Bundesfinanzministerium - Rede von Bundesfinanzminister Dr

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Reden, Interviews und Namensartikel
Rede von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble beim European Banking
Congress am 19. November 2010 in Frankfurt
Datum 19.11.2010 10:00 Uhr
Ort Frankfurt am Main
Vielen Dank Herr Blessing, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Motto Ihrer Tagung „beyond crisis
management“ beschreibt sehr gut die aktuellen Anforderungen an die Finanzwelt insgesamt und gleichermaßen an die
Finanzpolitik.
Wir dürfen nicht das Momentum verlieren, mit dem wir die Lehren aus der Finanz- und auch aus der Eurokrise gezogen
haben.
Wir müssen, in dem wir diese Lehren ziehen, die Grundlagen für künftiges Wachstum legen. Wir müssen die
Finanzpolitik nachhaltig ausrichten, das heißt, wir müssen die Hauptursachen dieser Krisen bekämpfen: das waren die
zu hohen Defizite, das Übermaß an Liquidität mit der fast zwangläufigen Folge der Blasenbildung und der Mangel an
Regulierungen.
Natürlich müssen wir auch globale Ungleichgewichte durch geeignete, international abgestimmte Maßnahmen
verringern, was nicht nur die Finanzpolitik sondern eine Reihe weiterer Politikbereiche betrifft.
Es bezweifelt ja kaum noch jemand, dass es richtig war, diese Krise in ihrer akuten Phase dadurch zu bekämpfen, dass
die Notbanken den Finanzinstituten Liquidität bereitgestellt und die Regierungen sie mit Kapital und Garantien
unterstützt haben. Es besteht auch Einigkeit darüber, dass die Rezession dadurch verkürzt werden konnte, dass
Regierungen, insbesondere Industriestaaten, die global massiv eingebrochene Nachfrage mit beispiellosen
Konjunkturprogrammen zumindest teilweise kompensiert haben. Aber das alles hat seinen Preis und auf der Rechnung
sitzen letztlich die Steuerzahler.
Der I W F schätzt, dass die Nettokosten der Unterstützung des Finanzsektors etwa durch die G20-Staaten 2009 1,7 %
des BIP, also 905 Mrd. $ betrugen, während sich die zusätzlichen fiskalischen Impulse 2009 und 2010 auf jeweils zwei
Prozent des B I P beliefen. In der Folge stieg so die Gesamtverschuldung der Länder der Eurozone innerhalb eines
einzigen Jahres um nahezu 10 Prozentpunkte. Zehn von sechzehn Mitgliedstaaten der Eurozone meldeten eine
Schuldenquote von über 60 % und die Schuldenquote Griechenlands und Italiens liegt mittlerweile sogar deutlich über
100 %. Die deutsche Quote kann sich, ironisch gesprochen, noch ganz gut sehen lassen. Das zeigt im Übrigen wie
wichtig es ist, dass wir die vielfach europäisch wie international verabredete Exit-Strategie nicht nur verabredet haben
sondern, dass wir sie auch umsetzen - Schritt für Schritt. Das ist das Entscheidende. Mit der Verabredung alleine
kommen wir nicht wirklich weiter. Im Übrigen können wir durch die Finanzmarktkrise und die nachfolgende Rezession
die hohen Schuldenstände nur zum Teil erklären.
Tatsächlich haben wir ja vielfältig auch über unsere Verhältnisse gelebt. Das gilt auch für Deutschland und insofern war
die zusätzliche Schuldenlast der vergangenen Jahre vielleicht nur der zugeben große Tropfen, der das Fass zum
Überlauf gebracht hat. Die Staaten haben auch in konjunkturell guten Zeiten in der Regel mehr ausgegeben als sie
eingenommen haben und, wenn man sich das noch vor dem Hintergrund der demografiebedingten Abnahme des
langfristigen Wachstumspotenzials vieler Volkwirtschaften anschaut, wird es noch problematischer. Deswegen ist es
notwendig, dass wir den Kurs der Rückführung der zu hohen Verschuldung konsequent fortsetzen. Weil die bisherige
Schuldenregelung immer höhere Defizite auch in Deutschland nicht verhindert hat, haben wir eine neue Schuldenregel
in unser Grundgesetz aufgenommen, die inzwischen in Europa zunehmend auch als „benchmark“ gesehen wird. Die
Bundesregierung wird diese Vorschriften der Schuldenbremse einhalten. Dazu sind wir im Übrigen von der
Verfassung gezwungen, sodass wir uns auch nicht besonders auf die Schulter zu klopfen brauchen. Das bedeutet, dass
das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt, bei den Ländern ist es noch einmal spezifisch geregelt, bis 2016 auf 10 Mrd.
Euro gesenkt werden muss. Also auf 0,35 % strukturelles Defizit des BIP, und das heißt eine Rückführung von
durchschnittlich etwa 7 Mrd. Euro pro Jahr. Das müssen wir in einer Weise erreichen, mit der wir nachhaltiges
Wachstum nicht beschädigen, sondern fördern. Das ist noch vor einem halben Jahr vielfältig in Zweifel gezogen
worden.
Inzwischen zeigen die Zahlen, auch die jüngste OECD-Prognose für die Bundesrepublik Deutschland, dass das
offensichtlich gelingt. Wir haben uns in unseren Konsolidierungsmaßnahmen in einem starken Maße auf
Ausgabenkürzungen und Subventionsabbau konzentriert. Auch der Sachverständigenrat hat das in seinem jüngsten
Gutachten ausdrücklich begrüßt und die aktuelle Wirtschaftsentwicklung spricht ja dafür, dass diese Strategie aufgeht.
Auch deswegen sind wir aus dieser Krise besser heraus gekommen, als wir es zu hoffen gewagt hätten. Auch auf dem
Arbeitsmarkt haben wir eine weniger dramatische Entwicklung gehabt, als erwartet. Wir haben kürzlich sogar die
Schwelle von 3 M I O. Arbeitslosen wieder unterschritten. Ich füge übrigens hinzu, dass das auch ein wenig mit dem
lange in Frage gestellten Modell sozialer Partnerschaft in Deutschland zu tun hat. Vielleicht ist eine Lehre aus dieser
Krise auch, dass wir dieses Modell sozialer Partnerschaft ein Stück weit in seiner nachhaltigen Wirkung anders
bewerten als es in der Vergangenheit getan wurde. Im Übrigen hat die Entwicklung ja auch die Folge, dass die
Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden sich nicht ganz so dramatisch entwickeln, wie wir es befürchten
mussten. Die jüngste Steuerschätzung hat diese Erwartungen bestätigt.
Aber, meine Damen und Herren, auch das möchte ich noch einmal sagen, auch mit den verbesserten aktuellen
Steuerschätzungen liegen die tatsächlichen Steuereinnahmen im Jahre 2011 noch unter dem Vorkrisenniveau von 2008
und im Jahre 2012 erreichen wir knapp für Länder und Gemeinden wieder das Vorkrisenniveau. Beim Bund bleiben wir
sogar im Jahre 2012 noch dahinter zurück. Deswegen dürfen wir nicht den Fehler machen, dass wir jetzt schon wieder
glauben, wir könnten den Kurs verlassen. Nein, die Tatsache, dass wir auf dem richtigen Weg sind, sollte uns darin
bestätigen, diesen Weg fortzusetzen und uns daran erinnern, dass Alfred Herrhausen einmal gesagt hat: „Die meisten
Fehler machen Unternehmen, wenn es ihnen gut geht und nicht, wenn es ihnen schlecht geht“. Das gilt auch für die
öffentlichen Haushalte und deswegen ist es gut, dass wir in der kommenden Woche den Bundeshaushalt für 2011, nach
dem Stand wie er im Haushaltsausschuss in der Sitzung der vergangenen Woche abschließend in der
Beschlussempfehlung verabschiedet worden ist, mit einer Neuverschuldung von 48,4 Mrd. Euro verabschieden werden.
Das ist deutlich weniger als wir noch vor wenigen Monaten erwarten mussten. Aber es sind 48,4 M R D. Euro
Neuverschuldung und deswegen haben wir nichts zu verteilen und wir schwimmen auch nicht in Geld.
Es geht also auch nicht darum, wie eine Zeitung getitelt hat, dass der Bund die Steuermehreinnahmen für sich behalte
und die Steuerzahler leer ausgingen. Nein, es geht darum, dass wir weniger Schulden machen und damit künftige
Belastungen der Steuerzahler reduzieren. Natürlich können wir dann auch mittelfristig die sich ergebenden
Handlungsspielräume für Steuer- und Abgabenentlastungen nutzen. Aber das ist nur möglich, wenn wir die
Schuldenbremse einhalten. Erst müssen wir uns die Handlungsspielräume erarbeiten, ehe wir sie denn schon wieder
verspielen. Deswegen wäre eine Abkehr von diesem Weg ein großer Fehler und die Koalition und die Bundesregierung
sind sich einig, dass wir diesen Weg konsequent fortgehen. Im Übrigen ist die Tatsache, dass es offenbar möglich ist,
wachstumsfreundlich Defizite zu reduzieren, auch ein positives Beispiel für alle Mitglieder der Eurozone. Dies ist
vielfältig bestritten worden und es ist wichtig, dass wir zeigen: es geht! Natürlich müssen alle Regierungen in der
Eurozone ihre Selbstverpflichtung zur Haushaltskonsolidierung überzeugend darlegen und das Vertrauen der Märkte
und ihrer eigenen Bürger in die langfristige Tragfähigkeit ihrer öffentlichen Finanzen wiederherstellen.
Neuere internationale Studien belegen im Übrigen: Wenn die Schuldenlast eines Staates einen als untragbar geltenden
Schwellenwert erreicht, hemmen weitere Schulden das Wirtschaftswachstum anstatt es zu fördern. Deswegen ist der
Weg, mit weiterem „deficit spending“ die wirtschaftliche Entwicklung zu beleben, an seine Grenzen gestoßen.
Im Übrigen haben die jüngsten Turbulenzen um den Euro ja schmerzhaft gezeigt, dass diese Erkenntnis ja auch für die
Länder der Eurozonen zutrifft. Die griechische Schuldenkrise und die dadurch ausgelöste Krise des Euro waren
deutliche Warnungen an alle europäischen Politiker, dass wir einen weiteren Anstieg der Staatsschulden nicht zu lassen
dürfen. Im Übrigen haben wir gelernt, wie abrupt die Märkte einzelnen Staaten die Unterstützung entziehen können,
wenn die Defizite und Schulden einen Stand erreichen, der für die Anleger untragbar scheint. Es wäre einfach grob
fahrlässig, wenn wir diese Warnungen ignorieren würden.
Die finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Folgen einer Staatsschuldenkrise der Eurozone wären dramatisch und
schwer zu kontrollieren gewesen.
Deswegen war es richtig, und angesichts des Fehlens eines Krisenbewältigungsmechanismus ohne Alternative, dass wir
in der Europäischen Union, insbesondere in der Eurozone, im Mai dieses Jahres entschlossen und schnell reagiert
haben, um die Stabilität durch die kurzfristige Unterstützung Griechenlands und durch die Einrichtung der EFSF, zu
sichern. Diese EFSF ist bis zu ihrem Auslaufen im Juni 2013 ein wichtiges Instrument zur Stabilisierung. Aber sie ist
eine Übergangslösung und deswegen müssen wir die Zeit nutzen, um die Instrumente zu verfeinern und die
grundlegenden Mängel des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu beheben.
Aktuell können wir schon wieder Verwerfungen, Spekulationen und Zuspitzungen beobachten. Wir haben uns in dieser
Woche auch schon im Kreise der Eurofinanzminister und der europäischen Finanzminister intensiv mit diesen Fragen
beschäftigt. Für die jetzt sich ergebenen Schwierigkeiten und Probleme haben wir mit dieser europäischen
Finanzierungsfaszilität des EFSF ausreichende Vorsorge getroffen. Jede Verknüpfung mit dem, was für die Zeit danach
kommt, ist eine völlig unzulässige Vermischung, die ohne jede Grundlage ist. Das muss man noch einmal deutlich
sagen. Aber natürlich müssen wir die Zeit bis 2013, für die wir mit diesem Instrument Vorsorge getroffen haben, nutzen.
Klar ist aber bis dahin: Wenn die Notwendigkeit bestehen würde – und ob eine Notwendigkeit besteht, muss das
jeweilige Mitgliedsland entscheiden – haben wir das geeignete Instrumente. Und dazu will ich auch weiter keine
Nahrung zu den ohnedies nicht zu wenigen Spekulationen geben.
Wir sind in der Lage, bereit und entschlossen. Wir haben gemeinsam verabredet, jederzeit unmittelbar handeln zu
können. Wir haben die notwendigen Instrumente, die notwendige Vorsorge getroffen. Aber es ist zugleich richtig und
wichtig und notwendig, dass wir für die Zeit danach, wenn diese Übergangslösung ausläuft, so wie wir es ja in
Deutschland mutatis mutantis auch für den Finanzsektor gemacht haben, Vorsorge treffen für eine bessere Lösung.
Deswegen war es wichtig und richtig, dass die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union beim Europäischen
Rat am 29. Oktober 2010 die Empfehlungen der Van-Rompuy-Taskforce einstimmig angenommen haben, um die
Haushaltsdisziplin aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu stärken, die wirtschaftspolitische Überwachung zu
verbessern und so künftige Finanzkrisen besser zu vermeiden oder bewältigen zu können. So sind diese Beschlüsse ein
großer Fortschritt gegenüber dem Status Quo.
Entgegen einer ersten Kritik, die vielfältig zu lesen war, wird der Stabilitäts- und Wachstumspakt wesentlich
verbessert. Er greift mit dem neuen Frühwarnsystem der wirtschaftlichen Überwachung wesentlich früher als bisher. Er
bekommt mehr Biss, insbesondere für die Mitgliedstaaten der Eurozone, um die Defizite und die Schulden zu begrenzen
und schließlich wird es auch ein neues zwischenstaatliches Regelwerk geben, um künftige Krisen auf den
Anleihemärkten besser zu bewältigen.
Es ist übrigens ja noch wenige Wochen zuvor prophezeit worden, dass es keinerlei Chance für eine Einigung auf einen
solchen Krisenbewältigungsmechanismus geben würde. Aber ich glaube es ist ein wichtiger Erfolg, dass es gelungen ist.
Auch dadurch, dass Frankreich und Deutschland Verantwortung übernommen haben, um eine Lösung zustande zu
bringen, haben wir hier große Fortschritte erzielt. Ich füge übrigens hinzu: Diejenigen, die kritisiert haben, dass wir auf
dem Weg zu einer gemeinsamen Position akzeptieren mussten, dass eine Chance für automatische Sanktionen nicht
gegeben sein würde, die haben die Realität in den Mitgliedstaaten und der Eurozone in der Europäischen Union falsch
eingeschätzt.
Ich habe eine feste Erinnerung an die Beratungen in der Sitzung der Van-Rompoy-Taskforce von Anfang September,
dass eine deutliche Mehrheit der Mitgliedstaaten nicht dazu bereit gewesen wäre. Diese haben sich dann hinter
Frankreich versteckt. Das ist wahr und das ist ja auch in Ordnung. Die größeren Mitgliedstaaten dienen ja auch dazu,
den anderen ein bisschen Schutz zu gewähren in solchen Debatten. Aber die Realität war: Es hat nie eine Chance für
einen solchen Automatismus gegeben. Deswegen ist das, was wir jetzt an Verbesserungen für den Stabilitäts- und
Wachstumspakt verabredet haben, das was realistischerweise möglich ist. Wir haben einen erheblichen Fortschritt auf
diesem Weg erzielt. Wir werden nun mit großem Nachdruck, das haben wir besprochen, die Kommission und die
Ratspräsidentschaft drängen, für den Europäischen Rat am 16./17. Dezember 2010 die entsprechenden Vorschläge
vorzulegen. Wir sind in einem engen Konsultationsprozess. Wir bringen alle unsere Vorstellungen und Anregungen in
einen solchen Krisenmechanismus ein. Es ist wichtig, dass wir das möglichst zügig voranbringen, um auch vorhandene
Unklarheiten so rasch wie möglich zu beseitigen.
Ich will noch einmal klar stellen: Ein solcher Mechanismus ist ein Instrument der Zukunft. Es geht darum, etwas für die
Eurozone zu entwickeln, was nach dem Auslaufen der EFSF in Kraft treten soll. Wobei im Übrigen alle Garantien, die
im Rahmen dieser EFSF bis 2013 in Anspruch genommen werden können, Laufzeiten bis zu fünf Jahren haben. Auch
das muss man bei der Würdigung einer Übergangszeit mit einbeziehen. Der Mechanismus bezieht sich also nicht auf
derzeit ausstehende Schulden. Er ist für aktuelle Fälle unrelevant. Wir haben bis Juni 2013 vorgesorgt. Aber klar ist
natürlich: Die Finanzmärkte wollen und brauchen auch so schnell wie möglich Planungssicherheit dafür, wie die
Absicherungslücke nach 2013 geschlossen werden soll. Deswegen ist es wichtig, dass der Europäische Rat im
Dezember dazu die Eckpunkte beschließen wird. Ziel dieses Mechanismus ist es, die Schuldenlast eines von
Zahlungsunfähigkeit bedrohten Mitgliedslandes auf ein maximal tragbares Maß zu reduzieren, um so mögliche Folgen
abzuwenden. Dabei müssen dann auch die Finanzinvestoren beteiligt werden.
Der Prozess muss regelbasiert sein. Er muss allen Beteiligten Anreize geben, auf eine schnelle Lösung hinzuarbeiten
und er muss geeignet sein, Reputationen und das Vertrauen der Kapitalmärkte so schnell wie möglich
zurückzugewinnen.
Deswegen wird ein solcher Mechanismus am Ende, was immer im Einzelnen heraus kommt, dreigliedrig sein. Er wird
aus einem wirtschafts- und finanzpolitischen Anpassungsprogramm bestehen. Er wird aus einem mitgliedstaatlichen
Finanzierungsinstrument bestehen und er wird im Übrigen auch Beiträge der Gläubiger vorsehen.
Die Grundlage für einen solchen Mechanismus wird, übrigens ähnlich wie bei dem Prozedere des Internationalen
Währungsfonds, ein striktes wirtschafts- und finanzpolitisches Anpassungsprogramm sein, das jedem betroffenen
Mitgliedsland auferlegt wird. Der Beitrag der Gläubiger sollte im Rahmen eines fairen Interessenausgleichs zwischen
Schuldnerstaat und Finanzinvestoren ermöglicht werden und zwar ohne, dass dies systemische Auswirkungen auf die
Finanzmärkte und die Funktionsweisen der Europäischen Währungsunion hat.
Um dies zu erreichen, brauchen wir ein regelgebundenes, fest institutionalisiertes und transparentes Verfahren, das im
Voraus kalkulierbare Rahmenbedingungen für alle Beteiligten setzt und so ein Höchstmaß an ökonomisch richtigen
Anreizwirkungen, Prävention und Rechtsicherheit erzielt. Die vertragsrechtliche Verankerung eines solchen Verfahrens
soll durch die Einführung einheitlicher „collectiv action clauses“, den so genannten „CACs“, in die Bedingungen neuer
staatlicher Anleihen in der Eurozone erfolgen. CACs zielen darauf ab, im Falle von Problemen eine Änderung der
Zahlungsbedingungen durch Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger rechtsverbindlich zu ermöglichen.
Ich will angesichts mancher öffentlicher Debatte darauf hinweisen: In New York haben wir das seit 2003 und ich habe
nicht erkennen können, dass seit der flächendeckenden Einführung in New York es zu großen Irritationen auf den
Märkten gekommen ist. Also man sollte die Dinge so sehen, wie sie tatsächlich sind. Im Übrigen werden wir ein
Finanzierungsinstrument brauchen, das die Mitgliedstaaten auf intergouvermentaler Basis errichten. Dabei sollten dann,
unter Einbeziehung des IWF, zusätzliche Hilfen zur Unterstützung der wirtschaftlichen und finanzpolitischen
Anpassungsprogramme gewährt werden. In jedem Fall muss die Gewährung solcher Hilfen Probleme seitens der
Schuldnerländer und seitens der Finanzmärkte vermeiden.
IN jedem Fall ist die Gewährung solcher Hilfen streng an eine Reihe strikter Auflagen zu knüpfen: Nämlich, dass das
betroffene Euroland vom Kapitalmarkt abgeschnitten ist, dass die Finanzstabilität der Eurozone als Ganzes gefährdet
ist, dass es ein Zugang nur unter Einbeziehung des Gläubigersektors gibt, dass die Konditionen für das Empfängerland
unattraktiv sind, dass es strikte Reformauflagen für die Finanz- und Wirtschaftspolitik gibt und eine Absicherung der
Garantien und Kredite vorgesehen wird. Also ganz ähnlich wie wir das bei den Rahmenbedingungen auch für die EFSF
festgelegt haben.
Ich will das jetzt im Einzelnen nicht näher ausführen. Sondern ich will sagen, dass wir mit einem solchen Mechanismus
und mit der damit verbundenen Stärkung der Marktdisziplin ein verantwortungsvolleres Verhalten aller
Marktteilnehmer erreichen werden und so dauerhaft die Glaubwürdigkeit des Euros verbessern können. Diejenigen, die
dann noch Probleme mit einem solchen Mechanismus haben, möchte ich auf die grundlegenden Bedingungen für die
gemeinsame europäische Währung und des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes wenigstens in aller Kürze
hinweisen.
Es gab ja lange eine Debatte, ob man eine gemeinsame Währung machen kann, wenn man nicht Haushaltspolitiken und
vieles andere vergemeinschaftet. Aber nun ist dieser Prozess der Europäischen Einigung ein Prozess, in dem wir eben
etwas Neues schaffen, wo wir Teile staatlicher Souveränität auf die europäische Ebene übertragen haben. Aber eben nur
Teile und im Übrigen die Mitgliedstaaten die Herren der Verträge bleiben.
Wir haben eine europäische Währung geschaffen - vielfach wurde ja bezweifelt, ob wir das schaffen würden - indem
wir zugleich den Mechanismus des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geschaffen haben. Und der sagt nun eben, dass
jedes Mitgliedsland die Haushaltspolitik nicht verallgemeinschaften wollte und konnte. Ich sage das auch, weil
gelegentlich in der Debatte über Eurobonds vergessen wird, dass auch dieses gegen die Grundstruktur dieser
europäischen Währungsunion verstoßen würde. Ich will ein paar Bemerkungen zur Reform der internationalen
Finanzmärkte machen.
Bei der Gründung der Europäischen Währungsunion konnte man sich die rasante Entwicklung der Weltwirtschaft so gar
nicht vorstellen. Ich will das nur in aller Kürze in Ihre Erinnerung rufen, wie die Entwicklung im Zuge der so genannten
Globalisierung sich in diesen zwei Jahrzehnten oder anderthalb Jahrzehnten vollzogen hat. Heute sind wir eben durch
diese unglaubliche Vernetzung - auch der modernen Finanzmärkte - mit den enormen Interdependenzen auf Grund der
stets verfügbaren elektronischen Handelsebenen und ihren innovativen, stark gehebelten Finanzinstrumenten in einer
Weise nicht nur vernetzt sondern auch international verschärften Turbulenzen ausgesetzt. So ist auch das Risiko
systemischer Risiken kontinuierlich gestiegen.
Im Übrigen vermindert die fortschreitende Integration globaler Märkte die Möglichkeiten einzelner Nationalstaaten, im
Alleingang wirksame Regeln aufzustellen. Das gilt eben im besonderen Maße auch für die Finanzmärkte, die Regeln
brauchen. Denn sie haben gezeigt, dass sie ohne Regeln und Grenzen nicht in der Lage sind, um aus sich selbst heraus
die Gefahr der Selbstzerstörung zu vermeiden. Das ist für jedes freiheitliche System keine neue Erfahrung. Aber wir
haben sie sehr zugespitzt für die Finanzmärkte erlebt.
Wir haben nun in der Regelsetzung eine Menge mehr erreicht als öffentlich wahrgenommen wird. Ich nenne nur die
koordinierte Verbesserung bei den Anreizsystemen in der Bezahlung und Vergütung. Wir haben erhebliche Fortschritte
erzielt bei den Bemühungen, die aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten zu verbessern. Wir sind in Europa gut
vorangekommen. Wir müssen natürlich auch unsere nationale Finanzaufsicht an die neuen Anforderungen anpassen.
Wir haben im so genannten Basel III-Prozess große Fortschritte erzielt, die wir jetzt in Soul beim G20-Treffen auch
indossiert haben. Mit diesen neuen Regeln ist eine richtige Balance gefunden worden zwischen der Notwendigkeit einer
besseren Eigenkapital- und Liquiditätsvorsorge und der Notwenigkeit, auf der anderen Seite, die Möglichkeiten des
Finanzsektors nicht zu gefährden und wirtschaftliche Erholung und nachhaltiges Wachstum mit genügend Liquidität
und entsprechenden Kreditkapazitäten zu unterlegen.
Ich füge allerdings hinzu: Gelegentlich ist auch zunehmend darüber diskutiert worden, dass der Finanzsektor der Gefahr
widerstehen muss, zu sehr selbstreferentiell zu werden. Er muss sich seiner insgesamt dienenden Funktion für die
gesamtwirtschaftliche Ordnung bewusst bleiben. Ich bin froh, dass es gelungen ist, die Besonderheiten des deutschen
Finanzwesens mit seinen drei Sektoren Sparkassenwesen, Kreditgenossenschaft und Privatbanken im Regelwerk zu
berücksichtigen. Diejenigen, die das nur als ein Hindernis für den Finanzsektor in Deutschland ansehen, will ich darauf
aufmerksam machen, dass nach meiner Überzeugung diese Struktur auch etwas mit unserer sehr leistungsfähigen
Struktur von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben in Deutschland zu tun hat. Gerade, wenn darüber international diskutiert
und nachgedacht wird, wie denn zu erklären ist, warum wir bei großen Schwierigkeiten, bei großer Betroffenheit auf
Grund des hohen Außenhandelsanteils und der großen Verflechtungen unserer Volkswirtschaft relativ gut aus dieser
Krise herauszukommen scheinen, sollte diese Struktur des deutschen Finanzwesens bedacht werden.
Natürlich werden wir noch eine Menge Arbeit in dem weiteren Prozess haben. Die G20-Staaten haben beschlossen,
intensiv an der Behandlung systemischer, also großer, stark vernetzter Finanzinstitute, den so genannten „Sifis“,
weiterzuarbeiten.
Das ist ein zentraler Punkt, weil wir natürlich auch die „too big to fail“-Problematik mildern müssen und weil wir
natürlich immer daran denken müssen, dass in der nächsten Krise nicht wieder die Steuerzahler die Hauptkosten tragen
können. Wir sind übrigens auch auf nationaler Ebene entsprechend mit dem Gesetz zur Restrukturierung von Banken,
das der Bundestag verabschiedet hat (der Bundesrat muss noch zustimmen) einen großen Schritt vorangekommen. Wir
leisten damit Vorsorge für ein geordnetes Restrukturierungsverfahren, das wir 2008 nicht hatten. Dazu gehört dann
noch, dass wir einen Restruktierungsfonds schaffen, der durch eine maßvolle, systemische Risiken berücksichtigende,
Bankenabgabe gespeist wird und der im Übrigen für keinen Sektor des Finanzwesens unzumutbare Belastungen
enthält. Auch das hat mit der Differenziertheit des Finanzsektors mit Sparkassen, Kreditgenossenschaften und
Privatbanken zu tun, die ich schon erwähnt habe.
Im Übrigen hat der Sachverständigenrat in seinem aktuellen Gutachten dieses Gesetz ausdrücklich gelobt und nun gilt
es, die entsprechenden Regelungen auch für grenzüberschreitende Finanzinstitute zu schaffen.
Daran arbeiten wir auf europäischer Ebene und auch die G20 werden sich dieser Frage stellen. Wir sind übrigens auf
europäischer Ebene, wenn ich die Bemerkung machen darf, kritisiert worden: Dass wir mit unserer Gesetzgebung ein
Stück weit vorangegangen wären in Abstimmung mit Frankreich. Aber ich glaube, dass es sich hier gezeigt hat, dass
gelegentlich europäische Regelungen eher zustande kommen, wenn einzelne Mitgliedstaaten auch vorangehen. Wir
haben immer gesagt, wir wollen das in eine europäische Regelung überführen. Wir kommen mit den europäischen
Regelungen auch gut voran. Und deswegen ist wichtig, dass wir am Ende uns nicht jeweils hinter dem langsamten
verstecken, sondern, dass wir tatsächlich zu Regelungen kommen. Deswegen bekenne ich mich dazu, dass ich es auch
heute für richtig halte, dass wir diesen Schritt vorangegangen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube ich habe es am Anfang gesagt. Das entscheidende ist, auf der
Ebene der G20, europäisch und national, dass wir bei allen Fortschritten, die wir erreicht haben, das Momentum nicht
verlieren.
Es besteht die Gefahr, dass - je mehr der Eindruck entsteht, dass wir die Krise schon wieder hinter uns haben - die
Bereitschaft und die Fähigkeit, den Weg weiterzugehen, schon wieder nachlässt.
Das wäre der größte Fehler, den wir machen können. Wir dürfen nicht vergessen, wie groß die Kosten gewesen sind.
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir nicht sicher sind, dass uns die nächste Krise drohen kann und dass wir deswegen
die Zeit nutzen müssen, um besser vorbereitet zu sein. Wann immer wir sagen, auch im Sinne von Krisenmanagement,
wir müssen Zeit kaufen, dann müssen wir die Zeit, die wir kaufen, auch nutzen. Sonst wäre das Kaufen von Zeit eine
Verschwendung und die nächste Krise würde uns nur auf einem höheren Niveau treffen. Das ist eine Frage, die in allen
Mitgliedstaaten der G20 bedacht werden muss. Aber wir müssen nicht nur anderen Ratschläge geben, sondern auch
unsere eigene Verantwortung wahrnehmen. In Deutschland und auch in Europa.
Meine Damen und Herren, dies gilt auch für Sie alle, die Sie im Finanzsektor Verantwortung tragen. In dem Maße, in
dem die Akteure in freiheitlichen Ordnungen selbst Verantwortung übernehmen, in dem Maße verringern sie den Druck
auf Regulierungen und Begrenzungen. In dem Maße, in dem sie zu dieser Eigenverantwortung nicht in der Lage sind,
aus welchen Gründen auch immer, in dem Maße verstärken sie die Notwendigkeit für Regulierungen und Grenzen.
Deswegen werbe ich dafür und nutze die Gelegenheit wieder, dass wir uns alle dieser Verantwortung bewusst werden.
Dass wir alle wissen, dass die Nachhaltigkeit und die Akzeptanz einer freiheitlichen Ordnung für Wirtschaften, für eine
globale Weltwirtschaft, für Finanzmärkte, aber auch im politischen Sinne, dass die Akzeptanz unserer freiheitlichen
Ordnung am Ende auf dem Spiel steht.
Wenn diese freiheitlichen Ordnungen sich als unfähig erweisen, aus Krisen Lehren zu ziehen und zu den notwenigen
Beschränkungen und Begrenzen zu kommen, würden sie am Ende der Gefahr ausgesetzt sein, sich durch Übertreibung
selbst zu zerstören. Man liest ja die Beispiele aus der Geschichte immer mit einer Fassungslosigkeit, wie töricht die
Menschheit sein kann. Ich habe am Beginn dieser Krise mich immer an die höllandischen Tulpenzwiebelspekulation
erinnert und dachte: Wie konnte man nur im 17. Jahrhundert so blöd sein?
Meine Damen und Herren, wir sind im 21. Jahrhundert nicht wirklich klüger geworden und deswegen werbe ich dafür,
auch im Rahmen dieses Bankenkongresses, dass wir uns bemühen, klüger zu werden und die notwenigen Lehren zu
ziehen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!
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