Irisdiagnostik

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Diagnose- und Therapieverfahren
Irisdiagnostik
Bei der Irisdiagnostik werden aus der Betrachtung
der Regenbogenhaut (Iris) und der Interpretation
ihres Aussehens und ihrer Veränderungen Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand des gesamten
Körpers gezogen.
Ein verwandtes Verfahren ist die Augendiagnostik
(gelegentlich als Synonym verwendet): Sie bezieht
neben der Iris und der Pupille auch die anderen
Bereiche des Auges mit ein.
Konventionelle Augenuntersuchung
Weder die Iris- noch die Augendiagnostik haben
etwas mit den konventionellen diagnostischen
Untersuchungen am Auge zu tun. Darunter fällt
zum Beispiel eine Untersuchung des Augenhintergrunds zur Feststellung von Netzhauterkrankungen oder von Veränderungen an den Blutgefäßen im Rahmen einer Diabetesuntersuchung.
Geschichte und Entwicklung
Die erste Beschreibung einer Diagnosestellung aus
den Augen stammt von Philippus Meyen aus dem
Jahr 1670. Der ungarische Mechaniker und Homöopath Ignaz von Péczely (1822–1911) griff die Me-
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thode Ende des 19. Jahrhunderts wieder auf. Er veröffentlichte 1881 ein Lehrbuch zur Augendiagnose
von Organerkrankungen aus Farb- und Formveränderungen in der Regenbogenhaut des Menschen.
Der über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannte Pastor Emanuel Felke (1856–1926) wurde
zum Pionier der Irisdiagnostik; wichtige weitere Vertreter waren die Ärzte Aschner, Schnabel, Lang und
Deck. Sie ergänzten die ursprünglichen Vorstellungen und bildeten unterschiedliche Schulen. Einige
Iridologen haben eine Methode der Pupillendiagnostik entwickelt und schließen Verformungen der
Pupille in die diagnostischen Überlegungen mit ein.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Kurpfuscherei
eingestuft, wurde die Irisdiagnostik unter den
Nationalsozialisten gefördert.
Bis heute wurden mehr als 20 verschiedene
Iriskarten, so genannte Iriszirkel, als Vorlagen zur
Diagnostik veröffentlicht.
Konzept
Irisdiagnostiker meinen, dass das Auge – Spiegel der
Seele – auch Spiegel des ganzen Körpers sei. Sie
gehen davon aus, dass der ganze Organismus auf
der Iris repräsentiert ist und zwar aufrecht und seitengleich: die rechte Körperhälfte auf der Regenbogenhaut des rechten Auges, die linke Körperhälfte
auf der des linken Auges, der Kopf am oberen Rand
der Iris, die Füße unten.
Iriszirkel teilen die Regenbogenhaut – ähnlich
dem Zifferblatt einer Uhr – in 60 Abschnitte und
ordnen diese Abschnitte bestimmten Organen zu.
Funktionsstörungen und Krankheiten innerer Organe sind demzufolge als Form- und Farbanomalien
(Irisphänomene) auf der Regenbogenhaut in dem jeweils zugeordneten Sektor beziehungsweise an der
Pupille erkennbar. Erkrankungen des Blinddarms
zum Beispiel zeigen sich nach einer solchen Einteilung in der unteren Hälfte des rechten Auges, etwa
dort, wo auf dem Zifferblatt einer Uhr die Sieben
liegt. Herzbeschwerden werden an der Iris des
linken Auges sichtbar sein – etwa zwischen den Ziffern zwei und drei. Solche Repräsentationen sollen
nach der Lehre der Irisdiagnostiker möglich sein,
Irisdiagnostik
weil der gesamte Körper durch Nervenschaltkreise
mit dem Auge verbunden ist.
Einige Iridologen gründen ihre Iriszirkel darüber
hinaus auf den Vorstellungen der Traditionellen Chinesischen Medizin (Y Seite 287) vom Wechselspiel
der Kräfte Yin und Yang und den Energiefluss in den
Meridianen (siehe „Akupunktur“ Y Seite 62).
Die Liste dessen, was die Iridologen als diagnostizierbar erachten, hat sich im Lauf der Zeit verändert. Nur wenige suchen heute noch – wie es früher
üblich war – in den Iriszeichen nach Lebensgewohnheiten und Charaktereigenschaften, nach Krankheiten der Vorfahren und „Erbanlagen“ des Patienten.
Heute wird die Irisdiagnostik eher für allgemeine
Aussagen über die Konstitution eines Menschen
und seine Disposition für bestimmte Krankheiten
herangezogen. Vergiftungen, schwere Organerkrankungen, Knochenbrüche, operative Entfernung von
Organen, Organtransplantationen und Amputationen sollen allerdings keine Spuren in der Iris hinterlassen.
Plausibilität des Konzepts
Für die Lehre der Irisdiagnostik gibt es keine wissenschaftliche Basis, die Vorstellungen widersprechen
den anatomischen Fakten: Es gibt keine Nervenbahnen, die den gesamten Körper mit der Iris verbinden.
Darüber hinaus wäre eine seitengleiche Repräsentation der Organe auch deswegen nicht möglich,
weil sich die sinnesleitenden Nervenfasern im jeweiligen Rückenmarksegment kreuzen und es somit
zu einer spiegelbildlichen Weiterleitung der Reize
kommt.
Farbflecken und unterschiedliche Strukturen der
Iris sind normale Varianten der gesunden Regenbogenhaut und keine Krankheitszeichen. Die Augenheilkunde kennt zwar krankhafte Veränderungen
der Iris, die zum Teil auch bei bestimmten Erkrankungen auftreten, aber diese Veränderungen
decken sich nicht mit den Irisphänomenen der
Irisdiagnostik.
Ein Vergleich der verschiedenen Iriskarten zeigt,
dass die Organe an unterschiedlichen Stellen positioniert sind: An der Stelle der Ziffer eins soll sich
je nach Autor etwa der Scheitel, der Hinterkopf, die
Gehirnhaut, das Rückenmark, das Kleinhirn, der
Wille, das Schläfenbein oder der Hirnstamm zeigen.
Darüber hinaus gibt es unter Irisdiagnostikern keine
einheitliche Vorstellung, welche Krankheiten aus
der Iris erkannt werden können.
Durchführung
Irisdiagnostiker schauen dem Patienten meist direkt
in die Augen oder stellen ihre Diagnose anhand von
Fotos oder Videoaufnahmen. Das, was sie sehen und
entdecken, interpretieren sie dann meist mithilfe
eines Iriszirkels.
Häufig werden entsprechend dem Befund zur
Verbesserung der Konstitution Homöopathika oder
Pflanzenmittel verabreicht.
Anwender und ihre Ausbildung
Irisdiagnostik wird in Büchern erläutert und in vielen
Heilpraktikerschulen gelehrt. Die meisten deutschen Heilpraktiker bedienen sich der Irisdeutung
als zentraler diagnostischer Methode. Mediziner
finden sich unter den heutigen Irisdiagnostikern
kaum.
Anwendungsbereiche
Irisdiagnostiker beanspruchen, eine Vielzahl an
Funktionsstörungen und Krankheiten feststellen
zu können. Genannt werden zum Beispiel Atemweginfekte, Blasenleiden, Blutarmut, degenerative
Erkrankungen des Zentralnervensystems, Diabetes
mellitus (Zuckerkrankheit), Durchblutungsstörungen, Epilepsie, Herzerkrankungen, Milchschorf, multiple Sklerose, Ohrenleiden, „Organschwächen“,
Stoffwechselstörungen, bösartige Tumore, beginnende Krebserkrankungen, von den Irisdiagnostikern „Präkanzerosen“ genannt.
Belege für die Wirksamkeit
Die Treffsicherheit der Irisdiagnostik wurde mehrmals untersucht, wobei erfahrenen Iridologen die
Irisbilder von Kranken und Gesunden vorgelegt wurden. Die Tests sollten überprüfen, ob durch die Methode bestehende Krankheiten erkannt werden und
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ob sie bei wiederholter Anwendung zu ähnlichen
Resultaten führt.
In einer systematischen Übersichtsarbeit wurden
vier Studien zur diagnostischen Treffsicherheit bei
folgenden Erkrankungen zusammengefasst und
analysiert: Asthma, die entzündliche Darmerkrankung Colitis ulcerosa, Gallensteine, koronare Herzerkrankung, Nierenschaden und Schuppenflechte. In
diesen Studien wurde Irisdiagnostikern die Aufgabe
gestellt zwischen Patienten mit und ohne diese Erkrankungen zu unterscheiden. Beweise, dass sich
das Verfahren zur Feststellung dieser Erkrankungen
eignet, konnten dadurch nicht erbracht werden.
Dieses Ergebnis wird durch eine neuere Übersichtsarbeit bestätigt.
Eine Arbeit, die Studien zu komplementären Verfahren der Allergiediagnostik zusammengefasst
hat, kommt zu dem Schluss, dass mit Irisdiagnostik
keine Allergien festgestellt werden können. Auch
bei einer Untersuchung an Patienten, die eine orthopädische Verletzung erlitten hatten, erzielten die
drei beteiligten Iridologen mit der Irisdiagnostik
keine verlässlicheren Resultate, als durch Zufallstreffer zu erwarten waren.
DER DOKUMENTIERTE FALL
Gefahr durch Falschdiagnosen
Durch Gerichtsverfahren wurden Falschdiagnosen bekannt. So hat ein Heilpraktiker einem
Patienten mit Krebserkrankung fälschlich ein
Schulter-Arm-Syndrom attestiert; ein anderer
hat eine Ohrentzündung als Herzschwäche und
Wassersucht interpretiert, ein dritter Angina
Pectoris (eine schwere Erkrankung von Herz
und/oder Herzkranzgefäßen) mit Bronchitis
verwechselt. Ein Patient, dessen Depression
vom Iridologen als Nervenentzündung eingeschätzt und monatelang als solche behandelt
wurde, tötete sich schließlich selbst. Ein Kind
mit Diabetes mellitus Typ I war auf Insulin eingestellt, doch die Iridologin fand in der Iris Zeichen einer erblichen Belastung und reduzierte
daraufhin die Insulindosis. Das Kind starb nach
fünf Tagen.
Achtung
Bewertung
Falsch positive Diagnosen, wenn also Gesunde als
krank erklärt werden, können zu – unnötigen –
Ängsten führen; noch gefährlicher allerdings sind
falsch negative Diagnosen: Bestehende Krankheiten
werden nicht erkannt und notwendige Behandlungen versäumt.
Der wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer warnt vor dem Verfahren.
Die Aussagekraft der Irisdiagnostik ist insbesondere bei Asthma, Colitis ulcerosa, Gallensteinen,
koronarer Herzerkrankung, Nierenschaden,
Schuppenflechte und orthopädischer Verletzung
wiederholt und schlüssig widerlegt worden. Irisdiagnostik ist kein aussagekräftiges diagnostisches Verfahren. Die Gefahr von Fehldiagnosen
ist erheblich.
Irisdiagnostik ist zur Erkennung von Krankheiten nicht geeignet.
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