Explizit.Net Aktualisiert Beitrag 1. Dezember 2014 Webversion 12-2014 Papst Franziskus und Kaiser Wilhelm am Bosporus Sind Islamophobie und Christophobie gleich - hat Islam mit Terror zu tun? Wer die Reise des Papstes in die Türkei verfolgt, erkennt vier Richtungen seines Wirkens. Franziskus verwandte sich dafür, Katholiken und Orthodoxe zu versöhnen, Christen des Westens und Ostens, wo das überreiche Erbe der orientalischen Kirchen zu fördern sei. Zudem wäre Armen zu helfen, ihre Menschenwürde zu verteidigen, so dass sie wieder zu Protagonisten ihrer eigenen Geschichte würden. Wie er Sonntag in der Istanbuler Liturgie betonte, würden viele in den Nachbarländern vom grausamen und unmenschlichen Krieg gezeichnet: „Den Frieden eines Volkes erschüttern, jegliche Art von Gewalt insbesondere an Schwachen und Wehrlosen zu begehen oder zu erlauben, ist eine sehr schwere Sünde gegen Gott.“ Schließlich wandte er sich der Jugend zu, unter denen viele entmutigt ohne Hoffnungen lebten: dagegen hielt er authentischen Humanismus in der Frohen Botschaft. Postkarte Wiki Foto: Wiki Sultan-Gartenpalast Dolmabahçe und Papst Franziskus Dialogsprung Das erhellt die Erklärung von Papst Franziskus und Patriarch Bartholomäus I., die beide Kirchenoberhäupter am Sonntag, den 30. November, in Istanbul unterschrieben. Sie sorgten sich um die Menschen im Irak, in Syrien und in Nahost. Jene, die für das Geschick der Völker Verantwortung tragen, sollten ihren Einsatz verstärken und es den Verfolgten, einschließlich der Christen, ermöglichen, in ihrer Heimat zu bleiben. „Wir können uns nicht abfinden mit einem Nahen Osten ohne die Christen, die dort den Namen Jesu zweitausend Jahre lang bekannt haben.“ Das Schicksal der um ihres Glaubens willen Verfolgten stoße auf viel Gleichgültigkeit. Es gebe dort jedoch gleichwohl eine „Ökumene des Leidens“. Papst und Patriarch wollen den konstruktiven Dialog mit dem Islam fördern, der sich auf gegenseitiger Achtung und auf Freundschaft gründe. Als Oberhäupter des Christentums forderten Franziskus und Bartholomäus alle religiösen Führer zu mehr Dialog auf und auch dazu, mehr für eine Kultur des Friedens und der Solidarität zu tun. Auf des Papstes Heimflug wollte es eine türkische Journalistin genauer wissen, was denn der Papst und Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu tun gedächten, der auch die Islamophobie im Westen ansprach. 1 Islamfeindlichkeit gebe es, antwortete er. Man dürfe nicht den Fehler machen, terroristische Akte auf den Islam als Religion zurück zu führen. Alle Religionen hätten diese Gruppen, nicht nur der Islam. Er habe Präsident Erdoğan gesagt, dass es gut wäre, wenn islamische Autoritäten – politische wie auch religiöse oder akademische – diese ganz klar verurteilen würden, denn es werde der Muslimmehrheit helfen, „Nein!“ zu sagen. Der Papst berührte auf dem Heimflug auch Christophobie: Christen würden aus Nahost vertrieben. Bestens unterhielt er sich mit dem Präsident des Religionsamts Mehmet Görmez. Aber der Dialog sei an ein Ende gelangt. Daher wäre ein qualitativer Sprung nötig. Dies könne geschehen, wenn Menschen über ihre religiösen Erfahrungen sprechen, nicht über Theologie. Fazit: Der Papst hielt sich zurück. Der Islamophobie hält er Christophobie entgegen, will jedoch Terror nicht am Islam als Religion festmachen. Radio Vatikan verlautete zu dessen Religionspolitik: er wünschte sich eine beherztere Verurteilung des „Islamischen Staats“ durch Islamvertreter weltweit und ebenso „gleiche Rechte und Pflichten“ für die nichtmuslimischen Staatsbürger wie christliche Minoritäten. Dies bringt noch mehr Fragen als Antworten: Hat Islam wenig mit Terror zu tun, wieso gibt es heute Globalkrieg gegen die Ideologie des Islamismus, wären jene beiden Phobien wirklich qualitativ gleichzusetzen? Foto: Die Islamische Welt 10/1917, S. 639 Der Kaiser trifft den Scheich des Islam Musa Kazim Efendi, den Sultan-Kalif Mehmed V. und Enver Pascha im Oktober 1917 am Bosporus; Musa Kazims Amtsvorgänger, Ürgüplü Mustafa Khairi, hatte am 14. November 1914 die fünfteilige Jihadfatwa vor Istanbuls Fatih-Moschee verlesen Kaiserbesuch Unter vielen Vorgängern, die wie Papst Franziskus an den Bosporus reisten, war Kaiser Wilhelm II., der eine Vorliebe für Mittelost hegte. Da die jüngste Papstreise in Details bekannt ist, erinnere ich an Kaiserbesuche. Das erste Mal kam der Monarch aus Athen – Kaiserschwester Sophie heiratete dort Kronprinzen Konstantin - mit dem Schiff Anfang November 1889 an den Landungsplatz des berühmten Sultan-Gartenpalasts Dolmabahçe. Ebendort lief die Kaiserjacht „Hohenzollern“ Mitte Oktober 1898 aus Venedig ein. Nun stand auf dem Programm im Osmanenreich auch eine Reise ins Heilige Land. Dort traf der Kaiser gleichwohl Theodor Herzl, der ihn bat, Protektor eines jüdischen Palästinaheims zu werden. Zwar setzte er sich dafür beim Sultan ein, der dies ablehnte. Im Großen Krieg wies Wilhelm Botschafter und Konsuln an, projüdisch zu wirken, und zwar unabhängig von der Nationalität. Juden aus Feindstaaten wie Russland erging es schlecht, aber auch Deutschen. Er befolgte das Schutzgebot nach Verfassungsartikel 112-2, zumal viele der Juden Deutsche waren. Seither wandte sich der Monarch gegen die „scheußliche Hydra des Antisemitismus“, nachdem er im Vormonat seiner Osmanenreise 1898 die jüdische Frage studierte. 2 Der Kaiser erprobte Weltpolitik, Deutschland sollte Großmacht werden. Ihn besorgte es, dass seine europäischen Nachbarn in Mittelost Imperien schufen. Würde Europa zum Großen Krieg übergehen, bezögen sie von dort nicht nur Materialien, sondern auch Soldaten wie Inder für Briten oder Marokkaner für Franzosen. Dagegen setzte er Islampolitik, die ihn auf die Seite des Sultan-Kalifen treten ließ. Er gelobte daher 1898 öffentlich, fortan der Protektor von 300 Millionen Muslimen zu sein. Um die Pariser Vormacht im Heiligen Land zu schwächen, gab er ein ähnliches Gelübde für Christen, speziell für Katholiken ab. Foto: Wiki Kaiser 1898: „Allzeit Freund der 300 Millionen Muslime“ Dritte Reise Wilhelms II. zum Bosporus nach 1889 und 1898: der Kaiser in Gallipoli, Oktober 1917, vordere Reihe von links: Admiral Guido von Usedom, Kaiser Wilhelm, Enver Pascha, Vizeadmiral Johannes Merten Der Haken: er liierte sich als Christenregent zwar mit dem Sultan-Kalif und entwickelte die Strategie „der Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde“, der Muslime in Kolonien. Doch kannte er die Lage -1896 Übergriffe an Armeniern - von Minoritäten in Mittelost. Käme es zum Großen Krieg in Europa und agierte er mit seinen Mittelmächten auf der Seite des Kalifen, dann würden Minderheiten, Christen wie Juden, riskant bedroht. Gäbe es Drängen auf Reformen von außen, würde der Kalif die grüne Fahne entrollen, in Afrika und Asien ertöne es „Allah [ist groß]“, schrieb Wilhelm 1908: „und mit den Christen ist es dann zu Ende“. So kam es. Obzwar Osmanen ihre „Säuberungsidee“ im Reich hegten, bot ihnen Wilhelms Jihadplan der islamistischen Revolten Deckung. Im Kriegsfall half er ihnen - und schaute weg. Der armenische Genozid forderte bis zu 1,5 Millionen Tote, wie Kriegsminister Enver Pascha am 1. Februar 1916 Gustav Stresemann in Istanbul darlegte. Im Oktober 1917 reiste der Kaiser im Zug von Berlin über Wien und Sofia nach Istanbul, zumal auf See U-Boote aufkamen. Er traf in der Metropole den Scheich des Islam, dessen Vorgänger auf Drängen des Hohenzollern am 14. November 1914 den Jihad gegen die Alliierten ausrief. Der Kaiser besuchte Gallipoli, wo Osmanen diese besiegt hatten. Und er suchte im Ersten Weltkrieg einen zweiten Genozid zu verhindern, der in zwei Anläufen gegen Palästinas Juden begann und zehn Prozent dieser Minorität von 100.000 Seelen zerstört hat. Ideologien dafür zeitigte die Moderne, seit 1914 in deutsch-osmanischer Achse, etwa Abd al-Malik Hamzas Theorie des Islamismus. Vor 100 Jahren erkannte Berlin dies klar. Mustafa Kemal löste 1924 das Kalifat auf und leitete die „innere Abwehr“ der Islamisten durch Muslime selbst ein. Er stieg zum Antiislamisten auf, dessen säkulares Erbe heute Islamisten seines Nachfolgers Präsident Erdoğan abbauen. Wolfgang G. Schwanitz Dazu Bücher Nazis, Islamists and the Making of the Modern Middle East: Yale, February 25, 2014, 360 pp. sowie Islam in Europa, Revolten in Mittelost: Weist, 2013; 15. September 2014, 2. Aufl., Berlin, bestellbar. 3