, bürgerschaftliches Engagement zu fördern?
Thomas Olk:
Das ist eine wichtige Frage. Natürlich ist es so, dass
auch Skepsis formuliert wird. Auch aus der Zivilgesellschaft heraus wird immer wieder die Frage
18
gestellt, ob das nicht zu staatslastig ist. Der Begriff
Nationale Engagementstrategie ist geradezu erfurchterheischend. Das kann ein Riesending werden
und klingt nach viel Bürokratie und Gleichmacherei.
Man kann das an konkreten Beispielen sehen, ob
es das Freiwilligendienstestatusgesetz oder ähnliche Dienste sind. Es kann nicht darum gehen, ein
Format durch den Bund zu formulieren und das flächendeckend in alle Bereiche herunterzudeklinieren.
Das wäre der falsche Weg. Das würde vorhandene
Ressentiments und Vorbehalte stärken. Sondern es
geht darum, Rahmenbedingungen zu setzen, z. B.
qualitative Mindestbedingungen in denen sich Vielfalt dann auf einem bestimmten qualitativen Niveau
bewegen kann. Solche Dinge sind machbar. Wenn
Akteure der Zivilgesellschaft sagen, sie machen das
alles ganz ohne Staat, habe ich manchmal auch das
Gefühl, dass sie etwas vergessen. Staatliche Institutionen regeln unseren Alltag jeden Tag, das geht
von der Haftung und Versicherung über Hygienebestimmungen beim Kuchenbacken bis zu den großen
Fragen. Ohne den Staat fehlen also auch die notwendigen Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft.
Es kommt aber darauf an, wie der Staat es macht.
Das wird die entscheidende Frage sein. Nicht Gleichmacherei über ganz große, einheitliche Programme
und Maßnahmen, wie wir sie schon mal in den 70er
Jahren gehabt haben, wird das Ziel sein. Deswegen
heißt es auch nicht nationaler Engagementplan. Es
ist eine Strategie. Das signalisiert eine Pluralität von
Akteuren, die kooperieren und Rahmenbedingungen
setzen.
Moderatorin:
Eine Gruppe sind auch die Unternehmen. Frau Dr.
Hilgenstock, welchen Beitrag können die Unternehmen dort leisten?
Marita Hilgenstock:
Ich spreche hier für eine Unternehmensgruppe, die
sich gefunden hat, weil die Unternehmen zweierlei
tun, wenn sie sich gesellschaftlich engagieren. Sie
kooperieren mit Institutionen der Zivilgesellschaft und
fördern insbesondere das zivilgesellschaftliche Engagement ihrer Mitarbeiter. Wir haben uns zunächst
gefunden, um voneinander zu lernen: Wo muss was
passieren, wo können wir besser werden? Wir sind
immer wieder auf die gleichen Fragen gekommen,
die wir jetzt auch im Rahmen des Nationalen Forums
für Engagement und Partizipation und der Strategie
diskutieren. Wir als Unternehmen können durchaus
auch ein aktiver Part sein. Einmal, wenn wir unsere
Mitarbeiter motivieren, sich zu engagieren und ihnen
Möglichkeiten geben, haben wir einen Zugang zu Engagierten, den wir bisher nicht hundertprozentig ge-
Podiumsdiskussion
nutzt haben. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch unsere unternehmerische Kompetenz. Wir
sehen durchaus im Kleinen, das es hilft, wenn wir mit
diesem Know-How an geeigneter Stelle beratend mithelfen können. Unser Know-How könnte durchaus im
Rahmen der Entwicklung dieser Engagementstrategie nutzen, um den einen oder anderen Aspekt mehr
wirtschaftlich, wettbewerbsmäßig zu sehen, ohne
gleich Berührungsängste zu wecken.
Moderatorin:
Auf die Berührungsängste will ich gleich kommen.
Wird Ihnen manchmal Kritik entgegen gehalten, dass
die Unternehmen damit letztendlich doch Geld machen wollen?
Marita Hilgenstock:
Eher am Rande. Was wir eher sehen ist, dass schon
eine genaue Vorstellung existiert, was Unternehmen
tun sollten. Da fällt das Stichwort „Verpflichtende Bedingungen für Unternehmen“. Das kann es aus unserer Sicht nicht sein. Wir sind kreativ und wollen uns
einbringen. Wir wollen da auch für uns selbst einen
Nutzen haben, und wir sehen, dass uns unsere Mitarbeiter für die Möglichkeiten, die sie haben, danken.
Wir sehen uns aber auch als aktiven Part in der Gesellschaft, denn auch Unternehmen sind auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt angewiesen, auf Bildung oder auf eine Lösung der Migrationsprobleme.
Gerade auf dem Pfad einer Engagementstrategie,
sollten wir uns gemeinsam überlegen, was da machbar ist. Wir würden uns in einer Rolle wohl fühlen, in
der wir mitarbeiten können. Wir sind im Augenblick
ein stückweit glücklich, aber auf der anderen Seite
hadern wir: Wir haben jetzt ein eigenes Dialogforum
für Unternehmensengagement. Das heißt wir haben
eine gewisse Sonderrolle. Man arbeitet sich damit
langsam an die Rolle von Unternehmen heran. Darüber muss gesprochen werden, insofern ist es als
Thema wichtig und richtig. Wir halten es aber auch
für wichtig, dass wir in den anderen Themen in den
Dialogforen vertreten sind, und haben auch Kollegen
gefunden, die sich dieser Themen annehmen.
Moderatorin:
Herr Prof. Olk, ich würde gerne fragen: Muss das
noch so sein, dass die Unternehmen ein Dialogforum
für sich haben?
Thomas Olk:
Nein, das muss nicht so sein. In einer solchen Gruppe lernen vielleicht auch eher andere etwas über Unternehmen und bürgerschaftliches Engagement. Die
Unternehmen haben das Problem, dass sie nicht zusammensitzen möchten, um sich selbst zum Thema
zu machen. Das verstehe ich sehr gut. Auf der anderen
Seite gibt es, und das muss man auch sehen, keine
so große geschichtliche Tradition der Kooperation zwischen Unternehmen und der Zivilgesellschaft, wie z.
B. in England oder den USA. Und es gibt erhebliche
wechselseitige Schwierigkeiten der Anpassung, wenn
Unternehmen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen etwas gemeinsam machen wollen. Das gilt für
beide Seiten. Da gibt es keine Schuldzuweisungen.
Ein solches Dialogforum macht nur dann Sinn, wenn
dort nicht nur Unternehmensvertreter sitzen. Das wäre
überflüssig. Da müssen die anderen Akteure auch drin
sitzen, da geht es um Fragen der Kooperation und Vernetzung und die Probleme, die dabei bestehen. Meine
Beobachtung ist, Frau Hilgenstock kann das vielleicht
korrigieren, dass Unternehmen sich gerne untereinander vernetzen, aber die Vernetzung mit anderen
Akteuren ist eine Aufgabe, die noch vor uns liegt. Das
sehen wir als BBE, da wollen wir weiterkommen und dafür brauchen wir möglicherweise eine solche Gruppe.
Moderatorin:
Herr Linzbach, wie beurteilen sie die Zusammensetzung der heutigen Foren und speziell das Forum, in
dem sich Unternehmen äußern werden?
Christoph Linzbach:
Ich finde das Thema Engagement und Unternehmen
sehr spannend. Wir haben vorgesehen, dass wir in
dieser Legislaturperiode den ersten Engagementbericht der Bundesregierung vorlegen werden. Der wird
sich in einem allgemeinen Teil mit einem Überblick
über die Situation des Engagements in Deutschland
beschäftigen. In einem zweiten Teil wird er das Thema Unternehmensengagement aufgreifen. Da hat
sich in den vergangenen Jahren viel getan. Viele Unternehmen entwickeln ein neues Selbstverständnis.
Sie sehen sich zunehmend auch als gesellschaftlich
relevante Akteure vor Ort. Es gibt nach wie vor viele
kleine lokale Unternehmen, die dann z. B. die Trikots
von einem Verein finanzieren. Das ist und bleibt wichtig. Das Rollenverständnis im Themenfeld Engagement von Unternehmen verändert sich. Das sollten
wir verfolgen und begleiten und für das gesamte Engagementfeld nutzen.
Monika Helbig:
In der Tat gibt es sehr unterschiedliche Ausprägungen
von Engagement in Unternehmen. Herr Linzbach hat
die kleinen lokalen Partnerschaften angesprochen.
Es gibt aber auch große Unternehmen, die zum Teil
schon eigene CSR-Abteilungen haben. Die sehen
das mehr aus dem Personalentwicklungsaspekt. Die
Engagementbewegten wünschen sich mehr Vernetzung in die Zivilgesellschaft.
19
Podiumsdiskussion
Ein ganz wichtiger Aspekt sind auch Unternehmen,
die Patenschaften haben und zum Beispiel junge
Leute in Ausbildungsverhältnissen beim Start ihres
Berufslebens begleiten. Das kann und sollte man befördern, denn da kann man mehrere Fliegen mit einer
Klappe schlagen. Auf der einen Seite kann man jungen Menschen, die keinen erstklassigen Bildungsabschluss haben, eine Chance bieten. Auf der anderen
Seite können die Unternehmen auch ihren eigenen
Nachwuchs rekrutieren. Das ist eine Idee, die man
noch mehr transportieren und verstärken könnte, und
man muss prüfen welche gesetzlichen Regelungen
das flankieren können.
Moderatorin:
Das Thema ist wichtig. Noch eine Replik darauf von
Frau Dr. Hilgenstock?
Marita Hilgenstock:
Ich kann dem nur zustimmen. Gerade bei der Frage,
wie kommen Jugendliche oder Langzeitarbeitslose
in Arbeit, können Unternehmen Ideen entwickeln,
die auch dem Unternehmen selbst nutzen. Wir sprachen von Interessen der Zivilgesellschaft. Es gibt
gemeinsame Interessen von Zivilgesellschaft und
Unternehmen. Da haben wir eine gute Chance, gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen. Wenn wir
diese gemeinsamen Punkte gefunden haben, dann
ist es auch für diejenigen, die gesellschaftliches Engagement in den Unternehmen verantworten und deren Auftrag es zunächst ist, Geld zu verdienen,
leichter zu vermitteln. Wir müssen uns nicht um Fördermittel kümmern, aber wir müssen uns in dem
Unternehmen schon rechtfertigen, wofür wir Geld
ausgeben. Das sollte man anerkennen. Da können
Zivilgesellschaft und Politik Hilfestellungen geben,
dass wir gemeinsame Handlungsfelder finden. Dann
wird es auch nachhaltig gemacht.
Moderation:
Lassen sie uns noch über den Prozess des Findens
der Strategie sprechen. Frau Helbig, was erwarten
Sie genau von diesem Prozess? Sollte man nicht ein
klares Ziel haben, was am Ende dieses Findungsprozesses stehen sollte?
Monika Helbig:
Ich wünsche mir schon, dass es am Ende konkrete
Ideen gibt, was letztendlich diese nationale Engagementstrategie ausmacht. Da müsste auf der einen
Seite die Definition des Feldes der Zivilgesellschaft
stehen und auf der anderen Seite die Handlungsmöglichkeiten, die vorrangig seitens des Bundes
auch ergriffen werden können. Ein wichtiger Punkt ist
das Thema Transparenz. Berlin hat aktuell eine sehr
20
schwierige Debatte zu diesem Thema. Die Frage
Transparenz im Dritten Sektor spielt sowohl für das
Engagement als auch für den Zuwendungsgeber auf
mehrfachen Ebenen eine Rolle. Ich würde mir wünschen, dass der Bund dieses Thema hier an dieser
Stelle noch mal bearbeitet. Das könnte eines der Ergebnisse aus den Foren sein, dass man Eckpunkte
definiert, was man unter Transparenz versteht. Was
muss letztendlich für die, die sich engagieren oder
Geld geben wollen, an Information öffentlich sein. Wir
machen in Berlin eine umfassende Plattform „Engagiert in Berlin“, und da haben wir ein paar Transparenzgrundsätze definiert. Weil wir der Meinung sind,
dass das zwingend erforderlich ist, wenn man das
Thema Engagement befördern will.
Moderatorin:
Transparenz soll auch dadurch erreicht werden, dass
man sich auch online an den Foren beteiligen kann,
Herr Olk?
Thomas Olk:
Bürgerbeteiligung ist eine andere Art der Transparenz. Wir wollen das nicht durcheinander bringen.
Bürgerbeteiligung über diese Online-Befragung ist
wichtig und daher auch Teil des Prozesses. Es ist
auch eine neue Form, über das Internet Beteiligung
zu verbreitern. Aber hier geht es klar um eine Bringschuld des Dritten Sektors. Die Organisationen,
die sich selbst zivilgesellschaftlich nennen - das
ist ein Qualitätsbegriff -, müssen da auch gewisse
Standards erfüllen. Dazu gehört auch Transparenz
über bestimmte Parameter ihres Handelns. Dann
kann man auch an andere entsprechende Forderungen stellen und ist für Dritte, die sich freiwillig
engagieren wollen, durchsichtig. Das ist ein gutes
Thema. Ein anderes wichtiges Thema ist natürlich
die Infrastruktur. Wir haben immer noch ein großes
Problem, das nicht kleiner wird, gerade wegen der
Finanzschwierigkeiten auf kommunaler Ebene. Wir
haben auf der kommunalen Ebene die vielen Infrastruktureinrichtungen, die ganz wichtig sind, wie
der Freiwilligensurvey immer wieder herausarbeitet. Für die Vermittlung, für die Öffentlichkeitsarbeit,
für die Entwicklung von Organisationen im Freiwilligenmanagement. Diese Organisationen brauchen
professionelle Kerne vor Ort. Ehrenamt kann nicht
alleine durch Ehrenamtliche angeregt, vermittelt und
betreut werden. Ich sehe ein massives Problem der
Glaubwürdigkeit, wenn wir auf der einen Seite auf
der Bundesebene eine nationale Engagementstrategie entwickeln und dann miterleben müssen, wie auf
kommunaler Ebene alles abgeholzt wird, was nach
Engagementförderung aussieht. Das wäre eine Katastrophe und darf nicht passieren.
Podiumsdiskussion
Moderatorin:
Frau Laurischk, die Frage an sie. Wir haben schon
gehört, dass all das, was heute in den Dialogforen
diskutiert wird, nicht das letzte Wort ist. Aber gibt es
Themen, die auch noch diskutiert werden müssen?
Sibylle Laurischk:
Gerade das bürgerschaftliche Engagement hat als
Thema eine Offenheit. Wir sollten uns hüten, die
Themen vorzugeben oder abschließend zu betrachten. Der Prozess in einer freiheitlichen Gesellschaft
muss offen bleiben. Da ist staatliches Handeln ein
gewisses Risiko. Deswegen ist das Stichwort Transparenz sicherlich gut. Einflussnahme darf nicht dazu
führen, dass bestimmte Felder im bürgerschaftlichen
Engagement en vogue sind und der Rest möglicherweise außen vor bleibt. Die Offenheit muss auch
in der Dialogfähigkeit der Akteure gewahrt bleiben.
Worum es uns geht, ist das Engagement der Bürgerschaft, der Wirtschaft und auch des staatlichen
Sektors. Das es nicht nur etwas ist, was zufällig
stattfindet und je nach Kassenlage auch geliebt ist,
sondern das es eine Struktur ist, die jede lebendige
Gesellschaft braucht. Nur wenn sich der einzelne
Mensch in seinem Impuls, etwas tun zu wollen, in
dem Recht etwas tun zu können, wiederfindet. Dann
haben wir eine lebendige, eine freiheitliche Gesellschaft. Dieses Wechselspiel braucht jeder Staat als
Grundlage. Deswegen muss man sich hüten, Themen zu sehr zu definieren. Es wird heute Aufgabe
der Foren sein, Ansätze zu entwickeln. Die spannende Frage wird dann sein, wie die Bundesregierung diese Initiativen, diese Impulse umsetzt und
wie sie das Thema am Laufen hält. Denn was jetzt
in einer ersten Befassung umgesetzt wird, auch in
diesem Jahr noch, wie wir gehört haben, wird nicht
das Ende der Veranstaltung sein. Wir müssen es offen halten. Bemerkenswert war, was die Ministerin
Schröder gestern im Unterausschuss sagte. Bürger
und Bürgerinnen, die im bürgerschaftlichen Engagement stehen, sind selbstbewusst. Dieser selbstbewusste Mensch ist Grundlage jeglichen demokratischen Handelns. Deswegen keine engen Themen,
offen, klar und transparent sein und Infrastruktur im
Rahmen des Möglichen und Notwendigen vorhalten.
Insofern fand ich das Stichwort professionelle Kerne
zu schaffen, die das Engagement ermöglichen und
leichter machen, interessant.
Moderatorin:
Herr Linzbach, es gibt am Horizont ein Statusgesetz
für Freiwilligendienste zu sehen, aber noch ferner
vielleicht ein Gesetz zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements. Wäre das etwas, was am Ende
stehen könnte?
Christoph Linzbach::
Ich kann mir vorstellen, dass das Freiwilligendienstestatusgesetz auch Teil der Strategie sein
wird. Hier sind wir im Moment in der Hausabstimmung. Es gibt auch im Verbändebereich Diskussionen. Es geht darum, die verschiedenen Formate
der Freiwilligendienste unter ein Dach zu stellen.
Die sind sehr unterschiedlich. Der Freiwilligendienst aller Generationen hat ein Acht-StundenFormat, während die Jugendfreiwilligendienste ein
Vollzeitformat sind. Wenn man das in ein Gesetz
bringt und gewisse Standards sicherstellen will,
muss man auf jeden Fall gewährleisten, dass alle
Formate unbeschädigt bleiben und ihre Entwicklungsperspektive behalten. Außerdem ist im Koalitionsvertrag der Begriff Förderplan enthalten.
Als Zusammenstellung all der strategischen Maßnahmen, die die Bundesregierung in diesem Feld
unternimmt, könnte das etwas sein, das man sich
bis zum Ende der Legislaturperiode vorstellen
könnte. Ich stimme ausdrücklich zu, dass die Strategie mit dem Kabinettsbeschluss nicht am Ende
ist, sondern die Umsetzung erst anfängt. Auch die
Strategie muss weiter entwickelt werden. Das ist
ein Stück Arbeit im Fortschritt, work in progress
könnte man sagen. Der letzte Punkt, den Sie angesprochen haben, das Gesetz zur Förderung des
bürgerschaftlichen Engagements steht sehr weit
am fernen Horizont. Es ist viel gesagt worden über
Zuständigkeiten der Länder, der Kommunen, die zu
beachten sind. Da werden wir im Rahmen der Engagementstrategie sehr darauf achten. Das ist ein
Vorhaben, was zwar im Koalitionsvertrag steht, das
ich persönlich in nächster Zeit, ganz offen gesagt,
für nicht realisierbar halte.
Moderatorin:
Wir haben jetzt viel über Strukturen, Zuständigkeiten
und Institutionen gesprochen. Zum Abschluss noch
ganz kurz: Warum engagieren Sie sich eigentlich persönlich für das bürgerschaftliche Engagement, Herr
Grübel?
Markus Grübel:
Weil es mir Freude macht, Verantwortung zu tragen.
Da, wo ich als bürgerschaftlich Engagierter tätig bin,
macht es mir Freude, und als Präsident vom Blasmusikverband sage ich meinen Leuten immer: Ehrenamt muss Freude machen. In dem Moment, in dem
ich es als Belastung und Qual empfinde, läuft etwas
falsch. Ich habe mit der kirchlichen Jugendarbeit angefangen und es hat mir immer Freude gemacht. Das
zu vermitteln ist wichtig, nicht immer dieses sich opfern müssen, sondern es macht mir Freude mich einzubringen, anderen zu helfen.
21
Podiumsdiskussion
Moderatorin:
Herr Olk, sind Sie, wenn Sie es tun, immer so durchsetzt von der gesellschaftlichen Relevanz, oder spüren Sie auch die pure Freude?
Thomas Olk:
Es ist interessant, welches Psychogramm sie gerade erstellen. Ich bin auch gleichzeitig Vorstandsvorsitzender einer kleinen Stiftung, die bundesweit versucht, Bürgergesellschaft zu gestalten. Das macht mir
Gestaltungsspaß. Wir haben einen Integrationswettbewerb. Wir haben schon in einer Zeit, als das noch
nicht so normal war, Engagement von Migrantinnen
und Migranten ausgezeichnet. Gestern habe ich von
einem Vertreter dieser Szene die Frage gehört: Ist das
jetzt Migrationsvorder- oder -hintergrund? Der Punkt
ist, dass sie durch das Engagement die Aufnahmegesellschaft mitgestalten, und da gab es erstaunlich
kreative Projekte und Ideen. In denen wurde deutlich,
dass Migrantinnen und Migranten keine Adressaten
für Befürsorgung und keine Opfer, sondern Gestalter
sind. Diese Erfahrung ist für mich die Bestätigung,
dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Monika Helbig:
Engagement ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammen hält, und deshalb ist es wichtig, dass man neben
dem, was man an professioneller Arbeit leistet, auch
noch etwas tut, das darüber hinausgeht. Da kommt
auch etwas zurück. Man opfert sich nicht nur für jemanden oder eine Sache auf, sondern man erfährt
auch eine positive Reaktion, wenn man etwas ehrenamtlich oder freiwillig für die Gesellschaft tut. Jeder,
der diese Erfahrung machen kann oder gemacht hat,
der wird auch nicht mehr loslassen. Deshalb ist es
wichtig denen, die sich vielleicht noch engagieren
wollen, eine Möglichkeit zum Engagement zu bieten,
weil sie vielleicht mit einer Idee herumlaufen, aber
noch nicht so richtig den Zugang gefunden haben.
Das ist einer der Punkte, die wir erarbeiten müssen,
diese Möglichkeit zu schaffen.
Moderatorin:
Frau Laurischk, was spüren Sie persönlich, wenn Sie
ehrenamtlich tätig sind?
Sibylle Laurischk:
Durch das Ehrenamt bin ich in die Politik gekommen.
Das ist für viele eine erste Erfahrung. Man will etwas
erreichen, man will etwas verändern. Ganz konkret:
Als ich als Mutter mit drei Kindern im Schlepptau und
der Mütterinitiative Hangrutsche beim Finanzbürgermeister der Stadt Offenburg erschienen bin und gesagt habe, dass wir mehr Kindertagesbetreuungseinrichtungen brauchen und es dort hieß, brauchen wir
22
nicht, da ging das Thema Vereinbarkeit von Familie
und Beruf los. Und spätestens als wir Mütter dann
anfangen mussten, unsere Kinder im Bürgermeisterbüro zu wickeln, war er schon etwas mehr überzeugt.
Solche Erfahrungen bringen dann auch kommunalpolitisches Engagement und in meinem Fall auch den
Weg in die Politik. So finden Menschen immer wieder
Themen, bei denen sie sagen, da ist was los, da soll
was passieren, da will ich etwas bewegen. Das sind
die Impulse, die wir in einer offenen, freiheitlichen
Gesellschaft brauchen, die wir als Politikerinnen und
Politiker aufnehmen müssen. Das ist mir ungemein
wichtig und ich bin immer noch im Vorstand eines
kleinen Vereins und erlebe dort ganz andere Probleme als hier in Berlin.
Marita Hilgenstock:
Ich musste gerade bei dem Wickeln schmunzeln. Daran kann ich gut anknüpfen. Es ist immer schön, in
Projekten zu sehen, was in der Gesellschaft für eine
gestalterische Kraft herrscht. Ich kann mich an das
Dorf erinnern, in dem unsere Tochter zur Welt kam.
Wir hatten keinen Spielplatz, den hat die Dorfjugend
gebaut. Wir hatten keinen Kindergarten. Wir haben
der Kirche den Raum abgeschwatzt. Wir hatten ein
Provisorium, das zehn Jahre gehalten hat, und das
motiviert einen.
Christoph Linzbach:
Ich bin zwar von morgens bis abends von der gesellschaftlichen Relevanz des bürgerschftlichen Engagements durchdrungen, insofern kann ich das absolut
bedienen, was sie eben gefordert haben. Ich habe
früher relativ viel gemacht, hätte heute auch gerne
mehr Zeit, mir Initiativen und Projekte vor Ort anzuschauen. Es gibt viel im Land, das man noch nicht
kennt und gerne kennenlernen möchte und das auch
Wertschätzung verdient. Bei mir konkret steht das
Gespräch mit Frau Dr. Zimmermann an, die mir einen
Platz in einem nachberuflichen Tätigkeitsfeld, wenn
ich mal in Rente gehe, sichern soll. Damit kann man
gar nicht früh genug beginnen.
Dialogforen
Dialogforum „Reform des
Zuwendungsrechts“
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des
Dialogforums am 13. April 2010 und des
vorbereitenden Workshops am 25. März 2010
• Gerhard Bäumer, Bundesministerium der Finanzen
• Werner Ballhausen, Bündnis für Gemeinnützigkeit
• Dr. Martina Beckmann, Bundesministerium der
Justiz
• Rainer Bode, Landesarbeitsgemeinschaft
Soziokultureller Zentren NRW
• Dr. Christine Bruhn, Deutsche Kinder- und
Jugendstiftung
• Ulla Engler, Deutscher Paritätischer
Wohlfahrtsverband, Gesamtverband
• Dr. Michael Ernst-Pörksen, C.O.X.
Steuerberatungs- und Treuhandgesellschaft
• Wolfgang Gottschlich, Staatskanzlei des
Landes Nordrhein-Westfalen
• Stephan Jentgens, Deutscher Bundesjugendring
• Dirk Kirchner, KPMG
• PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement
• Vera Klier, Bundesarbeitsgemeinschaft
der Seniorenorganisationen
• Volker Languth-Wasem,
Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
• Kerstin Piontkowski, Deutscher Verein für
öffentliche und private Fürsorge
• Carsten-Michael Pix, Deutscher Feuerwehrverband
• Matthias Potocki, Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement des Deutschen Bundestags
• Bernd Roeder, Deutscher Olympischer Sportbund
• Dietrich Schippel, aktiv in Berlin – Landesnetzwerk
Bürgerengagement
• Gabriele Schulz, Deutscher Kulturrat
• Tina Seifert, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Manfred Spangenberg, Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement
• Dr. Klaus Spieler, Akademie für Ehrenamtlichkeit
Deutschland
• Verena Staats, Bundesverband Deutscher Stiftungen
• Wolfgang Thiel, Deutsche Arbeitsgemeinschaft
Selbsthilfegruppen
• Gerhard Timm, Bundesarbeitsgemeinschaft der
Freien Wohlfahrtspflege
• Michael Triltsch, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts
Regeln vereinfachen – Gestaltungsfreiheit schaffen
Bericht über das Dialogforum „Reform des Zuwendungsrechts“
am 13. April 2010 im Deutschen Bundestag
Bürgerschaftliches Engagement findet oft in Organisationen statt. Ein Großteil dieser Organisationen,
dazu zählen große Verbände genauso wie kleine
Vereine und Initiativen, wird durch öffentliche Gelder unterstützt und ist damit unmittelbar vom Zuwendungsrecht betroffen. Ein Zuwendungsrecht, das der
Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen gerecht
wird und sowohl für Zuwendungsgeber als auch Zuwendungsnehmer unbürokratisch zu handhaben ist,
ist daher zentral für die Förderung bürgerschaftlichen
Engagements. Es bildet damit wie das Gemeinnützigkeitsrecht, das Spendenrecht, das Vereinsrecht und
versicherungsrechtliche Bestimmungen einen essentiellen Baustein der rechtlichen Rahmenbedingungen
für bürgerschaftliches Engagement.
Das Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts
konnte bei der Erarbeitung seiner Handlungsempfehlungen am 13. April 2010 an die Diskussion anschließen, die insbesondere von großen Verbänden
seit längerem geführt wird. Vor allem in den Punkten
Jährlichkeitsprinzip, Festbetragsfinanzierung, Rücklagenbildung, Besserstellungsverbot, zuwendungsfähige Ausgaben, Anerkennung bürgerschaftlichen
Engagements als Eigenmittel und Umsatzsteuerrecht
war mit den „Empfehlungen des Deutschen Vereins
zur Entbürokratisierung und Modernisierung des Zuwendungsrechts“ die Debatte schon sehr präzise vorstrukturiert.
des Bundesministeriums der Finanzen, des Bundesverwaltungsamtes und des Bundesrechnungshofes
vor allem dem Grundsatz der sparsamen und missbrauchsfreien Verwendung öffentlicher Gelder. Beide
Anliegen sind berechtigt. Daher wird es auch künftig
weitere Diskussionen geben. Dies gilt z. B. für das
Jährlichkeitsprinzip. Auf zivilgesellschaftlicher Seite besteht der wohlbegründete Wunsch, das Prinzip
der Jährlichkeit bei der Mittelzuweisung flexibler zu
gestalten, da Projektverläufe im Gegensatz zu öffentlichen Haushalten nicht vor dem Jahreswechsel Halt
machen. Dagegen weist die staatliche Seite darauf
hin, dass öffentliche Haushalte nicht beliebig in der
Verwaltung gestaltet werden können, sondern von
Parlamenten beschlossen werden. Ein Abrücken
vom Jährlichkeitsprinzip zieht daher die Schwierigkeit
nach sich, mehrjährige Verpflichtungen und damit
auch ungewisse Wechsel auf die Zukunft eingehen
zu müssen. An diesem Beispiel kann man ganz konkret die Schwierigkeiten ablesen, die sich aus einer
Modernisierung des Zuwendungsrechts ergeben.
Im Rahmen des Dialogforums wurde der aktuelle
Handlungsbedarf jedoch noch einmal genauer beschrieben. Dabei wurde deutlich, dass zwischen Zivilgesellschaft und Staat noch massiver Diskussionsund Klärungsbedarf besteht. Zum Teil treffen sehr
unterschiedliche Wahrnehmungen und Handlungslogiken aufeinander. Während es den Organisationen
der Zivilgesellschaft um Flexibilität, mehr Handlungsfreiheit und Entbürokratisierung geht, dienen die
Regelungen des Zuwendungsrechts aus der Sicht
25
Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts
Ergebnisse
Mit dem vom Bundesministerium der Finanzen initiierten Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements ist ein wichtiger Reformschritt
zur Vereinfachung und Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts gelungen. Dennoch besteht weiterer Reformbedarf, vor allem im Bereich des Zuwendungsrechts.
Durch den Abbau unnötiger Bürokratie könnte die Effektivität von öffentlichen Zuwendungen gesteigert werden.
Zur besseren Förderung des bürgerschaftlichen Engagements sollten deshalb im Zuwendungsrecht und in
der Zuwendungspraxis bürokratische Hemmnisse abgebaut werden mit dem Ziel, den Verwaltungsaufwand
für beide Seiten zu verringern und zusätzlich mehr
Rechtssicherheit und Gestaltungsfreiheit zu schaffen.
1. Allgemeine Nebenbestimmungen
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Die Verwaltungsvorschriften zu § 44 BHO (Bundeshaushaltsordnung) enthalten umfangreiche Nebenbestimmungen, die – versehen mit einer hohen Regelungsdichte – die Auflagen und Pflichten für den
Zuwendungsempfänger beschreiben und in der Regel
zu Bestandteilen des Zuwendungsbescheides erklärt
werden. Durch eine Vereinfachung des Zuwendungsrechts könnte der Verwaltungsaufwand bei der Gestaltung zivilgesellschaftlicher Projekte verringert werden.
Lösungsvorschlag
Die Allgemeinen Nebenbestimmungen der Bundeshaushaltsordnung sollten, soweit dies möglich ist,
vereinfacht werden.
Insbesondere sollte geprüft werden, wie die dort verankerten Mitteilungspflichten des Zuwendungsemp26
fängers stärker ins Verhältnis zur Höhe der Zuwendung gesetzt werden können.
Auch eine Ausdehnung der zweimonatigen Mittelverwendungsfrist sowie praktikablere Regelungen für
die Verzinsung von Rückzahlungsansprüchen (z. B.
durch längere Bewirtschaftungszeiträume und höhere Bagatellgrenzen) würden dazu beitragen, den
Verwaltungsaufwand für Zuwendungsempfänger und
Zuwendungsgeber zu reduzieren.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Die Bundesregierung wird gebeten, die Nebenbestimmungen der BHO zu überarbeiten. Unter Beteiligung der Zivilgesellschaft sollte für geringfügige
Zuwendungen ein insgesamt vereinfachtes Zuwendungsverfahren angestrebt werden, das die positiven
Erfahrungen aus den Bundesländern berücksichtigt.
2. Jährlichkeitsprinzip
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Für Zuwendungsempfänger ist nicht das Kalenderjahr maßgeblich, innerhalb dessen öffentliche Mittel aufgrund des
Jährlichkeitsprinzips ausgegeben werden müssen, sondern
der Zeitraum des geförderten Vorhabens insgesamt.
Lösungsvorschlag
Es sollte daher geprüft werden, inwieweit durch haushalterische Instrumente eine überjährige Mittelbereitstellung realisiert werden kann.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Die Bundesregierung sollte zusammen mit dem
Haushaltsgesetzgeber die Frage klären, wie eine
Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts
überjährige Mittelbereitstellung, z. B. durch die Ausbringung von Verpflichtungsermächtigungen oder
durch die vermehrte Bereitstellung von Selbstbewirtschaftungsmitteln, realisiert werden kann.
3. Festbetragsfinanzierung
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Die Bundesregierung wird gebeten, das haushaltsrechtliche Verbot, Rücklagen aus eigenen Mitteln zu
bilden, unter Berücksichtigung der positiven Erfahrungen aus den Bundesländern zu überdenken.
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
5. Besserstellungsverbot
Die weit verbreitete Fehlbedarfsfinanzierung erschwert die Planbarkeit der Verwendung öffentlicher Mittel. Außerdem setzt sie keine Anreize für
Organisationen, während des Förderzeitraumes
zusätzliche Mittel einzuwerben. Bei der Festbetragsfinanzierung wird die Förderung dagegen
beim Zuwendungsempfänger belassen, auch wenn
weitere Mittel eingehen. Sie kann damit die Ausweitung von Projekten befördern und entlastet zugleich den Zuwendungsgeber bei der Prüfung des
Verwendungsnachweises.
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Lösungsvorschlag
Es sollten Wege aufgezeigt werden, inwieweit der
Einsatz der Festbetragsfinanzierung durch entsprechende Verwaltungsvorschriften und -richtlinien ausgeweitet werden kann.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Die Bundesregierung wird gebeten, im Rahmen der
Bund-Länder-Koordinierung auf eine vermehrte Festbetragsfinanzierung hinzuwirken.
4. Rücklagenbildung
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Institutionell
geförderte
Zuwendungsempfänger
tragen die Risiken eines „normalen“ Geschäftsbetriebes. Ebenso kann der Eingang von Spenden
das Bilden von Rücklagen erforderlich machen. Das
Steuerrecht lässt daher im Rahmen der Gemeinnützigkeitsanerkennung die Bildung von Rücklagen –
in eingeschränktem Umfang – zu. Daran sollte sich
auch das Zuwendungsrecht orientieren.
Lösungsvorschlag
Bei institutionellen Förderungen sollte eine Harmonisierung des haushaltsrechtlichen Verbots, Rücklagen aus
eigenen Mitteln zu bilden, mit den steuerrechtlichen Vorschriften der Abgabenordnung geprüft werden.
Die Beschäftigungsbedingungen bei Zuwendungsempfängern sind heute nicht mehr direkt mit dem
Referenzbereich „Beschäftigte des Bundes“ vergleichbar. So sind z. B. befristete Beschäftigungsverhältnisse bei Zuwendungsempfängern im Rahmen
der Projekttätigkeit weit verbreitet. Besserstellungen
in Teilbereichen können daher Nachteile in sonstigen
Bereichen gegenüberstehen.
Lösungsvorschlag
Es sollte deshalb geprüft werden, ob durch eine Modernisierung und Anpassung des Besserstellungsverbots bürokratischer Aufwand vermindert werden kann.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Die Bundesregierung und der Haushaltsgesetzgeber
werden gebeten zu prüfen, wie durch eine Neufassung des Besserstellungsverbots angemessene Vergütungen gewährleistet werden können.
6. Anerkennung zuwendungsfähiger Ausgaben
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Die unterschiedlichen Praktiken und Anerkennungen
von zuwendungsfähigen Ausgaben durch Bund, Länder und Kommunen sind für die Empfänger zum Teil
schwer nachzuvollziehen.
Lösungsvorschlag
Es sollten daher Möglichkeiten für die Entwicklung
einheitlicher und verständlicher Regelungen für die
zuwendungsfähigen Ausgaben ausgelotet werden.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Bund und Länder werden gebeten, einheitliche und
verständliche Regelungen für die zuwendungsfähigen
Ausgaben zu erarbeiten.
27
Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts
7. Bürgerschaftliches Engagement als Eigenmittel
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Grundsätzlich ist es auf Bundesebene über fachspezifische Förderrichtlinien möglich, bürgerschaftliches
Engagement als Eigenmittel zu berücksichtigen. Klarere Regelungen wären indes für diese Form der Anerkennung hilfreich.
Lösungsvorschlag
Es sollte geprüft werden, inwieweit die Möglichkeit
der Anerkennung von bürgerschaftlichem Engagement als Eigenmittel in die Verwaltungsvorschriften
zu § 44 BHO aufgenommen werden kann.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Die Bundesregierung wird gebeten, zusammen mit
den übrigen Ressorts der Bundesregierung und den
Bundesländern zu prüfen, inwieweit die Erfahrungen
in einzelnen Bundesländern und der Europäischen
Union eine stärkere Anerkennung des bürgerschaftlichen Engagements als Eigenmittel in den Verwaltungsvorschriften von Bund und Ländern zulassen.
8. Umsatzsteuerrecht
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Da als Zuwendung gedachte Finanzierungen der öffentlichen Hand zunehmend in den Verdacht geraten,
verdeckte Entgelte zu sein, werden sie mit Umsatzsteuer belegt.
Lösungsvorschlag
Für den Zuwendungsgeber sollte deshalb klargestellt
werden, wo die Grenzlinie zwischen Entgelt und Zuschuss verläuft, damit für den Zuwendungsempfänger wieder Rechtssicherheit hergestellt wird.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Die Bundesregierung wird gebeten, durch geeignete
Maßnahmen Rechtssicherheit wiederherzustellen
und insbesondere das Problem der nachträglichen
Heranziehung zur Umsatzsteuer zu lösen.
28
Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts
Kurzfassung
Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Modernisierung
und Entbürokratisierung des Zuwendungsrechts
Das staatliche Zuwendungsrecht entspricht nicht
mehr den Anforderungen an ein modernes und zukunftsfähiges Recht. Es ist vielfach durch ein Übermaß an Bürokratie gekennzeichnet. Dadurch wird
die Effektivität von Zuwendungen gemindert. Ebenso werden die Eigenständigkeit der Zuwendungsempfänger und das Prüfungs- und Mitspracherecht
der öffentlichen Zuwendungsgeber erschwert.
Durch eine Vereinfachung und Verbesserung des
Zuwendungsrechts ließe sich der Verwaltungsaufwand für beide Seiten wesentlich verringern und
zusätzlich ein Mehr an Rechtssicherheit und Gestaltungsfreiheit schaffen. Die Empfehlungen des
Deutschen Vereins benennen die grundsätzlichen
Schwierigkeiten. Sie machen zugleich konkrete
Vorschläge für eine Reform des Zuwendungsrechts. Die Bundesregierung ist damit aufgefordert,
das Zuwendungsrecht zu entbürokratisieren und zu
modernisieren. Wesentliche Ziele dieses Reformprozesses sollten sein:
Entbürokratisierung
der
Verwaltungsvorschriften zu § 44 BHO und der Allgemeinen
Nebenbestimmungen (ANBest)
Die Verwaltungsvorschriften zu § 44 BHO enthalten
umfangreiche Nebenbestimmungen, die Auflagen
und Pflichten für den Zuwendungsempfänger beschreiben. Sie sind einheitlich gegliedert und im Inhalt weitgehend ähnlich. Gleichwohl sind sie in aller
Ausführlichkeit für institutionelle Zuwendungsempfänger (ANBest - I), für Projektförderung (ANBest P), für Projektförderung an Gebietskörperschaften
(ANBest - GK) und für Projektförderung auf Kostenbasis (ANBest - P - Kosten) gefasst. Die ANBest bilden damit kein rationales Regelwerk, sondern stehen
als Beispiel für eine überzogene Regelungsdichte im
Zuwendungsrecht. Der Deutsche Verein empfiehlt
deshalb die ANBest zu vereinheitlichen und zu straf
fen. Dabei sind insbesondere die Mitteilungspflichten
des Zuwendungsempfängers stärker ins Verhältnis
zur Höhe der Zuwendung zu setzen. Es sollte eine
Neudefinition der „zeitnahen Verwendung“ der Mittel erfolgen, und mit Ausnahme von zeitlich festgebundenen Ausgabenpositionen (wie z. B. Personalkosten) auch eine Ausdehnung der zweimonatigen
Verwendungsfrist geprüft werden. Ebenso ist für die
Verzinsung von Rückzahlungsansprüchen eine praktikable Regelung zu finden.
Flexiblere Handhabung des Jährlichkeitsprinzips
Öffentliche Zuwendungsgeber und Zuwendungsempfänger sind an den Grundsatz der Jährlichkeit
gebunden, sofern nicht eine Verpflichtungsermächtigung vorliegt. Grundsätzlich heißt das: Alle Ausgaben sind bis zum Ende des Jahres zu tätigen.
Jahresübergreifende Projekte müssen deshalb
haushaltstechnisch in zwei Projekte aufgeteilt werden, um dieser Bedingung Rechnung zu tragen.
Diese Wirkung des Jährlichkeitsprinzips erscheint
lebensfern. Für Zuwendungsempfänger ist nicht
das Kalenderjahr maßgeblich, sondern der Zeitraum des geförderten Vorhabens insgesamt. Vom
Deutschen Verein wird deshalb empfohlen, die Zuwendungen über den gesamten Projektzeitraum zu
bewilligen. Bei mehrjährigen Bewilligungen sollte
dann eine Übertragbarkeit der Mittel ermöglicht
werden.
Vermehrte Festbetragsfinanzierung
Die momentan verbreitete Form der Fehlbedarfsfinanzierung sollte ersetzt werden, da mit ihr falsche
ökonomische Anreize gesetzt werden. Bei dieser Finanzierungsart werden jene Projektträger „bestraft“,
die mehr Einnahmen erzielen oder zusätzliche Dritt29
Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts
mittel akquirieren. Eigene erwirtschaftete Mittel führen hier sofort zu einer Kürzung des errechneten
Fehlbedarfs und damit zur teilweisen Rückzahlung
der Zuwendung. Leistung und Erfolg werden so
diskreditiert. Grundgedanke der Festbetragsfinanzierung ist dagegen, das Vorhaben mit einem im
Voraus festgesetzten Betrag zu fördern und für den
Fall, dass das Vorhaben kostengünstiger zu realisieren ist, die Mittel beim Zuwendungsempfänger zu
belassen.
Damit werden Zuwendungsempfänger veranlasst,
weitere Drittmittel einzuwerben. Diese Finanzierungsart sollte daher immer dann gewährt werden,
wenn dadurch die Ausweitung des Projektes begünstigt oder die Akquisition weiterer Finanzierungsmittel
unterstützt wird.
Lockerung des sogenannten
„Besserstellungsverbotes“
Zuwendungen des Bundes zur institutionellen und
projektbezogenen Förderung dürfen nur mit der
Auflage bewilligt werden, dass der Zuwendungsempfänger seine Beschäftigten nicht besser stellt
als vergleichbare Beschäftigte des Bundes (sog.
Besserstellungsverbot). Das Besserstellungsverbot
gilt für sämtliche mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängende Regelungen und Leistungen. Damit besteht eine erhebliche Regelungsdichte, die
in ihrer Wirkung zweifelhaft erscheint. So gilt das
Besserstellungsverbot beispielsweise nicht bei Zuwendungen auf Kostenbasis. Hier wird davon ausgegangen, dass Personalkosten bei gewerblich orientierten Unternehmen immer dann zuwendungsfähig
sind, wenn sie bei wirtschaftlicher Betriebsführung
anfallen. Dieser allgemeine Wirtschaftlichkeitsgrundsatz sollte jedoch für alle Zuwendungsempfänger in gleichem Maß gelten. Zudem bietet eine
völlige Übernahme der Vergütungsregeln des öffentlichen Dienstes nicht mehr die erforderliche Flexibilität. Zuwendungsempfängern gelingt es immer
weniger, für zeitlich befristete Projekte qualifiziertes
Personal zu den in der öffentlichen Verwaltung vorgegebenen Tarifen zu gewinnen. Eine Anpassung
des Besserstellungsverbots ist dringend geboten.
Bei der Bemessung der zuwendungsfähigen Ausgaben sollten nur die Vergütungen berücksichtigt
werden, die für vergleichbare Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gezahlt werden. Darüber hinausgehende Zahlungen können aus sonstigen Mitteln
des Zuwendungsempfängers bestritten werden. Mit
diesem Verfahren würde eine leistungsgerechtere
Entlohnung ermöglicht.
30
Zeitgemäße
Ausgaben
Definition
zuwendungsfähiger
Gegenwärtig gibt es noch sehr unterschiedliche
Praktiken und Anerkennungen von zuwendungsfähigen Ausgaben. Bund, Länder und Kommunen haben unterschiedliche Festlegungen, was sie für zuwendungsfähig halten. So bestehen beispielsweise
erhebliche Unsicherheiten bei der Anrechnung von
Versicherungen, Personal- und Betriebskosten (sog.
Overheadkosten), Beratungskosten oder Reise- und
Fahrtkosten. Nach Ansicht des Deutschen Vereins
müssen daher einheitliche und verständliche Regelungen für die zuwendungsfähigen Ausgaben geschaffen werden.
Dabei sind insbesondere für die genannten Probleme Lösungen zu finden. Eine konkrete Beschreibung sowie Erläuterungen von zuwendungsfähigen
Ausgaben sollte ins Internet eingestellt werden, damit auch „kleine“ Zuwendungsempfänger die Möglichkeit haben, sich im Vorfeld einer Förderung zu
informieren.
Anerkennung bürgerschaftlichen
ments als Eigenmittel
Engage-
Bürgerschaftliches Engagement beschränkt sich
nicht nur auf die Bereitstellung finanzieller Ressourcen. Vielmehr sind viele Menschen auch
bereit, gemeinnützigen Organisationen Zeitressourcen für die Erfüllung zivilgesellschaftlicher
Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Dieses zeitliche
Engagement (sog. Zeitspende) wird aber weder in
den Verwaltungsvorschriften noch in den Allgemeinen Nebenbestimmungen im Zuwendungsverfahren des Bundes als Eigenleistung anerkannt. Das
heißt: Bürgerschaftliches Engagement wird in der
Bundesförderung vielfach nicht honoriert. In einigen Bundesländern kann es hingegen als Eigenmittel in den Kosten- und Finanzierungsplan der
beantragten Förderung eingestellt werden. Damit
werden jene Organisationen gestärkt, die an Stelle
von finanziellen Mitteln die Engagementzeit ihrer
Mitglieder einbringen. Zudem wird mit diesem Verfahren deutlich gemacht, dass durch bürgerschaftliches Engagement relevante Werte produziert
werden. Die Anerkennung von Bürgerschaftlichem
Engagement als Eigenmittel des Zuwendungsempfängers sollte deshalb in die Verwaltungsvorschriften zu § 44 BHO und in die entsprechenden
Regelungen auf Landes- und Kommunalebene eingeführt werden, um die erforderliche Verbindlichkeit herbeizuführen.
Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts
Klarheit im Umsatzsteuerrecht schaffen
Zunehmend geraten als Zuwendung gedachte Finanzierungen der öffentlichen Hand in den Verdacht,
verdeckte Entgelte zu sein. Im Ergebnis droht die
Belegung der Zuschüsse mit Umsatzsteuer. Inzwischen folgt auch der Bundesfinanzhof nicht mehr
dem Wortlaut der Umsatzsteuerrichtlinie, wonach Zuwendungen aus öffentlichen Kassen, die ausschließlich auf Grundlage des Haushaltsrechts vergeben
werden, grundsätzlich nichtsteuerbare „echte Zuschüsse“ sind. Für die Beteiligten sind die Grenzlinien
zwischen Auftrag und Zuschuss damit kaum noch erkennbar. Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert, diesen Konflikt zeitnah zu lösen und die gebotene Rechtssicherheit herzustellen. Dabei sollte die
bestehende und bewährte Differenzierung zwischen
einem nicht umsatzsteuerbaren Zuschuss und einem
steuerbaren Leistungsaustausch beibehalten, jedoch
klarer als bislang gefasst werden.
Anmerkung
Die Empfehlungen des Deutschen Vereins finden
Sie in einer ausführlicheren Fassung unter: http://
www.deutscher-verein.de/05-empfehlungen/2009/
september/Empfehlungen_zur_Modernisierung_
und_Entbuerokratisierung_des_Zuwendungsrechts.
31
Dialogforum
„Weiterentwicklung der
Freiwilligendienste“
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des
Dialogforums am 14. April 2010 und des
vorbereitenden Workshops am 25. März 2010
• Ulrich Beckers, Jugend für Europa
• Michael Bergmann, Deutscher Caritasverband
• Florian Bernschneider, MdB
• Michael Bogatzki, AFS Interkulturelle Begegnungen
• Hartmut Brombach, Bundesarbeitskreis Freiwilliges
Soziales Jahr
• Ulla Eberhard, Kölner Freiwilligenagentur
• Dr. Jaana Eichhorn, Deutsche Sportjugend
• Hartwig Euler, Arbeitskreis Lernen und Helfen in
Übersee
• Dr. Kornelia Folk, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Dr. Andreas Frank, Bayerisches Staatsministerium
für Arbeit und Sozialordnung
• Marco Franosch, Auswärtiges Amt
• Kai Gehring, MdB
• Hejo Held, Deutsches Rotes Kreuz
• Dr. Astrid Hencke, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Susanne Huth, INBAS-Sozialforschung
• PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement
• Ariane Krieg, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Irene Krug, Institut für Sozialarbeit und
Sozialpädagogik
• Dr. Hans-Joachim Lincke, Zentrum für
Zivilgesellschaftliche Entwicklung (ZZE)
• Frank Lonny, Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NordrheinWestfalen
• D örte Lüdeking, Institut für Sozialarbeit und
Sozialpädagogik
• Ronald Münch, Auswärtiges Amt
• Beate Oertel, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Dr. Christa Perabo, Landes-Ehrenamtsagentur
Hessen
• Christiane Richter, Bundesverband Seniorpartner
in School
• Sönke Rix, MdB
• Nicole Schmidt, Freiwilligenzentren mittenmang
Schleswig-Holstein
• Veronika Schneider, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband
• Martin Schulze, Bundesarbeitskreis Freiwilliges
Soziales Jahr
• Maja Schweitzer, Auswärtiges Amt
• Uwe Slüter, Bundesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr
• Thomas Stein, FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag
• Prof. Dr. Heinz-Dietrich Steinmeyer, Westfälische
Wilhelms-Universität Münster
• Peter Tobiassen, Zentralstelle für Recht und Schutz
der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen
• Anna Veigel, Deutsche UNESCO-Kommission
• Hannes Wezel, Städtenetzwerk Baden-Württemberg
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Vielfalt unter einem Dach
Bericht über das Dialogforum „Freiwilligendienste“ am 14. April 2010 im BMFSFJ, Berlin
Freiwilligendienste sollen als eine besondere Form
des bürgerschaftlichen Engagements weiterentwickelt
werden – darüber waren sich die 37 Teilnehmerinnen
und Teilnehmer des Dialogforums am 14. April 2010
einig. Freiwilligendienste ermöglichen den Dienstleistenden, ihre sozialen und individuellen Kompetenzen
zu erweitern, sich aktiv ins Gemeinwesen einzubringen und damit einen wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Deshalb soll künftig mehr Menschen
das Ableisten eines Freiwilligendienstes ermöglicht
werden. Dabei kommt es darauf an, die Qualität der
Dienste zu verbessern und die Vorteile für den Einzelnen und das Gemeinwesen populärer zu machen. Die
besondere Herausforderung liegt darin, der Vielfalt an
Diensten im In- und Ausland, die vom Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) und dem Freiwilligen Ökologischen
Jahr (FÖJ) über die Förderprogramme „Weltwärts“
und „Kulturweit“, den Europäischen Freiwilligendienst
bis zu den Freiwilligendiensten aller Generationen
(FdaG) reicht, gerecht zu werden. All diese Dienste
unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich ihrer
rechtlichen Grundlage, ihrer finanziellen Ausstattung
und der Rahmenbedingungen wie Dauer und Stundenumfang sowie der Form der pädagogischen Begleitung und Betreuung.
Die Förderung von Freiwilligendiensten soll ein Baustein der nationalen Engagementstrategie sein. In ihrer Koalitionsvereinbarung haben CDU/CSU und FDP
am 26. Oktober 2010 die Absicht erklärt, Freiwilligendienste im Rahmen einer gemeinsamen, ressortübergreifenden Strategie zu fördern und die rechtlichen
Rahmenbedingungen zu verbessern. Aufgabe des
Dialogforums war es, Empfehlungen für dieses Vorhaben zu entwickeln. Neben den zuständigen Ressorts der Bundesregierung kamen die verschiedenen Freiwilligendienstträger und Trägerverbünde sowie zentrale Akteure aus
der Forschung und der AG „Freiwilligendienste“ des
Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement
zusammen. Auch einige Bundestagsabgeordnete haben im Dialogforum mitgewirkt.
Mit seinen thematischen Schwerpunkten knüpfte
das Dialogforum an die Fachdiskussionen der vergangenen Jahre und aktuelle fachwissenschaftliche Expertisen an. Zentral war die Frage, wie eine
gleichberechtigte Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen an Freiwilligendiensten ermöglicht werden kann.
Bestimmten Gruppen fehlt aus ganz unterschiedlichen Gründen der Zugang zu Freiwilligendiensten.
Mehrere Expertinnen und Experten haben daher
die spezifischen Problemlagen und Bedürfnisse von
Seniorinnen und Senioren, Menschen mit Einwanderungsgeschichte und sozial benachteiligten oder
individuell beeinträchtigten Menschen dargelegt. In
den Ergebnissen ist festgehalten, wie diese bei der
Förderung von Freiwilligendiensten durch den Bund
berücksichtigt werden könnten.
Anknüpfend an die aktuelle Debatte um die Verkürzung
des Wehrdienstes auf sechs Monate hat das Dialogforum sich mit den möglichen Auswirkungen der Veränderungen im Zivildienst auf den Bereich der Freiwilligendienste befasst. Darüber hinaus ging es um den
Ausbau der Jugendfreiwilligendienste, die Problematik
der Umsatzbesteuerung von Trägern und Einsatzstellen und die weitere Förderung der FdaG.
In der Diskussion um die Gestaltung eines Freiwilligendienstestatusgesetz hat sich einmal mehr gezeigt,
dass es äußerst schwierig sein dürfte, die Jugendfreiwilligendienste mit den FdaG in einem Gesetz
zu integrieren. Die Unterschiede zwischen beiden
Dienstformen wurden in der Debatte noch einmal herausgearbeitet. Während Jugendfreiwilligendienste
in der Regel Vollzeitdienste mit hohem Fortbildungsanteil sind, bei denen die Jugendlichen und jungen
Erwachsenen oft auch auf sozialversicherungsrecht33
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
liche Absicherung angewiesen sind, lassen sich bei
den FdaG keine allgemeinen Festlegungen bezüglich
Umfang, Mindestanforderungen und sozialer Absicherung definieren: Welcher Dauer und welchen Umfang an Wochenstunden sollte ein Freiwilligendienst
umfassen? Wieviele Tage an Fort- und Weiterbildung
sollten gesetzlich festgeschrieben sein? Sollte es einen allgemein gültigen sozialversicherungsrechtlichen
Status für alle Freiwilligendienstleistenden geben?
Die Förderung des Programms Freiwilligendienste
aller Generationen könnte auch unabhängig von einer gesetzlichen Regelung gestaltet werden. Die Diskussion im Dialogforum hat gezeigt, dass es anstelle
einer Standardisierung darauf ankommt, die Freiwilligendienste aller Generationen so zu fördern, dass sie
das bürgerschaftliche Engagement vor Ort anregen
und bereichern.
34
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Ergebnisse
Freiwilligendienste sollen weiterentwickelt werden.
Ihre gesellschaftliche Anerkennung soll verbessert
werden. Insbesondere gilt es, neue Zielgruppen für
einen Freiwilligendienst zu gewinnen und mehr Organisationen und Kommunen darin zu unterstützen,
sich für Freiwilligendienste zu öffnen.
nen folgende Zielgruppen berücksichtigt werden: Seniorinnen und Senioren, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Erwerbslose, Erwerbstätige (die Mindestzahl
der Wochenstunden kann für diese Personengruppe
eine Barriere bilden und wurde im Dialogforum kontrovers diskutiert), sozial Benachteiligte und individuell Beeinträchtigte (z. B. Menschen mit Behinderung).
1. Zielgruppen für Freiwilligendienste
Für unterschiedliche Zielgruppen sollten unterschiedliche Formen entwickelt werden, da sie jeweils besondere Rahmenbedingungen benötigen, z. B. einen
höheren fachlichen Begleitungsbedarf oder spezielle
pädagogische Konzepte. Damit Träger die Möglichkeit haben, einen Freiwilligendienst anzubieten, der
den speziellen Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe gerecht wird, sollten sie mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden.
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Freiwilligendienste sind eine besondere Form des
bürgerschaftlichen Engagements und sollen zugleich
den Erwerb sozialer und individueller Kompetenzen
ermöglichen. Grundsätzlich sollen Freiwilligendienste
allen Bevölkerungsgruppen offen stehen. Bei der Förderung von Freiwilligendiensten stellt sich daher die
Frage, wie eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht
werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, welche
Barrieren bestehen und welche Lösungen und Fördermaßnahmen vorgeschlagen werden können.
Ein Problem beim Ausbau der Freiwilligendienste
besteht in einer unzureichenden Forschungs- und
Datenlage über Zielgruppen und deren besondere
Bedürfnisse. Dazu gehört auch die Erforschung hemmender Faktoren und fehlender Zugänge für die unterschiedlichen Zielgruppen.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Für die Förderung von Freiwilligendiensten sollte eine
einheitliche Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung definiert werden.
Es kommt darauf an, wirksame Förderinstrumente
(etwa pädagogische Konzepte, Finanzierung, Pauschalen) zu identifizieren und anzupassen bzw. Alternativen zu entwickeln.
Um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung
oder Beeinträchtigung an Freiwilligendiensten zu
erleichtern, sollte bei der Förderung dieser Dienste
ein erhöhter Begleitungsbedarf berücksichtigt werden. Die Freiwilligendienstträger sollten in die Lage
versetzt werden, unterschiedlich befähigten Freiwilligendienstleistenden eine angemessene Begleitung
zu ermöglichen, und zwar unabhängig davon, ob sie
bereits fallspezifische Leistungen (z. B. psycho-soziale Beratung für Freiwillige mit Behinderungen, die
gemäß §§1, 4, 5, 9 SGB IX und §§ 53, 54 SGB XII
möglich sind) erhalten oder nicht.
Bei der Weiterentwicklung von Freiwilligendiensten
sollten – dem jeweiligen Format angemessen – neben
der Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachse-
Um Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zu
Freiwilligendiensten zu erleichtern, sollten Migrantenorganisationen neben der eigenen Trägerschaft verstärkt
Lösungsvorschläge
35
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
in den Bereichen Zielgruppenakquise und pädagogische Begleitung und als Einsatzstellen eingebunden
werden. Dazu benötigen Migrantenorganisationen Informationen über Freiwilligendienste, Kontakt- und Kooperationsbeziehungen zu Freiwilligendienstträgern sowie personelle, fachliche und finanzielle Unterstützung.
Berufliche Orientierung durch einen Freiwilligendienst
ist für bestimmte Zielgruppen besonders wichtig.
Kompetenzbilanzen und besondere Vorbereitungsoder Anschlussprogramme (Qualifizierung) z. B. der
Bundesagentur für Arbeit sollten so gestaltet werden,
dass sie die im Freiwilligendienst erworbenen Kompetenzen sichtbar machen bzw. nutzen. Dadurch soll
der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden.
Daneben ist zu prüfen, inwieweit die mit dem Bezug
von Leistungen nach SGB II verbundenen Auflagen
einem Engagement im Freiwilligendienst im Wege
stehen (siehe Dialogforum Arbeitsmarktpolitik).
Bestehende Regelförderangebote für die verschiedenen Zielgruppen sollten mit den speziellen Angeboten im Rahmen der Freiwilligendienste kombiniert
werden. Die besondere Qualität des Freiwilligendienstes als Bildungs- und Orientierungsdienst sollte
dabei erhalten bleiben.
Der Europäische Freiwilligendienst formuliert hinsichtlich der Flexibilisierung von Dienstzeiten und
der zusätzlichen Förderung bestimmter Zielgruppen
Lösungsansätze, die auf nationale Freiwilligendienste
übertragen werden können.
2. Zivildienstverkürzung
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Die Entwicklung der Freiwilligendienste sollte grundsätzlich unabhängig von der Verkürzung des Zivildienstes betrieben werden. Die Veränderungen im Zivildienst haben jedoch Auswirkungen auf den Bereich der
Freiwilligendienste. Die Weiterentwicklung der Jugendfreiwilligendienste muss daher auch im Zusammenhang
mit der Verkürzung des Zivildienstes gesehen werden.
Lösungsvorschlag
Die Verkürzung des Zivildienstes sollte hinsichtlich der
Auswirkungen auf die Entwicklung der Freiwilligendienste geprüft werden. Dazu gehört u. a. die Prüfung
eines Mitteltransfers. Freiwerdende Zivildienstmittel
sollen für den Ausbau der Jugendfreiwilligendienste
genutzt werden. Jugendfreiwilligendienste können eine
36
attraktive Anschlussoption zum Zivildienst sein, wenn
die Rahmenbedingungen entsprechend gestaltet sind.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Die Bundesregierung sollte prüfen, wie die Freiwilligendienste so gestaltet werden können, dass sie an
den Zivildienst anschließen. Insbesondere ist darauf
zu achten, dass eine freiwillige Verlängerung des Zivildienstes und die Freiwilligendienste gleich ausgestattet werden. Die Dauer dieser freiwilligen Verlängerung sollte flexibel gehandhabt werden.
3. Ausbau der Freiwilligendienste
3.1 Jugendfreiwilligendienste
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Jugendfreiwilligendienste können junge Menschen
dazu anleiten, soziale Verantwortung zu übernehmen
und gemeinwohlorientiert zu handeln. Junge Menschen profitieren in ganz besonderer Weise von der
Ausübung eines Engagements für ihre persönliche
und berufliche Entwicklung und leisten gleichzeitig
einen wichtigen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher
Aufgaben. Diese Potentiale sind noch nicht hinreichend entwickelt.
Lösungsvorschlag
Jugendfreiwilligendienste sollten qualitativ und quantitativ ausgebaut werden. Bei der Gestaltung der verschiedenen Dienste sollten die verschiedenen Zielgruppen berücksichtigt werden. Es kommt darauf an,
den Anteil von Freiwilligendienstleistenden pro Jahrgang zu erhöhen. Alle, die einen Freiwilligendienst machen möchten, sollten dazu die Möglichkeit erhalten.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Die Bundesregierung sollte prüfen, wie die unterschiedlichen Dienste aufeinander abgestimmt werden können.
Alle Plätze in den Jugendfreiwilligendiensten (national
und transnational) sollten finanziert und mit einer erhöhten Pauschale ausgestattet werden, so dass die
Träger von Freiwilligendiensten besser in die Lage versetzt werden, die Bildungsmaßnahmen im Rahmen der
Dienste auszubauen. Die Höhen der Förderpauschalen
sollten je nach Zielgruppe differenziert werden.
Zudem sollte die Anerkennung des Engagements in
Jugendfreiwilligendiensten verbessert werden (z.B.
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
durch Bildungsgutscheine, Kompetenznachweise und
Kompetenzbilanzen, Vergünstigungen und gezielte
Kampagnen). Der europäische Youth Pass kann als
Vorbild für einen Kompetenznachweis auf nationaler
Ebene genutzt werden.
stellen. Daneben sollten die Entwicklung der FdaG
und die Werbung weiter finanziert werden. Es sollten weitere Träger dafür gewonnen werden,
einen Freiwilligendienst anzubieten. Kooperationen
zwischen Trägern der Freiwilligendienste und Migrantenorganisationen, die in den Bereichen Zielgruppenakquise, pädagogische Begleitung oder als
Einsatzstellen tätig werden bzw. sich als Träger etablieren wollen, sollten gefördert werden. Der Bund
sollte dazu gemeinsam mit den Bundesländern und
den Trägern eine Strategie initiieren. Die Träger
sollten dazu konkret benennen, welche Bedingungen
gegeben sein müssen, um die Dienste auszubauen.
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
4. Umsatzsteuerbefreiung
Träger und Einsatzstellen sind durch die Umsatzsteuerpflicht bei Verträgen nach § 11 Absatz 1 Jugendfreiwilligendienstegesetz (JFDG) mit einem großen finanziellen
sowie verwaltungstechnischen Aufwand konfrontiert.
Lösungsvorschlag
3.2 Freiwilligendienste aller Generationen
Freiwilligendienste sollten als Lerndienste grundsätzlich von der Umsatzsteuer befreit werden. Ziel sollte
eine eindeutige Klärung der Umsatzbesteuerung der
Träger sein.
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Freiwilligendienste können den Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement erleichtern, sollten aber
klar davon unterschieden werden. Bei der Entwicklung spezieller Förderprogramme für Zielgruppen
sollte dies berücksichtigt werden.
Der Gesetzgeber sollte im Umsatzsteuergesetz einen
Befreiungstatbestand einführen.
Auf der Ebene der Bundesländer gibt es eine gute
Kooperation der unterschiedlichen Träger. Diese Vernetzung schließt jedoch die nicht geförderten Träger
noch nicht mit ein. Auf Bundesebene fehlt die Einbindung der Wohlfahrtsverbände bei den Freiwilligendiensten aller Generationen (FdaG).
Der Bekanntheitsgrad der FdaG ist nicht ausreichend.
Dies verhindert oft, dass auch neue Träger und Einsatzstellen die FdaG umsetzen.
Lösungsvorschlag
Die FdaG sollten so gestaltet werden, dass sie Interessierten den Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement erleichtern.
Neue Träger und Einsatzstellen können einfacher gewonnen werden, wenn Trägerverbünde, Länder und
kommunale Spitzenverbände sowie Städte, Gemeinden und Landkreise kooperieren.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Da die Weiterfinanzierung der FdaG unklar ist, sollte
die Bundesregierung in Absprache mit den Ländern
und Kommunen die Fortführung nach 2011 sicher
Es sollte geprüft werden, inwieweit die Europäische
Mehrwertsteuersystemrichtlinie der Umsatzsteuerbefreiung von Trägern entgegensteht und inwieweit die
Bundesregierung darauf hinwirken kann, dies zu ändern. Das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit
sollte dazu genutzt werden.
5. Freiwilligendienstestatusgesetz:
Überblick zu den aktuellen Positionen
Der folgende Überblick fasst die aktuellen Gemeinsamkeiten und Differenzen zur Thematik zusammen
und sollte bei der Erarbeitung eines Freiwilligendienstestatusgesetzes durch die Bundesregierung
berücksichtigt werden.
A. Konsens
Ziele eines Freiwilligendienstestatusgesetzes
• Berücksichtigung möglichst aller Freiwilligendienstformate. Das umfasst die sog. geregelten
Freiwilligendienste auf Grundlage gesetzlicher Regelungen oder staatlicher Förderrichtlinien (FSJ/
FÖJ, „kulturweit“, Freiwilligendienste aller Generationen, „weltwärts“) sowie die sog. ungeregelten
Freiwilligendienste
(Kurzzeitfreiwilligendienste,
längerfristige Freiwilligendienste).
• Keine Schwächung einzelner Formate
37
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
• Verbesserung der Übersichtlichkeit
• Stärkung der Rechtssicherheit sowie des Status
von Freiwilligendienstleistenden
• Abgrenzung zum bürgerschaftlichen Engagement,
zur Erwerbsarbeit und zum Pflichtdienst
• Freiwilligendienste als Bildungsdienste verorten
• Berücksichtigung von Fragen der sozialen Sicherung
bedeuten Die entsprechenden Regelungen sollten
an die Lebens-, Berufs- und Familiensituation angepasst werden.
• Den Freiwilligen sollte im Rahmen von Vollzeitdiensten für die Zeit nach ihrem Dienst der soziale
Status erhalten bleiben, den sie vor Beginn des
Dienstes hatten (status quo ante).
Charakter und Struktur des Gesetzes
Besonderer Teil: passgenaue Regelungen für
die einzelnen Dienstformen
• Unterteilung des Gesetzes in einen allgemeinen
Teil und einen besonderen Teil
• Allgemeiner Teil mit Definition und Mindestanforderungen für Freiwilligendienste
• Besonderer Teil mit passgenauen Regelungen für
die einzelnen Dienstformen
Allgemeiner Teil: Definition
• Es gibt unterschiedliche Definitionen von Freiwilligendiensten (siehe unten). Für alle Definitionen
gilt, dass Freiwilligendienste gleichzeitig der Gesellschaft und der persönlichen Bildung der Freiwilligen dienen und dafür nur solche Tätigkeiten in
Frage kommen, die keine Erwerbsarbeitsplätze ersetzen. Zudem sind sie freiwillig und unentgeltlich.
Allgemeiner Teil: Mindestanforderungen für
Freiwilligendienste
• Freiwilligendienste basieren auf einer vertraglichen
Selbstverpflichtung, in der Dauer, Art und zeitlicher
Umfang der Tätigkeit festgelegt werden.
• Freiwilligendienste haben Begleitkonzepte.
• Freiwilligendienste fördern die soziale und fachliche Erfahrung.
• Freiwillige leisten ergänzende und arbeitsmarktneutrale Tätigkeiten in Einsatzstellen bzw. Einrichtungen.
• Freiwilligendienste werden von gemeinnützigen Organisationen oder öffentlichen Trägern angeboten.
• Freiwillige erhalten einen allgemein gültigen Nachteilsausgleich als Zeichen der Anerkennung, wie z. B.
Anspruch auf Kindergeld oder auf Waisenrente.
• Aufwandsentschädigungen können gewährt und
anfallende Kosten erstattet werden.
Fragen der sozialen Sicherung
• Freiwillige sind gegen Krankheit, Unfall und Berufsunfähigkeit gemäß den bestehenden Standards abzusichern. Es sollten passgenaue Regelungen für die
unterschiedlichen Zielgruppen entwickelt werden.
• Falls kein eigener sozialversicherungsrechtlicher
Status möglich ist, darf der Freiwilligendienst keine
sozialversicherungsrechtliche Schlechterstellung
38
Unterscheidung passgenauer Regelungen für:
• Jugendfreiwilligendienste im Inland mit enger Orientierung am Jugendfreiwilligendienstegesetz
(JFDG),
• Internationale Jugendfreiwilligendienste.
B. Dissens
Allgemeiner Teil: Definition
Beispiele für die unterschiedlichen Definitionen zu
Freiwilligendiensten:
• Die Enquetekommission definiert sie als ganztägige Dienste und als eine besondere, staatlich geförderte Form bürgerschaftlichen Engagements,
in der sich Jugendliche und junge Erwachsene für
das Gemeinwohl engagieren.
• Nach Rauschenbach/Liebig sind Freiwilligendienste
hinsichtlich Dauer, Umfang, Einsatzorte sowie sozialer Absicherung und Gratifikation vertraglich
zwischen Freiwilligen und Organisation geregelt,
im Falle bestimmter Dienste zusätzlich gesetzlich
festgeschrieben. Sie sind vom Grundsatz her nicht
vergütet und formal zeitlich begrenzt.
• Im Bericht der Kommission ‚Impulse für die Zivilgesellschaft’ werden die neuen Freiwilligendienste
für alle Altersgruppen als zeitlich und inhaltlich
flexibel für engagementbereite Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen beschrieben. Zugleich
berücksichtigen sie die Interessen der Organisationen und Einrichtungen hinsichtlich der Planbarkeit und Verbindlichkeit der Einsätze.
• Internationale Freiwilligendienste stellen eine besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements dar, bei dem Anfang und Ende, Dauer und
Umfang, Inhalt, Aufgaben, Ziele und Art der freiwilligen Tätigkeit ebenso vereinbart sind wie der finanzielle und organisatorische Rahmen, die rechtliche und soziale Absicherung. Dies wird i. d. R.
zwischen Freiwilliger/m, Einsatzstelle/Projektpartner im Ausland und Träger/Entsendeorganisation
schriftlich vereinbart.
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Allgemeiner Teil: Mindestanforderungen für
Freiwilligendienste – Dauer
Hier gibt es unterschiedliche Positionen:
• Freiwilligendienste sind Blöcke aus mindestens
drei zusammenhängenden Monaten; auf der
Grundlage von mindestens 20 Wochenstunden für
ältere Menschen bzw. 30 Wochenstunden für junge Menschen und einer maximalen Dauer von 24
Monaten.
• Freiwilligendienste haben einen Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und
eine Dauer von mindestens sechs Monaten.
• Freiwilligendienste haben einen Umfang von mindestens 15 Wochenstunden und sind befristet auf
max. 24 Monate.
Allgemeiner Teil: Mindestanforderungen für
Freiwilligendienste – Begleitkonzepte
Hinsichtlich des Umfangs der Bildungsangebote gibt
es einen Dissens:
• Bei Vollzeitfreiwilligendiensten für Jugendliche liegt
der Umfang der pädagogischen Begleitung bei 25
Tagen pro Jahr; für ältere Freiwilligendienstleistende (ab 28 Jahre) sollte mindestens ein Tag pro Monat angeboten werden.
• Die Dauer der Bildungsmaßnahmen beträgt, bezogen auf einen zwölfmonatigen Dienst, mindestens
20 Tage (ausgenommen fremdsprachige Schulung).
• Die Träger der Freiwilligendienste aller Generationen (FDaG) müssen eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich
60 Wochenstunden pro Jahr sicherstellen.
Besonderer Teil: passgenaue Regelungen für
die einzelnen Dienstformen
Hier besteht ein Dissens bezüglich der Berücksichtigung jüngerer Freiwilliger unter 28 Jahre:
• Legaldefinition der FDaG in § 2 Absatz 1a SGB
VII sieht keine Altersbegrenzung vor; FDAG sollen
auch für Jugendliche möglich sein.
• Der Bundesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr
befürwortet die Einführung eines Freiwilligendienstes
für Menschen ab 28 Jahren im In- oder Ausland.
Soziale Sicherung
Unterschiedliche Vorstellungen zur konkreten Ausgestaltung reichen von:
• einem allgemein gültigen sozialversichungsrechtlichen Status für alle Freiwilligendienste mit: einer
beitragsfreien Anrechnungszeit in der Rentenversicherung,
• einer Absicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung,
• der Möglichkeit der Familienversicherung sowie
der Absicherung des Status quo ante im Rahmen
der Arbeitslosenversicherung
bis hin zu einer
• Beschränkung auf passgenaue Regelungen für die
einzelnen Dienstformate, z. B. für die Internationalen Freiwilligendienste u.a. möglichst beitragsfreie
Mitgliedschaft im gesetzlichen Sozialversicherungssystem während des Dienstes, wenn nötig
Verlängerung des Status nach dem Dienst,
• beitragsfreie Anrechnungszeit in der Rentenversicherung,
• beitragsfreie Anrechnungszeit in der Arbeitslosenversicherung; Sicherung des Status quo ante,
• Absicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung,
• Krankenversicherung u. a. Absicherung durch private Gruppenversicherung und gesetzliche Familienversicherung.
Bei den Freiwilligendiensten aller Generationen geht
es z. B. um
• eine gesetzliche Unfallversicherung laut der Legaldefinition in § 2 Absatz 1a SGB VII
• grundsätzliche Sozialversicherungsfreiheit: Geht
der Tätigkeitsumfang über ein Drittel einer vergleichbaren Vollzeitstelle hinaus, unterliegen die
Tätigkeiten der Einkommenssteuerpflicht sowie
unter Umständen auch der Sozialversicherungspflicht.
• Von zentraler Bedeutung für Träger und Freiwillige ist die Frage, inwiefern die Zahlung einer
pauschalierten
Aufwandsentschädigung
den
Freiwilligeneinsatz als sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis qualifiziert. Freiwilligendienste erfüllen nicht die Merkmale von
Erwerbsarbeit, da sie keinen Erwerbszweck verfolgen. Der Dienst ist nicht auf Gewinnerzielung
ausgerichtet, sondern verfolgt arbeitsmarktneutral
gemeinnützige Ziele. Eine gesetzliche Klarstellung
respektive Regelung dieser Frage erscheint daher
dringend erforderlich. Möglich wäre eine Änderung
von § 14 Abs. 1 S. 3 SGB IV in Verbindung mit
einem erweiterten steuerrechtlichen Privilegierungstatbestand in § 3 EStG mit der Folge, dass
die privilegierten Aufwandsentschädigungen nicht
als Arbeitsentgelt gelten.
39
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Uwe Slüter
Kurzgutachten: Mögliche Rahmenbedingungen für ein
Freiwilligendienstestatusgesetz (FWDStG)
I. Vorbemerkungen
1. Einführung
Freiwilligendienste sind seit einigen Jahren verstärkt
im Blick von Politik und Öffentlichkeit.
Freiwilligendienste bieten den Teilnehmenden Erfahrungsräume. Sie öffnen die Augen für soziale Notlagen
und bieten Einblicke in soziale Berufe. Gleichzeitig tragen sie zur Persönlichkeitsentwicklung bei, indem vor
allem junge Freiwillige lernen, Verantwortung für sich
selbst und andere zu übernehmen, eigenes Handeln,
Verhalten und Einstellungen kritisch zu hinterfragen,
eigenes Handeln bewusster zu erleben und eine realistischere Selbsteinschätzung zu gewinnen. Alle Freiwilligen lernen eigene Grenzen kennen und akzeptieren
und werden dabei unterstützt, eine eigene persönliche
und berufliche Perspektive zu entwickeln. Gleichzeitig
können die Freiwilligen ihre Kommunikations-, Kooperations-, Entscheidungs-, Urteils-, Kritik- und Konfliktfähigkeit erweitern. Freiwilligendienste ermöglichen
Partizipation und Lernen von Mitbestimmung, fördern
zudem die Entwicklung politischer Handlungsperspektiven und ermutigen zur Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung. Freiwillige, insbesondere Freiwillige, die einen Auslandsdienst geleistet haben, bringen
ihre friedens- und entwicklungspolitischen Kompetenzen in unsere Gesellschaft ein.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung strebt in ihrer
Koalitionsvereinbarung von Oktober 2009 eine gemeinsame ressortübergreifende Strategie an, um
einheitliche und transparente Bedingungen für alle
Freiwilligendienstleistenden zu schaffen. Weiter
strebt sie einen einheitlichen Status für Freiwilligendienstleistende im Zuge eines Freiwilligendienststatusgesetzes an. Zudem soll der Kindergeldbezug in
Zeiten geregelter und ungeregelter Jugendfreiwilligendienste vereinheitlicht werden.1
40
In seinem Grundriss einer engagementpolitischen Agenda fordert das Nationale Forum für Engagement und
Partizipation vor allem eine ressortübergreifende und
einheitliche Regelung.2 Darüber hinaus müssen ausreichend Plätze zur Verfügung gestellt werden. Dazu ist die
Bereitstellung der finanziellen und (steuer-) rechtlichen
Rahmenbedingungen notwendig. In diesem Zusammenhang soll auch geprüft werden, ob ein einheitlicher Status
für Freiwilligendienstleistende die Förderung, rechtliche
Absicherung und Ausweitung der Freiwilligendienste
nachhaltig sichern und fördern kann.3
Mit der Absicht, einen einheitlichen Status für Freiwilligendienstleistende zu schaffen, greift die Bundesregierung vor allem einen Beschluss des Deutschen
Bundestages aus dem Jahr 2005 auf. Dort wird die
Bundesregierung aufgefordert zu prüfen, inwieweit
ein Bundesfreiwilligendienstgesetz die Freiwilligendienste nachhaltig sichern und fördern kann.4
Im Zuge der Vorbereitungen zur Fortsetzung des Nationalen Forums, das sich intensiv mit einem Freiwilligendienststatusgesetz beschäftigen will, wurde ich
um ein Kurzgutachten zu möglichen Rahmenbedingungen für ein solches Gesetz gebeten.
Die folgenden Ausführungen plädieren für die Schaffung
eines einheitlichen Mindeststandards für Freiwilligendienste unter Berücksichtigung vorhandener Formate und
besonderer Anforderungen unterschiedlicher Zielgruppen.
Eine verbesserte Förderung der Freiwilligendienste – insbesondere der Jugendfreiwilligendienste – ist notwendig,
aber nicht Gegenstand dieses Kurzgutachtens.
Die Vorschläge sind ein erster Diskussionsbeitrag.
2. Hintergrund
Die Notwendigkeit eines FWDStG wird insbesondere
vor dem Hintergrund einer Freiwilligendienstvielfalt
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
diskutiert, die sich in den letzten Jahren – auch politisch motiviert – entwickelt hat.
3. Übersicht über in Deutschland angebotene
Freiwilligendienstformen:
Geregelte Freiwilligendienste (auf Grundlage gesetzlicher Regelungen oder staatlicher Förderrichtlinien):
• Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ)/Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ): Die weitaus größte Rolle
bei den Freiwilligendiensten spielt das FSJ mit
steigender Tendenz! Daneben können junge Menschen ein FÖJ leisten. Das FSJ und FÖJ können
auch im Ausland geleistet werden. Rechtliche
Grundlage ist das Jugendfreiwilligendienstegesetz
(JFDG).
• Kulturweit: „kulturweit“ ist seit 2009 ein Freiwilligendienstangebot des Auswärtigen Amts in Kooperation mit der Deutschen UNESCO-Kommission. „kulturweit“ ermöglicht Menschen aus Deutschland im
Alter zwischen 18 und 26 Jahren, sich für 6 oder 12
Monate im Ausland im Bereich der Kultur- und Bildungspolitik zu engagieren. Rechtliche Grundlage
ist das JFDG.
• Freiwilligendienste aller Generationen (FDaG): Vor
dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wurden auf Grundlage der Empfehlungen der
Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“ ab
2005 Modellprojekte zum „generationsübergreifenden Freiwilligendienst“ vom BMFSFJ für junge und
hauptsächlich ältere Menschen gefördert. Nachfolger ist das am 1. Januar 2009 gestartete Programm „Freiwilligendienste aller Generationen“.
Wer sich im Umfang von mindestens 8 Wochenstunden für die Dauer von mindestens 6 Monaten
engagiert, erhält u. a. einen Anspruch auf Qualifizierung und fachliche Begleitung und ist in der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert. Rechtliche Grundlage ist die Legaldefinition in § 2 Absatz
1a SGB VII.
• Auch der Europäische Freiwilligendienst (EFD) ist
durch Beschluss des Europäischen Parlaments
und des Rates ein geregelter Dienst. Junge Freiwillige aus Deutschland leisten einen Dienst im Ausland, oder ausländische junge Menschen leisten
einen Freiwilligendienst in Deutschland. Rechtliche
Grundlage ist der Beschluss Nr. 1719/2006/EG des
Rates der Europäischen Union. Der EFD wird ausdrücklich auf EU-Ebene nicht als Beschäftigungsverhältnis gesehen.
• Förderprogramm „weltwärts“: Das Förderprogramm
„weltwärts“ soll das Engagement junger Menschen
für die „Eine Welt“ nachhaltig fördern und versteht
sich als Lerndienst, der jungen Menschen einen
interkulturellen Austausch in Entwicklungsländern
ermöglicht. Die Rahmenbedingungen sind in der
Richtlinie zur Umsetzung des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes des BMZ geregelt.
Nicht geregelte Freiwilligendienste:
• Kurzzeitfreiwilligendienste: Häufig wollen junge
Menschen einen Dienst leisten, der eine kürzere
Dauer als 6 Monate hat. Modelle für kurzzeitige
Freiwilligendienste bieten Einsatzmöglichkeiten
zwischen drei und 6 Monaten, die dem FSJ vergleichbar sind.
• Ungeregelte längerfristige Freiwilligendienste: Das
Ziel der Völkerverständigung prägt die längerfristigen Freiwilligendienste, die sich grundsätzlich
an junge Frauen und Männer richten und mit Ausnahme des „Anderen Dienst“ im Ausland nach §
14b Zivildienstgesetz (ZDG) nicht gesetzlich geregelt sind. Die Bedeutung hat sich seit dem Start
des Förderprogramms „weltwärts“ durch das BMZ
erheblich verringert.
Wo es keine rechtlichen oder fördertechnischen Rahmenbedingungen gibt, die eingehalten werden müssen,
gibt es auch viele Formen von Freiwilligendiensten. Die
Aufzählung ist deshalb nicht abschließend.
Freiwilligendienste haben sich in den letzten Jahren
rasant entwickelt: 5
FSJ Inland
40.000 6
FÖJ Inland
2.200
FSJ Ausland (und FÖJ)
700
ungeregelte FWD Inland 650
Förderprogramm „welt- 2.900
wärts“
sonstige FWD Ausland
2.000 7
Europäischer Freiwilli- 1.200
gendienst (800 Entsendungen; 400 Freiwillige
in Deutschland)
„kulturweit“ 8
190
Zahlen zu den FDaG sind erst ab Februar oder März
2010 im Rahmen der Veröffentlichung einer Befragung zu erwarten (Stand Januar 2010).
41
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
II. Ziele des FWDStG
Folgende Ziele sollten mit der Gesetzesinitiative verbunden sein:
Erhöhung der Übersichtlichkeit und Rechtssicherheit
ohne Schwächung erfolgreicher FreiwilligendienstModelle
Neue gesetzgeberische Vorgaben müssen die vorhandenen Freiwilligendienst-Formen weiter stärken.
Dies gilt insbesondere für das FSJ, aber auch für das
Förderprogramm „weltwärts“.
eng am Förderprogramm „weltwärts“ orientieren,
diese gesetzgeberisch festschreiben und um den
gesamten Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen
Amtes erweitert werden.
• Artikel 4: Freiwilligendienst für Menschen ab 28
Jahre im In- oder Ausland. Es muss geprüft werden, ob zwischen Regelungen für das In- und Ausland zusätzlich unterschieden werden muss. Sollte
es schwierig sein, die unterschiedlichen Bedarfe
der Zielgruppe in einem einheitlichen Status zu
bündeln, kann es auch Sinn machen, das FWDStG
auf Jugendfreiwilligendienste zu beschränken.
Verbesserung der gesellschaftlichen Anerkennung
IV. Inhalte
Ein Fördergesetz muss passgenaue Rahmenbedingungen für die einzelnen Freiwilligendienst-Formate
schaffen, die einerseits Benachteiligungen verhindern, andererseits Anreize schaffen, einen Freiwilligendienstleisten zu wollen.
1. Allgemeiner Freiwilligendienststatus
Verbesserte Rahmenbedingungen für Freiwilligendienste schaffen
Bereits 2005 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, verbesserte Rahmenbedingungen
für Freiwilligendienste zu schaffen. Trotz der Novellierung des JFDG haben sich die Rahmenbedingungen für
Jugendfreiwilligendienste nicht ausreichend verbessert.
Einheitliche Zuständigkeiten für Freiwilligendienste
schaffen
Eine ressortübergreifende Gestaltung der Freiwilligendienste stellt die Zusammenarbeit mit Familien-,
Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Integrations- oder auch
Gesundheitspolitik sicher. Die Steuerung sollte beim
BMFSFJ liegen, auch wenn andere Ressorts Angebote vorhalten. Ein besonderes Augenmerk muss
stets auf die besonderen Interessen und Belange
junger Menschen gelegt werden.
III. Rechtliche Rahmung
Ein FWDStG könnte als Artikelgesetz gestaltet werden mit folgenden Artikeln:
• Artikel 1: Allgemeiner Freiwilligendienststatus
• Artikel 2: Freiwilligendienst für Menschen bis 27
Jahren im Inland. Die Regelungen sollten sich eng
am JFDG orientieren.
• Artikel 3: Freiwilligendienst für Menschen bis 27
Jahren im Ausland. Die Regelungen sollten sich
42
1.1 Ziele
Folgende allgemeine Ziele sollten mit der Regelung
eines allgemeinen Freiwilligendienststatus verbunden sein.
Abgrenzung der Freiwilligendienste vom Pflichtdienst
Regelmäßig wird eine Debatte um die Einführung
einer allgemeinen Dienstpflicht als „soziale Schule
der Nation“ für junge Männer und Frauen alternativ zum Zivildienst geführt. Handlungsleitend in der
Debatte sind befürchtete Lücken im Bereich der sozialen Dienste, und deshalb wird mehrheitlich für einen Pflichtdienst aus funktionalen Gründen plädiert.
Eine allgemeine Dienstpflicht ist nicht nur aus ökonomischen und politischen Gründen, sondern vor allem
aus ethischen und verfassungsrechtlichen Gründen
der falsche Weg. Leitend in der Debatte bleibt, dass
solche Forderungen deutschem und internationalem
Recht widersprechen.
Freiwilligendienste als besonderen Teil des bürgerschaftlichen Engagements beschreiben – Abgrenzung
zum allgemeinen bürgerschaftlichen Engagement
Freiwilligendienste sind eine besondere, eigene Form
des bürgerschaftlichen Engagements, und zwar
jenseits des traditionellen Ehrenamts, jenseits von
Pflicht, Erwerbsarbeit, Ausbildung und Zivildienst.9
Notwendig ist es, trotz aller Gemeinsamkeiten zwischen Freiwilligendiensten und bürgerschaftlichem
Engagement zu unterscheiden, um den Regelungsrahmen für ein künftiges Gesetz einzugrenzen und
gleichzeitig von den Bestrebungen nach einem Bundesgesetz zur nachhaltigen Förderung des bürgerschaftlichen Engagements abzugrenzen.
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Freiwilligendienste als Bildungsprojekt verorten
1.2.1 Mindestanforderungen
Der Bildungsanspruch ist konstitutives Element der
Freiwilligendienste und macht ihre besondere Attraktivität aus. Der Bildungscharakter und der Bildungsanspruch in und von Freiwilligendiensten sind zu erhalten.
Freiwilligendienste enthalten Statuselemente verschiedener anderer Tätigkeitsformen und sind doch
etwas Eigenes:
Freiwilligendienste sind arbeitsmarktneutral zu gestalten
Freiwilligendienste sind zuerst ein Bildungsprojekt mit
einem expliziten Bildungsauftrag in Abgrenzung zum
formalen Lernen. Eine Engführung auf berufsqualifizierende und/oder arbeitsmarktpolitische Instrumente
birgt für die Freiwilligendienste die Gefahr, den Anspruch der Arbeitsmarktneutralität aufzugeben.
Freiwilligendienste für junge Menschen sollen helfen,
die Lebenslagen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu verbessern
Die gesetzlich geregelten Jugendfreiwilligendienste
zielen auf die Verbesserung der Lebenslagen von
Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Soziale Bildung soll jungen Menschen die Möglichkeit geben,
in der Praxis soziale Erfahrung zu sammeln und einen Beitrag zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu
leisten. Damit bezieht sich das JFDG auf das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Der Referenzrahmen
des Kinder- und Jugendhilfegesetz, muss auch im
FWDStG für die Zielgruppe junge Menschen verbindlich festgeschrieben werden. Freiwilligendienste
für Menschen ab 28 Jahren sollen u. a. helfen, in
den Arbeitsmarkt zu integrieren, biografische Übergänge zu gestalten und sinnvolle Engagementfelder
zu entdecken.
1.2 Definition mit Mindestanforderungen für alle
geregelten und ungeregelten Freiwilligendienste
Es gibt unterschiedliche Definitionen von Freiwilligendiensten. Sie reichen von der auf die ganztägigen Dienste ausgerichteten Definition der
Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“10 bis hin zur weiteren Definition von Rauschenbach/Liebig.11 Danach sind
Freiwilligendienste „Dienstverhältnisse innerhalb
gemeinnütziger Organisationen, die im Zwischenbereich von Ehrenamt und (formalen) Bildungsangeboten angeboten werden. Sie sind mit obligatorischen Bildungsangeboten verknüpft und werden
in Form freiwilliger Selbstverpflichtung zumeist von
jungen, aber auch von älteren Menschen in Anspruch genommen.“
• Freiwilligendienste sind nicht „herkömmliches Ehrenamt“, aber freiwilliges bzw. bürgerschaftliches
Engagement.
• Freiwilligendienste sind nicht Pflichtdienst, aber der
Freiwillige verpflichtet sich. Freiwilligendienste sind
keine Arbeitsverhältnisse, aber auch fremdnützige
Hilfstätigkeit.
• Freiwilligendienste sind nicht Ausbildungsverhältnis,
aber Bildungsdienst.
Sortiert man diesen Abgrenzungsmerkmalen positive Kriterien zu, ergeben sich folgende Mindestanforderungen:
• Freiwilligendienste basieren auf einer vertraglichen
Selbstverpflichtung, in der Dauer, Art und zeitlicher
Umfang der Tätigkeit festgelegt werden.
• Freiwilligendienste werden pädagogisch begleitet,
dienen der sozialen und fachlichen Erfahrung.
• Freiwillige leisten „überwiegend praktische Hilfstätigkeiten“, worin auch die gewünschte soziale Komponente und der Bildungscharakter zum Ausdruck
kommen.
• Freiwillige kommen in gemeinwohlorientierten Einsatzstellen bzw. Einrichtungen zum Einsatz.
• Freiwilligendienste werden von gemeinnützigen Organisationen oder öffentlichen Trägern angeboten.
• Freiwillige erhalten einen allgemein gültigen Nachteilsausgleich als Zeichen der Anerkennung, wie
z. B. Anspruch auf Waisenrente und Kindergeld.
1.2.2 Offene Fragen
Bei der Diskussion eines Allgemeinen Status gibt es
einige „Klippen“ und offene Fragen. Zwei Beispiele:
Dauer
Neben formalen Gemeinsamkeiten zwischen Freiwilligendiensten und bürgerschaftlichem Engagement
gibt es vor allem bei der Frage der Dauer unterschiedliche Auffassungen.
• Die Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“
definiert: „Generationsübergreifende Freiwilligendienste sollten länger dauern können als ein Jahr, in
Vollzeit ausgeübt werden oder mit wenigen Stunden
Zeiteinsatz in der Woche, Beruf und Familie begleitend. In der Regel sollte eine Mindestdauer von 3
43
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
zusammenhängenden Monaten mit mindestens 20
Wochenstunden und einer Höchstdauer bis zu 24
Monaten bei Diensten im In- und Ausland eingehalten werden. Bei berufsbegleitenden Formen sollte
jedenfalls eine entsprechende zeitliche Mindestanforderung festgelegt werden.“12 Für die FDaG sind
inzwischen gesetzlich im Rahmen der Legaldefintion nach § 2 Absatz 1a SGB VII mindestens 6 Monate und mindestens 8 Wochenstunden festgelegt.
• Jugendfreiwilligendienste sind in der Regel vergleichbar einer Vollzeittätigkeit. FSJ und FÖJ dauern zwischen mindestens 6 und höchstens 18 Monaten (in Ausnahmefällen 24 Monate).
• Kurzzeitfreiwilligendienste sind ebenfalls Jugendfreiwilligendienste und sind bereits ab 3 Monaten möglich.
• Freiwilligendienste im Ausland sind ebenfalls in der
Regel Vollzeitdienste und dauern in der Regel 12
Monate, aber auch hier gibt es zeitliche Ausnahmen. Einige Träger bieten den Dienst bereits ab 6
Monaten bis zu einer Dauer von 24 Monaten an.
Außerhalb der FDaG gibt es in Deutschland im
Grundsatz nur Vollzeitfreiwilligendienste, die überwiegend Jugendfreiwilligendienste sind. Die politisch geforderte zeitliche Flexibilisierung wurde bei
der Novellierung des JFDG zwar in der möglichen
Ableistung in Blöcken, der Ausgestaltung mit einem
besonderen Konzept bis zu einer Dauer von 24 Monaten, der Möglichkeit der Ableistung mehrerer Freiwilligendienste nacheinander sowie der Option eines
kombinierten In- und Auslandsdienstes umgesetzt.
Eine Abkehr von der Vollzeittätigkeit bei Jugendfreiwilligendiensten war jedoch politisch nicht gewollt.
Die Arbeitsgruppe „Freiwilligendienste“ des BBE definiert Freiwilligendienste in einem Arbeitspapier als
Dienst mit mindestens 3 zusammenhängenden Monaten und maximal 24 Monaten mit je 15 Wochenstunden.13 Die im Fachforum Freiwilligendienste zusammengeschlossenen Träger, zu denen die Mitglieder
des BAK-FSJ, BAK-FÖJ und des Gesprächskreises
Internationale Freiwilligendienste gehören, definieren
Freiwilligendienste als Blöcke aus mindestens drei
zusammenhängenden Monaten; auf der Grundlage
von mindestens 20 Wochenstunden und einer maximalen Dauer von 24 Monaten. Den Trägern geht es
bei dieser Minimaldefinition um eine Abgrenzung zum
bürgerschaftlichen Engagement.
verhältnis der eigenen Art definiert wird. Menschen,
die sich in Freiwilligendiensten sozial und ohne Gewinnerzielungsabsicht engagieren, dürfen in ihrer
sozialen Sicherung jedoch nicht schlechter gestellt
werden, als sie ohne ihr Engagement stünden. Besonders der Schutz vor Krankheit, Unfall, Invalidität
und Haftpflichtschäden – dieser Schutz kann je nach
Lebens-, Berufs- und Familiensituation unterschiedlich aussehen – muss verbindlich geregelt sein.
Fraglich ist, ob ein eigener Status im Rahmen eines
allgemeinen Freiwilligendienststatus konsensfähig ist
und welche Merkmale er haben sollte.
• Die Tätigkeit in den gesetzlich geregelten Jugendfreiwilligendiensten FSJ und FÖJ ist beschäftigungsähnlich und deshalb sozialversicherungspflichtig.14 Träger bzw. Einsatzstellen müssen
vollständig für die Sozialversicherungsbeiträge
aufkommen.15
• Für das Programm Kulturweit gilt wie im FSJ-Ausland die gesetzliche Sozialversicherungspflicht.
• Ungeregelte Freiwilligendienste im Inland sind
nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Beschäftigungsverhältnisse und
damit sozialversicherungspflichtig.16
• Die Freiwilligendienste aller Generationen sind
grundsätzlich sozialversicherungsfrei. Die Freiwilligen sind lediglich in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert.17 Geht der Tätigkeitsumfang über ein Drittel einer vergleichbaren
Vollzeitstelle hinaus, unterliegen die Tätigkeiten
der Einkommenssteuerpflicht18 und es kann auch
dazu kommen, dass die Tätigkeit als sozialversicherungspflichtig eingestuft wird.
• Im Förderprogramm „weltwärts“ besteht keine gesetzliche Sozialversicherungspflicht, weil von einer
Entsendung der Freiwilligen ausgegangen wird.
Der private Versicherungsschutz umfasst mindestens eine Auslandskrankenversicherung, Unfallversicherung inkl. Invalidität und Todesfall, eine
Pflegeversicherung, eine Haftpflicht- und Rücktransportversicherung.
• Der Europäische Freiwilligendienst hält für alle Teilnehmer/innen eine private Kranken-, Unfall-, Invaliditäts- und Haftpflichtversicherung vor.
Rechtliche und soziale Fragen – Status
Ziel sollte ein allgemein gültiger sozialversicherungsrechtlicher Status sein, dieser könnte wie folgt aussehen:
Es gibt vor allem bei der Frage der rechtlichen und
sozialen Absicherung der Freiwilligen große Unterschiede. Ziel muss es sein, dass der Status eines
Teilnehmers an Freiwilligendiensten als ein Rechts-
• Die Freiwilligen sollen von der Rentenversicherung als versicherungsfrei aufgenommen und die
Dienstzeit als beitragsfreie Anrechnungszeit gewertet werden.
44
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
• In der Arbeitslosenversicherung sollten die Freiwilligen nach Beendigung ihres Dienstes denselben Status erhalten, den sie vor ihrem Freiwilligendienst innehatten.
• Die Freiwilligen sollen in die gesetzliche Unfallversicherung einbezogen werden (Berufsgenossenschaft).
• Junge Menschen sollen die Möglichkeit erhalten,
über ihre Eltern in der Familienversicherung versichert zu bleiben.
• Nicht alle Freiwilligen benötigen diesen sozialversicherungsrechtlichen Status umfassend. Im Einzelfall muss geprüft werden, ob insbesondere für
Freiwillige, die älter als 27 Jahre sind, alle Regelungen notwendig ist.
Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass sich ein
derartiger Status einfach realisieren lässt, weil Freiwilligendienste im Inland als beschäftigungsähnlich definiert werden. Der in der Sozialversicherung gebräuchliche Begriff der Beschäftigung geht weit über den
Arbeitsbegriff hinaus. Im Prinzip sind alle Tätigkeiten,
auch die, bei denen der Lerneffekt im Vordergrund
steht, Beschäftigung. Damit sind alle Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland sozialversicherungspflichtig und alle Inlandsfreiwilligendienste damit
wahrscheinlich ebenfalls sozialversicherungspflichtig.
Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Bundesregierung ein Mandat für die Harmonisierung der sozialen Sicherung an die EU abgeben wird,19 deshalb lassen sich europäische Richtlinien zur Schaffung eines
Freiwilligendienststatus in Deutschland nicht nutzen.
Sollte sich ein derartiger allgemeiner sozialversicherungsrechtlicher Status nicht realisieren lassen,
sollten passgenaue Regelungen für die unterschiedlichen Zielgruppen geschaffen werden.
2. Passgenaue Regelungen für die unterschiedlichen Zielgruppen und – Formate
Neben einem allgemeinen Freiwilligendienststatus
sind passgenaue Regelungen für die unterschiedlichen Zielgruppen und Formate (In- und Auslandsdienste für Jüngere und Ältere, siehe oben unter III.,
Artikel 2-4) notwendig.
2.1 Sozialversicherungsrechtliche Absicherung
Für einen Freiwilligendienst für Menschen bis 27 Jahren
im Inland20 sollten die Regelungen des JFDG gelten.
Für einen Freiwilligendienst für Menschen bis 27
Jahren im Ausland sollten die Regelungen des Förderprogramms „weltwärts“ gesetzgeberisch festgeschrieben werden.
Freiwilligendienstleistende ab 28 Jahre benötigen
sehr unterschiedliche rechtliche und sozialversicherungsrechtliche Rahmenbedingungen. Erhalten
sie Taschengeld oder Verpflegung und/ oder Unterkunft in den Einrichtungen, ist davon auszugehen,
dass im Inland Sozialversicherungsbeiträge anfallen. Dann kann auf die Lösung für Artikel 2 (Inland
junge Menschen) oder bei einer Entsendung auf Artikel 3 (Ausland junge Menschen) zurückgegriffen
werden. 21
2.2 Dauer
Empfohlen wird ein Regelungsrahmen für eine überwiegende Tätigkeit, also wenigstens 20 Stunden/
Woche für ältere Menschen, für junge Menschen
sollten 30 Wochenstunden als Regel festgeschrieben werden. Ausnahmen sind denkbar. So lassen
sich sinnvoll Bildungselemente und Begleitangebote
integrieren. Berechtigte Interessen der Organisationen und Einrichtungen hinsichtlich der Planbarkeit
und Verbindlichkeit können so ebenso berücksichtigt werden. Innerhalb dieses Zeitkorridors muss die
Dauer des Freiwilligendienstes flexibel gestaltbar
bleiben.
2.3 Begleitung der Freiwilligen
Unabhängig von der Dauer und Form eines Freiwilligendienstes ist eine Begleitung sicherzustellen, die es
den Freiwilligen ermöglicht, ihre Erfahrungen in einer
Gruppe von Freiwilligen zu reflektieren und in gesellschaftliche Zusammenhänge einzuordnen. Abhängig
von der Zielgruppe und Lebensphase sind unterschiedliche Begleitkonzepte notwendig. Die begleitende Bildung kann sich auch nicht nur auf die Begleitung durch
Mentorinnen und Mentoren beschränken.
Die Notwendigkeit der pädagogischen Begleitung
für junge Menschen ist durch Gesetzesevaluationen
und diverse Befragungen der Freiwilligen belegt. Mit
dem Umfang von 25 Seminartagen pro Freiwilligenjahr wurden in In- und Auslandsdiensten gute Erfahrungen gemacht. Die Seminartage sollten bei Dienstzeiten, die kürzer als ein Jahr sind, wenigstens 2 Tage
pro Monat betragen.
Die pädagogische Begleitung für Freiwillige ab 28
Jahre sollte ebenfalls geregelt sein. Auch sie haben
ein Recht auf Begleitangebote, die sich an den Bedarfen der Freiwilligen ausrichten müssen. Vorgeschlagen wird, „älteren“ Freiwilligen einen Rechtsanspruch auf Seminarteilnahme und Begleitangebote
einzuräumen und sie gleichzeitig zur Teilnahme an
einem Seminartag pro Monat zu verpflichten.
45
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
2.4 Trägerprinzip
Ein Freiwilligendienst braucht in allen Formaten Trägerstrukturen, die in der Lage sind, die Einhaltung
der Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards zu
garantieren. Die Träger übernehmen die Gesamtverantwortung für die Ausgestaltung des Dienstes. Notwendig ist eine plurale Trägerlandschaft und – in der
Regel – eine Trennung von Einsatzstelle und Träger.
Ein wichtiges Ziel des FWDStG sollte die Stärkung
vorhandener Dienstformen und Trägerstrukturen
sein. Eine Beibehaltung des Prinzips der geborenen
Träger, wie sie das FSJ-Gesetz kennt, ist für das Inland zu empfehlen. Das Prinzip der bundeszentralen
Organisation der Jugendfreiwilligendienste sollte mit
dem neuen Gesetz unterstützt und auch für andere
Formate übernommen werden. Neben den bisherigen
bewährten Trägern in den In- und Auslandsdiensten
bedarf es aber auch der Anerkennung neuer Träger
gemäß zu entwickelnder Standards.
Die Rolle des Staates als Anbieter von Freiwilligendiensten ist klärungsbedürftig. Im letzten Jahr initiierte das Auswärtige Amt mit „kulturweit“ einen Jugendfreiwilligendienst für das Ausland ohne Beteiligung
zivilgesellschaftlicher Akteure.
2.5. Anerkennungskultur
Gesellschaftliche Anerkennung für das Engagement
sollte sich auch in Form von Vergünstigungen ausdrücken. Ein Fördergesetz sollte unter dem Stichwort Anerkennungskultur passgenaue Rahmenbedingungen
für die einzelnen Formate schaffen, die einerseits
Benachteiligungen verhindern, andererseits Anreize
schaffen, einen Freiwilligendienst leisten zu wollen.
Beispiele, deren rechtliche Verankerung zielgruppenspezifisch geprüft werden sollte:
• Ausgabe eines „Freiwilligendienst-Ausweises“, der
Voraussetzung wäre für
• eine verbilligte BahnCard,
• kostenlose Familienheimfahrten mit der Bahn,
• die begünstigte Nutzung aller anderen öffentlichen Verkehrsmittel,
• eine ermäßigte Nutzung öffentlicher und privater Angebote wie Theater, Museen, Bäder und Konzerte,
• bevorzugten Zugang/einen Bonus für Universität
und Berufsausbildung,
• Anerkennung als Praktikum bei einschlägigen Ausbildungsgängen,
46
• Verkürzung der Ausbildung bei entsprechenden
Ausbildungsgängen und Tätigkeiten,
• Befreiung von der Praxisgebühr/Medikamentenzuzahlung,
• Befreiung von der Rundfunkgebühr,
• Verlängerung des Kindergeldbezugs um Dauer des
Freiwilligendienstes, da ansonsten eine schnelle Studienaufnahme im Vordergrund stehen könnte. Das
gleiche gilt für die Familienversicherung bei der Krankenversicherung und die Waisen-/Halbwaisenrente.
• Bildungsgutscheine, die vielfältig einsetzbar sind, z. B.
für die Zahlung von Studiengebühren, vor allem aber,
um Fortbildungen und Weiterbildungen zu bezahlen;
• Honorierung der Ableistung eines Freiwilligendienstes
• bei Ausbildungsvergabe im öffentlichen Dienst,
• bei Wartesemesterregelungen an den Universitäten,
• Garantie für Arbeitsplatzerhalt bei Aussetzen (wie
Sabbatjahrregelung),
• Zeugnisse, Zertifikate, Kompetenzbilanzierung.
• Die geringen Freibeträge für Freiwillige bei Bedarfsgemeinschaften beim ALG II machen ein Engagement aus finanzieller Sicht für diese Zielgruppe wenig attraktiv. Hier braucht es höhere Freibeträge.
V. Zusammenfassung
Ein FWDStG bietet die Chance für mehr Rechtssicherheit und Übersichtlichkeit im vielfältigen Bereich
der Freiwilligendienste. Der Bereich kann dadurch
mehr Anerkennung erfahren, weiterentwickelt und
zukunftsfähig gemacht werden.
Dabei wird es darauf ankommen, eine Überregulierung zu vermeiden und einzelne Freiwilligendienstangebote nicht zu schwächen.
Die Diskussion ist auf Grundlage des Koalitionsvertrages
eröffnet. Das Nationale Forum für Engagement und Partizipation bietet eine Plattform zum Austausch und zur
Lösungssuche. Ziel sind sinnvolle, möglichst konkrete
Handlungsvorschläge an den Gesetzgeber, die vom gesamten Feld getragen werden und in ein mögliches Gesetzgebungsverfahren eingespeist werden können.
Anmerkungen
1 Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. Beschlossen
und unterzeichnet am 26.10.2009, S. 80.
2 Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
(2009) (Hg.): Nationales Forum für Engagement
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
und Partizipation. Erster Zwischenbericht. Berlin.
Hintergrund ist die Forderung des Dialogforums
„Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen“,
ein Bundesgesetz zur nachhaltigen Förderung des
bürgerschaftlichen Engagements mit den Zielen
einer systematischen Förderpolitik, Transparenzerweiterung und Beteiligung der Zivilgesellschaft
zu entwickeln. In den Regelungskatalog sollen die
Jugendfreiwilligendienste ebenfalls aufgenommen
werden.
3 Ebd., S. 15
4 Bundestagsdrucksache 15/4395.
5 Vom Autor telefonisch erfragt, aus öffentlich zugänglichen Quellen bezogen oder nach Befragung
Verantwortlicher geschätzt. Basis ist entweder
das Jahr 2009 oder 2008.
6 Die Statistik des BAK FSJ weist für 2007/2008 ca.
35.000 Zugänge ins FSJ aus. Zusätzlich, so wird
geschätzt, gibt es nochmals ca. 5.000 Einsatzplätze bei nicht bundesweit organisierten Trägern.
7 Stand 2008, ohne FSJ-14c (ca. 1.200), incl. 14b
(ca. 550); Quelle: Arbeitsgemeinschaft Dienst für
den Frieden (AGDF).
8 Zum 1.9.09 entsandte Freiwillige.
9 Dieses hat die Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft festgehalten und bezieht sich auch auf
die gleichnamige Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags.
10 „Freiwilligendienste sind eine besondere, staatlich geförderte Form bürgerschaftlichen Engagements, in der sich Jugendliche und junge Erwachsene im Rahmen eines FSJ/ FÖJ, EFD oder auch
eines internationalen Freiwilligendienstes für das
Gemeinwohl engagieren (Enquete-Kommission
„Zukunft des BE“ 2002; S. 251).
11 Weiter: „Freiwilligendienste sind hinsichtlich ihrer
Dauer, Umfang, Einsatzorte sowie sozialer Absicherung und Gratifikation vertraglich zwischen
Freiwilligen und Organisation geregelt, im Falle
bestimmter Dienste zusätzlich gesetzlich festgeschrieben. Sie sind vom Grundsatz her nicht
vergütet und formal zeitlich begrenzt.“ Vgl. Rauschenbach, Thomas; Liebig, Reinhard (2002):
Freiwilligendienste – Wege in die Zukunft. Gutachten zur Lage und Zukunft der Freiwilligendienste für den Arbeitskreis Bürgergesellschaft
und Aktivierender Staat der Friedrich Ebert-Stiftung. Bonn, S. 5.
12 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (2004): Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland. Bericht der
Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft. Berlin, S. 10 und 11.
13 Freiwilligendienste – was sie als eine besondere Form
des bürgerschaftlichen Engagements auszeichnet;
Entwurf eines Positionspapiers der AG 3 „Freiwilligendienste“ des BBE vom 18.9.2009.
14 Dies gilt auch für die ungeregelten Freiwilligendienste im Inland, deren Beschäftigungsumfang
in der Regel mehr als ein Drittel einer Vollzeittätigkeit umfasst. Sie haben zwar keinen Arbeitnehmerstatus, sind jedoch beschäftigungsähnlich
und deshalb in die gesetzlich geregelte Sozialversicherung vollständig einzubeziehen.
15 Bei den Inlandsdiensten steht zwar nicht die für den
Arbeitsvertrag typische Verpflichtung zur Leistung
bestimmter Arbeit im Vordergrund, damit genügt
die Tätigkeit in den Freiwilligendiensten keiner arbeitsrechtlichen Einordnung als Arbeitnehmer/-in.
Allerdings geht der in der Sozialversicherung gebräuchliche Begriff der Beschäftigung weit über
den Arbeitsbegriff hinaus. 16 In Prüfungen einzelner Träger kommen die Prüfer
zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einmal werden
generationsübergreifende FWD im Modellprojekt,
die in Vollzeit angeboten wurden, als voll sozialversicherungspflichtig eingestuft. Eine andere
Prüfung eines Kurzzeitdienstes in Vollzeit kam
zu dem Schluss, dass die Mini-Job-Regelung zugrunde zu legen ist. Es besteht Handlungsbedarf.
17 Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, § 2
Abs. 1a.
18 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (2008): Praxishandbuch zum Freiwilligendienst aller Generationen. Vgl.: www.freiwilligendienste-aller-Generationen.de. S. 34 ff.
19 In der EU wird die Frage von Freiwilligendiensten
unter dem Stichwort Mobilität diskutiert. Die
Mobilitätsempfehlung der EU sieht vor, dass
Freiwillige nicht als Arbeitnehmer zu betrachten
sind und dass ihnen bei grenzüberschreitenden
Aktivitäten keine Steine in den Weg gelegt werden dürfen. Es handelt sich aber nur um eine
Empfehlung. In der gemeinsamen Zielsetzung
des Rates ging es 2007 den Nationalstaaten
darum, Freiwilligendienste unter rechtlichen
Gesichtspunkten zu bewerten. Sie wurden als
nicht-formale Bildungsveranstaltungen und die
Dienstleistenden als Nicht-Arbeitnehmer qualifiziert. Von europäischer Seite gäbe es Ansatzpunkte, die es ermöglichen würden, konsequent
eine eigene Richtlinie für Freiwilligendienste zu
erlassen, die den transnationalen Austausch ermöglicht. Sozialrechtlich ist das verbunden mit
der so genannten Wanderarbeiterrichtlinie aus
dem Jahre 1971.
20 Dies umfasst junge Menschen, die in Deutschland leben oder für einen Freiwilligendienst nach
Deutschland einreisen.
21 Siehe auch Fußnote 10.
47
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Dr. Nicole D. Schmidt
Thesen: Zur Zielgruppe Menschen mit
Behinderungen und Beeinträchtigungen
Kompetenz, Empowerment und gesellschaftliche Teilhabe durch Freiwilligendienste
(Erfahrungen aus Bundesmodellprojekten des
BMFSFJ bei mittenmang)
Menschen mit Behinderungen sind Bürgerinnen
und Bürger, die in unserer Gesellschaft faktisch
noch nicht wirklich gleichgestellt sind, obwohl Gesetzesgrundlagen hierfür vorliegen. Zumeist werden sie als Hilfeempfänger gesehen, für die gesellschaftliche Anstrengungen unternommen werden
müssen.
Die Erfahrungen von mittenmang mit Bundesmodellprojekten zeigen: Das eigene freiwillige Engagement von Menschen mit Behinderungen stärkt
diese Personen in ihren Fähigkeiten, fördert oder
aktiviert ihre Kompetenzen durch den Freiwilligendienst, ermöglicht Empowerment und Bewusstheit anstelle eines Rückzugs oder Verharren in
Betroffenheit. Das Engagement führt zur gesellschaftlichen Teilhabe in Richtung einer inklusiven
Gesellschaft.
Die Sicherstellung der gesellschaftlichen Teilhabe
von Ausgrenzung bedrohter Menschen (etwa Menschen mit Behinderungen oder auch Bürgerinnen
und Bürger mit Migrationshintergrund mit Problemen wie Bildungsferne oder Altersarmut) und die
Förderung des bürgerschaftlichen Engagements
u. a. in Form von Freiwilligendiensten sind gesellschaftspolitische Querschnittsaufgaben. Die Erfahrungen von mittenmang zeigen, dass multiple Problemlagen synergetische Lösungen im freiwilligen
Engagement finden können: persönliche Stärkung
im Spektrum der Lebensbewältigung und Salutogenese, Teilhabe in der Gemeinschaft, Förderung der
Beschäftigungsfähigkeit, positive Effekte in Bezug
auf Bildungsferne, Armutsprobleme (Isolation) und
Gemeinwesen-Effekte.
48
Die Gruppe der Menschen mit Behinderungen stellt
eine zahlenmäßig wachsende Gruppe dar (Zunahme
von Behinderung im Alter/demografische Effekte; Zunahme von psychischen Erkrankungen etc.). Diese
Gruppe ist grundsätzlich geeignet, in bürgerschaftliches Engagement und Freiwilligendienste eingebunden zu werden, wenn die Bedingungen stimmen (z. B.
spezifisches Freiwilligen-Management mit individueller, fachlicher Freiwilligenbegleitung). Zudem können die verschiedenen Altersgruppen – vom Jugendlichen mit z. B. Lernbehinderungen bis zum älteren
Menschen – eingebunden werden.
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Susanne Huth
Thesen: Zum freiwilligen Engagement von Menschen mit
Migrationshintergrund. Zum Begriff „benachteiligte Jugendliche“
Auch wenn repräsentative Daten zum freiwilligen Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund
in Deutschland noch immer fehlen, so ist durch zahlreichen Studien und Praxisbeobachtungen bekannt,
dass Menschen mit Migrationshintergrund im traditionellen Freiwilligensektor und damit auch in den Freiwilligendiensten deutlich unterrepräsentiert sind. Zugleich
nehmen benachteiligte Jugendliche – unter denen solche mit Migrationshintergrund einen überproportionalen
Anteil stellen – die Möglichkeit, einen Freiwilligendienst
zu leisten, verhältnismäßig seltener wahr, als dies Jugendliche mit höheren Bildungsabschlüssen und aus
sozial gesicherten Verhältnissen dies tun.
Die folgenden Ausführungen geben einen knappen
Überblick über
• die Definition von „Migrationshintergrund“ sowie
den Kenntnisstand über das freiwillige Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund;
• den Benachteiligtenbegriff in der Kinder- und Jugendhilfe, der Arbeitsförderung sowie im Bundesprogramm „Freiwilligendienste machen kompetent“.
Zum freiwilligen Engagement von Menschen
mit Migrationshintergrund
Menschen mit Migrationshintergrund
Bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund handelt es sich um Personen, die nach 1949 auf das
heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
zugezogen sind, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländerinnen und Ausländer und alle in
Deutschland Geborene mit zumindest einem zugezogenen oder als Ausländerin bzw. Ausländer in
Deutschland geborenen Elternteil. Der Migrationsstatus einer Person wird hierbei aus seinen persönlichen Merkmalen zu Zuzug, Einbürgerung und
Staatsangehörigkeit sowie aus den entsprechenden
Merkmalen seiner Eltern bestimmt.
Dies bedeutet, dass in Deutschland geborene Deutsche einen Migrationshintergrund haben können, sei
es als Kinder von Spätaussiedler(inne)n, als Kinder
ausländischer Elternpaare oder als Deutsche mit einseitigem Migrationshintergrund. Dieser Migrationshintergrund leitet sich dann ausschließlich aus den Eigenschaften der Eltern ab. Die Betroffenen können diesen
Migrationshintergrund aber nicht an ihre Nachkommen
vererben. Dies ist dagegen bei den Zugewanderten
und den in Deutschland geborenen Ausländer(inne)n
der Fall. Nach den heutigen ausländerrechtlichen Vorschriften umfasst diese Definition somit üblicherweise
Angehörige der 1. bis 3. Migrantengeneration.
Bei den Personen mit Migrationshintergrund wird unterschieden zwischen Personen mit Migrationshintergrund
im engeren Sinne (Zugewanderte und in Deutschland
geborene Ausländerinnen und Ausländer) und solchen
mit Migrationshintergrund im weiteren Sinne.1
Kenntnisstand zum freiwilligen Engagement
von Menschen mit Migrationshintergrund
Die Datenlage über das Ausmaß und die Kontexte
des freiwilligen Engagements von Menschen mit Migrationshintergrund, ihre Motivlagen zur Übernahme
von Engagementaktivitäten und Barrieren gegenüber
einem Engagement ist noch immer unzureichend.
Neuere Zahlen einer Repräsentativbefragung (Halm/
Sauer 2007) zeigen, dass annähernd zwei Drittel
(64%) der türkeistämmigen Menschen mit Migrationshintergrund in Vereinen, Verbänden, Gruppen oder
Initiativen aktiv sind, wobei eine höhere Bildung und
eine längere Aufenthaltsdauer in Deutschland die Beteiligungsquote begünstigen. Dieser Anteil entspricht
in etwa dem Aktivitätsgrad der deutschen Gesamtbevölkerung (70%).
49
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Türkeistämmige Menschen mit Migrationshintergrund
sind am ehesten in türkischen Vereinen und Gruppen
aktiv (40%), vor allem im kulturellen, religiösen und im
Freizeitbereich. Die Beteiligung in interkulturellen und
deutschen Vereinigungen ist dann höher, wenn hier
gemeinsame Anliegen und Interessen berührt werden, beispielsweise in der politischen und beruflichen
Interessenvertretung, im Sport oder bei Aktivitäten
am Wohnort.
den Freiwilligendienst nach Deutschland eingereist
(„Incoming“). Rechnet man diese Gruppe ab, dann
reduziert sich der Anteil von tatsächlich in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländern bzw.
von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf rd.
3 % bzw. 4 % in den beiden Freiwilligendiensten.
Damit sind sie stark unterrepräsentiert angesichts
eines Gesamtanteils von rd. 13 % in der altersgleichen Bevölkerung. 4
Über diese Beteiligung hinaus sind 10% der türkeistämmigen Menschen mit Migrationshintergrund auch
freiwillig engagiert; in der deutschen Gesamtbevölkerung liegt dieser Anteil bei mehr als einem Drittel. Hier
ist der Zusammenhang mit dem Bildungsgrad und
dem beruflichen und finanziellen Hintergrund noch
deutlicher als bei der Beteiligungsquote. Derart besser integrierte Menschen mit Migrationshintergrund
engagieren sich häufiger als solche, die weniger gut
in die Gesellschaft eingebunden sind.
Der Begriff „benachteiligte Jugendliche“ wird in der
Jugendhilfe, Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe genutzt. Der Begriff wird vor allem durch die für die
Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe relevanten
Rechtsbereiche SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) und SGB III (Arbeitsförderungsrecht) umschrieben – jedoch nicht exakt definiert.
Insgesamt engagieren sich Menschen mit Migrationshintergrund eher informell in Bereichen der gegenseitigen Hilfe und Selbsthilfe und in ihren ethnischen
Gemeinschaften. Das „Migrantin- bzw. Migrant-Sein“
bestimmt dabei die Formen und Inhalte des Engagements, die Bewältigung der eigenen Situation bzw. der
Situation der eigenen Gruppe in der Migration steht im
Mittelpunkt und ist Anlass dafür, sich zu engagieren.2
Der Benachteiligtenbegriff schließt neben einer individuellen Beeinträchtigung vor allem eine soziale Benachteiligung mit ein. Die Betroffenen gelten als sozial benachteiligt, wenn ihre Lebenschancen erheblich
eingeschränkt werden, weil sie einer bestimmten
Gruppe angehören. Sowohl das dritte als auch das
achte SGB verbinden mit der sozialen Benachteiligung Rechtsansprüche.
Die Sonderauswertung der Migrantenstichprobe des
zweiten Freiwilligensurvey ergibt, dass sich Menschen
mit Migrationshintergrund zu 61% außerhalb von Familie und Beruf aktiv in Vereinen, Gruppen, Organisationen oder Einrichtungen beteiligen. 23% der befragten
Menschen mit Migrationshintergrund des Freiwilligensurveys sind freiwillig engagiert. Dabei ist zu beachten,
dass in der Migrantenstichprobe des Freiwilligensurveys deutschsprachige und somit eher gut sozial eingebundene Menschen mit Migrationshintergrund vertreten sind. Die Durchführung der Telefoninterviews in
deutscher Sprache führte dazu, dass sich vergleichsweise viele formal höher gebildete Menschen mit Migrationshintergrund an der Umfrage beteiligten.3
Kinder- und Jugendhilfe
Der Evaluation von FSJ und FÖJ ist zu entnehmen,
dass Jugendliche aus dem Ausland oder in Deutschland lebende junge Menschen mit ausländischer
Herkunft einen Freiwilligendienst mit Anteilen von
rd. 6 % im FSJ und rd. 7 % im FÖJ leisten. Nicht alle
Träger betreuen solche Jugendlichen, im FSJ sind
es 60 % der Träger und im FÖJ ist es etwas über
die Hälfte der Träger. Etwa zur Hälfte sind die in Frage kommenden jungen Menschen aus dem Ausland
im Rahmen eines Austauschprogramms extra für
50
Zum Begriff „benachteiligte Jugendliche“
§ 13 SGB VIII bezeichnet als Zielgruppe der Jugendsozialarbeit individuell beeinträchtigte und sozial benachteiligte junge Menschen bis zum 27. Lebensjahr,
die sozialpädagogische Hilfen angeboten bekommen
sollen, die ihre schulische und berufliche Ausbildung,
Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern. Eine nähere Zielgruppenbestimmung
erfolgt im Gesetz selbst nicht.
Von einer sozialen Benachteiligung ist in der Regel
immer dann auszugehen, wenn die altersmäßige
gesellschaftliche Integration nicht wenigstens durchschnittlich gelungen ist, insbesondere bei Haupt- und
Sonderschülern ohne Schulabschluss, Absolventen
eines Berufsvorbereitungsjahres, Abbrechern von
Maßnahmen der Arbeitsverwaltung, schulischer und
beruflicher Bildungsgänge, Langzeitarbeitslosen,
jungen Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, jungen Menschen mit Sozialisationsdefiziten, jungen Menschen, die in besonderen sozialen
Schwierigkeiten sind, bei ausländischen jungen Menschen und Aussiedlern (mit Sprachproblemen) auch
dann, wenn ihre schulischen Qualifikationen höher
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
als der Hauptschulabschluss liegen; schließlich bei
jungen Menschen mit misslungener familiärer Sozialisation und durch gesetzliche Rahmenbedingungen
benachteiligte Mädchen und junge Frauen (http://
www.good-practice.de/3349.php).
Als individuelle Beeinträchtigungen können alle physischen und psychischen oder sonstigen persönlichen
Beeinträchtigungen individueller Art, wie z. B. Abhängigkeit, Verschuldung, Delinquenz, Behinderung
oder auch wirtschaftliche Benachteiligung betrachtet
werden. Aber auch individuelle Beeinträchtigungen,
insbesondere psychische, physische oder sonstige
persönliche Beeinträchtigungen individueller Art,
insbesondere Lernbeeinträchtigung, Lernstörung,
-schwächen, Leistungsbeeinträchtigung, -störungen,
-schwächen, Entwicklungsstörungen sind als solche
einzuordnen.5
Arbeitsförderung
In SGB III werden lernbeeinträchtigte und sozial
benachteiligte Jugendliche als Zielgruppen berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen und bei der
Förderung der Berufsausbildung genannt. In der Geschäftsanweisung für ausbildungsfördernde Maßnahmen (HEGA 05/2007, lfd. Nr. 7) wird die Zielgruppe
nach § 242 „Außerbetriebliche Berufsausbildung“ wie
folgt definiert:
Zur förderungsfähigen Zielgruppe gehören Jugendliche und junge Erwachsene ohne berufliche Erstausbildung, die die allgemeine Schulpflicht erfüllt haben.
Förderungsfähig sind lernbeeinträchtige und sozial
benachteiligte Auszubildende, die auch mit ausbildungsbegleitenden Hilfen eine betrieblichen Ausbildung nicht erfolgreich absolvieren können.
Eine Altersbeschränkung sieht das Gesetz nicht vor.
Als lernbeeinträchtigt gelten Auszubildende
• ohne Hauptschul- oder vergleichbaren Abschluss
bei Beendigung der allgemeinen Schulpflicht,
• aus Förderschulen für Lernbehinderte unabhängig
vom erreichten Schulabschluss,
• mit Hauptschul- oder vergleichbarem Abschluss
bei Beendigung der allgemeinbildenden Schulpflicht ausnahmsweise nur dann, wenn erhebliche
Bildungsdefizite vorliegen, die erwarten lassen,
dass ohne Berufsausbildung in außerbetrieblichen
Einrichtungen ein Berufsabschluss nicht zu erreichen ist. In diesen Fällen ist der Psychologische
Dienst der Agentur für Arbeit einzuschalten.
Als sozial benachteiligt gelten insbesondere Auszubildende unabhängig von dem erreichten allgemeinbildenden Schulabschluss,
• die nach Feststellung des Psychologischen
Dienstes verhaltensgestört oder wegen gravierender sozialer, persönlicher und/oder psychischer
Probleme den Anforderungen einer betrieblichen
Berufsausbildung nicht gewachsen sind,
• die Teilleistungsschwächen (z. B. Legasthenie,
Dyskalkulie, ADS) aufweisen,
• für die Hilfe zur Erziehung im Sinne des Kinder- und
Jugendhilfegesetzes (SGB VII) geleistet worden ist
oder wird, wenn sie voraussichtlich in der Lage
sein werden, die Anforderungen der regulären
Maßnahmen nach § 241 SGB III zu erfüllen. Wenn
aufgrund gravierender Probleme im Bereich der
Erziehung bereits eine hohe Wahrscheinlichkeit
dafür besteht, dass der Abschluss einer nach dem
SGB III geförderten außerbetrieblichen Ausbildung
von dem Jugendlichen nicht erreicht werden kann,
sondern eine Ausbildung in einer speziellen Erziehungseinrichtung angezeigt ist, kann eine Förderung nach dem SGB III nicht erfolgen.
Allein die Tatsache der Unterbringung in einem Erziehungsheim oder in einer sonstigen Form des
betreuten Wohnens bewirkt keine Förderungsverpflichtung der Jugendhilfe für die Kosten, die für die
Teilnahme an der Ausbildungsmaßnahme entstehen.
Die Verpflichtung des Jugendhilfeträgers, während
der Maßnahme weiterhin die Aufwendungen für betreutes Wohnen (§§ 27, 34, 41 SGB VIII) zu übernehmen, wird dadurch nicht berührt.
Die Einzelfallentscheidung erfolgt auf der Grundlage
der engen Zusammenarbeit zwischen öffentlichen
Trägern der Jugendhilfe und der Agentur für Arbeit (§
9 Abs. 3 SGB III, §§ 13, 81 SGB VIII sowie der „Empfehlungen zur Zusammenarbeit der Agenturen für
Arbeit mit den Kommunen bei der beruflichen und sozialen Integration junger Menschen“ (RdErl 14/2000
– Ziffer 4.4).
Davon betroffen sind:
• ehemals drogenabhängige Jugendliche,
• straffällig gewordene Jugendliche,
• jugendliche Spätaussiedler mit Sprachschwierigkeiten,
• ausländische Jugendliche, die aufgrund von
Sprachdefiziten oder bestehender sozialer Eingewöhnungsschwierigkeiten in einem fremden soziokulturellen Umfeld der besonderen Unterstützung
bedürfen,
• allein erziehende junge Frauen/Männer.6
51
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Bundesprogramm „Freiwilligendienste machen
kompetent“
Als Zielgruppe des Bundesprogramms werden ebenfalls „benachteiligte Jugendliche“ gefasst. Wie die
Ergebnisse der Evaluation des FSJ und FÖJ zeigen,
können vor allem Jugendliche aus bildungsfernen
Schichten die im freiwilligen Engagement bestehenden Potenziale und Gelegenheiten für informelle Bildungsprozesse bisher kaum nutzen. Daher wurden
im Bundesprogramm „Freiwilligendienste machen
kompetent“ die Schulqualifikation bzw. der Bildungsstatus junger Menschen als entscheidender Faktor
bzw. Indikator für Benachteiligung definiert. Das Programm richtet sich an junge Menschen aus bildungsarmen, sozial benachteiligten und partizipationsfernen Schichten mit einer niedrigen Schulqualifikation
(kein Schulabschluss oder Hauptschulabschluss).
Unter diesem Aspekt gehören zur Zielgruppe:
• junge Menschen ohne oder mit niedrigen Schulabschlüssen,
• junge Menschen, die nach der Schule keine Ausbildung begonnen oder ihre Ausbildung abgebrochen
haben,
• junge Menschen mit besonderen Problemlagen
bzw. Förderbedarfen (z.B. Sprachvermögen, abweichendes Verhalten, Behinderungen) und
• junge Menschen mit Migrationshintergrund.7
Anmerkungen
1 Quelle: Statistisches Bundesamt: http://www.
destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/
Internet/DE/Content/Statistiken/Bevoelkerung/
MigrationIntegration/Migrationshintergrund/
Aktuell,templateId=renderPrint.psml.
2 Quelle: Huth, Susanne (2009): Handlungsfeld
Beteiligung, in: Mund, Petra; Theobald, Bernhard
(Hg.): Kommunale Integration von Menschen mit
Migrationshintergrund – ein Handbuch. Berlin. S.
283-288.
3 Quelle: Gensicke, Thomas; Picot, Sibylle; Geiss,
Sabine (2006): Freiwilliges Engagement in
Deutschland 1999 – 2004. Wiesbaden. S. 304f.
4 Quelle: Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik e. V. (2006): Ergebnisse der Evaluation des FSJ und FÖJ - Systematische Evaluation der Erfahrungen mit den neuen Gesetzen zur
„Förderung von einem freiwilligen sozialen Jahr
bzw. einem freiwilligen ökologischen Jahr“ (FSJ-/
FÖJ-Gesetze) im Auftrag des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, S. 236f.
52
5 Quelle: Good Practice Center - Förderung von
Benachteiligten in der Berufsbildung (www.goodpractice.de).
6 Quelle:
http://www.arbeitsagentur.de/zentralerContent/A05-Berufl-Qualifizierung/A051-Jugendliche/Publikation/pdf/GA-BaE-07-2007.pdf.
7 Quelle:http://www.fwd-kompetent.de/index.php?id=114.
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Prof. Dr. Gisela Jakob
Thesen: Überlegungen zu einem Freiwilligendienstestatusgesetz
In der Fachdiskussion hat sich in den letzten Jahren
ein Konsens herauskristallisiert, dass ein Freiwilligendienstestatusgesetz (im Folgenden FWDStG) für
die Jugendfreiwilligendienste notwendig ist. Dies hätte den Vorteil einer Angleichung der verschiedenen
Jugendfreiwilligendienste, wie sie derzeit unter der
Federführung verschiedener Ministerien umgesetzt
werden. Darüber hinaus könnte eine solche gesetzliche Regelung, die den Status von Jugendfreiwilligendiensten bestimmt, steuerrechtliche Klarheit
schaffen. Nicht zuletzt ist eine solche Regelung wichtig, um den Status der Freiwilligendienste im Ausland
klarzustellen.
Problematisch erscheint mir eine solche vereinheitlichende Regelung allerdings für die neuen „Freiwilligendienste aller Generationen“ – und dies aus verschiedenen Gründen:
Bislang gibt es in der Fachöffentlichkeit keinen Konsens über die Subsumtion der „Freiwilligendienste
aller Generationen“ unter das Dach „Freiwilligendienste“. Dies macht sich derzeit an der Auseinandersetzung über die zu leistende Mindeststundenzahl
fest. Die Debatte darüber, ob ein Freiwilligendienst
nun mindestens 8 oder 15 Stunden umfassen muss,
ist nur ein Symptom dafür, dass die Unterordnung der
freiwilligen Tätigkeiten in dem generationsbezogenen
Programm unter das Label Freiwilligendienste nicht
überzeugt.
Es fehlt bislang eine fachlich tragfähige Bestimmung, was die „Freiwilligendienste aller Generationen“ als Freiwilligendienste kennzeichnet. Während dies für die Jugendfreiwilligendienste mit dem
Fokus auf Bildungserfahrungen und bürgerschaftliches Engagement in einer lebensgeschichtlichen
Übergangsphase geklärt ist, ist bis heute offen, was
denn nun den inhaltlichen Kern der generationsof
fenen Freiwilligendienste ausmachen soll und – vor
allem – was sie von regulären Formen freiwilligen
bürgerschaftlichen Engagements unterscheidet. Der
Hinweis auf die Begleitung und auf Bildungserfahrungen der „neuen“ Freiwilligendienstler trägt nicht.
In vielen Formen bürgerschaftlichen Engagements,
und dies reicht von den Hospizvereinen und AIDSInitiativen bis zu den Sportvereinen und Freiwilligen
Feuerwehren, sind Bildungsprozesse immanenter
Bestandteil. Dabei wird fachliches Wissen ebenso
erworben wie soziale, kommunikative und reflexive
Kompetenzen. Bildung ist demnach kein exklusives
Element für Freiwilligendienste aller Generationen.
Hinzu kommt bei den generationsoffenen Freiwilligendiensten, dass unklar ist, was – neben der Vermittlung fachlicher Kenntnisse für das Engagement
– die Zielsetzung von Bildungsprozessen sein soll.
Wozu soll eine ein- bis zwei Mal im Monat stattfindende eintägige Qualifizierung in einer max. sechsmonatigen freiwilligen Tätigkeit, die danach i. d. R.
nicht fortgeführt wird, dienen?
Die Kriterien der Verbindlichkeit und der zeitlichen
Anforderungen tragen ebenfalls nicht als besondere Kennzeichnung von Freiwilligendiensten aller
Generationen. Auch andere Formen freiwilligen
bürgerschaftlichen Engagements sind hoch verbindlich angelegt, und nicht selten sind engagierte
Bürgerinnen und Bürger mit einem hohen Stundenkontingent aktiv.
Bleibt als letztes Kriterium noch der Hinweis auf Menschen in Übergangsphasen, die sich in einem Freiwilligendienst aller Generationen engagieren. Aus
meiner Sicht liegen dafür keine aussagekräftigen
Erkenntnisse vor. Dies mag auf einen Teil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zutreffen. Erwerbslose
oder Rentnerinnen und Rentner befinden sich allerdings nicht per se in einer Statuspassage.
53
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Resümee: In vielen Projekten, die derzeit unter dem
Dach der „Freiwilligendienste aller Generationen“
laufen, wird – abhängig von den lokalen Akteuren
– wertvolle Arbeit geleistet. Allerdings gibt es keine
tragfähige fachliche Begründung für die Kennzeichnung dieser Aktivitäten als „Freiwilligendienste aller
Generationen“. Die Tätigkeiten sind Varianten freiwilligen Engagements, die aufgrund der Vorgaben des
Programms sehr stark verregelt sind. Damit sind wiederum zahlreiche Folgeprobleme (Nähe zu Erwerbsarbeit, pauschalierte Aufwandsentschädigungen, Sozialversicherungspflicht etc.) verbunden.
Neben der mangelnden fachlichen Begründung gibt
es weitere Argumente gegen eine noch stärkere
rechtliche Kodifizierung dieser Freiwilligendienste
aller Generationen: Damit würde eine besondere
Variante freiwilligen Engagements festgeschrieben
und staatlich gefördert, die stark verregelt und mit
einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden
ist. Statt eines solchen standardisierten Modells
müsste es derzeit vielmehr darum gehen, ein Modell staatlicher Unterstützung lokaler Engagementförderung zu entwickeln, dass den Kommunen und
den Akteurinnen und Akteuren vor Ort Spielräume
lässt für eine Entwicklung, die den lokalen Gegebenheiten angemessen ist (vgl. dazu das Gutachten von Jakob/Röbke 2010 für das Dialogforum
„Infrastrukturförderung“).
Zum weiteren Vorgehen bezüglich eines Freiwilligendienstestatusgesetzes:
Aus meiner Sicht macht es Sinn, beim weiteren gesetzgeberischen Vorgehen die Regelungen für die Jugendfreiwilligendienste von Regelungen zu anderen
Freiwilligendiensten zu trennen. Da ein Freiwilligendienstestatusgesetz für die Jugendfreiwilligendienste
weitgehend unstrittig ist und z. B. die Situation der
Auslandsdienste verbessern würde, wäre eine zeitnahe gesetzliche „Lösung“ im Sinne eines solchen
Gesetzes angemessen.
Von (weiteren) gesetzlichen Regelungen zu den Freiwilligendiensten aller Generationen würde ich derzeit
entschieden abraten, da es hier noch viele ungeklärte
Fragen gibt:
• So steht eine sorgfältige Evaluation der (neuen) generationsoffenen Freiwilligendienste, in der diese
im Kontext des jeweiligen lokalen Umfeldes in den
Blick genommen werden, noch aus.
• Des weiteren sind die vorgesehenen Regelungen
für diese Freiwilligendienste in der Fachöffentlichkeit und bei den verschiedenen Akteurinnen und
54
Akteuren, die mit Engagementförderung befasst
sind, höchst umstritten.
• Vieles spricht dafür, die Freiwilligendienste aller
Generationen im Kontext der Debatte um eine
Stärkung der lokalen Engagementförderung durch
Bund und Länder zu diskutieren. Dabei könnten
diese Freiwilligendienste eine Variante bürgerschaftlichen Engagements (neben vielen anderen)
sein. Bei einer staatlichen Unterstützung lokaler
Engagementförderung ginge es dann allerdings
nicht um strikte Vorgaben und Detailregelungen,
sondern damit sollten die Kommunen (und die zivilgesellschaftlichen Akteure vor Ort) in die Lage
versetzt werden, einen engagementförderlichen
und -ermöglichenden Rahmen zu schaffen.
Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste
Christiane Richter
Thesen: Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für
Seniorinnen und Senioren im Freiwilligendienst
Die Zahlen der Bevölkerungsstatistik für die Bundesrepublik Deutschland weisen eindeutig den demografischen Wandel aus. Der demografische Wandel
zwingt uns, gesellschaftliche Aufgaben völlig neu zu
denken. Wir können es uns für die Zukunft nicht leisten, auf die Ressourcen der Generation in der dritten
Lebensphase zu verzichten. Vielmehr sollten wir bei
der Gestaltung des bürgerschaftlichen Engagements
und insbesondere der Freiwilligendienste die Realitäten und Möglichkeiten dieser Menschen in unserer
Gesellschaft berücksichtigen.
Erfahrungen in diesem Bereich sind inzwischen
durch den generationsübergreifenden Freiwilligendienst in den Jahren 2005 bis 2008 gesammelt
worden und vom Zentrum für Zivilgesellschaftliche
Entwicklung (ZZE) evaluiert worden.1 Hier kann man
ablesen, dass erhebliche Zuwachsraten im Engagement zu erreichen sind, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Dagegen wird eine Begrenzung auf 24 Monate nicht
akzeptiert, da die Seniorinnen und Senioren, wenn
sie die ihnen angemessene Aufgabe für das letzte Drittel ihres Lebens gefunden haben, ungern ein
so genanntes Engagementhopping wie die jüngeren
Menschen anstreben.
Bei der Konzeption eines Freiwilligenstatusgesetzes
sind daher aus den oben genannten Gründen die
Möglichkeiten und Bedürfnisse der älteren Generation im Sinne eines Gesetzes für alle Generationen
angemessen zu berücksichtigen.
Seniorpartner in School e.V. (SiS) hat seit 2001
Erfahrungen in der Umsetzung eines Freiwilligendienstes sammeln können. Es ist gelungen, in diesem Zeitraum das Konzept von SiS in insgesamt
9 Bundesländern einzuführen und inzwischen 800
Seniorpartner als Mediatoren in den Schulen bundesweit einzusetzen.
Notwendigerweise sollten diese Zahlen gesteigert
werden, da in der Generation der dritten Lebensphase noch erhebliche Reserven schlummern. Zwei Faktoren sind entscheidend, um dieses Ziel zu erreichen:
1. Fragen der Motivation,
2. stimmige Rahmenbedingungen.
Bei der Frage der Motivation wird immer wieder betont, dass Seniorinnen und Senioren einer verbindlichen, verpflichtenden Aufgabe neben dem Aspekt
des lebenslangen Lernens den Vorrang geben.
Die Bereitschaft sich zu engagieren hängt auch maßgeblich davon ab, welcher zeitliche Aufwand je Woche gefordert wird. Eine Verpflichtung von wöchentlich zwischen 5 bis zu höchstens 8 Stunden wird
erfahrungsgemäß als oberste Grenze im Rahmen
einer Verpflichtungserklärung akzeptiert.
Anmerkung
1 Zentrum für Zivilgesellschaftliche Entwicklung,
Die wissenschaftliche Begleitung des Bundesmodellprogramms
Generationenübergreifende
Freiwilligendienste, durchgeführt im Auftrag des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend. Abschlußbericht. September 2008. In:
http://www.freiwilligendienste-aller-generationen.
de/fileadmin/inhalt_dokumente/generationsuebergreifende-freiwilligendienste-080915.pdf.
55
Dialogforum „Bildung
und bürgerschaftliches
Engagement“
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des
Dialogforums am 21. April 2010 und des
vorbereitenden Workshops am 25. März 2010:
• Eva-Maria Antz, Stiftung Mitarbeit
• Katarina Batarilo, Centrum für soziale Investitionen
und Innovationen (CSI)
• Dr. Jeannette Behringer, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
• Dr. Claire Bortfeldt, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Mara Dehmer, Deutscher Verein für öffentliche und
private Fürsorge
• Dr. Karin Fehres, Deutscher Olympischer Sportbund
• Jörg Freese, Deutscher Landkreistag
• Dr. Thorsten Geißler, Bundesministerium für Bildung und Forschung
• Eva Geithner, Deutsche Sportjugend
• Silke Gerstenberger, Stiftung der Deutschen Wirtschaft
• Daniel Grein, Deutscher Bundesjugendring
• Ramona Hartmann, Freiwilligenagentur Cottbus
• Birger Hartnuß, Staatskanzlei Rheinland-Pfalz
• Sigrid Meinhold-Henschel, Bertelsmann Stiftung
• Dagmar Hesse, Bundesministerium des Inneren
• Rainer Hub, Diakonisches Werk der Evangelischen
Kirche Deutschland
• Reinhild Hugenroth, Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik
• Thomas Kegel, Akademie für Ehrenamtlichkeit
Deutschland
• PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
• Michael Kriegel, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband
• Sophia Lehmbrock, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Jens Maedler, Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung
• Nadine Mersch, Deutscher Bundesjugendring
• Dr. Georg Mildenberger, Centrum für soziale Investitionen und Innovationen (CSI)
• Jörg Miller, Universität Duisburg Essen, Zentrum
für gesellschaftliches Lernen und soziale Verantwortung
• Annette Mörchen, Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung
• Prof. Dr. Chantal Munsch, Universität Siegen, Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie
• Prof. Dr. Siglinde Naumann, Fachhochschule Nordhausen
• Prof. Dr. Thomas Olk, Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg
• Bianka Pergande, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung
• Christiane Richter, Bundesverband Seniorpartner
in School
• Sabine Rüger, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
• Carola Schaaf-Derichs, Landesfreiwilligenagentur
Berlin
• Prof. Dr. Ortfried Schäffter, Humboldt-Universität
zu Berlin – Institut für Erziehungswissenschaften
• Yvonne Schütz, Städtetag Baden-Württemberg
• Dr. Hans Th. Sendler, EUSENDOR
• A xel Stammberger, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Tina Stampfl, Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik
• Dr. Annette Steinich, Bundesministerium für Bildung und Forschung
• Bernhard Suda, Diözesan-Caritasverband für das
Erzbistum Köln e.V
• Gottfried Wolf, Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Senioren des Landes BadenWürttemberg
• Brigitta Wortmann, BP Europa SE
• Dr. Gertrud Zimmermann, Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Engagement – Möglichkeiten – Bilden
Bericht über das Dialogforum „Bildung und bürgerschaftliches Engagement“ am 21. April 2010 in
der Humboldt-Viadrina-School of Governance, Berlin
Bereits die Enquete-Kommission des Deutschen
Bundestages zur Zukunft des bürgerschaftlichen
Engagements hat festgehalten, dass Menschen im
Engagement wichtige soziale und personale Kompetenzen erwerben, die das Lernen in Schule und
Hochschule ergänzen können. Doch kommt die Bereitschaft und Fähigkeit sich zu engagieren nicht von
selbst. Sie müssen erworben und gefördert werden,
brauchen Anregungen, Freiräume und Vorbilder.
Mit diesen Fragen befassten sich am 21. April 2010
die 32 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogforums „Bildung und bürgerschaftliches Engagement“. Ziel des Forums war es, bildungs- und engagementpolitische Fachdebatten zusammenzutragen
und so zu verdichten, dass sie als Handlungsempfehlungen für eine nationale Engagementstrategie dienen können. Um dem facettenreichen Thema Bildung und Engagement gerecht zu werden, wurden drei Arbeitsgruppen
gebildet, die sich mit dem Verhältnis von Bildungseinrichtungen und Engagement, mit Qualifizierung und
Weiterbildung für Hauptamtliche und freiwillig Engagierte in zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie
mit der Frage der Anerkennung der im Engagement
erworbenen Kompetenzen befassten. Die Debatte um die Entwicklung von Bildungseinrichtungen hatte zu berücksichtigen, dass Bildungspolitik
in Deutschland Ländersache ist. Daher richteten sich
die Empfehlungen vor allem auf ein Bundesmodellprogramm zur Förderung von Engagement und Partizipation in Kindertagesstätten, Schulen, Hochschulen
und Weiterbildungseinrichtungen sowie auf die Weiterentwicklung von Einzelprogrammen der Ressorts
der Bundesregierung. Die Abstimmung zwischen
Bund und Ländern ist vor allem dann entscheidend,
wenn die Vernetzung von Bildungseinrichtungen mit
bürgergesellschaftlichen Akteuren auf lokaler Ebene
unterstützt werden soll – hier knüpfte das Dialogforum an die bildungspolitische Debatte um lokale Bildungsbündnisse an. Weiterbildung- und Qualifizierung sind essentiell für
eine gute Zusammenarbeit zwischen freiwillig Engagierten und hauptamtlich Tätigen. Deshalb hat das
Dialogforum empfohlen, die Förderung des Bundes in
diesem Bereich stärker auf verschiedene Zielgruppen
und berufsbiografische Verläufe auszurichten. Dies
setzt eine strategische Förderung und Abstimmung
zwischen den Ressorts der Bundesregierung, aber
auch klarere Informationen über bestehende Angebote voraus.
Schließlich ging es bei der Diskussion um die Anerkennung von Kompetenzen aus dem Engagement
darum, dass Kompetenznachweise ein nützliches
Mittel zur Anerkennung solcher Fähigkeiten und Fertigkeiten sein können. Neben der Verwertbarkeit für
die berufliche Laufbahn ging es jedoch vor allem darum, Standards für die Qualität von Kompetenznachweisen zu definieren.
Am Ende wurde festgehalten, dass es auf vielen Feldern noch Forschungsbedarf gibt. Darüber, was bürgerschaftliche Kompetenzen sind und wie und wo sie
erworben werden, weiß man beispielsweise noch zu
wenig. Weiterführende Forschungsfragen zum Zusammenhang von Bildung und bürgerschaftlichem
Engagement ergänzen daher die Ergebnisse des
Dialogforums.
57
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Ergebnisse
Bürgerschaftliches Engagement trägt entscheidend zur
Verbesserung des Bildungs- und Qualifikationsniveaus
in Deutschland bei, benötigt dafür aber lern- und engagementförderliche Rahmenbedingungen. Der Zugang zum
Engagement ist allerdings sozial ungleich verteilt. Ziel
muss deshalb sein, alle Bevölkerungsgruppen unabhängig von Herkunft und Bildungsstand zum bürgerschaftlichen Engagement zu ermutigen und zu befähigen.
1. Öffnung von Bildungseinrichtungen für
bürgerschaftliches Engagement
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen
und Hochschulen sowie Institutionen der Erwachsenenund Weiterbildung wie z. B. die Volkshochschulen und
Einrichtungen der konfessionellen Weiterbildung, aber
auch andere Akteure, die das informelle Lernen pflegen wie z. B. Verbände, Vereine, Initiativen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, sind wichtige Partner
für die Förderung bürgerschaftlichen Engagements, da
sie Menschen in allen Lebensphasen und Lebenslagen
begleiten und fördern. Sie sollen dazu aufgefordert und
darin unterstützt werden, Engagement, Partizipation und
Demokratie in ihr Leitbild und ihre Praxis zu integrieren.
Bildungseinrichtungen und Bildungsinstitutionen können bei der Erfüllung ihres Auftrags durch bürgerschaftliches Engagement bzw. zivilgesellschaftliche
Akteure wirksam unterstützt werden. Die Einrichtungen sollten ermutigt und befähigt werden, Kooperationen mit bürgerschaftlichen Akteuren einzugehen.
(z. B. durch Service Learning). In Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen sollten dafür
geeignete Angebote entwickelt werden.
Bildungseinrichtungen und Akteure aus allen gesellschaftlichen Bereichen sollen motiviert und befähigt
werden, Bildungsbündnisse und Vernetzungen einzugehen, um Lernen in verschiedenen Engagementfeldern zu ermöglichen.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Die Bundesregierung sollte ein Modellprogramm initiieren, das Möglichkeiten zur Stärkung von Engagement und Partizipation in Kindertagesstätten, Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen
aufzeigt. Dabei kann an die Erfahrungen z. B. aus
dem Programm der Bund-Länder-Kommission „Demokratie lernen & leben“ und anderer erfolgreicher
Programme wie z. B. die Förderung von Netzwerken
von Eltern mit Migrationshintergrund in verschiedenen Bundesländern angeknüpft werden.
Es sollte u. a. auf Basis einer Bestandsanalyse geprüft werden, wie in Kooperation mit den Ländern
kommunalpolitische und andere Akteure vor Ort bei
der Vernetzung und Förderung der Zusammenarbeit
von Bildungseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen
Akteuren unterstützt werden können.
Lösungsvorschlag
Durch die Ressorts der Bundesregierung sollte jeweils geprüft werden, inwieweit zielgruppen- und
themenspezifische Programme entwickelt werden
können (z. B. Qualifizierungsmaßnahmen und andere
Formen der qualifizierenden Entwicklungsbegleitung
für Bildungseinrichtungen).
Eine demokratische, kooperative und beteiligungsfördernde Organisationskultur ermöglicht es Lernenden,
sich zu engagieren und ihr Lernumfeld mitzugestalten
Das Thema Engagement und Engagementförderung
sollte in den Bildungsbericht der Bundesregierung und
das nationale Bildungspanel aufgenommen werden.
58
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
2. Qualifizierung und Weiterbildung für Hauptamtliche und freiwillig Engagierte
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Bedarfsorientierte professionelle Begleitung soll
bürgerschaftliches Engagement unterstützen und
fördern. Daher müssen Aus-, Fort- und Weiterbildung von Hauptamtlichen und freiwillig Engagierten
Bestandteil einer Engagementstrategie des Bundes
sein. Sie sollten sowohl dem Bedarf der Hauptamtlichen (Berufsbilder, organisationales Lernen, Freiwilligenmanagement) als auch der freiwillig Engagierten
(optionales Lernen je nach Tätigkeitsbereich, Freiwilligenmanagement) gerecht werden.
Es besteht bereits eine Vielfalt an Bildungs- und Qualifizierungsangeboten, die sich auf unterschiedliche
Zielgruppen und Themenfelder beziehen. Dies führt
zu einer Unübersichtlichkeit der Angebote.
Oftmals fehlt ein gemeinsames Verständnis über
den Eigensinn des freiwilligen Engagements und die
darauf bezogenen Angebote „zivilgesellschaftlichen
Lernens“ (z. B. politische Bildung, Demokratiebildung, lebenslanges Lernen).
In zahlreichen Organisationen fehlt ein Verständnis
für eine integrative Verantwortungskultur (Haupt- und
Ehrenamt verzahnen) und für eine engagementfreundliche Lernkultur aller dort Tätigen.
Übersichtlichkeit und ein gemeinsames Verständnis
sind notwendig für die bedarfsgerechte Weiterentwicklung der Bildungs- und Qualifizierungsangebote
und ihrer Standards.
Lösungsvorschlag
Für Organisationen sollten Anreize geschaffen werden, die Zusammenarbeit mit freiwillig Engagierten in
ihr Leitbild integrieren.
Für eine systematische Weiterbildung, Qualifizierung
und Begleitung von freiwillig Engagierten müssen
verlässliche und transparente Strukturen verstetigt,
neue geschaffen und bekannt gemacht werden.
Bestimmte Bevölkerungsgruppen wie z. B. ältere
Bürgerinnen und Bürger, bildungsbenachteiligte Menschen und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sollten einen besseren Zugang zu lebenslangem
Lernen und Qualifizierungsmöglichkeiten im Engagement erhalten. Dazu zählen neue Zugangswege und
passgenaue Bildungsangebote.
Bildungs- und Qualifizierungsangebote sollten sich
stärker an biographischen Schnittstellen (Übergänge
zwischen Lebensphasen) orientieren. Um entsprechende Angebote zu schaffen, bedarf es weiterführender Forschungsvorhaben und Konzepte.
Hauptamtlich Tätige in Verwaltung, Politik, Bildungseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen für den Umgang mit freiwillig
Engagierten qualifiziert werden. Dies sollte Teil des
Berufsbildes und insoweit Bestandteil der Aus-, Fortund Weiterbildung sein.
Es ist der Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt
förderlich
• gemeinsam Qualifizierungsmaßnahmen zu durchlaufen,
• durch Freiwilligenmanagement die Rollen Hauptamtlicher und freiwillig Engagierter zu definieren
und
• bei der Organisationsentwicklung auf integrierte
„Personalführung“ hinzuwirken.
Hier gilt es, erfolgreiche Modelle weiter zu fördern, neue
zu entwickeln und gute Erfahrungen zu übertragen.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
(Lösungswege)
Die von den Ressorts der Bundesregierung vorangetriebenen Projekte zur engagementbezogenen
Qualifizierung und Weiterbildung sollten in einer Bestandsaufnahme erfasst, evaluiert und weiterentwickelt werden. Dies sollte in eine ressortübergreifende
Vernetzung münden.
Bestehende Angebote der Aus-, Fort- und Weiterbildung sollten bundesweit und online-gestützt transparenter und besser erreichbar gemacht werden.
Es sollte geprüft werden, inwieweit Organisationen
durch ein Engagement-Audit zertifiziert werden können.
3. Anerkennung der im Engagement
erworbenen Kompetenzen
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Engagement braucht Anerkennung. Die Bildungswirkungen des freiwilligen Engagements sollten
gezielt ins öffentliche Bewusstsein gehoben werden. Es sollte sichtbar werden, dass die vielfältigen
Formen freiwilligen Engagements zur Stärkung
59
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
personaler, sozialer, kultureller, fachlicher und methodischer Kompetenzen beitragen. Diese sind für
die freiwillig Engagierten und ihre gesellschaftliche
Teilhabe, für den Zugang zu Bildungseinrichtungen
sowie für den (Wieder-) Eintritt in das Erwerbsleben wichtig, werden aber noch nicht hinreichend
berücksichtigt.
Lösungsvorschlag
Im bürgerschaftlichen Engagement erworbene
Kompetenzen sollten eine stärkere Wertschätzung
erfahren, indem sie im formalen Bildungssystem und
in der Arbeitswelt berücksichtigt sowie in der öffentlichen Wahrnehmung anerkannt werden. Es sollten
vergleichbare und aussagekräftige Nachweisstrukturen (z. B. Kompetenznachweise und Kompetenzbilanzen) geschaffen werden, die dies unterstützen.
Dabei sollte auf bestehende Strukturen aufgebaut
werden.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
In Abstimmung mit den Bundesländern, den zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Wirtschaft
sollte die Bundesregierung Mindeststandards für
Kompetenznachweise entwickeln, die auf bestehenden Kompetenznachweisen aufbauen und für Unternehmen (Personalentscheidungen) und Bildungseinrichtungen aussagekräftig sind. Insbesondere sollte
geprüft werden, wie die Kompetenznachweise für den
Zugang zu Studien- und Ausbildungsplätzen berücksichtigt werden können. Die im Engagement erworbenen Kompetenzen könnten die formalen Bildungsabschlüsse ergänzen. Arbeitgeber (Unternehmen,
Verwaltung und Organisationen) sollten dazu angeregt werden, die im bürgerschaftlichen Engagement
erworbenen Kompetenzen in ihrer Personalverantwortung anzuerkennen.
Die Mindeststandards sollten die verschiedenen Engagementformen (Dauer, Umfang und Art des Engagements, Organisationsform) und die Bedürfnisse
der freiwillig Engagierten in verschiedenen Lebensphasen (Schüler, Erwerbslose, Seniorinnen und Senioren) sowie Prozessqualitäten (z. B. Transparenz,
Partizipation) berücksichtigen.
Da es bereits eine Vielzahl von Kompetenznachweisen und Kompetenzerfassungsverfahren gibt, sollte
ein Überblick über die bestehenden Ansätze geschaffen und ihre Bekanntheit gesteigert werden.
Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) dient
als Referenzrahmen für die europaweite Vergleich60
barkeit von Qualifikationen. Die im Engagement erworbenen Kompetenzen sollten wie beim EQR auch
bei der Entwicklung des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) einbezogen werden.
Die Bundesregierung wird gebeten zu prüfen, wie
Unternehmen dafür gewonnen werden können, Mitarbeitern Zeiträume für die engagementbezogene Qualifizierung zu schaffen. Darüber hinaus sollte geprüft
werden, wie Bund und Länder die Qualifizierung für
das bürgerschaftliche Engagement fördern können,
indem sie sie bei Sonderurlaub bzw. Freistellungsregelungen berücksichtigen.
4. Forschungsbedarf, Datenerhebung und
Berichterstattung
Der Zusammenhang zwischen Bildung und bürgerschaftlichem Engagement ist bislang nicht hinreichend erforscht. Zudem muss die Datenerhebung
und Berichterstattung zu den Themen Bildung und
bürgerschaftliches Engagement grundsätzlich besser
miteinander verknüpft werden.
Die Bundesregierung sollte in Kooperation mit der
Wissenschaft eine Forschungsagenda zum Zusammenhang von Bildung und bürgerschaftlichem Engagement entwickeln. Insbesondere sind dabei folgende Punkte zentral:
a) Es besteht Forschungsbedarf zur Frage, welche Kompetenzen in den verschiedenen Formen
und Ausprägungen des bürgerschaftlichen Engagements erworben werden. Hierzu zählt beispielsweise auch das Engagement mittels elektronischer Medien. Diese Frage ist wichtig, wenn
beispielsweise gezielte Angebote an engagementferne Zielgruppen gerichtet werden sollen. Im Zusammenhang mit diesen Zielgruppen geht es nicht
nur um den Erwerb von beruflichen Kompetenzen,
die formale Bildungsangebote ergänzen, sondern
auch um das „zivilgesellschaftliche Lernen“ demokratischer Denk- und Handlungsweisen.
b) Wie müssen Bildungs- und Qualifizierungsangebote für engagementferne und/oder bildungsbenachteiligte Gruppen gestaltet werden? In diesem Zusammenhang ist auch die Entwicklung
von spezifischen Weiterbildungs- und Beratungsangeboten für Multiplikatoren und Menschen in
pädagogischen Berufen (Lehrer, Kursleiter von
Weiterbildungseinrichtungen etc.) ein wichtiger
Gegenstand der Engagementforschung.
c) Der Zugang zum Engagement ist bislang oft abhängig von der sozialen Herkunft. Es sollte erforscht
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
werden, inwiefern Bildungseinrichtungen dazu
beitragen können, dass auch engagementferne
Gruppen Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement erhalten.
d) Der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Bereitschaft, sich zu engagieren,
sollte mittels einer Erhebung zum bürgerschaftlichen Engagement auf europäischer Ebene vergleichbar werden.
e) Wie können Menschen durch persönliche Ansprache und Begleitung zum Engagement motiviert
werden, und welche Infrastruktur ist dafür nötig?
f) In der amtlichen Statistik, z. B. im Mikrozensus,
sollten die Daten zum Engagement mit solchen
zum Bildungs- und sozialen Hintergrund verknüpft werden.
g) Bürgerschaftliches Engagement sollte als Bestandteil informeller Bildung in die regelmäßige
Berichterstattung zur Bildung aufgenommen werden (dies gilt für Bund, Länder und Kommunen).
Dies sollte auch beim Nationalen Bildungspanel
geschehen.
61
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Birger Hartnuß
Kurzgutachten: Schulöffnung und bürgerschaftliches Engagement
Für die Bewältigung zentraler Herausforderungen und
Probleme unserer Gesellschaft gewinnt bürgerschaftliches Engagement zunehmend an Bedeutung. Es ist
daher auch nicht verwunderlich, dass die Frage danach, wie Bereitschaft und Motivation zum freiwilligen
Engagement entstehen und welche Bedeutung die
Zivilgesellschaft für unser Bildungssystem hat, zunehmend virulent wird. Bürgerschaftliches Engagement
kommt nicht von selbst und automatisch zustande,
sondern bedarf entsprechender normativer Orientierungen und Handlungsdispositionen, die erworben
und erlernt werden müssen. Hierfür wird neben der
Familie, den Peer-Groups und den zivilgesellschaftlichen Organisationen, insbesondere den Jugendverbänden, vor allem den öffentlichen Institutionen des
Erziehungs- und Bildungssystems Verantwortung
zugeschrieben. Im Rahmen des vorliegenden Kurzgutachtens steht daher die Schule als zentrale Instanz im
Erziehungs- und Bildungssystem im Mittelpunkt.1
In den letzten Jahren hat sich für den Erwerb bürgerschaftlicher Kompetenzen in Anlehnung an Debatten
im angelsächsischen Raum auch in Deutschland der
Begriff „civic education“ durchgesetzt. Gemeint ist damit im Kern die Erziehung und Bildung zum „kompetenten, mündigen Bürger“. Im Begriff „civic education“
bündeln sich Ansätze und Strategien der politischen
Bildung, der Stärkung von Partizipation von Kindern
und Jugendlichen, der demokratischen Gestaltung
des Alltags in pädagogischen Einrichtungen sowie
der Förderung von freiwilligem Engagement (vgl.
Hartnuß 2007, S. 165). Ziel ist die Entwicklung bzw.
Herausbildung von Bereitschaften und Fähigkeiten
zur Mitbestimmung bei und Mitgestaltung von allgemeinen gesellschaftlichen und sozialen Belangen.
Bürgerschaftliches Engagement im Zusammenhang
von Bildung, Schule und Lernen zu diskutieren, ist
bislang alles andere als selbstverständlich. Die aktuellen Debatten um die Krise der Schule und um
62
Perspektiven moderner Bildung verweisen jedoch auf
überraschende Anknüpfungspunkte und Bezüge zwischen Bildung, Schule und bürgerschaftlichem Engagement. Die öffentliche Debatte um die PISA-Studie
hatte zunächst tiefe Verunsicherungen ausgelöst.
Nachdem erste Reaktionen vor allem auf schulinterne
Reorganisation und die Intensivierung kognitiver Wissensvermittlung gerichtet waren, gehen die Reformbestrebungen inzwischen erfreulicherweise auch in
andere Richtungen, die neue Denk- und Handlungsoptionen sichtbar werden lassen.
1. Bürgerschaftliches Engagement und Bildung
Es ist sicherlich nicht völlig falsch, gegenwärtig von
einer „neuen Bildungsdebatte“ zu sprechen, die sich
deutlich von den Diskussionen um eine Bildungsreform der vergangenen Jahrzehnte unterscheidet. Es
geht ganz offensichtlich nicht mehr nur um begrenzte
Korrekturen und Justierungen, sondern um grundlegende Veränderungen, um eine konzeptionelle und
institutionelle Neudefinition unseres Bildungs- und Erziehungssystems (vgl. Olk 2007). Diese Bemühungen
um eine Neubestimmung von Bildung und Erziehung
sind keineswegs auf Deutschland beschränkt, sondern lassen sich auch in anderen europäischen Ländern beobachten. In Europa befindet sich die Schule
als Institution und das schulische Lernen insgesamt
in einer Krise (du Bois-Reymond 2007). Die Anforderungen einer globalisierten Wissensgesellschaft,
die tiefgreifenden Umbrüche im System der Arbeit
und der Arbeitsbiographien sowie nicht zuletzt soziale Ausgrenzungsprozesse haben dazu beigetragen,
dass wir völlig neue Formen des Lernens und der Bildung benötigen, um die gesellschaftlichen Herausforderungen meistern zu können (vgl. ebd.).
Neue Konzepte von Bildung und Lernen gehen zunehmend davon aus, dass neben dem formellen
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Lernen in der Schule auch das außerschulische und
informelle Lernen anerkannt, gefördert und mit dem
schulischen Lernen verknüpft werden muss. Gelernt
wird an vielen Orten, auch im bürgerschaftlichen Engagement. Hier liegt die zentrale Herausforderung,
um Schule und bürgerschaftliches Engagement neu
zu denken und damit sowohl für das bürgerschaftliche Engagement als auch für die Schule neue Perspektiven zu eröffnen.
Die geforderte grundlegende konzeptionelle und institutionelle Neudefinition unseres Bildungs- und Erziehungssystems zielt auf ein umfassendes Lern- und
Bildungskonzept, das die unterschiedlichen Bildungsinstitutionen, Bildungsorte, Bildungsaufgaben und
Bildungsprozesse in ein neues Verhältnis bringt, das
Kindern und Jugendlichen optimale Bildungs- und
Teilhabechancen bietet, sie auf die Bewältigung von
Anforderungen des Alltags und der Zukunft vorbereitet und für eine gelingende Lebensführung rüstet.
Unter der Überschrift „Bildung ist mehr als Schule!“
wurde 2002 in den Leipziger Thesen (vgl. Bundesjugendkuratorium u. a.) ein erweitertes Bildungsverständnis formuliert, das aus der Perspektive der
Jugendhilfe verstärkt sozialpädagogische Akzente
setzt. Der zwölfte Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2005) stellt dieses neue Bildungsverständnis in
den Mittelpunkt seiner Analysen und Überlegungen.
Bildung zielt demnach auf eine allgemeine Lebensführungs- und Bewältigungskompetenz. Ein entsprechend erweitertes Bildungskonzept verbindet gleichauf mit Aufgaben der kulturellen und materiellen
Reproduktion auch Aspekte der sozialen Integration
und des sozialen Lernens (vgl. Rauschenbach/Otto
2004, S. 20ff.). Der zwölfte Kinder- und Jugendbericht
unterscheidet in seinem Bildungskonzept daher zwischen einem kulturellen, einem materiell-dinglichen,
einem sozialen und einem subjektiven Weltbezug (vgl.
BMFSFJ 2005, S. 110f.). Mit Bezug auf die kulturelle
Welt geht es um die Aneignung des kulturellen Erbes.
In der materiell-dinglichen Welt müssen Wissen und
Kompetenzen erworben werden, die erforderlich
sind, um sich mit der gegenständlichen Welt auseinanderzusetzen, sich diese anzueignen und sie weiterzuentwickeln. Der soziale Weltbezug zielt auf das
Verstehen der sozialen Ordnung der Gesellschaft, die
Auseinandersetzung mit den Regeln des kommunikativen Umgangs und der politischen Gestaltung des
Gemeinwesens, aber auch auf die Entwicklung von
Kompetenzen zur Beteiligung an der Gestaltung der
sozialen Umwelt. Der subjektive Weltbezug markiert
die Prozesse der Personwerdung, Identitätsbildung
und Persönlichkeitsentfaltung als wichtige Bildungsdimensionen.
Bildung und Lernen werden in diesem Konzept verstanden als ein selbstgesteuerter erfahrungsbezogener Kompetenzbildungsprozess, als ein „anhaltender und kumulativer Prozess des Erwerbs der
Fähigkeit zur Selbstregulierung und als subjektive Aneignung von Welt in der aktiven Auseinandersetzung
mit und in diesen Weltbezügen“ (ebd. 2005, S. 111).
Voraussetzung für solche Bildungsprozesse sind Bedingungen und Gelegenheiten, konkrete Kontexte, in
denen die Welt in diesen unterschiedlichen Dimensionen erschlossen werden kann. Hier geht es sowohl
um Orte, an denen diese Zugänge möglich werden,
als auch um Modalitäten, die es den Menschen ermöglichen, sich lernend mit der Welt auseinanderzusetzen.
Im Kontext eines solchen Bildungsverständnisses
kommt bürgerschaftlichem Engagement ein hoher
Stellenwert zu. Seine Bedeutung für Bildungsprozesse wird im zwölften Kinder- und Jugendbericht
ausdrücklich hervorgehoben. Bildung umfasst demnach nicht nur kognitives Wissen, sondern auch soziales Lernen – Kompetenzen wie Kommunikations-,
Kooperations- und Teamfähigkeit, Empathie und
soziales Verantwortungsbewusstsein – sowie demokratisches Rüstzeug und bürgerschaftliche Kompetenzen – also Partizipations- und Mitbestimmungsfähigkeiten als mündige Bürgerinnen und Bürger.
Bürgerschaftliches Engagement ist dabei sowohl
Bildungsfaktor bzw. -ziel als auch Bildungsort. Engagement und die dabei stattfindenden informellen
Bildungsprozesse z. B. in Vereinen, Projekten und
Initiativen eröffnen Möglichkeiten für ein informelles
Lernen in lebensweltlichen Zusammenhängen, für ein
gemeinsames Problemlösen zusammen mit anderen.
Dabei steht der Erwerb von Wissen in engem Zusammenhang mit der Aneignung bürgerschaftlicher
Kompetenzen. Wissen wird dadurch intensiver und
nachhaltiger angeeignet; Teamfähigkeit und Verantwortlichkeit sind Teil des Lernvorgangs.
Die Zusammenhänge zwischen freiwilligem Engagement und informellem Lernen wurden im Freiwilligensurvey 2004 auch empirisch erfasst. Demnach lässt
sich freiwilliges Engagement als wichtiges informelles
Lernfeld beschreiben. Im Engagement werden einerseits Fachwissen, andererseits soziale und organisatorische Kompetenzen erworben. Dies gilt besonders
bei jungen Menschen. Sie erwerben durch ihr Engagement vielfach Fähigkeiten, die für sie persönlich
wichtig sind. 55 % der Engagierten im Alter zwischen
14 und 30 geben an, dass das Engagement in sehr
hohem bzw. hohem Maße Gelegenheiten zum Erlernen von Fähigkeiten bietet, die für sie persönlich
63
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
wichtig sind (vgl. Gensicke u. a. 2006, S. 27 ff.). Dass
in Settings des freiwilligen Engagements informelle
Lernprozesse stattfinden und dabei Kompetenzen erworben werden, die für eine moderne Bildung hohe
Bedeutung haben, belegen auch die Ergebnisse einer empirischen Studie der Technischen Universität
Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts zum
informellen Lernen im Jugendalter (vgl. Düx u. a.
2008). Demnach verfügen in ihrer Jugend engagierte
Erwachsene über mehr Erfahrungen und auch Kompetenzen als Nicht-Engagierte. Dies gilt insbesondere für Organisations-, Gremien- und Leitungskompetenzen. Ein weiterer zentraler Befund der Studie
betrifft die sozialisatorische Wirkung freiwilligen Engagements: Wer als Jugendlicher gesellschaftliche
Verantwortung übernimmt, engagiert sich mit großer
Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsener.
2. Schule und Bürgergesellschaft
Bislang ist weder ein breiter gesellschaftlicher Diskurs darüber im Gange, warum „bürgerschaftliches
Engagement“ in der Schule betrieben werden sollte,
noch hat das bürgerschaftliche Engagement Eingang
gefunden in die allgemeinen pädagogischen Zielbestimmungen der Schule (vgl. Edelstein 2007). Wenn
jedoch – ausgehend von einem erweiterten Verständnis – Bildung nun also nicht nur kognitives Wissen,
sondern auch soziales Lernen (Kompetenzen wie
Kommunikations-, Kooperations- und Teamfähigkeit,
Empathie und soziales Verantwortungsbewusstsein)
sowie demokratisches Rüstzeug und bürgerschaftliche Kompetenzen (Partizipations- und Mitbestimmungsfähigkeiten als mündige Bürgerinnen und
Bürger) umfasst, dann sind auch die pädagogischen
Institutionen gefordert, Arrangements zur Verfügung
zu stellen, die es ermöglichen, dass in der nachwachsenden Generation Bereitschaft und Fähigkeiten zur
Übernahme von Verantwortung für das Gemeinwesen und zur aktiven Beteiligung an der Gestaltung
des sozialen, kulturellen und politischen Lebens entwickelt werden.
Der Schule als einzige Einrichtung, die (grundsätzlich) alle Kinder und Jugendlichen erreicht, kommt dabei besondere Aufmerksamkeit zu. Aber auch wenn
die Bedeutung bürgerschaftlicher Kompetenzen für
ein modernes Verständnis von Bildung anerkannt
wird, stellt sich dennoch die grundsätzliche Frage,
ob die Institution Schule als eine tragende Säule des
Bildungssystems strukturell überhaupt dazu in der
Lage ist, diese Komponenten von Bildung zu vermitteln, entsprechende Lern- und Erfahrungsräume zu
eröffnen und dabei auch noch mit anderen gesell64
schaftlichen Institutionen und Akteuren zu kooperieren, oder ob diese Anforderungen an die Schule
eher naiv sind, von vornherein eine Überforderung
bedeuten und von daher zum Scheitern verurteilt
sind. Rauschenbach (2005) macht in diesem Kontext
auf einige Spannungsfelder zwischen Schule und
bürgerschaftlichem Engagement aufmerksam, die
vergegenwärtigen, dass beide Bereiche unterschiedlichen Funktionslogiken unterliegen und nicht ohne
weiteres miteinander vereinbar sind. So ist die Schule eine Pflichtveranstaltung, der die Wahlfreiheit des
bürgerschaftlichen Engagements gegenüber steht.
Die Schule ist in erster Linie von professioneller, bezahlter Arbeit akademisch ausgebildeter Pädagogen
geprägt. Bürgerschaftliches Engagement dagegen
lebt vom Engagement aus freien Stücken, nicht von
bezahlter Arbeit. Schule steht in dem strukturellen
Zwang zur Leistungsbewertung und Differenzbildung.
Sie ist damit ein Ort der Selektion. Bürgerschaftliches
Engagement lebt vom gemeinschaftlichen Tun, vom
gemeinsamen Handeln für eine Idee oder ein Vorhaben ohne direkten Leistungsdruck und Bewertung.
Schule ist eine eigenständige Lernwelt, die tendenziell vom persönlichen Lebensumfeld der Schülerinnen und Schüler abgekoppelt ist. Bürgerschaftliches Engagement entfaltet sich dagegen in aller
Regel in lebensweltlichen Bezügen sozialer Orte und
Nahräume. Dort werden Schülerinnen und Schüler im
ganzheitlichen Sinne als Menschen wahrgenommen,
wohingegen sie in der Schule vor allem Träger der
Schülerrolle sind. Inhalte und Themen schulischen
Lernens sind durch Curricula und Lernpläne weitgehend vorgegeben, Wahl- und Entscheidungsspielräume sind eingeschränkt. Im freiwilligen Engagement ist
es dagegen offen, für welche Projekte ich mich entscheide. Im konkreten Engagement gibt es wiederum
deutlich mehr Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten als in der Schule. Schulisches Lernen
findet häufig ohne unmittelbaren Bezug auf konkrete
Anlässe und direkte Verwertbarkeit statt, bleibt damit
abstrakt. Bürgerschaftliches Engagement setzt in
der Regel unmittelbar an realen Situationen an und
versucht, Lösungen für konkrete Anforderungen zu
entwickeln. Und schulisches Lernen ist in der Regel
„Vorratslernen“ in einer „Als-ob-Situation“, es ergeben sich aus künstlichen Lernarrangements keine direkten und unmittelbaren Folgen. Bürgerschaftliches
Engagement dagegen ist stets Handeln in realen Situation mit realen Konsequenzen des eigenen Tuns.
Aus dieser Gegenüberstellung lässt sich leicht schließen, dass sich Partizipation und Bürgerengagement
als Bildungsziel nicht ohne weiteres, gewissermaßen
als zusätzliche Bildungsaufgabe in traditioneller Form
curricular in der Schule verankern lässt. Im Schulalltag
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
stoßen daher Demokratie- und Engagement-Lernen,
insbesondere wenn sie den schulischen Kernbereich
des Unterrichts berühren, immer wieder an Grenzen
von Notendruck, begrenzten Zeitbudgets, engen
Lehrplanvorgaben und frontalen Methoden (siehe die
Beiträge in Böhme/Kramer 2001). Demokratie- und
Engagement-Lernen kann daher nicht allein im Unterricht stattfinden. Partizipation und Bürgerengagement müssen vielmehr als Prinzipien im Schulalltag
spür- und erfahrbar sein und sich als Elemente der
Schulkultur entfalten.
Eine solche Schul- und Lernkultur lässt sich jedoch
nicht in einem künstlichen, hermetisch gegenüber
der realen Lebenswelt abgeschotteten Lernort Schule entwickeln. Schule ist dabei auf die Kooperation
mit außerschulischen Partnern und Akteuren angewiesen; sie muss sich hin zu ihrem Umfeld öffnen
und selbst Teil und Ort des Gemeinwesens werden.
Diese Forderung (einer gemeinwesenorientierten
Schule) ist nicht neu, und in den vergangenen Jahren
haben Impulse für eine äußere Öffnung im Schulsystem spürbare Verbreitung gefunden. Eine Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts macht darauf
aufmerksam, dass es kaum noch eine Schule gibt,
die keine Beziehungen zu Einrichtungen, Diensten
und Organisationen im Wohnumfeld aufgebaut hat
(vgl. Behr-Heintze/Lipski 2005). Die Aufnahme von
Kontakten und die Kooperation von Schule mit außerschulischen Partnern sind eine wichtige Bereicherung für schulisches Leben und Lernen und eröffnen
darüber hinaus neue Chancen auch für Engagementund Demokratie-Lernen. Umgekehrt ist Kooperation
allein jedoch noch kein Garant dafür, dass sich Schulen eine demokratische „Verfassung“ geben und sich
Partizipation als Gestaltungsprinzip schulischen Alltags manifestiert. Dafür bedarf es beider Seiten, gepaart mit einer äußeren Öffnung der Schule für Kooperationen, Partnerschaften, Bündnisse mit Akteuren
der Zivilgesellschaft, müssen sich Bürgengagement
und Demokratie im Selbstverständnis der Schule
niederschlagen, und zwar derart, dass sich demokratische Spielregeln in den normalen Mechanismen und
Abläufen des schulischen Alltags widerspiegeln und
von allen in und an Schule Beteiligten erlebt werden.
Worum es bei der Etablierung bürgerschaftlicher Bildungsansprüche in der Schule geht, ist daher nicht
weniger als ein Prozess schulischer Organisationsentwicklung, in der demokratische Prinzipien der Mitbestimmung und Mitgestaltung sowie die Öffnung der
Schule hin zum Gemeinwesen Eingang finden in schulische Leitbilder und Selbstverständnisse, die sich im
Schulalltag als Kultur der Teilhabe niederschlagen.
Die Enquete-Kommission des Bundestages hat hier
für ein Leitbild entworfen, mit dem sie die Schule als
demokratischen Ort und partnerschaftlich orientiertes
Lernzentrum im Gemeinwesen beschreibt. Dieses
Leitbild zeichnet sich durch eine enge Verknüpfung
und Kombination von Strategien der inneren und äußeren Öffnung von Schule aus. Wege der inneren
Öffnung zielen darauf ab, durch neue Formen des
Unterrichtens und Lernens Prinzipien wie Handlungsorientierung, eigentätiges und verständnisintensives
Lernen zu stärken und dabei Erfahrungen der demokratischen Mitbestimmung und der Verantwortungsübernahme in realen Handlungs- und Entscheidungssituationen zu ermöglichen. Gleichzeitig geht es um
die demokratische Gestaltung des Schulalltags insgesamt durch bspw. die Aufwertung der Rolle von
Schüler- und Elternvertretungen, die Stärkung von
Begegnungs- und Kooperationsformen und ein gemeinsames Engagement von Schülern, Lehrern und
Eltern. Strategien der äußeren Öffnung zielen auf die
Einbettung der Schulen in das umliegende Gemeinwesen, ihre Integration in die lokale Bürgergesellschaft. Durch die enge Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen, zivilgesellschaftlichen Akteuren
und auch Wirtschaftsunternehmen können schuluntypische Zugänge und Sichtweisen in Prozesse des
schulischen Lernens und Lebens einbezogen werden. Dadurch erfährt Schule eine lebensweltliche Öffnung und Bereicherung. Sie kann dadurch gleichzeitig für Aktivitäten und gemeinschaftliches Leben der
Gemeinde aufgeschlossen werden und sich zu einem
Zentrum des Gemeinwesens entwickeln.
In Deutschland wird gegenwärtig verstärkt auf den
Ausbau von Ganztagsschulen gesetzt. Die Ausdehnung der täglichen Schulzeit und die dabei zum Tragen kommenden pädagogischen Konzepte innerhalb
und außerhalb des Unterrichts bieten vielfältige Anlässe und Gelegenheiten für Zusammenleben und
-arbeiten im Sinne einer demokratischen und bürgerschaftlichen Gemeinschaft. Umgekehrt eröffnen
bürgerschaftliche Perspektiven der Schule – nicht
nur der Ganztagsschule – sowohl neue Chancen für
Unterricht und Wissensvermittlung als auch für einen umfassenden Bildungsanspruch, der soziale und
bürgerschaftliche Kompetenzen gleichbedeutend mit
einschließt. Formen der Kooperation der Schule mit
der Jugendhilfe sowie anderen Akteuren des Gemeinwesens können wichtige Beiträge für die Verbesserung der Bedingungen für Bildung, Erziehung und
Betreuung liefern.
Dass diese Vorstellung nicht nur an Argumentationskraft sondern auch an praktischer Relevanz gewonnen hat, findet seit einigen Jahren seinen Ausdruck
in der Diskussion um die Gestaltung kommunaler
65
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
bzw. regionaler Landschaften der Bildung und des
Lernens (vgl. Deutscher Verein 2007). Kern dieser
Debatte ist die Sichtbarmachung und Akzeptanz der
spezifischen Stärken und Potenziale unterschiedlicher Bildungsorte (sowohl formelle, nonformale wie
informelle) mit dem Ziel, sie vermehrt aufeinander zu
beziehen, in Kooperation zu bringen und auf diese
Weise dem Anspruch eines umfassenden Bildungsangebots im lokalen Raum gerecht zu werden. Die
konkrete Gestaltung so verstandener Bildungs- oder
Lernlandschaften berührt vor Ort ganz verschiedene
Handlungsdimensionen. Mit Blick auf die Adressatinnen und Adressaten von Bildungsangeboten geht
es um die Gestaltung anregender Lern- und Lebensumgebungen mit Gelegenheitsstrukturen (auch)
für informelles Lernen. Unter zivilgesellschaftlicher
Perspektive geht es um die Konstituierung öffentlich
verantworteter, partizipativ orientierter Bildungsnetzwerke. Aus professioneller Perspektive stellt
sich die Aufgabe inter-institutionell koordinierter
Fortbildungen von Fach- und Leitungskräften. Und
nicht zuletzt geht es aus einer planerischen Perspektive um die Etablierung einer integrierten Bildungsplanung als Teil der Raum- und Stadtplanung
(vgl. Stolz 2008).
3. Schulöffnung, Engagement- und Demokratieförderung in Schulen – Erfahrungen, Ansätze und Methoden
In vielen Schulen gib es bereits gute, zum Teil auf
jahrelange Erfahrungen und Traditionen beruhende
Ansätze der Förderung gesellschaftlicher Verantwortung und schulischer Öffnungsprozesse. Gleichwohl
halten die Vorwürfe, die mit der Debatte um eine bürgerschaftliche Orientierung von Schule verbundenen
Erwartungen seien nur „alter Wein in neuen Schläuchen“, all dies gäbe es doch längst, einem Realitätscheck nicht stand. Die entscheidende Frage bleibt
letztlich, inwiefern all diese Projekte und Ansätze
eine strategische Verankerung in den pädagogischen
Konzepten der Schule erfahren, sie miteinander verknüpft und integraler Bestandteil schulischen Selbstverständnisses oder jenseits des Kernauftrages der
Institution lediglich schmückendes Beiwerk sind,
das zwar durchaus willkommen, im Ernstfall aber
doch entbehrlich ist. Genau hieran aber mangelt es
in der Praxis noch häufig. Gleichwohl: Auf dem Weg
zu einem demokratischen, Engagement und Verantwortung fördernden, kooperativen Leitbild fangen die
Schulen nicht „bei Null“ an. Es gibt ermutigende Ansätze und Entwicklungen, von denen die Wichtigsten
im Folgenden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
skizziert werden.
66
Besonders sichtbarer Ausdruck bürgerschaftlicher
Öffnung von Schulen sind Formen der Zusammenarbeit mit Vereinen, Verbänden und anderen Einrichtungen im schulischen Umfeld. Es gibt kaum
eine Schule, die völlig hermetisch gegenüber ihrem
Wohnumfeld existiert. Schulkooperationen mit Organisationen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit, des Sports, der Kultur, des Natur- und
Umweltschutzes etc. gehören zur Normalität im deutschen Schulsystem. Die Öffnung der Schulen für
Kooperationen und Partnerschaften mit öffentlichen
Einrichtungen und gesellschaftlichen Organisationen
im schulischen Umfeld ist inzwischen in den Schulgesetzen aller Länder verankert. Externe Akteure,
Ressourcen und Potenziale bereichern schulisches
Leben, tragen zur Öffnung gegenüber dem Gemeinwesen bei und unterstützen erfahrungsorientiertes
Lernen. Dies allein ist jedoch noch kein Hinweis auf
eine Verankerung demokratischer und bürgergesellschaftlicher Prinzipien im Schulalltag (vgl. BehrHeintze/Lipski 2005). Gleichwohl ist das Spektrum
bürgerschaftlicher Initiativen in und für Schulen außerordentlich bunt und vielfältig.
Projektunterricht ist eine etablierte Unterrichtsform;
dabei arbeiten Schulen regelmäßig mit Externen und
Partnern im schulischen Umfeld zusammen. Projekttage und Projektwochen tragen häufig dazu bei, dass
der räumliche Rahmen der Schule überschritten wird
und Schülerinnen und Schüler Erfahrungen in Realität und Alltag von Unternehmen, Einrichtungen und
Organisationen machen. Sie sind damit ein wichtiger
Baustein der äußeren und inneren Öffnung.
Auch Sozialpraktika und Seitenwechselprojekte sind
inzwischen an vielen Schulen ein fester Bestandteil.
Sie ermöglichen Schülerinnen und Schülern vielerorts
Einblicke in fremde Lebenswelten und ermöglichen
das Erproben von Verantwortungsübernahme und
Engagement. Dabei kooperieren Schulen mit sozialen
Einrichtungen und Organisationen wie bspw. Pflegeheimen, Krankenhäusern oder sozialen Projekten für
Wohnungslose. Nicht selten unterstützen bei diesen
Aktivitäten auch Freiwilligenagenturen und ähnliche
Einrichtungen die Schulen mit Beratung, Begleitung
und Vermittlung entsprechender Einsatzstellen.
Besondere Bedeutung für eine bürgergesellschaftliche Ausrichtung von Schulen hat die Beteiligung
von Eltern sowie die Zusammenarbeit mit Elternfördervereinen, die sich vielerorts gegründet haben.
Über die traditionelle Arbeit der Elternvertretungen
hinaus spielt die Unterstützung von Elterninitiativen
und schulischer Fördervereine eine zunehmend größere Rolle. Dabei akquirieren sie nicht nur finanzielle
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Mittel für die Schule, sie bringen sich auch mit vielfältigen Aktivitäten in das Schulleben ein und fungieren bisweilen als Agenten für die Gewinnung und
Vermittlung externer Kompetenzen (z. B. für Projektwochen). Nicht selten sind Fördervereine Träger für
bestimmte Vorhaben und Projekte wie Schulfeste
oder Schulkonzerte.
An vielen Schulen haben sich Projekte und zum Teil
auch längerfristige Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen etabliert. Unternehmen stärken Bezüge
zur Arbeitswelt, unterstützen bei der Einmündung in
Arbeit und Beruf, bringen finanzielle Ressourcen und
fachliches Know How in die Schulen ein. Die Landschaft solcher Kooperationsvorhaben und gemeinsamer Projekte im Rahmen von Corporate-Citizenship-Programmen von Unternehmen ist inzwischen
extrem vielfältig (vgl. hierzu ausführlich Hartnuß/Heuberger 2010, S. 478ff.). Um Wirtschaft und Schulen
stärker aufeinander zu beziehen, haben sich deutschlandweit rund 450 regionale Arbeitskreise „Schule –
Wirtschaft“ gegründet. Ziel ist vor allem die ökonomische Bildung der Schülerinnen und Schüler und die
Vorbereitung auf das Berufsleben.
An Bedeutung gewonnen haben in den vergangenen
Jahren auch unterschiedliche Formen von Patenschafts- und Mentoring-Projekten. Dabei geht
es sowohl um Hilfen bei den Hausaufgaben, um
Schlichtung von Konflikten und Schwierigkeiten im
Schulalltag wie zu Hause als auch um Unterstützung
bei Bewerbungen und beim Einstieg in Ausbildung
und Beruf. Das Spektrum dieser Aktivitäten ist inzwischen erheblich angewachsen. Insbesondere Seniorinnen und Senioren nutzen diese Möglichkeiten, um
ihre Erfahrungen und Kompetenzen in der nachberuflichen Phase für das Gemeinwohl einzubringen. Sie
bereichern damit den schulischen Alltag und bieten
Kindern und Jugendlichen in der Schule Angebote,
die von professionellen Pädagogen in dieser Form
häufig nicht angeboten werden können.
Eine zentrale Form der Einübung von Demokratie
und Mitbestimmung in der Schule ist die Schülerpartizipation. Hierzu gehören die Übernahme formaler
Funktionen wie Klassen- und Schülersprecher, die
Mitgliedschaft in Schülerräten und Schulkonferenzen,
aber auch die Mitarbeit bei Schülerzeitungen oder
Projekten in der Schule. Inzwischen gibt es vielerorts
Initiativen, die formalen Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule auf eine breitere Basis zu stellen
und damit das schulische Leben insgesamt zu demokratisieren. Der Aufbau von Klassenräten, Stufenund Schulparlamenten verfolgt einen basisdemokratischen Ansatz, der Partizipation und Mitbestimmung
jeder und jedes Einzelnen in der Schule von Anfang
an ermöglicht (vgl. Edelstein 2007).
Viele (außerschulische) gesellschaftliche Akteure
und Organisationen bemühen sich seit einigen Jahren intensiv darum, Möglichkeiten für Mitbestimmung
und Mitgestaltung von Kindern und Jugendlichen zu
stärken und nehmen dabei zunehmend auch den
Lern- und Lebensort Schule in den Blick. Partizipation ist zentrales Anliegen von Bundes- und Landesjugendringen. Stiftungen wie die Deutsche Kinder- und
Jugendstiftung und die Stiftung Demokratische Jugend entwickeln neue Praxismodelle und beteiligen
sich an ihrer Umsetzung. Servicestellen für Jugendbeteiligung sind Ansprechpartner und bieten vor Ort
Unterstützung an. Im BLK-Programm „Demokratie
lernen & leben“ wurden zahlreiche Praxisbausteine
und Anregungen erarbeitet, die in Schulen erprobt
und umgesetzt werden können. Leider gab es für das
Programm nach seinem Ausklang infolge der Föderalismusreform keine (bundesweite) Anschluss- bzw.
Transfermöglichkeit. Die Deutsche Gesellschaft für
Demokratiepädagogik (DeGeDe) bemüht sich seither
darum, die in dem Programm gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse in der schulischen Wirklichkeit zu verankern. Einige Länder haben ihrerseits
Transferprogramme auf den Weg gebracht und führen
damit ihre demokratiepädagogischen Bemühungen in
Schulen fort. Insgesamt aber sind die Potenziale für
Selbst- und Mitbestimmung von Schülerinnen und
Schülern in der Schule längst nicht ausgeschöpft (vgl.
Bertelsmann Stiftung 2007).
Zwar gibt es im Bereich der Öffnung der Schule vielfältige Ansätze und Erfahrungen der Kooperation
und Unterstützung, jedoch sind solche Projekte und
Vorhaben, in denen es ausdrücklich um die Verknüpfung von schulischen und außerschulischen Lernprozessen und um den Erwerb bürgerschaftlicher Kompetenzen geht, mit Blick auf die Gesamtheit unserer
Schulen bislang noch die Ausnahme. In diesem Zusammenhang hat in Deutschland seit einigen Jahren
die Methode des Service Learning an Bedeutung
gewonnen (vgl. hierzu ausführlich Sliwka 2004). Service Learning ist ein Lehr-Lernprinzip. Es beinhaltet
das Lernen gesellschaftlicher Verantwortung in Verbindung mit der praxisorientierten Vermittlung konkreter Wissensinhalte und der Öffnung der Schule
gegenüber dem Gemeinwesen. In Deutschland hat
die Freudenberg-Stiftung viel zur Adaptation dieses
noch recht jungen Ansatzes beigetragen. Inzwischen
hat sich ein bundesweites Netzwerk „Service Learning“ gegründet, das sich um die Weiterentwicklung
und Verbreitung des Instruments bemüht. BadenWürttemberg ist bislang das einzige Land, das das
67
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Lernen von gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung in Form des TOP SE (Themenorientiertes
Projekt Soziales Engagement) curricular im Rahmenlehrplan der Realschule verankert hat.
4. Herausforderungen, Perspektiven,
Handlungsempfehlungen
Bislang ist es nicht gelungen, bürgerschaftliches Engagement in angemessener Form in den aktuellen
Bildungsreformprozessen zu verankern (vgl. Hartnuß
2008, Hartnuß/Heuberger 2010). Dies kann nur gelingen, wenn deutlich wird, dass es sich hierbei nicht
um eine beliebige zusätzliche Aufgabe für Schule
handelt, sondern es um den Kernauftrag der Schule selbst geht. Schule kann ihren Auftrag durch eine
bessere Verzahnung unterschiedlicher Formen des
Lernens und durch die Nutzung der Bildungspotenziale bürgerschaftlichen Engagements besser erfüllen.
Mehr noch: Sie ist bei der Erfüllung ihrer Aufgaben
in zunehmendem Maße auf bürgerschaftliches Engagement angewiesen (vgl. Olk 2007). Die Bemühungen um die Ausbildung sozialer, demokratischer
und bürgerschaftlicher Kompetenzen und die dafür
notwendigen Kooperationen von Schule mit dem Gemeinwesen müssen daher auch Teil von Schulentwicklungsprozessen sein und im Begriff der Schulqualität ihren Niederschlag finden: Schulen, die sich
um Möglichkeiten für Mitbestimmung und Mitgestaltung bemühen, die mit Organisationen und Akteuren
im Gemeinwesen zusammenarbeiten, sind bessere
Schulen.
Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die
Erkenntnis, dass Schulentwicklung nicht als allein
staatlich oder innerschulisch zu leistende Aufgabe zu
begreifen ist. Schulentwicklung bedeutet aus einer
Systemperspektive die Selbstorganisation der Einzelschule innerhalb staatlicher Vorgaben hin zur qualitätsorientierten Profilbildung (Rahm/Schröck 2005).
Dabei ist die enge Zusammenarbeit von Professionellen, Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern
ein zentrales Element. Den Ansprüchen einer „guten
Schule“ lässt sich nur durch ein enges Zusammenwirken aller am Bildungsprozess Beteiligten gerecht werden. „Kooperative Schulentwicklung ist ein Lernprozess, in dem organisationseigene Ressourcen über
das Zusammenwirken aller schulischen Statusgruppen mit dem Ziel einer Qualitätsverbesserung des
Bildungsangebotes mobilisiert werden.“ (Rahm 2008)
Vor dem Hintergrund der notwendigen Verzahnung
und Optimierung bestehender Bildungsangebote
kommt dabei auch zivilgesellschaftlichen Akteuren
und Organisationen und ihren Lern- und Bildungsan68
geboten in oder im Umfeld der Schule Bedeutung zu.
Kooperative Schulentwicklung ist damit eine Herausforderung sowohl für die Einzelschule, die in ihren Bemühungen verstärkt bürgerschaftliches Engagement
sowie die Zusammenarbeit mit außerschulischen Einrichtungen mitdenken muss, als auch für die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die durch ihre aktive
Mitwirkung Verantwortung für die Weiterentwicklung
der Schule übernehmen.
Sollen das frühzeitige Erlernen bürgerschaftlichen
Engagements und die Stärkung von Partizipation
wirkungsvoll in Schulen und anderen Bildungsinstitutionen verankert werden, sind ein klares politisches
Bekenntnis sowie entsprechende Initiative hierfür
gefragt. Dies betrifft sowohl die Bundesregierung
als auch die Ebene der Länder. So könnten etwa
durch ein Bund-Länder-Programm neue Formen der
Zusammenarbeit von Schulen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen, neue Formen des Lernens und
Unterrichtens, in denen Verantwortungsübernahme
und Engagement integriert sind (wie z. B. beim Service Learning), sowie die Entwicklung einer neuen
Lernkultur initiiert und vorangetrieben werden. Mit
einem solchen Programm könnte zudem sinnvoll an
Erfahrungen aus dem BLK-Programm „Demokratie
Lernen & Leben“ angeknüpft werden. 2
Ein deutliches Bekenntnis zur Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements und zivilgesellschaftlicher
Öffnung der Bildungsinstitutionen wäre es freilich,
wenn diesem Anliegen bei den derzeitigen Bemühungen von Bund und Ländern, bis zum Jahr 2015
den Anteil der gesamtstaatlichen Aufwendungen für
Bildung und Forschung auf 10 % des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, ein angemessener Platz eingeräumt würde. Die Bundeskanzlerin sowie die Regierungschefs der Länder haben sich im Oktober 2008
auf dem Qualifizierungsgipfel in Dresden auf dieses
Ziel verständigt. Seitdem wurden zusätzliche Mittel
für Bildung und Forschung von Bund und Ländern
bereitgestellt sowie neue bildungspolitische Schwerpunkte in den Bereichen frühkindliche Bildung, Schule, Berufsausbildung, Hochschule und Weiterbildung
gesetzt. Nicht wenige dieser Maßnahmen bieten
– wie etwa im Bereich Schule der weitere Ausbau
von Ganztagsschulen oder der Schulsozialarbeit –
unmittelbare Bezugspunkte zur Förderung von Engagement und Partizipation. Diese Bezüge sollten
nicht nur hergestellt, sondern über das 10%-Ziel für
Bildung und Forschung und auch mit entsprechenden
Mitteln gefördert werden.
Den Ländern kommt für die Gestaltung des Bildungssystems eine zentrale Rolle zu. Ihre Kompetenzen
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
sind mit der Föderalismusreform weiter gestärkt worden, wogegen die Handlungsspielräume des Bundes
in Bildungsfragen erheblich eingeschränkt wurden.
Bei den Ländern liegt daher auch eine besondere
Verantwortung, Anliegen der Engagement- und Demokratieförderung durch eigene Initiative zu stärken.
Eine Reihe von Ländern ist in diesem Sinne bereits
aktiv. Um bürgerschaftliches Engagement im Schulsystem wirkungsvoll zu verankern, stehen den Ländern verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die
sie in Berücksichtigung ihrer je spezifischen Situation
(Schulstruktur, aktuelle Reformprojekte, landespolitische Prioritäten etc.) nutzen sollten. Hierzu gehören
insbesondere;
• Verankerung von civic education in den Schulgesetzen: Über die allgemeinen Formulierungen von
Bildungszielen, in denen die Bildung und Erziehung zur gesellschaftlichen Verantwortung meist
bereits enthalten ist, und den bestehenden Regelungen zur Schulöffnung und Kooperation mit
außerschulischen Partnern hinaus wäre es sinnvoll, civic education als Aufgabe von Schulen mit
eigenem Paragraphen festzuschreiben. Auf diese
Weise würde ein klarer, auch rechtlicher Bezugsrahmen für civic education geschaffen, der allein
natürlich noch kein Garant für die Etablierung entsprechender Angebote im Schulalltag ist, jedoch
den engagierten Akteuren in den Schulen mehr
Handlungssicherheit geben würde. Zudem würde
hiervon ein starker politischer Impuls ausgehen,
sich vor Ort ernsthaft mit dem Thema auseinander
zu setzen.
• klare Verortung von civic education beim Ausbau
von Ganztagsschulen: Gleiches gilt für die Gestaltung von Ganztagsschulen. Bisherige Regelungen
eröffnen zwar durchaus Chancen, eindeutige Positionierungen zur Engagement- und Demokratieförderung als Teil der Ganztagsschulentwicklung können jedoch zu mehr Handlungssicherheit
sowohl bei schulischen als auch außerschulischen
Partnern beitragen.3
• Landesprogramme zur Engagement- und Demokratieförderung in Schulen: Mit eigenen Programmen
(z. B. Transferprogramme zum BLK-Programm
„Demokratie lernen & leben“, Landesprogramme
wie „Engagement macht Schule“ oder zum Service
Learning, u. a.), die von einigen Ländern bereits
aufgelegt wurden, können Projekte und Methoden
der Engagementförderung erprobt und etabliert
werden. Durch solche Programm können Schulen
– jenseits staatlicher Verpflichtungen durch gesetzliche Regelungen – wirkungsvoll in der praktischen Umsetzung von civic education unterstützt
werden.
• B
eteiligung der Länder an Programmen der Engagementförderung von zivilgesellschaftlichen
Organisationen: Impulse zur Stärkung von bürgerschaftlichem Engagement und Partizipation in
Schulen wurden in den vergangenen Jahren vor
allem von zivilgesellschaftlichen Organisationen
an die Schulen herangetragen (insbesondere
durch den Bundesjugendring, Landesjugendringe,
Freiwilligenagenturen und -zentren, die Bundesvereinigung kulturelle Jugendbildung, Sportverbände,
Natur- und Umweltschutzorganisationen etc.). In
diesem Bereich spielten und spielen auch Programme von Stiftungen eine besondere Rolle.4 Die
Länder sollten entsprechende Kooperationsangebote sorgfältig prüfen und die Chancen, die sich
aus einer Zusammenarbeit für die Entwicklung von
konkreten Projekten und Ansätzen bieten, nutzen.
• Förderung von civic education durch Preise und
Wettbewerbe: Wie auch für andere politische Anliegen ist es ein probates Mittel, auch Engagement- und Demokratieförderung durch Schule zum
Gegenstand von Wettbewerben und Preisen zu
machen und auf diese Weise öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen und Schulen auf ihrem Weg
zu ermutigen und zu unterstützen.
• Erarbeitung von Empfehlungen und Handreichungen zur praktischen Umsetzung von civic
education: Für die Erprobung von Ansätzen und
Methoden der Engagementförderung ist es für
Schulen hilfreich, praxisorientierte Empfehlungen
und Handreichungen zur Verfügung zu stellen, in
denen Erfahrungen gelungener Beispiele aufgearbeitet sind, Erfolgskriterien von Projekten beschrieben und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten dargestellt sind. Die Länder können bei der Erstellung
solcher Arbeitsmaterialien auf die Erfahrungen zivilgesellschaftlicher Organisationen zurückgreifen
und gemeinsam mit ihnen entsprechende Publikationen erarbeiten.
• Entwicklung von Modellregionen: Engagementförderung in und durch Schulen braucht Kooperation
und Vernetzung mit gesellschaftlichen Organisationen. Besonders wirkungsvoll könnte dies durch
die Entwicklung von Modellkommunen bzw. -regionen geschehen, in denen Schulen, Kindertagesstätten, Jugendorganisationen, kommunale Einrichtungen, die Verwaltung etc. eng miteinander
zusammenarbeiten und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sowie die Förderung ihres
gesellschaftlichen Engagements ein gemeinsames
Anliegen ist, das im Alltag durch eine Vielzahl von
Partizipationsangeboten in unterschiedlichen Lebensbereichen sichtbar wird. Hierfür braucht es
finanzielle Ressourcen, Vernetzungsstrukturen,
Qualitätskriterien, ggf. fachliche und wissenschaft69
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
liche Begleitung. Solche Modellregionen hätten
jedoch durch ihren Beispielcharakter eine hohe
Ausstrahlung. Der Aufbau von Modellregionen ist
vielleicht das wirkungsvollste Instrument, das die
Länder in ihrem Bemühen, Bürgerengagement und
Partizipation nachhaltig im Bildungssystem zu verankern, ergreifen können.
Die Öffnung der Schule für Kooperationen und Partnerschaften mit der Bürgergesellschaft, für die Verschränkung unterschiedlicher Formen des Lernens
braucht Qualifizierung und Weiterbildung. Die pädagogischen Profis in Schule und Gemeinwesen müssen bereits in ihrer Ausbildung auf ein neues Selbstverständnis vorbereitet werden, das Zusammenarbeit
und Partnerschaften als konstitutives Element einschließt. Das nötige Wissen und die Kompetenzen
für eine partnerschaftliche Kooperation zwischen
den Institutionen des öffentlichen Bildungs- und Erziehungssystems mit der Zivilgesellschaft benötigen
Verankerung in den Curricula der Ausbildungsgänge
von Lehrerinnen und Lehrern, Sozialpädagoginnen
und Sozialpädagogen und müssen einfließen in die
Konzepte von Fort- und Weiterbildung. Entsprechende
Impulse und Vorstöße gilt es gezielt an die Kultusministerkonferenz und die Hochschulrektorenkonferenz
heranzutragen und ihre Umsetzung einzufordern.
Inzwischen gibt es bundesweit einen reichhaltigen Fundus an Erfahrungen, Ideen und Modellen für das Lernen von Bürgerschaftlichkeit und die Kooperation von
Bildungseinrichtungen mit dem Gemeinwesen. Die gesammelten Erfahrungen gilt es aufzubereiten, so dass
Modelle transparent und übertragbar werden. Dabei
sind Qualitätskriterien zu entwickeln und zu sichern. Erfahrungen aus dem BLK-Programm „Demokratie lernen
& leben“ und aus dem Feld des Service Learning zeigen
bereits, dass dies erfolgreich möglich ist.
Auch Wirtschaftsunternehmen können und sollen
sich stärker als bisher an der Erfüllung des gesellschaftlichen Auftrags zur Erbringung qualitativ hoher
Bildung beteiligen. Dabei gilt es jedoch, einen umfassenden Anspruch von Bildung zu gewährleisten und
diesen nicht ökonomistisch zu verengen. Als Teilnehmer und Partner sind Unternehmen in der aktuellen
Bildungsreformdiskussion willkommen, nicht jedoch
als dominierende Entscheider über die Ausrichtung
schulischer Curricula und Bildungsinhalte. Aus diesem Grunde muss Bildung als öffentliches Gut auch
weiterhin primär durch die Bereitstellung öffentlicher
Mittel in seiner Qualität gewährleistet werden. Nur
so ist der Gefahr vorzubeugen, dass sich Abhängigkeiten von privaten Zuwendungen nicht auf Bildungsinhalte übertragen (vgl. Hartnuß/Heuberger 2010).
70
Bislang noch völlig unausgeschöpft sind die Chancen,
die sich aus einer stärkeren Verknüpfung von civic education mit dem Nachhaltigkeitsdiskurs ergeben können.
Inzwischen hat die deutsche Debatte über Nachhaltigkeit den alleinigen Fokus auf ökologische Themen verlassen und es werden in einer erweiterten Perspektive
Fragen eines erfolgreichen Wirtschaftens mit Anforderungen an die ökologische und soziale Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft verknüpft. Dabei ist „Verantwortung“ der Schlüsselbegriff für nachhaltiges Handeln.
Wichtigste Ressource für verantwortliches Handeln
(ökonomisch, ökologisch und sozial) aber ist Bildung.
Damit kommt Fragen bürgerschaftlicher Bildung auch
für den Nachhaltigkeitsdiskurs ein hoher Stellenwert
zu. Zwar nehmen die öffentliche Diskussion zum Thema Nachhaltigkeit wie auch die entsprechende Berichterstattung von Bund und Länder inzwischen durchaus
Bezug zu Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung als
Bestandteil nachhaltiger Politik. Allerdings sind diesbezügliche Berichtspassagen eher deskriptiv und zeigen
wenig konkrete Handlungsoptionen auf. Auch die UNDekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ konzentriert sich in ihren Aktivitäten nicht allein auf ökologische
Anliegen. Dennoch ist die Anzahl von ausgezeichneten
Projekten, die sich dem Thema Engagementförderung
widmen, bislang sehr überschaubar. Wenn Nachhaltigkeit in einem weit gefassten Sinne tatsächlich Anspruch
moderner Politik ist, dann ist die Frage, wie junge Menschen an Verantwortung herangeführt werden, sicher
kein Nebenschauplatz, sondern eine zentrale Frage
von Bildung. Dies in der öffentlichen Debatte deutlicher
herauszustellen ist gleichermaßen Aufgabe von Politik
und Zivilgesellschaft.
Die Verknüpfung von Schule und Bürgergesellschaft
braucht Druck und Initiative sowohl „von oben“ über
Fachdiskurs und bildungspolitische Initiative als auch
„von unten“ durch eine lebendige Praxis guter Projekte
und Modelle. Die bestehenden Ansätze gilt es daher
zu stärken und fortzuentwickeln. Dabei sind Möglichkeiten des gegenseitigen Lernens und des Transfers
erprobter Modelle von zentraler Bedeutung. Vernetzung, Bündnisse und Partnerschaften sind auch hier
der richtige Weg, um erfolgreichen Ideen zu ihrer
Verbreitung zu verhelfen. Orte des Austauschs, des
Lernens und gemeinsamer Strategieentwicklung sind
auf nationaler, europäischer wie internationaler Ebene
notwendig. In Deutschland hat sich unter anderem mit
der Tagungsreihe „Schule und Bürgergesellschaft“ des
BBE hierfür ein gutes Forum etabliert. Der Blick über
die nationalen Grenzen hinaus macht aber deutlich,
dass es gerade in diesem Feld sehr unterschiedliche
Traditionen und Entwicklungen gibt, die gezielt aufgegriffen und für die Bildungsreformbemühungen in
Deutschland aufgearbeitet werden sollten.
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Das von der Europäischen Union ausgerufene Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung
der aktiven Bürgerschaft 2011 bietet hierfür nicht
nur einen aktuellen Anlass. In der Entscheidung des
Rates vom 27.11.2009 werden die Mitgliedsstaaten
auch ausdrücklich zu einem verstärkten Austausch
zu Fragen der Bildung und Erziehung zur Bürgerschaftlichkeit aufgefordert.
(4) Die Freiwilligentätigkeit stellt eine bereichernde
Lernerfahrung dar, ermöglicht den Erwerb sozialer
Fertigkeiten und Kompetenzen und trägt zur Solidarität bei. (...)
( 6) In den vom schnellen Wandel geprägten Gesellschaften werden wirksame Maßnahmen zur
Unterstützung von Freiwilligentätigkeiten benötigt,
damit sich mehr Menschen ehrenamtlich engagieren. Deshalb müssen Peer-Learning und der Austausch und die Entwicklung bewährter Verfahren
auf lokalen, regionalen, nationalen und Gemeinschaftsebenen gefördert werden.“ 5
Veränderungen im öffentlichen Bildungs- und Erziehungssystem sind kompliziert und langwierig. Massive
Bedenken und Widerstände begleiten die Reformprozesse. Bürgergesellschaftliche Reformperspektiven
haben es dabei häufig schwer, sich Gehör zu verschaffen. Daher ist es geboten, nicht nur hartnäckiger
zu argumentieren, sondern auch mit schlagkräftiger
Unterstützung. Bürgerschaftliche Akteure brauchen
mehr Vernetzung und Bündelung sowie die Unterstützung aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Medien. Bündnispartner aus diesen Bereichen, die sich mit
Anliegen der Engagement- und Demokratieförderung
identifizieren, können die Bemühungen wirkungsvoll
unterstützen und so den öffentlich Druck auf das Bildungs- und Schulsystem erhöhen. Das Europäische
Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven
Bürgerschaft 2011 bietet auch hierfür Chancen, die
bei den Planungen für die Gestaltung des Jahres von
Bund und Ländern, aber auch den zivilgesellschaftlichen Organisationen und Netzwerken aufgegriffen
werden sollten. Kampagnen und öffentliche Veranstaltungen im Rahmen des Jahres können den Anliegen
bürgerschaftlicher Bildungsreformen ein wirkungsvolles Sprachrohr geben.
Der Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt, ob es gelingt, die zentralen Planer und Entscheidungsträger
aus Schulentwicklungs- und Bildungspolitik an den
Tisch zu bekommen, sie von den Chancen und Notwendigkeiten einer bildungspolitischen und bildungspraktischen Verankerung bürgerschaftlichen Engagements zu überzeugen und gemeinsam mit ihnen
Strategien der Realisierung zu entwerfen.
Anmerkungen
1 Die im Folgenden ausgeführten Überlegungen für
die Schule lassen sich analog auch für den vorschulischen wie den nachschulischen Bereich anstellen
und entsprechende Konsequenzen daraus ziehen.
Analysen und Perspektiven einer zivilgesellschaftlichen Öffnung von Kindergärten und Hochschulen
finden sich in dem Beitrag von Birger Hartnuß und
Frank Heuberger „Ganzheitliche Bildung in Zeiten der
Globalisierung. Bürgergesellschaftliche Perspektiven
für die Bildungspolitik“ (Hartnuß/Heuberger 2010).
2 Diese Forderung findet sich auch in den engagementpolitischen Empfehlungen des Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement für die 17.
Legislaturperiode, die in Auswertung der ersten Ergebnisse des Nationalen Forums für Engagement
und Partizipation im Oktober 2009 vom Sprecherrat des BBE an die neue Bundesregierung adressiert wurden.
3 Eine ausführliche Argumentation zu Chancen der
Engagement- und Demokratieförderung in ganztägigen Lernarrangements findet sich in Hartnuß/
Maykus 2005.
4 So ist die Erprobung und Verbreitung der Methode des Service Learning maßgeblich von der
Freudenberg-Stiftung gefördert worden. Aktuelles
Beispiel für die Initiative von Stiftungen in diesem
Bereich ist das von der Bertelsmann-Stiftung aufgelegte Programm „Jugend und Engagement“.
5 Amtsblatt der Europäischen Union vom 22.01.2010,
Entscheidung des Rates vom 27. November 2009
über das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit
zur Förderung der aktiven Bürgerschaft (2011).
Literatur
• Behr-Heintze, Andrea/Lipski, Jens (2005): Schulkooperationen. Stand und Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen Schulen und ihren Partnern.
Ein Forschungsbericht des DJI. Schwalbach/Ts.
• Bertelsmann Stiftung (2007): Vorbilder bilden. Gesellschaftliches Engagement als Bildungsziel. Carl
Bertelsmann-Preis 2007. Gütersloh.
• Böhme, Jeanette/Kramer, Rolf-Torsten (Hg.) (2001):
Partizipation in der Schule. Theoretische Perspektiven und empirische Analysen. Opladen.
• Bundesjugendkuratorium/Sachverständigenkommission für den Elften Kinder- und Jugendbericht/
AGJ (2002): Bildung ist mehr als Schule – Leipziger
Thesen. In: Forum Jugendhilfe, 26. Jg., Heft 3, S. 2.
• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (Hg.) (2005): Zwölfter Kinder- und Jugendbericht. Bonn/Berlin.
71
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
• du Bois-Reymond, Manuela/Diepstraten, Isabelle (2007): Neue Lern- und Arbeitsbiographien.
In: Kahlert, Heike/Mansel, Jürgen (Hg.): Bildung,
Berufsorientierung und Identität im Jugendalter.
Weinheim und München.
• Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hg.) (2007): Diskussionspapier des Deutschen Vereins zum Aufbau kommunaler Bildungslandschaften. Berlin.
• Düx, Wiebken/Prein, Gerald/Sass, Erich/Tully,
Claus J. (2008): Kompetenzerwerb im freiwilligen
Engagement. Eine empirische Studie zum informellen Lernen im Jugendalter. Wiesbaden.
• Edelstein, Wolfgang (2008): Überlegungen zum
Klassenrat: Erziehung zu Demokratie und Verantwortung. In: Die Ganztagsschule, Heft 2.
• Edelstein, Wolfgang (2007): Schule und bürgerschaftliches Engagement. Vortrag auf der Tagung
„Bürgergesellschaft und Bildung – Gesellschaftliches Engagement als Bildungsziel“ der Bertelsmann Stiftung und des BBE. Berlin. 17.09.2007.
• Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ (Hg.) (2002): Bericht. Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine
zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Opladen.
• Evers, Adalbert/Rauch, Ulrich/Stitz, Uta (2002):
Von öffentlichen Einrichtungen zu sozialen Unternehmen. Hybride Organisationsformen im Bereich
sozialer Dienstleistungen. Berlin.
• Gensicke, Thomas/Picot, Sibylle/Geiss, Sabine
(2006): Freiwilliges Engagement in Deutschland
1999 – 2004. Ergebnisse der repräsentativen
Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit
und bürgerschaftlichem Engagement, in Auftrag
gegeben und herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Wiesbaden.
• Hartnuß, Birger (2007): civic education. In: Fachlexikon der sozialen Arbeit. 6. Aufl., Baden-Baden.
S. 165-166.
• Hartnuß, Birger (2008): Bildungspolitik und Bürgergesellschaft. In: Bürsch, Michael (Hg.): Mut
zur Verantwortung. Mut zur Einmischung. Bürgerschaftliches Engagement in Deutschland. Bonn. S.
80-101.
• Hartnuß, Birger/Maykus, Stephan (2005): Mitbestimmen, mitmachen, mitgestalten. Entwurf einer
bürgergesellschaftlichen und sozialpädagogischen
Begründung von Chancen der Partizipations- und
Engagementförderung in ganztägigen Lehrarrangements. Expertise im Auftrag des BLK-Programms „Demokratie lernen & leben“. Münster.
• Hartnuß, Birger/Heuberger, Frank (2010): Ganzheitliche Bildung in Zeiten der Globalisierung. Bürgerschaftliche Perspektiven für die Bildungspolitik.
72
In: Olk, Thomas/Klein, Ansgar/Hartnuß, Birger
(Hg): Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe. VS-Verlag.
Wiesbaden. S. 459-490.
• Olk, Thomas (2007): Engagierte Bildung – Bildung
mit Engagement? Zur Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für die Bildungsreform.
Eröffnungsvortrag auf der Fachtagung „Engagierte Bildung – Bildung mit Engagement? Bildung –
Schule – Bürgerengagement in Ostdeutschland“,
4. und 5. Mai 2007 Halle/S.
• Rahm, Sibylle (2008): Der Beitrag von bürgerschaftlichem Engagement zur Schulentwicklung
– Erfahrungen in Bayern. In: Schule und Bürgerengagement. Bildung gemeinsam gestalten. Dokumentation der Fachtagung des BBE und des LNBE
Bayern, 24. und 25. Oktober 2008 in der Akademie
Dillingen. S. 15-24.
• Rahm, Sibylle/Schröck, Nikolaus (2005): Schulentwicklung – von verwalteten Schulen zu lernenden
Organisationen. In: Apel, Hans-Jürgen u. a. (Hg.):
Studienbuch Schulpädagogik. Bad Heilbrunn. S.
148-167.
• Rauschenbach, Thomas/Otto, Hans-Uwe (Hg.)
(2004): Die neue Bildungsdebatte. Chance oder
Risiko für die Kinder- und Jugendhilfe? In: Otto,
Hans-Uwe/Rauschenbach, Thomas (Hg.): Die
andere Seite der Bildung. Zum Verhältnis von formellen und informellen Bildungsprozessen. Wiesbaden. S. 9-29.
• Rauschenbach, Thomas (2005): Schule und bürgerschaftliches Engagement – zwei getrennte
Welten? Anmerkungen zu einer schwierigen Beziehung. In: „Bürgerschaftliches Engagement
als Bildungsziel (in) der Schule“ Fachtagung am
29./30.10.2004 in Mainz. Tagungsdokumentation.
Berlin.
• Sliwka, Anne (2004): Service Learning: Verantwortung lernen in Schule und Gemeinde. In: Edelstein,
Wolfgang/Fauser, Peter (Hg.): Beiträge zur Demokratiepädagogik. Eine Schriftenreihe des BLKProgramms „Demokratie lernen und leben“. Berlin.
• Stolz, Heinz-Jürgen (2008): Welchen Beitrag
können Schulen zur Gestaltung lokaler Bildungslandschaften leisten? In: Schule und Bürgerengagement. Bildung gemeinsam gestalten. Dokumentation der Fachtagung des BBE und des LNBE
Bayern, 24. und 25. Oktober 2008 in der Akademie
Dillingen. S. 40-45.
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Prof. Dr. Thomas Rauschenbach
Kurzgutachten: Engagement und Bildung
1. Einleitung
Seit einigen Jahren lässt sich die Annäherung von
zwei Themenfeldern beobachten, die lange Zeit eigenständig existierten und wenig bis gar nichts miteinander zu tun hatten: dem Bildungs- und Kompetenzdiskurs auf der einen Seite und den Debatten über
bürgerschaftliches, freiwilliges, zivilgesellschaftliches
Engagement auf der anderen Seite.
Wurde der Bildungsdiskurs vor allem mit Schule, mit
formaler Bildung und mit späterem beruflichen Erfolg in Verbindung gebracht, vielleicht sogar nahezu
gleichgesetzt – und hatte darin seine allgemeine,
grundlegende Bedeutung für das Aufwachsen von
Kindern und Jugendlichen –, so waren die Erörterungen um das Ehrenamt und das freiwillige Engagement nicht nur vor allem auf den außerschulischen
Bereich, auf die Freizeit gerichtet, sondern darin
geradezu ein symbolhafter Ausdruck eines nichtfunktionalistischen Engagements junger Menschen
aus freien Stücken. Für viele wurde das freiwillige
Engagement in einem Verein, einem Verband, in der
Kirche, in einer Initiative oder einer politischen Gruppierung mit den ausgeprägten Elementen des Gleichaltrigenbezugs, des Spaßes, einem Stück Selbstverwirklichung sowie der weitaus stärker empfundenen
Selbstwirksamkeit zu einer Alternativerfahrung und
zu einem Gegenentwurf zu den vielfach mit Zwang
und Pflicht behafteten schulischen Bildungssettings.
Diese Ausgangslage hat sich im letzten Jahrzehnt
aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen merklich
verändert. Einige Facetten sollen hier nur kursorisch
genannt werden:
• Im Anschluss an die ersten PISA-Studien (vgl.
Deutsches PISA-Konsortium 2001), die vor allem
Fragen der Literalität, der Mathematik und der Naturwissenschaft in den Mittelpunkt ihrer Kompe
tenzmessungen gerückt hatten, ist eine generelle
Diskussion um Kompetenzen, Kompetenzdimensionen und Kompetenzdiagnostik entstanden, die
fast zwangsläufig auch die Frage nach anderen
Inhalten und Dimensionen des Kompetenzerwerbs
nach sich gezogen hat (vgl. etwa BMFSFJ 2005).
• Begünstigt wurde diese Debatte durch eine wiederbelebte Auseinandersetzung um die Koordinaten
eines zeitgemäßen Bildungsbegriffs: „Bildung ist
mehr als Schule“ wurde dabei zu einem programmatischen Leitmotiv für ein erweitertes Bildungsverständnis (vgl. etwa Bundesjugendkuratorium
2001; Bundesjugendkuratorium u. a. 2002; Münchmeier/Otto/Rabe-Kleberg 2002). Damit wurden in
der Folge dann aber auch verstärkt die „anderen
Seiten der Bildung“ ins Blickfeld gerückt (vgl. Otto/
Rauschenbach 2004).
• Während sich die Diskussion um Kompetenzen
und Bildung in Deutschland vor allem im Anschluss
an die erste PISA-Studie ausgebreitet hat (vgl.
Deutsches PISA-Konsortium 2001), waren die
Studien über ehrenamtliches, freiwilliges oder zivilgesellschaftliches Engagement – im Folgenden
auch zusammengefasst unter dem Begriff des zivilgesellschaftlichen Engagements – lange Zeit eher
von Fragen der Prävalenz, also der Verbreitung, der
Motivation und der mit diesem Engagement verbundenen Erwartungen geprägt (vgl. Beher/Liebig/
Rauschenbach 2002).
• Erst über die neueren Debatten um das informelle
Lernen im Jugendalter (vgl. Rauschenbach/Düx/
Sass 2006) kam verstärkt die Frage auf, ob, und falls
ja, was denn junge Menschen im Rahmen ihres Freiwilligenengagements eigentlich lernen, wurde das
zivilgesellschaftliche Engagement als eine mögliche
Bildungsressource ins Blickfeld gerückt (vgl. etwa
Konsortium Bildungsberichterstattung 2006).
Mit anderen Worten: Die stärkere Ausrichtung der
Bildungsthematik an der Kompetenzfrage, die gleich73
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
zeitige Ausweitung der Referenzpunkte für einen
erweiterten Bildungsbegriff, der konsequent über
die schulische Bildung hinausweist, sowie die sich
allmählich ausbreitende Sorge, dass ein fast ausschließlich kognitiv ausgerichtetes Bildungskonzept
den zukünftigen Herausforderungen an eine individuelle Lebensführung der nachwachsenden Generation
nicht gerecht werden kann, öffnete auf Seiten des
Bildungsdiskurses den Blick auf jene Horizonte, die
auch mit dem freiwilligen, zivilgesellschaftlichen Engagement zu tun haben.
Zeitgleich hat im Rahmen der Engagementforschung
nach und nach eine stärkere empirische Ausrichtung
Einzug gehalten, deren prägnantester Ausdruck 1999
im Start des inzwischen drei Mal durchgeführten
Freiwilligensurveys seinen Niederschlag fand (vgl.
Rosenbladt 2001; Gensicke/Picot/Geiss 2006). Zugleich hat eine deutlicher akzentuierte Debatte über
die Beweggründe und Formen des Engagements
zu einer stärkeren Akzentuierung der individuellen
Facetten und des individuellen Nutzens geführt (vgl.
Rauschenbach/Müller/Otto 1992) und dabei auch den
Blick frei gelegt auf die impliziten wie expliziten Bildungspotenziale des Freiwilligenengagements.
Vor allem die Frage nach dem Kompetenzerwerb
durch das zivilgesellschaftliche Engagement junger
Menschen hat zu intensiveren Debatten und ersten
Studien geführt. Damit stand der Kompetenzerwerb
außerhalb der etablierten Modalitäten schulisch-formaler Bildung ebenso auf der Tagesordnung wie die
anderen Dimensionen des individuellen Kompetenzerwerbs. Da die großen internationalen Vergleichsstudien ausschließlich auf die schulischen Kernfächer ausgerichtet waren, konnten sie diese anderen
Dimensionen bislang auch nicht erfassen.
ihrem persönlichen Umfeld oder des öffentlichen Lebens. Jugendstudien haben wiederholt belegt, dass
der Einsatz für ein Anliegen, eine Idee oder für andere Menschen für viele Jugendliche in diesem Alter
ganz selbstverständlich ist und zu ihrem persönlichen
Lebensstil gehört (vgl. Jugendwerk der Deutschen
Shell 2000, 2002, Shell Deutschland Holding 2006;
Gille u. a. 2006).
Bestätigt wurden derartige Befunde aber auch durch
die bisherigen Freiwilligensurveys, die nachgewiesen
haben, dass junge Menschen im Schulalter mit zu
den engagiertesten Altersgruppen gehören (vgl. Picot
2001; Gensicke/Picot/Geiss 2006).
2.1 Zur Bedeutung des Engagements im
Jugendalter
Freiwilliges Engagement realisiert sich für Jugendliche im konkreten Tun, in realen Ernstsituationen –
ganz im Unterschied zu den vielfachen „Als-Ob-Situationen“ in der Schule. In der konkreten Übernahme
von sozialer Verantwortung in lebensweltlichen Zusammenhängen im Rahmen dieses Engagements erfahren Heranwachsende oft zum ersten Mal in ihrem
Leben, dass sie etwas können, dass man sie braucht,
dass man ihnen außerhalb des Schonraums der Familie und außerhalb des pädagogisch-inszenierten
Settings Schule etwas zutraut, kurz: dass sie dort Anerkennung und Bestätigung erfahren – mit allen Konsequenzen des Erfolgs, aber auch des Scheiterns an
Realsituationen, in denen sich die Einzelnen bewähren müssen.
2. Das Engagement im Jugendalter
Derartige Formen des Engagements werden inzwischen verstärkt als eine Form von Bildungsarbeit
wahrgenommen. Das war nicht immer so. Lange Zeit
wurde ehrenamtliches Engagement vor allem als einseitiges Geben, als gute Tat, meist aus altruistischen
Motiven verstanden. Jemand spendete Zeit, Können
und Motivation für andere Menschen, für eine Idee
oder gute Sache. Dies war nach Meinung vieler der
soziale Kitt, der Gemeinschaften und Gesellschaften
zusammenhielt – und den es zu bewahren galt. Seit
den 90er-Jahren wird sehr viel stärker die Reziprozität, also das wechselseitige Geben und Nehmen
des freiwilligen Engagements betont und ins Blickfeld
gerückt (vgl. Rauschenbach/Müller/Otto 1992). Dies
hat zugleich den Blick geöffnet für die Seiten des individuellen und gesellschaftlichen Nutzens der unterschiedlichen Formen des Engagements.
Allen Unkenrufen zum Trotz sind auch in der heutigen Zeit noch viele Jugendliche freiwillig engagiert
und beteiligen sich aktiv an vielen Angelegenheiten in
In Anbetracht derartiger Entwicklungen innerhalb der
Engagementforschung, die auch als Ausdruck einer
allgemein gewachsenen Bereitschaft verstanden
Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend zunächst die
Bedeutung des Engagements im Jugendalter skizziert
werden. Anschließend steht die wachsende Bedeutung eines kompetenzbasierten Bildungsbegriffs für
das Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt, bevor dann einige Facetten des Zusammenhangs von Engagement und Bildung zur Diskussion
gestellt werden. Den Abschluss bilden einige Handlungsempfehlungen auf der Basis der neueren wissenschaftlichen Diskussion um Bildung und Engagement.1
74
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
werden können, sich mit Fragen des Engagements
auseinanderzusetzen – und infolgedessen u. a. Bundestagskommissionen (vgl. Enquete-Kommission
2002) und eigenständige Berichtsformate nach sich
zogen (vgl. Alscher u. a. 2009) –, gerät das freiwillige Engagement von jungen Menschen zunehmend
in den Blick von Öffentlichkeit und Politik. Dabei wird
dem Engagement von Jugendlichen heute sowohl
eine gesellschaftliche (a) als auch individuelle Bedeutung (b) zugeschrieben.
(a) Gesellschaftliche Bedeutung des freiwilligen Engagements im Jugendalter: In Demokratien, die auf
der aktiven Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürger
basieren und auf diese angewiesen sind, erscheint
das soziale und politische Engagement junger Menschen als ein Gradmesser für deren spätere aktive
Teilhabe an der Gestaltung einer demokratischen
Gesellschaft. Um auch zukünftig zivilgesellschaftliches Engagement in gemeinnützigen Organisationen und damit die Grundlagen für die Zivilgesellschaft aufrechtzuerhalten, kommt der Einbindung
junger Menschen eine wichtige Bedeutung zu. Das
Nachwachsen Jugendlicher in Formen des freiwilligen, zivilgesellschaftlichen Engagements und in der
gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme wird
dementsprechend als eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Weiterentwicklung von Demokratie und Zivilgesellschaft gesehen (vgl. EnqueteKommission 2002).
(b) Individuelle Bedeutung des freiwilligen Engagements im Jugendalter: Daneben wird dem freiwilligen Engagement in jüngerer Zeit verstärkt auch eine
wichtige individuelle Bedeutung beigemessen, bietet
es doch Jugendlichen Möglichkeiten für erste eigene
Erfahrungen im Umgang mit gesellschaftlichen Organisationen und gemeinnützigen Einrichtungen, für
eigene neue und andersartige Lern- und Bildungsprozesse, für den Erwerb vielfältiger Kompetenzen, für
die Einübung demokratischer Spielregeln sowie für
Teilhabe, Mitbestimmung, Selbstorganisation und die
Vertretung ihrer eigenen Interessen. Die Übernahme
von Verantwortung für andere Menschen, für Inhalte
oder Sachen erscheint heute als ein wichtiger Aspekt
der sozialen Integration Heranwachsender in einer
tendenziell eher desintegrativen Gesellschaft (vgl.
Düx u. a. 2008; Enquete-Kommission 2002).
2.2 Zur Empirie freiwilligen Engagements
junger Menschen
Empirisch zeigt sich, dass das freiwillige Engagement jungen Menschen einen wichtigen Schritt aus
dem privaten in den öffentlichen Raum und damit
eine Ausweitung ihres Erfahrungshorizonts ermöglicht (vgl. Buhl/Kuhn 2005). Neben Eltern und Freunden stellt soziales Engagement eine von drei Säulen
dar, die zu einer erfolgreichen sozialen Entwicklung,
zu gesellschaftlicher Partizipation und zu sozialer Integration Heranwachsender beitragen können (vgl.
Reinders 2005).
Mittlerweile kann auf eine ganze Reihe von Forschungsbefunden zum jugendlichen Engagement
zurückgeblickt werden (vgl. als Überblick Düx 1999;
Düx/Sass 2006). Grundsätzlich ist damit auf eine
in den letzten Jahren erheblich verbesserte Datengrundlage zu verweisen, auch wenn die Angaben
zum Umfang des Engagements sowie zur Verteilung
auf Felder und Inhalte in den vorliegenden Studien,
je nach verwendeten Begrifflichkeiten und Fragestellungen, nach wie vor schwanken. Dementsprechend
ergeben sich in Abhängigkeit von der Fragestellung,
von der Definition des Engagements, von der Untersuchungsrichtung und den gewählten Alterseinteilungen in den verschiedenen Studien unterschiedliche Quoten ehrenamtlich engagierter Jugendlicher,
die aber nicht unbedingt Ausdruck empirischer Beliebigkeit sind, sondern eher als Beleg für die nach wie
vor unterschiedlichen empirischen Zugänge zu dieser
Problematik zu werten sind (vgl. Beher/LiebigRauschenbach 2002; Rauschenbach 1999).
Beim Vergleich unterschiedlicher repräsentativer
bundesdeutscher Bevölkerungsumfragen zu Mitgliedschaft und freiwilligem Engagement der Altersgruppe der 14- bis 20-Jährigen kommt v. Santen auf eine
Bandbreite zwischen 12 und 40 Prozent engagierter
junger Menschen (vgl. v. Santen 2005). In diesen Studien reicht die Fragestellung von freiwilligem – auch
kurzzeitigem und projektgebundenem – Engagement bis hin zur Ausübung eines Amtes. Diese unterschiedlichen Zahlen machen insoweit genau die
Schwierigkeiten der empirischen Erfassung freiwilligen Engagements Jugendlicher deutlich (vgl. Düx
2000; BMFSFJ 2005; Züchner 2006).
Zieht man die verschiedenen Wellen der Freiwilligensurveys als bislang umfangreichsten Datensatz zum
zivilgesellschaftlichen Engagement in Deutschland
heran, so engagieren sich bundesweit zwischen 37
(1999), 36 (2004) und 35 Prozent (2009) aller jungen
Menschen zwischen 14 und 24 Jahren. Zu ähnlichen
Befunden gelangt auch die letzte Shell-Jugendstudie
(vgl. Shell Deutschland Holding 2006). Die ersten
beiden Freiwilligensurveys von 1999 und 2004 ermittelten zudem den höchsten Anteil ehrenamtlich Engagierter bei den unter 20-Jährigen (vgl. Gensicke/
Picot/Geiss 2006).
75
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Allerdings finden sich innerhalb der Gruppe junger
Menschen deutliche Unterschiede im Engagement.
So belegen verschiedene Studien, dass sich überwiegend sozial gut integrierte deutsche Jugendliche mit
höherer Schulbildung engagieren (vgl. Gaiser/de Rijke
2006; Düx u. a. 2008; Reinders 2009). Zugleich korrespondieren der Zugang zum Engagement sowie die
Art des Engagements mit den sozialen Ressourcen
und den kulturellen Interessen im Elternhaus. Nach
wie vor engagieren sich mehr männliche als weibliche
Jugendliche. Auch findet sich ein deutlich geringerer
Anteil Engagierter bei den jungen Menschen mit Migrationshintergrund (vgl. Gensicke/Picot/Geiss 2006),
was nicht zuletzt auch mit ihrer im Schnitt geringeren
schulischen Qualifikation zusammenhängen dürfte
(vgl. etwa Düx u. a. 2008). Weitere milieuspezifische
Einflussfaktoren für ein Engagement Heranwachsender sind Merkmale wie ein großer Freundeskreis, biografisch stabile Wohnverhältnisse oder die Bindung
an eine Religionsgemeinschaft (vgl. Gensicke/Picot/
Geiss 2006; Rauschenbach 1999).
Folgt man der letzten Shell-Studie, so sind 40 Prozent der befragten Jugendlichen in Vereinen aktiv, 23
Prozent im Bereich Schule/Hochschule, 15 Prozent in
einer Kirchengemeinde/-gruppe, 13 Prozent in einem
selbst organisierten Projekt, 12 Prozent in Jugendorganisationen (vgl. Shell Deutschland Holding 2006).
Und in der Untersuchung von Düx u. a. (2008) engagieren sich Jugendliche bis zum Alter von 22 Jahren
überwiegend im kirchlichen Umfeld (22%), im Sport
(21%), in den Rettungsdiensten (12%) und in Jugendverbänden (10%).
In allen Bereichen geben mindestens 50 Prozent der
Engagierten an, auch in der Jugendarbeit als dem typischen Einstiegsfeld für jugendliches Engagement
ehrenamtlich tätig gewesen zu sein. Dabei bezieht
sich das Engagement junger Menschen bis zu 24
Jahren überwiegend auf die Arbeit mit Kindern und
Jugendlichen. In den Feldern der Schule und Jugendarbeit geben über 80 Prozent der jungen Engagierten
als Zielgruppe ihres Engagements Kinder und Jugendliche an, im Sport sind es mit Blick auf diese Altersgruppe 70 Prozent, im kirchlich-religiösen Bereich
zwei Drittel (vgl. Gensicke/ Picot/Geiss 2006). Das
heißt, die freiwillige Tätigkeit junger Menschen richtet
sich überwiegend an Gleichaltrige bzw. an nur wenig jüngere Personen, in der Regel als Gruppenarbeit
im Rahmen der außerschulischen Jugendarbeit (vgl.
Enquete-Kommission 2002; Rauschenbach 2009a).
Insgesamt zeigt sich anhand der neueren Studien
also zum einen, dass nach wie vor ein zivilgesellschaftliches Engagement junger Menschen in einem
76
nicht zu unterschätzenden Umfang anzutreffen ist,
dass zum anderen auch die damit verbundenen gesellschaftlichen wie individuellen Dimensionen nicht
zu unterschätzen sind, auch wenn sie vielfach zunächst außerhalb des eigentlichen Bildungsdiskurses
zum Thema geworden sind.
3. Kompetenzbasierte Bildung im Jugendalter
Eine deutlich anders gelagerte Entwicklung hat die
Diskussion um Fragen der Bildung und der Kompetenz genommen, welche hier nicht erschöpfend behandelt werden kann. Lediglich einige ausgewählte
Dimensionen dieser beiden Begrifflichkeiten werden
ins Blickfeld gerückt.
Menschen lernen immer und überall. Die Frage, ob
das bürgerschaftliche Engagement ein wesentlicher,
gar ein exklusiver Ort ist, an dem anders und Anderes
gelernt wird als in der Schule und anderen Lernfeldern, ist empirisch schwierig zu klären. Ähnlich wie
in der Familie finden sich auch hier alle Ebenen alltäglicher Erfahrungen und möglicher Lernprozesse.
Gegenüber den hochgradig formalisierten Bildungssystemen, in denen primär kognitives Wissen in spezifischer, zumeist standardisierter Form eingeübt wird,
findet sich in den Organisationen des bürgerschaftlichen Engagements eine große Bandbreite äußerst
heterogener Lerninhalte, die zudem auf höchst unterschiedliche Weise angeeignet werden. Die Erhebung
informeller Lernprozesse ist somit generell schwierig,
da diese vielfach nicht nur ungeplant und außerhalb
geregelter Lernumwelten stattfinden, sondern zudem
die möglichen Einflussvariablen nur schwer getrennt
voneinander betrachtet werden können (vgl. Reinders
2009, S. 20ff).
Diese Vielfalt und Nicht-Fassbarkeit der unterschiedlichen Lerninhalte und -formen erschwert es, Dimensionen des Lernens in diesen Settings zu beschreiben. Es gibt bisher keine geprüften Instrumente, mit
denen man unterschiedlichste Formen des Kompetenzerwerbs messen und erfassen kann. Dies gilt
noch mehr für informelle Lernprozesse, da diese von
ihrem Charakter her ungeplant sind und damit kaum
gezielt beobachtet, geschweige denn gemessen werden können.
Mehr noch: Die Schwierigkeiten der Annäherung an
den Kompetenzerwerb im Rahmen informellen Lernens hängen auch damit zusammen, dass hierbei die
Frage nach den anderen Bildungsorten mit Fragen
nach den anderen Bildungsinhalten und den anderen
Bildungsmodalitäten, also den Formen der Aneignung
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
und des Lernens, vielfach bis zur Unkenntlichkeit ineinander vermengt werden (vgl. dazu ausführlich
Rauschenbach 2009b). Das heißt: Es existiert keine
einheitliche Vorstellung davon, was informelles Lernen eigentlich heißen könnte. Hinzu kommt, dass in
der bisherigen gesamten Kompetenzforschung kaum
ein Augenmerk auf die Frage gelegt worden ist, wo
und wie Kompetenzen eigentlich erworben werden.
Orte und Modalitäten des Kompetenzerwerbs spielen
vorerst kaum eine Rolle. Dies aber macht es für die
weitaus diffuseren, weniger standardisierten Formen
des informellen Lernens noch schwieriger, Orte, Inhalte und Formen genauer zu benennen.
Hinzu kommt ein weiteres Problem. Nicht zuletzt
um dem Sachverhalt gerecht zu werden, dass Kompetenzen nicht auf die Enge der bisherigen untersuchten Kompetenzdimensionen der PISA-Forschung reduziert werden können, ist ein erweiterter,
kompetenzbasierter Bildungsbegriff erforderlich, wie
er beispielsweise im 12. Kinder- und Jugendbericht
zugrunde gelegt worden ist (vgl. BMFSFJ 2005). Dieser beinhaltet vier Kompetenzdimensionen:
1 . Unter kultureller Kompetenz wird die sprachlichsymbolische Fähigkeit verstanden, sich die von
Menschen geschaffene kulturelle Welt mittels
Zeichen und Sprache sinnhaft zu erschließen, sie
zu deuten, zu verstehen, sich in einer Symbolwelt
bewegen zu können. Das kommt vor allem dem
traditionellen Verständnis von Bildung nahe, also
dem, was Schule leisten soll.
2 . Als instrumentelle Kompetenz umschreibt der 12.
Kinder- und Jugendbericht jene Fähigkeiten, die
sich auf die materiell-dingliche Welt beziehen,
etwa sich praktisch, physisch im Leben bewegen
und verhalten zu können, also nicht nur mental,
semantisch oder virtuell, sondern sich ganz konkret in einer stofflichen Umgebung, in der Natur,
in einer Welt von Produkten, in einer technischen
Welt zurechtzufinden (eine Fähigkeit, die in modernen Informations- und Wissensgesellschaften
immer stärker unterschätzt wird).
3 . Der dritte Kompetenzbereich, die soziale Kompetenz, ist auf die soziale (Um-)Welt ausgerichtet
und umfasst, vereinfacht ausgedrückt, all das, was
sich auf andere Menschen, auf das menschliche
Zusammenleben, auf das Gemeinwesen bezieht,
also etwa kommunikative Kompetenz, soziale Verantwortung oder politische Bildung.
4 . Und schließlich bedarf es einer vierten Kompetenzdimension, die sich auf die subjektive Welt
bezieht. Angesprochen wird damit die personale
Kompetenz, also etwa die Fähigkeiten, mit sich
selbst, mit seinen eigenen Emotionen, Hoffnungen
und Ängsten, mit seiner eigenen Körperlichkeit
umgehen zu können, sich selber wahrzunehmen,
sich zu sich selbst verhalten zu können und so etwas wie eine personale Identität zu entwickeln.
Informelles Lernen und damit auch der Kompetenzerwerb im zivilgesellschaftlichen Engagement bewegt sich dabei vor allem in den drei letztgenannten
Bereichen. Zivilgesellschaftliches Engagement hat
insoweit insbesondere für junge, aber auch für alle
anderen Menschen, eine eigene Bildungsrelevanz
(vgl. Rauschenbach u. a. 2007). Dies ist Thema des
folgenden Abschnitts.
4. Bildung im zivilgesellschaftlichen Engagement
In den letzten Jahren rückten die Bildungspotenziale
jugendlichen Engagements verstärkt in den Mittelpunkt. In Wissenschaft, Politik und den Organisationen des freiwilligen Engagements wird allgemein
davon ausgegangen, dass das Engagement junger
Menschen Lern- und Bildungsprozesse, insbesondere sozialer Art, sowie das Hineinwachsen in demokratische Spielregeln befördert (vgl. Thole/Hoppe 2003;
Enquete-Kommission 2002; Otto/Rauschenbach
2004; Corsa 1998, 2003). So sind die Themen Bildung, Demokratielernen und Kompetenzerwerb durch
freiwilliges Engagement in den letzten Jahren zunehmend in den Blick der empirischen Forschung geraten. In der jüngeren Jugendverbandsforschung etwa
werden verstärkt Fragen des Kompetenzerwerbs,
des sozialen Lernens und der Nachhaltigkeit der im
Engagement erworbenen Fähigkeiten ins Blickfeld
gerückt (vgl. Lehmann 2005; Fauser/Fischer/Münchmeier 2006; Schwab 2006; Reinders 2005; Richter/
Jung/Riekmann 2006). Hofer/Buhl (2000) kommen
bei der Sichtung empirischer Studien zum Einfluss
freiwilligen Engagements auf die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen zu dem Befund, dass trotz
der Heterogenität der Forschungsergebnisse von positiven Einflüssen sozialen Engagements auf die Persönlichkeitsentwicklung ausgegangen werden kann.
Die Studie von Düx u. a (2008)2 weist darauf hin,
dass im Engagement Heranwachsender neben sozialen und persönlichkeitsbildenden Eigenschaften
bzw. Fähigkeiten insbesondere Organisations-, Leitungs-, Team- und Gremienkompetenzen entwickelt
und vertieft werden. Anders als in der Schule wird
überwiegend durch Handeln in Realsituationen gelernt im Sinne von „learning by doing“. Die in § 11 des
Achten Sozialgesetzbuches definierte Aufgabe der
Jugendarbeit, junge Menschen zu Selbstbestimmung
und gesellschaftlicher Mitverantwortung sowie zu so77
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
zialem Engagement zu befähigen, scheinen die Jugendverbände zu erfüllen. Sie fungieren als Ermöglichungsräume, in denen Heranwachsende befähigt
werden, in realen Situationen gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und an der mikrosozialen
Gestaltung der Gesellschaft teilzuhaben.
In puncto Kompetenzerwerb wird deutlich, dass die in
ihrer Jugend Engagierten, verglichen mit der Gruppe
der Nicht-Engagierten, über ein breiteres Spektrum
an Erfahrungen und Kompetenzen verfügen. Besonders groß sind die Differenzen zwischen den beiden
Gruppen, wenn es um Organisations-, Gremien- und
Leitungskompetenzen geht. Zudem zeigt sich ein
Zusammenhang zwischen dem jugendlichen Engagement und der gesellschaftlichen Beteiligung im Erwachsenenalter. Mit anderen Worten: Freiwilliges Engagement junger Menschen hat auch Auswirkungen
auf das gesellschaftliche Engagement im Erwachsenenalter. Wer als Jugendlicher gesellschaftliche Verantwortung im freiwilligen Engagement übernimmt,
macht dies mit größerer Wahrscheinlichkeit auch im
Erwachsenenalter.
Im Anschluss an die neu entfachte Bildungsdebatte
nach PISA wurde schließlich in den letzten Jahren
das freiwillige Engagement zudem als eine wichtige
gesellschaftliche Ressource und soziale Quelle entdeckt, nicht zuletzt auch als ein Bildungsort für Heranwachsende. Freiwilliges Engagement besitzt also
spezifische Potenziale zum Kompetenzerwerb. Kurz:
Es
• ist ein eigenes, wichtiges Lernfeld,
• ist ein Übungsfeld für politische Bildung und demokratische Kompetenz,
• bietet unterschiedlichen Akteuren unterschiedliche
Lerngewinne,
• ist ein wichtiger Ort der sozialen Integration,
• ist ein wichtiges Rekrutierungsfeld für Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsberufe und
• bietet eher gut gebildeten Jugendlichen zusätzliche Lernchancen, wodurch aber auch wiederum
schichtspezifische Unterschiede verstärkt werden.
Mit Blick auf Settings des freiwilligen Engagements
als Orte und Gelegenheiten des Lernens lässt sich
demnach festhalten: Während junge Menschen in
der Schule oder in der Arbeitswelt meist in der Rolle
der Schülerin oder des Schülers bzw. des Arbeitnehmenden verhaftet bleiben, und daher dort so etwas
wie institutionalisierte partikularisierte Rollenbeziehungen dominieren, müssen sie sich im freiwilligen
Engagement in aller Regel als eigene Person einbrin78
gen, können sich jedoch zugleich aber auch selbst
als Person erfahren. Im freiwilligen Engagement
kommt somit stärker die „ganze Person“ zum Tragen,
so dass das hierauf bezogene Lernen auch eine erhöhte Chance eines verbundenen „Lernens mit Kopf,
Herz und Hand“ eröffnet. Hierin liegt das bislang unterschätzte Potenzial alternativer, ergänzender Bildungsprozesse des freiwilligen Engagements – etwa
in Jugendfreiwilligendiensten (vgl. Rauschenbach/
Liebig 2002; Rauschenbach 2007a) – in den gegenwärtigen Bildungsbiografien junger Menschen.
Dass junge Menschen nach eigener Einschätzung
von diesem Engagement auch profitieren, legen die
Befunde mehrerer empirischer Studien nahe, sei es
der Freiwilligensurvey von 2004 (vgl. Gensicke/Picot/Geiss 2006), die Evaluationsstudie zum Freiwilligen Sozialen bzw. Ökologischen Jahr sowie andere
Studien zu diesem Themenbereich (Rauschenbach
2007a), kleinere Studien zum Lernen im Freiwilligenengagement (vgl. Lehmann 2005) und nicht zuletzt die genannte, umfangreiche Studie zum Kompetenzerwerb im Freiwilligenengagement (vgl. Düx u. a.
2008).3
Nach den Befunden der zuletzt genannten Studie und
der dabei durchgeführten qualitativen Erhebungen
kommen Lernprozesse in den Settings des freiwilligen Engagements – im Unterschied zur Schule – in
der Regel den Interessen der Jugendlichen weitaus
näher, sofern diese in selbstbestimmter Form und mit
selbst gewählten Inhalten stattfinden. Die Mehrheit
schreibt den Erwerb der Kompetenzen dabei sowohl
den offenen Bildungsprozessen in non-formalen Kontexten als auch den informellen Lernpotenzialen in
den Formen des freiwilligen Engagements zu.
Insgesamt gilt es, Jugendliche in diesen Formen des
Engagements und den darauf bezogenen Urteilen
ernst zu nehmen und zu unterstützen. So können
sie erfahren, dass das eigene Handeln auch Konsequenzen für sie selbst, für ihre Zukunft, aber auch für
Dritte hat. Sobald sie sich nur als Anhängsel einer
Erwachsenenkultur empfinden, wird die Chance ihrer
aktiven, bildenden Beteiligung verschenkt. Kinder und
Jugendliche müssen Übernahme von sozialer Verantwortung positiv, partizipativ erleben können und sehen, dass es etwas bringt, sich selbst einzubringen.4
5. Handlungsempfehlungen
Abschließend werden vor dem Hintergrund der hier
gemachten Ausführungen einige Handlungsempfehlungen für die weitere Gestaltung und den Ausbau der
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Bildungspotenziale im freiwilligen, zivilgesellschaftlichen Engagement formuliert:
1 . Freiwilligenengagement junger Menschen als gesellschaftliche Ressource: Menschen, die sich in
ihrer Jugend zivilgesellschaftlich engagiert haben,
werden sich auch im Erwachsenenalter mit einer
höheren Wahrscheinlichkeit engagieren. Dieser
Zusammenhang muss aus zwei Gründen im Blick
behalten werden: Zum einen ist das Engagement
im Jugendalter eine wichtige Voraussetzung für
ein generelles zivilgesellschaftliches Engagement
im späteren Lebensalter, aber auch für ein höheres
Maß an sozialer Teilhabe und Mitgestaltung einer
zivilgesellschaftlichen Demokratie. Zum anderen
ist in den nächsten 25 Jahren im Lichte des demografischen Wandels ein eher steigender Bedarf
an personenbezogenen sozialen Dienstleistungen
(„Dienste am Menschen“) zu erwarten, wofür die
Erfahrungen eines zivilgesellschaftlichen Engagements im Jugendalter in vielen Fällen eine wichtige Vorerfahrung ist. Daher kommt der Frage des
freiwilligen Engagements im Jugendalter in Zukunft eine eher wachsende Bedeutung zu. 2. N
otwendige zivilgesellschaftliche Freiräume: Das
zivilgesellschaftliche Engagement zu Beginn des
21. Jahrhunderts stellt sich vielfältiger und dynamischer dar, als es von außen oft betrachtet wird.
In diesem Engagement kommt auch ein Stück weit
das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Individuum zum Ausdruck, vermittelt über sogenannte
„intermediäre Instanzen“, also über Vereine, Verbände, Kirchen und vieles mehr. Die Formen des
Engagements sind dabei nicht nur Ausdruck der
individuellen Bereitschaft, etwas für sich, für andere oder für eine Sache aus freien Stücken, jenseits
beruflicher und finanzieller Interessen zu tun. Sie
sind zugleich immer auch eine Zustandsbeschreibung der sich verändernden gesellschaftlichen
Kontexte. Genau in dieser Hinsicht wird es in Zukunft mehr denn je darauf ankommen, ob die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dem „Projekt Zivilgesellschaft“ genügend Raum lassen, um
sich produktiv weiterzuentwickeln. Hierfür müssen
künftig noch mehr als bisher alle Akteure, die am
Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen beteiligt sind, ihren Beitrag leisten. Dies gilt für Kindertageseinrichtungen ebenso wie für die Schule, für
die Kinder- und Jugendarbeit gleichermaßen wie
für Vereine und Initiativen.
3. Bedeutung anderer Bildungsorte: Bisherige Orte
des zivilgesellschaftlichen Engagements, etwa
die Offene Jugendarbeit, die Jugendverbandsarbeit, das kommunale Vereinswesen oder die Angebote der politischen Bildung, müssen mit ihren
Angeboten und Ressourcen stärker mit der Schule
vernetzt werden, etwa im Rahmen der Ganztagsschulen als Bestandteil des nicht-unterrichtlichen
Angebots oder im Rahmen der lokalen Bildungslandschaften. Insgesamt wird es entscheidend
darauf ankommen, ob es gelingt, junge Menschen
im Rahmen der schulbezogenen Teilhabe auch für
Fragen des zivilgesellschaftlichen Engagements
zu gewinnen. Schule sollte ungleich mehr als in
der Vergangenheit zu einem Ort der Einübung in
sozialer Verantwortungsübernahme werden. Nur
dadurch kann es gelingen, auch jene jungen Menschen zu erreichen, die bislang keine Zugänge zu
den außerschulischen Angeboten gefunden haben, ohne dass sich die Frage neuer Pflichtdienste
oder ähnlicher Wege der Beteiligung stellt. 4. K
ompetenzforschung und die Bedeutung freiwilligen Engagements: Nach wie vor ist eine systematische Unterschätzung der Bildungspotenziale
des Freiwilligenengagements zu beobachten.
Die durch Formen des zivilgesellschaftlichen
Engagements erworbenen Kompetenzen müssen in Zukunft besser sichtbar gemacht, stärker
gesellschaftlich anerkannt und bildungspolitisch
aufgewertet werden. Hierzu gehört auch eine
verbesserte Erforschung im Rahmen der Kompetenzdiagnostik und einer außerschulischen Bildungsforschung. Als Thema der Engagementforschung muss es zu einem Standardthema werden.
5. J ugendliche als Zivilakteure der Gegenwart und
Zukunft: Es gilt, junge Menschen als Akteure und
Ko-Produzenten in ihrem freiwilligen Engagement
und in ihrem Urteil ernst zu nehmen. Sie müssen
in diesem Engagement erfahren können, dass
das eigene Handeln auch Konsequenzen für sie
selbst, für ihre Zukunft, aber auch für Dritte hat.
Die Jugend braucht eigene, von der Erwachsenenwelt unabhängige, Verantwortungsräume,
sonst wird die Chance ihrer aktiven Beteiligung
verschenkt. Junge Menschen müssen Demokratie positiv, partizipativ erleben können und sehen,
dass es Folgen hat, sich selbst einzubringen. Nur
so kann ihre Demokratiefähigkeit wachsen. Aktive
Einbindung stärkt die Akzeptanz von politischen
Gestaltungsprozessen.
6. Zivilgesellschaftliches Engagement als jugendlicher Lebensstil: Jugendliche engagieren sich aus
eigenem Interesse und eigener Bereitschaft. Es ist
damit eine (eigentlich dankbare) Aufgabe für Politik und Gesellschaft, den Jugendlichen Zugänge
und Gelegenheiten zu freiwilligem Engagement
und zu aktiver Partizipation zu eröffnen – und das
nicht nur auf den vermeintlichen „Spielwiesen“ der
außerschulischen Jugendarbeit, sondern auch
ganz gezielt inmitten der öffentlichen Bildungssy79
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
steme, also etwa an den Schulen oder Universitäten. Hier bestehen noch erhebliche, ungenutzte
Gestaltungspotenziale.
7. V
erbesserte Bedingungen der Erreichbarkeit junger Menschen: Um die Bildungspotenziale des
zivilgesellschaftlichen Engagements stärker zu
nutzen, müssen die Rahmenbedingungen für das
freiwillige Engagement in der außerschulischen
Jugendbildung, aber auch im Rahmen der Freiwilligendienste sowie vor allem in der Zusammenarbeit mit der Schule verbessert und ausgebaut
werden. Nur so können die Kompetenzdimensionen des zivilgesellschaftlichen Engagements
vom Grundsatz her alle Kinder und Jugendlichen
erreichen.
Anhang
1. Ausgewählte zentrale Ergebnisse der Studie
zum Kompetenzerwerb von Jugendlichen im
freiwilligen Engagement (vgl. Düx u. a. 2008).
Die Kernfrage der Studie lautete: Was lernen Jugendliche durch ein freiwilliges Engagement in ehrenamtlichen Settings? Um Antworten auf diese Frage zu erhalten, wurden zwei Erhebungen durchgeführt. Zum
einen wurden im Rahmen einer qualitativen Erhebung
74 engagierte Jugendliche im Alter zwischen 15 und
22 Jahren sowie 13 ehemals engagierte Erwachsene
zu ihren (Lern-)Erfahrungen in drei unterschiedlichen
Settings des freiwilligen Engagements leitfadengestützt interviewt – in Jugendverbänden, in Initiativen und in der politischen Interessenvertretung bzw.
Schülervertretung.
Zum anderen wurden in einer standardisierten, telefonischen Erhebung über 2.000 Personen im Alter zwischen 25 und 40 Jahren befragt, von denen 1.500 im
Jugendalter mindestens ein Jahr ehrenamtlich aktiv
waren, während dies bei den anderen 550 Befragten
nicht der Fall war. Befragt wurden sie vor allem zu
Umfang, Ausmaß und Qualität ihrer selbst eingeschätzten Kompetenzen sowie zum vermutlichen Einfluss der unterschiedlichen Bildungsorte auf diesen
Kompetenzerwerb. Auf diese Weise sollten sich zumindest Hinweise identifizieren lassen, ob und wenn
ja, in welchen Bereichen diese Settings engagierten
jungen Menschen exklusive oder zumindest privilegierte Bildungsmöglichkeiten eröffnen.
Beiden Erhebungen lässt sich zunächst einmal
entnehmen, dass die untersuchten Segmente des
freiwilliges Engagements für junge Menschen aus
deren Sicht wichtige gesellschaftliche Lernfelder
80
darstellen, in denen Kompetenzen vor allem in den
Dimensionen personaler, sozialer und praktischer
Bildung erworben werden. Die Befunde unterstützen
dabei die These, dass hier anders und Anderes gelernt wird als in der Schule. Dies lässt sich in mehrfacher Hinsicht zeigen und anhand einiger Themenblöcke illustrieren (vgl. ausführlich Düx u. a. 2008,
S. 261ff.).
(1) Engagementspezifische Kompetenzen: Während
Schule insbesondere kulturelle – und darin überwiegend kognitive – Kompetenzen vermittelt, weisen
die Befunde der qualitativen Untersuchung vor allem
auf die Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen durch ein entsprechendes ehrenamtliches
Engagement hin. Die Ergebnisse der standardisierten
Untersuchung ermöglichen darüber hinaus weitere
Präzisierungen: Durch ein ehrenamtliches Engagement werden ganz spezifische Bereiche der sozialen
Bildung und der Persönlichkeitsbildung entwickelt
und gefördert, nicht zuletzt so etwas wie Management- oder Leitungskompetenzen. Und die dort erworbenen Kompetenzen werden als „extrafunktionale
Fertigkeiten“ überall genutzt, sind gewissermaßen
multifunktional einsetzbar: in der Schule, in der Familie und im Freundeskreis ebenso, wie in der Arbeitswelt und im Beruf.
(2) Zunahme des sozialen Kapitals durch das Engagement: Neben der Erweiterung des Wissens und
Könnens im Bereich der sozialen und personalen
Kompetenzen spielt der Erwerb sozialen Kapitals,
d. h. der Aufbau (neuer) persönlicher Kontakte und
Beziehungen, in allen Settings des freiwilligen Engagements eine große Rolle. Wie zahlreiche Aussagen in den Interviews nahe legen, lassen sich
im Rahmen des freiwilligen Engagements Erfahrungen sozialer Zugehörigkeit machen, die weit
über den sozialen Nahraum der Familie hinausgehen und den Handlungsspielraum sowie das Beziehungsnetz Heranwachsender zum Teil erheblich
erweitern.
(3) Engagierte und Nicht-Engagierte im Vergleich: Es
zeigt sich, dass die in ihrer Jugend Engagierten durchgängig über ein breiteres Spektrum an Erfahrungen
und damit offenbar auch über mehr Kompetenzen
verfügen als Nicht-Engagierte. Besonders groß sind
die Differenzen zwischen diesen beiden Gruppen mit
Blick auf bestimmte Aspekte sozialer und kultureller
Kompetenzen, vor allem bei organisatorischen Aufgaben, Gremienarbeit, rhetorischen Fähigkeiten, pädagogischen Aktivitäten (Gruppenleitung und Training)
sowie Teamerfahrungen, der Publikation eigener
Texte sowie den Leitungskompetenzen.
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Besonders schwach sind Unterschiede hingegen zwischen den früher Engagierten und Nicht-Engagierten
vor allem in Bereichen, die eher alltagspraktische,
soziale oder instrumentelle Kompetenzen berühren,
die überall vorkommen können, sei es die Betreuung
kleiner Kinder, kranker oder alter Menschen, sei es
die Beratung in Beziehungskonflikten oder sei es die
Reparatur eines technischen Gerätes. Aber auch bei
jenen kulturellen Kompetenzen, die man insbesondere in der Schule oder in der Berufsausbildung erwirbt,
z. B. musikalische Fertigkeiten, des Erlernen einer
Fremdsprache oder die Erstellung einer Finanzabrechnung, sind die Differenzen zwischen den einst
Engagierten und Nicht-Engagierten relativ gering.
(4) Freiwilliges Engagement – ein wichtiger Lernort für
demokratische Bildung: Die von Wissenschaft, Politik
und Verbänden vertretene Annahme, dass das Engagement Jugendlicher ein wichtiger gesellschaftlicher
Lernort für den Erwerb und die Förderung sozialer Eigenschaften und Fähigkeiten ist, wird im quantitativen
wie qualitativen Teil der Studie bestätigt. Allerdings lassen sich in der standardisierten Erhebung keine Hinweise dafür finden, dass das freiwillige Engagement in
der Jugendarbeit hierfür ein exklusiver Lernort wäre.
Beide Befragungen liefern jedoch hinreichend Indizien, die die allgemeine Annahme einer verbesserten Entwicklung und Einübung demokratischer
Fähigkeiten, Kenntnisse und Einstellungen durch
Verantwortungsübernahme im Rahmen eines ehrenamtlichen Engagements unterstreichen. Für die für
Mitbestimmung und Mitgestaltung einer demokratischen Zivilgesellschaft wichtigen Kompetenzen wie
Interessenvertretung und „Gremienkompetenz“, also
die Kenntnis und Anwendung formal-demokratischer
Verfahrensweisen und Spielregeln, scheint das freiwillige Engagement für Jugendliche allerdings vorerst
ein nahezu exklusiver Lernort zu sein.
(5) Reflexionsvermögen und Handlungswirksamkeit:
In der Engagement-Studie bestätigen sich darüber
hinaus Befunde amerikanischer Untersuchungen
zum sozialen Engagement Heranwachsender, wonach Jugendliche dabei mit Inhalten, Normen und
Werten konfrontiert werden, die ihre Reflexion über
gesellschaftspolitische Bedingungen und ihre eigene
Rolle innerhalb der Gesellschaft hin zu mehr sozialem und politischem Bewusstsein anregen können.
Zugleich erhalten sie hier die Möglichkeit, durch ihr
eigenes freiwilliges, aktives Engagement sich selbst
als Handelnde zu erleben, die durch ihre Mitwirkung
in gemeinnützigen Organisationen kleine oder größere Veränderungen herbeiführen können.
(6) Erfahrung gesellschaftlicher Nützlichkeit: Durch
die lange Schulphase werden Heranwachsende in
Deutschland weitgehend von sozialer und gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme ferngehalten. Die qualitativen Interviews liefern Hinweise dafür,
dass das freiwillige Engagement jungen Menschen
demgegenüber bereits im Jugendalter die Möglichkeit eröffnet, in einem geschützten Rahmen nach und
nach soziale und gesellschaftliche Aufgaben sowie
Verantwortung für andere zu übernehmen. Auf diese
Weise können sie die für Heranwachsende wichtige
Erfahrung konkreter Nützlichkeit sowie gesellschaftlicher Relevanz ihres eigenen Tuns machen.
(7) Engagementspezifische Lernchancen und -formen: Die organisatorischen Formen des Engagements unterscheiden sich von vielen anderen
Lernorten vor allem dadurch, dass hier bereits im Kindes- und Jugendalter durch die aktive, partielle Übernahme von Verantwortung in der konkreten Praxis in
Ernstsituationen gelernt wird. Gemäß den Befunden
der qualitativen Erhebung scheinen die Lernprozesse in Settings des freiwilligen Engagements – im
Unterschied zur Schule – in der Regel den eigenen
Interessen der Jugendlichen weitaus mehr zu entsprechen, zumal sie in einem Umfeld in häufig selbstbestimmter Form und mit selbst gewählten Inhalten
stattfinden.
Die Kombination von hoher Motivation durch frei
gewählte Verantwortungsbereiche und einem gemeinsamen Handeln in der Gleichaltrigengruppe,
verbunden mit den Herausforderungen durch die
übernommene Verantwortung sowie der Unterstützung durch Erwachsene, bietet spezifische lern- und
entwicklungsförderliche Bedingungen, die die Settings
des ehrenamtlichen Engagements zu besonderen
Lernfeldern und „Ermöglichungsräumen“ für Heranwachsende machen. In der Freiwilligkeit, Vielfalt und
Selbstbestimmtheit des Lernens liegen die Chancen
und Stärken dieses außerschulischen Lernfeldes.
(8) „Learning by doing“: Obwohl Fortbildungsveranstaltungen wichtig und auch in der Jugendarbeit für
eine Reihe von Aufgaben nahezu unerlässlich sind
– insbesondere in den Hilfs- und Rettungsorganisationen sowie für die eigene Arbeit mit Kindern und
Jugendlichen –, zeigt sich doch zugleich, dass für
die Aneignung vieler Kompetenzen das „learning
by doing“, also das lernende Handeln unter Realbedingungen, das Sammeln von eigenen Erfahrungen
ohne die handlungsentlastenden Als-Ob-Situationen
typischer schulischer Lernsettings, in der Praxis des
Engagements eine erhebliche Bedeutung hat.
81
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Insgesamt zeigen die Befunde der Studie, dass nur
wenige der Engagierten, die angeben, ihre Kompetenzen überwiegend im ehrenamtlichen Engagement
erworben zu haben, hierfür ausschließlich Kurse und
Schulungen der Organisationen nennen. Die Mehrheit schreibt den Erwerb der Kompetenzen sowohl
den offenen Bildungsprozessen in non-formalen Kontexten als auch den informellen Lernpotenzialen in
den Formen des praktischen Engagements zu. Dieser
Befund lässt sich anhand der qualitativen Befragung
bestätigen, bei der an vielen Beispielen deutlich wird,
dass im Engagement informelle und non-formale
Lernmöglichkeiten und -angebote ineinander greifen
und sich gegenseitig verstärken.
Die Studie scheint somit im Kern den Befund zu belegen, dass in den aktivierenden Formen jugendlichen
Engagements zumindest für die ehrenamtlich aktiven
Personen erhebliche Bildungspotenziale enthalten
sind und nach Einschätzung der Betroffenen diese bei
ihnen auch wiederholt zum Tragen kamen. Dennoch
muss in den nächsten Jahren die diesbezügliche Forschung weiter intensiviert werden, um das potenzielle
Leistungsvermögen und die tatsächlich abgerufenen
Leistungen der Kinder- und Jugendarbeit für die Kinder und Jugendlichen ebenso wie für die ehrenamtlich
aktiven Personen differenzierter zu erfassen.
2. Weitere Befunde aus empirischen Studien
zur Verantwortungsübernahme und prosozialem
Verhalten
Die bereits erwähnten Studien wie die 13. und 14.
Shell-Jugendstudie (vgl. Jugendwerk der Deutschen
Shell 2000, 2002) weisen auf einen positiven Zusammenhang zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und politischem Interesse, politischer Aktivität
sowie Vertrauen in politische Institutionen hin. Die
Studien von Reinders (2005, 2006) zeigen ganz ähnlich, dass zivilgesellschaftlich Engagierte sich stärker
an politischen Wahlen beteiligen als Nichtengagierte. Die kausalen Zusammenhänge von Prosozialität
und zivilgesellschaftlichem Engagement benötigen
allerdings noch genauere Untersuchungen, wie eine
aktueller Befund von Prein u.a . zeigt (vgl. Prein/Sass/
Züchner 2009, S. 538f.).
In Studien aus den USA, die entgegen den deutschen
Studien zum Teil Längsschnittcharakter besitzen,
zeigt sich bei sozial engagierten im Highschool-Alter,
dass die Bereitschaft zu politischer Partizipation und
die prosoziale Orientierung bei gemeinnützig Tätigen
im Zeitverlauf zunimmt (vgl. Metz/McLellan/Youniss
2003). Die Längsschnittstudien zeigen aber auch, dass
die kausale Erklärung des politischen und sozialen In82
teresses nicht oder nur schwach über das soziale Engagement im Community Service erfolgen kann, da
das entsprechende Interesse bei diesen Jugendlichen
bereits von Anfang an höher ist (vgl. Kerestes/Youniss/
Metz 2004). Die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf
Deutschland bleibt jedoch fraglich und bedarf vergleichender Studien (vgl. Reinders 2009, S. 21).
Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch das aus dem
amerikanischen stammende „Service learning“ (vgl.
Sliwka/Frank 2004; Sliwka u. a. 2004). Service kann
mit „Dienst am Gemeinwohl“ übersetzt werden,
welches neben verbesserten Lernleistungen, so die
Hoffnung, verantwortliche Persönlichkeiten und einen vertieften Lernerfolg ermöglichen. Es stellt ein
Konzept des Lehrens und Lernens dar, welches Wissens- und Kompetenzerwerb integriert. Kern des
Konzeptes ist der Gedanke, dass die Lernenden – in
der Regel Schüler/innen oder Studierende – ihr Wissen in gemeinnützige Tätigkeiten einbringen, erweitern und sich zusätzliche Kompetenzen aneignen.
Erste Hinweise zur Wirkung des Konzepts finden sich
lediglich im Hinblick auf ein gesteigertes subjektives
Wissen (vgl. Reinders 2009, S. 31). Weitergehende
Forschungen stehen für Deutschland noch aus.
Interessant und weiterführend ist im Kontext der hier
anstehenden Forschungsfragen schließlich auch ein
allerdings noch nicht empirisch überprüftes Modell
zu Voraussetzungen, Gestalt und Auswirkungen gemeinnütziger Tätigkeit im Jugendalter von Reinders
(vgl. Reinders 2009, S. 32). (s. Abb. 1)
Kurze Erläuterung des Modells:
• Zu beachten sind die Voraussetzungen für ehrenamtliches Engagement: ausgeprägte soziale Netzwerke, ein gehobener Bildungsstand, individuelle
Motive (überschaubare Tätigkeit, kurz- bis mittelfristige Bindung, Spaß bei der Tätigkeit und Anknüpfungspunkte für eigene Interessen).
• Tätigkeitsformen: Die Befunde von Youniss/Yates
(1997) betonen die Bedeutung der direkten Interaktion für den Erwerb von sozialen und politischen
Kompetenzen, Düx u. a. (2008) hingegen verweisen auf den persönlichen Einsatz in Organisationen
und die Übernahme von Leitungstätigkeiten, die die
Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich die personalen Kompetenzen erweitern (Düx u.a. 2008) im
Sinne der Intensität als förderliche Variable.
• Erfahrungen: Selbstwirksamkeit als möglicher Initiator für den Kompetenzerwerb.
• Kompetenzen: Kernstück der Argumentation ist die
Entfaltung sozialer Kompetenzen, die eine politisch
mündige Akteursfähigkeit herstellen.
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
Abb. 1: Theoretisches Modell zu Voraussetzungen, Gestalt und Auswirkungen gemeinnütziger Tätigkeit im Jugendalter
Soziale
Netzwerke
Tätigkeitsinhalte
Handlungswirksamkeit
Bildungsstand
Personale
Kompetenzen
Soziale
Kompetenzen
Gemeinnützige
Tätigkeit
Motiv
Region
Tätigkeitsintensität
Voraussetzungen
Tätigkeitsformen
Veränderung
Selbstbild
Erfahrungen
Politische
Partizipation
Kompetenzerwerb
Quelle: Reinders 2009, S. 32
Dieses Modell könnte dazu beitragen, die Forschungsperspektive zum Kompetenzerwerb innerhalb des zivilgesellschaftlichen Engagements zu
systematisieren.
Anmerkungen
1 Die nachfolgenden Teile basieren auf Passagen in
anderen Texten und Veröffentlichungen (vgl. etwa
Rauschenbach 2009c).
2 Die zentralen Ergebnisse sind im Anhang (1) ausführlicher zu finden.
3 Die zentralen Ergebnisse sind im Anhang (1) zusammengefasst.
4 Weitere empirische Studien, die eine hohe Bedeutung des Engagements für Verantwortungsübernahme und prosoziales Verhalten zum Gegenstand
haben, sind kurz im Anhang (2) zusammengefasst.
Literatur
• Alscher, Mareike/Dathe, Dietmar/Priller, Eckhard/
Speth, Rudolf (2009): Bericht zur Lage und zu
den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. Herausgegeben vom
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
(WZB). Berlin.
• Beher, Karin/Liebig, Reinhard/Rauschenbach,
Thomas (2002): Das Ehrenamt in empirischen
Studien. Ein sekundäranalytischer Vergleich. In:
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (Hg.), Schriftenreihe Band 163. 3. Aufl.
Stuttgart.
• Buhl, Monika/Kuhn, Hans-Peter (2005): Erweiterte
Handlungsräume im Jugendalter: Identitätsentwicklung im Bereich gesellschaftlichen Engagements. In: Schuster, Beate H./Kuhn, Hans-Peter/
Uhlendorf, Harald (Hg.), Entwicklung in sozialen
Beziehungen – Heranwachsende in ihrer Auseinandersetzung mit Familie, Freunden und Gesellschaft. Stuttgart. S. 217-237.
• Bundesjugendkuratorium (BJK) (Hg.) (2001): Zukunftsfähigkeit sichern! Für ein neues Verhältnis
von Bildung und Jugendhilfe. Eine Streitschrift des
Bundesjugendkuratoriums. Berlin.
• Bundesjugendkuratorium u. a. (Hg.) (2002): Bildung
ist mehr als Schule. Leipziger Thesen zur aktuellen
bildungspolitischen Debatte. (www.bundesjugendkuratorium.de/pdf/1999-2002/bjk_2002_bildung_
ist_mehr_als_schule2002.pdf, Stand: 25.11.08).
• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (BMFSFJ) (Hg.) (2005): Zwölfter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der
Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Bundestagsdrucksache 15/6014. Berlin.
• Corsa, Mike (1998): Jugendliche, das Ehrenamt und
die gesellschaftspolitische Dimension. In: Recht
der Jugend und des Bildungswesens, 46.Jg., Heft
3. S. 322-334.
83
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
• Corsa, Mike (2003): Jugendverbände und das Thema „Jugendarbeit und Schule“ – aufgezwungen,
nebensächlich oder existenziell? In: deutsche jugend, 51. Jg., Heft 9. S. 369-379.
• Deutsches PISA-Konsortium (Hg.) (2001): PISA
2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und
Schülern im internationalen Vergleich. Opladen.
• Düx, Wiebken (1999): Das Ehrenamt im Jugendverband. Ein Forschungsbericht. Frankfurt a. M.
• Düx, Wiebken (2000): Das Ehrenamt in Jugendverbänden. In: Beher, Karin/Liebig, Reinhard/Rauschenbach, Thomas (Hg.), Strukturwandel des Ehrenamts. Weinheim/München. S. 99-142.
• Düx, Wiebken/Prein, Gerald/Sass, Erich/Tully,
Claus J. (2008): Kompetenzerwerb im freiwilligen
Engagement. Wiesbaden.
• Düx, Wiebken/Sass, Erich (2006): Lernen in informellen Settings. Ein Forschungsprojekt der Universität Dortmund und des DJI. In: Tully, Claus J.
(Hg.): Lernen in flexibilisierten Welten. Wie sich
das Lernen der Jugend verändert. Weinheim/München. S. 201-218.
• Enquete-Kommission (2002): „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“. Deutscher Bundestag. Bericht. Bürgerschaftliches Engagement:
auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft, Schriftenreihe. Band 4. Opladen.
• Fauser,
Katrin/Fischer,
Arthur/Münchmeier,
Richard (2006): Jugendliche als Akteure im Verband. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung
der Evangelischen Jugend. Band 1. Opladen/Farmington Hills.
• Gaiser, Wolfgang/de Rijke, Johann (2006): Gesellschaftliche und politische Beteiligung. In: Gille,
Martina/Sardei-Biermann, Sabine/Gaiser, Wolfgang/de Rijke, Johann (Hg.), Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland. DJI-Jugendsurvey. Band 3. Wiesbaden. S. 213-275.
• Gensicke, Thomas/Picot, Sibylle/Geiss, Sabine
(2006): Freiwilliges Engagement in Deutschland
1999-2004. Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und
bürgerschaftlichem Engagement. Wiesbaden.
• Gille, Martina/Sardei-Biermann, Sabine/Gaiser,
Wolfgang/de Rijke, Johann (2006): Jugendliche
und junge Erwachsene in Deutschland. Lebensverhältnisse, Werte und gesellschaftliche Beteiligung 12- bis 29-Jähriger. DJI-Jugendsurvey. Band
3. Wiesbaden.
• Hofer, Manfred/Buhl, Monika (2000): Soziales
Engagement Jugendlicher: Überlegungen zu einer technologischen Theorie der Programmgestaltung. In: Kuhn, Hans-Peter/Uhlendorf, Harald/
Krappmann, Lothar (Hg.), Sozialisation zur Mitbürgerlichkeit. Opladen. S. 95-111.
84
• Jugendwerk der Deutschen Shell (Hg.) (2000): Jugend 2000. 13. Shell Jugendstudie. Opladen.
• Jugendwerk der Deutschen Shell (Hg.) (2002): Jugend 2002. Zwischen pragmatischem Idealismus
und robustem Materialismus. Frankfurt a. M.
• Kerestes, Michael/Youniss, James/Metz, Edward
(2004): Longitudinal patterns of religious perspective and civic integration. In: Applied Developmental Science. Nr. 8. S. 39-46.
• Konsortium Bildungsberichterstattung (Hg.) (2006):
Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter
Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration.
Bielefeld.
• Lehmann, Tobias (2005): Jugendverbände, Kompetenzentwicklung und biografische Nachhaltigkeit. Eine neue Perspektive auf Jugendverbandsarbeit. In: Jugendpolitik, 4. Jg., Heft 2. S. 16-19.
• Metz, Edward/McLellan, Jeffrey A./Youniss, James
(2003): Types of voluntary service and adolescents
civic development. In: Journal of Adolescent Research. Nr. 18. S. 188-203.
• Münchmeier, Richard, Otto, Hans-Uwe/Rabe-Kleberg, Ursula (Hg.) (2002): Bildung und Lebenskompetenz. Opladen.
• Otto, Hans-Uwe/Rauschenbach, Thomas (Hg.)
(2004): Die andere Seite der Bildung. Zum Verhältnis von formellen und informellen Bildungsprozessen. Wiesbaden.
• Picot, Sibylle (Hg.) (2001): Freiwilliges Engagement in
Deutschland: Frauen und Männer, Jugend, Senioren
und Sport. Bd. 3, 2. korr. Aufl. Stuttgart/Berlin/ Köln.
• Prein, Gerald/Sass, Erich/Züchner, Ivo (2009): Lernen im freiwilligen Engagement und gesellschaftliche Partizipation. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Nr. 3. S. 529-547.
• Rauschenbach, Thomas (1999): „Ehrenamt“ – eine
Bekannte mit (zu) vielen Unbekannten. Randnotizen zu den Defiziten der Ehrenamtsforschung. In:
Kistler, Ernst/Noll, Heinz-Herbert/Priller, Eckhard
(Hg.): Perspektiven gesellschaftlichen Zusammenhalts. Empirische Befunde, Praxiserfahrungen,
Messkonzepte. Berlin. S. 67-76.
• Rauschenbach, Thomas (2007): Im Schatten der
formalen Bildung – Alltagsbildung als Schlüsselfrage der Zukunft. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung. 2. Jahrgang. S. 439-453.
• Rauschenbach, Thomas (2007a): Jugendfreiwilligendienste. Lernorte zwischen Schule und Beruf.
In: Deutsche Jugend. Zeitschrift für die Jugendarbeit, 55 (2007), Heft 9. S. 385-394.
• Rauschenbach, Thomas (2009a): Engagiert in der
Zivilgesellschaft, in: Evangelische Kirche Deutschland (Hrsg.): Ehrenamtliches Engagement in Kirche und Gesellschaft. Kirchenamt der EKD. Hannover, S. 6-23.
Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches Engagement
• Rauschenbach, Thomas (2009b): Informelles Lernen. Möglichkeiten und Grenzen der Indikatorisierung. In: Tippelt, Rudolph (Hg.), Steuerung durch
Indikatoren. Methodologische und theoretische
Reflektionen zur deutschen und internationalen
Bildungsberichterstattung. Leverkusen. S. 35-53.
• Rauschenbach, Thomas (2009c): Zukunftschance
Bildung. Familie, Jugendhilfe und Schule in neuer
Allianz. Weinheim/München.
• Rauschenbach, Thomas/Düx, Wiebken/Sass,
Erich (2006): Informelles Lernen im Jugendalter.
Vernachlässigte Dimensionen der Bildungsdebatte, Weinheim und München.
• Rauschenbach, Thomas/Liebig, Reinhard (2002):
Freiwilligendienste – Wege in die Zukunft. Gutachten
zur Lage und Zukunft der Freiwilligendienste. Herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn.
• Rauschenbach, Thomas/Müller, Siegfried/Otto,
Ulrich (1992): Vom öffentlichen und privaten Nutzen des sozialen Ehrenamtes. In: Müller, Siegfried/
Rauschenbach, Thomas (Hg.), Das soziale Ehrenamt. Nützliche Arbeit zum Nulltarif. 2. Aufl. Weinheim/München. S. 223-242.
• Reinders, Heinz (2005): Jugend. Werte. Zukunft.
Wertvorstellungen, Zukunftsperspektiven und soziales Engagement im Jugendalter. Herausgegeben von der Landesstiftung Baden-Württemberg.
Schriftenreihe der Landesstiftung Baden-Württemberg. Stuttgart.
• Reinders, Heinz (2006): Freiwilligenarbeit und politische Engagementbereitschaft in der Adoleszenz.
Skizze und empirische Prüfung einer Theorie
gemeinnütziger Tätigkeit. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Nr. 4, S. 599-616.
• Reinders, Heinz (2009): Bildung und freiwilliges
Engagement im Jugendalter. Expertise für die Bertelsmann Stiftung. Schriftenreihe Empirische Bildungsforschung. Band 10. Würzburg.
• Richter, Helmut/Jung, Michael/Riekmann, Wibke
(2006): Jugendverbandsarbeit in der Großstadt.
Perspektiven für Mitgliedschaft und Ehrenamt am
Beispiel der Jugendfeuerwehr Hamburg. Hamburg.
• Rosenbladt, Bernhard v. (Hg.) (2001): Freiwilliges
Engagement in Deutschland: Bd.1 der Repräsentativerhebung 1999 zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. In:
Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Band 194.1. 2.
Aufl. Stuttgart/Berlin/Köln.
• Santen, Erik v. (2005): Ehrenamt und Mitgliedschaften bei Kindern und Jugendlichen. Eine
Übersicht repräsentativer empirischer Studien. In:
Rauschenbach, Thomas/Schilling, Matthias (Hg.),
Kinder- und Jugendhilfereport II. Weinheim/München. S. 175-202.
• Schwab, Jürgen (2006): Bildungseffekte ehrenamtlicher Tätigkeit in der Jugendarbeit. In: deutsche
jugend, 54. Jg., Heft 7/8. S. 320-328.
• Shell Deutschland Holding (Hg.) (2006): Jugend
2006. Eine pragmatische Generation unter Druck.
Frankfurt a. M.
• Sliwka, Anne/Frank, Susanne. (2004): Service
Learning – Verantwortung Lernen in Schule und
Gemeinde. Weinheim.
• Sliwka, Anne/Petry, Christian/Kalb, Peter E. (Hg.)
(2004): Durch Verantwortung lernen. Service learning: Etwas für andere tun. Weinheim/Basel.
• Thole, Werner/Hoppe, Jörg (Hg.) (2003): Freiwilliges Engagement – ein Bildungsfaktor. Berichte
und Reflexionen zur ehrenamtlichen Tätigkeit von
Jugendlichen in Schule und Jugendarbeit. Frankfurt a. M.
• Youniss, James/Yates, Miranda (1997): Community
service and social responsibility in youth. Chicago.
• Züchner, Ivo (2006): Mitwirkung und Bildungseffekte in Jugendverbänden – ein empirischer Blick.
In: deutsche jugend. 54. Jg., Heft 5. S. 201-209.
85
Dialogforum
„Arbeitsmarktpolitik und
bürgerschaftliches
Engagement“
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des
Dialogforums am 22. April 2010 und des
vorbereitenden Workshops am 25. März 2010
• Dr. Selma Aposkitis, Deutscher Bundestag, Büro
Heinz Golombeck, MdB
• Dr. Karl Birkhölzer, Technische Universität Berlin
• Dr. Claire Bortfeldt, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Margot Bähnisch, Staatskanzlei des Landes
Brandenburg
• Dr. Eugen Baldas, Deutscher Caritasverband
• Tobias Baur, Humanistische Union Deutschland
• Henny Engels, Deutscher Frauenrat
• H erbert Fuchs, Ministerium für Arbeit, Soziales,
Frauen und Familie des Landes Brandenburg
• Dr. Christian Groni, Büro des Beauftragten der
Bundesregierung für Kultur und Medien
• Christoph Hahn, Deutscher Gewerkschaftsbund
• PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement
• Dr. Eckhard Priller, Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung
• Jonathan Przybylski, Phineo gGmbH
• Dieter Rehwinkel, Centrum für Corporate Citizenship
Deutschland
• Gerold Reichenbach, MdB
• Susanne Rindt, Institut für Sozialarbeit und
Sozialpädagogik
• Sabine Rüger, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• D r. Marlene Schubert, Zentralverband des
Deutschen Handwerks
• Inga Schulenburg, Büro des Beauftragten der
Bundesregierung für Kultur und Medien
• Viola Seeger, Robert Bosch Stiftung
• Manfred Spangenberg, Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement
• Stefan Sträßer, Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände
• Matthias Thorns, Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände
• Dr. Johannes Warmbrunn, Ministerium für Arbeit
und Sozialordnung, Familie und Senioren des
Landes Baden-Württemberg
• Hans-Peter Wilka, Arbeitsgemeinschaft der
Beiräte für Migration und Integration in RheinlandPfalz
• Alexander Zachrau, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
Erwerbsarbeit und Engagement aufeinander abstimmen;
Chancen, Hindernisse, Gefahren
Bericht über das Dialogforum „Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement“ am
22. April 2010 in der Landesvertretung Niedersachsen, Berlin
Im Dialogforum Engagement und Erwerbsarbeit wurde, ähnlich wie im Dialogforum „Freiwilligendienste“,
sehr kontrovers diskutiert. Dies ist sicherlich nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass hier verschiedene
Grundsatzfragen aufgeworfen wurden, die bereits
seit längerem die Debatte beherrschen. Inwieweit
besteht die Gefahr, dass der vermehrte Einsatz von
Engagierten reguläre Arbeitsplätze verdrängt? Sind
Pauschalen der richtige Anreiz fürs Engagement? Inwieweit sollten die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik
auf Zwang basieren? Besteht nicht das Risiko, dass
die Förderung des Engagements im Zusammenhang
mit Erwerbsarbeit auf seine arbeitsmarktqualifizierende Dimension reduziert wird? Schließlich wurde auch
die brisante Frage nach der Lückenbüßerfunktion des
bürgerschaftlichen Engagements für staatliches Handeln erneut aufgeworfen. Dieser Ausschnitt von Fragen weist bereits darauf hin, dass in diesem Bereich
noch viel Diskussionsbedarf besteht.
Einig waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, zu denen sowohl Vertreter der Zivilgesellschaft
als auch Vertreter der Arbeitgeberverbände und
Gewerkschaften gehörten, darin, dass zwischen
den Politikfeldern Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik einerseits und Engagementpolitik andererseits wichtige Zusammenhänge bestehen und
sie daher besser aufeinander abgestimmt werden
sollten. Vor allem wurde deutlich, dass es bei der
Debatte nicht darum geht, die Integration in den
Arbeitsmarkt dem bürgerschaftlichen Engagement
unterzuordnen. Vielmehr sollen – und hier besteht
Nachholbedarf - die Potentiale des Engagements
für die Integration in den Arbeitsmarkt aufgezeigt
werden. In diesem Zusammenhang spielen vor
allem die Kompetenzen, die durch bürgerschaftliches Engagement vermittelt werden, eine wichtige Rolle. Diese Kompetenzen sollen, so die einhellige Meinung, künftig besser sichtbar gemacht
werden. Neben der Bedeutung des Engagements
für die Integration in den Arbeitsmarkt wurden auch
Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitsmarkt- und
Beschäftigungspolitik für andere Übergangsphasen und Lebenssituationen diskutiert. Dabei geht
es darum, wie das bürgerschaftliche Engagement
so in die individuelle Biographie integriert werden
kann, dass damit Komplementäreffekte in Bezug
auf andere Lebensphasen verbunden sind.
Zudem stellten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
des Dialogforums die Chancen des bürgerschaftlichen Engagements in ökonomischen Zusammenhängen heraus. Hier wurde insbesondere die Bedeutung der Sozialwirtschaft und des Dritten Sektors
hervorgehoben. Die in diesen Bereichen aktiven Organisationen und Unternehmen (Sozialunternehmen,
Wohlfahrtsverbände, etc.) gehen oftmals aus bürgerschaftlichem Engagement hervor und übernehmen
zahlreiche wichtige gesellschaftliche Aufgaben, denen sich weder die staatliche Seite noch gewinnorientierte Unternehmen widmen. Vor diesem Hintergrund
wurde diskutiert, wie diese Akteure der sozialen Ökonomie systematisch unterstützt werden können.
Neben den Chancen, die im Bereich von Engagement und Erwerbsarbeit bestehen, wurden auch die
Risiken thematisiert, insbesondere die Tendenz zur
Bezahlung in verschiedenen Engagementbereichen.
Besonders kritisch wurde die Gewährung von Pauschalen beleuchtet. Zwar seien diese einerseits als
Anreiz für bestimmte Tätigkeiten nötig, andererseits
liege hier die Gefahr, wie z. B. die Entstehung eines
nicht gewünschten Niedriglohnsektors sowie die Instrumentalisierung des bürgerschaftlichen Engagements für Erwerbszwecke.
Abschließend wurde angesichts der Feststellung,
dass in diesem Themenfeld wissenschaftliche Erkenntnisse weitestgehend fehlen, der Forschungsbedarf formuliert.
87
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
Ergebnisse
Viele Erwerbsbiographien (vor allem von Frauen,
aber zunehmend auch von Männern) sind gekennzeichnet von Phasen wechselnder Beschäftigungsintensität (Vollzeit-, Teilzeit-, prekäre Beschäftigung,
Arbeitslosigkeit, Elternzeit usw.). Im Zuge dieser
Entwicklung entstehen – teils freiwillig, teils unfreiwillig – auch neue Tätigkeitsformen zwischen Engagement und Erwerbsarbeit. Eine klare Trennung
lässt sich dabei häufig nicht mehr ausmachen. Arbeitsmarkt- und Engagementpolitik müssen daher
aufeinander abgestimmt werden. Dabei sollte der
Eigensinn des Engagements berücksichtigt werden.
Die Integrationseffekte des Engagements sollten
gestärkt werden, ohne dass reguläre Erwerbsarbeit
verdrängt wird.
1. Engagement und Erwerbsarbeit in Übergangsphasen
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
a. Im bürgerschaftlichen Engagement können Kompetenzen erworben, aufrecht erhalten und vertieft
werden, die für das Arbeitsleben immer wichtiger
werden. Dieser Kompetenzerwerb wird jedoch oft
nicht anerkannt, weder bei Arbeitgebern noch bei
Arbeitsagenturen.
b. Bürgerschaftliches Engagement gewinnt für unterschiedliche Gruppen an Bedeutung. Älteren bietet
es z. B. die Möglichkeit, den Ausstieg aus dem Erwerbsleben sinnstiftend zu gestalten. Jungen Menschen und Erwerbslosen kann es den Einstieg oder
Wiedereinstieg in das Berufsleben erleichtern. Diese Übergangsphasen gilt es zu gestalten.
c. Bürgerschaftliches Engagement und Erwerbsarbeit stehen nicht in Konkurrenz, sondern verhalten sich komplementär zueinander. Engagement
ist auch eine Art „Frühwarnsystem“, das gesellschaftliche Probleme aufzeigt und in dem sich in88
novative Lösungen erproben lassen. Daraus entstehen oft längerfristig auch neue Chancen für das
Erwerbsleben.
Lösungsvorschläge
a. Die Arbeitsvermittlung sollte (z. B. beim Profiling) so
ausgestaltet werden, dass sie die im bürgerschaftlichen Engagement erworbenen Kompetenzen
und Fähigkeiten angemessen berücksichtigt. Qualifizierungsmaßnahmen der Arbeitsagentur sollten
stärker an die im bürgerschaftlichen Engagement
erworbenen Kompetenzen anschließen.
Zudem sollten Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung Kompetenzerwerb im bürgerschaftlichen
Engagement im Rahmen ihrer Qualifizierungsangebote fördern. Die Aufnahme einer Tätigkeit im
bürgerschaftlichen Engagement sollte als Eigenbeitrag zur Entwicklung einer Erwerbsarbeitsperspektive anerkannt und unterstützt werden.
Der Wert des informellen Lernens im bürgerschaftlichen Engagement sollte anerkannt und durch
Kompetenznachweise sichtbar gemacht werden.
Arbeitsmarkt- und engagementpolitische Akteure
der verschiedenen Ebenen sollten dazu systematisch zusammenarbeiten.
b. Um unterschiedliche Gruppen (z. B. ältere Menschen, Erwerbslose etc.) für bürgerschaftliches
Engagement zu gewinnen, bedarf es gezielter
Förderangebote, damit sich das soziale Integrationspotential des bürgerschaftlichen Engagements
entfalten kann.
c. Um den Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktpolitik und Engagement besser zu gestalten,
bedarf es einer Berichterstattung über die Entwicklungen im Engagement auf allen föderalen
Ebenen.
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
(Lösungswege)
a. Die Bundesregierung wird gebeten zu prüfen, auf
welchem Wege es Erwerbslosen ermöglicht werden kann, ihr bürgerschaftliches Engagement mit
Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen zu verbinden. Dazu sollten durch Modellprojekte Kooperationsmöglichkeiten zwischen Arbeitsagenturen
und Infrastruktureinrichtungen der Engagementförderung entwickelt werden. Es sollte außerdem
geprüft werden, inwieweit und aus welchen Quellen Erwerbslosen Mittel für ihr Engagement gewährt werden können (z. B. laut SGB II).
Die Ressorts der Bundesregierung werden gebeten, in Abstimmung mit Ländern, Wirtschaft
und Wissenschaft Mindeststandards für Kompetenznachweise zu entwickeln, die für Arbeitgeber
aussagekräftig sind. Dazu sollten die bestehenden
Aktivitäten zwischen den Ressorts gebündelt und
koordiniert werden.
b. Die Bundesregierung sollte die Sozialpartner
durch Modellprojekte dazu motivieren, gemeinsam
mit zivilgesellschaftlichen Trägern Engagementformen für den Übergang in das Nacherwerbsleben bzw. für die Zeiten zwischen verschiedenen
Erwerbsphasen zu entwickeln.
c. Es bedarf zusätzlicher Programme, mit denen
Mischformen zur Beschäftigung von engagierten
Erwerbslosen gefördert werden. Öffentliche und
neue gemeinwohlorientierte Dienstleistungen sollen auf diese Weise ermöglicht werden.
2. Engagementverträglichkeit der Arbeitsmarktpolitik
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
a. Einige arbeitsmarktpolitische Regelungen erschweren das Engagement von Erwerbslosen.
Insbesondere die ständige Verfügbarkeit für den
Arbeitsmarkt ist dabei ein Hemmnis. Die entsprechende gesetzliche Regelung, die Erwerbslosen
Engagement ermöglicht, ist der Arbeitsverwaltung
vor Ort oftmals nicht hinreichend bekannt.
b. Die Anrechnung von Aufwandspauschalen auf
Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II führt
für Erwerbslose häufig zu Problemen, die die
Bereitschaft zum Engagement hemmen können.
Problematisch ist dabei insbesondere die Ungleichbehandlung von Aufwandspauschalen bei
Erwerbstätigen gegenüber Erwerbslosen.
c. Für zahlreiche Formen des bürgerschaftlichen
Engagements sind Qualifikationen erforderlich,
die in der Freizeit oder durch Inanspruchnahme
des tariflichen Urlaubs nicht erworben werden
können.
Lösungsvorschlag
a. Um Arbeitsmarktpolitik engagementverträglich zu
gestalten, sollte eine Engagementverträglichkeitsprüfung in Zusammenarbeit mit Organisationen
der Zivilgesellschaft für arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen eingeführt werden.
b. Die Rahmenbedingungen für Aufwandsentschädigungen aus dem Engagement sollten so gestaltet
werden, dass das Engagement von Erwerbslosen
nicht anders behandelt wird als das von Erwerbstätigen. Zudem sollten unterschiedliche Formen
der Aufwandsentschädigung zu einer vergleichbaren Anrechnung auf die Sozialleistungen führen.
c. Durch die Gestaltung arbeitsrechtlicher Regelungen sollte Engagierten die Möglichkeit eingeräumt werden, für Fortbildungen mit dem Ziel des
Qualifikationserwerbs für die Ausübung des bürgerschaftlichen Engagements eine Freistellung zu
erhalten.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
a. Die Bundesregierung wird gebeten zu prüfen, wie
am Beispiel der Kulturverträglichkeitsprüfung Kriterien für eine Engagementverträglichkeitsprüfung
in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft gewonnen werden können.
b. Die Bundesregierung wird gebeten, Möglichkeiten einer Harmonisierung der Anrechnung der
Aufwandspauschalen zu prüfen. Dabei sollte der
anrechnungsfreie Freibetrag für Erwerbslose an
die Höhe der Übungsleiterpauschale angeglichen
werden, sodass Erwerbslose gegenüber Erwerbstätigen nicht schlechter gestellt werden.
c. Bund und Länder werden gebeten, die arbeitsrechtliche Freistellung für den Zweck der Qualifizierung zum bürgerschaftlichen Engagement in
die Bildungsurlaubsgesetze des Bundes und der
Länder bzw. in die jeweiligen Sonderurlaubsgesetze aufzunehmen.
3. Zivilgesellschaftliche Organisationen stärken
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Zivilgesellschaftliche Organisationen erbringen wichtige Leistungen für die Gesellschaft. Dabei sind sie
89
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
häufig auf freiwillig Engagierte angewiesen. Daher
bedarf es einer beständigen Fortentwicklung der Organisationen und einer produktiven Zusammenarbeit
zwischen Hauptamtlichen und freiwillig Engagierten.
Die Notwendigkeit, diese Kooperation zu entwickeln
(ggfs. auch über Mittlerorganisationen), findet bei der
Förderung aus öffentlichen Mitteln nicht ausreichend
Beachtung.
Lösungsvorschlag
Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten darin unterstützt werden, professionell und kontinuierlich zu
arbeiten. Insbesondere sollten Organisationsentwicklung und Etablierung eines Freiwilligenmanagements
unter Berücksichtigung der Partizipationsbedürfnisse
der Engagierten gefördert werden.
verbindet, sollte systematisch unterstützt und gefördert werden.
b. Engagierte sollten durch Fachkräfte angeleitet und
kontinuierlich begleitet werden, damit sie die Aufgaben fachlich angemessen erfüllen können.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
a. Die Bundesregierung sollte prüfen, durch welche Instrumente die Entwicklung des Sozialwirtschaftssektors systematisch unterstützt und gefördert werden kann.
b. Die mittelbaren Träger der Staatsverwaltung sollten
in die fachliche Anleitung eingebunden werden.
5. Engagement und Aufwandsentschädigungen
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Die Ressorts der Bundesregierung sollten im Rahmen der Zuwendungspraxis darauf hinwirken, dass
Kosten für Freiwilligenmanagement und Organisationsentwicklung als zuwendungsfähige Ausgaben
anerkannt werden.
Die Zahlung von Aufwandspauschalen über tatsächlich entstandene Kosten hinaus ist in vielen Engagementbereichen gängige Praxis. Diese Praxis ist
jedoch gesetzlich nicht hinreichend geregelt und begrifflich nicht klar umschrieben. Dies führt einerseits
dazu, dass in bestimmten Engagementbereichen
die Rechtssicherheit fehlt, Aufwandspauschalen zu
gewähren. Zum anderen resultiert daraus eine mangelhafte Differenzierung zwischen Engagement und
Erwerbsarbeit. Letztere ist sozialversicherungs- und
steuerpflichtig.
4. Professionalisierung, Innovation und
Engagement
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
a Aus dem Engagement heraus ergibt sich ein Potential für reguläre Arbeitsplätze (insbesondere für
Frauen). Diese entstehen sowohl in bestehenden
Einrichtungen als auch in neu gegründeten, innovativen Unternehmen. Dieses Potential sollte genutzt werden.
b. Viele gesellschaftliche Aufgaben, insbesondere im
Sozialbereich, werden durch Engagierte erledigt.
Dabei kommt es darauf an, die Engagierten durch
Fachkräfte anzuleiten, sodass sie die Aufgaben
fachlich angemessen erfüllen können. Dabei dürfen reguläre Beschäftigungsverhältnisse jedoch
nicht aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen
verdrängt werden.
Lösungsvorschläge
Die gesetzliche Grundlage für die Gewährung von
Aufwandspauschalen im Engagement sollte analog
zur Übungsleiterpauschale bedarfsgerecht erweitert
werden.
Es sollte auf der Basis einer Legaldefinition zwischen
bürgerschaftlichem Engagement und anderen gemeinwohlorientierten Tätigkeiten differenziert werden, um Aufwandspauschalen zahlen zu können, wo
sie notwendig sind, zugleich aber zu verhindern, dass
Engagement für Erwerbszwecke instrumentalisiert
wird.
Lösungsvorschläge
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
a. Erwerbslose Engagierte sollten darin unterstützt
werden, ihr freiwilliges Engagement in eine reguläre Beschäftigung zu überführen.
Es sollte geprüft werden, inwieweit erfolgreiche
Länderregelungen (z. B. in Baden-Württemberg) zur
Differenzierung zwischen bürgerschaftlichem Engagement und anderen gemeinwohlorientierten Tätigkeiten auf die Bundesebene übertragen werden
können.
Der Sektor der Sozialwirtschaft, welcher Gemeinwohlorientierung mit unternehmerischem Handeln
90
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
6. Forschung
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Über die Zusammenhänge zwischen Engagement
und Erwerbsarbeit fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere zu den Übergängen, der Entgrenzung und den wechselseitigen Beeinflussungen.
Lösungsvorschlag
Die Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen
Engagement und Erwerbsarbeit sollten systematisch
durch Grundlagen- und anwendungsbezogene Forschung verbessert werden.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Durch eine adäquate Forschungsagenda sind die Aktivitäten und Projekte unterschiedlicher wissenschaftlicher Einrichtungen und Institutionen zu bündeln und
zu koordinieren. In diesem Rahmen sollte u. a. eine
Bestandsaufnahme darüber gemacht werden, welche Instrumente staatliche Akteure sowie die Sozialpartner bereits geschaffen haben, um Übergänge
zwischen Engagement, Erwerbsarbeit und Erwerbslosigkeit zu gestalten.
91
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.
Expertise: „Engagement und Erwerbsarbeit“
Bürgerschaftliches Engagement, Erwerbsarbeit, Arbeitsmarktpolitik und neue Rahmenbedingungen:
Herausforderungen und Wechselwirkungen
1. Einführung
Erwerbsarbeit und bürgerschaftliches Engagement
standen lange Zeit in einem komplementären Verhältnis zueinander. Dies ist nicht zuletzt auf die traditionell
verstetigte Teilung von Erwerbsarbeit und Freizeitbereich zurückzuführen. Erst seit den 1970er und 1980er
Jahren wird diese Trennlinie zunehmend durchbrochen. Das Arbeitszeitvolumen verkürzt sich bei gleichzeitiger Zunahme der Arbeitszeitproduktivität und bietet hiermit zusätzlichen Raum für Freizeitaktivitäten.
Mehr und mehr wird die kulturelle und soziale Dominanz der Erwerbsarbeit in Frage gestellt. „Neue“ Formen von Arbeit, gekennzeichnet durch Teilzeit, kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse oder den Wechsel
zwischen Erwerbsarbeit und Phasen der Erwerbslosigkeit, prägen zunehmend das Bild. Gleichzeitig
verändert sich das klassische Ehrenamt zusehends.
Aufwandsentschädigungen und auf ein berufliches Vorankommen ausgerichtete Engagementmotive lassen
Engagement und Erwerbsarbeit ein Stück weit zusammenrücken. Ein weiterer Berührungspunkt ergibt sich
aus einer systematischen Verschiebung sozialstaatlicher Aufgaben vom Staat hin zur Gesellschaft. Die
Zusammenarbeit Hauptamtlicher und Ehrenamtlicher
ist in diesem Zusammenhang unter sich verändernden
Bedingungen zu betrachten. Dieser kurze Abriss sich
wandelnder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen
macht deutlich, dass das Verhältnis von freiwilligem,
gemeinwohlorientiertem Engagement, Existenzsicherung und marktrationalem Handeln eines der aktuell
spannendsten Diskussionsfelder für Theorie, Praxis
und Politik zum bürgerschaftlichen Engagement ist.
Das vorliegende Kurzgutachten soll die Wechselwirkungen und Spannungsverhältnisse zwischen
den Feldern Engagement und Erwerbsarbeit schlaglichtartig und aus unterschiedlichen Perspektiven
beschreiben. Wesentliches Ziel ist es, die aktuelle
wissenschaftliche Debatte zum Thema „Bürger92
schaftliches Engagement und Erwerbsarbeit“ so aufzubereiten, dass eine fundierte Grundlage für die weitere Arbeit des Nationalen Forums für Engagement
und Partizipation geschaffen ist.
Entsprechend dieser Zielstellung werden im ersten Teil
des Papiers die Systeme „Bürgerschaftliches Engagement“ und „Erwerbsarbeit“ genauer betrachtet. Aktuelle Herausforderungen und gesellschaftliche Veränderungen werden beleuchtet, die Wechselwirkungen
beider Bereiche beschrieben. Im zweiten Kapitel „Bürgerschaftliches Engagement als Brücke in die Erwerbstätigkeit“ werden die Chancen und besonderen Vorzüge
freiwilligen Engagements für die Erwerbstätigkeit in den
Blick genommen. Ausgehend von einem kurzen Abriss
zu Kompetenzerwerb und Qualifizierung im bürgerschaftlichen Engagement wird die aktuelle Arbeits- und
Beschäftigungspolitik in Bezug auf den Eigensinn und
die Eigenlogik freiwilliger Tätigkeiten untersucht. Gleichzeitig wird diskutiert, inwieweit einzelne Engagementgruppen bürgerschaftliches Engagement als Brücke in
die Erwerbsarbeit nutzen (können). Kapitel drei „Bürgerschaftliches Engagement und Dritter Sektor“ betrachtet
den benannten Themenbereich hinsichtlich seiner Organisationsperspektive. Ausgehend von einer Analyse
der Zusammenarbeit haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter werden Mischformen in der Grauzone zwischen
Engagement und Erwerbsarbeit genauer untersucht.
2. Die Entwicklung des Verhältnisses von bürgerschaftlichem Engagement und Erwerbsarbeit
2.1 Entwicklung und Strukturwandel der
Erwerbsarbeit
Erosion des Normalarbeitsverhältnisses
Engagementpolitik steht insgesamt vor der Herausforderung, mit den bereits angedeuteten Umbrüchen
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
im Feld der Erwerbsarbeit umzugehen. Für die Industriearbeitsgesellschaft war das Normalarbeitsverhältnis (Vollzeit, tageszeitlich begrenzt, regelmäßig,
kontinuierlich und existenzsichernd) kennzeichnend
und mit dem Versprechen einer Vollbeschäftigung
ideologisch abgesichert. Die Bedingungen dieses
„alten Gesellschaftsvertrages“ sind in der Wissensund Dienstleistungsgesellschaft im Wandel. Das so
genannte Normalarbeitsverhältnis hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel von seiner allgemeinen Geltung und gesellschaftlichen Stabilisierungskraft eingebüßt. Längst hat sich eine parallele
arbeitsgesellschaftliche Realität etabliert, die in der
Medienöffentlichkeit auch unter dem Schlagwort
„Prekarisierung“ diskutiert wird. Insbesondere an den
Rändern der Erwerbsgesellschaft sind unsichere, als
atypisch bezeichnete Beschäftigungsformen entstanden. Im Jahr 2008 befanden sich 60,1 Prozent aller
Beschäftigten im Alter zwischen 25 und 64 Jahren
in einem Normalarbeitsverhältnis. Seit 2001 ist diese
Form der traditionellen Beschäftigung um 4,6 Prozentpunkte zurückgegangen. Im internationalen Vergleich
hatten nur Polen und die Niederlande sowie Luxemburg und Malta noch größere Rückgänge zu verzeichnen (vgl. Eichhorst/Kuhn/Thode/Zenker 2009).
Pluralisierung und Entgrenzung der Erwerbsarbeit
Ein „Ende der Arbeitsgesellschaft“, wie noch in den
1980 und 1990er Jahren diskutiert (vgl. u. a. Offe
1984, Rifkin 1995), ist jedoch eindeutig nicht zu erwarten. Arbeit ist weiterhin, wenn auch in immer unterschiedlicheren, immer ausdifferenzierteren Formen bestimmend für das Leben fast aller Menschen.
Zwei eng miteinander verbundene Trends lassen
sich identifizieren: Pluralisierung und Entgrenzung
von Erwerbsarbeit. Selbstständige und freiberufliche
Erwerbstätigkeit ist zunehmend von projektförmigen
Arbeitsstrukturen, flexiblen Kooperationsnetzwerken, Mikro- und Einzelunternehmen gekennzeichnet.
Diese Pluralisierung von Erwerbsformen ist mit Entgrenzungsprozessen der Erwerbsarbeit verbunden
(vgl. Gottschall/Voß 2003; Kratzer 2003, Mutz 2002).
Ein wichtiger Aspekt der Entgrenzung ist die seit den
1980er Jahren beschleunigte Ausweitung der Erwerbsarbeitsförmigkeit auf Tätigkeiten v. a. der Erziehung, Pflege und Betreuung, die bislang überwiegend
im privaten, häuslichen Bereich von Frauen geleistet
wurden, zum anderen die Verberuflichung von vormaligen Tätigkeiten sozialen Engagements. Der Ausbau öffentlicher und privater sozialer Dienste brachte
einerseits eine Vielzahl neuer Erwerbsarbeitsplätze
und einen großen Professionalisierungsschub mit
sich, verdrängte aber andererseits freiwilliges, unentgeltliches Engagement. Umgekehrt wirken Prinzipien
des bürgerschaftlichen Engagements auch in den Bereich der Erwerbsarbeit hinein, wie es die Leitwerte der
Gemeinwohlorientierung und Partizipation bei den Organisationen des Dritten Sektors zeigen (vgl. Bericht
der Enquete-Kommission 2002, Bd. 4).
Debatten zur „Zukunft der Arbeit“ und zum „erweiterten Arbeitsbegriff“
In den vergangenen etwa 30 Jahren haben eine ganze Reihe von Wissenschaftler/innen diese Tendenzen
aus unterschiedlichen Blickwinkeln beschrieben und
analysiert. In Deutschland und Frankreich wurde in den
1980er Jahren die Debatte zur „Dualwirtschaft“ (vgl. u.
a. Huber 1979, Gorz 1983) geführt, in den 1990er Jahren ging es v.a. um die „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“ (vgl. stellvertretend Dombois 1999, MayerAhuja 2003) und die Herausbildung einer „pluralen
Tätigkeitsgesellschaft“ (vgl. Beck 2000, Mutz 2001,
Schäfers 2001). Feministische und ökologisch orientierte Wirtschaftswissenschafter/innen (vgl. stellvertretend Biesecker 2000) befassten sich zuerst mit der
Entwicklung eines „erweiterten Arbeitsbegriffes“ und
einer darauf basierenden umfassenden Analyse gesellschaftlicher Arbeit unter Einschluss der informellen und
häuslichen Wirtschaft. Der folgende, breiter geführte
Diskurs um einen erweiterten Arbeitsbegriff, wie ihn Hildebrandt (2007) zusammenfasst, stellt nicht nur auf die
Anerkennung von anderen, gegenüber der Erwerbsarbeit historisch-systematisch klar abgegrenzten Formen
gesellschaftlicher Arbeit ab. Sowohl im Konzept der
„Mischarbeit“, wie es in einem interdisziplinären Projekt
der Hans-Böckler-Stiftung entwickelt wurde (vgl. Verbundprojekt Arbeit und Ökologie 2000), als auch im von
der Katholischen Arbeitnehmerbewegung inspirierten
Konzept der „Triade der Arbeit“ (vgl. Schäfers 2001)
wurde versucht, die Veränderungen der Grenzen und
die Vielzahl der Übergänge zwischen den verschiedenen Arbeitsformen zu erfassen und analysieren. Das
Forschungsprojekt „Agora“ schließlich kombinierte aktuelle mit historischen Analysen der Entwicklung der
gesellschaftlichen Organisation von Arbeit in ihren unterschiedlichsten Formen (vgl. Kocka/Offe 2000).
Erwerbsarbeit im Dritten Sektor
In der jüngsten Zeit verstärkten sich Debatten und
Forschungsaktivitäten zum Dritten Sektor, da dieser sowohl die gemeinnützigen Organisationen der
Sozialwirtschaft versammelt als auch den überwältigenden Teil des organisierten freiwilligen Engagements umfasst. Der Dritte Sektor ist einerseits ein Teil
der Problematik der Pluralisierung und Entgrenzung
der Erwerbsarbeit, atypische Beschäftigungsverhältnisse sind hier fast doppelt so häufig anzutreffen wie
93
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt, die Entlohnung liegt darunter (siehe dazu v. a. Zimmer/Priller
2007 und Dathe/Priller 2010). In Ostdeutschland sind
16 Prozent der Erwerbstätigen im Dritten Sektor in
Ein-Euro-Jobs beschäftigt. Insgesamt droht eine weitere Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse und
die Entwicklung zum Niedriglohnsektor (vgl. Dathe/
Hohendanner/Priller 2009). Andererseits wird in der
engagementpolitischen Debatte immer wieder vom
Dritten Sektor bzw. den in ihm versammelten Organisationen erwartet, Erwerbsarbeit und Engagement in
ein produktives Verhältnis zu setzen.
DGB-Konzept „Gute Arbeit“
Einen weiteren, für die gegenwärtige Diskussion um
die Entwicklung der Arbeit bedeutenden Strang markiert das vom DGB entwickelte Index-Konzept „Gute
Arbeit“ (www.dgb-index-gute-arbeit.de). Hier wurden
Qualitätskriterien formuliert, die zunächst vornehmlich auf die Beurteilung von Erwerbsarbeitsplätzen
durch die Arbeitnehmer/innen selbst ausgerichtet
waren, sich jedoch ebenfalls auf unbezahlte Arbeit
im Engagementbereich anwenden lassen, wie es in
einem Forschungsprojekt der Hans-Böckler-Stiftung
„Die subjektive Dimension guter Arbeit“ aktuell geschieht. Eine wichtige Dimension des Konzepts „Gute
Arbeit“ ist die Work-Life-Balance, so dass hier auch
die arbeits(zeit)politischen Fragen der Vereinbarkeit
von Beruf, Familie und Engagement angesprochen
sind. Das Interesse der Arbeitnehmer/innen und der
Gewerkschaften trifft sich zumindest für Höherqualifizierte mit den Personalentwicklungspolitiken von
Unternehmen vieler Branchen, die gut ausgebildete,
motivierte, eigenständig und im Team arbeitende,
kreative Beschäftigte benötigen, um wirtschaftlich auf
den Märkten der Informations- und Wissensgesellschaft bestehen zu können.
2.2 Entwicklung und Strukturwandel des
bürgerschaftlichen Engagements
Eine Vielzahl aktueller gesellschaftspolitischer Veränderungen und Herausforderungen, insbesondere
die im vorigen Kapitel erläuterten Entwicklungen im
Bereich der Erwerbsarbeit, bleibt nicht ohne Folgen
für die Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft.
Nachfolgend sollen schlaglichtartig und in aller Kürze
die wichtigsten Entwicklungen diskutiert werden.
Individualisierungs- und Flexibilisierungstendenzen
Individualisierungs- und Flexibilisierungstendenzen
aus dem System der Erwerbsarbeit mit unterschiedlichen Anforderungen an lebenslanges Lernen, fle94
xible Arbeitszeiten und –orte beeinflussen auch die
Struktur bürgerschaftlichen Engagements. Das traditionelle Ehrenamt, gekennzeichnet durch langjährige,
kontinuierliche Aktivitäten und hierarchische Strukturen, wird immer mehr in den Hintergrund gedrängt
(vgl. Kühnlein/Böhle 2002). Selbstorganisierte Zusammenschlüsse in Bürgerinitiativen oder Selbsthilfegruppen sind das Ergebnis eines Bedürfnisses der
Engagierten nach Verwirklichung individueller Motive und Interessen. Gleichzeitig gibt es eine gestiegene Notwendigkeit des flexiblen Zeitmanagements,
welches es ermöglicht, Erwerbsarbeit, Familienarbeit
und Freizeit (bzw. freiwilliges Engagement) zu kombinieren. Häufigere Fluktuationen der Engagiertenzahlen durch Ein- und Austritte sind nicht ungewöhnlich (vgl. BMFSFJ 2009a). Es stellen sich verstärkt
Herausforderungen an Organisationen des Dritten
Sektors, solche Angebote bereitzuhalten, die eine
kurzfristige oder auch kurzzeitige, zeitlich flexible
Ausübung einer freiwilligen Tätigkeit ermöglichen.1
Professionalisierung
Zivilgesellschaftliche Organisationen als zentrale
Orte des bürgerschaftlichen Engagements2 haben
in den letzen Jahren umfassende Organisationsentwicklungsprozesse durchlaufen, sich zunehmend
professionalisiert und ihre Strukturen und Arbeitsweise ökonomischen Faktoren unterworfen. Unterschiedliche Aufgaben des traditionellen Ehrenamtes
sind im Zuge dieser Professionalisierungstendenzen
vor allem im sozialen Bereich in die Entwicklung
hauptamtlicher Stellen übergegangen (vgl. Kühnlein/
Böhle 2002). Die zunehmende wirtschaftliche Orientierung und Übernahme ehemals staatlicher sozialpolitischer Aufgaben hat zu einem veränderten Verhältnis von Haupt- und Ehrenamtlichkeit geführt (vgl.
BMFSFJ 2009a).
Monetarisierung
Bürgerschaftliches Engagement ist per Definition unentgeltlich. Ausnahmen hiervon bilden überschaubare
Kostenerstattungen und Aufwandsentschädigungen
bis hin zu geldwerten Leistungen wie z.B. kostenfreie
Weiterbildungen oder Qualifizierungen. Obwohl der
2. Freiwilligensurvey gezeigt hat, dass der Großteil
der Freiwilligen (86 Prozent) keine materiellen Gratifikationen für seine Tätigkeiten erhält3, gibt es immer
mehr Stimmen, die vor einer schleichenden Monetarisierung des bürgerschaftlichen Engagements warnen
(vgl. Liebig/ Rauschenbach 2010). Insbesondere mit
dem Blick auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse,
nicht-existenzsichernde Transferleistungen oder Rentenzahlungen und längere Zeiten der Erwerbslosig-
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
keit erscheint ein bezahltes Ehrenamt an Attraktivität
zu gewinnen.4 Ausgehend von der Definition der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur
„Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ (vgl.
Bericht der Enquete-Kommission 2002; Bd. 4, S. 7390) widerspricht eine solche Entwicklung jedoch den
Basisprinzipien der Freiwilligkeit, Selbstbestimmtheit
und der Unabhängigkeit von einem Streben nach materiellen Gewinn im bürgerschaftlichen Engagement.
Motiv- und Wertewandel
Bereits seit einiger Zeit wird ein Motiv- und Wertewandel im bürgerschaftlichen Engagement diagnostiziert.
Auf dem Prüfstand steht in diesem Zusammenhang die
das bürgerschaftliche Engagement charakterisierende
Gemeinwohlorientierung. Die Erhebungen der letzten
Jahre haben deutlich gemacht, dass diese weiterhin
signifikant bleibt, jedoch interessanterweise vor allem
bei Engagierten aus den ostdeutschen Bundesländern
(alte Länder: 33 Prozent / neue Länder 40 Prozent), bei
jungen Menschen (Gruppe der 14-30jährigen: 1999:
38 Prozent; 2004: 47 Prozent) und Erwerbslosen (+
9 Prozent) eine zunehmende Bedeutung der Interessenorientierung zu verzeichnen ist (vgl. Gensicke et al.
2006, S. 91ff). Diese Gruppen möchten mit ihrer Tätigkeit auch eigene Interessen vertreten, Probleme lösen und ihr Engagement nutzen, um beruflich voran zu
kommen. Junge Menschen stehen unter einem immer
größer werdenden Druck hinsichtlich Schule, Ausbildung und erster Berufstätigkeit. Umgekehrt überprüfen deshalb auch sie ihre Aktivitäten hinsichtlich ihres
Mehrwertes. Dieser neue „Typ“ Engagierter handelt
sehr wohl gemeinwohlorientiert, versucht hierbei allerdings auch unterschiedliche Erwartungen zu kombinieren, zweckrational zu handeln und eigene Interessen
im Blick zu behalten (vgl. Gensicke 2006, S. 213 ff).5
Demografischer Wandel
Weiterhin in den Fokus zu nehmen bleibt der zunehmende gesamtgesellschaftliche Alterungsprozess
und dessen Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft.
Bei gleichzeitig sinkendem Erwerbsausstiegsalter
und steigender Lebenserwartung6 beherrschen Diskussionen zur Leistungsfähigkeit des Systems sozialer Sicherung und zur Generationengerechtigkeit
die Öffentlichkeit. Kocka betont den Sinn zivilgesellschaftlichen Engagements als Alternative zu marktbezogener Erwerbsarbeit nach der Verrentung/Pensionierung und untätigem Ruhestand im Alter (vgl.
Kocka 2008, S. 228ff). Gemäß eines Gutachtens
des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung wird
im Zuge des demografischen Wandels die Rolle der
älteren Menschen für die Zivilgesellschaft sogar im
mer wichtiger, da die Zivilgesellschaft langfristig von
einem Rückgang der Engagementzahlen betroffen
ist.7 Die höchsten Verluste im Engagement und Ehrenamt sind regional betrachtet im ländlichen Raum
allgemein und in den ostdeutschen Gebieten zu erwarten (vgl. Mai/ Swiaczny 2008).
Wirtschaftliche Gesamtlage
Noch bleibt abzuwarten, welche Reaktion die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Engagementbereitschaft der Bürger/innen haben wird. Werden Tendenzen wie z. B. berufsorientierte Interessen
an der Ausübung einer freiwilligen Tätigkeit oder aber
Monetarisierungsbestrebungen zunehmen? Folgt
man dem Bericht zur Lage und zu den Perspektiven
des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland, so kommt es gemäß der These vom Strukturwandel des Engagements zu einer Konzentration
auf informelle Engagement- und kleinere Organisationsformen (vgl. BMFSFJ 2009a S. 57). Bedingt
durch eine stärkere Fokussierung auf individuelle Belange und die private Wohlfahrt erfolgt Engagement
zukünftig mitunter stärker auf den eigenen sozialen
Nahraum beschränkt. Nicht zuletzt wird auch auf die
Gefahr hingewiesen, dass anhaltend schlechte wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu einer weiteren
Erosion der Mittelschicht als eigentlicher Basis des
bürgerschaftlichen Engagements führen (ebd., S. 58).
2.3 Zeitpolitik und die Vereinbarkeit von
Erwerbsarbeit, Familie und Engagement
Bereits die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ (vgl. Bericht der Enquete-Kommission 2002, Bd. 4, S. 402) hat darauf
hingewiesen, dass „der Wechsel zwischen Erwerbsarbeit und Engagement oder zwischen Familie und
Erwerbsarbeit (…) immer schwieriger geworden“ ist.
Entgrenzungsprozesse zwischen den Bereichen Erwerbsarbeit, Familienarbeit und Engagement finden
ihren Niederschlag vor allem auf der Ebene der zeitlichen Dimension. Vereinfacht ausgedrückt: Je stärker jemand in einer der genannten Sphären eingebunden ist, umso weniger Zeit bleibt für die anderen
beiden Tätigkeitsbereiche.8
Einerseits gilt mit Blick auf die lebensweltliche Taktvorgabe für Erwerbstätige i. d. R. die Dominanz der
Erwerbsarbeit gegenüber den beiden anderen Sphären. Andererseits führt insbesondere die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die Frauen die Hauptlast
für die Familienarbeit zuweist, dazu, dass ihnen der
Zugang zu Erwerbsarbeit und Engagement erschwert
wird. Und schließlich können sich viele Frauen infolge
95
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
der Doppelbelastung durch Familie und Beruf nur
freiwillig engagieren, wenn sie nicht Vollzeit arbeiten
(vgl. Bericht der Enquete-Kommission 2002, Bd. 4, S.
419f.). Entsprechend bestätigen empirische Studien,
dass teilzeiterwerbstätige Mütter sich häufiger engagieren als nicht erwerbstätige Hausfrauen und Mütter
sowie Vollzeit beschäftigte Mütter (vgl. Geiss/Picot
2007). Zuvorderst die Befunde des 2. Freiwilligensurveys 1999-2004 (vgl. Gensicke/Picot/Geiss 2006, S.
247ff.) untermauern die Hemmnisse, Erwerbsarbeit,
Familie und Engagement in individuellen Lebensentwürfen zu vereinbaren.9
Zusammenfassend verhindert die gegenwärtige gesellschaftliche Arbeitsteilung die stärkere Integration
der Frauen in die Erwerbsarbeit, ermutigt Männer
nicht zur Aufgabe familiärer Aufgaben und hemmt
die Entfaltung bürgerschaftlichen Engagements. Um
diese bestehenden Strukturen gesellschaftlicher Arbeitsteilung und geschlechtsspezifischer Segmentierung aufzubrechen, bedarf es Veränderungen in der
Erwerbsarbeit, in Familien sowie im Engagementbereich. Mit Blick auf die Vereinbarkeit aller drei Sphären geht es demnach darum, Übergänge zwischen
ihnen zu optimieren. Von zentralem Interesse ist
demzufolge, inwieweit diese Bereiche gegenwärtig
lebensweltlich miteinander verzahnt sind und wie sie
sich inhaltlich wechselseitig befruchten können.
Zunächst wirft dies indes die Frage auf, welche Möglichkeiten und Gelegenheiten eine (Tätigkeits-)Gesellschaft bereitstellt, Erwerbsarbeit, Familie und Engagement zeitlich miteinander vereinbaren zu können.
Mit anderen Worten: Die soziale Qualität der Tätigkeitsgesellschaft bemisst sich an der realen Chance
der Menschen, in ihrem Leben das Verhältnis von Erwerbsarbeit, freier Tätigkeit und Muße möglichst frei
zu gestalten 10 Aus engagementpolitischer Perspektive bedeutet dies, neben Familienzeit und Erwerbsarbeitszeit eine eigene Zeit für bürgerschaftliches
Engagement (Engagement- oder Gemeinwohlzeit) zu
ermöglichen (vgl. Bericht der Enquete-Kommission
200, Bd. 4, S. 651ff.).
Die Einflussnahme auf zeitliche Bedingungen bzw. auf
zeitliche Wirkungen von politischen, wirtschaftlichen
und lebensweltlichen Bedingungen menschlicher Existenz wird unter dem Konzept „Zeitpolitik“ diskutiert.
Dabei unterscheidet insbesondere das partizipative
Element die moderne demokratische Zeitpolitik von
traditionellen Veränderungen der gesellschaftlichen
Zeitordnung (vgl. Mückenberger, 2004 S. 3).
Zeitpolitik im Rahmen der Vereinbarkeit von Familie
und Erwerbsarbeit ist längst kein sozialwissenschaft96
liches Nischenthema mehr. Vielmehr nehmen sich
dieses Themas mittlerweile unterschiedliche gesellschaftspolitische (z. B. tarif- oder familienpolitische)
Interessengruppen an.11 Demgegenüber steht die
Diskussion um eine engagementpolitische Perspektiverweiterung von Zeitpolitik erst am Anfang. An den
Schnittstellen von Engagement- und Beschäftigungspolitik sei hier exemplarische auf vorgeschriebene
Mobilitätseinschränkungen von Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfängern verweisen.
Angesichts der maßgeblich durch die Erwerbsarbeit
vorgegebenen Taktvorgaben kommt betrieblichen
Vereinbarungen und tarifvertraglichen Regelungen
zu flexiblen Arbeitszeitmodellen (Teilzeit, Gleitzeit,
Arbeitszeitkonten etc.)12 sowie dem Ausbau von
Ganztagseinrichtungen in Kindergarten und Schule
besondere Bedeutung für die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit mit Familie und Engagement zu, da diese
Maßnahmen den Beschäftigten Selbstorganisation
bzw. Souveränität im Umgang mit ihrer Zeit ermöglichen. Bürgerschaftlichem Engagement kommt zudem die Nutzung von Freistellungsrechten zugute.
Insgesamt ist diesbezüglich die Unterstützung des
Engagements von Beschäftigten durch den Arbeitgeber – etwa im Rahmen von corporate volunteering (vgl. BBE 2009, Erster Zwischenbericht, S. 54)
– ausbaufähig.
Woran es derzeit noch mangelt, sind zeitpolitische
Konzepte, die alle drei Bereiche – Erwerbsarbeit, Familie und Engagement – berücksichtigen und integrieren. Zu untersuchen wäre bspw., inwieweit vorhandene Konzepte auf eine solche integrierte Perspektive
übertragbar sind. Für den Bereich Familie unterscheidet z. B. Martina Heitkötter (2009) zeitstrukturpolitische, infrastrukturpolitische, informationsbezogene
Gestaltungsansätze lokaler Zeitpolitik sowie einen
Ansatz, der die Wechselwirkung von örtlicher Zeitorganisation und räumlicher Gestaltung in Städten berücksichtigt. Zeitstrukturpolitische Ansätze zielen auf
die Ausweitung bzw. Flexibilisierung von Öffnungs-,
Betreuungs- und Schalterzeiten, Fahrplänen, Arztoder Handwerkerzeiten. Infrastrukturpolitische Ansätze beziehen sich auf die zeitpolitische Gestaltung
lokaler Infrastruktur- und Dienstleistungsangebote
mit dem Ziel, Wegezeiten und Zugangshemmnisse
zu minimieren. Informationsbezogene Ansätze suchen unter Zuhilfenahme unterschiedlichster Medien
(vom Faltblatt bis zum Internet) alltagsrelevante Informationen zu Dienstleistungsangeboten zu bündeln,
um dadurch einen niedrigschwelligen Zugang hierzu
zu vereinfachen. Und schließlich verfolgen Ansätze,
die die lokale Zeitorganisation mit räumlicher Gestaltung koppeln, beispielsweise den Zweck, verwaiste
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
öffentliche Räume durch neue Nutzungsmuster zu
beleben und Orte sowie Gelegenheiten der Begegnung für die Bevölkerung zu schaffen.
2.4 Das Verhältnis von bürgerschaftlichem
Engagement und Erwerbsarbeit unter sich
wandelnden Rahmenbedingungen
Bürgerschaftliches Engagement kann Erwerbsarbeit qualitativ anreichern, es kann für Erwerbslose,
Berufs(wieder)einsteiger/innen den Übergang in die
Erwerbsarbeit erleichtern, mittels Familien- oder
Nachbarschaftshilfe können Versorgungsarbeiten unterstützt werden, Sonderformen wie z. B. Tauschringe können sogar Eigenarbeit hervorbringen. Die
Pluralisierung von Engagementformen eröffnet neue
Gestaltungsmöglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement, gleichzeitig können diese neuen Entwicklungstendenzen – wie bereits gezeigt wurde – Erosion und Entgrenzung hervorrufen.
Der unter 1.1 beschriebene Wandel der Arbeit bedingt
unterschiedliche Entwicklungen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements, der in unmittelbarem Zusammenhang zu den Bereichen Familie und Erwerbsarbeit steht. Veränderungen in einer Sphäre bringen
auch Auswirkungen auf andere Lebensbereiche mit
sich: Pluralisierung und Entgrenzung bedeutet nicht
nur die Auflösung bisheriger Grenzen, sondern auch
die Herausbildung neuer Strukturen und Charakteristika. So besteht die Gefahr, dass bürgerschaftliches Engagement vermehrt nutzenmaximiert und unter ökonomischen Gesichtspunkten ausgeübt wird, was dem
Eigensinn des Engagements gänzlich wiederspricht
(vgl. Bericht der Enquete-Kommission 2002, Bd. 4,
S.407). Eine weitere Form der Entgrenzung ergibt sich
aus den oben beschriebenen Auswirkungen der Professionalisierung bzw. Verberuflichung bestimmter Engagementfelder. Aus freiwilligem Engagement wurden
reguläre Beschäftigungsverhältnisse, ein Umstand,
der insbesondere im Bereich der sozialen Dienstleistungen zu einer Diskussion über die Marginalisierung
und Verdrängung freiwilliger und unentgeltlicher Arbeit
geführt hat. Gestiegene Herausforderungen an eine
Arbeitsverdichtung und zunehmende Belastungen der
Erwerbsarbeit z. B. hinsichtlich zeitlicher Flexibilität
und räumlicher Mobilität können sich negativ auf die
Rahmenbedingungen freiwilligen Engagements auswirken. Umgekehrt ermöglicht eine flexible Arbeitszeitgestaltung positiv formuliert auch neue Chancen für
freiwillige Tätigkeiten.
Gleichzeitig bleiben veränderte Interessen und Orientierungen im Engagement selbst nicht ohne Wirkung.
Zunehmende Monetarisierungstendenzen, die ehren
amtliche Tätigkeiten mitunter nah an den Rand atypischer Erwerbsarbeitsverhältnisse drängen, führen
zu einer Verschränkung von freiwilligem Engagement
und materieller Gratifikation, die eine neue Dimension
zwischen finanziell motiviertem Engagement, materieller Folgebereitschaft (verbunden mit einem gewissen Verlust der Eigenlogik des Engagements durch
Fremdsteuerung13) und der Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements als „Arbeit“ eröffnet. Hingewiesen werden muss in diesem Zusammenhang
allerdings auch auf den Umstand, dass eine monetäre Unterstützung bestimmter Gruppen von Engagierten auch vor materiellen Nachteilen schützen
kann und ihre Zugangsmöglichkeiten zum Engagement erleichtert (vgl. Evers 2007, S. 134), denn bisher
sind vor allem jene Menschen in besonders hohem
Maße bürgerschaftlich engagiert, die einer geregelten Erwerbsarbeit nachgehen (vgl. Gensicke et al.
2006).14 Damit wird deutlich, dass ein erhöhtes Zeitkontingent, wie es z. B. Erwerbslose haben, nicht per
se zu einer erhöhten Engagementneigung führt. Eine
gemeinwohlorientierte freiwillige Tätigkeit setzt offenbar selbst eigene (finanzielle) Ressourcen voraus.
Unter den Bedingungen zunehmender Massenarbeitslosigkeit verbinden bereits heute unterschiedliche Modellversuche der öffentlich geförderten Beschäftigung
im gemeinnützigen Bereich die Gewährung staatlicher
Transferzahlungen mit der Übernahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Hier öffnet sich eine neue Grauzone: Öffentlich geförderte Beschäftigungsmaßnahmen
im gemeinnützigen Bereich unterliegen einem klaren
Kosten-Nutzen-Kalkül und sollen vor allem materielle
Ressourcen (Einkommen) kompensieren (vgl. Blaschke 2006). Diese Entwicklung führt zu einem erhöhten
Arbeitsmarktbezug öffentlich geförderter gemeinnütziger Tätigkeit, obwohl sich beide Konzepte recht
grundlegend unterscheiden: Bürgerschaftliches Engagement ist freiwillig, es dient der Partizipation am Gemeinwesen und ist weitestgehend selbstorganisiert.
Öffentlich geförderte Beschäftigung im gemeinnützigen Bereich erfolgt auf Druck von außen, entweder
sozialstaatlich-administrativ oder zumindest durch finanzielle Armut oder soziale Ausgrenzung. Sie ist de
facto ein Ersatz für eine reguläre Erwerbstätigkeit, stellt
neben einem (zumeist geringen) Einkommen einen Arbeitsmarktbezug, gekennzeichnet durch Teilhabe und
Anerkennung, her. In der Regel bieten sich hierbei nur
eingeschränkte Möglichkeiten der Selbst- oder Mitbestimmung. Die Tätigkeitsfelder beider Bereiche können vollkommen identisch sein, in jedem Fall jedoch
gemeinnützig und von öffentlichem Interesse. Diese
Dimensionen werden unter 3.1 „Aktive Arbeitsmarktpolitik und Bürgerschaftliches Engagement“ noch einmal genauer diskutiert.
97
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
Wenn Engagement einer geldwerten Leistung
gleichgesetzt wird, treten andere Aspekte des Engagements in den Hintergrund. Wer freiwillig aktiv
wird, wer gestaltet und sich einsetzt, möchte dafür Anerkennung und Wertschätzung erfahren und
möchte mitentscheiden. Wenn das Engagement
auf eine ökonomische, in Kennziffern fassbare
Ressource reduziert wird, besteht dann die Gefahr, dass dieser unabdingbare Zusammenhang
von Gestalten und Entscheiden verlorengeht? Die
aufgeführten Tendenzen der Verschränkung von
Arbeit und Engagement führen damit zwangsläufig auch zu einer Wertediskussion, insbesondere
zu den Kernelementen Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit.
Nicht zuletzt nimmt bürgerschaftliches Engagement
im sich wandelnden Sozialstaat eine veränderte Rolle
ein: Immer mehr Aufgaben und Funktionen können
nicht mehr staatlich erfüllt werden, da finanzielle Ressourcen hierfür nach dem vorherrschenden Politikmuster nicht bereitgestellt werden. Sollen etablierte
Angebote und Infrastrukturen im Gemeinwesen (vor
allem auf kommunaler Ebene) nicht gänzlich verloren gehen, so springen immer häufiger freiwillig Engagierte ein. Sie sollten hierbei jedoch weder zu Lückenbüßern für gesellschaftlich notwendige, jedoch
von Hauptamtlichen ungern ausgeführte Tätigkeiten
werden, noch ein preiswerter bzw. unbezahlter Ersatz
in Arbeitsbereichen sein, die eigentlich zu entlohnen
wären (vgl. Bericht der Enquete-Kommission Bd. 4,
S. 410).
3. Bürgerschaftliches Engagement als Brücke
in die Erwerbstätigkeit
3.1 Aktive Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches
Engagement
Ausgehend von der Frage, wie sich das Verhältnis
von aktiver Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftlichem Engagement bis heute entwickelt hat, richtet
sich der Blick in diesem Abschnitt vornehmlich auf
den aktuellen Bestand und die Ausgestaltung der
beschäftigungspolitischen Instrumente sowie ihre
Wirkung auf das Engagement. Aspekte der Organisationsentwicklung und -politik im Dritten Sektor, in
dessen Organisationen sowohl ein Großteil der Beschäftigungsmaßnahmen durchgeführt werden als
auch der überwiegende Teil des organisierten bürgerschaftlichen Engagements stattfindet, werden
abschließend in Kapitel „Bürgerschaftliches Engagement und Dritter Sektor in der Organisationsperspektive“ erörtert.
98
Aktive Arbeitsmarktpolitik vor und nach den HartzReformen
Die 1980er und 1990er Jahre waren von einer aktiven Arbeitsmarktpolitik geprägt, deren beschäftigungsfördernde Instrumente (wie ABM, SAM/SAE,
BSHG § 19.2 etc.) zunächst überwiegend tariflichen
Bedingungen folgten, sich dann sukzessive immer
weiter davon entfernten, aber immer – mit Ausnahme
der Maßnahmen nach BSHG § 19.1 – voll sozialversicherte Arbeitsverhältnisse begründeten. In dieser
Zeit hatten die Beschäftigungsmaßnahmen „einen
erheblichen Anteil am Aufbau und Erhalt vieler sozialer und kultureller Einrichtungen und damit an der
Entwicklung lokaler Infrastruktur als Ganzes“. Damit
haben sie auch indirekt freiwilliges Engagement gefördert, das in diesen Einrichtungen eine „Ermöglichungsstruktur“ fand. (vgl. Kotlenga 2007, S. 134)
Mit dem Umbau der Arbeitsmarktpolitik im Zuge der HartzReformen sind zum einen die Maßnahmen öffentlicher
Beschäftigungsförderung deutlich reduziert worden. Faktisch dominieren seit 2006 die sog. Arbeitsgelegenheiten
mit Mehraufwandsentschädigungen (MAE-Maßnahmen
nach § 16 Abs. 3 SGB II, auch als „Zusatzjobs“ oder
„Ein-Euro-Jobs“ bekannt) die arbeitsmarktpolitische Förderkulisse. Im Jahr 2007 befanden sich bundesweit rund
261.000 Personen in MAE-Maßnahmen, davon 114.000
in Ostdeutschland. Das entsprach 83,8 % bzw. 76,6 %
aller Maßnahmen der öffentlichen Beschäftigungsförderung im jeweiligen Gebiet. Die MAE-Maßnahmen sind
sehr kurzfristig angelegt, die durchschnittliche Dauer betrug 2006 gut 5 Monate. Die Zuschüsse der Jobcenter
sind auf maximal 300 Euro/Monat (für die Mehraufwandsentschädigung der Teilnehmenden plus Trägerkosten)
begrenzt (alle Zahlen aus amtlichen Quellen der BA nach
Dathe/Priller 2010).
Für die Träger, die die MAE-Jobs organisieren, bedeuten diese Rahmenbedingungen eine geringe Planungssicherheit, häufige Teilnehmerwechsel sowie
außerordentlich knappe Mittel für personelle und
sachbezogene Infrastruktur und Qualifizierung der
Teilnehmenden. Damit schwinden auch die oben
skizzierten infrastrukturellen Mitnahmeeffekte des
Engagementbereichs. Das gilt vor allem für kleinere,
lokale Einrichtungen, die aufgrund der Modalitäten
der Maßnahmevergabe ins Hintertreffen zu überregional tätigen Trägern wie den großen Wohlfahrtsverbänden geraten (vgl. Kotlenga 2007, S. 136).
Konkurrenz und Verdrängungseffekte
Durch die spezifische Ausgestaltung der aktuellen,
öffentlich geförderten Beschäftigung und durch die
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
quantitative Ausweitung der Zusatzjobs kommt es
erstmals zu einer spürbaren Konkurrenz mit dem
freiwilligen Engagement. Hier überschneiden sich
sowohl die beteiligten Träger als auch die Beschäftigungsfelder. Zudem nähern sich materielle Gratifikationen (etwa Auslagenersatz, Aufwandsentschädigung) in beiden Bereichen zunehmend an, ohne
dass dabei nachvollziehbar Verhältnismäßigkeiten
mit Blick auf Unterschiede zwischen „notwendigem
Broterwerb“ und freiwilligem Engagement reflektiert
werden. Deutlich unterschieden werden muss der
Status der Maßnahmenteilnehmer gegenüber dem
der freiwillig Engagierten. Die MAE-Maßnahmen sind
keine freiwillige Tätigkeit, bei Verweigerung der Teilnahme droht eine Kürzung der ALG-II-Bezüge. Das
Instrument wird erklärtermaßen zur Überprüfung der
Arbeitsbereitschaft eingesetzt (Kotlenga, ebd.). Desweiteren sind die Zusatzjobber in der Regel 30 Stunden pro Woche einsetzbar und gegenüber ihrer Trägereinrichtung weisungsgebunden, also insgesamt
„verfügbarer“ als Freiwillige. Hier ergeben sich Verdrängungsmechanismen und Gemengelagen, die in
Fachdiskursen immer wieder angesprochen werden,
aber noch nicht ausreichend empirisch beforscht sind.
Zur Seite der regulären Beschäftigung hin findet
ebenfalls Verdrängung statt. Vormals tariflich bezahlte, öffentliche oder freigemeinnützige Dienstleistungen (etwa Straßenreinigung, Grünflächenpflege,
aber auch Altenpflege und Kinderbetreuung) werden
durch Arbeitsgelegenheiten ersetzt. Die niedrigeren
Kosten spielen hierbei eine große Rolle, aber auch
die erzwungene Flexibilität der Maßnahmeteilnehmer. Sie sind „Beschäftigte dritter Klasse“, denn sie
verfügen weder über einen regulären Arbeitsvertrag
mit entsprechendem Kündigungsschutz noch über
Tarif- und Koalitionsfähigkeit, denn sie gelten nicht
als Arbeitnehmer, fallen also auch nicht unter das
Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsrecht.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
kommt zu dem Ergebnis, dass es infolge der MAEMaßnahmen zu massiven Verdrängungseffekten regulärer Arbeit kommt und zugleich die Übernahmechancen der MAE-Kräfte in reguläre Beschäftigung
sehr gering sind (vgl. Kettner/Rebien 2007 nach Dathe/Priller 2010).
Die Beschäftigungsprogramme „Bürgerarbeit“, „JobPerspektive“ und „Kommunal-Kombi“
Das in Sachsen-Anhalt und Thüringen unter dem
Namen „Bürgerarbeit“ in der Erprobung befindliche
Modell öffentlich geförderter Beschäftigung unterscheidet sich von den MAE-Jobs vor allem hinsichtlich der längeren Laufzeit und der arbeitsrechtlichen
Ausgestaltung als sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Hauptzielgruppe sind Langzeitarbeitslose mit mehreren Vermittlungshemmnissen. Das Nettoeinkommen liegt nicht über dem
ALG-II-Regelsatz. Die Maßnahme „Bürgerarbeit“ ist
für die zugewiesenen Erwerbslosen verpflichtend und
mit Leistungsentzug bewehrt. Die Einsatzgebiete sind
„gemeinwohlorientierte Arbeiten, die nach Aussage
der Initiatoren nicht oder nicht mehr finanzierbar sind,
nichtsdestotrotz aber als gesellschaftlich erforderlich
gelten“ (Kotlenga 2007, S.137).
Das quantitativ umfangreichere Programm „JobPerspektive“ richtet sich ebenfalls an schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose als Zielgruppe und beruht
auf Lohnkostenzuschüssen an Wirtschaftsunternehmen im allgemeinen. Welche Auswirkungen dies
auf den Engagementbereich hat, ist noch wenig untersucht. Ebenfalls kaum untersucht sind Verdrängungseffekte im Zusammenhang mit dem Programm
„Kommunal-Kombi“, bei dem es um Einsatzfelder
wie Sport, Schule, Bibliotheken, Tourismus, Betreuung von Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen geht. Aufgrund der relativ niedrigen Bundeszuschüsse ist hier allerdings die Inanspruchnahme
potenzieller Träger gering gewesen (vgl. Dathe/Priller
2010). Sollten sich vergleichbare Ansätze der kostengünstigen, aktivierenden Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose zusätzlich zu den MAE-Jobs in relevanten Größenordnungen durchsetzen, so wäre aber
durchaus mit einer Verdrängung sowohl von regulärer
Beschäftigung als auch von freiwilligem Engagement
zu rechnen.
Sozialwirtschaft im Dilemma
Die entscheidende Problematik für die Organisationen des Dritten Sektors sieht Kotlenga (2007) darin, dass sie bei Beteiligung an der aktivierenden
Arbeitsmarktpolitik „tendenziell in Widerspruch zu
ihrer sozialanwaltlichen Funktion und zu den für den
gemeinnützigen Bereich oftmals behaupteten Grundprinzipien von Freiwilligkeit, Solidarität und Partizipation (geraten)“. Die Autorin weiter: „Gemeinnützige
Organisationen werden auf ihre Rolle als Dienstleister reduziert, die sich im forcierten Wettbewerb untereinander und mit privaten for-profit-Anbietern behaupten müssen“ (ebd., S.136).
Eckpunkte einer „engagementfreundlichen“ aktiven
Arbeitsmarkpolitik
Die Konturen einer aktiven und „engagementfreundlichen“ Arbeitsmarkpolitik bzw. öffentlich geförderten
Beschäftigung sind bislang konzeptionell kaum entwi99
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
ckelt, durchsetzungsfähige politische Initiativen sind
außer Sichtweite. Gleichwohl formulieren Kotlenga
(2007) und ähnlich Blaschke (2006) einige Eckpunkte:
• Freiwilligkeit des Zugangs und der Teilnahme, freie
Wahl der Tätigkeitsfelder,
• armutsfestes Mindesteinkommen und Sozialversicherungspflichtigkeit für die Teilnehmenden,
• die Infrastruktur der Beschäftigungsprojekte muss
auch für freiwillig Engagierte zur Verfügung stehen, d.h. es werden Anreiz-, Lern- und Ermöglichungsorte für bürgerschaftliches Engagement
geschaffen.
3.2 Engagement als Brücke in die/aus der
Erwerbsarbeit? Die Bedeutung freiwilliger
Tätigkeiten für Erwerbslose, Berufs(wieder)
einsteiger/innen und Menschen im Ruhestand
Erwerbslose
Erwerbslose gehören zu den Wachstumsgruppen im
bürgerschaftlichen Engagement und engagieren sich
zunehmend.15 Das Bild der Engagierten als elitäre
Aktivbürger/innen einerseits, die sich für Benachteiligte einsetzen, womit letztere andererseits eher
Objekte bürgerschaftlichen Engagements werden,
scheint also überholt. Vermehrt auf den sozialen
(Nah)-Bereich und den Selbsthilfebereich orientiert,
ist das Engagement sozial Benachteiligter insgesamt
eine Partizipationsform ganz eigener Art. Es beinhaltet sowohl klassische Elemente der Gemeinwohlorientierung als auch des Eigennutzes und findet häufig
außerhalb institutioneller Kontexte in typischen Tätigkeitsfeldern (Nachbarschaftsinitiativen, Arbeitslosenselbsthilfe etc.) statt (vgl. Blaschke 2003).
Zu bedenken bleibt, dass sich die ökonomische und
soziale Benachteiligung Erwerbsloser mitunter auch
auf deren gesellschaftliche Beteiligung negativ auswirkt 16 (vgl. Trube 2004). Blaschke (2006) geht davon aus, dass mit der Erwerbslosigkeit gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten sowie bürgerliche und
politische Rechte schwinden, da sie recht eng an die
Erwerbsarbeit selbst gekoppelt sind (vgl. Blaschke
2006, S. 86f). Auch für das Engagement Erwerbsloser sind soziale Einbindung, gesellschaftlicher Status
und Bildung entscheidende Voraussetzungen für die
Übernahme einer freiwilligen Tätigkeit und nicht unbedingt ihr durch Arbeitslosigkeit gestiegenes Zeitkontingent (vgl. Gensicke 2006). Welche Chancen
bietet freiwilliges Engagement nun? Alternativ zur
Erwerbsarbeit entsteht ein Raum für Teilhabe, Integration, Statuserlangung und Identitätsstiftung. Engagierte haben bestimmte persönliche Vorteile: wie z. B.
100
bessere Chancen bezüglich einer beruflichen Integration, monetäre oder nichtmonetäre Anerkennungen
und Leistungen, soziale Kontakte und den Erhalt bzw.
Ausbau fachlicher und sozialer Kompetenzen (ebd.,
S. 48f). Die gestiegene Engagementbereitschaft Erwerbsloser zeugt von sozialer Eigeninitiative und Verantwortungsbereitschaft. Arbeitslose erheben einen
ausgeprägten Anspruch auf gesellschaftliche Beteiligung und politische Mitbestimmung (vgl. Gensicke
et al. 2006, S.19)
Bürgerschaftliches Engagement kann den Verlust
eines Arbeitsplatzes nicht ersetzen. Auch können
natürlich Ursachen, die in wechselnden Konjunkturbedingungen oder stystemstrukturellen Problemen
begründet sind, mit dieser Form gesellschaftlicher
Teilhabe nicht überwunden werden (vgl. Trube 2004).
Angesichts fehlender Arbeitsplätze kann „nur“ eine
relative Erhöhung der Chancen auf einen Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit erzielt werden (vgl. Rothländer 2006). Möglichkeiten für sinnvolle Tätigkeiten,
Mitgestaltung, die Aufnahme in soziale Netzwerke
und Anerkennung haben positive Auswirkungen auf
die allgemeine Lebenszufriedenheit und erleichtern
die (Re)-Integration in die Gesellschaft (vgl. Göttling
2006, S. 64ff). Bürgerschaftliches Engagement kann
dazu beitragen, Marginalisierung und Ausgrenzung
Erwerbsloser strukturell einzuschränken und soziale,
wirtschaftliche sowie identitätsstiftende Strukturen
zu schaffen. Darüber hinaus sind insbesondere für
Erwerbslose der Kompetenzerwerb bzw. -erhalt und
Qualifizierungsangebote jenseits formeller Arbeit von
großer Bedeutung.
Problematisch bleibt hier die Frage der materiellen
Absicherung. Bürgerschaftliches Engagement Erwerbsloser setzt eine entsprechende Zielgruppenorientierung auf der Angebotsseite voraus: Es muss sich
um eine Form des Engagements handeln, welche mit
den verfügbaren Ressourcen Arbeitssuchender (Zeit,
Geld, Mobilität) geleistet werden kann (vgl. Schöning
2006). Für Erwerbslose existiert ein Widerspruch
zwischen rein gemeinwohlorientierten Engagementmotiven und der individuellen Sicherung des eigenen
Lebensunterhaltes (vgl. Trube 2004).
Wiedereinsteiger/innen
Der berufliche Wiedereinstieg von Frauen und auch
Männern, die ihr Erwerbsleben längere Zeit für die
Familienarbeit unterbrochen haben, gestaltet sich
häufig schwierig (vgl. BMFSFJ 2009). Wissen und
Kompetenzen können veralten; der erste Arbeitsmarkt reagiert auf solche Bewerber/innen häufig
skeptisch. Ebenso wie für Erwerbslose scheint das
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
bürgerschaftliche Engagement hier positive Effekte
für die Berufsfähigkeit bereitzustellen, es wird mitunter sogar als „Übergangsarbeitsmarkt“ bezeichnet
(vgl. Trube 2004, Priller/Zimmer 2006). Langjährige
Erwerbsunterbrecher/innen haben über freiwillige
Tätigkeiten die Möglichkeit sich zu qualifizieren. Fähigkeiten und Fertigkeiten werden erprobt bzw. aktualisiert und durch informelles Lernen erworben.
Über den Aufbau von sozialen Beziehungen und
Netzwerken (Sozialkapital) und die Möglichkeit der
Orientierung in unterschiedlichen Interessengebieten jenseits des Erfolgszwangs des ersten Arbeitsmarktes bietet das freiwillige Engagement einen
guten Ausgangspunkt für eine individuelle berufliche Neuausrichtung (vgl. Welskopp-Deffaa 2009).
Immer wieder wird in diesem Zusammenhang diskutiert, ob bürgerschaftliches Engagement eine Brückenfunktion erfüllen kann, die es ermöglicht, über
eine zunächst unbezahlte freiwillige Tätigkeit in ein
Anstellungsverhältnis zu gelangen. Die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse im Dritten Sektor ist in den
letzten Jahren insgesamt stark angestiegen (vgl.
Dathe/Priller 2010). Die Anstellung erfolgt häufig auf
befristeten oder projektbezogenen Teilzeitstellen.
Dies ist ein Umstand, der zunächst einen schnellen Wiedereinstieg zu ermöglichen scheint, bietet
er doch niedrige Zugangsbarrieren und flexible Arbeitszeiten und damit die Möglichkeit, Erwerbsarbeit
und Familie miteinander zu kombinieren. Gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr, hier den Grundstein
für eine neue Form prekärer Beschäftigungsverhältnisse zu legen, die insbesondere Frauen und (ältere
oder schlecht ausgebildete) Langzeitarbeitslose in
ihrer beruflichen Biografie schwächt.
Berufsanfänger/innen
Bürgerschaftliches Engagement bietet jungen Menschen häufig erstmals die Möglichkeit sich, außerhalb schulischer Kontexte erfolgreich zu erleben.
Informelle Lernprozesse im freiwilligen Engagement
steigern die Bildungs- und Beschäftigungsfähigkeit
von Berufseinsteiger/innen (vgl. Schenkel 2008).
Gleichzeitig werden für viele Arbeitgeber diese
dort erworbenen Schlüsselkompetenzen oder „soft
skills“ immer wichtiger. Zahlreiche Unternehmen haben dies mittlerweile erkannt und beziehen bürgerschaftliches Engagement unmittelbar in ihre Personalauswahl und -entwicklung ein. Eine weitere Form
der Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements
ist die Anerkennung freiwilliger Tätigkeiten bei der
Vergabe von Stipendien oder Ausbildungsplätzen
bzw. der Anrechnung des Engagements als Praktika, Wartesemester oder ähnliches (vgl. Kühnlein/
Böhle 2002, S. 105).
Exkurs: Bürgerschaftliches Engagement älterer Menschen: eine Brücke aus der Erwerbsarbeit?
In der Nacherwerbsphase bietet die Übernahme gemeinwohlorientierter Aufgaben und Funktionen die
Chance, einer sinnvollen Betätigung nachzugehen,
Selbstbestätigung, Anerkennung und Inklusion zu erfahren sowie die über ein ganzes Erwerbsleben gesammelten Erfahrungen und Kompetenzen weiterzugeben bzw. sogar auszubauen (vgl. Kocka 2008). Der
demografische Wandel macht eine solche Entwicklung
hin zum Engagement älterer Menschen sogar notwendig, fällt es doch Organisationen immer schwerer, junge
Menschen für ein Engagement zu gewinnen, während
die Teilnahmebereitschaft älterer Menschen erheblich
zugenommen hat (vgl. Gensicke et al. 2006, S. 282ff)..
Erste Überlegungen gehen soweit, bereits in der Altersteilzeit aktiv für ein Ehrenamt zu werben. Unternehmen
und Betriebe könnten hier aktiv den Übergang von der
Erwerbsarbeit in den Ruhestand mitgestalten. Kocka
schlägt vor, die Ehrenamtlichkeit im Ruhestand mittels
kleiner Zusatzverdienste attraktiver zu gestalten (vgl.
Kocka 2008, S. 230). Dies ist ein Ansatz, der mit einer
kritischen Beobachtung zunehmender Altersarmut zukünftig sicherlich Gegenstand unterschiedlicher Diskussionen zum Thema „Monetarisierung im bürgerschaftlichen Engagement“ sein wird.
3.3 Kompetenzerwerb und Qualifizierung durch
bürgerschaftliches Engagement
Die Tatsache, dass bürgerschaftliches Engagement
und Erwerbsarbeit sich in hohem Maße verschränken
und ergänzen, wird nicht zuletzt an den Wechselwirkungen der Kompetenzen sichtbar, die in den jeweiligen
Kontexten erworben und eingesetzt werden. Kompetenzen werden vor allem praktisch erworben und informell gelernt: im sozialen Umfeld, im Arbeitsleben oder
eben im bürgerschaftlichen Engagement. Darunter fallen berufsrelevante Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie
arbeitsfeldübergreifende sog. Schlüsselkompetenzen
wie Teamfähigkeit, Organisationsfähigkeit, Kreativität,
Kontakt-, Kritik- sowie Konfliktfähigkeit.
Mit der Erkenntnis, dass die meisten der im beruflichen und im privaten Leben wichtigen Lernprozesse
informell stattfinden – laut Einschätzung der FaureKommission der UNESCO aus dem Jahr 1972 rund
70% – und einem damit einhergehenden Paradigmenwechsel in der Bildungsdebatte rückte auch das bürgerschaftliche Engagement als informeller Rahmen
des Kompetenzerwerbs in den Blick, nachvollziehbar
beispielsweise am Bildungsbericht für Deutschland
aus dem Jahr 2006 (Konsortium Bildungsberichterstattung: Bildung in Deutschland, S. 64-67).
101
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
Parallel zur Betrachtung des Erwerbs und Erhalts von
Kompetenzen hat sich eine Diskussion um Kompetenzerfassung, -bilanzierung und Kompetenznachweise entwickelt, in die vielfältige Beiträge eingebracht wurden,17 die bis dato noch nicht vollständig
zusammengetragen und dokumentiert worden und
insgesamt – auch bei den institutionellen Akteuren
im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements – zu
wenig bekannt sind.18 Feststellbar ist, dass in den Verfahren der Kompetenzerfassung objektiv-testförmige
Messungen nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Gearbeitet wird überwiegend mit subjektorientierten
Selbsteinschätzungsverfahren, die an den individuellen biographischen Erfahrungen ansetzen und in
geringerem oder größerem Ausmaß Fremdeinschätzungen hinzuziehen. Je nach Konzept werden diese
Verfahren von den Engagierten eigenständig durchgeführt oder pädagogisch begleitet, in jedem Fall haben die Engagierten dabei einen aktiven Part.19
Ein zweiter, auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt
relevanter Aspekt ist die Erstellung von Kompetenznachweisen, also der schriftlichen Dokumentation
von Kompetenzen, die im Engagement erworben
und/oder unter Beweis gestellt wurden. Abgesehen
davon, dass eine schriftliche Bescheinigung einen
wesentlichen Bestandteil der Anerkennungskultur im
Engagement darstellt, können sich die in o. g. Verfahren erarbeiteten Dokumente oder Mappen in Bewerbungsverfahren auf dem Arbeitsmarkt positiv für
die Engagierten auswirken. Beachtet werden muss
jedoch, dass weder die Verfahren zur Kompetenzerfassung noch die daraus erwachsenden Kompetenzbilanzen einer zentral gesteuerten Standardisierung
oder Überprüfung unterliegen. Obwohl eine solche
Standardisierung insgesamt für eine bessere Akzeptanz der Dokumente/Zertifikate und somit für mehr
Aussagekraft u. a. für Arbeitgeber sorgen könnte,
stehen ihr grundsätzliche Bedenken entgegen, das
freiwillige Engagement auf diese Weise zu schematisieren und arbeitsmarktlogischen Überlegungen zu
unterwerfen (vgl. Rindt, in: BBE-Newsletter 20/2009)
.
Eindeutiger ist die Situation bei Fort- und Weiterbildungen, die Engagierten im Zusammenhang mit ihrem Engagement angeboten werden und mit denen
sie u. a. befähigt werden sollen, die direkt mit den
Anforderungen des jeweiligen Engagementfeldes
einhergehenden Anforderungen gut bewältigen zu
können. Bedarf herrscht hier insbesondere bei Engagierten in verantwortlichen bzw. Mentoring-/Leitungspositionen oder im Freiwilligenmanagement. Als
bewusst geplante, (non-)formale Qualifizierungseinheiten werden solche Kurse, Seminare, Workshops
usw. nicht nur als Maßnahmen zur Kompetenzbildung
102
und -bescheinigung, sondern auch als notwendiger
Teil der Anerkennungskultur angesehen (s. AG ‚Bildung und Qualifizierung‘ des BBE: „Freiwillige haben
ein Recht auf Qualifizierung!“).
4. Bürgerschaftliches Engagement und Dritter
Sektor in der Organisationsperspektive
Für einen vollständigen thematischen Überblick ist
auch die Organisationsperspektive wichtig. Der Blick
sollte sich dabei sowohl auf die Organisationen des
Dritten Sektors, in dem der überwiegende Teil des
Engagements gebunden ist, als auch auf die Organisationen im Erwerbssystem richten.
Die organisationssoziologische Perspektive ist bislang in der Diskussion um die Bedingungen und Voraussetzungen von Engagement vernachlässigt worden. Mit dem Freiwilligensurvey hat sich auf der Seite
der empirischen Forschung ein Blick auf die individuelle Dimension des Engagements verfestigt. Der Blick
aus und auf Organisationen ist aber notwendig, weil
hier die Schnittstellen von Arbeit und Engagement
zu verorten sind und weil sie auch wesentlich dafür
verantwortlich sind, ob es den dort Tätigen gelingt,
Engagement und Erwerbsarbeit sinnvoll und produktiv miteinander zu verbinden. Die Organisationen gestalten auch die Bedingungen gemeinnütziger Arbeit
wesentlich mit und sind durch ihr Verhalten zentrale
Akteure der ‚Zeitpolitik‘ und auch des Anerkennungssystems rund um das Engagement.
4.1 Nebeneinander von Haupt- und Ehrenamtlichkeit
Im Dritten Sektor findet sich immer häufiger ein Nebeneinander von drei Tätigkeitsprofilen, im Einzelnen denen
• von ‚klassischen‘ Erwerbsarbeiter/innen,
• von atypischne Beschäftigungsverhältnissen (u. a.
Teilzeitkräfte, geringfügig Beschäftigte; öffentliche
Beschäftigungsverhältnisse auf 1-Euro-Basis,
MAE) und
• von freiwillig Engagierten in ‚Reinform‘.
Menschen mit diesen Tätigkeitsprofilen leisten zu
sehr unterschiedlichen Konditionen eine ähnliche,
bisweilen dieselbe Arbeit. Das stellt sowohl auf der
individuellen Ebene (Umgang miteinander, Wertschätzung, Neid, Konkurrenzdenken und Bedrohungswahrnehmung) als auch auf der hier näher betrachteten hierarchisch-organisatorischen Ebene für
die Organisation selbst (Kompetenzen/Zuständigkeiten, Gleichberechtigung, Arbeitsplatzbeschreibungen) hohe Anforderungen.
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
Quantitative Aussagen
In diesem Zusammenhang stellen sich Fragen nach
der Koexistenz dieser Tätigkeitsprofile, insbesondere
welches quantitative Ausmaß die benannten Phänomene haben.
Gegenwärtig wird für Organisationen des Dritten
Sektors die Zahl der Vollzeit- bzw. der Teilzeitstellen
sowie der geringfügig Beschäftigten bundesweit auf
mehr als drei Millionen geschätzt. Genaue Angaben
zur Zahl der Arbeitsplätze und zur Struktur der Beschäftigungsverhältnisse liegen aktuell nicht vor. Dies
erschwert spezifische Aussagen. Anhand partiell vorliegender Daten lassen sich wesentliche Tendenzen
sichtbar machen (vgl. Dathe/Priller 2010, S. 526ff.).
Im Zeitraum von 1996 bis 2008 schwankt die Zahl der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Dritten Sektor – nach Hochrechnungen mit den Daten
des IAB-Betriebspanels – zwischen 1,7 und 1,9 Millionen. Dabei hat sich der Anteil des Dritten Sektors an
den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von
sechs auf sieben Prozent erhöht (vgl. Dathe/Hohendanner/Priller 2009, S. 2).
Nach Angaben der Wohlfahrtsverbände ist die Zahl der
Einrichtungen von 2000 bis 2004 um sechs Prozent und
die Anzahl der Beschäftigten um 22 Prozent gestiegen.
Allerdings basiert der Beschäftigungszuwachs hauptsächlich auf einer Zunahme bei den Teilzeitkräften und
den geringfügig Beschäftigten um 39 Prozent. Innerhalb
des Zeitraums von vier Jahren nahm die Anzahl der Teilzeitkräfte und der geringfügig Beschäftigten um 186.034
zu. Die Gesamtzahl der ehrenamtlich sozial Engagierten weist die Gesamtstatistik der Freien Wohlfahrtspflege seit den letzten Berichtszeiträumen unverändert mit
2,5 bis 3 Millionen aus (vgl. Dathe/Priller 2009).
Die Einbindung von Engagement ist dabei ein wesentliches Charakteristikum des Dritten Sektors,
auf Leitungsebene wie auch im operativen Geschäft
(vgl. Zimmer 2007). Individualisierungs- und Flexibilisierungstendenzen bei den Engagierten stellen die
Organisationen dabei vor die Herausforderung, auch
kurzzeitige, zeitlich flexible freiwillige Tätigkeiten zu
integrieren (siehe oben).
Der Anteil der Teilzeitbeschäftigung hat sich im Dritten
Sektor von 29 Prozent im Jahr 1996 auf 49 Prozent im
Jahr 2008 erhöht. Die Teilzeit hat damit in diesen Organisationen eine wesentlich höhere Bedeutung als
im öffentlichen Dienst (29 Prozent) und bei den privatwirtschaftlich erbrachten sozialen Dienstleistungen
(38 Prozent).
Minijobs sind eine besondere Form der Teilzeitbeschäftigung: 13 Prozent der Beschäftigten im Dritten
Sektor waren 2008 geringfügig beschäftigt. Der Anteil
der Mini-Jobber liegt zwar niedriger als bei den privatwirtschaftlich erbrachten sozialen Dienstleistungen
(17 Prozent), aber mit 12 Prozent leicht über dem Gesamtdurchschnitt.
Neben der Teilzeitbeschäftigung ist der hohe Anteil
befristeter Arbeitsverhältnisse typisch für den Dritten
Sektor. 2008 waren 15 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse im Dritten Sektor befristet, in dem vergleichbaren Teil der Privatwirtschaft liegt der Anteil bei lediglich acht Prozent. Noch dramatischer ist die Situation
bei den Neueinstellungen: Etwa zwei Drittel sämtlicher
Neueinstellungen im ersten Halbjahr 2008 erfolgten
auf Basis eines befristeten Arbeitsvertrags. Nur im
öffentlichen Dienst zeigt sich mit einem Anteil von 73
Prozent eine noch exzessivere Befristungspraxis.
Die Ausweitung der befristeten Einstellungen wird durch
die Abhängigkeit der Dritt-Sektor-Organisationen von
öffentlicher Finanzierung verursacht, die meist in Form
von (befristeten) Projektfinanzierungen erfolgt. Die Finanzierung aus arbeitsmarktpolitischen Programmen
trägt mit ihrer zeitlichen Beschränkung ebenfalls dazu
bei (vgl. Dathe/Hohendanner/Priller 2009, S. 4).
Qualitative Aussagen
Was bedeutet das für die Arbeitsbedingungen im
Dritten Sektor (qualitatives Ausmaß)? Wurde das
Nebeneinander verschiedener Tätigkeitsprofile lange
Zeit als besonderer Vorteil und als Kennzeichen für
flexible Beschäftigungsverhältnisse im Dritten Sektor
angesehen, ergeben sich heute zunehmend Fragen
nach den Grenzen der Entwicklung hin zu atypischen
Beschäftigungsverhältnissen. Andere Analysen weisen auf die geringe Entlohnung hin und aus den Organisationen des Dritten Sektors werden erste Forderungen nach einem Mindestarbeitslohn gestellt (vgl.
Dathe/Priller 2009, S. 531).
Wechselwirkungen zwischen Engagement und Erwerbsarbeit
Es zeigt sich, dass nicht nur innerhalb des Dritten
Sektors zwischen Engagement und Erwerbsarbeit
viele Beziehungen und Wechselwirkungen bestehen.
Beide Tätigkeits- und Arbeitssphären ergänzen einander (vgl. Zimmer 2007).
Ein konkretes Beispiel ist das Handlungsfeld der Altenarbeit und Pflege. Dieser Bereich ist geprägt von
einem ungeregelten Nebeneinander der Pflege durch
103
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
Familienangehörige, Verwandte, Nachbarn, bürgerschaftlich Engagierte, legale und halblegale Hilfskräfte, geringfügig Beschäftigte, Um- und Angelernte
sowie Fachkräfte.
Gleichzeitig steht bereits heute fest, dass die Zahl der
Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2020 auf mehr als 2,6
Mio. Menschen ansteigen wird. Der Bedarf an Pflegenden wird um mindestens 20 Prozent höher sein
als heute (vgl. Weisbrod-Frey 2008).
Bürgerschaftliches Engagement ist eine sinnvolle, an
Bedeutung gewinnende Ergänzung professioneller
Pflegeleistungen. Es gilt, durch fortzuentwickelnde
Formen der Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt einen Beitrag dafür zu leisten, dass kommunikative und seelische Betreuung auch künftig
unverzichtbare Bestandteile professioneller Pflegeleistungen bleiben. Zukünftig werden professionelle
Pflegekräfte jedoch zunehmend mit Anforderungen
eines guten Freiwilligenmanagements konfrontiert.
Sie sind gefordert, bürgerschaftliches Engagement
als Partner auf Augenhöhe in die Pflege einzubeziehen. Hier besteht Bedarf bei der Fortentwicklung
professioneller Standards.
Zugleich müssen sich die Engagierten in der Pflege
auch an den fachlichen Standards professioneller
Pflege orientieren. Engagierte Gruppen benötigen
in diesem sensiblen Aufgabengebiet Schulung, Anleitung durch kompetente Fachkräfte sowie professionelles Know-how für die Koordinierung und
Organisation (vgl. Koordinierungsausschuss des
Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement
(BBE) (2006): Impulspapier »Bürgerschaftliches Engagement in der Pflege«).
Verallgemeinert folgt daraus, dass qualitative Aspekte der Beschäftigung und des Nebeneinanders
von Haupt- und Ehrenamtlichkeit künftig noch stärker
aus der Organisationsperspektive berücksichtigt werden müssen, um Faktoren wie Überlastung, schlechte Arbeitsbedingungen und geringe Entlohnung auf
allen Ebenen entgegen wirken zu können.
Da gerade im Dritten Sektor die Kombination von
regulärer Arbeit und freiwilligem Engagement zunimmt und die Grenzen zwischen beiden Bereichen
verschwimmen, sind diesen Fragen im Rahmen verstärkter Forschung mehr Aufmerksamkeit zu widmen
(vgl. Dathe/Priller 2009, S. 544ff.). Dies gilt ebenso für
die offene Frage, welche Instrumente die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Tätigkeitsprofile sinnvoll
unterstützen können (z. B. detaillierte Aufgabenbeschreiben, Schulungen, Freiwilligenmanagement).
104
4.2 Monetarisierung des Engagements
Nach der Definition der Enquete-Kommission ist bürgerschaftliches Engagement unentgeltlich. Vor allem
in sozialen Einrichtungen existieren jedoch unterschiedliche Formen des Entgelts bzw. der Aufwandsentschädigungen für Engagierte neben der Bezahlung von 1-Euro-, Mini- und Niedriglohnjobs.
Beispiel Pflege
Mögliche Auswirkungen der Monetarisierung werden
z. B. wiederum im Pflegebereich deutlich. Hier existieren bereits unterschiedliche Formen von:
• entgeltlichem Engagement: v. a. Aufwandspauschalen auf Stundenbasis, z. B. im Rahmen des §
45c Absatz 3 SGB XI sowie von
• im Wesentlichen unentgeltlichem Engagement:
Beschränkung auf die Erstattung tatsächlich entstandener Aufwendungen, z. B. Fahrt- oder Telefonkosten.
In § 45c Abs. 3 Satz 2 SGB XI ist geregelt: „Die
Förderung dieser niedrigschwelligen Betreuungsangebote [...] dient insbesondere dazu, Aufwandsentschädigungen für die ehrenamtlichen Betreuungspersonen zu finanzieren“. Unstrittig ist, dass den
ehrenamtlichen Betreuungspersonen tatsächlich entstandene Kosten, zum Beispiel für Fahrgeld, Telefon
usw. erstattet werden. Die Förderpraxis hat indessen
gezeigt, dass eine Reihe von Trägern von Betreuungsangeboten Aufwandsentschädigungen auf Stundenbasis gewähren, die in Einzelfällen über 10 Euro je
Stunde betragen.
Argumentiert wird dahingehend, dass im Sportbereich vergleichbare Aufwandsentschädigungen (nach
§ 3 Nr. 26 EStG, sog. Übungsleiterpauschale) üblich
sind und die Empfänger sich durchweg als Ehrenamtliche verstehen. Mit Blick darauf sei Gleichbehandlung gefordert. Engagierte könnten sonst nicht in
ausreichender Zahl gewonnen werden und überdies
würden alle diejenigen von der Mitwirkung an den
Projekten ausgeschlossen, die auf eine Entschädigung in dieser Form angewiesen seien.
Demgegenüber wird insbesondere seitens der Kommunen und eines Teils der Akteure im Engagementbereich argumentiert, dass die Praxis der Träger die
Basis für das bürgerschaftliche Engagement gefährde, bei dem regelmäßig keine Aufwandsentschädigungen auf Stundenbasis gewährt werden. Eine
Festlegung einer Obergrenze auf Stundenbasis wird
abgelehnt, unter anderem weil dadurch der Charakter
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
eines Arbeitsverhältnisses mit allen daraus sich ergebenden Konsequenzen entstehe (vgl. Warmbrunn
2009, S. 1).
Unumstritten ist dabei, dass die Kompensation von
zu wenig (teuren) hauptamtlichen Pflegkräften durch
(billige) bürgerschaftlich Engagierte nicht akzeptabel
ist. Die 2006 veröffentlichte RICH-Nursing-Studie hat
nachgewiesen, dass es sehr deutliche Zusammenhänge zwischen einer guten Qualität der Arbeitsumgebung (Arbeitsbedingungen), einer am Pflegebedarf
orientierten Stellenbesetzung des hauptamtlichen
Pflegepersonals (Personalschlüssel) und guten Behandlungsergebnissen gibt. Bürgerschaftliches Engagement kann vor diesem Hintergrund nur eine
Ergänzung zur professionellen Pflege sein (vgl. Weisbrod-Frey 2008).
Erfahrungen aus der Praxis haben auch gezeigt, dass
es innerhalb der Einrichtung bestimmte, einforderbare
Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit von
Hauptamtlichen und Engagierten gegen muss – von
der klaren Abgrenzung der beiden Tätigkeitsbereiche
über die Schaffung von Beteiligungsstrukturen für die
Engagierten bis hin zu Qualifizierungsangebote für
beide Seiten (vgl. Kochanek 2008).
Insgesamt kann bürgerschaftliches Engagement
Hauptamtlichkeit z. B. in der Pflege auch künftig
nur sinnvoll ergänzen. Dafür bedarf es bestimmter
Rahmenbedingungen. Welchen Einfluss die zunehmende Monetarisierung des Engagements auf diese
Rahmenbedingungen hat, ist noch nicht hinreichend
wissenschaftlich untersucht.
Für die Organisationsperspektive stellen sich in diesem Zusammenhang folgende wichtige Fragen:
lich, aber auch im Hinblick auf die individuelle Lebensführung und -sicherung, zahlreiche neue Schwierigkeiten und Chancen mit sich gebracht. Unsichere, oft
zeitlich befristete ‚atypische Beschäftigungsformen‘
wie Teilzeitarbeit, Minijobs und MAE-Maßnahmen
prägen und dominieren inzwischen vor allem den
Dritten Sektor. Dort führt das Nebeneinander von
voll Erwerbstätigen, geringfügig Beschäftigten und
klassisch ehrenamtlich/unentgeltlich Arbeitenden
zu besonderen Herausforderungen: Verantwortlichkeiten und Aufgabenverteilung, Art und Rolle von finanzieller Gratifikation sowie Gestaltungsmacht und
Management müssen gut durchdacht werden. Der
Bereich der Altenarbeit und Pflege hält viele Praxisbeispiele dafür bereit, dass und auf welche Weise
bürgerschaftliches Engagement professionelle und
kommerzielle Leistungen ergänzen kann, verdeutlicht
aber auch, dass diese keinesfalls verdrängt werden
können und dürfen.
Im Dritten Sektor, an den der Anspruch herangetragen wird, Erwerbsarbeit und überwiegend unentgeltliches Engagement systematisch sinnvoll und
produktiv zu verbinden, ist die durch die spezifische
Ausgestaltung der aktuellen öffentlich geförderten
Beschäftigung und die quantitative Ausweitung der
Zusatzjobs entstehende Konkurrenz mit freiwilligem
Engagement inzwischen spürbar. Davon ausgehend,
dass eine Wiederherstellung der Vollerwerbstätigkeit
unrealistisch ist, erscheint ein Denken in völlig neuen
Dimensionen erforderlich, denn öffentlich geförderte
Beschäftigung in gemeinnützigen Projekten ist zunächst nichts anderes als ein Substitut für Erwerbstätigkeit. Bürgerschaftliches Engagement kann Erwerbsarbeit nicht ersetzen. Gleichzeitig darf es nicht
für die „Verwahrung“ langfristiger und schwer vermittelbarer Erwerbsloser instrumentalisiert werden.
• Kann eine Bezahlung zur Folge haben, dass Engagement wie Erwerbsarbeit behandelt wird, eventuell sogar wie Niedriglohnarbeit?
• Welche Auswirkungen hat das Nebeneinander von
Freiwilligen und 1-Euro-Jobbern auf das Verhältnis
beider Gruppen zueinander?
• Welche Auswirkungen hat dieses Nebeneinander
auf die sozialen Einrichtungen selbst und wie gehen sie damit um?
Engagement hat ein großes Potenzial für den Erwerb
und Erhalt von Kompetenzen, ohne dabei allein den
Erfordernissen des Arbeitsmarktes unterworfen zu
sein. Gleichzeitig kann es auf unterschiedliche Weise
als Brücke in die Erwerbsarbeit dienen. Die wachsende Flexibilisierung ist nicht nur für Engagierte zunehmend attraktiver, Engagement kann damit auch größere gesellschaftliche Wirkung entfalten. Darüber hinaus
hält es in hohem Maße Möglichkeiten der persönlichen
Sinnstiftung und Selbstverwirklichung bereit.
5. Fazit
Um das Potenzial bürgerschaftlichen Engagements
jedoch gesellschaftlich und individuell fruchtbar zu
machen, müssen günstige Bedingungen geschaffen werden. Das bedeutet die Gestaltung von Anreiz, Lern- und Ermöglichungsstrukturen, die den
Engagierten eine sinnerfüllende Tätigkeit jenseits
Die Erosion des lange Zeit den Arbeitsmarkt faktisch
und normativ bestimmenden Normalarbeitsverhältnisses und die damit verbundene Pluralisierung und
Entgrenzung der Erwerbsarbeit haben gesellschaft
105
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
der auf Einkommen ausgerichteten Erwerbsarbeit
ermöglichen. Dafür sind beschäftigungspolitische
Instrumente vonnöten, die Erwerbslose nicht unter Androhung von Sanktionen in demotivierendes
Quasi-Engagement bringen, sondern die über die
freiwillige Teilnahme, sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung und gute Betreuung zu echtem freiwilligen – und damit eher dauerhaftem! – Engagement
ermutigen.
Weiterhin besteht für den gesamten Bereich des
bürgerschaftlichen Engagements die dringende Notwendigkeit, die Monetarisierungstendenzen und ihre
jeweiligen konkreten Umsetzungsformen überlegt
einzusetzen und auf ihre Konsequenzen hin zu prüfen.
Eine materielle Gratifikation bürgerschaftlichen Engagements kann Zugangsmöglichkeiten zum Engagement erleichtern und damit sozial Benachteiligten
mehr Chancen zur Partizipation am Gemeinwesen
eröffnen. Hier besteht die besondere Herausforderung darin, den Eigensinn des Engagements nicht
zu gefährden und sich dennoch veränderten Rahmenbedingungen und den Interessen Engagierter
zu öffnen. Die Debatte zum existenzsichernden und
bedingungslosen Grundeinkommen stellt in diesem
Zusammenhang eine interessante Perspektive für
die Entwicklung von Erwerbsarbeit und bürgerschaftlichem Engagement dar.
Eine wesentliche Voraussetzung für bürgerschaftliches Engagement ist eine Infrastruktur, die nicht nur
Räumlichkeiten und Sachmittel, sondern auch personelle Ressourcen, Vernetzungshilfen und (Weiter-)
Bildungsmöglichkeiten bereitstellt. Dies muss Hand
in Hand mit einer partizipationsfördenden Zeitpolitik
gehen, die unterschiedlichen Personengruppen eine
leichtere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Engagement erlaubt.
Veränderungen und Entwicklungen in den Bereichen
Erwerbsarbeit und bürgerschaftliches Engagement
bewirken Herausforderungen, die eine Durchlässigkeit und Zusammenarbeit beider Systeme erforderlich macht. Dazu gehört, das Verhältnis der
verschiedenen Akteure im bürgerschaftlichen Engagement klarer zu bestimmen. Auf gesellschaftlicher
Ebene gehören hierzu die Organisationen des Dritten Sektors, die Träger von arbeitsmarktpolitischen
Maßnahmen und nicht zuletzt Unternehmen, deren
Corporate-Citizenship (CC)-Aktivitäten immer mehr
in den Fokus rücken. Auf innerorganisatorischer und
interaktionaler Ebene zählen dazu insbesondere
hauptamtliche bzw. entlohnte Kräfte, Entscheider/innen und Freiwilligenmanager/innen und die Engagierten selbst. Um Überlastung, schlechte Arbeitsbedin106
gungen und unterdurchschnittlich geringe Entlohnung
der bezahlt Tätigen zu vermeiden, müssen qualitative
Aspekte des Nebeneinanders von Haupt- und Ehrenamtlichkeit stärker aus der Organisationsperspektive
berücksichtigt und gründlicher erforscht werden.
Wirtschaftsunternehmen können auf unterschiedliche
Weise zum bürgerschaftlichen Engagement beitragen: zum einen indirekt, durch die Berücksichtigung
gesellschaftlicher Anliegen bei wirtschaftlichen Entscheidungen, etwa umweltpolitischer oder arbeitszeitpolitischer Natur (Corporate Social Responsibility). Im
korporatistischen Wirtschafts- und Sozialstaatsmodell Deutschland sind Unternehmensentscheidungen
im Binnenbereich durch Umwelt- und Arbeitsschutzgesetze, Mitbestimmungsrechte, Tarifverträge etc.
recht weitgehend institutionalisiert, verrechtlicht und
in feste Aushandlungsmodelle eingebunden. Der
Blick sowohl der Fachwissenschaft als auch der Engagementpolitik richtet sich daher vorwiegend auf
CC, also auf das freiwillige Engagement von Unternehmen in der „Außenwelt“ der Gesellschaft (vgl.
Backhaus-Maul/Braun 2010).
Angesichts der Komplexität des Themas und seiner
Bedeutung für die Weiterentwicklung des Themenfeldes „Engagement und Erwerbsarbeit“ wäre idealerweise ein eigenes Kurzgutachten angemessen.
Interessante Forschungsaspekte zum Wechselverhältnis Engagement/Erwerbsarbeit in Bezug auf die
Unternehmensperspektive wären z. B.:
• Welche Optionen für Brückenbildung zwischen
Engagement und Beruf sind wünschenswert und
möglich?
• Welche
Human-Resources-/Personalentwicklungs-Modelle werden bereits praktiziert, die die
Weiterbildung von Mitarbeiter/innen gezielt mit
dem bürgerschaftlichen Engagement verbinden
bzw. eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Engagement ermöglichen?
Kooperationen auf Augenhöhe zwischen Drittem Sektor und Unternehmen erfordern es, dass beide bereit
und in der Lage sind, die Perspektive der jeweils anderen Sphäre einzunehmen, ihre Eigenlogik zu verstehen und anzuerkennen. Kein Bereich darf dabei
sein Selbstverständnis und seine handlungsleitenden
Prinzipien zum alleingültigen Maßstab erheben.
Zusammenfassend besteht ein großer Forschungsbedarf zu Wechselwirkungen von bürgerschaftlichem
Engagement und Erwerbsarbeit. Zunächst gilt es, Forschungsergebnisse aus beiden Sphären zu bündeln.
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
Gleichwohl bedarf es weiterführender Studien an den
Schnittstellen von Engagement und Erwerbsarbeit.
Das Ziel sollte sein, möglichen sozialen Kollateralschäden infolge absehbarer und bereits erkennbarer
Kollisionen beider Bereiche vorzubeugen. Zum anderen erscheint es angezeigt, gangbare Wege der
Verzahnung beider Bereiche nachzugehen, um hieraus resultierende gesellschaftliche Potenziale und
Synergien nutzbar zu machen. Voraussetzung hierfür
ist grundsätzlich ein wechselseitiges Verständnis der
relevanten Akteure für die grundlegenden, bereichsspezifischen Dynamiken und Handlungslogiken und
nicht zuletzt auch eine engagementpolitische Erweiterung des arbeitsmarktpolitischen Blickwinkels hin
zu einer umfassenderen beschäftigungspoltischen
Perspektive.
Anmerkungen
1 Für diejenigen Engagementbereiche, die Kontinuität und Qualitätssicherung durch Qualifikation
erfordern, wie z. B. die Pflege, sind solche Entwicklungen durchaus problematisch. (Vgl. BMFSFJ 2009a, S. 91)
2 Laut 2. Freiwilligensurvey finden 85 Prozent der
freiwilligen Tätigkeiten unter dem Dach zivilgesellschaftlicher Organisationen statt. (Vgl. Gensicke
et al. 2006)
3 Vgl. Gensicke et al. 2006, S. 151: 7 Prozent erhalten für ihr Engagement eine pauschale Aufwandsentschädigung, 2 Prozent ein Honorar und 6 Prozent eine geringfügige Bezahlung.
4 Vgl. Gensicke et al. 2006, S. 153. Deutlich zugenommen hat der Anteil geringfügiger Bezahlungen
z. B. bei den freiwilligen Tätigkeiten für Arbeitslose
(1999: 2 Prozent, 2004: 6 Prozent).
5 Corsten, Kauppert und Rosa gehen sogar soweit
zu behaupten, dass es sich beim viel beschworenen Gemeinsinn um eine Interpretation der eigenen „Wir-Intention“ handelt und die fokussierten
Motive Ausdruck der subjektiven Reflektion biografischer Entwicklung sind (Corsten/Kauppert/
Rosa 2008). Dies stellt allgemein kein Hindernis
für bürgerschaftliches Engagement dar, sollte jedoch hinsichtlich weiterer Aktivierungsdiskurse
berücksichtigt werden.
6 Kocka (2008, S. 221) stellt fest, dass die Erwerbstätigkeit von Menschen über 65 Jahren enorm gesunken ist, unabhägig vom gesetzlich festgelegten,
oftmals späteren „offiziellen“ Ruhestandsalter.
7 Dieser Rückgang fällt für die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche und Regionen unterschiedlich aus:
Bis zum Jahr 2050 nimmt die Anzahl jedoch in allen Tätigkeitsbereichen ab, da die geburtenstarken
Jahrgänge jenes Alter erreicht haben, in dem das
Engagement potenziell nachlässt und die nachfolgenden Altersgruppen kontinuierlich kleiner werden. Einen Rückgang gibt es im Bereich Schule und
Kindergarten. Gravierender sind die Entwicklungen
im Bereich Unfall- und Rettungswesen sowie bei
der Feuerwehr – die Anzahl der ehrenamtlichen
Tätigkeiten geht um knapp ein Viertel zurück. Auch
in den Bereichen Sport und Bewegung sowie in der
Jugendarbeit und Erwachsenenbildung liegt der
Rückgang aufgrund der hohen Beteiligung junger
Teilnehmer mit 20 Prozent eher hoch. Verluste mit
ca. 10 Prozent sind in den Bereichen Umwelt-, Natur- und Tierschutz zu erwarten.
8 Eine Einbeziehung veränderter Zeitstrukturen in
der Moderne würde hier zu weit führen. Dennoch
sei auf die Erfahrung verdichteter Zeitabläufe hingewiesen, wie sie Hartmut Rosa (2005) unter dem
Titel „Beschleunigung“ beschreibt: Technische
Beschleunigung in Transport, Kommunikation und
Produktion haben vordergründig zu individueller
Mobilität und Flexibilität beigetragen, verkehren
sich in ihrer Wirkung indes ins Gegenteil, d. h. zur
Wahrnehmung einer in sich erstarrten und bewegungslosen Beschleunigungsspirale anstelle
einer gerichteten Vorwärtsbewegung. Ein aus
engagementpolitischer Perspektive relevantes
Beispiel sind etwa die Berufspendler/innen, die
täglich Stunden in Hochgeschwindigkeits-ICEs
verbringen, während derer sie zahlreichen Tätigkeitsbereichen entzogen sind. Und mit Blick auf
„verdichtete Produktionsprozesse“ sei auf Gymnasial-Schüler/innen hingewiesen, die sich unter „G8“ einem solchen Druck ausgesetzt sehen,
dass sie ihre Stundepläne um Freizeit- und Vereinstätigkeiten kürzen.
9 Bemerkenswert ist indes, dass Eltern mit Kindern
ab 4 Jahren häufiger freiwillig engagiert sind als
Frauen und Männer der entsprechenden Altersgruppe insgesamt. Dies erklärt sich allerdings dadurch, dass die Kinder selbst häufig Anlass zum
Engagement sind, etwa in Schule, Kindergarten,
Vereinen (ebd., S. 251).
10 Vgl. die Präambel des Manifests „Zeit ist Leben“
der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik.
11 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (2009): Memorandum Familie
leben.; Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (2006): Familie zwischen
Flexibilität und Verlässlichkeit; Deutscher Verein,
Observatorium für die Entwicklung der sozialen
Dienste in Europa (2009): Zeitpolitik als Instrument
der Familienpolitik. Erinnert sei auch an die DGBKampagne „Samstags gehört Vati mir“ anlässlich
der Mai-Demonstration 1956.
107
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
12 Obschon die o. g. Entgrenzungsprozesse zwischen
Erwerbsarbeit und den anderen Lebensbereichen
mit Flexibilisierungsprozessen einhergehen (Enquete-Kommission 2002, Bd. 4 S. 420f.), wirkt sich
die Flexibilisierung der Erwerbsarbeit nicht einseitig negativ auf bürgerschaftliches Engagement
aus. Die Auswirkungen hängen vielmehr von den
unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen ab und fallen zudem für weibliche und männliche Beschäftigte unterschiedlich aus. Traditionelle Flexibilisierungsformen wie Schicht- und Wochenendarbeit
zeitigen bspw. nach wie vor negative Effekte auf
bürgerschaftliches Engagement.
13 Ausgehend von der Definition der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft
des Bürgerschaftlichen Engagements“ (Bericht
Enquete-Kommission 2002, Band 4, S. 73-90),
welche bürgerschaftliches Engagement als freiwillig, nicht auf materiellen Gewinn hin ausgerichtet, als gemeinwohlorientiert und als in der Regel
gemeinschaftlich/ kooperativ ausgeübte Tätigkeit
charakterisiert, ist von einem Grundunterschied
der Systeme „Erwerbsarbeit“ und „Engagement“
auszugehen. Dieser liegt vor allem in der Eigenlogik und dem Eigensinn des bürgerschaftlichen Engagements begründet: Produktivität bezieht sich
in seinem Zusammenhang vor allem auf die Bildung von sozialem Kapital. Ganz bewusst wird der
Begriff „Tätigkeiten“ verwendet, als Abgrenzung
zur ökonomisierten Form von Arbeit.
14 Mit einem Anteil von 40 % stellen die Erwerbstätigen die größte Gruppe unter den rund 23 Mio.
Engagierten in Deutschland.
15 Vgl. Gensicke et al. 2006: 27 Prozent der Befragten
sind freiwillig engagiert, weitere 48 Prozent sind zu
einem Engagement bereit. Besonders auffällig ist
der Anstieg des freiwlligen Engagements von Erwerbslosen in den ostdeutschen Bundesländern
von 22 Prozent (1999) auf 26 Prozent (2004).
16 Dauerarbeitslosigkeit und daraus resultierende soziale Exklusion gefährden über eine mangelnde Identifikation mit dem Gemeinwesen die elementare Basis
einer funktionierenden Bürgergesellschaft.
17 Ein wichtiges Instrument, das nationale Qualifikationen europaweit vergleichbar und transparent
machen soll, ist der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR), dessen Kernstück aus acht Referenzniveaus besteht; diese sollen Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen beschreiben, und zwar
unabhängig davon, wo und in welchem Zeitraum
diese erworben wurden. In Deutschland wird der
EQR mit dem Deutschen Qualifikationsrahmen
(DQR) umgesetzt, der sich gegenwärtig noch in
Arbeit befindet und deshalb noch keine praktische
Relevanz besitzt, diese aber nach seiner Fertig108
stellung auch in Bezug auf das bürgerschaftliche
Engagement entwickeln kann.
18 Zu dieser Einschätzung kam das Dialogforum 7
Qualifizierung und Organisationsentwicklung für
Engagierte und Hauptamtliche des Nationalen
Forums für Engagement und Partizipation des
BBE (vgl. BBE 2009, Erster Zwischenbericht).
19 Beispiele dafür sind die Kompetenzbilanzen des Projekts ‚Freiwilligendienste machen kompetent‘ und die
des DJI, der ‚ProfilPASS‘, der ‚Qualipass‘, der ‚Kompetenznachweis Kultur‘ und der ‚Youthpass‘ (Hoorn/
Stampfl 2009); außerdem der ‚TalentKompass NRW‘,
der ‚Kompetenzreflektor‘ und die ‚Kompetenzwerkstatt für Schüler und Jugendliche‘ (Erpenbeck/von
Rosenstiel 2007). Die Webseite www.competences.
info des in Münster ansässigen Vereins zur Förderung Lernender Regionen e. V. (HeurekaNet) zählt
insgesamt 60 ‚Verfahren und Instrumente zur Identifikation, Bewertung und Anerkennung von Kompetenzen‘ auf (Stand: 25.01.2010).
Literatur
• Backhaus-Maul, Holger/Biedermann, Christiane/
Polterauer, Judith/Nährlich, Stefan (Hg.) (2008):
Corporate Citizenship in Deutschland: Bilanz und
Perspektiven. Wiesbaden.
• Backhaus-Maul, Holger/Braun, Sebastian (2010):
Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen
in Deutschland. In: Olk, Thomas /Klein, Ansgar/Hartnuß, Birger (Hg.): Engagementpolitik. Wiesbaden
• Beck, Ulrich (Hg.) (2000): Die Zukunft von Arbeit
und Demographie. Frankfurt a. M.
• Biesecker, Adelheid (2000): Kooperative Vielfalt
und das „Ganze der Arbeit“. WZB Discussion Paper P 00-504. Berlin.
• Blaschke, Ronald (2006): Das Ende der notwendenden Arbeit und bürgerschaftliches Engagement. Plädoyer für eine moderne Sozialpolitik. In:
Mühlpfordt, Susann/Richter, Peter: Ehrenamt und
Erwerbsarbeit. München und Mering, S. 82-92.
• Blaschke, Ronald (2003): Arm, arbeitslos und aktiv.
Bürgerschaftliches Engagement und politisches
Engagement armer und arbeitsloser Bürger in eigener Sache, in: Munsch, Chantal (Hg.) Sozial
Benachteiligte engagieren sich doch, Über lokales Engagement und soziale Ausgrenzung und die
Schwierigkeiten der Gemeinwesenarbeit, Juventa
Verlag, Weinheim und München, S.43-45.
• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (2006): Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik. Siebter Familienbericht. Berlin,
Kap. IV: Zeit in der Familie – Zeit für die Familie.
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (2009): Memorandum Familie leben.
Impulse für eine familienbewusste Zeitpolitik. Mai
2009, 1. Auflage. Berlin.
• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (2009a): Bericht zur Lage und zu
den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. Wissenschaftszentrum
Berlin für Sozialforschung (WZB), Projektgruppe
Zivilengagement, Berlin.
• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (2009b): Einstellungen und Lebensbedingungen von Familien. Monitor Familienforschung. Beiträge aus Statistik, Forschung und Familienpolitik. Berlin.
• Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
(BBE) (Hg.) (2007): Engagement und Erwerbsarbeit. Dokumentation der Fachtagung am 8./9. 11.
2007 in Berlin. Berlin.
• Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
(BBE) (Hg.) (2009): Nationales Forum für Engagement
und Partizipation. Erster Zwischenbericht. Berlin.
• Corsten, Michael/Kauppert, Michael/Rosa, Hartmut
(2008): Quellen Bürgerschaftlichen Engagements.
Die biographische Entwicklung von Wir-Sinn und
fokussierten Motiven. Wiesbaden.
• Dathe, Dietmar /Priller, Eckhard (2010): Der Dritte
Sektor in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. In: Olk, Thomas /Klein, Ansgar/Hartnuß, Birger (Hg.): Engagementpolitik. Wiesbaden.
• Dathe, Dietmar/Hohendanner, Christian/ Priller,
Eckhard (2009): Wenig Licht, viel Schatten – der
Dritte Sektor als arbeitsmarktpolitisches Experimentierfeld. WZBrief Arbeit 03/09. Berlin.
• Deutscher Verein: Observatorium für die Entwicklung der sozialen Dienste in Europa (2009):
Zeitpolitik als Instrument der Familienpolitik –
Zeitpolitische Maßnahmen in ausgewählten EUMitgliedsstaaten. Stand: 01.10.2009 / DV: Berlin.
• DGB Index Gute Arbeit. http://www.dgb-index-gute-arbeit.de/ (Zugriff am 27.01.2010).
• Dombois, Rainer (1999): „Der schwierige Abschied
vom Normalarbeitsverhältnis“. In: Aus Politik und
Zeitgeschichte 37/1999, S. 13-20.
• Eichhorst, Werner/ Kuhn, Andrea/Thode, Eric/ Zenker, Rosemarie (2009): Traditionelle Beschäftigungsverhältnisse im Wandel. Benchmarking Deutschland:
Normalarbeitsverhältnis auf dem Rückzug. Gütersloh
• Embacher, Serge/Lang, Susanne (2008): Lern- und
Arbeitsbuch Bürgergesellschaft. Bonn
• Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages
(2002): Schriftenreihe Band 4: Bürgerschaftliches
Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige
Bürgergesellschaft. Opladen.
• Erpenbeck, John/von Rosenstiel, Lutz (Hg.) (2007):
Handbuch Kompetenzmessung. Erkennen, verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, pädagogischen und psychologischen
Praxis. 2., aktualisierte Auflage. Stuttgart.
• Evers, Adalbert (2007): Wenn Welten durcheinander geraten. In: Hessisches Sozialministerium/
Landesehrenamtsagentur Hessen: „Ohne Moss
nix los?!“ Wie viel Bezahlung verträgt das Ehrenamt?, S.125-136.
• Geiss, Sabine/Picot, Sybille (2007): Familien und
Zeit für freiwilliges Engagement. In: Heitkötter, Martina/Jurczyk, Karin/Lange, Andreas/Meier-Gräwe,
Uta (Hg.): Zeit für Beziehungen? Zeit und Zeitpolitik
für Familien. Opladen & Farmington Hills.
• Gensicke, Thomas (2006): Bürgerschaftliches
Engagement in Deutschland. In: Aus Politik und
Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das
Parlament B 12/2006: Bürgerschaftliches Engagement, S.9-16 (http://www.bpb.de/files/UDNNW5.
pdf) (Zugriff am 27.01.2010).
• Gensicke, Thomas/Picot, Sibylle/Geiss, Sabine
(2006): Freiwilliges Engagement in Deutschland.
Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung
zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. In Auftrag gegeben und herausgeben vom Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend. Wiesbaden.
• Gorz, André (1983): Wege ins Paradies, Berlin:
Rotbuch.
• Göttling, Sascha (2006): Die Bedeutung von Arbeit
und bürgerschaftlichem Engagement für die Identität Erwerbsloser. In: Mühlpfordt, Susann/Richter,
Peter: Ehrenamt und Erwerbsarbeit. München und
Mering. S. 61-69.
• Gottschall, Karin/Voß, G. Günter (Hg.) (2003): Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der
Beziehung von Erwerbsarbeit und Privatsphäre im
Alltag. München und Mering.
• Heitkötter, Martina (2009): Der „temporal turn“ in
der Familienpolitik – zeitpolitische Gestaltungsansätze vor Ort für mehr Zeitwohlstand in Familien. In: Heitkötter, Martina/Jurczyk, Karin/Lange,
Andreas/Meier-Gräwe, Uta (Hg.): Zeit für Beziehungen? Zeit und Zeitpolitik für Familien. Opladen
& Farmington Hills.
• Heuberger, Frank W./Hartnuß, Birger: Krise des
Vertrauens - Zur gesellschaftlichen Verantwortung
von Topmanagern in Deutschland. Forschungsjournal NSB 3/2009, S.7-20.
• Hildebrandt, Eckart (2007): Erweiterter Arbeitsbegriff und Entgrenzung. In: Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) (Hg.) (2007): Engagement und Erwerbsarbeit. Dokumentation der
Fachtagung am 8./9. 11. 2007 in Berlin, S. 77-92.
109
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
• Hoorn, Alexandra/Stampfl, Tina: Die Kompetenzbilanz im Programm “Freiwilligendienste machen
kompetent“. In: BBE-Newsletter 20/2009.
• Huber, Joseph (Hrsg.) (1979): Anders arbeiten- anders wirtschaften. Dualwirtschaft: Nicht jede Arbeit
muß ein Job sein. Frankfurt.
• Kettner, Anja/Rebien, Martina (2007): Soziale Arbeitsgelegenheiten. Einsatz und Wirkungsweise
aus betrieblicher und arbeitsmarktpolitischer Sicht.
IAB Forschungsbericht Nr. 2/2007. Nürnberg.
• Kochanek, Johannes: Ehrenamtsarbeit im Reginenhaus Rhynern. In: Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) (Hg.) (2008): Engagement
und Erwerbsarbeit. Dokumentation der Fachtagung
am 8. und 9. November 2007 in Berlin. S. 50-54.
• Kocka, Jürgen (2008): Chancen und Herausforderungen einer alternden Gesellschaft. In: Staudinger, Ursula/Häfner, Heinz (Hg.): Was ist Alter(n)?
Heidelberg. S. 217-235.
• Kocka, Jürgen/Offe, Claus (Hg.) (2000): Geschichte und Zukunft der Arbeit. Frankfurt a. M.
• Konsortium Bildungsberichterstattung (Hg.) (2006):
Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration. Im
Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister
der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
• Koordinierungsausschuss des Bundesnetzwerks
Bürgerschaftliches Engagement (BBE) (2006):
Impulspapier »Bürgerschaftliches Engagement
in der Pflege«. http://www.b-b-e.de/fileadmin/inhalte/themen_materialien/pg7_material/pflegepapier_13_03_06_form.pdf (Zugriff am 27.01.2010).
• Kotlenga, Sandra (2007): Freiwilligensektor und
aktive Arbeitsmarktpolitik. In: Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) (Hg.) (2007):
Engagement und Erwerbsarbeit. Dokumentation der
Fachtagung am 8./9. 11. 2007 in Berlin, S.. 133-138.
• Kratzer, Nick (2003): Arbeitskraft in Entgrenzung.
Grenzenlose Anforderungen, erweiterte Spielräume, begrenzte Ressourcen. Berlin.
• Kühnlein, Irene/Böhle, Fritz (2002): Das Verhältnis
von Erwerbsarbeit und bürgerschaftlichem Engagement: Ersatz-Ergänzung-Konkurrenz? In: Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen
Engagements“ des Deutschen Bundestags (Hg.):
Schriftenreihe Band 9: Bürgerschaftliches Engagement und Erwerbsarbeit. Opladen. S. 87-109.
• Kühnlein, Irene/Böhle, Fritz (2002): Motive und
Motivationswandel des bürgerschaftlichen Engagements. In: Enquete-Kommission „Zukunft des
Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen
Bundestags (Hg.).: Schriftenreihe Band 9: Bürgerschaftliches Engagement und Erwerbsarbeit.
Opladen. S. 267-293.
110
• Learning to be: The world of Education Today and
Tomorrow. Report by the International Commission
on the Development of Education, presided over by
Edgar Faure. UNESCO, Paris 1972.
• Liebig, Reinhard/Rauschenbach, Thomas (2010):
Die engagementpolitische Rolle von Akteuren
des Dritten Sektors. In: Olk, Thomas /Klein, Ansgar/Hartnuß, Birger (Hg.): Engagementpolitik.
Wiesbaden.
• Mai, Ralf/Swiaczny, Frank (2008): Demographische
Entwicklung: Potenziale für Bürgerschaftliches
Engagement. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Wiesbaden.
• Mayer-Ahuja, Nicole (2003): Wieder dienen lernen?
Vom westdeutschen „Normalarbeitsverhältnis“ zu
prekärer Beschäftigung seit 1973. Berlin.
• Mückenberger, Ulrich (2004): Metronome des Alltags. Betriebliche Zeitpolitiken, lokale Effekte, soziale Regulierung. Berlin: edition sigma; vgl. auch die
Website der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik:
www.zeitpolitik.de/pdfs/WasistZeitpolitik.pdf (Zugriff am 21.01.2010).
• Mutz, Gerd (2001): Von der Arbeitsgesellschaft zur
Tätigkeitsgesellschaft. Das Münchener Modell. In:
Lenz, Claudia/Waidelich, Waltraud/von Dücker,
Elisabeth/Reichmann, Anne (Hg.): Hauptsache Arbeit – was wird … Hamburg. S. 162-177.
• Mutz, Gerd (2002): Pluralisierung und Entgrenzung in der Erwerbsarbeit, im Bürgerengagement
und in der Eigenarbeit. In: Arbeit, Heft 14/2002,
S. 21-32.
• Offe, Claus (1984): Arbeitsgesellschaft. Strukturprobleme und Zukunftsperspektiven. Frankfurt a.
M./New York.
• Präambel des Manifests „Zeit ist Leben“ der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik (DGfZP), zit.
nach Zeitpolitisches Magazin, September 2006,
Jg. 4, Ausgabe 8, S. 1. www.zeitpolitik.de.
• Priller, Eckhard/Zimmer, Annette (2006): Dritter
Sektor: Arbeit als Engagement. In: Aus Politik und
Zeitgeschichte (APuZ 12/2006).
• Projekt „Identifizierung, Bewertung und Anerkennung informell erworbener Kompetenzen“ (IBAK).
Initiiert von HeurekaNet. Verein zur Förderung
von Lernenden Regionen e.V. http://www.competences.info/ibak/cms/website.php?id=/de/index.
htm (Zugriff: 25.01.2010).
• Rifkin, Jeremy (1995): Das Ende der Arbeit und ihre
Zukunft. Frankfurt a. M./New York.
• Rosa, Hartmut (2005): Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne.
Frankfurt a. M.
• Rindt, Susanne: Kompetenznachweise und bürgerschaftliches Engagement. In: BBE-Newsletter
20/2009.
Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches Engagement
• Rothländer, Katrin (2006): Aktive Bewältigung von
Arbeitslosigkeit. In: Mühlpfordt, Susann/ Richter,
Peter: Ehrenamt und Erwerbsarbeit. München und
Mering, S. 123-132.
• Schäfers, Michael (2001): Von der Arbeit zur Tätigkeit. Münster u. a.
• Schenkel, Martin (2008): Bürgerschaftliches Engagement und informelle Bildung. Zum Bildungsmix in
der Zivilgesellschaft. In: Bürsch, Michael (Hg.): Mut
zur Verantwortung, Mut zur Einmischung: Bürgerschaftliches Engagement in Deutschland. Bonn.
• Schöning, Werner (2006): Ehrenamtliches Engagement sozial Benachteiligter – Ein Engagementtyp
eigener Art und Ansätze zu seiner Förderung. In:
Möltgen, Thomas (Hg.): Ehrenamt – Qualität und
Chance für die Soziale Arbeit. Reader zur Sommeruniversität Ehrenamt 2006 Köln. Kevelaer.
• Söker, Roland/Mutz, Gerd: (2003): Lernen in Tätigkeitsfeldern bürgerschaftlichen Engagements –
Transferprozesse in die Erwerbsarbeit. Hrgg. von
der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung e. V. Berlin.
• Trube, Achim (2004): Bürgerschaftliches Engagement gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit:
Chancen und Handlungsmöglichkeiten. FriedrichEbert-Stiftung, Arbeitskreis Bürgergesellschaft
und Aktivierender Staat. Bonn.
• Verbundprojekt Arbeit und Ökologie (2000): Abschlussbericht. Berlin & Wuppertal.
• Warmbrunn, Johannes: Aufwandsentschädigung
für niedrigschwellige Betreuungsangebote. In:
BBE-Newsletter 2/2009.
• Weisbrod-Frey, Herbert: Engagement und Erwerbsarbeit in der Pflege. In: Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) (Hg.) (2008):
Engagement und Erwerbsarbeit. Dokumentation
der Fachtagung am 8. und 9. November 2007 in
Berlin. S. 46-48.
• Welskopp-Deffaa, Eva Maria (2009): Weibliches
Zivilengagement in der BürgerInnengesellschaft.
Vortrag bei der Konrad-Adenauer-Stiftung am
2.11.09 im Auftrag des BMFSFJ.
• Zimmer, Annette/Priller, Eckhard (2007): Gemeinnützige Organisationen im gesellschaftlichen
Wandel. Ergebnisse der Dritte-Sektor-Forschung.
Wiesbaden.
• Zimmer, Annette: Arbeit als Engagement: Forschungsstand und Perspektiven. In: BBE-Newsletter 24/2007
Autorinnen und Autoren:
Yasmin Mesu, Ralph Döring, Dr. Ludger Klein, Stefanie Lausch, Dörte Lüdeking, Susanne Rindt.
111
Dialogforum
„Infrastrukturförderung“
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des
Dialogforums am 27. April 2010 und des
vorbereitenden Workshops am 25. März 2010:
• Uwe Amrhein, Stiftung Bürgermut
• Bernward Baule, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
• Thomas Böhme, Staatskanzlei Niedersachsen
• Prof. Dr. Elisabeth Bubolz-Lutz, Forschungsinstitut
für Geragogik
• Gunnar Czimczik, Deutscher Bundesjugendring
• Almuth Draeger, Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung
• Walter Dreßbach, Ehrenamtsagentur Main-Kinzig-Kreis
• Katja Eichhorn, Deutscher Caritasverband
• Dr. Jörg Ernst, Netzwerk Ruhrgebiet
• Ingo Esser, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
• Matthias Fack, Landesstelle für Katholische Jugendarbeit in Bayern
• Max Fischer, meinverein Service GmbH
• Andrea Frenzel-Heiduk, Bundesland Bremen, Senatorin
für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales
• Peter Friedrich, Martin-Luther-Universität HalleWittenberg
• Thomas Haigis, Stadt Filderstadt
• Ursula Helms, NAKOS
• Dr. Marita Hilgenstock, RWE AG
• Katrin Hirseland, Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge
• Prof. Dr. Gisela Jakob, Hochschule Darmstadt
• Dr. Frank Jost, vhw – Bundesverband für Wohnen
und Stadtentwicklung
• Thomas Kegel, Akademie für Ehrenamtlichkeit
Deutschland
• Tobias Kemnitzer, Bundesarbeitsgemeinschaft der
Freiwilligenagenturen
• PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement
• Ursula Kopp, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Ursula Krickl, Deutscher Städte- und Gemeindebund
• Kathrin Kummerow, Engagiert in Deutschland
• Dr. Reinhard Lang, UPJ
• Jürgen Luig, Hansestadt Lübeck, FB 2 Wirtschaft
und Soziales
• Frank Mayer, Freiwilligenagentur Bremen
• Andreas Pautzke, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
• Mechthild Rawert, MdB
• Hildegard Reppelmund, Deutscher Industrie- und
Handelskammertag
• Christiane Richter, Bundesverband Seniorpartner
in School
• Dr. Thomas Röbke, Landesnetzwerk Bayern
• Heidemarie Rubart, Stiftung Demokratische Jugend
• Carola Schaaf-Derichs, Landesfreiwilligenagentur
Berlin
• Tania-Aletta Schmidt, Landesvereinigung für
Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin
Niedersachsen
• Hanns-Jörg Sippel, Stiftung Mitarbeit
• Loring Sittler, Generali Zukunftsfonds
• Ulrike Sommer, Ministerium für Generationen,
Familie, Frauen und Integration des Landes
Nordrhein-Westfalen
• Ebru Tepecik, Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge
• Prof. Dr. Ralf Vandamme, Städtetag Baden-Württemberg
• Andrea Vasse, Hansestadt Hamburg, Leitstelle für
Integration und Zivilgesellschaft
• Dagmar Vogt-Janssen, Fachbereich Senioren der
Landeshauptstadt Hannover
• Joachim Weiß, Deutsches Rotes Kreuz
• S teffi Wiesner, Freiwilligenagentur PotsdamMittelmark
• Bettina Windau, Bertelsmann Stiftung
• André Christian Wolf, Westfälische WilhelmsUniversität Münster
• Gunnar Wörpel, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband
• Stephan Würz, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Alexander Zachrau, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
Dialogforum Infrastrukturförderung
Vernetzen und Abstimmen – Wer macht was?
Bericht über das Dialogforum „Infrastrukturförderung“ am 27. April 2010 im BMFSFJ, Berlin
Auf allen föderalen Ebenen existieren Vereine, Initiativen, Anlaufstellen, Mittlerorganisationen und
Netzwerke. Sie bilden eine Engagement fördernde
Infrastruktur, die das Engagement des Einzelnen
ermöglicht und absichert. Die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer des Dialogforums – dazu gehörten neben Vertretern der verschiedenen föderalen Ebenen und mehreren Ressorts der Bundesregierung
auch Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichsten zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaftler und Unternehmensvertreter
– waren sich darin einig, dass diese Infrastruktur
unerlässlich ist.
• die Bedeutung der Engagementpolitik für andere
Politikfelder wie z. B. Bildungs-, Gesundheits-, oder
Standortpolitik aufzeigen,
• den Austausch über engagementpolitische Aktivitäten zwischen verschiedenen Fachbereichen in
der Verwaltung unterstützen und Engagementpolitik als strategische Querschnittsaufgabe etablieren,
• Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft
zusammenbringen, um die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zu koordinieren und zu
vernetzen,
• bestehende und neue Initiativen und Akteure der
Bürgergesellschaft unterstützen.
Im Dialogforum standen vor allem zwei Aspekte im
Vordergrund: die verlässliche Förderung einer Engagement fördernden Infrastruktur auf allen föderalen
Ebenen und die Stärkung der Kommunen als engagementpolitische Akteure.
Außerdem hoben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hervor, dass eine bessere Abstimmung sowohl
zwischen den föderalen Ebenen als auch den unterschiedlichen Ressorts der Bundesregierung zu einer effektiveren Engagementförderung führen würde, die
auf bestehenden Strukturen aufbauen und der Entstehung von sogenannten Projektruinen vorbeugen
könnte. Zudem wurden Möglichkeiten aufgezeigt, die
rechtlichen Rahmenbedingungen im Sinne einer verlässlichen Infrastrukturförderung zu verbessern. So
müsse vor allem die Gemeinnützigkeit der Förderung
des bürgerschaftlichen Engagements durch die Finanzämter vor Ort auch in der Praxis anerkannt werden. Ebenso wäre die Anerkennung des bürgerschaftlichen Engagements als Eigenmittel im Rahmen des
Zuwendungsrechts förderlich.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hoben hervor,
dass der öffentlichen Hand insbesondere bei der verlässlichen Förderung eine Verantwortung für die Sicherung dieser Infrastruktur zukommt. Die gegenwärtig verbreitete Projektförderung sei nicht hinreichend
verlässlich. Stattdessen solle durch die öffentliche
Hand eine Sockelfinanzierung bereitgestellt werden,
die es den Einrichtungen ermöglicht, weitere Mittel für
eine Mischfinanzierung einzuwerben.
Außerdem müssten vor allem Kommunen als engagementpolitische Akteure vor Ort gestärkt werden, findet Engagement doch vor allem lokal statt.
Kommunen sollten darin unterstützt werden, eine
strategische Engagementförderung mit den lokalen
Akteuren zu entwickeln – selbstverständlich unter
Wahrung der kommunalen Selbstverwaltung. Dazu
sollten vor Ort insbesondere Anlauf- und Koordinierungsstellen geschaffen werden, die je nach lokalen
Gegebenheiten
113
Dialogforum Infrastrukturförderung
Ergebnisse
Eine aktive Bürgergesellschaft (Institutionen, Initiativen, Netzwerke) bedarf einer verlässlichen und effektiven Infrastruktur (personelle Kapazitäten, Räume und Technik, rechtliche Rahmenbedingungen),
um das vielfältig sich entwickelnde bürgerschaftliche Engagement und die Partizipation von Bürgern zu ermöglichen und abzusichern. Sie ist auf
allen föderalen Ebenen Voraussetzung, um Engagement zu ermöglichen, zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Der öffentlichen Hand kommt bei
der Schaffung, Gestaltung und Verstetigung dieser
Strukturen eine zentrale Rolle zu. Dabei kommt es
zum einen darauf an, dass Bund, Länder und Kommunen auf den jeweiligen Ebenen eine verlässliche
Förderung der bürgerschaftlich getragenen Engagementinfrastruktur gewährleisten. Zum anderen
müssen die Kooperation und Koordinierung zwischen den föderalen Ebenen des Staates und den
drei Sektoren (Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft)
intensiviert werden. Dabei muss eine Antwort auf
die Finanzsituation der Kommunen und deren Auswirkung auf die Engagementinfrastrukturförderung
gefunden werden.
1. Aufgaben der Bundesregierung bei der
verlässlichen Förderung der Infrastruktur
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
1. In den letzten zehn Jahren hat Engagementpolitik
erheblich an Bedeutung gewonnen. Die engagementpolitische Abstimmung der Ressorts der Bundesregierung wird dem bisher nicht gerecht. Die
erforderliche Abstimmung zwischen den Ressorts
sowie den föderalen Ebenen ist daher nicht ausreichend. Insgesamt muss der Stellenwert der Engagementpolitik weiter gestärkt und eine verlässliche
Engagementinfrastruktur geschaffen respektive
ausgebaut werden.
114
2. Die gegenwärtige Engagementförderung basiert
zunehmend auf kurzfristigen Projekten und Modellvorhaben. Erfolgreiche Ansätze zur Infrastrukturbildung bedürfen jedoch der Verstetigung und
damit einer verlässlichen Förderung.
3. Einige rechtliche Rahmenbedingungen stehen der
Etablierung einer engagementfördernden Infrastruktur entgegen.
Lösungsvorschlag
1. Die engagementpolitische Abstimmung zwischen
den Ressorts der Bundesregierung sollte ausgebaut und intensiviert werden. Dies gilt auch für die
Abstimmung zwischen den föderalen Ebenen.
2. Eine nationale Engagementstrategie sollte bei der
Förderung der Infrastruktur auf bestehende Strukturen in Bund, Ländern und Kommunen aufbauen,
zur Weiterentwicklung beitragen und eine verlässliche Förderung sicherstellen. Dabei sollen verbindliche Abstimmungsformate zwischen Bund,
Ländern und Kommunen geschaffen werden.
Ziel sollte es sein, die kontinuierliche Arbeit von Organisationen, Netzwerken und Initiativen zu unterstützen. Engagementfördernde Infrastruktureinrichtungen auf allen föderalen Ebenen sollen in die Lage
versetzt und motiviert werden, durch Ko-Finanzierung (z. B. mit Unternehmen und Stiftungen) ihre Arbeit zu verstetigen. Dazu ist eine nachhaltige Sockelfinanzierung durch die öffentliche Hand unerlässlich.
3. Zudem sollten rechtliche Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie die Etablierung einer verlässlichen engagementfördenden Infrastruktur fördern.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
1. Programme des Bundes sollten darauf ausgelegt
werden, dass sie Engagement und Partizipation
Dialogforum Infrastrukturförderung
fördern. Leistungen der Zivilgesellschaft und Unternehmen in bestehenden Programmen sollten
sichtbar gemacht und unterstützt werden.
Die Bundesregierung wird gebeten, die Maßnahmen der einzelnen Ressorts zur Förderung der
Engagementinfrastruktur sichtbar zu machen und
zu koordinieren. Der Staatssekretär des für Engagementpolitik federführenden Ressorts sollte die
Funktion des Beauftragten der Bundesregierung
für Engagementpolitik übernehmen.
Zur öffentlichen Darstellung von Erfolgen wie Problemen der Engagementpolitik, als Bezugspunkt
für öffentliche Reflexion und Standortbestimmung, als Antriebsmodus für die weitere Ausformung einer effizienten Engagementinfrastruktur
und zur Verstetigung der politischen Arbeit auf
allen föderalen Ebenen wird die Etablierung eines
Berichtswesens im zweijährigen Rhythmus vorgeschlagen. Ein solcher Engagementbericht der
Bundesregierung bezieht die föderalen Ebenen
und die Stakeholder (Unternehmen, Zivilgesellschaft) mit ein.
2. Die Bundesregierung sollte prüfen, wie eine Sockelfinanzierung für engagementfördende Infrastruktureinrichtungen gestaltet werden kann. Diese
Sockelfinanzierung sollte Teil eines Instruments zur
Förderung des bürgerschaftlichen Engagements
sein. Dieses Instrument sollte folgende Komponenten umfassen:
• Infrastrukturförderung (durch eine Sockelfinanzierung),
• Programme (themen- und zielgruppenspezifische Angebote),
• Innovation/Experimente.
Bis zur Umsetzung einer Sockelfinanzierung sollte
der Projektförderzeitraum auf deutlich mehr als 3
Jahre erweitert werden. Dabei sollte eine Festbetragsfinanzierung Grundlage sein (vgl. Dialogforum
„Reform des Zuwendungsrechts“).
Für die Förderung sollte gemeinsam mit den Beteiligten auf die Entwicklung bestimmter Kriterien und
Qualitätsziele von engagementfördernder Infrastruktur hingewirkt werden. Sie sollten transparent
und einfach sein, damit auch kleinere Initiativen die
Möglichkeit haben, Förderungen zu beantragen.
3. Folgende rechtliche Regelungen sollten im Rahmen einer nationalen Engagementstrategie besonders berücksichtigt werden:
a. Bei der Förderung kommunaler Infrastruktur
durch den Bund ist die Regelung zur Förderung ehrenamtlicher Strukturen in der Selbsthilfe (SGB XI, §45d; SGB V, §20c) beispielgebend.
b. Die Bundesregierung wird gebeten, die Umsetzung des § 52 Abs. 2 Nr. 25 AO in die Praxis umzusetzen und dafür Sorge zu tragen, dass die
Förderung bürgerschaftlichen Engagements als
gemeinnütziger Zweck von den Finanzämtern
vor Ort anerkannt wird.
c. Bei der Förderung der Partizipation ist die Regelung zur Jugendhilfe des § 71 SGB VIII beispielgebend und sollte zur Übernahme in andere politische Handlungsfelder übernommen werden
[Dissens unter den Kommunen].
d . Bürgerschaftliches Engagement sollte im Rahmen des Zuwendungsrechts als Eigenmittel anerkannt werden.
2. Engagementförderung in Kommunen und
Regionen
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Bürgerschaftliches Engagement findet vor allem
auf lokaler Ebene statt. In den Kommunen wird unmittelbar deutlich, dass der Einzelne durch sein gesellschaftliches Engagement den Zustand des Gemeinwesens beeinflussen und mitgestalten kann.
Engagement leistet einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität, zum gesellschaftlichen Zusammenhalt
und zur Zukunftsfähigkeit. Der Staat ist mehr denn je
auf eine vitale Bürgergesellschaft, ihre Kraft und ihre
kreativen Potentiale angewiesen.
Städtische und ländliche Räume sind durch eine
große Vielfalt der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen wie Problemlagen gekennzeichnet. Förderansätze des bürgerschaftlichen Engagements müssen diese Unterschiedlichkeit berücksichtigen. Mehr
als bisher gilt es, die Ressourcen und Kompetenzen
vor Ort dauerhaft zu entwickeln. Dies bedeutet, die
Autonomie der lokalen Bürgergesellschaft zu stärken
und die kommunalen Verantwortungsträger zu ermutigen, mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung in der
Kommune zu verwirklichen.
Eine engagementfördernde Infrastruktur trägt zur
Innovation, Qualität und Attraktivität des jeweiligen
Standortes bei. Die Entwicklung der Engagementinfrastruktur in städtischen und ländlichen Räumen
sollte daher Teil einer strategischen und systematischen Entwicklung der Engagementförderung sein
115
Dialogforum Infrastrukturförderung
und zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie
den drei Sektoren (Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft) abgestimmt werden.
In vielen Kommunen ist eine strategische Entwicklung der Engagementförderung jedoch noch nicht
ausreichend etabliert. Zudem steht Engagementförderung als freiwillige Leistung häufig unter Finanzierungsvorbehalt.
Der Bund fördert bislang Modellprojekte, die oft mit
kommunalen Konzepten nicht ausreichend abgestimmt sind. Dadurch ist keine kontinuierliche Infrastrukturentwicklung möglich.
Der Bund kann derzeit keine Infrastruktur in den Kommunen jenseits von Modellprojekten und -programmen fördern, obwohl der Bedarf besteht.
Lösungsvorschlag
Durch unterstützende Rahmensetzungen des
Bundes, in Abstimmung mit Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden sowie unter Wahrung
der kommunalen Selbstverwaltung sollten Kommunen darin unterstützt werden, eine strategische Engagementförderung mit den lokalen Akteuren zu
entwickeln. Dazu sollten vor Ort Anlauf- und Koordinierungsstellen (abgestimmt auf die konkreten Bedarfs- und Ausgangslagen) vorhanden sein, die u. a.
• die Bedeutung der Engagementpolitik für andere Politikfelder wie z. B. Bildungs-, Gesundheits-,
oder Standortpolitik aufzeigen,
• den Austausch über engagementpolitische Aktivitäten zwischen verschiedenen Fachbereichen in
der Verwaltung unterstützen und Engagementpolitik
als strategische Querschnittsaufgabe etablieren,
• Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft
zusammenbringen, um die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zu koordinieren und zu
vernetzen,
• bestehende und neue Initiativen und Akteure der
Bürgergesellschaft unterstützen.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
Um die Förderung der Infrastruktur besser zu koordinieren, sollte der Bund mit den betreffenden Ressorts
ein regelmäßiges Treffen mit den Engagementministern der Länder sowie den kommunalen Spitzenverbänden institutionell verankern.
Kommunen sollten zusammen mit den kommunalen
Akteuren darin unterstützt werden, ihre Erfahrungen
116
im Bereich der Engagementförderung auszutauschen
und sich kollegial zu beraten. Dazu sollten neben der
Einrichtung von Landesnetzwerken auch bundesweite Netzwerke gefördert und deren Arbeit eng abgestimmt werden.
Die Engagementförderung der Kommunen sollte
auf Landesebene vernetzt und koordiniert werden.
Bund und Ländern kommt die Aufgabe zu, Plattformen für den Austausch, für die Qualifizierung
und Beratung bereit zu stellen und Abstimmung zu
ermöglichen.
Es sollte geprüft werden, wie der Bund eine allgemeine Förderung der Engagementpolitik übernehmen kann. Zudem sollte der Bund die aufgrund einer
fachlichen Zuständigkeit vorhandenen Möglichkeiten
(z. B. Gesundheitspolitik, ländliche Räume) nutzen,
um Engagementinfrastruktur auf kommunaler Ebene
direkt zu fördern. Dazu gehört auch eine Verlängerung von Laufzeiten bei Modellprojekten.
Es sollte ein Modellprogramm der Bundesregierung
zur engagementfördernden Infrastrukturentwicklung
insbesondere in strukturschwachen ländlichen Räumen initiiert werden. Dabei sollten die beteiligten Ressorts ihre Aktivitäten aufeinander abstimmen.
Bei Modellprojekten des Bundes sollte mit dem Ziel
einer nachhaltigen Implementierung und Vernetzung
eine zeitliche Verlängerung in Angriff genommen
werden (Projekttransfer, Skalierung).
Die Bundesregierung sollte ein Modellprojekt initiieren, das die Kommunen beim Aufbau einer internetbasierten Infrastruktur unterstützt [Dissens].
Langfristig sollte geprüft werden, inwieweit eine Lockerung des Kooperationsverbotes zwischen Bund
und Kommunen notwendig und umsetzbar ist. Dabei
soll eine verbindliche Abstimmung des Bundes mit
Ländern und Kommunen Voraussetzung der föderalen Kooperation sein.
Forschung und Evaluation
Zur Etablierung einer strategischen Engagementförderung vor Ort ist eine Bestandsaufnahme notwendig. Dazu bedarf es der Evaluation der Instrumente
und Qualitätsziele und -kriterien.
Der Bund sollte in Abstimmung mit Ländern, den
kommunalen Spitzenverbänden und der Zivilgesellschaft Instrumente und Standards der Evaluation von
Infrastruktur entwickeln.
Dialogforum Infrastrukturförderung
Prof. Dr. Gisela Jakob/Dr. Thomas Röbke
Gutachten: Engagementförderung als Infrastrukturförderung
1. Stand lokaler Engagementförderung und
Auftrag des vorliegenden Gutachtens
1.1 Anlaufstellen und Netzwerke in den
Kommunen – ein neuer Typus Engagement
fördernder Infrastrukturen
Im Kontext der Weiterentwicklung einer nationalen
Engagementstrategie kommt dem Aufbau und der
nachhaltigen Förderung von Infrastrukturen für das
bürgerschaftliche Engagement eine Schlüsselstellung zu. Neben dem reichhaltigen Vereins- und
Verbandsleben, welches das bürgerschaftliche Engagement gemeinsam mit politischen Parteien und
Kirchen in Deutschland traditionell prägt, lässt sich
seit etwa 30 Jahren der Aufstieg eines neuen Typs
von Infrastruktur beobachten. Es handelt sich dabei
vor allem um Anlaufstellen zur Engagementförderung
im lokalen Raum, die neben der Vermittlung von freiwilligen Tätigkeiten und der Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung zivilgesellschaftlicher Anliegen
vor allem eine große Kreativität in der Entwicklung
neuer Engagementmöglichkeiten an den Tag gelegt
haben. Diese Initiativen sind parteilich und konfessionell meist ungebunden und verstehen sich als
Plattform und soziale Orte für engagierte und engagementinteressierte Bürgerinnen und Bürger sowie
für Organisationen, die mit Engagement befasst sind.
Bürgerstiftungen, Mehrgenerationenhäusern, Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros, Selbsthilfekontaktstellen, Bürgerstiftungen, Lokalen Agenda 21-Initiativen, Stadtteilbüros und ähnlichen Einrichtungen zur
lokalen Engagementförderung ist gemeinsam, dass
sie Aktivitäten bürgerschaftlichen Engagements bündeln, befördern und die Zugangswege dahin ebnen.
Dieser neue Typus von Einrichtungen steht für die
Bestrebung, das bürgerschaftliche Engagement in
seiner Breite und Vielfalt im Gemeinwesen sichtbar
und fruchtbar zu machen. Zudem entstanden und
entstehen diese Einrichtungen nicht zufällig in einer
Phase wachsender gesellschaftlicher Individualisierung, in der immer mehr Menschen eine Vielzahl von
Handlungsoptionen (auch für ihr freiwilliges Engagement) erwarten und sich zugleich weltanschauliche
Bindungen zunehmend lockern.
In der Fachdebatte besteht Einigkeit, dass dieser
Typus von Einrichtungen für die Gestaltung einer
kommunalen Engagementlandschaft unverzichtbar
ist (vgl. Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestags 2002, S. 298ff., Jakob 2010, Olk/Klein/Hartnuß
2010).1 Freilich haben viele dieser Anlaufstellen bis
heute keine ausreichende und nachhaltige Finanzierungsgrundlage sicherstellen können. Daneben
scheint der Bezug zu den vielfältigen, oft traditionell
verwurzelten Engagementmöglichkeiten vor Ort nicht
immer zum gegenseitigen Vorteil ausgestaltet zu
sein. Vielerorts besteht noch Misstrauen gegenüber
diesen neuen Infrastrukturformen, das sich etwa in
der Vermutung äußert, die Infrastruktureinrichtungen
könnten Ehrenamtliche aus traditionellen Engagementfeldern „abziehen“.
Umso wichtiger wurde daher in den letzten Jahren
der Aufbau von Netzwerken auf lokaler und überregionaler Ebene. Hiermit konnten bestehende Vorurteile
abgebaut und auf einer pragmatischen Arbeitsebene
die Kooperationschancen der wachsenden Schar
von Akteuren im Feld des bürgerschaftlichen Engagements ausgelotet werden. Gemeinsame Projekte
(beispielsweise Patenschaftsmodelle oder Nachbarschaftshilfen) konnten mithilfe dieser entstehenden
Netzwerke ermöglicht werden, um damit eine gemeinsame Weiterentwicklung der Engagementlandschaft zu erzielen.
Netzwerke des bürgerschaftlichen Engagements wachsen mit dem Wunsch, der bunten und an manchen
117
Dialogforum Infrastrukturförderung
Stellen auch wuchernden Engagementlandschaft
eine diskursive Plattform zu geben, um gemeinsame
Projekte voranzubringen, Doppelarbeit zu vermeiden
und die Schnittstellen zu Partnern außerhalb des
Dritten Sektors (Wirtschaft, Politik, Verwaltung) zu
gestalten, denn diese verlangen in der Regel nach
strategisch handlungsfähigen Partnern, die „mit einer Stimme“ sprechen können. Netzwerke scheinen
für diese Aufgabe besonders geeignet, weil sie die
Selbstständigkeit ihrer Mitglieder auf Augenhöhe
wahren und dennoch wichtige Koordinierungsarbeit
leisten können (vgl. Röbke 2009).
1.2 Kommunen als Engagementförderer
Die entstandenen neuen Infrastrukturen zur Engagementförderung sind Ausdruck dafür, dass sich in
vielen Kommunen Ansätze für eine politikfeldübergreifende Engagementpolitik herausgebildet haben
(vgl. Bogumil/Holtkamp 2010). Unter Begriffen wie
„Bürgerkommune“ und bürgerorientierte Kommune
haben seit den 1990er Jahren zahlreiche Gemeinden
neue Initiativen zum Ausbau von Bürgerbeteiligung
und zur Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements auf den Weg gebracht. „Politikverdrossenheit“
und Veränderungen in den Engagementstrukturen
haben dazu beigetragen, dass in vielen Kommunen
neue Aktivitäten zur Engagementförderung in Gang
gesetzt worden sind. Angesichts von Finanzknappheiten und Haushaltssicherungsprogrammen, aber
auch aufgrund von Vorbehalten lokaler Akteure gegenüber neuen Konzepten einer professionellen
Engagementförderung hält sich der Ausbau einer
flächendeckenden modernen Infrastruktur zur Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements bislang
allerdings in Grenzen. Damit die Kommunen ihre Aufgabe zur Engagementförderung wahrnehmen können, müssen sie von der Landes- und der Bundespolitik unterstützt werden.
1.3 Zur Förderung von Infrastrukturen auf
Bundes- und Landesebene
Allerdings haben Förderprogramme wie das Modell
Mehrgenerationenhäuser oder Bündnisse für Familien in den letzten Jahren eine durchaus ambivalente
Wirkung entfaltet. Einerseits wurden damit in den
Landkreisen und Kommunen durch Kofinanzierung
und begleitende Unterstützung Anreize und neue Infrastrukturen geschaffen. Andererseits hinterlassen
sie manche Projektruine nach Ablauf der Förderperiode, bis ein neues, ähnliches Förderprogramm aufgelegt wird und damit der Flickenteppich der sich mühsam über Wasser haltenden Anlaufstrukturen und
Netzwerke erweitert wird.
118
Vor diesem Hintergrund ist die von der letzten Bundesregierung (Kabinettsbeschluss vom 7. Juli 2009)
und nun durch den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung bekräftigte Absicht zu begrüßen, eine
„Nationale Engagementstrategie“ im Dialog mit den
Partnern der Zivilgesellschaft zu formulieren. So will
die Bundesregierung ihre engagementpolitischen
Aktivitäten im Dialog mit den zivilgesellschaftlichen
Akteuren besser koordinieren. Nur durch den umfassenden Einbezug der Experten der Zivilgesellschaft
kann das Ziel einer nachhaltig wirksamen Infrastruktur des bürgerschaftlichen Engagements erreicht
werden. Die Koalitionsvereinbarung bekräftigt ausdrücklich: „Die vielfältigen Investitionen im Engagement sind besser zu fördern, stärker zu vernetzen
und vor allem denen zugänglich zu machen, die wir
für bürgerschaftliches Engagement begeistern wollen. Wir wollen eine Nationale Engagementstrategie
u. a. zusammen mit dem Nationalen Forum für Engagement und Partizipation umsetzen, ein Gesetz
zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements
verfolgen, das alle geeigneten Rahmenbedingungen
für eine nachhaltige Infrastruktur und Stabilisierung
von Engagement und Partizipation berücksichtigt und
zur Bündelung, Abstimmung und Weiterentwicklung
von Förderprogrammen ein geeignetes bundeseinheitliches Förderinstrument aufstellen.“ (Wachstum.
Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag von CDU,
CSU und FDP, S. 80. In: http://www.cdu.de/doc/
pdfc/091026-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf)
Auch auf Landes- und Bundesebene sind in den letzten Jahren – häufig mit Unterstützung durch die jeweilige Landes- und Bundespolitik – Netzwerke und
Zusammenschlüsse zur Engagementförderung entstanden. In einem Teil der Bundesländer sind Landesnetzwerke gegründet worden, in denen sich zivilgesellschaftliche Organisationen und/oder Kommunen
zusammengeschlossen haben. Die entscheidende
Neugründung auf der Bundesebene war 2002 das
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
(BBE) als trisektoraler Zusammenschluss von Engagement fördernden Organisationen. Hinzu kommen
auf Landes- und Bundesebene Dachorganisationen
und Zusammenschlüsse der Freiwilligenagenturen,
der Selbsthilfekontaktstellen, der Seniorenbüros etc.,
bei denen die politische Interessenvertretung sowie
die fachliche Unterstützung ihrer Mitgliederorganisationen im Vordergrund stehen.
1.4 Anforderungen an eine systematisch
angelegte Engagementpolitik
Im Fokus des hier vorgelegten Gutachtens steht die
lokale Engagementförderung und die Entwicklung
Dialogforum Infrastrukturförderung
von Ideen und Vorschlägen, wie insbesondere die
Infrastrukturen in den Kommunen unterstützt werden
können. Ausgehend von einer Sichtung der bestehenden „Engagementlandschaft“ und unter Berücksichtigung vorliegender Expertisen wird es darum gehen
zu eruieren, was die Kommunen für den Aufbau einer
flächendeckenden Infrastruktur zur Engagementförderung brauchen.
Ziel wäre eine Engagementpolitik, die
• den Spagat schafft zwischen der Vielfalt und Dynamik einer wachsenden Engagementlandschaft
– die ja nicht beschnitten werden soll – und einem
„ordnungspolitischen“ Paradigma, Fördermittel
möglichst effizient und effektiv einzusetzen;
• im Sinne der Bürgerinnen und Bürger eine leicht
zugängliche, transparente und verlässliche Infrastruktur des Engagements zu gestalten hilft;
• es ermöglicht, dass traditionell verwurzeltes Ehrenamt in Kirchen, Parteien, Vereinen und Verbänden
mit neueren Formen des bürgerschaftlichen Engagements, die sich aus den Initiativen der letzten
vier Dekaden entwickelt haben, Synergien entwickelt, statt Konkurrenz pflegt;
• zur steten Weiterentwicklung kommunaler „Engagementlandschaften“ und notwendiger übergreifender Vernetzungsstrukturen beiträgt;
• den Eigensinn des bürgerschaftlichen Engagements und seine Verortung im sozialen Nahraum
beachtet;
• Einrichtungen, Dienste und Unternehmen in allen
Bereichen des gesellschaftlichen Lebens darin unterstützt, sich für Engagement und Partizipation zu
öffnen, um die Lebensqualität des gemeinschaftlichen Zusammenlebens zu verbessern;
• (mehr) Bürgerinnen und Bürger für das freiwillige
Engagement für ihre Mitmenschen zu begeistern
imstande ist.
Diese inhaltlichen Ziele sind allerdings nur konstruktiv anzugehen, wenn zugleich über die Art und das
Selbstverständnis des Verhältnisses von Staat und
Zivilgesellschaft weiter nachgedacht wird.
Viele Schlagwörter, vom ermöglichenden Staat bis
zu Good Governance machen die Runde. So richtig
deren gedanklicher Ausgangspunkt ist – zumal bei
der Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und
Zivilgesellschaft – so wenig ausformuliert sind die
Methoden und Instrumente einer nachhaltigen Förderung neuer zivilgesellschaftlicher Infrastrukturen
durch den Staat. In den letzten Jahren wurde nicht
zuletzt im Kontext zivilgesellschaftlicher Diskussionen die Frage aufgeworfen, ob die Verfahren des
Zuwendungsrechts optimiert werden müssten2, da
sie im Kern obrigkeitsstaatliches Denken perpetuierten und das Prinzip einer gemeinsamen Augenhöhe
zwischen Staat und Zivilgesellschaft nicht einlösen
könnten. Umgekehrt sind Verfahren des Leistungsaustausches, wie sie sich vor allem auf kommunaler
Ebene mit der Ausbreitung des Neuen Steuerungsmodells (Berichtswesen, Benchmarking, Leistungsverträge, Zielvereinbarungen, Unternehmen Stadt
etc.) ausgebreitet haben, für die Förderung des bürgerschaftlichen Engagement problematisch, weil sie
dessen Eigensinn beschneiden und zu einer „Verdienstleistung“ des Engagements beitragen können.
In dem vorliegenden Gutachten wird vorgeschlagen,
ein prozess- und dialogorientiertes Förderverfahren
zu entwickeln, das von den kommunalen (und regionalen) Perspektiven für die Gestaltung der jeweiligen lokalen Engagementstrukturen ausgeht. Das
bedeutet, dass die Konzipierung einer kohärenten
kommunalen Engagementpolitik ein fundamentaler
Bestandteil einer auf Nachhaltigkeit angelegten Infrastrukturförderung sein muss. Dabei gilt es, den Governanceprozess der Formulierung von Engagementstrategien durch örtliche Akteure und die finanzielle
Unterstützung der dabei entwickelten Maßnahmen
und Ziele fördertechnisch zusammen zu bringen.
Vorbilder hierfür finden sich in verschiedenen Dorferneuerungsprogrammen einzelner Bundesländer,
die schon seit Jahrzehnten erfolgreich durchgeführt
werden, sowie auch in den Förderrichtlinien des
LEADER(+)-Programms, einer Initiative der EU zur
Stärkung ländlicher Räume. Ähnliche Ansätze verfolgt derzeit das Bundesmodellprogramm „Aktiv im
Alter“ des BMFSFJ, bei dem neue Projekte in enger
Absprache mit den Kommunen initiiert werden, oder
auch das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“,
bei dem die Kommunen vor einer Förderung ein
Konzept für ihren Beitrag entwickeln müssen. Diese
Förderverfahren könnten wichtige Hinweise für die
Konstruktion einer nationalen Engagementstrategie
liefern, die sich an dem Leitbild eines ermöglichenden
Staates orientiert.
Ein zweiter interessanter „Baustein“ einer nachhaltigen Förderpraxis könnte der Aufbau eines Bundesfonds sein, der die Selbststeuerungspotenziale der
Zivilgesellschaft bewusst in das Förderverfahren einbezieht. Dieser Fonds hätte den Vorteil, gegenüber
Förderanträgen offener reagieren zu können als dies
in der Regel klassische Förderrichtlinien von Modellprogrammen zulassen. Eine fondsbasierte Förderung
wäre ein passendes Pendant zu einem Antragsverfahren, das die jeweiligen örtlichen Vorbedingungen
konstruktiv und flexibel aufgreift.3
119
Dialogforum Infrastrukturförderung
2. Zwischenergebnisse des „Nationalen Forums
für Engagement und Partizipation“ und
andere Stellungnahmen zum Thema
Das hier vorgelegte Gutachten knüpft an die intensiven
Diskussionen der ersten beiden Sitzungen des „Nationalen Forums für Engagement und Partizipation“ am
27.04.2009 und 15.05.2009 in Berlin an (vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009a) und berücksichtigt die Stellungnahmen einzelner Einrichtungen und
Verbände, die als Kommentare zu den Verhandlungen
des Nationalen Forums nach Veröffentlichung des Zwischenberichtes beim Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches
Engagement eingegangen sind (vgl. Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement 2009b).
Das Dialogforum 1 hat sich dezidiert mit der Frage
der „Infrastruktur: Engagementangebote und Engagementförderung in Bund, Ländern und Kommunen“
befasst. Gesonderte Stellungnahmen wurden u. a.
von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft der
Selbsthilfegruppen, dem Malteser Hilfsdienst und den
im Deutschen Caritasverband zusammengeschlossenen Freiwilligenzentren verfasst.
In all diesen Beiträgen ist eine hohe Übereinstimmung
in den Aufgabenbeschreibungen der Einrichtungen
und Kernforderungen zu sehen, die an eine künftige
nationale Engagementstrategie zu richten sind:
Aufgaben
„Engagement fördernde Infrastrukturen sollten
• Akteure beraten, qualifizieren und begleiten,
• deren Aktivitäten koordinieren und Kooperationen
herbeiführen bzw. unterstützen,
• (politische) Teilhabe auf nationaler, regionaler und
kommunaler Ebene einfordern und fördern,
• „ Entrepreneurship“ und eine gesellschaftliches Engagement unterstützende Organisationsentwicklung (…) bei den Akteuren vorantreiben
• und sich darüber hinaus für eine zukunftsgerichtete
Weiterentwicklung von Engagementangeboten und
Engagementförderung auf der jeweiligen Ebene
bzw. für das jeweilige Themenfeld oder die jeweilige
Zielgruppe verantwortlich sehen.“ (Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement 2009a, S. 34)
Abgestimmte Förderstrategien
In den Stellungnahmen wird eine nachhaltige Förderung der Engagementinfrastrukturen und eine Abkehr
von kurzfristigen Modellfinanzierungen gefordert:
120
• Auch wenn der Aufbau einer nachhaltigen Infrastruktur eine gemeinsame Angelegenheit von
Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ist, wird
bei realistischer Betrachtung die Grundlast einer
Sockelfinanzierung durch die öffentliche Hand zu
tragen sein, da es bei der Engagementförderung
schwierig ist, nennenswerte Eigeneinnahmen zu
generieren. Grenzen zwischen bezahlten Dienstleistungen und ehrenamtlicher Tätigkeit müssen
gewahrt bleiben. Zudem ist es kaum möglich, Unternehmen oder Mäzene für Aufgaben der Regelfinanzierung dauerhaft zu gewinnen.
• Dennoch findet ein massiver „Return of Investment“ statt. Um diesen sichtbar zu machen, sollte
bürgerschaftliches Engagement als Eigenanteil bei
Förderungen umfassend anerkannt werden. Dies
ist derzeit nur von Fall zu Fall und mit einem hohen
bürokratischen Aufwand möglich.
• Top-down-Strategien, die zum Teil bei Bundesmodellprojekten praktiziert werden, sind kontraproduktiv, das sie oft zu „kopflastigen“ und praxisfernen Förderprogrammen führen, die für die Akteure
vor Ort nicht mehr finanzierbar sind (vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009b,
S. 67ff.).
• Es bedarf einer abgestimmten Förderstrategie zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die vorhandene Praxis in den Kommunen sollte dabei starke
Beachtung finden.
Vernetzung der Engagement fördernden Einrichtungen
und Organisationen
• Bürgerschaftliches Engagement muss in Netzwerken und Anlaufstellen als Querschnittsthema sichtbar gemacht werden.
• Anlaufstellen und Infrastruktureinrichtungen sollten
als Mittlerorganisationen unabhängig von Trägerlogiken und -egoismen handeln können, um dialogfähig zu sein, Kooperationen anzuregen und
Netzwerke zu initiieren.
• Kommunale Infrastrukturen sollten allerdings, auch
wenn sie trägerunabhängig sind, gut in der jeweiligen „Engagementlandschaft“ vernetzt sein und
mit der Kommune kooperieren. In der Kommunalverwaltung selbst sollten eigene Ansprechpartner
und Anlaufstellen eingerichtet werden, die auch
intern an dem Umbau zu einer bürger- und engagementfreundlichen Verwaltung mitwirken.
Die Thematik nachhaltiger Infrastrukturen durchzieht
die Stellungnahmen und Expertisen, die sich mit
der Weiterentwicklung der Engagementlandschaft
befassen, allerdings schon seit etwa einer Dekade.
So empfiehlt die Enquete-Kommission „Zukunft des
Dialogforum Infrastrukturförderung
Bürgerschaftlichen Engagements“ (2002) in ihrem Bericht den Ausbau der lokalen Infrastruktur zur Engagementförderung und spricht sich dabei für kooperative
Konzepte aus. Schon 2002 stellte sich die Problematik,
bei wachsender Vielfalt an Infrastruktureinrichtungen
und in Anbetracht der finanziellen Situation zu integrierten Lösungen zu kommen. Der Vorrang der Kommunen dürfe allerdings nicht Anlass für Bund und Länder sein, sich aus der Engagementförderung zurück
zu ziehen. Die Kommunen seien demnach mit einem
systematischen Aufbau von Infrastrukturen allein überfordert. Erst als Gemeinschaftsaufgabe aller föderalen
Ebenen könne die Förderung lokaler Infrastrukturen
auf sicheren Füßen stehen (ebd., S. 314ff.).
Partnerschaften, Kooperationsverbünden oder lokalen/regionalen/landesweiten Netzwerken zusammenzuschließen, geht in die richtige Richtung. (...)
Es [gilt] erfolgreiche Beispiele der Projektkooperation
und Vernetzung stärker ins öffentliche Bewusstsein
zu bringen (...) Einer dieser Erfolgsfaktoren ist der
Aufbau von stabilen Einrichtungen wie z. B. Freiwilligenagenturen, Freiwilligenzentren, Seniorenbüros
und Selbsthilfekontaktstellen von Kommunen und
Verbänden oder auch Bürgerstiftungen. (...) Deshalb
ist es besonders wichtig, die engagementstärkende
Infrastruktur dieser intermediären Einrichtungen finanziell abzusichern“ (vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2005).
Zudem spricht sich die Enquete-Kommission für eine
nachhaltige Förderung der vernetzenden Dachorganisationen wie NAKOS, BaS, bagfa etc. aus.
3. Überblick über Infrastrukturen und Anlaufstellen zur lokalen Engagementförderung
Die Empfehlungen der Enquete-Kommission in diesen
Punkten sind bis heute nicht umgesetzt. Zwar war die
Gründung des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches
Engagement ein unmittelbares Resultat des Kommissionsberichtes. Die Dachorganisationen (siehe die anhaltende Debatte um NAKOS u. a.) sind hingegen nicht
nachhaltig abgesichert. Im Gegenteil: Ihre Finanzierungsgrundlagen scheinen immer fragiler zu werden.
Weder hat der Bund ein Modellprogramm für lokale
Anlaufstellen des bürgerschaftlichen Engagements
entwickelt noch mit einer Förderung zur konsequenten
Kooperation der schon bestehenden Einrichtungen wie
Seniorenbüros, Selbsthilfekontaktstellen und Freiwilligenagenturen beigetragen. Stattdessen wurden aus
den Bereichen einzelner Fachpolitiken heraus neue
Modellprojekte und Einrichtungsformate entwickelt, die
in einem Teil der Kommunen große Überschneidungen
mit den bestehenden Infrastrukturen aufwiesen. Dies
gilt etwa für das Programm Mehrgenerationenhäuser
oder die Leuchtturmprojekte der „Freiwilligendienste
aller Generationen“.
3.1 Zum Begriff „Infrastrukturen“ der
Engagementförderung
Aus den vielen weiteren Diskussionsbeiträgen, die
in den folgenden Jahren veröffentlicht wurden, sei
an dieser Stelle noch das Diskussionspapier des
Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagements
„Zukunftstrends der Bürgergesellschaft“ erwähnt,
das vom Koordinierungsausschuss des BBE 2005
verabschiedet wurde. Um zu einer verbesserten Passung von Angebot und Nachfrage im bürgerschaftlichen Engagement unter dem Druck wachsender
Konkurrenz um materielle Ressourcen zu gelangen,
wird auch an dieser Stelle auf die zentrale Bedeutung
nachhaltiger Infrastrukturen und sozialer Netzwerke
hingewiesen: „Der Trend, sich zwecks langfristiger
Stärkung des Bürgerengagements zu strategischen
• Dies sind zunächst einmal die eigenständigen Einrichtungen, die trägerübergreifend bürgerschaftliches Engagement in den Kommunen anregen,
fördern und weiterentwickeln. Dazu gehören die
Freiwilligenagenturen und vergleichbare Einrichtungen, Seniorenbüros, Selbsthilfekontaktstellen,
Bürgerstiftungen, Mehrgenerationenhäuser, Lokale Bündnisse für Familien, Lokale-Agenda-21Initiativen etc.
• Zu den Infrastrukturen lokaler Engagementförderung gehören natürlich auch die Anlauf- und
Koordinierungsstellen in den Kommunalverwaltungen, die als Ansprechpartner für das Engagement sowie auch als Akteure zur Anregung und
Ein empirischer Blick auf die Szene der Infrastruktureinrichtungen und Netzwerke bezeugt ein beeindruckendes Wachstum seit Mitte der 1990er Jahre.
Nach wie vor sind die Einrichtungen und Zusammenschlüsse allerdings unzureichend abgesichert, und
viele Einrichtungen befinden sich in einer prekären
Situation (vgl. Lang 2010). Auch die Fragen nach der
Kooperation der verschiedenen Infrastruktureinrichtungen vor Ort sowie ihre Rolle in der Kommune stehen nach wie vor auf der Tagesordnung.
Wenn in der Fachdebatte von Infrastrukturen der Engagementförderung die Rede ist, dann sind damit
grundlegende Einrichtungen, Zusammenschlüsse und
Angebote gemeint, mit denen bürgerschaftliches Engagement ermöglicht und gefördert wird. Engagement
fördernde Infrastrukturen gibt es in allen gesellschaftlichen Sektoren und auf allen föderalen Ebenen.
121
Dialogforum Infrastrukturförderung
Ermöglichung des Engagements vor Ort wirken.
Diese Anlaufstellen unterscheiden sich aufgrund
ihrer unterschiedlichen Profile, und sie sind mit
ganz unterschiedlichen Aufträgen ausgestattet.
• Darüber hinaus haben sich in einzelnen Kommunen auch eigenständige Einrichtungen zur Engagementförderung wie z. B. das „Zentrum Aktiver
Bürger“ in Nürnberg (Röbke 2008a) herausgebildet, die als zivilgesellschaftliche Organisation einen umfassenden Auftrag zur Unterstützung des
Bürgerengagements wahrnehmen und dabei von
der Kommune unterstützt werden.
• Infrastrukturen zur Engagementförderung gibt es
natürlich auch innerhalb von Organisationen wie
Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, örtlichen Vereinen,
Einrichtungen und Stiftungen. Wenn innerhalb
eines Verbandes oder einer Einrichtung Strukturen
zur Gewinnung und Begleitung Ehrenamtlicher bereit stehen, dann sind dies Infrastrukturen zur Engagementförderung.
• Auch die landes- und bundesweiten Zusammenschlüsse, die auf die Förderung bürgerschaftlichen
Engagements zielen, sind Infrastrukturen zur Engagementförderung. Letztendlich gehören auch
die Stabsstellen in den Landesregierungen sowie
Einrichtungen wie die Landes-Ehrenamtsagentur
Hessen, die im Auftrag der Landesregierung Engagementförderung betreiben, zu den Infrastrukturen.
3.2 Eigenständige Infrastruktureinrichtungen,
Anlaufstellen und Netzwerke zur Engagementförderung
Die Infrastrukturentwicklung von Anlaufstellen zur lokalen Engagementförderung begann in den 1980er Jahren mit dem Aufbau lokaler Selbsthilfekontaktstellen.
Die „Landschaft“ Engagement fördernder Einrichtungen
in den Kommunen hat sich seither vielfältig ausdifferenziert (vgl. zum Folgenden ausführlich Jakob 2010). In
den 1990er Jahren kamen, angestoßen durch ein Bundesmodellprojekt, die Seniorenbüros hinzu. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre sind zahlreiche Freiwilligenagenturen und -zentren entstanden, die sich seither in
vielen Städten und Gemeinden etabliert haben. Ebenfalls Ende der 1990er Jahre wurden, angeregt durch
das Vorbild der amerikanischen Community Foundations, die ersten Bürgerstiftungen gegründet, die sich
seither – zumindest was die Zahl der Neugründungen
angeht – zu einem Erfolgsmodell entwickelt haben. Forciert durch Modellprogramme unter der Federführung
des BMFSFJ sind in den letzten Jahren weitere Einrichtungen und Zusammenschlüsse wie Lokale Bündnisse
für Familien und Mehrgenerationenhäuser entstanden,
die bei ihren Aufgaben zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und zum Aufbau neuer
122
Generationenbeziehungen auf zivilgesellschaftliche
Strukturen und bürgerschaftliches Engagement zurückgreifen. Dies ist aber in den einzelnen Einrichtungen
unterschiedlich ausgeprägt, und Engagementförderung
steht keineswegs im Fokus aller Mehrgenerationenhäuser und Lokaler Familienbündnisse.
Bundesweit verbreitete Engagement fördernde lokale
Infrastrukturen
Einrichtungstypus
Anzahl
Freiwilligenagenturen/-zentren ca. 3004
Seniorenbüros
ca. 2505
Selbsthilfekontaktstellen
2126
Lokale Bündnisse für Familie
5997
Mehrgenerationenhäuser
5008
Bürgerstiftungen
2379
Die Zusammenstellung zeigt, dass sich mittlerweile
eine vielfältige „Landschaft“ Engagement fördernder
Einrichtungen herausgebildet hat, die träger- und zielgruppenübergreifend tätig sind. Bei der Aufzählung
muss allerdings beachtet werden, dass sich die Einrichtungen je nach den lokalen Gegebenheiten und
abhängig von finanziellen und personellen Rahmenbedingungen erheblich voneinander unterscheiden.
Dies gilt für ihre Personalausstattung, für ihr Selbstverständnis und ihre Arbeitsweise sowie auch für die
Einbindung in die Kommune und die Kooperation mit
anderen Organisationen vor Ort.
Ein entscheidender Unterschied besteht darin, dass
Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros, Selbsthilfekontaktstellen und Bürgerstiftungen ihren Kernauftrag in
der Förderung von Engagement und Selbsthilfe sehen.
Ihre Aktivitäten sind auf die Beratung und Vermittlung
engagementinteressierter Bürgerinnen und Bürger,
auf die Beratung von Vereinen und Kommunen sowie
auf die Entwicklung neuer Engagementgelegenheiten
und Projekte fokussiert. Mehrgenerationenhäuser und
Lokale Bündnisse für Familien nutzen hingegen das
bürgerschaftliche Engagement, um ihren jeweiligen
Auftrag wie die Verbesserung der Generationenbeziehungen oder die Schaffung einer familienfreundlichen
Kommune zu realisieren. Im Zentrum steht nicht die
Förderung von Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement an sich, sondern das Engagement ist Mittel zum
Zweck, um die jeweiligen familien-, generationen- und
Dialogforum Infrastrukturförderung
demografiepolitischen Zielsetzungen zu verwirklichen.
Dieses unterschiedliche Verständnis von Engagement
und Engagementförderung könnte den Hintergrund dafür abgeben, dass im Selbstverständnis einiger Mehrgenerationenhäuser und noch stärker in der Selbstpräsentation Lokaler Familienbündnisse der Bezug
auf bürgerschaftliches Engagement fehlt. So ermittelt
zwar die Wirkungsforschung, mit der das Modellprogramm der Mehrgenerationenhäuser begleitet wird,
eine Zahl von ca. 15.000 Ehrenamtlichen, die in den
Einrichtungen tätig sind, dort mittlerweile 61 Prozent
des Personals ausmachen und ein Viertel der Arbeitsstunden erbringen (vgl. Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend 2008, S. 22 ff.). Dies
gestaltet sich jedoch in den einzelnen Mehrgenerationenhäusern sehr unterschiedlich. Nach wie vor gibt
es Einrichtungen, die darauf ausgerichtet sind, nach
dem Muster klassischer sozialer Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft professionelle Dienstleistungen
z. B. in der Kindertagesbetreuung zu erbringen und die
dabei keine Bezüge zum bürgerschaftlichen Engagement herstellen.
3.3 Weitere Infrastrukturen und Einrichtungen
Zusätzlich zu diesen eigenständigen Einrichtungen
kommen weitere engagementfördernde Einrichtungen hinzu, die allerdings aufgrund ihrer Heterogenität nicht quantitativ erfasst sind.
Weitere Engagement fördernde Einrichtungen in
Kommunen
Einrichtungstypus
Lokale Anlaufstellen zur Engagementförderung (innerhalb der Kommunalverwaltung oder als eigenständige Einrichtungen)
tadtteilbüros (im Rahmen des Programms Soziale
S
Stadt-Programms)
Dorfläden u.a. Einrichtungen zur Dorferneuerung
Nachbarschaftshäuser
Soziokulturelle Zentren
Lokale Agenda 21-Initiativen
Eltern-Kind- und Familienzentren
Pflegestützpunkte
Etc.
Viele Kommunen haben lokale Anlaufstellen zur Engagementförderung direkt in der Kommunalverwaltung geschaffen. Diese Freiwilligen- und Ehrenamtsagenturen, Koordinationsstellen für bürgerschaftliches
Engagement etc. sind Ansprechpartner für einzelne
Bürgerinnen und Bürger ebenso wie für die Vereine
und Verbände vor Ort. Sie informieren engagementinteressierte Bürgerinnen und Bürger, beraten Vereine in
Engagementfragen, entwickeln gemeinsam mit lokalen
Akteuren neue Projekte und koordinieren Qualifizierungsangebote. In Baden-Württemberg ist diese Variante Engagement fördernder Einrichtungen infolge der
Engagementpolitik des Landes und deren Ausrichtung
auf Kommunen sehr weit verbreitet. Aber auch Kommunen in anderen Bundesländern haben solche Stellen
eingerichtet. Insbesondere kleine Gemeinden, für die
die eigenständige Einrichtung einer Freiwilligenagentur
zu aufwändig wäre, sowie Landkreise nutzen die Anlaufstellen in der Verwaltung, um die Engagementförderung
in ihren Gemeinden anzuregen und zu koordinieren.
Mit einer engen Anbindung der Infrastruktureinrichtungen an die Kommunen ist sichergestellt, dass die
Engagementförderung ein kommunales Anliegen
ist und dementsprechend von Kommunalpolitik und
-verwaltung politisch und finanziell mitgetragen wird.
Allerdings ist mit einer solchen kommunalen Ausrichtung auch eine starke Abhängigkeit von der Kommune und von politischen Machtstrukturen verbunden.
Auch nach einem Wechsel an der politischen Spitze
oder einer Veränderung der Mehrheitsverhältnisse
im Kommunalparlament muss deshalb sichergestellt
sein, dass Strukturen der Engagementförderung erhalten bleiben.
Die „Landschaft“ von Infrastrukturen zur Unterstützung von Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement
wird noch vielfältiger und zugleich unübersichtlicher,
wenn man die zahlreichen Organisationen und Zusammenschlüsse hinzunimmt, die sich in einzelnen
Kommunen vor dem Hintergrund lokaler Traditionen
entwickelt haben: Nachbarschaftshäuser, soziokulturelle Zentren, Lokale Agenda 21-Initiativen, Stadtteilbüros im Rahmen des Bund-Länder-Programms
„Soziale Stadt“ sowie Eltern-Kind- und Familien-Zentren. Hinzu kommen seit kurzem Pflegestützpunkte,
die den Auftrag haben, engagierte Bürgerinnen und
Bürger stärker als bislang in die Pflegeberatung und
-begleitung zu integrieren oder auch die seit letztem
Jahr bestehenden Servicestellen für Bildungspatenschaften unter der Federführung der Staatsministerin
für Integration.
Diese Einrichtungen reagieren auf gesellschaftliche
Veränderungen und damit einhergehende Problem123
Dialogforum Infrastrukturförderung
lagen und setzen bei deren Bearbeitung auf Bürgerbeteiligung und -engagement sowie auf sektorenübergreifende Kooperationen. Sie arbeiten dabei mit
Kommunalverwaltung und -politik, mit öffentlichen
Einrichtungen wie Schulen und mit privatwirtschaftlichen Akteuren wie Geschäften und Unternehmen
zusammen. Allerdings unterscheiden sich die Einrichtungen und Zusammenschlüsse vor Ort stark in
der Art und Weise, wie ernst sie bürgerschaftliches
Engagement nehmen und wie sie die Beziehungen zu
anderen lokalen Akteuren gestalten.
Mit diesen Einrichtungen bildet sich ein neuer Organisationstyp heraus, der sich durch eine intermediäre
Rolle und die Vermittlung zwischen verschiedenen
sozialen Welten auszeichnet (vgl. Bertelsmann Stiftung 2008). In Lokalen Bündnissen für Familie kooperieren Partner aus der Kommunalpolitik, freien
Trägern und sozialen Einrichtungen sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen und Wirtschaftsverbänden. In Mehrgenerationenhäusern werden mit der Unterstützung von Existenzgründerinnen
und Existengründern und mit der Bereitstellung von
Dienstleistungen für Unternehmen unternehmerische
Handlungslogiken erprobt. Die Freiwilligenagenturen
bringen mit Projekten wie Freiwilligentagen, Marktplätzen und „Seitenwechseln“ gemeinnützige Träger
mit Unternehmen zusammen und stiften dabei neue
Kooperationsbeziehungen. Ob daraus dauerhafte
Kooperationen und neue Modelle einer Aufgabenund Verantwortungsteilung im Sinne eines kommunalen Welfare Mixes entstehen (vgl. Olk 2007; Klie/
Roß 2005), muss sich allerdings erst noch erweisen.
3.4 Aktuelle Probleme und förderpolitischer
Handlungsbedarf
In der Fachdebatte besteht Konsens, dass es einer
zumindest grundständigen Förderung von Infrastruktureinrichtungen bedarf und dass dies eine öffentliche
Aufgabe ist (vgl. Enquete-Kommission „Zukunft des
Bürgerschaftlichen Engagements“ 2002: 317; Klie u.
a. 2004). Auch in programmatischen Äußerungen
auf der Bundesebene, im Rahmen der vom BMFSFJ
gestarteten Initiative „ZivilEngagement Miteinander –
Füreinander“, werden Bürgerstiftungen, Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros und Mehrgenerationenhäuser als wichtige Infrastrukturen für das Engagement
vor Ort gesehen, die der staatlichen Unterstützung
bedürfen (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2007).
Ein differenzierter Blick auf den Stand lokaler Engagementförderung und auf die bundesweiten Förderaktivitäten verweist allerdings auf Probleme. So be124
steht ein offensichtliches „Missverhältnis“ zwischen
den verbalen Bekundungen auf der politischen Ebene
einerseits und der finanziellen Anerkennung und Absicherung der Engagement fördernden Einrichtungen
andererseits (Evers/Riedel 2004). Nur ein Teil der
Kommunen nimmt die Aufgabe wahr, moderne Strukturen zur Bürgerbeteiligung und Bürgerengagement
aufzubauen. Dies ist nicht nur der Finanzknappheit
der Gemeinden geschuldet, sondern auch Ausdruck
dafür, dass Vorstellungen von lokaler Demokratie und
Konzepte einer professionellen Engagementförderung bislang nicht überall auf Akzeptanz stoßen.
Viele der Engagement fördernden Einrichtungen befinden sich in einer ungesicherten Situation. Ihre Personalausstattung, die sich zum großen Teil auf eine Vollzeitstelle oder gar nur auf eine Teilzeitstelle beschränkt,
ist unzureichend. Nur ein Teil der Einrichtungen kann
auf der Basis einer zumindest mittelfristig gesicherten
finanziellen Grundlage arbeiten. Für viele der Einrichtungen gilt hingegen, dass ihre finanzielle Situation
prekär und ihre Existenz akut gefährdet ist. Während
Anlaufstellen, die in die Kommunalverwaltung eingebunden sind, vergleichsweise sicher etabliert sind,
haben vor allem eigenständige Freiwilligenagenturen,
Seniorenbüros u. a. in der Trägerschaft eines Vereins
mit unsicheren finanziellen Rahmenbedingungen zu
kämpfen. Nach wie vor müssen Einrichtungen aus finanziellen Gründen ihre Arbeit einstellen.
Bei den Bürgerstiftungen besteht das Problem, dass
es vielen Stiftungen aufgrund ihres geringen Stiftungsvermögens nicht möglich ist, professionelles
Personal einzustellen. Dementsprechend fehlt es
vielen Bürgerstiftungen an Professionalität, die Aktivitäten tendieren dazu, sich zu verzetteln, und der
systematische Aufbau des Stiftungskapitals wird
vernachlässigt (vgl. Bundesverband Deutscher Stiftungen 2007, S. 102).
Für die Mehrgenerationenhäuser besteht die große
Unsicherheit, wie es mit den Einrichtungen vor Ort
nach der Modelllaufzeit und dem Wegfall der Bundesmittel weitergehen wird. Darüber hinaus ist durch das
Bundesmodellprogramm und die Implementation dieser Einrichtungen unabhängig von örtlichen Bedarfen
in einigen Kommunen eine schwierige Situation entstanden. Das Angebot der Mehrgenerationenhäuser
überschneidet sich zum Teil mit dem Aufgabenprofil
bereits bestehender Einrichtungen wie Seniorenbüros oder Familienzentren. Hinzu kommt, dass mit
einem derartigen Top-down-Prozess ein „altbekanntes“ Dilemma verschärft wird: Den Kommunen
werden Aufgaben übertragen, ohne gleichzeitig die
entsprechenden finanziellen Mittel bereitzustellen.
Dialogforum Infrastrukturförderung
4. Netzwerke der Engagementförderung
4.1 Netzwerke auf kommunaler Ebene
Parallel zu den Infrastruktureinrichtungen haben sich
in Kommunen und auch auf Landes- und Bundesebene thematisch orientierte Netzwerke gebildet, die
darauf zielen, bürgerschaftliches Engagement anzuregen, zu koordinieren und zu unterstützen. Städtenetzwerke existieren etwa in München (FOEBE),
Hamburg (Aktivoli), Berlin (Aktiv in Berlin), Augsburg
(Bündnis für Augsburg), Köln und Hannover. Ein wichtiges Aufgabenfeld der kommunalen Netzwerke besteht darin, an der Entwicklung eines Selbstverständnisses für die Engagementförderung in der jeweiligen
Kommune und an der Ausformulierung eines Leitbilds für eine bürgerorientierte Kommunalentwicklung mitzuwirken. Beispielhaft sei die Berliner Charta
zum bürgerschaftlichen Engagement genannt, die
Standards der Freiwilligenarbeit wie Versicherungsschutz, Fortbildungsangebote, Anerkennungskultur
etc. als Selbstverpflichtung der Unterzeichnenden
festschreibt (vgl. www.aktiv-in-berlin). Zudem haben
es kommunale Engagementnetzwerke übernommen,
durch gemeinsame Veranstaltungen die öffentliche
Sichtbarkeit des Engagements zu erhöhen und über
gemeinsame Projekte zur Vernetzung unterschiedlichster Partner beizutragen. Beispiele dafür sind sog.
Ehrenamtsbörsen, bei denen sich die lokalen Akteure
gemeinsam präsentieren oder auch Marktplätze,
Partnerschafts- und Freiwilligentage, mit denen Kooperationen zwischen gemeinnützigen Organisationen
und Wirtschaftsunternehmen angeregt werden (vgl.
Bertelsmann Stiftung 2008, Jakob 2010a). Darüber
hinaus stellen Netzwerke mit Internetauftritten und
anderen Medien vielfältige Informationen über Fortbildungen und andere wichtige engagementrelevante
Themen zur Verfügung (beispielhaft die Datenbank
der FOEBE München).
Auch in dem Modellprogramm „Lokale Bündnisse für
Familie“ steht der Netzwerkgedanke im Zentrum. In
den Lokalen Bündnissen arbeiten Akteure aus verschiedenen Organisationen und gesellschaftlichen
Sektoren zusammen, um die Rahmenbedingungen
für Familien in den Kommunen zu verbessern.
4.2 Regionale Netzwerke
Im Vergleich zu den großen Städten sind regionale
Netzwerke (zum Beispiel auf Landkreisebene) noch
selten. Meist bilden sich regionale Kooperationen im
Zuge von Modellprogrammen (wie LEADER), brechen aber auch leicht wieder auseinander, wenn die
Modellfinanzierung ausläuft. In letzter Zeit kann man
verstärkt die Gründung von Freiwilligenagenturen und
Netzwerken auf Landkreisebene beobachten. Diese
Einrichtungen haben zum Teil eine gegenüber den
städtischen Agenturen unterschiedene Aufgabenbeschreibung. So werden sie konzeptionell stärker
mit der Unterstützung der lokalen Vereinslandschaft
(durch Fortbildung und Beratung) sowie mit koordinierenden Aufgaben betraut (vgl. Röbke 2008).
4.3 Netzwerke und Koordinationsstellen in den
Bundesländern
Auch auf Länderebene spielen Netzwerke eine wichtige Rolle (vgl. Centrum für Bürgerschaftliches Engagement o. J., Rüttgers 2010). Das älteste Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement besteht
in Baden-Württemberg. Es wurde 1999 gegründet
und umfasst neben einer Stabsstelle im Minsterium
für Arbeit und Soziales, die das übergreifende Netzwerkmanagement übernimmt, verschiedene Teilnetzwerke, die staatliche und zivilgesellschaftliche Partner verknüpfen. So existieren ein Städtenetzwerk,
eine Landkreisnetzwerk und ein Gemeindenetzwerk
in Kooperation mit den jeweiligen kommunalen Spitzenverbänden sowie Themen- und Einrichtungsnetzwerke des bürgerschaftlichen Engagements wie die
ARBES10, die Freiwilligenagenturen, Seniorengenossenschaften und weitere zivilgesellschaftliche Initiativen bündelt (vgl. Klie/Roß 2005, Rüttgers 2010). Mit
dem zweimal jährlich tagenden „Forum Landesnetzwerk“ wurde eine übergreifende Austauschplattform
geschaffen. Die Netzwerkarbeit wird durch ehrenamtliche Bürgermentoren unterstützt, die für ihre Aufgaben qualifiziert werden und Kompetenzgruppen des
bürgerschaftlichen Engagements in vielen Städten
und Gemeinden des Landes bilden. Schon in den
ersten fünf Jahren dieses Qualifizierungsprojektes
(2000-2004) wurden über tausend Bürgermentorinnen und -mentoren qualifiziert. Auch in anderen
Bundesländern sind vergleichbare Programme zur
Qualifizierung entwickelt worden, die darauf zielen,
Bürgerinnen und Bürger für die Engagementförderung
vor Ort mit Wissen und Kompetenzen auszustatten
(vgl. dazu Programme wie ELFEN in Niedersachsen,
SeniorTrainerinnen in Nachfolge des gleichnamigen
Bundesmodellprojekts in Bayern, Engagement-Lotsen in Hessen).
In Bayern existiert seit 2003 ein Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, das mit staatlicher Förderung vor allem die parteilich und konfessionell unabhängigen Anlaufstrukturen des bürgerschaftlichen
Engagements wie Freiwilligenagenturen, Selbsthilfekontaktstellen, Bürgerstiftungen, Seniorenbüros und
Familienzentren umfasst (vgl. Magel/Franke 2006).11 125
Dialogforum Infrastrukturförderung
Das Landesnetzwerk ist eine zivilgesellschaftliche
Organisation, die vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen
finanziell unterstützt wird und mit dem Ministerium
zusammen arbeitet. Ein vom Sozialstaatssekretär
einberufener „Runder Tisch Bürgerschaftliches Engagement“ versammelt seit 2009 neben dem erwähnten Landesnetzwerk auch die Spitzenverbände
der Wohlfahrtspflege und der Kommunen, Vertreter
der Landtagsparteien sowie weitere Verbandsvertreter und Experten aus der Wissenschaft. Der Runde
Tisch hat die Aufgabe, Leitlinien einer abgestimmten
Engagementpolitik in Bayern zu entwerfen.
Vernetzungsstellen in anderen Bundesländern sind
aufgrund ihrer direkten Einbindung in Ministerien stark
staatlich geprägt. In Niedersachsen, Rheinland-Pfalz,
Brandenburg und Hessen spielt die Staatskanzlei
eine herausragende koordinierende Rolle in der Engagementpolitik. In anderen Bundesländern übernehmen Fachressorts diese Aufgabe (in NRW etwa
das Ministerium für Generationen, Familie, Frauen
und Integration). Das Land Thüringen hat 2002 mit
der Thüringer Ehrenamtsstiftung eine vernetzende
Stelle geschaffen, die per Satzung eng an staatliche
Funktionen bzw. Landtagsmandate gekoppelt ist. Mit
einem Kuratorium werden wichtige zivilgesellschaftliche Verbände des Landes in die Ehrenamtsstiftung
eingebunden.
Für die Bundesebene sei hier lediglich auf die herausragende Rolle des 2002 gegründeten Bundesnetzwerkes Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
verwiesen, das sich als ein trisektorales Netzwerk
versteht und in dem staatliche, wirtschaftliche
und zivilgesellschaftliche Akteure kooperieren. In
den letzten Jahren hat sich das BBE als wichtige
Informationsplattform (z. B. mit dem 14-tägig erscheinenden Newsletter und etlichen Internetplattformen) etabliert. Mit der jährlich stattfindenden
„Woche des Bürgerschaftlichen Engagements“
organisiert das BBE das wichtigste bundesweite
„Event“ des bürgerschaftlichen Engagements, das
vor allem durch die Medienpartnerschaft mit dem
Zweiten Deutschen Fernsehen einen hohen öffentlichen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Etliche jährliche Fachtagungen ermöglichen den Austausch
von Experten aus Verbänden, Politik, Wirtschaft
und Wissenschaft. Als „Lobbyist“ für das bürgerschaftliche Engagement ist das BBE politisch beratend etwa bei Gesetzesvorhaben tätig, die das bürgerschaftliche Engagement berühren. Durch den
Auftrag der Organisation des „Nationalen Forums
für Engagement und Partizipation“ wurde diese
Rolle noch einmal gestärkt.12
126
All diese Netzwerke und Koordinierungsstellen haben
in den letzten Jahren reichhaltige Aktivitäten entfaltet. Sie sind wichtige Akteure in der Formulierung von
Engagementpolitik und wirken an der Entwicklung engagementfreundlicher Rahmenbedingungen mit, die
sich auch für die Situation vor Ort, in den Vereinen und
Kommunen, auswirken. Beispiele dafür sind die Verbesserungen im Bereich des Versicherungsschutzes
für Ehrenamtliche, die in vielen Bundesländern in den
letzten Jahren erzielt worden sind, sowie neue Aktivitäten für eine Ausweitung der Anerkennungskultur
mit Ehrenamtsnachweisen, Ehrenamtscards etc.. Wie
schon bei der Analyse der Infrastrukturen, so ist auch
auf der Ebene der Netzwerke festzustellen: Sie sind
vielfältig aus unterschiedlichen Akteurskonstellationen
und Traditionen gewachsen. Eine Koordination durch
die Staatskanzlei eines Bundeslandes hat sicher größere „Durchgriffsmöglichkeiten“ als eine Ansiedlung
in einem Fachressort. In Baden-Württemberg ist eine
starke Ausrichtung am kommunalen Bereich wahrzunehmen, Bayern hingegen setzt stark auf zivilgesellschaftliche Anlaufstrukturen.
In Bundesländern, die bislang staatlich orientierte
Koordinationsfunktionen bevorzugt haben, wird derzeit über die Unterstützung oder Gründung zivilgesellschaftlicher Netzwerke nachgedacht (so z. B. in
NRW, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt). Offenbar
zeichnet sich doch nach anfänglich unterschiedlichen
Entwicklungspfaden ab, dass die wirksamste Aufstellung ein Tandem aus einer Koordinierungsstelle
in der Landesverwaltung (möglichst mit hoher Querschnittskompetenz) und einer zivilgesellschaftlichen
Netzwerkstruktur ist, die in unterschiedlichen Konstellationen (als trisektorales Bündnis, Stiftung o. ä.)
konstruiert werden kann. Wie die Erfahrungen mit bestehenden Netzwerken zeigen, sind auch die zivilgesellschaftlichen Plattformen und Zusammenschlüsse
auf staatliche Unterstützung in Form einer Sockelfinanzierung angewiesen. Um ihre Arbeitsfähigkeit
zu sichern und Kontinuität sicherzustellen, reichen
kurzatmige Projektförderungen nicht aus, sondern es
bedarf einer grundständigen Finanzierung, die allerdings durch zusätzliche Mittel aus Mitgliedsbeiträgen,
aus der Akquise von Projekten und Aufträgen etc.
aufgestockt werden sollte.
5. Förderpolitische Konsequenzen
5.1 Zwischen Standardisierung und Eigensinnigkeit
– Dilemmata staatlicher Engagementpolitik
Engagementpolitik ist mit einem grundsätzlichen
Dilemma konfrontiert, dass aus der Funktionsweise
Dialogforum Infrastrukturförderung
staatlicher Politik und der Eigensinnigkeit bürgerschaftlichen Engagements resultiert. Staatliche Politik mit ihren klassischen Instrumenten der Gesetzgebung und der finanziellen Steuerung ist durch ein
standardisiertes Vorgehen gekennzeichnet, das dementsprechend auch vereinheitlichende Wirkungen
hat. Dem widerspricht die Freiheit bürgerschaftlichen
Engagements, das davon lebt, dass neue Wege beschritten werden, dass innovative Prozesse in Gang
gesetzt werden, ohne dass von vornherein klar ist, wie
diese Initiativen ausgehen werden und das von ungleichzeitigen Entwicklungen gekennzeichnet ist. Das
Engagement kann sich auch gegen etablierte Strukturen und Organisationen wenden und neue Modelle
und Handlungsmuster hervorbringen. Beispiele dafür
sind die sozialen Bewegungen der 1980er und 1990er
Jahre ebenso wie die Hospizbewegung oder – in neuester Zeit – die Initiativen, die sich gegen Verregelungen des Internets zur Wehr setzen. Hinzu kommt,
dass für viele engagierte Bürgerinnen und Bürger das
Engagement gerade als Gegenwelt zu bürokratischen
und technokratischen Abläufen Bedeutung bekommt
und Möglichkeiten für selbstbestimmtes Handeln und
gesellschaftliche Mitgestaltung eröffnet.
rale Traditionen eine Rolle. So sind in den ostdeutschen Bundesländern oder in Nordrhein-Westfalen
starke soziokulturelle Einrichtungen vorhanden, die
beispielsweise in Bayern nur in den großen Städten
anzutreffen sind. Dies ist in der Förderpolitik der jeweiligen Bundesländer begründet. Teils spielen auch
besondere, aber eher zufällige Interessenskonstellationen eine Rolle, so dass an einem Ort eine blühende
Agenda-21-Bewegung, am anderen eine besonders
agile Seniorenpolitik für das aktive Alter, an einem
weiteren eine stark gemeinwesenorientierte Familienpolitik existieren. Gesamtkonzepte, die das bürgerschaftliche Engagement als Querschnittsthema für
alle Bereiche kommunaler Daseinsvorsorge systematisch ausbuchstabieren, sind hingegen selten.13
Dies bedeutet allerdings nicht, staatliche Instanzen
aus ihrer Verantwortung für die Schaffung förderlicher
Rahmenbedingungen zu entlassen. Vielmehr kommt
es darauf an, der Besonderheit und Eigensinnigkeit
des Engagements Rechnung zu tragen und neue Gesetzesinitiativen auf ihre Aus- und Nebenwirkungen
hin zu überprüfen. Staatliche Politik auf Landes- und
Bundesebene hat vor allem die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die zivilgesellschaftliche
Strukturen stärken und bürgerschaftliches Engagement ermöglichen.
5.2 Zur Rolle von Staat und Kommunen in der
Engagementförderung
Angesichts der Eigensinnigkeit bürgerschaftlichen
Engagements kommt der Kommune und einer lokal
ausgerichteten Engagementpolitik, die von der Kommune und den zivilgesellschaftlichen Organisationen
vor Ort gemeinsam ausgehandelt und getragen wird,
eine große Bedeutung zu. Wir haben in dem hier
vorliegenden Gutachten gezeigt, wie vielgestaltig
diese Einrichtungen und Zusammenschlüsse organisiert sein können. Hieran sind besondere lokale
Entwicklungspfade verantwortlich, aber auch zeitlich versetzte Wellen von Modellprogrammen, die
an unterschiedlichen Orten unterschiedlich erfolgreich waren. So finden sich beispielsweise Städte mit
höchst erfolgreich arbeitenden Seniorenbüros neben
solchen, die diese Form der Anlaufstelle gar nicht
kennen, dafür aber eine gut eingeführte Freiwilligenagentur oder Bürgerstiftung aufweisen, die zum Teil
ähnliche Aufgaben bewältigt. Teils spielen auch föde
Diese Vielgestaltigkeit sollte mit aller Behutsamkeit
gefördert und weiterentwickelt, dort aber auch gebündelt und vernetzt werden, wo sie ansonsten zu
Ausdünnung und Unübersichtlichkeit vieler kleiner,
für sich nicht überlebensfähiger Initiativen führt.
Im Folgenden werden einige Leitlinien und Vorschläge für die Engagementförderung entwickelt:
Zur Rolle von Staat und Kommunen für eine nachhaltige Förderung zivilgesellschaftlicher Strukturen
Im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements ist es
schon aufgrund des Politikfeldes schwierig, nennenswerte Eigeneinannahmen durch Dienstleistungen zu
erzielen. Sponsoring, Mäzenatentum und die Einwerbung von Drittmitteln bei Stiftungen werden vor allem
begrenzte Projekte unterstützen, allerdings kaum für
eine Basisfinanzierung sorgen. Bis auf den Bereich
der Stiftungen, die einen eigenen Kapitalstamm aufbauen können, muss man damit rechnen, dass ein
dauerhafter Förderbedarf bestehen bleibt. Der in der
Debatte hin und wieder auftauchende Hinweis, dass
nach einer gewissen Phase der Modellfinanzierung
Anlaufstellen und Netzwerke des bürgerschaftlichen
Engagements genügend Schubkraft erhalten haben
müssten, um auf eigenen Füßen zu stehen, erweist
sich als unrealistisch.
Einschlägige Expertisen sprechen sich deshalb für
eine fördernde Engagementpolitik aus, in der der öffentlichen Hand (Bund, Länder und Kommunen) eine
zentrale Rolle für die Schaffung, Unterstützung und
Verstetigung von Engagement fördernden Infrastrukturen zukommt (vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009, S. 13ff.). Dies entlässt
127
Dialogforum Infrastrukturförderung
zivilgesellschaftliche Organisationen und Wirtschaftsunternehmen nicht aus der Verantwortung. Sie tragen
die Verantwortung für engagementförderliche Rahmenbedingungen in ihren eigenen Organisationen
und sind auch wichtige Partner für die Engagement
fördernden Einrichtungen im Gemeinwesen. So haben viele Infrastruktureinrichtungen Kooperationsmodelle mit Unternehmen entwickelt, in denen sie diese
in ihren Engagementaktivitäten unterstützen und die
Organisation von Freiwilligentagen, Seitenwechseln
etc. zugleich als Dienstleistung „verkaufen“. Auch die
Beratung von gemeinnützigen Einrichtungen in Fragen
des Freiwilligenmanagements wird zum Teil als Dienstleistung erbracht, die zum Einkommen der Infrastruktureinrichtung beiträgt. Die bisherigen Erfahrungen
zeigen allerdings, dass für eine grundständige Absicherung der Infrastruktureinrichtungen und Netzwerke
eine öffentliche Unterstützung notwendig ist.
Koordinierte Engagementpolitik der drei föderalen
Ebenen
Wenn es um eine grundständige finanzielle Förderung der lokalen Engagementförderung geht, sind vor
allem die Kommunen gefragt. Auch wenn sich die Einrichtungen neue Wege zur Finanzierung ihrer Arbeit
erschließen und bereits heute kreative Modelle der
Mischfinanzierung aus verschiedenen Quellen entwickelt haben, wird für viele Einrichtungen eine grundständige Absicherung notwendig sein, um auf dieser
Basis Projekte und Aufträge und damit verbundene
zusätzliche Mittel zu akquirieren. Dabei geht es keineswegs um eine Vollfinanzierung, sondern gefragt
sind Finanzierungsmodelle, die für die Einrichtungen
Anreize schaffen, um mit Projekten, Beratungsleistungen und kreativen Formen des Einwerbens von
Spenden und Sponsoringmitteln zusätzliche Mittel zu
akquirieren.
renzen durch verschiedene Projektförderungen vermieden und die kommunale Ebene gestärkt werden.
Eine solche koordinierte Engagementpolitik muss auf
jeden Fall die unterschiedlichen lokalen Traditionen
und landesspezifischen Pfade der Engagementförderung berücksichtigen.
Finanzielle Unterstützung der Kommunen durch die
Bundespolitik
Damit die Kommunen ihren Auftrag zur Engagementförderung wahrnehmen können, brauchen sie
die Unterstützung durch die Bundesländer und vor
allem durch die Bundesregierung. Eine Bundesförderung dürfte sich allerdings nicht in standardisierten
Instrumenten erschöpfen, sondern sollte so angelegt
sein, dass sie der Eigensinnigkeit des Engagements
gerecht wird. Zielsetzung sollte sein, die Kommunen
in die Lage zu versetzen, in Kooperation mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren vor Ort ihre eigene engagementpolitische Agenda zu entwickeln und umzusetzen.
Im Kontext des „Nationalen Forums für Engagement
und Partizipation“ wurden bereits verschiedene Modelle diskutiert, wie von Seiten des Bundes die kommunale Ebene unterstützt werden könnte. So gab es
die Überlegung für eine öffentliche Sockelfinanzierung, bei der vom Bund 50 Prozent und von den Kommunen jeweils 25 Prozent der Kosten für eine Engagement fördernde Infrastruktur vor Ort übernommen
werden (vgl. Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009, S. 35).
Angesichts der Haushaltssituation vieler Kommunen
und ihrer Aufgabenüberlastung dürfen die Kommunen
in ihrem Auftrag zur Förderung bürgerschaftlichen
Engagements aber nicht allein gelassen werden. Sie
müssen in die Lage versetzt werden, diese Aufgabe
der kommunalen Daseinsvorsorge wahrzunehmen.
Eine kontinuierliche bundespolitische Förderung
kommunaler Strukturen steht allerdings in einem
Spannungsverhältnis zur föderalen Struktur des
Staates und der grundgesetzlich gesicherten kommunalen Selbstverwaltung. Das Grundgesetz räumt den
Städten und Gemeinden eine kommunale Selbstverwaltung „in allen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ ein (Art. 28). Diese Frage nach den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen für
eine Unterstützung der Kommunen durch den Bund
bedarf einer Klärung.
Auf allen föderalen Ebenen sollten – unter Beteiligung
der relevanten zivilgesellschaftlichen Akteure – Engagementförderkonzepte und -strategien entwickelt
werden. Zugleich braucht es aber auch eine stärkere
Koordinierung der verschiedenen Aktivitäten, die von
Kommunen, Bundesländern und der Bundesregierung angeregt werden. Dabei geht es nicht um eine
Vereinheitlichung, sondern mit einem koordinierten
Vorgehen könnten Ressourcen gebündelt, Konkur-
Darüber hinaus lohnt sich ein Blick in andere Politikfelder, in denen es bereits Förderstrukturen und
Instrumente gibt, wo die drei föderalen Ebenen kooperieren. Ein Beispiel dafür, dass auch für die
Unterstützung der Engagementförderung in den
Kommunen relevant sein könnte, ist das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadtteile mit Erneuerungsbedarf: Soziale Stadt“. Es wird unter der Federführung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
128
Dialogforum Infrastrukturförderung
Stadtentwicklung umgesetzt und vom Bund mit mehreren Millionen Euro bezuschusst. Allerdings weist
das Förderprogramm Soziale Stadt auch Probleme
auf, die aus dem stark ausgeprägten städtebaulichen
Fokus oder auch aus der auf zehn Jahre begrenzten
Projektförderung resultieren.
Eigensinn ermöglichen
Der grundlegende Widerspruch der Engagementpolitik, die gängige Praxis staatlicher Förderung mit einer
ermöglichenden und großzügigen Haltung zu verbinden, die den Eigensinn des bürgerschaftlichen Engagements achtet, wurde schon erwähnt. Er ist freilich
nicht beispiellos und unauflöslich. Eine ähnliche Konstellation lässt sich beispielsweise in der Kulturpolitik vorfinden. Durch die grundgesetzlich garantierte
Freiheit der Kunst einerseits und die freiwillige Selbstverpflichtung einer öffentlichen Unterstützung von
Kunst und Kultur andererseits sind Förderverfahren
entstanden, die ganz bewusst Instrumentalisierung
und Überbürokratisierung vermeiden wollen. Viele
kulturelle Einrichtungen können mit einem Budget arbeiten, ohne gegenüber einem Auftraggeber rechtfertigen zu müssen, welche Künstler jeweils ausgestellt
werden, welche Inszenierungen zu sehen sind oder
welche Bücher angeschafft werden. Dieser Vertrauensvorschuss sichert das lebendige, staatlich geförderte Kulturleben in Deutschland, um das uns so viele
andere Nationen beneiden. Eine Freiheit und Eigensinn der Bürgerinnen und Bürger achtende Förderpolitik sollte derartige Grundsätze beherzigen.
5.3 Governance und Beteiligung als Orientierung
für eine Engagementförderpolitik
Vernetzung der bestehenden Infrastrukturen als kommunale Aufgabe
Angesichts der Ausdifferenzierung der lokalen „Engagementlandschaft“ besteht ein kommunalpolitischer
Gestaltungsauftrag darin, Kooperationsstrukturen
und Netzwerke zwischen den verschiedenen Einrichtungen und Zusammenschlüssen zu schaffen, um
Aufgabenüberschneidungen zu vermeiden und Ressourcen zu bündeln. Die Einrichtungen müssen stärker als bislang zusammen arbeiten. Unter dem Dach
der lokalen Engagementförderung sollten gemeinsam Projekte entwickelt und durchgeführt werden,
und der Netzwerkgedanke müsste eine größere Rolle
spielen. Akteure aus Kommunalpolitik und -verwaltung müssen dabei die Moderation dieser Prozesse
übernehmen, die verschiedenen Akteure „an einen
Tisch bringen“, Aushandlungsprozesse ermöglichen
und gemeinsam mit den Akteuren aus den zivilgesell
schaftlichen Einrichtungen Strategien entwickeln, wie
drängende Probleme im Gemeinwesen angegangen
werden können.
Leitbild für eine bürgerorientierte Kommune
Die Maßnahmen zur Infrastrukturförderung sollten
perspektivisch in ein Gesamtkonzept für eine lokale
Bürgergesellschaft eingebunden werden. Für eine
systematisch angelegte lokale Engagementförderung
ist es notwendig, dass die Kommunen selbst über ein
Leitbild oder zumindest grundlegende Vorstellungen
verfügen, welchen Stellenwert bürgerschaftliches
Engagement in ihrer Gemeinde haben soll und wie
Engagement und Beteiligung gefördert werden sollen. Dabei hilft der Blick in andere Kommunen und
lassen sich Anregungen aus anderen Gemeinden
aufgreifen.14 Angesichts der unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten muss allerdings jede Kommune
ihren eigenen Weg in Richtung auf eine lokale Bürgergesellschaft entwickeln (vgl. Christner/Würz/
Vandamme 2007; Jakob/Koch 2007). Dies muss in
Kooperation und Aushandlungsprozessen mit den
Akteuren der Zivilgesellschaft, einzelnen Bürgerinnen
und Bürger ebenso wie Organisationen geschehen.
Wichtige „Bausteine“ einer lokalen Engagementförderung, die für alle Kommunen gelten, sind dabei die
Entwicklung einer angemessenen Anerkennungskultur, umfassende Beteiligungsmöglichkeiten für die
Bürgerinnen und Bürger und professionell geführte
Infrastruktureinrichtungen, die zur Sicherstellung einer kontinuierlichen und fachlich fundierten Arbeit auf
hauptamtliches und ehrenamtliches Personal angewiesen sind.
Beteiligung und Kooperation von Anfang an
Vor allem ist es wichtig, Beteiligungsstrukturen schon
in den Formulierungsprozess lokaler Engagementpolitik konstitutiv einzubauen. Hierfür gibt es gelungene
Beispiele: So setzt beispielsweise das Programm
LEADER+, eine Initiative der EU zur Stärkung ländlicher Raume, voraus, dass sich lokale Aktionsgruppen aus Politik und Verwaltung gemeinsam mit
Bürgerinnnen und Bürgern bilden, um sich an der
Analyse der bestehenden Defizite und Chancen und
der daraus resultierenden Maßnahmeentwicklung
zu beteiligen. Ähnliches gilt für Dorferneuerungsprozesse in einzelnen Bundesländern (z.
B. Thüringen, Hessen, Niedersachsen, RheinlandPfalz). In Bayern beispielsweise setzt die Förderung
einzelner Maßnahmen der Dorferneuerung voraus,
dass „einfache“ Bürgerinnen und Bürger gemeinsam
mit Vertretern aus Politik und Verwaltung in einem
professionell moderierten Prozess zunächst einen
129
Dialogforum Infrastrukturförderung
Dorfentwicklungsplan für ihr Dorf entwickeln und diesen dann öffentlich zur Diskussion stellen, bevor einzelne Maßnahmen finanziert werden.
Diese systematische Berücksichtigung des Governance-gedankens schon zu Beginn und als Teil des Förderverfahrens mag zunächst Mehrarbeit verursachen.
Sie regt aber dazu an, sich über die notwendige Strukturentwicklung vor Ort abzustimmen und sorgt für eine
bessere Nachhaltigkeit, bevor man sich oft unreflektiert
in Fördertöpfen bedient, die den Infrastrukturaufbau des
bürgerschaftlichen Engagements nicht voranbringen.
5.4 Förderinstrumente und -kriterien
Kommune als koordinierende Instanz
In den Förderrichtlinien des Modellprogramms Mehrgenerationenhäuser findet sich der richtige Gedanke,
den neuen Einrichtungstyp mit schon bestehenden
Einrichtungen (beispielsweise Kindergärten, Seniorenbüros, Mütterzentren etc.) zu verknüpfen, anstatt
wieder eine völlig neue Institution ins Leben zu rufen.
Diese Empfehlung könnte auch bei der nachhaltigen
Förderung von Infrastrukturen eine Rolle spielen, um
eine weitere Differenzierung der Engagementszene
zu vermeiden. Anlaufstellen können an Bürgerbüros,
Dorfläden, Bürgerhäusern, soziokulturellen Stadtteilzentren etc. „angedockt“ werden. U. E. sollten im
Hinblick auf eine Förderung nachhaltiger Infrastrukturen zunächst die Kommunen als Adressaten angesprochen werden. Damit erhält die Kommune die
Federführung im Verfahren der Beantragung. Wen
die Kommune dann bei der Formulierung der lokalen
Engagementpolitik einbezieht bzw. wer sich schließlich als Träger von Infrastrukturen herausbildet, sollte
dem lokalen Diskussionsprozess überlassen bleiben.
Dieses wird beim derzeit laufenden Förderverfahren
zu Koordinierungsstellen des bürgerschaftlichen Engagements im ländlichen Raum in Bayern eingesetzt
wie beim Bundesmodellprogramm „Aktiv im Alter“.
Auch in dem Programm Soziale Stadt sind die Kommunen von Anfang an beteiligt und müssen selbst
ein Konzept für ihre Beteiligung und ihren Beitrag zur
Verbesserung der Infrastrukturen in einem Stadtteil
vorlegen. Dieses Verfahren der Erstansprache der
Kommune und die damit verbundene verantwortliche
Koordinierungsrolle sowie ihre finanzielle Eigenbeteiligung an den jeweiligen Projekten erhöht die Chance
für eine nachhaltige Sicherung.
Vereinfachung der Antragsverfahren
Anlaufstellen und Netzwerke haben es häufig mit unterschiedlichen Formen der Förderung zu tun: Immer
130
häufiger ergänzen kurzfristige Werkverträge, die ein
eindeutiges Auftraggeber-Auftragnehmer-Verhältnis
konstituieren, die „klassischen“ Zuwendungsarten.
Diese Konstellationen können dem Gedanken einer
Partnerschaft auf Augenhöhe (die auch Kritik vertragen muss) zuwiderlaufen. In den kommenden Jahren wird es in der Unterstützung der Zivilgesellschaft
darauf ankommen, den Begriff des ermöglichenden
Staates nicht nur philosophisch und staatsrechtlich,
sondern in der konkreten Förderpraxis mit Leben zu
füllen und möglichst unkomplizierte Verfahren der Beantragung, Ausreichung, Überprüfung und Abrechnung zu entwickeln, die durch Vertrauen gegenüber
den engagierten Bürgerinnen und Bürgern gekennzeichnet sind. Zudem muss berücksichtigt werden,
dass im Prinzip auch Nicht-Professionelle in der Lage
sein müssen, Förderungen zu beantragen und abzuwickeln. Viele gut arbeitende, kleinere Initiativen des
bürgerschaftlichen Engagements (zum Beispiel Migrantenorganisationen) werden durch die bestehenden Förderverfahren eher abgeschreckt und damit
auch systematisch benachteiligt. Des weiteren sollte
bürgerschaftliches Engagement als Eigenmittelanteil
in allen Förderarten anrechenbar sein.
Schaffung eines Fonds zur Engagementförderung
Neben offen zu gestaltenden Förderrichtlinien, die
die Entwicklung einer kohärenten Engagementpolitikstrategie vor Ort einbeziehen, sollte über einen Fonds
als Förderinstrument nachgedacht werden, mit dem
es möglich ist, bei der Beurteilung der Förderanträge
und der Bewilligung der Mittel zivilgesellschaftlichen
Sachverstand einzubeziehen. Derartige Fonds haben
sich auf Bundesebene im Kulturbereich (Fonds Bildende Künste, Darstellende Künste, Soziokultur etc.)
bewährt. Die Vergabekriterien eines derartigen Fonds
sollten offen und flexibel gestaltet werden. Ähnlich
wie bei der Konstruktion mancher EU-Fonds könnte
eine Servicestelle die Antragsteller unterstützen.
Die Anträge könnten sich an folgenden Kriterien
orientieren:
• Kundenorientierung: Wie wird sichergestellt, dass
Bürgerinnen und Bürger leicht und transparent an
die für ihr Engagement wichtigen Informationen
gelangen?
• Anerkennung: Wie werden kommunale Verbesserungen in der Anerkennungskultur unterstützt?
• In welcher Weise kann die zu fördernde Infrastruktureinrichtung einen Beitrag zu Vernetzung und
Kooperation in der lokalen Engagementszene leisten? Inwieweit ist sie selbst in einem lokalen Netzwerk verankert?
Dialogforum Infrastrukturförderung
• Nach welchen Maßstäben und Standards soll Beratung und Vermittlung stattfinden?
• Inwiefern beteiligt sich die zu fördernde Infrastruktureinrichtung an der Weiterentwicklung der
„Engagementszene“ vor Ort (Entrepreneurship
– Modernisierung der vorhandenen Engagementlandschaft; Umsetzung neuer Ideen)?
• Wie kann eine zu fördernde Infrastruktureinrichtung zu einer Verbesserung der Fortbildungsmöglichkeiten vor Ort (für Haupt- und Ehrenamtliche)
beitragen?
• Welchen Beitrag können Infrastruktureinrichtungen
zur Sicherung der Standards für ehrenamtliche
Mitarbeit bzw. zu ihrer Qualitätsverbesserung in
den vielfältig vorhandenen lokalen Engagementbereichen beitragen?
5.5 Netzwerkbildung unterstützen
Neben Infrastruktureinrichtungen sind Netzwerke
ein zweiter wichtiger Baustein der Engagementlandschaft. Um eine dauerhafte Plattform zur zivilgesellschaftlichen Artikulation und Weiterentwicklung der Engagementpolitik zu garantieren, sollten
zivilgesellschaftliche oder trisektorale Netzwerke
zumindest auf Bundes- und Länderebene bestehen. Sie sollten Politik und staatliche Verwaltung
bei der Weiterentwicklung engagementpolitischer
Strategien unterstützen und hierbei den zivilgesellschaftlichen Diskurs fokussieren und öffentlich
machen. Die konkrete Gestalt der Netzwerke wird
sich entsprechend der jeweiligen personellen, lokalen, regionalen, landestypischen und bundesweiten
Gegebenheiten unterscheiden. Ihre Organisation
erfordert auf jeden Fall ein Netzwerkmanagement
und dafür qualifiziertes Personal.
Anmerkungen
1 Vgl. auch die Ergebnisse des Nationalen Forums
für Engagement und Partizipation (Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement 2009a, S.
13f. und S. 28 ff.).
2 Wie weit hier die Positionen auseinander liegen,
konnte man an der Diskussion um die Gesetzesinitiative „Hilfen für die Helfer“ der letzten Bundesregierung erkennen, die zwischen einer faktischen
Abschaffung des Status der Gemeinnützigkeit
über vorsichtige Korrekturen des Gemeinnützigkeitsrechts bis hin zu dessen massiver Ausweitung hin und her wogte.
3 Förderungen durch Bundesfonds bestehen beispielsweise im Kulturbereich (Fonds Soziokultur,
Fonds Darstellende Künste etc.). Zur Idee, einen
Fonds für die Förderung des bürgerschaftlichen
Engagements einzurichten vgl. Backhaus-Maul/
Nährlich/Speth (2009).
4 Vgl. www.bagfa.de; Zugriff am 20.01.2010.
5 Vgl.
www.seniorenbueros.org.;
Zugriff
am
20.01.2010.
6 Mit der Zahl 212 sind die Selbsthilfekontaktstellen
erfasst, deren Hauptaufgabe in der Selbsthilfeunterstützung besteht. Darüber hinaus gibt es weitere 59 Einrichtungen, in denen die Selbsthilfeunterstützung lediglich eine Nebenaufgabe darstellt
(vgl. Thiel 2008).
7 Vgl. www.lokale-buendnisse-fuer-familie.de; Zugriff am 20.01.2010.
8 Vgl. www.mehrgenerationenhaeuser.de; Zugriff
am 20.01.2010.
9 Der Länderspiegel Bürgerstiftungen der Aktiven
Bürgerschaft weist 237 Bürgerstiftungen mit einem
Gesamtvermögen von rund 110 Mio. Euro aus, die
den „10 Merkmalen einer Bürgerstiftung“ des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen entsprechen
(vgl. Polterauer u. a. 2008). Diese Merkmale sollen die Unabhängigkeit der Bürgerstiftungen von
Partikularinteressen seitens der Kommunen, der
Geldinstitute oder einzelner Stifter sicherstellen.
Über das Gütesiegel des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, das beantragt werden muss und
von einer Jury für die Dauer von zwei Jahren vergeben wird, verfügten allerdings nur 166 Bürgerstiftungen (vgl. www.die-deutschen-buergerstiftungen.de; Zugriff am 27. Februar 2009).
10 Die Arbeitsgemeinschaft des Bürgerschaftlichen
Engagements (ARBES) ist ein freiwilliger Zusammenschluss von bürgerschaftlich engagierten
Gruppierungen in Baden-Württemberg, in der sich
vor allem lokale zivielgesellschaftliche Inititativen,
aber auch unabhängige landesweite Verbände der
Engagementförderung
zusammengeschlossen
haben (www.arbes-bw.de).
11 Die Evaluation des Landesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement findet sich als Download unter www.wir-fuer-uns.de.
12 Im Rahmen des vorliegenden Gutachtens kann
nicht die gesamte Bandbreite an Netzwerken
und Dachorganisationen erfasst werden, die mit
Engagementförderung befasst ist. Eine wichtige
Rolle spielen auch thematisch ausgerichtete Netzwerke wie das Unternehmen Partner der Jugend
(UPJ) und das Centrum für Corporate Citizenship
Deutschland (CCCD), die mit der Aufgabe befasst
sind, Corporate-Citizenship-Aktivitäten zu befördern. Auch ältere Organisationen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen
(BAGSO) weisen netzwerkartige Strukturen auf.
Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.
131
Dialogforum Infrastrukturförderung
13 Zur Aufstellung der Maßnahmen der Engagementpolitik des Bundes und der einzelnen Bundesländer seit 2002 vgl. Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend (2009), S. 150-154
und S. 160f.
14 Leitbildentwicklung und die dazu notwendige
Organisation der lokalen Diskurse sind in der
bayerischen Dorferneuerung schon Teil der Förderung (vgl. Bayerisches Staatsministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 2009).
In staatlich geförderten Schulen der Dorf- und
Landentwicklung wird hierfür professionelle Moderation zur Verfügung gestellt. Fortbildungen,
Tagungen, kollegiale Beratungen mit anderen
Kommunen, Exkursionen zu gelungenen Beispielen könnten analog zur Dorferneuerung auch den
Prozess der Formulierung einer lokalen Engagementpolitik flankieren.
Literatur
• Backhaus-Maul, Holger/Nährlich, Stefan/Speth,
Rudolf (2009): „In eigener Regie! Plädoyer für eine
bessere (Selbst-)Steuerungs- und Leistungsfähigkeit der Bürgergesellschaft“. In: http://www.aktivebuergerschaft.de/vab/resourcen/Denkschrift_Buergergesellschaft_2009.pdf.
• Bayerisches Staatsministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten (2009): Ländliche Entwicklung in Bayern. Dorferneuerungsrichtlinien
DorfR 2009. In: www.landentwicklung.bayern.de.
• Bertelsmann Stiftung (2008) (Hg.): Grenzgänger,
Pfadfinder, Arrangeure. Mittlerorganisationen zwischen Unternehmen und Gemeinwohlorganisationen, Gütersloh.
• Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars (2010): Die kommunale Ebene. In: Olk, Thomas/Klein, Ansgar/Hartnuß, Birger (Hg.) Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe.
Wiesbaden. S. 382-403.
• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (2007) (Hg.): Miteinander – Füreinander. Initiative ZivilEngagement.Berlin.
• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend (2009) (Hg): Bericht zur Lage und zu
den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland. Wissenschaftszentrum
Berlin für Sozialforschung (WZB), Projektgruppe
ZivilEngagement. Berlin.
• Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
(2005): Zukunftstrends der Bürgergesellschaft. Ein
Diskussionspapier des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement, beschlossen vom Koordinierungsausschuss. Berlin.
132
• Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
(2009a) (Hg.): Nationales Forum für Engagement
und Partizipation. Erster Zwischenbericht. Berlin.
• Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (2009b) (Hg.): Auf dem Weg zu einer nationalen Engagementstrategie – Perspektiven und
Positionen. Materialien und Dokumente. Band 2.
Berlin.
• Bundesverband Deutscher Stiftungen (2007): StiftungsReport 2007. Schwerpunkt: Bürgerstiftungen.
Berlin.
• Centrum für Bürgerschaftliches Engagement in
Kooperation mit Martin Rüttgers, Politikberatung
und Forschung (Hrsg.) (O.J.): Netzwerke der Engagementförderung in Deutschland. Eine explorative
Studie mit dem Schwerpunkt der Förderpraxis in
den Bundesländern. Im Auftrag des Ministeriums
für Generationen, Familie Frauen und Integration.
www.politikberatung-ruettgers.de.
• Christner, Agnes/Würz, Stephan/Vandamme,
Ralf (2007): Freiwilliges Engagement fördern. Ein
neues Aufgabenprofil für kommunale Fachkräfte.
In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen,
20. Jg., Heft 2, S. 153-160.
• Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“, Deutscher Bundestag
(2002): Bericht Bürgerschaftliches Engagement:
auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Opladen.
• Evers, Adalbert/Riedel, Birgit (2004): Engagementförderung mit eigenem Profil. Der Verbund Freiwilligen-Zentren im Deutschen Caritasverband. Hg.:
Deutscher Caritasverband e.V. et al. Freiburg.
• Jakob, Gisela (2010): Infrastrukturen und Anlaufstellen zur Engagementförderung in den Kommunen. In: Olk, Thomas/Klein, Ansgar/Hartnuß, Birger (Hg.) Engagementpolitik. Die Entwicklung der
Zivilgesellschaft als politische Aufgabe. Wiesbaden, S. 233-259.
• Jakob, Gisela (2010a): Neue Kooperationen mit der
Marktplatz-Methode. Ergebnisse einer Evaluation
im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. In: Bertelsmann Stiftung (Hg.): Gute Geschäfte. Marktplätze
für Unternehmen und Gemeinnützige. Gütersloh,
S. 8-39.
• Jakob, Gisela/Koch, Claudia (2007): Lokale Engagementförderung in hessischen Kommunen.
Akteure, Infrastrukturen, Instrumente. Abschlussbericht. Hochschule Darmstadt. In: http://www.
sozarb.hda.de/kontakt/lehrende/prof-dr-giselajakob/index.htm.
• Klie, Thomas/Roß, Paul Stefan (2005): Wie viel Bürger darf’s denn sein!? Bürgerschaftliches Engagement im Wohlfahrtsmix. In: Archiv für Wissenschaft
und Praxis der sozialen Arbeit, Heft 4, S. 20-43.
Dialogforum Infrastrukturförderung
• Klie, Thomas/Roß, Paul-Stefan/Hoch, Hans/Heimer, Franz-Albert/ Scharte, Ulrike (2004): Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt in BadenWürttemberg. 1. Wissenschaftlicher Jahresbericht
2002/2003. In: http://www.zentrum-zivilgesellschaft.de unter Publikationen
• Wachstum, Bildung, Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP für die
17. Legislaturperiode. In: http://www.cdu.de/doc/
pdfc/091026-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf.
• Lang, Susanne (2010): Und sie bewegt sich doch...
Eine Dekade Engagementpolitik auf Bundesebene. In:
Olk, Thomas/Klein, Ansgar/Hartnuß, Birger (Hg.) Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft
als politische Aufgabe. Wiesbaden. S. 329-351.
• Magel, Holger/Franke, Silke (2006): Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern
(LNBE). Evaluierung des LNBE 2003 – 2006, TU
München. In: www.wir-fuer-uns.de.
• Olk, Thomas (2007): Bürgergesellschaft und Engagement älterer Menschen – Plädoyer für einen
Welfare-Mix in der kommunalen Daseinsvorsorge.
In: informationsdienst altersfragen, Heft 02, S. 5-8.
• Olk, Thomas/Klein, Ansgar;Hartnuß, Birger (2010):
Einleitung. In: Olk, Thomas/Klein, Ansgar/Hartnuß,
Birger (Hg.) Engagementpolitik. Die Entwicklung
der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe. Wiesbaden. S. 11-23.
• Polterauer, Judith/Hellmann, Bernadette (2008): 10
Jahre Bürgerstiftung Bewegung in Deutschland. In:
Fundraiser, Winter 2008, S. 56-57.
• Röbke, Thomas (2008): Stärkungskonzept für lokale Engagementförderung im Landkreis München.
In: Der Landkreis, Heft 12, S. 681-683.
• Röbke, Thomas (2008a): Zwischen Graswurzelbewegung und geordneten Strukturen. Lokale Engagementpolitik am Beispiel Nürnberg. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Heft 2, S.99-107.
• Röbke, Thomas (2009): Netzwerke im Bürgerschaftlichen Engagement. In: www.wir-fuer-uns.de.
• Rüttgers, Martin (2010): Netzwerke. In: Olk, Thomas/
Hartnuss, Birger (Hg.): Handbuch Bürgerschaftliches
Engagement. München, Weinheim (im Erscheinen)
• Thiel, Wolfgang (2008): Zur historischen Entwicklung von Gruppenselbsthilfe und Selbsthilfekontaktstellen in Deutschland und die NAKOSDatenbanken GRÜNE und ROTE ADRESSEN. In:
NAKOS: NAKOS Studien. Selbsthilfe im Überblick
2. Zahlen und Fakten 2008. Berlin. S. 38 -43.
• w ww.aktiv-in-berlin.de
• w ww.bagfa.de
• w ww.die-deutschen-buergerstiftungen.de
• w ww.lokale-buendnisse-fuer-familie.de
• w ww.mehrgenerationenhaeuser.de
• w ww.seniorenbueros.org
133
Dialogforum Infrastrukturförderung
Prof. Dr. Heinz-Jürgen Dahme/Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt
Gutachten: Engagementpolitik als Infrastrukturförderung – zur engagementpolitischen Bedeutung und Entwicklung von Verbänden im Sozialsektor
1. Rahmenbedingungen verbandlicher
Engagementpolitik
Die Modernisierung der Freien Wohlfahrtspflege ist
ein schon seit langem stattfindender Prozess. Schon
in den 1980er Jahren begann die Freie Wohlfahrtspflege Entwicklungen zur Effektivitätssteigerung ihrer
Arbeit einzuleiten. Erinnert sei hier an das sogenannte „Sozialmanagement“ (vgl. Müller-Schöll/Priepke
1983) mit dessen Hilfe eine bessere Arbeitsorganisation und Personalführung implementiert werden
sollte. Das Sozialmanagement war ursprünglich ein
intern induzierter Modernisierungsansatz der Freien
Wohlfahrtspflege. In der Zwischenzeit haben alle Träger und Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege
einen intensiven, durch den Sozialgesetzgeber ausgelösten, Modernisierungsprozess durchlaufen, der
die Schaffung eines wettbewerblichen Ordnungsrahmens im Sozialsektor zum Ziel hatte. Die Leitbilder
der Verbände wurden reformiert, Qualitätsprozesse
neu definiert und die Aufsichtsfunktionen neu geordnet. Hierbei ging es primär darum, aus weltanschaulich und sozialpolitisch begründeten gemeinnützigen
Organisationen sozialwirtschaftliche Leistungserbringer zu formen, deren zentrale Aufgabe die Erbringung von professionellen Dienstleistungen ist, die
unter Effektivitäts- und Effizienzkriterien darstellbar
und kontrollierbar sind. Nachdem man innerhalb der
Verbände jahrelang darum gerungen hat, wie man
sich zum wettbewerblich organisierten Sozialsystem
positionieren soll, haben sich nun alle Verbände dazu
durchgerungen, den wettbewerblichen Ordnungsrahmen als notwendige und positive Bedingung ihrer Arbeit anzuerkennen. Damit sind neue (Folge-)Modernisierungsprozesse verbunden, die sich gegenwärtig
auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig vollziehen: uf
der Mikroebene führt der Professionalisierungsschub
der Unternehmen zu einer immer stärkeren Auf- und
Ablösung ihrer wohlfahrtsverbandlichen Einbettung.
Betriebliche Zielgrößen bestimmen zunehmend das
134
Handeln und geraten dadurch in Konflikt mit den
verbandlichen, werteorientierten Zielsetzungen. Zugleich verschärfen sich die verbandsinternen Konkurrenzen auf der lokalen oder regionalen Ebene.
Auf der Mesoebene geht es um ein modernisiertes
Konzept multifunktional bestimmter Verbandlichkeit.
Sozialanwaltschaft und Dienstleistungsorientierung
müssen koordiniert werden, während sich gleichzeitig
die Interessen zwischen Fachverbänden und Dachverbänden auseinander entwickeln. Das Konzept der
kleinteilig versäulten Fachverbände scheint überholt,
und dementsprechend entwickeln sich auf den jeweiligen Sektor bezogen unternehmerisch orientierte
Verbandsstrukturen. Bei den großen konfessionellen
Wohlfahrtsverbänden ist auch die Neubestimmung
des Verhältnisses von Kirche und Verband Teil der
Reformagenda. Auf der Makroebene wird die Frage
der strategischen Positionierung der Freien Wohlfahrtspflege intensiv diskutiert und mit Blick auf die
staatliche Sozialpolitik nach neuen wirksamen spitzenverbandlichen Strukturen gesucht. Die Einbindung der Freien Wohlfahrtspflege und ihrer Einrichtungen in einen wettbewerblichen Ordnungsrahmen
ist mit Dilemmata verbunden, was sich gegenwärtig
auch an dem die Wohlfahrtsverbände tangierenden
Thema der Entwicklung einer nationalen Engagementpolitik nachweisen lässt, in der die Wohlfahrtsverbände erkennbar in die Rolle eines Getriebenen
geraten sind.
Die Wohlfahrtsverbände haben sich – entgegen der
Prognose in der Miegel-Studie (vgl. Ottnad/Wahl/Miegel 2000) – trotz Adaption des Wettbewerbdenkens
und ihrer starken betriebswirtschaftlichen Orientierung nicht zu reinen sozialwirtschaftlichen Akteuren
entwickelt und standhaft – trotz der damit verbundenen organisationsinternen Probleme – an ihrer
Strategie einer multifunktional ausgerichteten Verbandspolitik festgehalten. Sie sehen sich auch weiterhin zugleich als zivilgesellschaftliche Vereinigungen,
Dialogforum Infrastrukturförderung
sozialpolitische Mitgestalter, sozial-anwaltliche Interessenvertretung und Dienstleistungserbringer. Das
Festhalten an dieser Strategie, die zum Selbstbild aller Wohlfahrtsverbände gehört, erhöht allerdings die
Spannungen zwischen der betrieblichen Ebene einerseits und den Einflussmöglichkeiten des Verbandes
andererseits, weil die Träger und Einrichtungen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung (sowohl für
die Gemeinwesenökonomie, aber auch für die Arbeitsmarktpolitik und das Bruttosozialprodukt) zunehmend in die Lage versetzt werden, eigenständig auch
ein verbandspolitisches Mandat wahrzunehmen und
ihre wirtschaftlichen Interessen über eigene Arbeitgeberverbände und Tarifgemeinschaften selbstständig
zu vertreten. In dieser Gemengelage findet gegenwärtig auch die verbandliche Diskussion um die strategische Ausrichtung in der neuen Engagementpolitik
statt: Der hohen normativen Anerkennung einer Engagementpolitik auf der Verbandsebene steht die zivilgesellschaftliche Schwächung der Verbände durch
Prozesse der wirtschaftlich bestimmten Ausgliederung, Privatisierung und Standardisierung der Dienstleistungen gegenüber. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass von einer konsistenten Stellungnahme
zur neuen Engagementpolitik seitens der Verbände
gegenwärtig nicht gesprochen werden kann.
Die Wohlfahrtsverbände können ihre Rolle als unterstützender und kritischer Partner der Politik – auch
bezogen auf die neue Engagementpolitik – nur wahrnehmen (so ihre eigene Einschätzung), wenn es ihnen gelingt, die mittlerweile primär wirtschaftlich ausgerichteten Trägerinteressen so zu koordinieren und
zu organisieren, dass die Dienstleistungserbringung
durch die (Sozial-)Betriebe auch im Interesse der Hilfebedürftigen erfolgt. Leistungserbringung muss demnach vor allem bedürfnisorientiert gestaltet werden,
was durchaus in Widerspruch zu einer effizienzfokussierten Leistungserbringung treten kann. Aus Sicht
der Verbände besteht deshalb, vor dem Hintergrund
ihrer sozialwirtschaftlichen Entwicklung und betriebswirtschaftlichen Erfolge, für die Einrichtungen und
sozialen Dienste vor Ort eine Bringschuld: Da die Leistungserbringung in den zu Sozialbetrieben gewordenen Einrichtungen auch weiterhin durch zivilgesellschaftliches Engagement und Spenden gestützt wird,
geradezu darauf angewiesen ist und dies zukünftig in
noch stärkerem Maße als bislang sein wird, besteht
auch die Notwendigkeit, die in den verschiedenen
Arbeitsfeldern der Verbände erbrachten Leistungen
(bspw. Umfang der Arbeit, Fachlichkeit des Personals, Entgeltstrukturen, Qualität, Wirkungen) transparent zu machen. Durch Strategien des Qualitätsmanagements soll gewährleistet werden, dass sich die
Wohlfahrtsverbände in der Öffentlichkeit als Quali
tätsgaranten ausweisen, denen es gelingt, effiziente
Dienstleistungsorientierung, Fachlichkeit der Arbeit in
den Sozialen Diensten sowie Werte- und Mitgliederorientierung miteinander zu verknüpfen.
Da Wohlfahrtsverbände auch weiterhin – wenn auch
mit sinkender Tendenz – mitgliedschaftlich verfasste
Organisationen sind und darüber hinaus ein hohes
Maß an bürgerschaftlichem Engagement organisieren
und binden, bedarf es staatlicher Regelungen, einerseits um diese zivilgesellschaftliche Funktion (angesichts ihrer abnehmenden Bedeutung) zu stärken, andererseits aber auch, um die hier zivilgesellschaftlich
geleistete Arbeit (im Rahmen der Wohlfahrtsverbände)
für den Sozialstaat und das Gemeinwesen transparent
zu machen. Aus verbandlicher Sicht ist es deshalb
notwenig, für die Bürgerinnen und Bürger, die sich in
den Diensten der Freien Wohlfahrtspflege engagieren,
einen rechtlichen und finanziellen Handlungsrahmen
zu schaffen, der durch entsprechende zuwendungsrechtliche Regelungen unterfüttert werden muss.
Mehr Transparenz über Organisation der Arbeit und
Leistungserbringung in den Sozialverbänden (sowohl
durch Professionelle wie durch Ehrenamtliche) sowie
öffentliche Rechnungslegung über Kosten und Nutzen
Sozialer Dienste könnten dazu beitragen, das Vertrauen in den Gemeinwohlbezug der Verbände zu stärken.
1.1 Zur Empirie des Bürgerschaftlichen
Engagements
Die Anzahl der ehrenamtlich Tätigen in der Freien
Wohlfahrtspflege beträgt nach der Gesamtstatistik
der BAGFW (Gesamtstatistik 2008) ca. 2,5 - 3,0 Mio.
Menschen. Bezogen auf 2008 sind den Verbänden
der Freien Wohlfahrtspflege 34.817 Selbsthilfegruppen angeschlossen oder werden von der Freien
Wohlfahrtspflege angeboten und unterstützt (vgl.
Abb. 1). Gegenüber 2004 hat sich diese Zahl kaum
verändert. Auch im längerfristigen Zahlenvergleich
(siehe die Erhebung von 1996) pendeln sich die Zahlen bei knapp unter 35.000 Selbsthilfegruppen und
Gruppen bürgerschaftlichen Engagements ein. Im
Bereich der Selbsthilfegruppen und Gruppen bürgerschaftlichen Engagements finden sich nur wenig
hauptamtlich Beschäftigte. 2008 waren es 6.708 Beschäftigte, zwei Drittel davon in Teilzeitbeschäftigung.
Auch diese Zahlen sind gegenüber der Erhebung von
2004 konstant. Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände
bspw. haben keine natürlichen Mitglieder, ebenso die
Parität. Die Volkssolidarität (VS) bspw., die Mitglied
in der Parität ist, organisiert in Ostdeutschland ca.
300.000 Mitglieder, die jedoch in der Gesamtstatistik
nicht auftauchen, da dort nur die Parität als Dachverband von Mitgliedsorganisationen Berücksichtigung
135
Dialogforum Infrastrukturförderung
Abb. 1: Selbsthilfegruppen und Gruppen des bürgerschaftlichen Engagements in der Freien Wohlfahrtspflege 1977 - 2008, Quelle: BAGFW 2008, S.14 40000
35000
34914
30000
25000
25327
20000
34923
34817
28397
27362
22120
15000
10000
5000
9828
0
1977 1984
1987
1990
findet. Insgesamt kann man von ca. 4 - 5 Mio. natürlichen Mitgliedern in Untergliederungen der Freien
Wohlfahrtspflege ausgehen (vgl. dazu auch Boeßenecker 2005), die nur zum Teil identisch sind mit den in
den Verbänden tätigen Ehrenamtlichen.
2. Bausteine einer verbandlichen
Engagementpolitik
2.1 Die Auseinandersetzung um das
Gemeinnützigkeitsprinzip
Die Organisationsstrukturen in der Freien Wohlfahrtspflege einerseits gemeinwesenbezogene „gemischtwirtschaftliche“ Strukturen auf der örtlichen
Ebene mit entsprechend kleinteiligen unternehmerischen Größenordnungen und einflusspolitisch
organisierte Verbandsstrukturen auf Landes- und
Bundesebene andererseits. Sie sind Resultat des
Korporatismus im organisierten Wohlfahrtskapitalismus (der sog. „mixed economy“), als der Freien
Wohlfahrtspflege noch der Status eines exklusiven,
bevorzugten Partners des Sozialstaates zuerkannt
wurde, dessen Expertise bei der programmatischen
Ausgestaltung der sozialen Daseinsvorsorge und
bei der fachlichen Entwicklung der gesetzlichen
Grundlagen des Sozialstaates gefragt war wie auch
bei der Umsetzung der wohlfahrtsstaatlichen Aufga136
1996
2000
2004
2008
ben vor Ort bevorzugt Berücksichtigung fand. Diese
bevorzugte Stellung der Freien Wohlfahrtspflege ist
durch den wettbewerblichen Ordnungsrahmen geschwächt worden. Das Gemeinnützigkeitsprinzip,
Folge der sozialstaatlich verankerten Anerkennung
der Freien Wohlfahrtspflege und ihrer Einrichtungen
als Partner des Sozialstaates (Subsidiaritätsprinzip), ist weiterhin in Kraft und stärkt bis heute die
Stellung der Freien Wohlfahrtspflege gegenüber anderen Leistungserbringern im Sozialsektor (bspw.
privat-gewerblichen Anbietern von sozialen Dienstleistungen), so die Schlussfolgerung aus wettbewerbsbezogener Perspektive.
Die Organisationsstrukturen in der Freien Wohlfahrtspflege stehen in latentem Gegensatz zu den aktuellen
Anforderungen einer vernetzten und Versorgungsketten abbildenden Unternehmensstruktur, deren zentraler Bezugspunkt eine effiziente Dienstleistungsproduktion ist. Die gegenwärtig schon zu beobachtenden
Entwicklungen der Fusionierung und Vernetzung von
Einrichtungen (auch trägerübergreifend) zeigen, dass
die Geschäftsfeldpolitik auch mit der Anforderung verbunden ist, effizientere und (mit Blick auf den Kapitalbedarf) risikoärmere unternehmerische Strukturen der
Hilfeerbringung zu schaffen. Die Wohlfahrtsverbände
sind zweifellos auf dem Weg in die Sozialwirtschaft,
ihre Organisationsstrukturen aber diesem Trend
noch nicht entsprechend restrukturiert. Und auch die
Dialogforum Infrastrukturförderung
sozialrechtliche Privilegierung steht im Widerspruch
zu den neuen nationalen, vor allem aber europapolitischen Gegebenheit. Dabei rückt gegenwärtig vor
allem die Auseinandersetzung um die Tauglichkeit
des Gemeinnützigkeitsprinzips in der deutschen Wohlfahrtspflege in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen und der Modernisierungsanforderungen. Die
Europäische Kommission stuft große Teile der sozialen Dienstleistungserstellung in der Bundesrepublik
als unternehmerische Tätigkeit ein, für die demnach
das Subventionsverbot der EU gilt. Zugleich werden
die Sozialunternehmen gezwungen, ihren Kapitalstock zu erhöhen, um die nötigen Investitionen vornehmen
zu können. Durch diese Entwicklung nimmt der Druck
auf das Gemeinnützigkeitsprinzip zu, weil es aus unternehmerischer Sicht der sozialwirtschaftlichen und
unternehmerischen Entwicklung in den Einrichtungen
Schranken auferlegt.
Es drängt sich die Frage auf, ob das Gemeinnützigkeitsprinzip angesichts des von der EU auch für den
sozialen Dienstleistungssektor geltend gemachten
wettbewerblichen Ordnungsrahmens obsolet geworden ist. Dazu ist es notwendig, den gegenwärtig
vorherrschenden Blick auf Leistungserbringer (also
den Einrichtungen und Diensten, die sich zu Betrieben entwickeln) zu lösen und sich in Erinnerung zu
rufen, welche Bedeutung das Gemeinnützigkeitsprinzip für den Sozialstaat und das Gemeinwesen hat.
Gemeinnützigkeit ist in erster Linie sozialpolitisch zu
verorten: Das Prinzip der Daseinsvorsorge knüpft die
Schaffung und die Weiterentwicklung der sozialen Infrastruktur an den vorhandenen Bedarf und nicht an
die Möglichkeit der Gewinnerzielung. Aus Sicht der
Verbände ist das Gemeinnützigkeitsprinzip ein fundamentales Gestaltungselement der Zivilgesellschaft.
Soziale Dienste gemeinnütziger Anbieter leisten einen wichtigen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt
,und sie erzeugen einen zivilgesellschaftlichen Mehrwert. Allerdings ergeben sich aus verbandlicher Sicht
auch Nachteile aus der ihnen zuerkannten Gemeinnützigkeit, wie bspw. die zeitnahe, satzungsgetreue
Mittelverwendung, die Einschränkung der unternehmerischen Handlungsfähigkeit durch die gemeinnützige Vermögensbildung und das Verbot der Quersubventionierung aus dem gemeinnützigen Bereich in
wirtschaftliche Geschäftsbetriebe.
Aus verbandlicher Perspektive besteht ein enger Zusammenhang zwischen Gemeinnützigkeit und Bürgerengagement: Bürgerengagement ist ein wesentliches Merkmal des Gemeinnützigkeitsregimes des
sozialen Dienstleistungssektors und auch in einem
sich zum Sozialmarkt entwickelnden Sektor langfristig unverzichtbar und durch die Wohlfahrtsverbände
zu organisieren. Und das nicht nur aus finanziellen
Überlegungen. Das Diakonische Werk stellt stellvertretend für die Freie Wohlfahrtspflege fest, dass
Bürgerengagement in der Freien Wohlfahrtspflege
nicht nur finanzpolitisch (Entlastungseffekte) und sozialwirtschaftlich (effizienzbezogen) begründet werden darf und Freie Wohlfahrtspflege sich nicht nur
auf effiziente Leistungserbringung reduzieren darf,
denn ihr Tätigwerden sei „auf der Grundlage der
Menschenwürde, der Solidarität und des sozialen Zusammenhalts mit dem Effekt der Teilhabe der Nutzerinnen und Nutzer bzw. Bürgerinnen und Bürger an
der Gestaltung, Erbringung und Evaluierung sozialer
Dienste“ verbunden. Nutzer und Nutzerinnen sind
dabei sowohl Personen und Gruppen mit besonderem Bedarf als auch darüber hinaus gesamtgesellschaftlich eingebundene Bürger als Akteure der Zivilgesellschaft. Aus verbandlicher Sicht steht damit
das Gemeinnützigkeitsprinzip nicht im Widerspruch
zum Wettbewerbsprinzip, sondern ist Ausdruck einer
nationalstaatlich gewollten Ausprägung desselben,
für dessen Regelungskompetenz die jeweiligen Mitgliedsstaaten der EU zuständig sind. 2.2 Positionierung zu rechtlichen und finanziellen
Rahmenbedingungen der Engagementpolitik
Die Verbände fordern in verschiedenen Stellungnahmen die Verbesserung der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen des bürgerschaftlichen
Engagements. Hierzu gehört in erster Linie die Forderung, das Zuwendungsrecht zu vereinfachen: „Das
staatliche Zuwendungsrecht ist in seiner derzeitigen
Ausgestaltung unübersichtlich und durch ein Übermaß an Bürokratie gekennzeichnet. Es behindert bürgerschaftliches Engagement“ (Teske, Vizepräsident
des DW der EKD). Hierbei soll das Verhältnis des
Staates zu den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege neu justiert werden. Aus verbandlicher Sicht ist
dabei insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich
bei Zuwendungen nicht um Subventionen für private
Vorhaben handelt, sondern um anteilige Beiträge der
öffentlichen Hand zur Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben. Das Proprium der Zuwendungsempfänger des
Dritten Sektors sei deshalb in der Zwecksetzung, der
Mittelverwendung und ihrer Kontrolle angemessen zu
wahren. Gefordert wird durch die Verbände die Ersetzung der Fehlbedarfsfinanzierung durch eine Festbetragsfinanzierung und die Anerkennung des von den
Verbänden aktivierten bürgerschaftlichen Engagements als Eigenmittel, die Erleichterung der Förderung mehrjähriger Projekte und die Abschaffung des
Besserstellungsverbotes. Die Dachverbände haben
hierzu eigens eine Projektgruppe „Reform des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts“ eingesetzt, die
137
Dialogforum Infrastrukturförderung
an Vorschlägen zur Vereinfachung und Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts
sowie an einer Selbstverpflichtung des Dritten Sektors zu mehr Transparenz arbeitet. Im Spendenrecht
soll eine Vereinfachung der Zuwendungsbescheinigungen mit dem Ziel der Vermeidung unnötiger Overhead- bzw. Organisationskosten erfolgen.
Die Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereins- und
Stiftungsvorständen soll begrenzt werden. Gefordert wird eine Beschränkung der Haftung auf grobe
Fahrlässigkeit und Vorsatz sowie für nicht abgeführte
Steuern und Sozialabgaben. Einzelne Verbände wie
die Diakonie möchten bürgerschaftliches Engagement in Form von Zeitspenden auf Bundesebene als
Eigenmittel anerkannt haben.
2.3 Neue engagementpolitische Instrumente
und Konzepte in den Sozialverbänden
a) Internet1
Das Internet spielt eine zunehmende Rolle in der
Beratung und Unterstützung von Freiwilligen. Dabei
wird es in erster Linie als Forum genutzt, die Angebote der Freiwilligenarbeit bekannt zu machen, die
Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern und Hinweise
auf bestehende Organisationsformen zu geben. Die
Nutzung des Internet als eigenständiges Kommunikations- und Austauschforum mit Chat-Funktionen, als
Gruppenersatz, ist dagegen bislang wenig entwickelt
und wird teilweise auch aus inhaltlichen bzw. datenschutzrechtlichen Gründen als nicht sehr sinnvoll
angesehen. In einigen Verbänden wird daran gearbeitet, das bestehende Internetangebot zu erweitern.
Gegen diese Entwicklung wird häufig kritisch hervorgehoben, dass das Internet die Konsumentenorientierung innerhalb des bürgerschaftlichen Engagements
verstärke, insbesondere in Hinblick auf Engagementformen, die der Selbsthilfe zuzurechnen sind. Vielen
Menschen genüge es, sich die sie interessierenden
Informationen im Internet zu beschaffen, und für ein
weitergehendes Engagement (bspw. in einer Selbsthilfegruppe) habe man dann keine Veranlassung
mehr. Keineswegs bestätigt wird in Verbandsbefragungen allerdings die These, das Internet könne mittelfristig die Funktion der Gruppe als Austauschorgan
ersetzen. Die psychologische Funktion individueller
Unterstützung im persönlichen Kontakt wird nach wie
vor nachgefragt und entwickelt sich parallel zu der
feststellbaren Konsumentenorientierung eines Teils
der engagementinteressierten Bevölkerung. Einzelne Verbände (der Paritätische bspw.) arbeiten intensiv an der Qualifizierung ihres Internetangebots und
sehen hierin eine wichtige Plattform-Funktion für das
bürgerschaftliche Engagement.
138
b) Bürgerschaftliches Engagement und Migration
Eine Verstärkung der Migrantenorientierung in der
Förderung und Aktivierung von bürgerschaftlichem
Engagement wird seit einigen Jahren heftig gefordert
und in einzelnen Verbänden mit Bezug auf neue Aufgaben (z. B. Selbsthilfe) diskutiert. Ein Vorwurf lautet, die bestehenden Infrastruktureinrichtungen seien
überwiegend auf den deutschen Kulturkreis ausgerichtet, und in Folge dessen könnten zu wenig Menschen mit Migrationshintergrund für Engagement
aktiviert werden. In Deutschland sind auf lokaler Ebene gegenwärtig einige tausend Migrantenselbstorganisationen (MSO) tätig, die Engagement im Rahmen
ihres jeweiligen Kontextes fördern. Diese MSOs sind
vorwiegend mit kulturellen, schulischen und freizeitbezogenen Aktivitäten befasst. „Die Verknüpfung der
MSO mit der etablierten und gesetzlich verankerten
gesundheitsbezogenen Selbsthilfeunterstützung über
eine der vielen Selbsthilfekontaktstellen scheint kaum
zu existieren“ (Kofahl 2007).
Dabei muss zwischen dem Begriff der Migrantenselbsthilfe und Migrantenselbstorganisation unterschieden werden: Migrantenselbstorganisation
entstehen und arbeiten im Wesentlichen bezogen auf
soziale und politische Zielsetzungen. Eine Vielzahl
von MSO haben demnach gesellschafts- und sozialpolitische Bezugspunkte.
Was sich in den letzten Jahren geändert hat, ist in erster Linie die „Wahrnehmung bei den deutschen Akteuren.“ Bis in die jüngste Zeit hinein wurden die MSOs
politisch kaum gefördert, es sei denn über ABM und
das Programm Arbeit statt Sozialhilfe im Rahmen des
alten BSHG. Diese Förderung hat zu einer Professionalisierung der Verbandsarbeit in den MSOs geführt.
Versuche der MSOs, eine den Spätaussiedlern vergleichbare Förderung zu erhalten, sind immer wieder
abgelehnt worden und erst in jüngster Zeit – mit dem
starken Rückgang von neuen Spätaussiedlern – beginnt die Politik auch die MSOs zu fördern. Die bestehenden Infrastruktureinrichtungen der Verbände
spielen dabei allerdings kaum eine Rolle.
3. Organisationsentwicklung in der Freien Wohlfahrtspflege mit Bezug auf Engagementpolitik
Blickt man auf die Modernisierungsbestrebungen der
einzelnen Verbände, so ergeben sich in knapper Zusammenfassung folgende Akzentsetzungen:
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) hat auf die veränderten
Rahmenbedingungen im Sozialsektor mit einer umfassenden
verbandspolitischen
Reorganisation
Dialogforum Infrastrukturförderung
reagiert. Diese besteht im Kern in einer Qualifizierungsoffensive zur Institutionalisierung einer AWOQualitätspolitik und einer AWO-Qualitätssicherung
in Verbindung mit einer AWO-Wettbewerbsstrategie
zur Zukunftssicherung des Verbandes (vgl. Brückers
1998). Ziel der Qualitätsoffensive ist es, ein Auseinanderfallen des Verbandes zu verhindern und die
Arbeiterwohlfahrt zu einem „unverwechselbaren Gütezeichen“ zu entwickeln. In der Ökonomisierung des
Sozialsektors wird die Gefahr einer Entwicklung der
Verbände zu professionellen Dienstleistern gesehen,
die den Gemeinwesenbezug und das Engagement
verdrängen könnte: „Die rapide Umformung der Verbände in professionelle Dienstleistungsunternehmen
lässt das Augenmerk auf die Qualität der Leistung,
die Bedürfnisse der ‚Kunden‘ und auf den wirtschaftlichen Erfolg richten. Professionalität begründet sich
dabei immer weniger in weltanschaulichen Positionen, sondern im fachlichen Können. Es wird in den
Verbänden gezwungenermaßen in ökonomischen
Kategorien gedacht, und die Verantwortlichen in den
Vorständen und Geschäftsführungen sind vorwiegend mit Fragen des Organisationsmanagements
zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der professionellen Arbeitsfelder ausgelastet“ (Pott 2000, S.
7). Ein zentrales Ziel der Organisationsentwicklung
in der AWO ist die Stärkung des bürgerschaftlichen
Engagements. Dies erfordert aus Verbandssicht ein
professionelles Management, das in einer zweifelsfreien Zuständigkeit auf der Führungs- und Leitungsebene seinen sichtbaren Ausdruck findet. Ihre Festlegung beinhaltet Kompetenzen über finanzielle und
personelle Ressourcen. Sie ist Teil des definierten
Anforderungsprofils der betreffenden Funktion. Ein
wesentlicher Aspekt der Wertschätzung von Engagement ist aus Sicht der AWO die Einbeziehung in das
verbandliche und betriebliche Informations- und Kommunikationssystem. Die Beteiligung der Engagierten
bzw. Ehrenamtlichen am Informationsaustausch und
an für ihre Aufgabenwahrnehmung relevanten Gremien zählt zu den Maßstäben einer willkommenen
Mitarbeit auf Augenhöhe. Kritisch weisen führende
Verbandsvertreter darauf hin, dass der Aufbau eines
neuen Freiwilligenmanagements in erster Linie von
der Einstellung und dem Problembewusstsein einzelner Geschäftsführungen, Vorstände oder Einrichtungsleitungen abhängt. Eine verbandspolitisch abgestimmte und verbindliche strategische Ausrichtung
zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements
existiert nicht. Um dieses Defizit zu überwinden ist
im Rahmen der Verbandsentwicklung ein Pilotprojekt in einem größeren Bezirksverband durchgeführt
worden, zu dem neben der Entwicklung von zielgruppenspezifischen Standards die Identifizierung von
verbandspolitischen Qualitätsstandards gehört. Bei
der Festlegung der zielgruppenspezifischen Standards wurde versucht, vorrangig durch die Brille der
Engagierten zu gucken. Bei den verbandspolitischen
Qualitätsstandards wurde darauf geachtet, einen Gestaltungsrahmen für bürgerschaftliches Engagement
in den verschiedenen Arbeitsbereichen und Verbandsebenen zu erreichen. Hierzu gehören Standards wie
„Bürgerschaftliches Engagement wird als integrative
Querschnittsaufgabe in allen Verbands- und sozialen
Dienstleistungsorganisationen festgelegt“ und „Die
Maßnahmen zur Förderung des bürgerschaftlichen
Engagements werden auf ihren Erfolg hin überprüft
und weiter entwickelt“.
Der Deutsche Caritasverband (DCV) sieht in der Veränderung fachlicher, politischer und ökonomischer
Rahmenbedingungen einen zwingenden Grund zu
einer Überprüfung der Leistungsfelder der verschiedenen Ebenen caritativer Organisationen und der
Kommunikation und Kooperation zwischen diesen
Ebenen (vgl. Zentralrat des DCV). Der Verband will
seine spitzenverbandlichen Funktionen inhaltlich präzisieren und stärken und entsprechend diesen Funktionen die Leistungen der Verbandszentrale optimieren. Die Kooperation und Kommunikation zwischen
der Verbandszentrale des DCV einerseits und den
Geschäftsstellen der Diözesan-Caritasverbände,
der zentralen caritativen Fachverbände und caritativen Bundesarbeitsgemeinschaften sollen neben
einer verbandspolitischen Orientierung durch eine
leistungsvertragliche Orientierung neu gestaltet und
gestärkt werden. Die Differenzierung von Lobbyarbeit
und Dienstleistung ist innerhalb des DCV ein heftig
diskutierter Bezugspunkt der künftigen Organisationsentwicklung. In seinen strategischen Zielen hat
der Deutsche Caritasverband auch die Neubestimmung der Freiwilligenarbeit akzentuiert. Die zivilgesellschaftliche Verankerung der Caritas zu erhalten,
ist danach ein Hauptanliegen des Verbandes. Aus
Sicht des Verbandes stehen alte und neue Formen
des freiwilligen Engagements nicht in Konkurrenz zueinander, sondern müssen gleichermaßen anerkannt
und gefördert werden.
Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in
Deutschland (DW der EKD) hat nach der deutschen
Einigung verschiedene Phasen der Reorganisation
durchschritten, was durch die Einsetzung einer Struktur- und Personalkommission durch den Diakonischen
Rat symbolisiert wird. Eine neue Zusammenarbeit
zwischen der Bundesgeschäftsstelle, den Landesund Fachverbänden ist vorgesehen. Auf einer zweiten Ebene soll die Zusammenarbeit zwischen der
Bundes- und den Landesgeschäftsstellen sowie den
Diensten und Einrichtungen verbessert werden. Es
139
Dialogforum Infrastrukturförderung
soll stärker in Projektgruppen gearbeitet werden und
die Partizipation der Landesverbände und Dienste
und Einrichtungen soll optimiert werden. Durch Auslagerung von Dienstleistungsbereichen sollen neue
Formen der Kooperation zwischen Verbandszentrale
und Untergliederungen ermöglicht werden. Die Positionierung des DW hinsichtlich der verschiedenen
Freiwilligendienste lässt erstmals auch die Bezugnahme auf das bürgerschaftliche Engagement erkennen.
Im Grundsatzpapier „Freiwilliges Engagement in Kirche und Diakonie“ stellt das DW der EKD fest, dass
die Prägekraft des Engagements in der Gesellschaft
zwar nachlässt, dass aber „viele Menschen durch ihre
ehrenamtliche Tätigkeit auch eine Form finden, ihren
Glauben auszudrücken und zu leben“ (DW 2006, S.
15). Die evangelische Kirche versteht ihren öffentlichen Auftrag als Seelsorge am Gemeinwohl. Daran
nimmt auch das Ehrenamt teil. Offizielle Statistiken
weisen für die Gliedkirchen der EKD knapp eine
Million Ehrenamtliche aus. Davon sind 70% Frauen
(Erhebungsbasis 2002, vgl. Statistik der Ev. Kirche
in Deutschland). Das Ausmaß der Tätigkeit ist dabei
sehr unterschiedlich. So ist das Engagement in Kirchenchören ein Bereich, der in stetem Wachstum begriffen ist. Gleichwohl ist auch im Bereich der Evangelischen Kirche und in der Diakonie seit geraumer
Zeit eine Diskussion darüber im Gange, wie die Rahmenbedingungen für das ehrenamtliche Engagement
verbessert werden können. Dabei seien hier einige
Zielsetzungen genannt:
• Beteiligung: Ehrenamtliche sollten die Möglichkeit
erhalten, mehr Verantwortung zu übernehmen,
bspw. auch im Bereich der Finanzen;
• regelmäßige Nachwuchsgewinnung;
• Begleitung und Ermutigung durch Hauptamtliche
bzw. durch die Gemeindeleitung ist notwendig;
• Rahmen: Oft mangelt es an genügender Bereitstellung von Arbeitsmitteln und Räumen;
• Qualifikation: Aus- und Fortbildung ist nicht nur ein
notwendiges Instrument für die Qualifizierung im
Ehrenamt, sondern zugleich ein für die Ehrenamtlichen wertvolles Element der Gegenleistung für ihr
Engagement. Dies gilt nicht nur im Sinne der Gewinnung von neuen Qualifikationen, sondern auch
mit Blick auf die subjektive Lebensorientierung;
• Anerkennung: Gottesdienstliche Einführung in den
ehrenamtlichen Dienst, Verabschiedung, jährlicher
Tag der Ehrenamtlichen in der Gemeinde sind hier
einige Elemente der ideellen Anerkennung des
Ehrenamts und bringen zum Ausdruck, dass das
Ehrenamt konstitutives Element des Gemeindeaufbaus ist. Es gibt hierzu eine Reihe von Leitlinien
der einzelnen Landeskirchen und Materialien der
Diakonischen Werke.
140
• Finanzierung: Das Ehrenamt soll keine materielle
Vergütung erfahren, allerdings sollten die Auslagen
erstattet werden. Es bedarf darüber hinaus aus
Sicht der Kirche und der Diakonie der stärkeren
finanziellen Ausstattung für verbesserte Rahmenbedingungen (u. a. auch für das hauptamtliche
Personal). Dabei sind auch außerkirchliche Finanzierungsquellen wie Stiftungen und Sponsoring zu
nennen;
• Abgrenzung: Das Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen bedarf aus Sicht der Kirche und der
Diakonie klarer Abgrenzungen und eigener Wertschätzung. Freiwillige sind keine Lückenbüßer,
sondern haben ihr eigenes Profil und bringen ihre
eigenen Kompetenzen ein.
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) befindet sich in
einem umfassenden Prozess der verbandlichen
Reorganisation. Dieser begründet sich aus der Einschätzung des Verbandes, dass die zukünftigen
Rahmenbedingungen im Bereich sozialer Dienstleistungen das DRK vor erhebliche Herausforderungen
stellen wird. Es wird von einem Rückgang der staatlichen Förderung, einem verschärften Wettbewerb
im Sozialsektor und einer wachsenden Nachfrage
nach sozialen Dienstleistungen ausgegangen. Das
DRK hat sich entschieden, seine derzeitigen Strukturen diesen veränderten Rahmenbedingungen anzupassen, insbesondere sich dem im marktfähigen
und nicht-marktfähigen Bereich schärfer werdenden
Wettbewerb zu stellen und mit einer nationalen Aufgabenanalyse (Portfolio) darauf reagiert. Konsequenz
dieser Aufgabenanalyse ist aus Sicht des Verbandes
die Notwendigkeit der Trennung der marktfähigen
von den nicht-marktfähigen Bereichen (unter einem
„gemeinsamen Dach“), die Nutzung von Synergieeffekten und eine effiziente Leistungserbringung und
Mittelverwendung. Die gesamtverbandlichen Reorganisationsmaßnahmen zielen auf
• die finanzielle, personelle und organisatorische
Trennung der sogenannten marktfähigen Aufgaben von den Idealvereinsaufgaben;
• die unverzügliche rechtliche Prüfung und baldige
Einführung geeigneter aufbauorganisatorischer
Modelle (z. B. gemeinnützige Stiftung als Träger
von Sozialbetrieben, Holding etc.);
• d ie Stärkung einer gemeinsamen Unternehmenskultur (insbesondere im Führungs- und
Leitungsbereich).
Im nicht-marktlichen Bereich sollen die dezentralen Strukturen gestärkt und ehrenamtliche Dienste
stärker ausgebaut werden. Ziel des Verbandes ist
der Auf- und Ausbau eines professionellen Perso-
Dialogforum Infrastrukturförderung
nalmanagements für Rotkreuz-Gemeinschaften und
Ehrenamtliche, z. B. über verbesserte Fortbildungsangebote für diese Tätigkeiten. Nach umfänglichen
Debatten hat sich das DRK im Rahmen seiner Strategieentwicklung entschieden, das Spannungsfeld von
marktlichen und nicht-marktlichen Aufgabenfeldern
nicht zu verlassen, sondern in ihm zu bleiben und im
DRK einen gemeinsamen Raum für bürgerschaftliches Engagement zu schaffen, nicht zuletzt, um die
Anerkennung seiner Gemeinnützigkeit zu erhalten.
Aus verbandlicher Sicht sollen neue Wege und Formen, das freiwillige, ehrenamtliche, Bürgerschaftliche
Engagement einzubeziehen weiter entwickelt werden. Bei der Ansprache potentieller Freiwilliger will
sich das DRK bewusst auf Frauen und Männer im höheren Lebensalter, die so genannten „jungen Alten“,
konzentrieren.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) sieht
sich durch die veränderten Rahmenbedingungen im
Sozialsektor ebenfalls vor erheblichen Reorganisationsnotwendigkeiten. Dabei müssen aufgrund der
besonderen Verbandsstruktur die Beziehungen von
Haupt- und Ehrenamtlichen im Verband in den Blick
genommen und die Rolle von Landesverbänden und
örtlichen Mitgliederverbänden geklärt werden. Die
Aktivierung von Engagement und die Kombinierung
der verschiedenen selbstorganisierten Organisationsformen im Verband führen dabei zu unterschiedlichen
Akzentuierungen der innerverbandlichen Strategie
auf der Ebene der Landesverbände. Das Gesamtthema bürgerschaftliches Engagement und dessen Unterstützungsstrukturen spielt in den Landesverbänden
eine wichtige Rolle. Dabei sind einige Länder besonders aktiv in der Engagementpolitik und haben diese
zum Leitthema erklärt. Die Unterstützungsstrukturen
für das freiwillige Engagement im Bereich der Parität weisen keine erkennbaren Überschneidungen zu
dem Bereich der organisierten Selbsthilfe auf und
lassen sich nach Aussage der Mehrzahl der Experten auch nicht für diese mobilisieren. Umgekehrt sind
die Infrastrukturen der Selbsthilfeunterstützung nur
in Ausnahmefällen mit einer weitergehenden Engagementpolitik befasst. Für den Paritätischen handelt
es sich also um ein wichtiges Thema, das aber auf
Grund seiner Nähe zur neuen kommunalen Sozialpolitik, die das in der Bevölkerung vorhandene Engagementpotenzial als sozialpolitische Ressource zu
entdecken beginnt, auch mit Risiken für den Verband
behaftet ist. Diese bestehen in erster Linie darin,
dass die verbandlichen Zwecksetzungen mit den sozialpolitischen Zielen, auf lokaler Ebene GovernanceStrukturen zu schaffen, die sich einem bürgerschaftlich orientierten Sozialstaatsumbau widmen und das
bürgerschaftliche Engagement unter finanziellen Ent
lastungsgesichtspunkten mit der professionellen Hilfe verkoppeln sollen, in Eins gesetzt bzw. vermischt
werden. Die Landesverbände des Paritätischen halten das Thema Selbsthilfe als Teilbereich des bürgerschaftlichen Engagements überwiegend für ein Thema von besonderer verbandspolitischer Wichtigkeit.
Allerdings sind die Unterstützungsstrukturen für die
Selbsthilfe auf Verbandsebene sehr unterschiedlich
ausgeprägt und zum Teil (noch) gar nicht vorhanden.
Teilweise übernehmen Referenten des Verbandes
diesen Aufgabenbereich in Nebenaufgabe, was aus
ihrer Sicht zu einer völlig unzureichenden Unterstützungsmöglichkeit für das Selbsthilfethema im Verband führt. Das Gleiche lässt sich für das Thema
bürgerschaftliches Engagement feststellen, das fast
überall ein von der Selbsthilfe abgesondertes (verbandliches) Eigenleben führt. Auf Verbandsebene
sind nur selten systematisch ausgerichtete Diskussions- und Reflexionsforen vorhanden, die auf Veränderungen in der Gesamtstruktur der Selbsthilfe reagieren könnten und Impulse für die Weiterentwicklung
der Verbandsarbeit geben könnten oder die Themen
Selbsthilfe und bürgerschaftliches bündeln. In einigen
Landesverbänden des Paritätischen sind bereits erste Schritte unternommen worden, um die organisatorischen Binnenstrukturen im Sinne einer Engagement
unterstützenden Verbandskultur weiter zu entwickeln.
Dabei geht es in erster Linie um die Intensivierung
des Dialogs mit den Mitgliedsorganisationen, die in
der Parität als Ebene der Leistungserbringer fungieren und das Engagement organisieren und bündeln,
und deren systematische Integration in die Verbandsarbeit. Es geht aber auch um die konzeptionelle Verkoppelung aller engagementfördernden Strukturen
des Verbandes in extra dafür ausgewiesenen Organisationseinheiten.
4. Verbandliche Engagementpolitik als soziale
Dienstleistung für öffentliche Kostenträger
Dezentralisierte Politikstrategien, Strategien also, in
denen der Bund oder das Land lediglich Rahmenbedingungen formuliert und die programmatische
Ausgestaltung weitgehend der kommunalen Ebene
mit viel Ermessensspielraum überträgt (wie bspw. in
der lokalen Arbeitsmarktpolitik, der lokalen Integrationspolitik, der Politik lokaler Bildungslandschaften
und der auf Inklusion verpflichteten Behindertenhilfe beobachtbar), haben in die nationale Sozialpolitik
Eingang gefunden und mittlerweile auch die Steuerung der Sozialen Dienste erreicht. Gestalt und Erbringungsformen Sozialer Dienste verändern sich dadurch (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2010). Dezentralisierte
Politikstrategien mit Auswirkungen auf die Sozialen
141
Dialogforum Infrastrukturförderung
Dienste und die Wohlfahrtsverbände findet man unter einer Vielzahl von Namen: Kommunalisierung,
Community Organizing, Sozialraumbezug und ähnliches. Ziel dieser Strategien ist es, lokale Ressourcen zu aktivieren und zu bündeln, die politische Steuerung bei der Bearbeitung lokaler Probleme durch
die Kommune zu stärken und effizientere Formen der
Problembearbeitung zu implementieren. Diese Kommunalisierungsstrategien haben auf lokaler Ebene
weitere Dezentralisierungsprozesse zur Folge (z. B.
Sozialraumorientierung), die der Zielsetzung folgen,
lokale Akteure einschließlich der Bürgerschaft für
kommunale Aufgaben zu aktivieren und zivilgesellschaftliche Organisationen und Sozialorganisationen
in die Durchführung der kommunalen Selbstverwaltungsaufgaben einzubeziehen (dieser Ansatz wird als
Local Governance bezeichnet). Local Governance hat
das Ziel, die Kommune und die örtlichen Akteure zu
mehr Eigenverantwortung zu aktivieren und Ansätze
für eine eigenverantwortliche lokale Problembearbeitung zu generieren. Das strategische Management in
Kommunalverwaltungen kann Bestandteil der Local
Governance werden.
Die Propagierung von Local Governance zum neuen
Leitbild der Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung wird dazu beitragen und ist schon jetzt Ursache
dafür, dass das Lokale, das Gemeinwesen, der soziale Nahraum eine politische Aufwertung erfährt und
dadurch zu einem neuen Maßstab der Sozialpolitik
wird: Sozialpolitik, die Regulierung des Sozialen ist
nicht länger exklusives Vorrecht des nationalen Sozialstaats, sondern wird zu einer genuinen Aufgabe
der subnationalen, substaatlichen Ebenen (im Fall
der Bundesrepublik: der Kommunen) erklärt. Diese
Entwicklungen könnte man sehr allgemein als Dezentralisierungsprozess sozialstaatlicher Aufgaben
beschreiben. Die alte sozialstaatliche Arbeitsteilung
zwischen staatlicher Politikentwicklung und örtlicher
Politikumsetzung ist brüchig geworden, da von der lokalen Ebene zunehmend erwartet wird, dass sie eigene Ansätze einer eigenverantwortlichen kommunalen
Sozialpolitik entwickelt. Dadurch bahnt sich eine
Transformation sozialstaatlicher Regulation und Organisation durch die Neuordnung von Verantwortung
an, die international als staatliche Devolution, also als
„Tieferzonung“ staatlicher Verantwortung und Richtlinienkompetenz durch Stärkung der Autonomie lokaler
Settings (vgl. Grell 2008) oder als Dezentralisierung,
d. h. als politisch gewollte Aufgabenübertragung an
eigenständige subnationale Selbstverwaltungsebenen (bei uns auch als Kommunalisierung bezeichnet)
wie als Dekonzentration von Verwaltungsaufgaben
(vgl. Wollmann 2010) diskutiert wird. Die Dezentralisierungspolitik von Bund und Ländern stellt für die
142
kommunale Sozialpolitik eine große Herausforderung dar, nicht nur weil sich hier neue Kosten für das
Gemeinwesen abzeichnen, sondern auch weil die
Entwicklung einer autonomen, substaatlichen Sozialund Inklusionspolitik von den Kommunen nur mittels
des Einsatzes neuer Steuerungs- und Handlungsinstrumente bewältigt werden kann.
Die Dezentralisierung von Aufgaben hat in der Bundesrepublik in der Arbeitsmarktpolitik ihren Ursprung
und ist mittlerweile auch fester Bestandteil der neuen Fürsorgepolitik des aktivierenden Staates. In den
1990er Jahren wurde durch die EU eine Reihe von dezentralisierten Fördermaßnahmen angestoßen. Der
Dezentralisierungsgedanke hat seitdem die Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigungsförderung stark beeinflusst. Beobachten lässt sich schon seit längerem:
Arbeitsmarktpolitik ist nicht mehr vorrangig Beschäftigungsförderung, die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt hat Priorität, die Eigenverantwortung der
Arbeitnehmer rückt in den Vordergrund, und durch
die Dezentralisierung der arbeitsmarktpolitischen
Instrumente und Kompetenzen wird die arbeitmarktpolitische Rolle der Kommunen aktiviert. Territoriale
Beschäftigungspakte sollen die zentralstaatliche Arbeitsmarktpolitik ergänzen (z. T. aber auch ersetzen).
Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit setzt man
seitdem verstärkt auf sog. sozialräumliche Lösungen
durch die lokale Gemeinschaft (vgl. Eick u. a. 2004),
wie z. B. die Entwicklung einer lokalen Ökonomie zur
Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für sozial benachteiligte Gruppen.
Da individuelle Hilfebedarfe und die Konzentration
von Armutsproblemen immer kleinräumig auftreten,
spielen in der Dezentralisierungspolitik Sozialräume
und ihre Aktivierung eine herausragende Rolle. Sozialarbeit soll sich dementsprechend zu einer bürgerschaftlichen Sozialarbeit weiterentwickeln, deren
Aufgabe es (auch) wird, die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements im Sozialraum zu betreiben und die Zusammenarbeit mit Bürgern/innen und
zivilgesellschaftlichen Vereinigungen im sozialen
Nahraum zu organisieren, um auf diesem Wege soziale Integrationsaufgaben wahrzunehmen.
Im Rahmen der Neuordnung der Sozialhilfe durch das
SGB XII (aber nicht nur da) wurde das Aktivierungsparadigma für Soziale Dienste verpflichtend, und
Hilfeempfänger sind dazu verpflichtet, bürgerschaftliches Engagement zu leisten (was das SGB II als
Pflicht zur Wahrnehmung von Arbeitsgelegenheiten
umschreibt). Durch die Betonung des Subsidiaritätsprinzips (Betonung der Eigenverantwortung und
der primären Zuständigkeit von Familien für materi-
Dialogforum Infrastrukturförderung
elle und soziale Hilfen), bei gleichzeitiger Betonung
des Nachrangprinzips, ist auch die Zivilgesellschaft
aufgefordert, sich in Form von bürgerschaftlichem
Engagement an den Aufgaben der Sozialhilfe zu beteiligen. Dadurch ist die Sozialhilfe anschlussfähig
geworden an den Diskurs über Zivilgesellschaft, Bürgerkommune und bürgerschaftliches Engagement,
der die Neujustierung des Sozialstaates zum aktivierenden Sozialstaat, der eine neue Arbeitsteilung zwischen Bürger, Zivilgesellschaft und Staat sucht, von
Anfang an begleitet hat (vgl. dazu die Berichte der
Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages).
Die Einbeziehung des Bürgers in die sozialstaatliche
Leistungserstellung (sei es nun in Form von Selbsthilfe, familiärer Eigenverantwortung oder zivilgesellschaftlichem Engagement) soll sicherstellen, dass
soziale Arbeit als Koproduktion von professioneller
Hilfe, bürgerschaftlichem Engagement und Eigenarbeit organisiert wird, um damit das freiwillige Engagement in die Leistungskette sozialer Dienste berechenbar einzubauen. Die Verbände reagieren auf
diese Herausforderung in erster Linie durch die Beteiligung bzw. Initiierung von Modellprojekten, die in
unterschiedlichen sozialen Dienstleistungsbereichen
eine dauerhafte Verknüpfung von professionellen Angebotsformen und freiwilligen Leistungen erproben.
Hierbei geht es bspw. in der Behindertenhilfe darum, ein neues fallübergreifendes und sozialraumorientiertes Steuerungs- und Finanzierungsmodell zu
entwickeln, das eine Integration aller professionellen
Akteure in der Region, aber insbesondere die Einbeziehung von Ehrenamtlichen, Bürgerhelferinnen und
–helfern sowie Organisationen und Personen jenseits der Behindertenhilfe ermöglicht. Die sozialprofessionelle Inklusionsarbeit im Stadtteil könnte dabei
anteilig in der Berechnung der Fachleistungsstunden
Berücksichtigung finden. Von den Verbänden bzw.
ihren Trägern und Einrichtungen wird in diesem Zusammenhang gefordert, ihren Fokus um die Perspektive des Sozialraums zu erweitern. Im Rahmen von
Community Organizing soll die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im Stadtteil verbessert werden.
Die verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteure
eines Sozialraums sollen gemeinsam die Verbesserung ihres Lebensumfelds gestalten.
Dezentrale Politikstrategien sind höchst anspruchsvoll, da den Kommunen Aufgaben zuwachsen, mit
denen sie bislang nur peripher beschäftigt waren.
Angesichts der chronisch schlechten finanziellen
Ausstattung der Kommunen ist auch fraglich, ob sie
diese anspruchsvolle Arbeit überhaupt leisten können: nämlich die Substitution des Wohlfahrtsstaates
durch die Wohlfahrtsgesellschaft. Da ein Großteil der
mit diesem Projekt verbundenen Aufgaben (vor allem
die Aktivierung von bürgerschaftlichem Engagement
und deren Vernetzung mit den professionellen Hilfen)
auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips an die
Wohlfahrtsverbände delegiert werden, müssen die
Wohlfahrts- und Sozialverbände verbandliche Strategien zur Aktivierung und sinnvollen Nutzung von Engagement entwickeln. Dieser Aufgabe können sie sich
aufgrund ihres Anspruchs, Gemeinnützigkeitsakteure
zu sein, nicht entziehen. Die Verkoppelung von Entgeltregelungen für die von ihnen erbrachten sozialen
Dienstleistungen mit Bedingungen der Aktivierung
und Einbeziehung von lokalem Engagementpotenzial
seitens der öffentlichen Kostenträger macht es auch
unmöglich, diese Aufgabe nicht zu leisten. Die Wohlfahrts- und Sozialverbände sind demnach gehalten,
eine eigene verbandliche Engagementpolitik zu entwickeln und zu implementieren, wollen sie zum einen
ihren Gemeinnützigkeitsstatus angesichts der weiter
zunehmenden Vermarktlichung des sozialen Dienstleistungssektor nicht verlieren und wollen sie zum
anderen weiterhin als professionelle Dienstleister in
der vorhandenen sozialen Infrastruktur vor Ort tätig
sein. Die Entwicklung verbandlicher Engagementpolitiken ist für die Wohlfahrts- und Sozialverbände eine
Überlebensnotwenigkeit. Herausforderungen bei der
Entwicklung einer eigenständigen verbandlichen Engagementpolitik stellen sich nicht nur aufgrund der
Ziele, Vorgaben und Auflagen durch öffentliche Kostenträger ein, sondern auch durch Besonderheiten,
Eigentümlichkeit, Traditionen und Selbstbilder, die
das schon vorhandene Feld des bürgerschaftlichen
Engagements prägen.
5. Entwicklungstrends und Herausforderungen
für eine verbandliche Engagementpolitik
Seit der Arbeit der Enquete-Kommission „Zukunft
des Bürgerschaftlichen Engagement“ (vgl. EnqueteKommission 2002) ist die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zu einem zentralstaatlich
gesteuerten Anliegen geworden. Engagementförderung, bspw. in Form von Selbsthilfeförderung und der
Schaffung von dazugehörigen selbsthilfefördernden
Infrastrukturen, ist zwar schon länger Aufgabe staatlicher Politik (vgl. Breitkopf/Wohlfahrt 1995), war aber
bis zu diesem Zeitpunkt vor allem Angelegenheit der
Länder und darauf ausgerichtet, Gelegenheitsstrukturen für ein freiwilliges Engagement zu fördern. Seit
der Enquetekommmission, die ihren Auftrag bekanntlich aus der Agenda 2010 der Schröder-Regierung
ableitete und dementsprechend als Instanz eines auf
Aktivierung orientierten Sozialstaatsumbaus agierte, ist Engagementförderung zur Engagementpolitik
weiterentwickelt worden. Selbsthilfe und Engagement
143
Dialogforum Infrastrukturförderung
haben nicht länger – wie zuvor – den Charakter einer
die sozialstaatlichen Leistungen ergänzenden Aktivität, sondern sollen diese langfristig substituieren
oder aber gleichberechtigt neben die professionellen
Leistungsangebote treten und diese entlasten. Deshalb lässt sich von einer etatistischen Wende in der
deutschen Engagementpolitik sprechen, die durch
die Enquetekommission eingeleitet wurde. Im Rahmen der neuen Engagementpolitik ist die Förderung
des bürgerschaftlichen Engagements zu einem härteren Politikbereich geworden, der nicht mehr allein
durch die Ministerialverwaltung gestaltet wird. Die Akteure der Zivilgesellschaft und die Bürgerinnen und
Bürger, die sich auf der neu gestalteten EngagementPlattform betätigen, sehen sich seitdem verstärkt mit
politischen Forderungen und, soweit sie finanzielle
Unterstützung erhalten, auch mit Auflagen konfrontiert, das bei ihnen vorhandene Engagementpotenzial
sozialstaatlichen Zielen zu unterstellen. a) Angesichts der Herausforderungen des demografischen Wandels und mit Blick auf eine funktionierende Bürgergesellschaft fördert das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
freiwilliges Engagement auf vielfältige Weise: als Investition in bürgerschaftliches Engagement. Seit dem
Sommer 2007 bündelt die Initiative ZivilEngagement
„Miteinander – Füreinander“ Projekte, Maßnahmen
und Vorhaben, mit denen das BMFSFJ das freiwillige Engagement stärkt. Engagementförderung erhält
dadurch einen hohen Stellenwert und wird politischer.
Darüber ist nach Ansicht des Bundesfamilienministeriums eine Abstimmung mit der Wirtschaft im Sinne
von Corporate Citizenship für eine erfolgreiche Engagementpolitik unerlässlich. Das bürgerschaftliche Engagement in und von Unternehmen müsse zu einem
wichtigen zivilgesellschaftlichen Faktor weiter ausgebaut werden. Und auch die enge Kooperation mit den
Organisationen der Zivilgesellschaft ist demzufolge
unerlässlich – nicht zuletzt deshalb, um mehr Klarheit
und Struktur von Informationen und Angeboten zu erreichen. Die Verbände der Zivilgesellschaft haben es
bislang versäumt, auf diese etatistische Wende, die
Politisierung des Engagements durch den Staat, eine
angemessene Antwort zu finden. Die Gründe hierfür
liegen zum einen in dem dominanten sozialwirtschaftlichen Reorganisationsprozess, der zu einer weiteren
Schwächung und Marginalisierung der Potenziale für
freiwilliges Engagement geführt hat (z. B. durch die
Entwicklung neuer Unternehmensstrukturen mit professioneller statt zivilgesellschaftlicher Steuerung),
zum anderen in der nach wie vor starken Politiknähe
verbandlicher Programmatiken, die die Entwicklung
einer eigenständigen zivilgesellschaftlichen Position
in den Hintergrund drängen. Die etatistische Wende
144
in der Engagementförderung führt dazu, dass die
Verbände im Sozialsektor ihre verbandlichen Strategien dieser Wende anpassen (um Staats- und Politiknähe zu demonstrieren), die Engagementpolitik
aber noch ein Stück weiter politisieren, wenn sie im
Gegenzug vom Staat bessere Rahmenbedingungen
für das Engagement (bspw. Gemeinnützigkeitsanerkennung der Verbandsarbeit trotz zunehmender
Ökonomisierung ihrer Betriebe) und staatliche Investitionen in eine engagementfördernde Infrastruktur
fordern (die Liste reicht hier von der Schaffung einer
Pflichtaufgabe für Länder und Kommunen bis hin zur
Finanzierung von Vollzeitstellen für die Förderung von
bürgerschaftlichem Engagement für jeden Spitzenverband aus Landeslotteriegeldern). Daraus ergibt
sich die scheinbar paradoxe Situation, dass das bürgerschaftliche Engagement mittlerweile fast überall
verbandspolitisch einen hohen Stellenwert einnimmt,
indem die Wahrnehmung dieser Aufgabe in der Aufbauorganisation der Verbände fast überall ausgewiesen wird, die Entwicklung innerverbandlicher strategischer Konzepte aber defizitär, noch nicht in Angriff
genommen oder gar nicht durchsetzbar ist, weil die
regionalen und örtlichen Ebenen ihre jeweils eigenen
Politiken der Engagementförderung nach Maßgabe
der betrieblichen Interessen vor Ort implementieren.
Die Freie Wohlfahrtspflege hat es bislang versäumt,
eine zivilgesellschaftliche Antwort auf die staatliche
Herausforderung einer Engagementpolitik zu finden.
Dieser Tatbestand setzt sich fort bis hin zu ihrer Rolle
im BBE, die häufig inner- wie interverbandlich ungeklärt und umstritten ist.
b) Das Engagementpotential, das sich den Verbänden vor Ort bietet, wird mittlerweile nicht mehr nur
als eine lästige Aufgabe neben der professionellen
Arbeit wahrgenommen, nicht mehr als Hemmschuh
bei der Verbetriebswirtschaftlichung der sozialen
Einrichtungen betrachtet. Das Engagementpotential
in den Verbänden wird mittlerweile vielfach als strategische Ressource und Qualitätsquelle für den unternehmerischen Bereich sozialer Dienste entdeckt
und verbandsstrategisch entsprechend aufgewertet.
Einrichtungsleitungen beginnen zu begreifen, welchen Stellenwert das bürgerschaftliche Engagement
für die Qualität sozialer Dienste haben kann. Folge
davon ist, dass in den vergangenen Jahren in zahlreichen Diensten und Einrichtungen ein systematisches Freiwilligenmanagement aufgebaut worden
ist. Hierbei handelt es sich bislang aber eher um
Initiativen und Projekte strategisch denkender regionaler Verbände oder örtlicher Einrichtungen als um
eine gesamtstrategisch mit dem Spitzenverband abgestimmte verbandliche Engagementpolitik. Die Notwendigkeit der Entwicklung einer Gesamtstrategie
Dialogforum Infrastrukturförderung
wird aber durchweg von den Verbänden anerkannt,
und dementsprechend werden fast überall verschiedene Ansatzpunkte (bspw. die Entwicklung von Qualitätsstandards) zu ihrer Durchsetzung diskutiert.
c) Große Bereiche des bürgerschaftlichen Engagements befinden sich in einem Prozess des Wandels,
sowohl ihrer Aufgaben wie ihrer Funktionen, der sich
vor allem als Professionalisierung des freiwilligen Engagements bemerkbar macht. Diese Entwicklung lässt
sich im Bereich der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe sowohl auf Ebene der Selbsthilfegruppen wie der
Selbsthilfeorganisation beobachten. Dieser Wandel ist
wesentlich das Ergebnis der politischen wie fachlichen
Anerkennung dieser Engagementformen: Selbsthilfegruppen und -organisationen haben sich in den letzten
zwei Jahrzehnten zu wichtigen Akteuren im Gesundheitswesen entwickelt. Dadurch ist die Patientenberatung jenseits der professionellen Ebene aufgewertet
worden und hat zur politisch geförderten Inklusion
dieser Engagementformen in das System der gesundheitlichen Versorgung geführt. Resultat dieser Anerkennungsprozesse sind verbesserte Förderstrukturen
durch die Krankenkassen einerseits und – das ist die
Kehrseite – die Professionalisierung in den Selbsthilfeorganisationen andererseits. Die in früheren Zeiten
häufig gestellte Frage, ob die gleichzeitige Wahrnehmung von Selbsthilfe- und Dienstleistungsaufgaben
sich nicht widersprechen, die immer noch gültig ist, ist
durch die aktuelle Entwicklung faktisch entschieden
worden, denn Selbsthilfe- und Dienstleistungsfunktion gehen bei einer größeren Anzahl von Selbsthilfeorganisationen – nicht zuletzt aufgrund politischer
Vorgaben und Auflagen infolge finanzieller Förderung
der Selbsthilfe durch Krankenkassen und andere öffentliche Akteure – ineinander über. Viele Selbsthilfeorganisationen verstehen sich heute schon als beides:
Dienstleister und Selbsthilfeorganisation, manchmal
auch noch als politische Interessenvertretung der
Selbsthilfe. Die Übergänge von der Selbsthilfe zur sich
professionalisierenden Beratungsorganisation sind
dadurch fließend geworden, und die Selbsthilfeorganisationen bemühen sich (damit sind sie den großen
Wohlfahrtsverbänden nicht unähnlich), ihre Multifunktionalität auszubauen und durch den Aufbau professioneller Strukturen zu unterfüttern.
Da die Wohlfahrtsverbände einen Großteil der Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen verbandlich integriert haben, erwarten Selbsthilfegruppen wie
Selbsthilfeorganisationen von den Verbänden einen
Service, da sie für ihre Mitgliedschaft nicht selten einen Mitgliedsbeitrag leisten. Engagementförderung
durch die Verbände bedeutet demnach zukünftig auch
Unterstützungs- und Fortbildungsleistungen für die bei
ihnen organisierten Engagierten bereit zu stellen, denn
diese können sich fachlich kompetent nur engagieren,
wenn sie dazu befähigt bzw. qualifiziert werden. Verbandliche Engagementförderung bedeutet demnach
auch, Engagementförderung stärker als bislang als
Dienstleistung zu organisieren und die verbandliche
Engagementpolitik um diese Dimension anzureichern.
d) Extern induzierte Professionalisierungsprozesse
von Engagementformen sind reflexiv, denn sie erzeugen auch ein Modernisierungsproblem bei Selbsthilfeorganisationen (z. T. auch bei Selbsthilfegruppen).
Dieses zeigt sich deutlich in den traditionell gewachsenen Strukturen der Selbsthilfeorganisationen, die
teilweise dazu führen, dass Leitungsfunktionen, aufgrund der gestiegen fachlichen Anforderungen, nicht
mehr angemessen besetzt werden können. Auch bei
den (gesundheitsbezogenen) Selbsthilfekontaktstellen ist diese reflexive Modernisierung angekommen,
denn auch sie sind aufgrund politischer Vorgaben
und Auflagen mit neuen fachlichen Anforderungen
konfrontiert, bspw. damit, das Aufgabenspektrum der
Kontaktstellen zu erweitern und sich der Förderung
anderer Engagementformen zu öffnen. Mit diesen
Herausforderungen gehen die Kontaktstellen gegenwärtig noch defensiv bis ablehnend um, denn vielfach
ist das Verständnis von Engagement hier fachlich
geprägt und damit ausschließlich selbsthilfebezogen.
Die geschichtliche Entwicklung und Herkunft prägt
hier oft in starkem Maße die Aktualität des Handelns
der Akteure. Experteninterviews mit Vertreterinnen
und Vertretern dieses Akteurstypus lassen deutlich
erkennen, dass in den Selbsthilfeorganisationen
(nicht in allen, aber in vielen) eine Diskussion um
die perspektivischen Zielsetzungen unumgänglich
geworden ist und einschneidende Strukturreformen
auf der Agenda stehen (sollten). Erscheinungsformen
der Überbürokratisierung und hierarchisch erstarrter
Kommunikationsformen wurden von vielen der befragten Experten berichtet, und vereinzelt haben
Organisationen damit begonnen, hieraus Konsequenzen zu ziehen. Insbesondere die Frage des „quo
vadis“, also ob man sich zukünftig stärker als Dienstleister oder weiterhin als Basisbewegung verstehen
soll, ist hier von erheblicher Bedeutung. Für die Wohlfahrtsverbände, die bürgerschaftliches Engagement
im Selbsthilfesektor organisieren, stellt dieser Sachverhalt eine doppelte Herausforderung dar: Zum einen muss verbandliche Engagementpolitik darauf
ausgerichtet sein, einen Überblick über den aktuellen
Stand der Modernisierung bzw. schon erkennbare
Best-Practice-Beispiele in den ihnen angeschlossenen Selbsthilfegruppierungen zu bekommen, ein
schwieriges Unterfangen, denn die Gruppierungen
der Selbsthilfe unterhalten häufig nur instrumentell
145
Dialogforum Infrastrukturförderung
bestimmte Beziehungen zu den Wohlfahrtsverbänden; Zum anderen müssen die Verbände selbstständige und auf ihre Unabhängigkeit bedachte Gruppierungen auf Modernisierungskurs bringen, damit diese
sich professionalisieren, um kompatibel zu bleiben
mit den Anforderungen von Politik und Verwaltung an
moderne Formen bürgerschaftlichen Engagements.
Verbandliche Engagementpolitik muss darauf ausgerichtet sein, Expertise aufzubauen, die vor allem
aus Informations- und Beratungspotenzial besteht,
das freie und losere Vereinigungen des bürgerschaftlichen Engagements und kleiner zivilgesellschaftliche
Vereine akzeptieren und nutzen können.
e) Fasst man diese Entwicklungen im Bereich der
verbandlich organisierten Engagementpolitik und die
sich daraus ergebenden Konsequenzen für die beteiligten Akteure zusammen, dann muss man festhalten:
Verbandliche Engagementpolitik kann nur erfolgreich
sein (im Sinne, dass sich die im Verband Organisierten auch auf die vom Verband entwickelte Engagementpolitik einlassen und ihr folgen), wenn sie in der
Lage ist, Strategien zu entwickeln, die systematisch
die vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen der
korporativen Mitglieder bzw. Mitgliedsorganisationen
nutzt und zur Förderung ihrer Eigeninteressen beiträgt. Dabei erweist sich der Tatbestand, dass viele
Mitgliedsorganisationen sich als sozialwirtschaftliche
Akteure weiterentwickeln (Professionalisierungstrend) und sich von den Verbänden entkoppeln nicht
unbedingt als Hindernis für bestimmte Engagementformen. Der von den reinen Selbsthilfevertretungen
oftmals behauptete Gegensatz zwischen der selbsthilfepolitischen und der sozialwirtschaft-politischen
Orientierung scheint angesichts des Tatbestands,
dass auch Selbsthilfeorganisationen zunehmend
sozialwirtschaftlich agieren, wenig plausibel. Wo
aus sozialwirtschaftlichen Interessen heraus engagementpolitische Entscheidungen getroffen werden,
die den Interessen der Selbsthilfe entgegenstehen,
bedarf es verbandsspezifischer Foren, die dies offen
thematisieren und auch konflikthaft in die Mitgliedsorganisationen hinein vermitteln.
f) Angesichts der sozialwirtschaftlichen Entwicklungen im sozialen Dienstleistungssektor lassen sich
in den Verbänden auch Voten (einer Minderheit) registrieren, die eine Rückbesinnung auf die zivilgesellschaftlichen Wurzeln und eine Abkehr von der etatistisch gesteuerten Engagementpolitik fordern. Eine
Minderheit will das bürgerschaftliche Engagement,
das man zunehmend in staatliche Zielsetzungen eingespannt und instrumentalisiert sieht, wieder als Teil
einer sozialen Bewegung organisieren und nicht als
Teil der staatlich organisierten Sozialwirtschaft. Dabei
146
geht es zum einen um die Entkoppelung von tradierten
Bewegungen (z. B. Arbeiterbewegung, Selbsthilfebewegung) und die Öffnung für neue soziale Bewegungen (Armutsbekämpfung), zum anderen um eine
stärkere operative Trennung von Verbandswirklichkeit und Dienstleistungserbringung. In den kirchlichen
Verbänden war dies schon immer in der Alternative
präsent, sich ausschließlich auf die aus kirchlichen
Motiven wichtigen Dienstleistungsbereiche zurückzuziehen. Blickt man auf die aktuelle Situation, so steht
die Diskussion um Engagement in engem Zusammenhang mit dem Umbau des Sozialstaats. Engagement und Eigenverantwortung werden vielfach identisch gelesen, und Engagement wird damit zu einer
Programmatik umdefiniert, die eher einem libertären
Individualismus amerikanischer Prägung gleichkommt als einer gesellschaftlichen Alternativbewegung.
Dieser ideologischen Vereinnahmung des Engagements für einen aktivierenden Sozialstaat (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2005) ist mit einem Verweis auf den
Ursprung der Engagementdiskussion zu begegnen:
In den auf dem Bielefelder Soziologentag diskutierten
Beiträgen, die 1977 in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie veröffentlicht wurden,
wurde Engagement (damals vor allem in Form von
Bürger- und Stadtteilinitiativen und als Selbsthilfebewegung registrierbar) noch als grundsätzliche Alternative zur kontrollierenden Sozialpolitik des Staates
und somit als politischer Gegenentwurf analysiert.
Der postulierte Gegensatz von staatlicher Fremdhilfe und Engagement, der heutzutage auch noch die
Debatten beherrscht, wurde damals schon als ein
politisch konstruierter Gegensatz durchschaut, und
deshalb wurde schon damals auf die faktische Komplementarität von Staats- und Eigenhilfe verwiesen,
ein Tatbestand, der auch heute noch Gültigkeit hat.
6. Schlussbemerkung
Bürgerschaftliches Engagement wird von den
Verbänden als Überbegriff des ehrenamtlichen,
freiwilligen Engagements, der Selbsthilfe und anderer Engagementformen betrachtet. Hierfür soll
ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, der
neben den fördernden Bedingungen auch die politisch gewollte Einbindung in gesellschaftliche Entwicklungen beinhaltet. Einzelne Landesverbände
fordern, die Finanzierung der Infrastruktureinrichtungen des Engagements (Selbsthilfekontaktstellen,
Freiwilligenzentralen, Bürgerbüros, Seniorenbüros
etc.) als Pflichtaufgabe von Kommune, Land und
Bund gesetzlich festzuschreiben. Eine Funktionalisierung des bürgerschaftlichen Engagements für
Aufgaben der sozialen Daseinsvorsorge wird ab-
Dialogforum Infrastrukturförderung
gelehnt. Um Zugangsmöglichkeiten zum bürgerschaftlichen Engagements auch für engagementfernere Gruppen zu schaffen wird u. a. gefordert,
den Personalschlüssel im Freiwilligen Sozialen Jahr
abzusenken, damit die pädagogischen Herausforderungen besser gemeistert werden können. Freiwilligenarbeit soll als Pflichtbestandteil in schulische
Curricula aufgenommen werden, und alters- und
behinderungsbedingte Ausgrenzungen sollen beseitigt werden. Verbandlich wird auch anerkannt, dass
diese primär an den Staat gerichteten Forderungen
mit einer grundlegenden Reform der eigenen Organisationsstrukturen einher gehen müssen. Insofern
kann bilanzierend davon gesprochen werden, dass
das bürgerschaftliche Engagements auch zu einem
verbandspolitischen Leitthema geworden ist. Andererseits ist ebenfalls festzustellen, dass die sozialwirtschaftliche Modernisierung oberste Priorität hat
und diese auch die interverbandlichen Konkurrenzen
stärkt und koordinierte Vorgehensweisen beispielsweise auf der Ebene der Ligen (regional und überregional) einschränkt. Eine verbandspolitische Strategie bezogen auf das bürgerschaftliche Engagement
ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt deshalb nicht zu
erkennen. Vieles spielt sich eher auf der Ebene regionaler Gliederungen ab. Bürgerschaftliches Engagement und Markt – das sind gegenwärtig die Pole,
zwischen denen die Verbandsentwicklung verläuft,
und von der Ausgestaltung des Wettbewerbs und
der kommunalen Daseinsvorsorge wird deshalb die
zukünftige engagementpolitische Positionierung der
Verbände wesentlich abhängen.
Anmerkungen
1 Ein Teil der folgenden Ausführungen – insbesondere die mit Blick auf Selbsthilfegruppen
und Selbsthilfeorganisationen – basiert auf einer Untersuchung der Autoren, die im Verlauf
des Sommers 2008 über Selbsthilfe und Selbsthilfeunterstützung im Auftrage des Paritätischen
Gesamtverbandes, Berlin, durchgeführt wurde.
Insgesamt wurden ca. 40 leitfadengestützte Experteninterviews mit Vertretern/innen der paritätischen Landesverbände sowie mit Vertretern/
innen ausgewählter Selbsthilfeorganisationen auf
Landes- und Bundesebene durchgeführt.
Literatur
• BAGFW (2000): Gesamtstatistik 2000. Bonn.
• BAGFW (2004): Gesamtstatistik 2004. Bonn.
• BAGFW (2008): Gesamtstatistik 2008. Berlin.
• Boeßenecker, Karl-Heinz (2005): Spitzenverbände
der Freien Wohlfahrtspflege. Eine Einführung in
Organisationsstrukturen und Handlungsfelder der
deutschen Wohlfahrtsverbände. Neuausgabe.
Weinheim
• Breitkopf/Helmut/Wohlfahrt, Norbert (1995): Selbsthilfegruppen und Soziale Arbeit. Eine Einführung
für Soziale Berufe. Freiburg i. B.
• Brückers, Rainer (1998): Die Freie Wohlfahrtspflege auf dem Prüfstand (III) – Erosion der Verbandsstrukturen durch Ausgliederung sozialer Betriebe?
In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit. Heft
12/1999. S. 443 – 449.
• Dahme, Heinz-Jürgen/Wohlfahrt, Norbert (Hg.) (2005): Aktivierende Soziale Arbeit. Baltmannsweiler.
• Dahme, Heinz-Jürgen/Wohlfahrt, Norbert (Hg.)
(2010): Regiert das Lokale das Soziale? Kommunalisierung und Dezentralisierung Sozialer Dienste als
sozialpolitische Reformstrategie. Baltmannsweiler.
• Diakoniosches Werk der evangelischen Kirche in
Deutschland (2006): Grundsatzpapier „Freiwilliges
Engagement in Kirche und Diakonie“. Online unter:
http://www.diakonisches-werk-pfalz.de/diakonie/dateien/Texte-2006-11-Engagement.pdf (zuletzt abgerufen 29.7.2010)
• Eick, Volker/Grell, Britta/Mayer, Margit/Sambale, Jens
(2004): Nonprofit-Organisationen und die Transformation lokaler Beschäftigungspolitik. Münster.
• Enquete-Kommission (2002): Bericht Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Opladen.
• Grell, Britta (2008): Workfare in den USA. Das
Elend der US-amerikanischen Sozialhilfepolitik.
Bielefeld.
• Kofahl, Christopher (2007): Zur Migrantenorientierung in der Selbsthilfeunterstützung durch
Selbsthilfekontaktstellen. In: Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. (Hg.) Selbsthilfegruppenjahrbuch 2007. Gießen, S. 112-119.
• Müller-Schöll, Albrecht/Priepke, Manfred (1983):
Sozialmanagement. Zur Förderung systematischen
Entscheidens, Planens, Organisierens, Führens
und Kontrollierens in Gruppen. Frankfurt am Main.
• Ottnad, Adrian/Wahl, Stefanie/Miegel, Meinhard
(2000): Zwischen Markt und Mildtätigkeit. Die Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege für Gesellschaft, Wirtschaft und Beschäftigung. München.
• Pott, Ludwig (2000): Verbandsentwicklung in der
Arbeiterwohlfahrt zwischen bürgerschaftlichem
Engagement und Markt. In: Theorie und Praxis der
sozialen Arbeit, Heft 3.
• Wollmann, Hellmut (2010): Die subnationalen Ebenen in Deutschland, Frankreich, UK/England, Italien und Schweden: zwischen institutioneller Beharrung und Dynamik (im Erscheinen).
147
Dialogforum Infrastrukturförderung
Prof. Dr. Elisabeth Bubolz-Lutz
Thesen: Öffentliche Förderung der
„Infrastruktureinrichtungen der Engagementförderung“
Die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages
und das „Nationale Forum für Engagement und Partizipation“ empfehlen den nachhaltigen Auf- und Ausbau der „Infrastruktureinrichtungen der Engagementförderung“. Dieses Anliegen ist in drei Richtungen hin
einzulösen, nämlich im Hinblick auf
a) den Auf- und Ausbau der lokalen Engagementstrukturen (z. B. Freiwilligenbörsen, Freiwilligenagenturen),
b) den Auf- und Ausbau von neuen Netzwerkstrukturen (z. B. auf Landes- oder aus Bundesebene),
die im Anschluss an innovative, gemeinwohlorientierte Projekte entwickelt und gefestigt werden
müssen, um ihre Nachhaltigkeit zu sichern,
c) die Förderung von Verbänden auf Bundesebene,
die als Zusammenschlüsse bürgerschaftlich engagierter Personen und Initiativen dienen.
Zu a) Auf- und Ausbau lokaler Engagementstrukturen
Die lokalen Engagementinfrastrukturen sind fachund trägerübergreifende Servicestellen sowie wichtige Netzwerkknoten (z. B. die Freiwilligenagenturen
der Wohlfahrtsverbände). Sie leisten einen wichtigen
Beitrag zur Akquisition und Weiterentwicklung unterschiedlichsten Engagements.
Die vom „Nationalen Forum für Engagement und
Partizipation“ in die Diskussion gebrachte Sockelfinanzierung wird als wichtiger Baustein zur nachhaltigen Sicherung und Weiterentwicklung des bürgerschaftlichen Engagements auf kommunaler Ebene
gesehen.
Voraussetzung für Förderung einer Einrichtung sollte
sein, dass sie trägerübergreifend das Engagement
fördert und dass sich das Anliegen einer Kooperation und Koproduktion (u. a. zwischen Hauptamtlichen
148
und Freiwilligen) in ihren Arbeitsstrukturen und Lernarrangements niederschlägt. Weitere Elemente einer
Sockelfinanzierung sind:
• hauptberufliche Fach- und Verwaltungskräfte als
Garanten für Kontinuität und Qualität der Leistung,
• Freiwillige als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und als
Kompetenzspenderinnen und Kompetenzspender,
• gut erreichbare Räume mit Beratungsraum, Telefon, Computer, Internetzugang etc.
Neben der Grundfinanzierung als Gerüst der Arbeit sind die Infrastruktureinrichtungen angehalten,
Projektmittel oder andere Finanzierungsquellen zu
erschließen, die eine qualitative und quantitative
Ausweitung der Arbeit entsprechend den aktuellen
Bedürfnissen vor Ort ermöglichen.
Zu b) Auf- und Ausbau übergreifender Engagementstrukturen und Engagementnetzwerke
Mit Unterstützung durch Mittel öffentlicher Stellen oder
Stiftungen entwickeln sich bundesweit zahlreiche innovative Projekte, die einen Beitrag zum Gemeinwohl
leisten (z. B. das Projekt „Pflegebegleiter“ mit bundesweit über 2.000 Freiwilligen). Diese Projektvorhaben
sind vielfach so ausgerichtet, dass die Absicherung
von Nachhaltigkeit (z. B. durch Aufbau von Netzwerkstrukturen) während der Projektlaufzeit nicht parallel
erfolgen kann. Projekte in der Erprobungsphase sind
vielmehr dazu angehalten, exemplarisch vorzugehen
und zunächst ihre Wirksamkeit innerhalb der Projektstrukturen nachzuweisen. Insofern wird eine Finanzierung benötigt, die es Projekten, die den Nachweis der
Wirksamkeit erbracht haben, im Anschluss erleichtert,
sich soweit zu implementieren, dass sie sich weiter
verbreiten können und auch weiterhin eine Qualitätsentwicklung erfolgen kann. Notwendig ist also die
Ermöglichung des Aufbaus von übergreifenden Infrastrukturen – etwa im Sinne von Netzwerken, in denen
Dialogforum Infrastrukturförderung
man weiterhin voneinander lernt und eine Corporate
Identity pflegt. Sind die Infrastrukturen vor Ort bereits
etabliert, ist der Finanzierungsbedarf solcher übergreifender Netzwerkknotenpunkte auf Landes- oder
Bundesebene sehr überschaubar. Diese Netzwerkknoten hätten die Aufgabe,
• die Netzwerkkommunikation zu befördern und hierfür Plattformen zu bieten (inkl. Homepage);
• eine Reflexion der Praxis (Erfahrungsaustausch der
Standorte) zu organisieren;
• eine kontinuierliche Überarbeitung der Lernkonzepte vorzunehmen, die auf den Ergebnissen der
Reflexion beruht;
• Qualifizierungsarrangements für Multiplikatoren anzubieten, um die Qualität des freiwilligen Engagements immer weiter zu verbessern;
• einen Dialog zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen
für das jeweilige Engagementfeld (z. B. Pflege) systematisch zu verankern und damit Kooperation
und Koproduktion zu erleichtern.
Ein Auf- und Ausbau solcher Infrastrukturen rechnet
sich auch unter finanziellen Gesichtspunkten. Es kann
nicht angehen, dass öffentliche Mittel für den Aufbau
von Projekten ausgegeben werden, die dann nach
Ende der Projektlaufzeit im Sande verlaufen.
Zu c) Förderung von Verbänden auf Bundesebene
Ebenfalls sollten einzelne bundesweite Verbände
(ebenso wie die Netzwerke BBE, BAGSO, Frauenrat
etc.) gefördert werden, sofern sie bürgerschaftliches
Engagement implementieren, weiterentwickeln und
dessen Qualität etwa durch Fortbildungen steigern (z.
B. die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands/
kfd). Diese Verbände stellen vielfach übergreifende
Zusammenschlüsse von lokalen Gruppen Ehrenamtlicher dar. Sie sind wichtige Initiatoren und Träger für
die Qualifizierung von Ehrenamtlichen sowie die Entwicklung innovativer Ansätze. Insofern müssen sie
in ihrer Bedeutung als Infrastruktur für die Nachhaltigkeit bürgerschaftlichen Engagements erkannt und
anerkannt werden. Ebenso sind Wege zu suchen,
mit denen die Partizipation lokal Engagierter auf Bundesverbandsebene ermöglicht wird. Förderstrukturen
sollten so gestaltet werden, dass auch bundesweite
Verbände für Maßnahmen auf Bundesebene davon
mehr als bisher profitieren können.
149
Dialogforum Unternehmen
in der Bürgergesellschaft –
Corporate Citizenship
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des
Dialogforums am 30. April 2010 und des vorbereitenden Workshops am 25. März 2010:
• Holger Backhaus-Maul, Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg
• Bernward Baule, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
• Thomas Baumeister, Deutsche Bank AG
• Rolf Bösinger, Bundesministerium für Arbeit und
Soziales
• Dr. Claire Bortfeldt, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Antje Brehmer, Bundesministerium für Arbeit und
Soziales
• Claudia Bremer, RWE AG
• Dr. Michael Bürsch, Centrum für Corporate Citizenship Deutschland
• Konstanze Carreras-Solé, BMW Group
• Cornelia Coenen-Marx, Evangelische Kirche in
Deutschland
• Florian Dallmann, Deutscher Bundesjugendring
• Vera Fischer, Civil Academy, Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement
• Leoni Heister, Borromäusverein
• Dr. Elvira Helmer, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Dr. Frank W. Heuberger, Staatskanzlei RheinlandPfalz
• Dr. Konrad Hummel, vhw – Bundesverband für
Wohnen und Stadtentwicklung
• Simone Klein, Katholische Universität EichstättIngolstadt
• Peter Kromminga, UPJ
• Martin Kunze, Martin-Luther-Universität HalleWittenberg
• Peter Kusterer, IBM
• Dr. Susanne Lang, Centrum für Corporate Citizenship
Deutschland
• Dr. Michael Maaß, Hansestadt Hamburg, Behörde für
Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz
• Brigitte Manke, Thüringer Ehrenamtsstiftung
• Dr. Heide Mertens, Katholische Frauengemeinschaft
Deutschlands
• Marika Mund, Familienzentrum Färberhof gGmbh
• Thomas Osburg, Intel GmbH Europe
• Andreas Pautzke, Bundesnetzwerk
Bürgerschaftliches Engagement
• Christine Pehl, betapharm Arzneimittel
• Bianka Pergande, Deutsche Kinder- und
Jugendstiftung
• Marcel Pillath, Humboldt-Universität zu Berlin, Forschungszentrum Bürgerschaftliches Engagement
• Jonathan Przybylski, Phineo gGmbH
• Erik Rahn, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches
Engagement
• Jürgen Röser, Social Angels Stiftung
• Dr. René Schmidtpeter, Bertelsmann Stiftung
• Heidrun Schwarz, AKTIVOLI Marktplatz Gute
Geschäfte (Hamburg)
• Tina Seifert, Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend
• Dr. Hans Th. Sendler, EUSENDOR
• Claudia Siebelt, Deutscher Caritasverband
• Karin Siegmund, Save The Children Deutschland
• Loring Sittler, Generali Zukunftsfonds
• Stefanie Wismeth, KPMG
• Brigitta Wortmann, BP Europa SE
Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship
Partnerschaften strategisch entwickeln
Bericht über das Dialogforum „Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship“
am 30. April 2010 in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz, Berlin
Das Dialogforum „Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship“ nahm im Vergleich
zu den anderen Dialogforen eine gewisse Sonderrolle ein. Während die anderen Dialogforen thematisch
ausgerichtet waren, standen hier mit den Unternehmen Akteure im Mittelpunkt. Dieses Vorgehen wurde
im Vorfeld kritisiert, hätten sich zahlreiche Unternehmensvertreter doch lieber direkt an den thematisch
ausgerichteten Dialogforen beteiligt und dort ihre
Perspektive eingebracht. Gleichwohl zeigte sich in
der Diskussion des Dialogforums, dass die Rolle von
Unternehmen in der Bürgergesellschaft nach wie vor
nicht hinreichend geklärt ist. Vor diesem Hintergrund
bot das Dialogforum für die Akteure aus Wirtschaft,
Zivilgesellschaft und Staat die Möglichkeit, diese Rolle gemeinsam zu diskutieren. Dabei wurde herausgestellt, dass eine neue Rollenverteilung zwischen
Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft notwendig ist.
Neben den Chancen wurden aber auch mögliche Gefahren einer neuen Aufgaben- und Verantwortungsteilung kritisch erörtert.
werden sollten. Wie andere Formen des bürgerschaftlichen Engagements fände auch das Engagement
von Unternehmen vor allem auf dieser Ebene statt.
Dort seien auch bereits Instrumente und Modelle erprobt worden, die das Engagement von Unternehmen
in sektorübergreifenden Kooperationen voranbringen.
Diskutiert wurde hier vor allem, wie positive Beispiele
verbreitet werden und Partnerschaften verbessert
werden können.
Schließlich waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber einig, dass die Forschung zum Thema Corporate Citizenship ausgebaut werden sollte.
Durch praxisorientierte Studien könnten Akteure in die
Lage versetzt werden, mehrsektorale Partnerschaften
voranzutreiben.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich
insoweit einig, dass Kooperationen zwischen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteure idealerweise als strategische und gleichberechtigte Partnerschaften gestaltet werden sollten. Es wurde aber
auch deutlich, dass genau hier Defizite bestehen. Daher standen auch weniger die Unternehmen als Akteure im Zentrum der Diskussion, sondern die Frage
nach der Form und den Voraussetzungen einer Vernetzung zwischen Unternehmen und zivilgesellschaftlichen bzw. staatlichen Akteuren. Eine der wichtigsten
Voraussetzungen sahen die Teilnehmerinnen und
Teilnehmer im Abbau wechselseitiger Unkenntnisse
und Vorbehalte über Rollen, Erwartungen und Interessen. Um den dazu notwendigen Dialog führen zu
können, bedürfe es verlässlicher Strukturen. Darüber
hinaus wurde herausgestellt, dass Partnerschaften
vor allem auf lokaler und regionaler Ebene angestrebt
151
Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship
Ergebnisse
Solidarität und gesellschaftlicher Zusammenhalt sind
Grundlagen unseres Gemeinwesens. Angesichts
der Folgen des demografischen Wandels und der
Globalisierung ist die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft vor neue Herausforderungen gestellt. Um
gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern und neu
zu gestalten, ist gemeinsames Handeln von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat erforderlich.
Das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen
ist Ausdruck und eine Triebkraft einer neuen Kultur
der sektorenübergreifenden Kooperation und Partizipation, in der sich die Rollen von Zivilgesellschaft,
Wirtschaft und Staat verändern. Es gibt ein klares
Bekenntnis aller drei Sektoren, dass es sinnvoll und
notwendig ist, miteinander zu kooperieren. Diese
Partnerschaften erfordern eine wechselseitige Offenheit und echte Bereitschaft zur Kooperation und
zugleich ein Bewusstsein über eigene Kernaufgaben
und die Stärken des jeweils anderen. Zur Lösung
gesellschaftlicher Herausforderungen sollten die
Akteure aller drei Bereiche ihre jeweils spezifischen
Kenntnisse und Kompetenzen einbringen. Eine nationale Engagementstrategie bietet die Chance, die politischen Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln und
die Voraussetzungen für eine Partnerschaft zwischen
Akteuren aus Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft
weiter zu verbessern.
Akteure der Wirtschaft bringen sich bereits heute auf
vielfältige Weise in die Bürgergesellschaft ein. Sie verstehen sich als ökonomische Akteure und sehen ihre
unternehmerischen Aktivitäten im Zusammenhang
mit gesellschaftlicher Verantwortung. Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen (Corporate Citizenship) wird damit zum integralen Bestandteil der
Bürgergesellschaft. Vor diesem Hintergrund reicht
das bürgerschaftliche Engagement von Unternehmen
von Spenden über das Engagement von Mitarbeitern
(Corporate Volunteering), eigene Projekte, den Aus152
tausch mit dem Dritten Sektor über unternehmerische
Ansätze bis hin zu Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Auch bei der Schaffung, Gestaltung und Verstetigung einer engagementfördernden Infrastruktur kommt der partnerschaftlichen Kooperation und der gemeinschaftlichen
Bereitstellung von Ressourcen eine zentrale Rolle zu.
1. Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren
für mehrsektorale Partnerschaften
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Zur Ausschöpfung des vollen Potentials, das in der
praktischen Zusammenarbeit von Akteuren aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat liegt, sollten wechselseitige Unkenntnisse und Vorbehalte über Rollen,
Erwartungen, Interessen und Ziele abgebaut werden. Die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz und das
Verständnis für solche Partnerschaften sollten noch
wachsen. Daher ist es erforderlich, sich über Erfolgsund Rahmenbedingungen von Partnerschaften sowie
den jeweiligen Nutzen zu verständigen und gemeinsam Lernprozesse anzustoßen.
Lösungsvorschlag
Ein gesellschaftlicher Dialog zwischen Unternehmen,
Staat und zivilgesellschaftlichen Organisationen ist essentiell und sollte stattfinden, um ein neues Bewusstsein
für die bürgerschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen
und vor allem für das Potential partnerschaftlicher Zusammenarbeit zu fördern. Dabei sollten die verschiedenen Organisations- und Engagementformen, die Erwartungen und Interessen der Akteure, ihre Rollen und
Handlungslogiken transparent gemacht werden. Eine
Klärung der jeweiligen und gemeinsamen Ziele und die
Bereitschaft zum Konflikt sind dabei unerlässlich.
Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship
Sektorenübergreifende Zusammenarbeit ist auch ein
Ringen um die beste Lösung für gesellschaftliche
Aufgaben, ein Prozess des Interessenausgleichs und
des Aushandelns. Auch daraus entsteht Innovation.
Die Kriterien und die Rahmenbedingungen für erfolgreiche mehrsektorale Partnerschaften sollten weiterentwickelt werden.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
• Auf der Grundlage einer praxisorientierten Bestandsaufnahme von Partnerschaften sollten Rahmenbedingungen und Erfolgskriterien sektorenübergreifender Kooperationen zwischen staatlichen,
wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren herausgearbeitet werden. Die Bundesregierung sollte dies bereits bei der Erstellung des Engagementberichts im Jahr 2012 berücksichtigen.
• Gemeinsam von Akteuren aus Staat, Wirtschaft
und Zivilgesellschaft entwickelte Kriterien für Rahmenbedingungen sollten Grundlage von Förderungen sein.
• Die Bundesregierung wird gebeten, eine systematische Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen für sektorenübergreifende Kooperation
vorzunehmen. Zuwendungsrechtliche, vergaberechtliche und steuerrechtliche Regelungen sollten
unter Beteiligung von Experten der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit so überarbeitet werden, dass sie der Wirklichkeit und dem Potential
der sektorenübergreifenden Kooperation gerecht
werden.
• Auf dieser Grundlage sollte der Bund darauf hinwirken, dass zivilgesellschaftliche Organisationen,
Wirtschaftsverbände und gemeinnützige Verbände sowie Unternehmen und die Verwaltung dabei
unterstützt werden, Partnerschaften einzugehen.
Dies sollte durch Maßnahmen in den Bereichen
Qualifizierung, Öffentlichkeitsarbeit und Wissenstransfer geschehen.
• Für die Entwicklung einer Kultur der mehrsektoralen Kooperation sollten Erkenntnisse anderer
europäischer Länder im Hinblick auf deren Erfolgsfaktoren und Hindernisse genutzt und der Erfahrungsaustausch verstärkt werden.
• Es bedarf verlässlicher Strukturen für Dialog, Auseinandersetzungen und Kooperation. Dafür sollten
geeignete Foren wie Marktplätze, Runde Tische
und Stakeholderprozesse gefördert werden. Außerdem sollten die Möglichkeiten des Internet für
solche Diskurse und die praktische Vermittlung
von Kooperationen genutzt werden.
• Darüber hinaus sollte der Bund die Anerkennung der
Partnerschaften verbessern (z.B. durch Einführung
als Kategorie beim Deutschen Engagementpreis).
Vorbildfunktion der Bundesregierung
Die Ressorts der Bundesregierung werden gebeten,
sich eng abzustimmen, um eine ganzheitliche Engagementpolitik zu entwickeln. Andere thematisch
einschlägige Politikansätze auf Bundesebene sollten
integriert werden. Eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Nationalen Forum für Engagement und
Partizipation, dem Nationalen CSR-Forum und anderen Beratungsforen sollte gewährleistet werden. Bestandteil der nationalen Engagementstrategie sollte
eine Strategie der Förderung sektorenübergreifender
Partnerschaften und einer Kultur der partnerschaftlichen Zusammenarbeit sein, die Unternehmen, Organisationen der Zivilgesellschaft und staatliche
Einrichtungen gleichermaßen einbezieht. Die Bundesregierung könnte hier eine Vorbildfunktion übernehmen.
2. Kooperationen auf lokaler und regionaler
Ebene
Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)
Bürgerschaftliches Engagement ist in der Regel lokal angelegt, soll aber auch international umsetzbar
sein. Die Mehrzahl der Unternehmen in Deutschland
sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU), deren
gesellschaftliches Engagement häufig regional orientiert ist. Eine regionale Orientierung auf Standort und
Umfeld prägt auch das Engagement vieler großer und
globaler Unternehmen. Daher verdient die lokale und
regionale Ebene – ebenso wie das Engagement der
KMU – besondere Aufmerksamkeit.
Auf lokaler und regionaler Ebene sind bereits Instrumente und Modelle erprobt worden, die das Engagement von Unternehmen in sektorübergreifenden Kooperationen voranbringen. Soziale Marktplätze, lokale
Unternehmensaktionstage, Verantwortungspartner,
Runde Tische und lokale Bündnisse gehören dazu
und sind zentrale und anerkannte Bausteine für Unternehmen in ihrem bürgerschaftlichen Engagement.
Lösungsvorschläge
Kooperationen zwischen den Akteuren auf lokaler
und regionaler Ebene sollten systematisch weiterentwickelt werden. Dazu bedarf es der Einigung auf treibende Akteure und Runde Tische vor Ort.
Außerdem sollten Qualifizierungsangebote geschaffen werden, die die Vermittlungskompetenzen fördern
und stärken (siehe Dialogforum Bildung).
153
Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship
Mittlerorganisationen sind ein starker Hebel für die Verbreitung von lösungs- und zukunftsorientiertem kooperativem Unternehmensengagement. Da sie mit einem entsprechenden Profil und Aktivitäten im Bereich Corporate
Citizenship als Dienstleister und Entwicklungsagentur
einen erheblichen Nutzen für die Gemeinschaft stiften,
sollten sie als Bestandteile der Infrastruktur gefördert
werden (siehe Dialogforum Infrastrukturförderung).
Schließlich ist durch geeignete Strategien (Kampagnen, öffentliche Thematisierung) der Verbreitungsgrad guter Beispiele für das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen zu erhöhen.
Schritte zur Implementierung des Vorhabens
• Die Bundesregierung wird gebeten, die Schaffung
von Anlaufstellen für bürgerschaftliches Engagement auf allen föderalen Ebenen zu unterstützen
(siehe DF Infrastruktur).
• Die Bundesregierung wird gebeten, die bestehenden guten Beispiele regionaler Kooperation überregional sichtbar zu machen und den überregionalen
Austausch zu befördern (z. B. durch Prämierungen
und Preise, Vernetzungsveranstaltungen).
• Die Bundesregierung wird gebeten, aufbauend auf
bestehenden Strukturen in Ländern und Kommunen Modelle für eine nachhaltige Vernetzung der
verschiedenen Akteure auf regionaler und kommunaler Ebene weiterzuentwickeln und anzuregen.
Gemeinnützige Organisationen, Unternehmen,
Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Politik und
Verwaltung aus Ländern und Kommunen sollten in
diesen Prozess einbezogen werden.
3. Aufbau einer handlungsorientierten
Forschung zu förderlichen
Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren
Konkreter Handlungsbedarf
Der Bericht zur Lage des bürgerschaftlichen Engagements zeigt, dass die Forschungslage unzureichend ist.
Dies gilt insbesondere für die praxisbezogene Forschung.
Lösungsvorschlag
Die Bundesregierung wird gebeten, im Rahmen einer
nationalen Engagementstrategie einen Schwerpunkt
auf die Unterstützung handlungs- und zukunftsorientierter Forschung an der Schnittstelle von Staat,
Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu legen. Insbesondere sollte die Evaluation regionaler Partnerschaften
vorangetrieben werden.
154
Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship
Peter Kromminga/Dr. Reinhard Lang
Gutachten: Gemeinnützige Mittler als
Katalysatoren für Unternehmensengagement
„Kooperationen, in denen Unternehmen, Gemeinnützige und öffentliche Verwaltungen mit ihren spezifischen Kompetenzen gemeinsam an innovativen
Lösungen arbeiten, sind mit Blick auf die Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen, essentiell“, so Prof. Dr. Birger Priddat, Lehrstuhlinhaber
für Politische Ökonomie an der Universität Witten/Herdecke, in seinem Eröffnungsbeitrag zum UPJ-Jahresempfang im November 2009 in der Landesvertretung
Brandenburg in Berlin. Das UPJ-Netzwerk bringe die
verschiedenen Akteure gezielt zusammen und schaffe einen Ort, um praktische Erfahrungen zu sammeln
und Kooperationsprozesse langfristig stabil zu halten.
Für die Herstellung und den Erfolg solcher Kooperationen braucht es „Kümmerer“, Geburtshelfer, Übersetzer, Brückenbauer, Grenzgänger, Mittler-Protagonisten im Gemeinwesen mit langem Atem, konkreter
Vision und verlässlichem Hinterland. Diese neue
Aufgabe als Mittler wird sukzessive von einer wachsenden Zahl unterschiedlicher Akteure übernommen, von Freiwilligenagenturen, Bürgerstiftungen,
Stiftungen, Wohlfahrtsverbänden, sozialen Einrichtungen, Quartiersmanagern, Agenda-21-Gruppen,
Mehrgenerationenhäusern, aber auch von kommunalen Stellen wie etwa in Baden-Württemberg, Wiesbaden, Saarbrücken oder München.1 Die Mittlertätigkeit für Unternehmensengagement entsteht meist aus
Erfahrungen aus anderen gemeinwesenbezogenen
Projekten als sinnvolle und bedarfsbezogene Ergänzung des bisherigen Leistungsspektrums dieser Organisationen. Mit Information, Qualifizierung, Beratung, Vermittlung, Vernetzung und mit Projekten für
die Zielgruppen Unternehmen, Organisationen, Verbände, Politik und Verwaltung agieren gemeinnützige
Mittler in unterschiedlichen Rollen.
Als Dienstleister unterstützen sie Unternehmen bei der
Recherche und Vermittlung passender Projekte und Kooperationspartner vor Ort und bei der Begleitung oder
dem Management von Corporate Volunteering- und
weiteren Kooperationsprojekten. Stellvertretend für die
inzwischen sehr zahlreichen Projekte dieser Art kann
hier der „Make a Difference Day“ von KPMG genannt
werden, bei dem das Unternehmen seit dem Projektbeginn 2005 mit UPJ als bundesweitem und an allen
Standorten mit lokalen Mittlern zusammenarbeitet.
Als Entwicklungsagenturen werden Mittler pro-aktiv.
Sie initiieren und setzen niedrigschwellige Impulsprojekte um, die Unternehmen und Organisationen erste
Erfahrungen miteinander vermitteln, die zeigen, was alles geht, und die Schritt für Schritt den Boden für neue
soziale Kooperationen bereiten, die aus ersten Begegnungen entstehen können. Dies sind z. B. die sozialen
Marktplätze, die die Bertelsmann Stiftung und andere
Akteure bereits vielfach umgesetzt haben2, oder lokale Unternehmensaktionstage wie etwa „Wiesbaden
engagiert“, „MUMM – Mainzer Unternehmen machen
mit“, „Brücken bauen“ in der Region Braunschweig,
der „Freiwilligentag für Unternehmen“ in Hannover
oder „Wirtschaft in Aktion – Für Frankfurt (Oder)“, bei
denen sich eine größere Zahl von Unternehmen der
Region an einem bestimmten Datum im Jahr einen
Tag lang mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in
gemeinnützigen Projekten engagieren.3 Solchen Impulsprojekten ist gemeinsam, dass sie niedrigschwellig
sind, dass sie Erfahrungsräume bieten und aktivierend
für längerfristiges Engagement sind.
Mit Plattformen werden Akteure vor Ort eher prozessorientiert in Bewegung gesetzt. Lokale Akteure werden vernetzt, Foren, Runde Tische und multilaterale
Partnerschaften aufgebaut. Mittler übernehmen die
Aufgabe eines „Faciliator“, sie schieben den Prozess
an, moderieren den Austausch, zeigen Möglichkeiten
von Corporate Citizenship auf und koordinieren gemeinsame Projekte und Programme. Zunehmend nehmen solche Plattformen spezifische gesellschaftliche
Probleme und Herausforderungen im regionalen oder
155
Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship
lokalen Gemeinwesen als Ausgangspunkt, Rahmen
und Ziel für die Aktivierung weiteren unternehmerischen Engagements. Breit angelegt ist in dieser
Hinsicht das Programm „Unternehmen für die Region“ der Bertelsmann Stiftung, das das Format der
„Verantwortungspartner“ nutzt.4 Themen wie Fachkräftemangel, sozialer Zusammenhalt, Bildung oder
Familienfreundlichkeit sind für alle Unternehmen am
Standort wichtig. Als Verantwortungspartner bündeln
Unternehmer einer Region ihr Engagement. Gemeinsam mit weiteren Partnern – Kommunen, Landkreisen, Vereinen, sozialen Einrichtungen – entstehen
neue und wirkungsvolle Lösungen für den Standort. Der von UPJ seit mehreren Jahren koordinierte
Runde Tisch „Jugend und Wirtschaft“5 zielt auf die
spezifischen Herausforderungen im Land Brandenburg und ist getragen von der Erkenntnis, dass förderliche Bedingungen für das Aufwachsen der nächsten Generation zu einem Standortfaktor geworden
sind. Die demografische Entwicklung, Arbeitslosigkeit
und Mangel an Ausbildungsplätzen, Gewalt und Intoleranz, Defizite bei Bildung, geringe Eigeninitiative
und Sozialkompetenz, mangelhafte soziale und kulturelle Infrastruktur – dies sind wesentliche Herausforderungen, die erhöhtes Engagement erfordern. Der
„Runde Tisch“ wird mittlerweile von mehr als 25 engagierten Brandenburger Unternehmen getragen, die
mit eigenen exemplarischen Projekten in ihrem jeweiligen Umfeld Schritt für Schritt Brücken zwischen den
Akteuren bauen, Impulse geben, neues Engagement
motivieren und Unternehmen und junge Menschen
aktivieren, gemeinsam etwas für sich zu tun.
Die Rolle als Dienstleister wird von einer wachsenden Zahl von Mittlern wahrgenommen, da sie angesichts des derzeit wachsenden Bedarfs vor allem
größerer Unternehmen an der Vermittlung geeigneter
Einsatzstellen für Corporate-Volunteering-Projekte
am leichtesten wahrzunehmen und zu finanzieren
scheint. Trotz noch bestehender Unsicherheiten in
Bezug auf Qualität und Preisgestaltung auf Seiten der
Mittler und einem tiefsitzenden und weit verbreiteten
Unverständnis bei den Unternehmen, „etwas Gutes
zu tun“ als Managementaufgabe zu betrachten und
für Dienstleistungen zu bezahlen, wächst jedoch die
Einsicht, dass wirkungsvolles Engagement gewisser
Voraussetzungen bedarf.
Diese Rolle als Dienstleister wird jedoch nicht ausreichen, um die Potenziale sozialer Kooperationen
zu heben. Die Aufgaben als Entwicklungsagentur
und als Plattform sollten weiter konturiert und Konzepte, Methoden und Geschäftsmodelle entwickelt
und erprobt werden.6. Nahe liegende Entwicklungsaufgaben bestehen z. B. darin, schon bestehende
156
nationale und internationale Programme und Instrumente7 mit den Bedarfen an Problemlösung vor Ort
abzugleichen und zu übertragen, aber auch Unternehmen dazu zu bewegen, untereinander zu kooperieren, ihre Ressourcen und Kompetenzen bündeln,
damit die Chancen steigen, tatsächlich einen Unterschied zu machen und die Lücke zwischen Anspruch
an Problemlösung und tatsächlichem Investment ins
Gemeinwesen zu verringern.
Eine zweite wichtige Aufgabe regionaler Mittlerorganisationen ist die Qualifizierung und Beratung der gemeinnützigen Seite für eine qualitätsvolle Entwicklung
von Corporate Citizenship: Bislang stehen in Deutschland vor allem die Perspektive der Unternehmen und
bei gemeinnützigen Organisationen an Fundraising
orientierte Fragen (Sind mit Corporate Citizenship tatsächlich neue Ressourcen zu gewinnen? Wie kann
man Unternehmen ansprechen? Welcher Nutzen wird
hier erwartet? etc.) im Mittelpunkt. Dies bestimmt das
Verhältnis der Beteiligten. Auf Seiten der Gemeinnützigen, aber auch in Politik und Verwaltung gibt es bislang kaum eine Auseinandersetzung mit den Chancen
und Grenzen sozialer Kooperationen, mit den eigenen
Zugängen und Zielen und dem Nutzen für die Gemeinwesenentwicklung. Mehr und bessere Unternehmenskooperationen können hingegen nur erreicht werden,
wenn es auch auf der gemeinnützigen Seite fachlich
fundierte, eigenständige Ziele und Konzepte gibt, die
die Unternehmen dann auch zu qualifizierteren Anstrengungen herausfordern und die viel beschworene
Augenhöhe herstellen können.
Auch soziale Organisationen sollten Corporate Citizenship demnach als ein strategisches Instrument
betrachten und einsetzen, um ihre ideellen und fachlichen Ziele besser erreichen zu können und die eigene
Problemlösungskompetenz zu erweitern. Hier müssen
Konzepte für qualitativ und quantitativ wirkungsvolle Kooperationen entwickelt und erprobt werden, die die spezifischen Beiträge engagierter Unternehmen sinnvoll
mit der professionellen fachlichen Arbeit verbinden, um
ein Mehr an sinnvoller Leistung für die Adressaten zu
erreichen und die Kapazitäten für bessere Ergebnisse
im Gemeinwesen zu steigern. Dies entspricht dem
grundsätzlichen Anliegen der Unternehmen, mit ihrem
gesellschaftlichen Engagement wirkungsvoll zu einem
funktionierenden Gemeinwesen beizutragen.
Finanziert wird die Arbeit der meisten Mittler aus einer
Mischung von öffentlichen Projektförderungen, internen Quer-Subventionen, Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Ehrenamt, Honoraren und einem nicht geringen
Einsatz an Engagement. Der öffentlichen Hand kommt
hier die Aufgabe zu, die Leistungen gemeinnütziger
Dialogforum Unternehmen in der Bürgergesellschaft – Corporate Citizenship
Mittler als notwendige Infrastrukturaufgaben für die
Entwicklung des Gemeinwesens anzuerkennen und
gemeinsam mit den Akteuren vor Ort tragfähige Finanzierungsmodelle zu entwickeln, denn im Tun und
in praktischen Impulsen auf der lokalen wie auf der
nationalen Ebene liegt einer der Schlüssel für die Verbreitung und Vertiefung des bürgerschaftlichen Engagements von Unternehmen (Corporate Citizenship).
aus Zivilgesellschaft und Staat geraten, wächst das Verständnis für den spezifischen Beitrag, den die jeweils
Anderen mit ihren spezifischen Kompetenzen und Ressourcen in neue Problemlösungen für ein funktionierendes Gemeinwesen einbringen können.
Im besten Falle gelingt es, die unterschiedlichen Perspektiven und Interessen der beteiligten Unternehmen, Organisationen und Verwaltung, die zwar im Alltag auf vielfältige Art und Weise aufeinander bezogen
sind, institutionell und bei der Regelung gemeinsamer
Belange im Gemeinwesen aber (noch) nicht viel miteinander zu tun haben, zusammenzubringen und daraus
Ansätze für soziale Kooperationen zu entwickeln und
zu begleiten. In dem Maße wie nicht nur Verbände, Politik und Verwaltung, sondern auch die Unternehmen
deren Nutzen für die Qualität und das Management
von Kooperationsprojekten, für Vernetzung und die
Potenziale wirkungsvoller kooperativer Projekte gemeinsam mit anderen Unternehmen erkennen und ein
Interesse an einer professionellen Mittlertätigkeit entwickeln, werden sie sich auch an der Finanzierung der
erforderlichen Basisinfrastruktur beteiligen
UPJ ist das Netzwerk engagierter Unternehmen und
gemeinnütziger Mittlerorganisationen in Deutschland. Im Mittelpunkt stehen Projekte, die zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen, indem
sie neue Verbindungen zwischen Unternehmen,
gemeinnützigen Organisationen und öffentlichen
Verwaltungen schaffen. Diese Akteure unterstützt
der gemeinnützige UPJ e. V. darüber hinaus mit Informationen und Beratung bei der Entwicklung und
Umsetzung ihrer Corporate-Citizenship und Corporate-Social-Responsibility-Aktivitäten.
Das bedeutet mittelfristig auch eine stärkere Partizipation in Bereichen, für die Unternehmen bislang nicht
zuständig waren: Eine stärkere fachlich begründete
Ausrichtung von Kooperationsprojekten erfordert sektorübergreifende Aushandlungen über die wirkungsvollste Art der Problemlösung und deren Rahmenbedingungen. Aus dieser eher strukturellen Dimension
von Partnerschaften zwischen Unternehmen und Nonprofit-Organisationen könnte neben den traditionellen
korporatistischen Arrangements im Vollzug der Kooperation eine neue Arena für die Definition und Bearbeitung gesellschaftlicher Herausforderungen entstehen,
in der bestehende Ansätze und Akteure mit ihren Erfahrungen, Ressourcen und Kompetenzen zusammen
,gebracht und die gegenseitigen Ziele, Erwartungen,
Möglichkeiten und Interessen der Beteiligten aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat abgeglichen werden, und um daraus eine gemeinsame Schnittmenge
zu identifizieren, die die Basis für wirkungsvolle und
partnerschaftliche soziale Kooperationen bilden kann.
Dabei zeichnet sich ab, dass sich bei allen Beteiligten
nicht nur Einstellungen und Handlungsweisen ändern,
sondern in der Praxis die Verantwortung für die Lösung
gesellschaftlicher Probleme und die Gestaltung des Gemeinwesens neu ausbalanciert wird. Indem die Engagementaktivitäten von Unternehmen in eine Beziehung
zu den Leistungen der beteiligten Kooperationspartner
Weitere Informationen http://www.upj.de – das Corporate Citizenship und CSR-Portal
Anmerkungen
1 Vgl. zu diesem Beitrag u. a. Bertelsmann Stiftung
(Hg.): Grenzgänger, Pfadfinder, Arrangeure. Mittlerorganisationen zwischen Unternehmen und Gemeinwohlorganisationen. Gütersloh 2008; oder:
Dresewski, Felix Lang, Reinhard: Zur Entwicklung
des Social Case zwischen Unternehmen und Nonprofit-Organisationen; in: Backhaus-Maul, Holger,
/Biedermann, Christiane/Nährlich, Stefan, Polterauer, Judith: Corporate Citizenship in Deutschland. Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen. Bilanz und Perspektiven. 2. akt. und erw.
Auflage, Wiesbaden 2009, S. 401ff.
2 www.gute-geschaefte.org
3 www.upj.de/aktionstag
4 www.unternehmen-fuer-die-region.de
5 www.upj-brandenburg.de
6 Ein Ort für den offenen kollegialen Austausch über
solche Entwicklungsaufgaben ist z. B. das „Praxisforum gemeinnütziger Mittler für Corporate Citizenship“, das auch als Anlaufpunkt für solche Organisationen gilt, die als Mittler aktiv werden wollen
- siehe www.upj.de - Rubrik „Projekte“. Siehe dazu
auch den Diskussionsbeitrag über Rolle und Aufgaben von Mittlern von Henk Kinds auf der Dialogplattform www.diskutiere.de
7 Im Rahmen des europäischen Projektes „INCLUDE
– Pathways to Community Investment“ hat UPJ gemeinsam mit Business in the Community über das
CSR360 Global Partner Network (www.csr360.org)
mehr als 100 gute Beispiele solcher Programme
und Instrumente recherchiert und aufbereitet.
157
Anhang
CONF/PLE(2009)CODE1
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
Verabschiedet durch die Konferenz der INGOs (Internationale Nichtregierungsorganisationen)
bei der Tagung am 1. Oktober 2009 (Deutsche Übersetzung im Auftrag des Bundesnetzwerks
Bürgerschaftliches Engagement)
1. Einführung
Eine der größten Sorgen moderner Demokratien
ist die Entfremdung der Bürger von politischen Entscheidungsprozessen. In diesem Zusammenhang
bildet die Zivilgesellschaft, wie andernorts auch, ein
wichtiges Element des demokratischen Prozesses.
Sie zeigt den Bürgern alternative Wege auf - neben
denen politischer Parteien und Interessengruppen -,
unterschiedliche Ansichten zu kanalisieren und eine
Vielfalt von Interessen beim Entscheidungsprozess
zu gewährleisten.
Das Ministerkomitee des Europarats hat - in der CM/
Empfehlung (2007) vom 14. Oktober 2007 - „den
wesentlichen Beitrag von Nichtregierungsorganisationen (NRO) zur Entwicklung und Durchsetzung von
Demokratie und Menschenrechten, insbesondere
durch die Förderung des öffentlichen Bewusstseins,
die Teilnahme am öffentlichen Leben und die Gewährleistung von Transparenz und Rechenschaftspflicht bei Behörden“, anerkannt.
Bei der Tagung des Forums für die Zukunft der Demokratie des Europarats in Schweden im Juni 2007
forderten die Teilnehmer die Konferenz der INGOs
des Europarats auf, einen Verhaltenskodex für die
Bürgerbeteiligung auszuarbeiten, der Themen wie
Mechanismen für eine NRO-Beteiligung bei Entscheidungsprozessen und Mitwirkung der Zivilgesellschaft
an der Politik beinhalten sollte.
Die Konferenz der INGOs nahm sich dieser Themen
an und arbeitete einen Entwurf für den Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess aus. In diesem Dokument werden das
Grundprinzip, der Rahmen und die Mittel für eine
verbesserte Bürgerbeteiligung dargelegt. Es wurde
von erfahrenen Vertretern aus der Zivilgesellschaft
erstellt, in einem gesamteuropäischen Beratungspro
zess ausgearbeitet, von Mitgliedern nationaler und
internationaler NRO geprüft und kommentiert und
wird bereits von Aktivisten und Behördenvertretern
verwendet.
Die Konferenz der INGOs des Europarats hat ein anwenderfreundliches, strukturiertes und pragmatisches
Instrument für Entscheidungsträger und eine organisierte Zivilgesellschaft, einschließlich NRO, entwickelt.
Der Kodex bietet eine Vielfalt an guten Praktiken. Er
besitzt keinen verbindlichen Charakter und schreibt
weder Regeln vor noch erfordert er Durchsetzungsinstanzen. Er bietet allen Akteuren des demokratischen
Prozesses Richtlinien, die aus tatsächlicher praktischer Erfahrung durch den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen NRO und Behörden entstanden
sind. Das Ziel ist es, die Zusammenarbeit zwischen
Behörden und NRO zu vereinfachen und die Mitgestaltungsmacht und Beteiligung der Bürger am demokratischen Prozess auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zu stärken.
Die Konferenz hat sich bei anderen Institutionen des
Europarats Rat und Hilfe geholt. Sowohl der Kongress
der Gemeinden und Regionen in Europa als auch die
Parlamentarische Versammlung des Europarats haben den Verhaltenskodex begrüßt. Der Kongress ist
bereit, zu seiner Förderung beizutragen und ihn bei
seiner Arbeit zu verwenden. Die Parlamentarische
Versammlung hat ihrerseits die besondere Bedeutung von eTools bei der Beteiligung betont.
Dieses Instrument soll und wird politische Auswirkungen haben. Es wird dem derzeitigen Trend bei
lokalen, regionalen und nationalen Behörden zur
Zusammenarbeit und der Konsultation der Zivilgesellschaft beim Einsatz moderner Verfahren in der
Demokratie Auftrieb geben und gleichzeitig die Beteiligung der Bürger am öffentlichen Leben stärken.
159
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
2. Ziele
Das Hauptziel dieses Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung ist es, bei der Schaffung von geeigneten
Rahmenbedingungen für NRO in den Mitgliedstaaten
des Europarats und Weißrussland mitzuwirken, indem auf europäischer Ebene eine Reihe von allgemeinen Grundsätzen, Richtlinien, Instrumenten und
Mechanismen für die Bürgerbeteiligung beim politischen Entscheidungsprozess definiert werden. Es
ist beabsichtigt, dass der Verhaltenskodex auf lokaler,
regionaler und nationaler Ebene zum Einsatz kommt.
Der Verhaltenskodex basiert auf der Erfahrung von
NRO in ganz Europa, die sich über ihre guten Praktiken und erprobte Verfahren der Zusammenarbeit
mit Behörden ausgetauscht haben.
Ein weiteres Ziel des Verhaltenskodexes ist es, ein
wichtiges und effektives Instrument für NRO von der
lokalen bis zur internationalen Ebene bei ihrem Dialog mit Parlamenten, Regierungen und Behörden zu
sein. Es zielt darauf ab, ein interaktives Instrument
und handlungsorientiert zu sein, so dass es sowohl
für NRO als auch für Behörden in ganz Europa von
Nutzen ist. Um den Einsatz dieses Verhaltenskodex
zu fördern, wird es u. a. eine Datenbank für Fallstudien und weitere praktische Werkzeuge geben.
Der Verhaltenskodex richtet sich an nationale NRO
einschließlich regionaler und lokaler Organisationen
in den Mitgliedstaaten des Europarats und Weißrusslands, wie auch an Organisationen auf europäischer
und internationaler Ebene.
Er richtet sich ebenfalls an Behörden einschließlich
Parlamente, Regierungen und öffentlicher Verwaltungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene.
Die Zielgruppe ist groß, aber es ist beabsichtigt, dass
bestimmte Teile des Verhaltenskodex auf allen Ebenen
der öffentlichen Verwaltung eingesetzt werden können.
3. Rahmenbedingungen für die Bürgerbeteiligung
3.1 Parameter der Zivilgesellschaft
NRO und die organisierte Zivilgesellschaft tragen wesentlich zur Entwicklung und Umsetzung von Demokratie und Menschenrechten bei. Eine Definition des
Europarats für NRO ist in der Empfehlung des Ministerkomitees (2007) 14 zu finden. Sie besagt, dass
„NRO freiwillig selbstverwaltete Körperschaften oder
Organisationen sind, die gegründet wurden, um die
im Wesentlichen nicht gewinnorientierten Ziele ihrer
Gründer oder Mitglieder zu verfolgen.“ Für diesen Ver160
haltenskodex für die Bürgerbeteiligung bezieht sich der
Begriff auf die organisierte Zivilgesellschaft einschließlich der Vereine, gemeinnützigen Organisationen, Verbände, Stiftungen, Wohltätigkeitsorganisationen sowie
geografisch- oder themenbezogenen Gemeinde- und
Interessensverbände. Die Kernaktivitäten von NRO
konzentrieren sich auf die Werte soziale Gerechtigkeit,
Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
In diesen Bereichen haben NRO das Ziel, zu fördern
und das Leben der Menschen zu verbessern.
NRO sind eine wichtige Komponente bei der Beteiligung an einer offenen, demokratischen Gesellschaft,
indem sie das Engagement einer Vielzahl von Personen fördern. Die Tatsache, dass viele dieser Personen auch Wähler sind, unterstreicht die ergänzende
Funktion zur repräsentativen Demokratie.
NRO tragen durch Wissen und unabhängige Fachkompetenz zum Entscheidungsprozess bei. Dies hat dazu
geführt, dass Regierungen auf allen Ebenen, von der
lokalen bis zur nationalen, sowie internationale Organisationen die wesentlichen Erfahrungen und Kompetenzen von NRO bei der politischen Entwicklung und
Umsetzung für sich nutzen. NRO genießen das einzigartige Vertrauen ihrer Mitglieder und der Gesellschaft,
Bedenken zu äußern, ihre Interessen zu vertreten und
bei Streitthemen involviert zu werden und somit wesentlich zur politischen Entwicklung beizutragen.
Dieser Text unterstreicht den Beitrag einer organisierten Zivilgesellschaft zum demokratischen Prozess und
konzentriert sich nicht auf die damit verbundene Frage
der Bürgerbeteiligung, d. h. auf den einzelnen Bürger.
In diesem Fall wird die Entstehung von Vereinen und
Verbänden als Akt unabhängiger sozialer Organisation angesehen und nicht ausschließlich als individuelle
Handlung. Es wird angenommen, dass organisierte
Gruppen bestehen, um die Anliegen ihrer Mitglieder
sowie das Allgemeinwohl zu fördern; daher fungieren
sie als Schlüssel für die Beteiligung und als Multiplikator für das bürgerschaftliche Engagement.
3.2 Grundlagen der Bürgerbeteiligung
Um eine konstruktive Beziehung zu fördern, sollten
die NRO und die Behörden auf verschiedenen Ebenen gemäß der folgenden Grundsätze handeln:
Beteiligung
NRO sammeln und kanalisieren Ansichten ihrer Mitglieder und von Verbrauchergruppen und den betroffenen Bürgern. Dieser Input trägt wesentlich zum
politischen Entscheidungsprozess bei und verbessert
die Qualität, das Verständnis und die längerfristige
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
Umsetzbarkeit der politischen Vorhaben. Eine Bedingung für diesen Grundsatz ist, dass die Verfahren für
die Beteiligung offen und zugänglich sind und auf den
für die Beteiligung vereinbarten Parametern basieren.
Vertrauen
Eine offene und demokratische Gesellschaft basiert
auf wirklicher Interaktion zwischen Handlungsträgern
und Sektoren (actors and sectors). Auch wenn NRO
und Behörden unterschiedliche Rollen spielen müssen, haben sie das gemeinsame Ziel, das Leben der
Menschen zu erleichtern. Das kann nur durch Vertrauen, Transparenz, Respekt und gegenseitige Zuverlässigkeit zufriedenstellend erreicht werden.
Verantwortung und Transparenz
Im öffentlichen Interesse zu handeln erfordert Offenheit, Verantwortung, Klarheit, Transparenz und
Rechenschaftspflicht sowohl bei NRO als auch bei
Behörden.
Unabhängigkeit
NRO müssen als freie und unabhängige Körperschaften in Hinblick auf ihre Ziele, Entscheidungen
und Handlungen betrachtet werden. Sie haben das
Recht, unabhängig zu handeln und Positionen zu vertreten, die von denen der Behörden, mit denen sie
sonst zusammenarbeiten, abweichen.
3.3 Bedingungen für die Bürgerbeteiligung
Die Bedingungen zur Ermöglichung eines lebendigen
Assoziationswesens sind bereits ausführlich dokumentiert. In Übereinstimmung mit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (ECHR) erfordern diese die Meinungsfreiheit
(Artikel 10 ECHR) und die Versammlungsfreiheit (Artikel 11 ECHR) sowie die jeweilige Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Um sicherzustellen, dass die wesentlichen Beiträge
von NRO im politischen Entscheidungsprozess ohne
Diskriminierung verankert sind, sind ermöglichende
Rahmenbedingungen erforderlich. Voraussetzungen
für ermöglichende Rahmenbedingungen sind u. a.
Rechtsstaatlichkeit, das Einhalten grundlegender
demokratischer Prinzipien, politischer Wille, eine vorteilhafte Gesetzgebung, klare Verfahren, langfristige
Unterstützung und Ressourcen für eine zukunftsfähige Zivilgesellschaft sowie gemeinsamer Raum für
Dialog und Zusammenarbeit. Die Voraussetzungen
ermöglichen eine konstruktive Beziehung zwischen
NRO und Behörden, die auf gegenseitigem Vertrauen
und einem beiderseitigen Verständnis für eine partizipatorische Demokratie fußt.
4. Politisches Engagement
Um die grundlegenden politischen Ziele des Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung zu erreichen und
um seine Bedeutung und praktische Umsetzbarkeit
für NRO bei ihrer Mitwirkung am politischen Entscheidungsprozess sicherzustellen, legt dieser Abschnitt dar,
wie die Beteiligung der Zivilgesellschaft aussehen kann.
Es gibt bei diesem Prozess zwei miteinander verbundene Dimensionen. Zuerst sind die Ebenen der Beteiligung in Abschnitt IV.i beschrieben, in der Reihenfolge
ihrer steigenden Intensität, von der einfachen Bereitstellung von Informationen über Beratung und Dialog
bis zur Partnerschaft zwischen NRO und Behörden.
Zweitens werden die Schritte des politischen Entscheidungsprozesses in Abschnitt IV.ii dargelegt, d. h. die
sechs Schritte, die von Behörden unternommen werden, vom Agenda-Setting über die Umsetzung bis hin
zur Überprüfung und Neuformulierung.
In einem weiteren Abschnitt (IV.iii) werden Werkzeuge
beschrieben, die in jeder Phase eingesetzt werden
können und fachgebietsübergreifende Unterstützung
beim Beteiligungsprozess bieten.
Diese Elemente werden dann in einer Matrix der Bürgerbeteiligung (V) kombiniert, die eine anschauliche
Präsentation der Wechselbeziehungen innerhalb des
Prozesses bietet.
4.1 Die verschiedenen Ebenen der Beteiligung
Das Mitwirken von NRO bei den verschiedenen
Schritten des politischen Entscheidungsprozesses
variiert je nach Intensität der Beteiligung. Es gibt
vier stufenweise ansteigende Beteiligungsebenen,
von der Beteiligung mit der niedrigsten zu der mit
der höchsten Intensität. Dies sind: Information, Beratung, Dialog und Partnerschaft. Sie können an jedem Schritt des Entscheidungsprozesses eingesetzt
werden, sind aber häufig an bestimmten Punkten des
Prozesses besonders relevant. (s. Abb. 1)
1. Information
Zugang zu Informationen ist die Grundlage für alle folgenden Schritte bei der Mitwirkung von NRO am politischen Entscheidungsprozess. Hierbei handelt es sich
um eine relativ niedrige Beteiligungsebene, die gewöhnlich aus einer einseitigen Bereitstellung von Informationen von den Behörden besteht. Von den NRO wird keine Interaktion oder Mitwirkung verlangt oder erwartet.
Informationen sind für alle Schritte des Entscheidungsprozesses wichtig.
161
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
Abb. 1
Information
niedrig Beratung
BETEILIGUNGSEBENEN 2. Beratung
Dies ist eine Form der Initiative, bei der die Behörden NRO nach ihrer Meinung zu einem bestimmten
politischen Thema oder einer politischen Entwicklung
fragen. Bei der Beratung informieren die Behörden
die NRO normalerweise über aktuelle politische Entwicklungen und bitten sie um Kommentare, Ansichten
und Rückmeldungen. Die Initiative geht nicht von den
NRO aus, sondern von den Behörden, die auch die
Themen bestimmen.
Beratung ist für alle Schritte des Entscheidungsprozesses wichtig, besonders für die Ausarbeitung, die
Überwachung und die Neuformulierung.
3. Dialog
Die Initiative für den Dialog kann von beiden Seiten
ausgehen, und der Dialog kann entweder weit oder
gemeinschaftlich sein.
Ein weiter Dialog ist eine Zweiwege-Kommunikation,
die auf gegenseitigen Interessen und möglicherweise geteilten Zielen basiert, um einen regelmäßigen
Austausch von Ansichten zu gewährleisten. Er reicht
von öffentlichen Anhörungen bis zu Treffen zu speziellen Themen zwischen den Behörden und den NRO.
Die Diskussion ist breit gefächert und nicht speziell
mit einem aktuellen politischen Entwicklungsprozess
verbunden.
Ein gemeinschaftlicher Dialog basiert auf einem gemeinsamen Interesse für eine spezielle politische
Entwicklung. Gewöhnlich führt der gemeinschaftliche
Dialog zu einer gemeinsamen Empfehlung, Strategie
oder Gesetzgebung. Der gemeinschaftliche Dialog
162
Dialog
(weit oder
gemeinschaftlich)
Partnerschaft
hoch
besitzt mehr Macht als der weite Dialog, da er mit gemeinsamen, häufigen und regelmäßigen Treffen zur
Entwicklung von politischen Kernstrategien einhergeht und oft zu vereinbarten Ergebnissen führt.
Der Dialog ist an allen Schritten des politischen Entscheidungsprozesses wertvoll, besonders aber für
das Agenda-Setting, die Ausarbeitung und die Neuformulierung.
4. Partnerschaft
Eine Partnerschaft impliziert geteilte Verantwortung
bei jedem Schritt des politischen Entscheidungsprozesses vom Agenda-Setting über die Ausarbeitung
bis hin zur Entscheidung und Umsetzung von politischen Initiativen. Sie ist die höchste Form der Beteiligung.
Auf dieser Ebene treffen die NRO und die Behörden für eine enge Zusammenarbeit zusammen,
wobei sichergestellt ist, dass die NRO weiterhin unabhängig sind und das Recht haben, unabhängig
von einer partnerschaftlichen Situation zu werben
und zu agieren. Eine Partnerschaft kann Aktivitäten
wie die Delegation einer bestimmten Aufgabe an
eine NRO beinhalten, z. B. Erbringung von Dienstleistungen oder auch partizipatorische Foren und
die Gründung von Körperschaften mit Mitentscheidungsbefugnis, einschließlich bei der Vergabe von
Mitteln.
Partnerschaften können in allen Phasen des politischen Entscheidungsprozesses eingegangen werden und sind besonders für die Schritte Agenda-Setting und Umsetzung wichtig.
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
4.2 Die Phasen des politischen
Entscheidungsprozesses
Der unten stehende Kreis stellt die sechs verschiedenen Phasen des politischen Entscheidungsprozesses, Agenda-Setting, Ausarbeitung der politischen
Linie, Entscheidungsfindung, Umsetzung der Politik,
Kontrolle und Neuformulierung der Politik dar. Jeder
Schritt bietet NRO und Behörden Gelegenheiten zur
Zusammenarbeit (s. Abb. 2).
Agenda-Setting
Die politische Agenda wird vom Parlament und der Regierung vereinbart, kann jedoch von NRO oder NROGruppen durch Kampagnen und Lobbyarbeit in Bezug
auf Themen, Bedürfnisse und Anliegen geformt werden. Neue politische Initiativen resultieren oft aus dem
Einfluss von NRO-Kampagnen. Bei diesem Schritt
möchten NRO im Namen eines kollektiven Interesses
Einfluss auf Entscheidungsträger nehmen und in einer
Weise agieren, die die politische Debatte ergänzt.
Beiträge der NRO:
• Anwaltschaft: Themen, Bedürfnisse und Anliegen
für eine bestimmte Verbrauchergruppe, eine Sichtweise oder ein allgemeines öffentliches Interesse
ansprechen, die bisher nicht von der Gesetzgebung oder politischen Dokumenten, Urkunden
oder Maßnahmen behandelt wurden.
• Information und Bewusstseinsbildung: Erkenntnisse der NRO mit den Behörden teilen, Mitglieder,
Benutzer und wichtige Bürgergruppen einbeziehen und vertreten und als Kanäle fungieren, um
die Bürger zu erreichen; zuhören, reagieren und
informieren.
• Fachkenntnis und Beratung: Fachleute, die über
Wissen in einem speziellen Gebiet verfügen, spielen eine Schlüsselrolle beim Festlegen der politischen Agenda. Ihre Analysen und Forschungen
zeigen aktuelle und zukünftige Erfordernisse der
Gesellschaft auf und liefern entscheidende Perspektiven.
• Innovation: Entwicklung neuer Lösungen und Herangehensweisen; zeigen, wie diese in die politische Agenda integriert werden können.
• Dienstleistungen: Hauptakteur bei der Gestaltung von Politik und der Schaffung alternativer
oder nicht-existenter Dienstleistungen für eine bestimmte Verbrauchergruppe.
Verantwortlichkeiten der Behörden:
• Weitergabe von Informationen: Bereitstellung von
aktuellen, genauen und zeitnahen Informationen
für alle interessierten Parteien in einem zugänglichen Format.
• Verfahren: Entwicklung und Befolgung eines
transparenten Entscheidungsprozesses. Anbieten klarer, offener und zugänglicher Verfahren zur
Beteiligung.
Abb.2
Neuformulierung
Agenda-Setting
Überwachung
Ausarbeitung
Umsetzung
Entscheidung
163
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
• Bereitstellung von Ressourcen: Ermöglichung
der aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft etwa
durch Haushaltsbestimmungen, Sachleistungen,
oder administrative Leistungen.
• Ansprechbarkeit: Gewährleistung aktiver Mitwirkung der kompetenten Behördenvertreter; zuhören, reagieren und Rückmeldung geben.
der Lieferung von Belegen für den bevorzugten Vorschlag, z. B. durch Interviews oder Forschung, einbezogen. Die Schaffung von Gelegenheiten für die Beratung sollte ein Schlüsselelement bei diesem Schritt
sein, wie auch unterschiedliche Formen des Dialogs,
um Anregungen von wichtigen Interessengruppen zu
erhalten.
Werkzeuge und Mechanismen:
Beiträge der NRO:
Information:
• Leichter und offener Zugang zu relevanten, genauen und zeitnahen Informationen zum politischen Prozess, Unterlagen und politischen Entscheidungsträgern, z. B. Online-Datenbanken.
• Forschung, um problematische Sachverhalte zu
verstehen und vorgeschlagene Lösungen weiterzuentwickeln.
• Kampagnen und Lobbyarbeit von NRO auf Grund
von Bewusstseinsschaffung durch politische Papiere, Poster und Flugblätter, Internetseiten, Pressemitteilungen, öffentliche Demonstrationen etc.
• Internetseite mit umfassendem Zugriff auf Schlüsseldokumente und Ankündigung öffentlicher Veranstaltungen.
• Anwaltschaft: Sicherstellen, dass die Bedürfnisse
und Anliegen der Interessengruppen, auf die sich
der Entwurf der Politik auswirkt, berücksichtigt
werden.
• Information und Bewusstseinsbildung: NRO informieren Mitglieder, Verbraucher und wichtige Bürgergruppen über den Ausarbeitungsprozess.
• Fachkenntnis und Beratung: Analysen und
Forschung zu Themen bereitstellen oder zusätzliche Prioritäten, die in den Ausarbeitungsprozess integriert werden sollen, in den Vordergrund stellen.
• Innovation: Lösungen durch die Einführung neuer
Herangehensweisen, praktischer Lösungen und
konkreter Modelle anbieten, die bestimmten Verbrauchergruppen Vorteile verschaffen.
• D ienstleistungen: Anregungen zur Ausarbeitung
der Politik, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse bestimmte Verbraucher berücksichtigt und die erforderlichen Bedingungen erfüllt
werden.
• Überwachungsfunktion: dem Ausarbeitungsprozess folgen, um sicherzustellen, dass die Anliegen
von Interessengruppen berücksichtigt werden und
dass der Prozess transparent abläuft.
eratung:
B
• Petitionen, entweder durch Online-Tools wie e-petition oder web-forum.
• Beratung, online oder anderweitig, um Interessen
und Anregungen von Mitgliedern von Interessengruppen zu sammeln.
ialog:
D
• Anhörung und öffentliche Foren mit Interessengruppen, um die Sensibilitäten und Interessen der
verschieden Gruppen zu identifizieren und zu interpretieren.
• Bürgerforen und Zukunftswerkstätten, um mit Bürgern und NRO zu diskutieren
• Schlüsselkontakte zur Regierung, um der Zivilgesellschaft den Zugriff auf Informationen zu aktuellen politischen Initiativen zu ermöglichen.
Partnerschaft:
• Arbeitsgruppe oder Komitee als permanente oder
Ad-hoc-Expertengruppe zur Beratung bei politischen Präferenzen.
Ausarbeitung
Behörden haben gewöhnlich gut eingeführte Verfahren für die Ausarbeitung von politischen Linien.
Hier werden NRO häufig in Bereichen wie der Problemerkennung, dem Vorschlagen von Lösungen und
164
Verantwortlichkeiten der Behörden:
• Weitergabe von Informationen: Weitergabe von aktuellen und umfassenden Informationen zum aktuellen Beratungsprozess
• Verfahren: Entwicklung und Befolgung der Mindeststandards für die Beratung wie klare Zielsetzungen, Regeln zur Beteiligung, Fristen, Kontakte
etc. Organisation offener Beratungstreffen, einschließlich Einladung aller potentiellen Interessengruppen
• Bereitstellung von Ressourcen: Bereitstellung adäquater Fristen und Mittel für die Beratung, um die
Beteiligung unterschiedlicher Ebenen der Zivilgesellschaft sicherzustellen
• Ansprechbarkeit: Gewährleistung aktiver Mitwirkung der kompetenten Behördenvertreter; zuhören, reagieren und Rückmeldung zu Beratungserwiderungen geben.
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
Werkzeuge und Mechanismen:
Information: • Leichter und offener Zugang zu politischen Dokumenten, einschließlich einer zentralen Informationsstelle, die in verschiedenen Formaten Informationen über die Entwürfe bereithält, um die
Öffentlichkeit zu erreichen.
• Internetseite mit umfassendem Zugriff auf Schlüsseldokumente und Ankündigung öffentlicher Veranstaltungen
• Kampagnen und Lobbyarbeit, um den Entwurf der
Politik durch Stellungnahmen, Briefe, Manifeste zu
kommentieren und zu formen.
• Webcasts von Anhörungen, Konferenzen und Debatten, die es den Menschen ermöglichen, diese in
Echtzeit zu verfolgen.
• Forschung, um Anregungen zum Ausarbeitungsprozess zu liefern.
Beratung und Dialog:
• Anhörungen und Frage-und-Antwort-Foren mit
Interessengruppen, um die Sensibilitäten und Bedürfnisse von Angesicht zu Angesicht oder online
zu identifizieren und zu interpretieren und Vorschläge zu sammeln.
• Expertenseminare und –konferenzen, bei denen Fachleute in die Entwicklung spezialisierter Forschungsmethoden oder Studien involviert werden, die für die Ausarbeitung verwendet werden können.
• Komitees mit mehreren Interessengruppen und
Körperschaften mit Beratungsfunktion, die aus
Vertretern aus dem NRO-Bereich bestehen bzw.
diese mit einschließen; können permanent oder ad
hoc sein.
Partnerschaft:
• Hilfe bei der Ausarbeitung: aktive Mitwirkung bei
der Ausarbeitung von Teilen des Gesetzgebungsprozesses
Entscheidung
Die Formen der politischen Entscheidungsfindung
variieren durch den nationalen Hintergrund und die
nationale Gesetzgebung. Typische Formen sind die
Erstellung einer Beschlussvorlage durch ein Ministerium, die Verabschiedung eines Gesetzes durch parlamentarische Abstimmung; oder Volksentscheid, die
dann eine entsprechende Gesetzgebung erfordern.
Gesetzesentwürfe und –anträge sollten offen für Anregungen und Mitwirkung von NRO sein. Die Behörden
sollten unterschiedliche Ansichten und Meinungen einholen und bewerten, bevor Entscheidungen getroffen
werden. In dieser Phase ist Beratung für eine infor
mierte Entscheidung unabdingbar. Allerdings liegt die
endgültige Entscheidungsgewalt bei den demokratisch
legitimierten Behörden, es sei denn, die Entscheidung
wird aufgrund einer öffentlichen Abstimmung, eines
Volksentscheids oder einer Instanz der Mitentscheidung getroffen.
Beiträge der NRO:
• Anwaltschaft: Einflussnahme auf die Entscheidungsträger vor einer Abstimmung
• Information und Bewusstseinsbildung: Information
von Mitgliedern, Verbrauchern und wichtigen Bürgergruppen über politische Entscheidungen und
ihre möglichen Auswirkungen.
• Fachkenntnis und Beratung: Bereitstellung detaillierter Analysen, um zu informieren und Entscheidungsträger zu beeinflussen.
• Überwachungsfunktion: Verfolgung des Entscheidungsprozesses, um sicherzustellen, dass er demokratisch, transparent und optimal effektiv abläuft.
Verantwortlichkeiten der Behörden:
• Weitergabe von Informationen: Weitergabe von Informationen zu Richtlinien oder Gesetzen, die sich
gerade im Entscheidungsprozess befinden.
• Verfahren: Anbieten und Verfolgen von Verfahren
für Instanzen der Mitentscheidung, falls erforderlich
• Bereitstellung von Ressourcen: Ermöglichung und
Unterstützung der aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft durch Einbeziehung von NRO in die Entscheidungsphase
• Ansprechbarkeit: Zuhören, die Anregungen der Zivilgesellschaft berücksichtigen und auf sie reagieren.
Werkzeuge und Mechanismen:
Information: • Kampagnen und Lobbyarbeit, um Einfluss auf Entscheidungsträger zu nehmen, z. B. durch Flugblätter, Internetseiten, Pressemitteilungen und öffentliche Demonstrationen
Beratung und Dialog:
• Offene Plenar- oder Ausschusssitzungen, um den
offenen Zugang zu Debatten während der Entscheidungsfindung sicherzustellen.
Partnerschaft
• Gemeinsame Entscheidungsfindung durch Foren,
Konsenskonferenzen und andere partizipatorische
Treffen
• Mitentscheidung wie partizipatorische Haushaltsplanung
165
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
Umsetzung
In dieser Phase sind viele NRO am aktivsten, z. B. bei
der Bereitstellung von Leistungen und der Projektabwicklung. Ein großer Teil der Arbeit von NRO in den
vorhergehenden Phasen beinhaltet Versuche, die
Umsetzung von Politik zu beeinflussen. Diese Phase
ist besonders wichtig, um sicherzustellen, dass das
beabsichtigte Ergebnis auch erzielt wird. Zugriff auf
klare und transparente Informationen zu Erwartungen
und Gelegenheiten sowie aktive Partnerschaften sind
bei diesem Schritt wichtig.
Beiträge der NRO:
• Information und Bewusstseinsbildung: in erster
Linie gerichtet auf die Schaffung von öffentlichem
Bewusstsein, Erklärung von Vor- oder Nachteilen
und der Auswirkung von politischen Richtlinien
• Bereitstellung von Dienstleistungen: Ein Hauptakteur bei der Umsetzung politischer Initiativen trägt
oft die Hauptverantwortung für die Bereitstellung.
• Überwachungsfunktion: Überprüfen und Sicherstellen, dass die politischen Richtlinien wie beabsichtigt und ohne ungewollte Nebeneffekte umgesetzt werden.
Verantwortlichkeiten der Behörden:
• Weitergabe von Informationen: Weitergabe von Informationen zu Umsetzungsstrategien, öffentlichen
Ausschreibungsverfahren und Projektrichtlinien
• Verfahren: Befolgung vorhandener Regeln und Richtlinien zur Umsetzung von politischen Verfahren
• Bereitstellung von Ressourcen: Ermöglichung
der aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft in
der Umsetzungsphase, u. a. durch Haushaltsbestimmungen, Sachleistungen oder administrative
Leistungen
• Ansprechbarkeit: Erreichbar sein und auf die besonderen Anforderungen, die sich im Umfeld der
Umsetzung ergeben, reagieren
Werkzeuge und Mechanismen:
Information: • Offener und freier Zugang zu Unterlagen aus dem
öffentlichen Sektor, die sich auf Projekte und Entscheidungen zur Umsetzung beziehen
• Internetseite mit umfassendem Zugriff auf die wichtigsten Unterlagen und Ankündigung von öffentlichen Veranstaltungen
• E-Mail-Benachrichtigungen, in denen anstehende Projekte und Fördermöglichkeiten angekündigt
werden.
166
• FAQs - online oder durch andere Kanäle, um Informationen anzubieten, die als Fragen und Antworten aufgemacht sind und die praktische Hilfe und
Beratung bieten sollen.
• Öffentlich angekündigte Ausschreibungsverfahren,
um einen transparenten Prozess für die Bereitstellung von Leistungen zu bieten.
eratung:
B
• Veranstaltungen, Konferenzen, Foren und Seminare, um zu informieren und die Umsetzung politischer Richtlinien mit NRO und der Öffentlichkeit
zu diskutieren.
Dialog:
• Seminare zur Verbesserung von Kompetenzen, um
Wissen und Kompetenzen zu mehren, die für die
Umsetzung wichtig sind.
• Schulungsseminare für NRO und Behörden zu bestimmten Themen, die für die Umsetzung wichtig
sind, wie Beschaffung, Projekt- und Förderanträge
Partnerschaft:
• Strategische Partnerschaft, bei der NRO und Behörden eine Partnerschaft zur Umsetzung von
Politik eingehen; dies kann von einem kleinen Pilotprojekt bis zur vollständigen Umsetzungsverantwortung gehen.
Monitoring/Überwachung
An diesem Punkt besteht die Rolle der NRO darin,
die Ergebnisse der umgesetzten politischen Linien zu
überwachen und zu kontrollieren. Dazu ist es wichtig,
ein effektives und transparentes Kontrollsystem zur
Verfügung zu haben, das sicherstellt, dass die Politik/
das Programm den beabsichtigten Zweck erfüllt.
Beiträge der NRO:
• Anwaltschaft: Überprüfen und erklären, ob die
politische Initiative die Nutznießer, für die sie beabsichtigt war, erreicht hat und den für die Gesellschaft beabsichtigten Zweck erfüllt hat.
• Fachkenntnis und Beratung: Die Auswirkung der
Politik untersuchen; schließt Think Tanks und Forschungsinstitute mit ein.
• Bereitstellung von Dienstleistungen: Verantwortung für die Überwachung der Auswirkungen des
Programms hinsichtlich der Qualität, Nachhaltigkeit, Effektivität und Fallbeispielen
• Überwachungsfunktion: Eine Schlüsselrolle bei
der Kontrolle von politischen Auswirkungen, um
sicherzustellen, dass die beabsichtigten Ziele erreicht wurden.
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
Verantwortlichkeiten der Behörden:
• Weitergabe von Informationen: Weitergabe von Informationen zum aktuellen Stand der Politik
• Ansprechbarkeit: Zuhören und zu speziellen Themen, die von NRO oder der Zivilgesellschaft angesprochen werden, Stellung nehmen.
Nützliche Werkzeuge und Mechanismen:
Information: • Offener und freier Zugang zu Informationen zum
Verlauf des politischen Prozesses
• Hinweise sammeln, um Fälle und Statistiken zur
Projekterfüllung zu erhalten
• Evaluierung von Politik und ihre Auswirkung durch
Konferenzen und Berichterstattung
• Unabhängige Forschungsstudien, um die wichtigsten Erkenntnisse herauszustellen.
Beratung:
• Feedback-Mechanismen, wie Umfragen, Web-Umfragen oder Fragebögen, um den Verlauf zu verfolgen.
Dialog:
• Arbeitsgruppe oder Ausschuss bestehend aus
NRO (sowohl Verbraucher als auch Anbieter), die
für die Überwachung und Evaluierung der politischen Initiative verantwortlich sind.
Partnerschaft:
• Arbeitsgruppe oder Komitee bestehend aus der
NRO und Behörden zusammen in einer strategischen Partnerschaft, um die politische Initiative
zu überwachen und zu evaluieren.
Neuformulierung
Das Wissen, das aus der Auswertung der Umsetzung
gewonnen wurde, gepaart mit neuen gesellschaftlichen Erfordernissen erfordert oft eine Neuformulierung der Politik. Dies muss auf dem Zugang zu
Informationen und der Gelegenheit zum Dialog, um
Bedürfnisse und Initiativen zu erkennen, basieren.
Die Neuformulierung ermöglicht den Anstoß eines
neuen Zyklus zur Entscheidungsfindung.
Beiträge der NRO:
• Anwaltschaft: Lobby für die Erneuerung von politischen Richtlinien durch Herausstellung von Grenzen
oder Nebenwirkungen der aktuellen Politik, um die Bedürfnisse der Verbraucher oder Bürger zu befriedigen.
• Fachkenntnis und Beratung: Forschung und Analysen in Auftrag geben, um Lücken in der aktuellen
politischen Situation zu erkennen und eine Begründung für die Neuformulierung zu liefern.
• Innovation: Entwicklung neuer Herangehensweisen, um wichtige politische Themen in Angriff zu
nehmen; Dies kann ein Schlüsselelement bei der
politischen Erneuerung sein.
• Bereitstellung von Dienstleistungen: Hindernisse
erkennen und Belege sammeln, um entstehende
Bedürfnisse herauszustellen, die eine Neuformulierung der politischen Linie erforderlich machen.
Verantwortlichkeiten der Behörden:
• Weitergabe von Informationen: Weitergabe von
Informationen zur möglichen Revision einer politischen Linie und der Wahrnehmung von erforderlichen Änderungen der politischen Linie
• Verfahren: Bereitstellung klarer, offener und zugänglicher Verfahren zur Beteiligung
• Bereitstellung von Ressourcen: Ermöglichung der
aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft
• Ansprechbarkeit: Zuhören und auf Anregungen von
NRO reagieren
Werkzeuge und Mechanismen:
Information: • Offener und freier Zugang zu Informationen, um
Auswertungen, Studienergebnisse und andere Belege zur aktuellen politischen Linie zu liefern.
Beratung:
• Konferenz oder Besprechung, um die nächsten,
von den Behörden geplanten Schritte festzulegen.
• Online-Beratung, um Ansichten der Zivilgesellschaft
zur politischen Linie/Folgeprojekten zu sammeln.
Dialog:
• Seminare oder beratende Foren, um Interessengruppen bei der Entwicklung neuer Richtungen in
der Politik zu involvieren, z. B. World Café, open
space, weitere Brainstorming-Methoden.
Partnerschaft:
• Arbeitsgruppe oder Ausschuss, in der/dem NRO
zusammen mit anderen Interessengruppen und
Behörden eine Expertengruppe bilden mit dem
Ziel, eine neue politische Linie zu empfehlen.
4.3 Fachübergreifende Werkzeuge und
Mechanismen für die Bürgerbeteiligung
Während der Beratungen über den vorliegenden
Verhaltenskodex wurden europaweit Werkzeuge ge167
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
sammelt, die die Beteiligung bei politischen Entscheidungsprozessen unterstützen können:
E-Beteiligung
eTools bieten ein großes Potential für die Verbesserung der demokratischen Praxis und der Beteiligung
einer organisierten Zivilgesellschaft. Sie können in
großem Maße zur Transparenz, Rechenschaftspflicht
und Erreichbarkeit von Institutionen sowie zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagement, und zu
einer Steigerung der politischen Befähigung und der
Zugänglichkeit und Inklusivität des demokratischen
Prozesses beitragen. Um ihr Potential voll auszuschöpfen, sollten eTools von allen am Entscheidungsprozess Mitwirkenden in ihre Arbeit integriert werden,
einschließlich der Behörden auf allen Ebenen und der
organisierten Zivilgesellschaft.
Steigerung von Kompetenzen in Hinsicht auf die Beteiligung
Es ist äußerst wichtig, die Kompetenzen und Fähigkeiten lokaler, regionaler und nationaler NRO zu entwickeln, so dass sie ggf. aktiv bei der Formulierung
von politischen Linien, der Projektentwicklung und
Dienstleistung mitwirken können. Die Steigerung von
Kompetenzen kann auch Schulungsseminare für ein
verbessertes Verständnis der wechselseitigen Rollen
von NRO und Behörden bei diesem Engagement beinhalten sowie Austauschprogramme, um die Sichtweisen des jeweils anderen besser zu verstehen.
Strukturen für die Zusammenarbeit zwischen NRO
und Behörden
Um die Beziehung zwischen NRO und Behörden
zu erleichtern, haben einige Länder koordinierende
Körperschaften entwickelt. Dies sind u. a.: Regierungsinstitutionen wie eine Kontaktperson für die Zivilgesellschaft in allen Ministerien oder eine zentrale
koordinierende Institution als Ansprechpartner; gemeinschaftliche Strukturen wie Arbeitsgruppen aus
mehreren Interessengruppen, Arbeitsgruppen, Sachverständigengremien und weitere beratende Institutionen (permanent oder ad hoc); oder NRO-Allianzen/
Koalitionen, die Ressourcen bündeln und gemeinsame Positionen entwickeln.
Rahmendokumente zur Zusammenarbeit zwischen
NRO und Behörden
In vielen europäischen Ländern wurden Rahmenverträge ausgearbeitet, um die Pflichten, Rollen, Verantwortlichkeiten und Verfahren bei der Zusammenarbeit festzulegen. Diese Dokumente bilden eine klare
Grundlage für die Beziehung und erleichtern somit
den ständigen Dialog und das gegenseitige Einvernehmen zwischen NRO und Behörden. Sie beinhalten
168
gegenseitige Vereinbarungen mit dem Parlament
oder der Regierung, strategische Dokumente für die
Kooperation und offizielle, von den Behörden verabschiedete Programme zur Zusammenarbeit.
5. Matrix zur Bürgerbeteiligung
Um die Beziehungen zu verdeutlichen zeigt die untenstehende Matrix die Schritte des politischen Entscheidungsprozesses und ihre Verbindung mit den
Beteiligungsebenen. Sie basiert auf guten Praktiken
und Beispielen aus Zivilgesellschaften in ganz Europa und soll zu eigener Handlung inspirieren und die
Interaktion zwischen NRO und Behörden stärken.
An jedem Punkt des Entscheidungsprozesses (von
links nach rechts) gibt es verschiedene Ebenen von
NRO-Beteiligungen (von unten nach oben). Es wird
angenommen, dass die einzelnen Schritte des politischen Entscheidungsprozesses auf jeden europäischen Kontext angewandt werden können, von lokal
bis hin zu national. Wie bereits erklärt, können die Beteiligungsebenen an jedem Punkt des Entscheidungsprozesses von niedrig bis hoch variieren, und es ist
beabsichtigt, dass die vorgeschlagenen Werkzeuge
genutzt werden, um Beteiligung zu implementieren.
Diese Matrix kann auf vielerlei Weise verwendet
werden, z. B. für die Darstellung der Ebenen des Engagements der Zivilgesellschaft bei politischen Prozessen, für die Auswertung von NRO in jeder Phase
eines Prozesses oder als eine praktische Quelle für
die NRO-Planung von politischer Aktivitäten.
Sie stellt keine abschließende Liste dar und kann an
viele weitere Anwendungsmöglichkeiten angepasst
werden.
Die Matrix zeigt die in Beziehung stehenden Elemente der Beteiligung am Entscheidungsprozess. Sie
stellt dar, wie durch die oben genannten Werkzeuge
die beabsichtigte Beteiligung in jeder Phase des Entscheidungsprozesses erreicht werden kann.
Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess
Matrix zur Bürgerbeteiligung
Partnerschaft
Arbeitsgruppe
oder Ausschuss
Redaktion bei
der Ausarbeitung
Gemeinsame
Entscheidungen
Strategische
Partnerschaften
Arbeitsgruppen
oder Ausschuss
Arbeitsgruppen
oder Ausschuss
Seminare zur
Steigerung von
Kapazitäten
Arbeitsgruppen
oder Ausschuss
Seminare oder
Beratungsforen
Feedback-Mechanismen
Konferenzen
oder Besprechungen
Mitentscheidungen
Dialog
Anhörungen
und öffentliche
Foren
Bürgerforen und
Zukunftsgremien
Schlüsselkontakte zur
Regierung
Beratung
Petitionen
Online-Beratung
oder andere
Beratungstechniken
Anhörungen
und F&A-Foren
Offene Plenaroder Ausschusssitzungen
Sachverständigenseminare
Schulungsseminare
Komitees aus
mehreren Interessengruppen
und beratende
Institutionen
Anhörungen
und F&A-Foren
Offene Plenaroder Ausschusssitzungen
Sachverständigenseminare
Veranstaltungen, Konferenzen, Foren,
Seminare
Online-Beratung
Komitees aus
mehreren Interessengruppen
und beratende
Institutionen
Information
Leichter und offener Zugang zu
Informationen
Offener und
freier Zugang
zu politischen
Dokumente
Kampagnen und
Lobby-Arbeit
Forschung
Kampagnen und
Lobby-Arbeit
Website für
Schlüsseldokumente
Internetseiten
für Schlüsseldokumente
Offener Zugang
zu Informationen
Offener Zugang
zu Informationen
Internetseite zur
Informationsbeschaffung
Beweissammlung
Offener Zugang
zu Informationen
Auswertungen
E-mail-Benachrichtigungen
Kampagnen und
Lobby-Arbeit
Forschungsstudien
FAQ
Webcasts
Öffentliche Ausschreibungsverfahren
Anregungen aus
der Forschung
Beteiligungsebenen
Agenda-Setting
Ausarbeitung
Entscheidung
Umsetzung
Überwachung
Neuformulierung
Schritte des
politischen
Entscheidungsprozesses
169
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Yasmin Aksu
Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin
[email protected]
Prof. Dr. Elisabeth Bubolz-Lutz
Forschungsinstitut Geragogik
Alfred-Herrhausen-Str. 44
58455 Witten
[email protected]
Prof. Dr. Heinz-Jürgen Dahme
Hochschule Magdeburg Stendal
Breitscheidstr. 2
39114 Magdeburg
[email protected]
Ralph Döring
Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin
[email protected]
Birger Hartnuß
Staatskanzlei Rheinland-Pfalz
Peter-Altmeier-Allee 1
55116 Mainz
[email protected]
Susanne Huth
INBAS-Sozialforschung GmbH
Nonnenpfad 14
60599 Frankfurt am Main
[email protected]
170
Prof. Dr. Gisela Jakob
Hochschule Darmstadt, FB Gesellschaftswissenschaften und Soziale Arbeit
Adelungstr. 51
64283 Darmstadt
[email protected]
Dr. Ludger Klein
Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.
Zeilweg 42
60439 Frankfurt a.M.
[email protected]
Peter Kromminga
UPJ e.V
Brunnenstr. 181
10119 Berlin
[email protected]
Dr. Reinhard Lang
UPJ e.V
Brunnenstr. 181
10119 Berlin
[email protected]
Stefanie Lausch
Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin
[email protected]
Dörte Lüdeking
Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin
[email protected]
Autorenverzeichnis
Prof Dr. Thomas Rauschenbach
Deutsches Jugendinstitut
Nockherstr.2
81541 München
[email protected]
Christiane Richter
Senior Partner in School
Breslauer Platz 1
12159 Berlin
[email protected]
Susanne Rindt
Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin
[email protected]
Dr. Thomas Röbke
Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern
Gostenhofer Hauptstr. 63
90443 Nürnberg
[email protected]
Dr. Nicole D. Schmidt
Freiwilligenzentren mittenmang Schleswig-Holstein e.V.
Bismarckstr. 10
24837 Schleswig
[email protected]
Uwe Slüter
Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Freiwilligendienste, BDKJ-Bundesstelle e.V.,
Carl-Mosterts-Platz 1
40477 Düsseldorf
[email protected]
Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt
Ev. Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe Bochum
Immanuel-Kantstr. 18-20
4803 Bochum
[email protected]
171
Weitere Publikationen des Nationalen Forums für
Engagement und Partizipation
Erster Zwischenbericht
Die Dokumentation bietet auf 262 Seiten die Ergebnisse der beiden Fachkongresse des Forums und der 10 engagementpolitischen
Dialogforen vom 27. April und 15. Mai 2009. Der Vorsitzende des
BBE-Sprecherrates Prof. Dr. fasst in seinem Beitrag „Grundrisse
einer engagementpolitischen Agenda“ die Ergebnisse der 10 Dialogforen zusammen. Die Dokumentation bietet in ihren Anhängen
auch einen Überblick zu den engagementpolitischen Förderaktivitäten der Bundesministerien und zur Engagementförderpolitik aller
16 Bundesländer.
Auf dem Weg zu einer nationalen Engagementstrategie –
Perspektiven und Positionen
Materialien und Dokumente Band 2
Der 144seitige Band fasst die Stellungnahmen und Kommentare zu
den engagementpolitischen Empfehlungen zusammen, die im Rahmen des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation auf
zwei Fachkongressen im Frühjahr 2010 erarbeitet wurden. Die Stellungnahmen und Kommentare, die sowohl handlungsfeldspezifisch
als auch handlungsfeldübergreifend sind, werden ergänzt durch
einen zusammenfassenden Überblickbeitrag und eine Zusammenfassung der bisherigen Empfehlungen des Nationalen Forums für
Engagement und Partizipation.
Die Materialien sind über die Koordinierungsstelle erhältlich:
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE)
Koordinierungsstelle „Nationales Forum für Engagement und Partizipation“
Michaelkirchstr. 17/18
10179 Berlin
Telefon: 030 / 629 80-625
www.b-b-e.de
172
Herunterladen