Möglichkeiten der stationären Behandlung der Borderline

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Möglichkeiten der stationären
Behandlung der Borderline-Störung
Dr. Gerhard Dammann
Psychiatrische Klinik Münsterlingen
12.10.2009
Grundsätze I
 Die Behandlung sollte primär ambulant erfolgen
 Im Vordergrund steht eine intensive Psychotherapie
 Eine Frequenz von zwei Terminen pro Woche über einen
Zeitraum von ca. 2 Jahren könnte einen Richtwert
darstellen
(Metaanalyse
von
Leichsenring
&
Rabung,
JAMA. 2008; 300(13) : 1551-65)
 Bei komplexen Fragestellungen sollten die Behandler
(Psychotherapeut, Pharmakotherapeut, Sozialarbeiter)
sich im Sinne eines Case Management vernetzen
 Stationäre Behandlung von Borderline-Patienten sollte
nur bei entsprechender Indikation erfolgen
12.10.2009
Grundsätze II: Indikationen
 Akute
oder
chronische
Suizidalität,
andauernde
erhebliche Selbstverletzung
 Erheblicher Suchtmittelkonsum
 Massive Instabilität oder komplexe psychosoziale
Probleme verunmöglichen ambulante Behandlung
 Gelegentlich: Stagnation oder negative therapeutische
Reaktion in der ambulanten Behandlung
 Die stationäre Behandlung dient der Vorbereitung der
ambulanten
Behandlung
und
wird
so
auch
konzeptualisiert
 Es gibt Evidenz, dass bei BPS-Pat. eine stationäre
Vorbehandlung den Erfolg der ambulanten Behandlung
verbessern hilft
12.10.2009
Grundsätze III: Arten der
stationären Behandlung
 Kurze stationäre Krisenintervention (Richtwert: sollte max. 14
Tage nicht überschreiten
 Störungsspezifische Behandlung
(Richtwert: 3 Monate)
auf
einer
Spezialstation
 Intervallbehandlung bei sehr komplexen Fragestellungen (zwei
bis dreimal 3 Monate; das Intervall sollte nicht zu kurz und nicht
zu lang gewählt werden und fest ausgemacht werden)
 In seltenen Fällen hätten stationäre Langzeitbehandlungen von
1 bis 2 Jahre einen bestimmten Wert (solche Behandlungen
werden aber praktisch nicht mehr angeboten und haben in der
Vergangenheit teilweise auch zu Problemen geführt)
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Grundsätze IV: Psychotherapieforschung I
 Es gibt deutliche Evidenz, dass störungsspezifische Verfahren
unspezifischen Therapien gegenüber deutlich überlegen sind
 In den letzten Jahren haben sich eine Reihe solcher Verfahren
herausgebildet:
Übertragungsfokussierte
Psychotherapie
(Kernberg)
;
Dialektisch-Behaviorale
Therapie
(Linehan);
Mentalisierungsbasierte
Therapie
(Bateman
&
Fonagy),
Strukturbezogene Therapie (Rudolf) etc.
 Alle störungsspezifischen Verfahren weisen eine Reihe von
Gemeinsamkeiten auf (Aktive Technik; Arbeit im Hier-und-Jetzt;
Integration abgespaltener Persönlichkeitsanteile (Dammann,
2007)
 Dennoch gibt es eine Reihe von Unterschieden und
Kontroversen
(Handlungsorientierter
versus
verstehensorientierter; konfrontativer versus supportiver; mehr oder
weniger Arbeit mit Übertragungsdeutungen)
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Grundsätze IV: Psychotherapieforschung II
 Allen störungsspezifischen Verfahren gelingt nach bestimmter
Zeit eine symptomatologische Stabilisierung (Selbstverletzung
geht z.B. auch dann zurück, wenn es nicht spezifisch geübt wird)
 Es gibt Hinweise, dass die Übertragungsfokussierte Therapie
Veränderungen im Bereich der Struktur der Patienten erreicht
(Reflective Functioning, Bindungsstil, Identitätskonsolidierung)
 Unklar ist der Wert der Kombination (ev. phasenweise) von
verschiedenen störungsspezifischen Ansätzen (z.B. TFP u. DBT)
 Die
Kombination
verschiedener
Persönlichkeitsstörungen
(besonders narzisstisches Spektrum) erschwert die Behandlung
erheblich (Studien von Clarkin)
 Die Bedeutung von Untergruppen wird in Zukunft wichtiger
werden
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Ablauf
 Vorgespräch(e) und Besichtigung der Station
 Diagnostik und Motivationsphase
 (Informationen; Psychoedukation)
 Therapievereinbarungen (auch im stationären soweit möglich)
 Festlegen der Therapien (Elterlicher Akt)
 Wahl des Fokus (Fallvorstellung nach ca. 4 Wochen)
 Standortbestimmung (ca. 4 Wochen vor Ablauf der 3 Monate)
(gelegentlich Korrekturen im Fokus; stärkerer Einbezug der äusseren
Realität; gelegentlich Verlängerungen)
 Abschiedsphase
12.10.2009
Verlängerungen
 Wir verlängern nicht, wenn die bisherige Behandlung zu wenig
gebracht hat!
 Wir verlängern manchmal, wenn wir den Eindruck haben, dass
4 bis 6 Wochen eine wichtige Vertiefung von bereits Erreichtem
bedeuten könnte
 Das Verlängerungsintervall sollte wiederum klar ausgemacht
werden
 Gelegentliche kurze Verlängerungen aus sozialen Gründen
 Das Thema der Verlängerungen hat auch gruppendynamische
Implikationen
12.10.2009
Milieutherapie
 Das Team „heilt“
 Multimodales Rollenangebot
 Die zentralen Übertragungsthemen können sich an
unterschiedlichen
Teammitgliedern
festmachen
Sozialarbeiterin)
ganz
(z.B.
 Erfahrene Teams verstehen die „Spaltungstendenzen“ und
unterschiedlichen Gegenübertragungen, tragen sie zusammen
und agieren sie nicht aus
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Therapeutisches Milieu
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Therapeutische Gemeinschaft (Maxwell Jones)
Milieutherapie (Edgar Heim, 1985)
Team heilt (multiple Übertragungsangebote)
Therapie nicht überladen ...
Die Therapie in der Klinik findet in einer multipersonalen Behandlungssituation
statt, von der der Arzt nur ein Teil ist.
Mileubehandlung durch Pflegefachpersonen ....
Teamdynamik Mathias Lohmer
Szenisches Verstehen (Argelander)
Kombination von Einzel- und Grueppentherapie
Setting
 Kombination von Einzel- und Gruppentherapie
 Wichtige
Gespräche
finden
mit
Einzeltherapeut
Pflegerischer Bezugsperson zusammen statt
und
 Einzeltherapeut (wenn Arzt) kann auch „Körperarzt“ sein
 Zwischen der Berufsgruppen gibt es keine Wertung in der
Wichtigkeit; aber es wird unterschiedlich gearbeitet
 Spezialtherapien sind wichtig; den Wochenplan aber nicht mit
Therapieangeboten überladen
 Verlegungen auf Akutstationen sehr selten notwendig.
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Keine Angst haben vor
heftigem Agieren der
Patienten
 Patienten spüren, wenn das Team sich in seinen Entscheidungen
sicher fühlt
 Sich durch Suizidalität nicht „erpressbar“ machen (Suizidalität
und thematische Hierarchien der störungsspezifisichen
Verfahren)
Vorgespräche und
Diagnostikphase
 Zahlreiche Patienten sind sehr ambivalent was die Behandlung
angeht
 Erfahrungsgemäss
sollten
sie
nicht
zur
stationären
Psychotherapie „überredet“ werden
 Ausreichend Zeit für Vorgespräche ist manchmal notwendig
 Viele Patienten melden sich oft zu einem späteren Zeitpunkt
 Einbezug von wichtigen Bezugspersonen kann in dieser Phase
wichtig sein
 Gründliche Anamnese ist wichtig
 Analyse therapeutischer Vorerfahrungen (frühere Therapien)
 Teilweise strukturierte Interviews hilfreich (SCID-II, OPD,
STIPO)
12.10.2009
Wichtige „Komorbiditäten“
• Sucht
• Essstörungen; Zwangssymptome
• Pathologischer Narzissmus
• Somatisierung
Dr. G. Dammann
Fokus
 Ein zentrales Thema (manchmal auch zwei) wird für die
Behandlung fokussiert
 Dabei wird das Thema gewählt, von dem angenommen wird,
das es am ehesten eine progressive Entwicklung in Gang setzen
könnte
 Der Fokus kann ein Konflikt sein, es kann aber auch um das
Aufzeigen einer nicht-integrierten Objektbeziehungsthematik
handeln, die sich in der Beziehung zeigt
 Manchmal
ist
der
Fokus
auch
deutlich
supportiver
(Gefühlsklärung; Umgang mit aversiver Spannung)
 Typische Themen können z.B. sein:
- Dynamik und Funktionalität von chronischer Suizidalität
- oszillierende Täter-Opfer-Dynamik
- Neid auf das eigene Kind bei narzisstischer Alkoholpatientin
12.10.2009
Kombination verschiedener
Therapieverfahren I
 Therapieverfahren können teilweise kombiniert werden
 Dabei sollten die Unterschiede jedoch nicht einfach verleugnet
werden
 Eine Kombination gelingt dann, wenn die Teammitglieder
ausreichend Kenntnis des jeweils anderen Verfahrens haben
 Kombination von Fertigkeitentraining (nach DBT) und
übertragungsfokussierter Psychotherapie (TFP):
 Der Patient lernt Symptome besser zu beherrschen (dadurch
geht es im u.U. „schlechter“; Abwehrcharakter von Symptomen)
 Der
Patient
verweigert
die
Anwendung
von
spannungsabbauenden Techniken, obwohl er diese gelernt hat
(Widerstand)
 Der Patient wünscht sich eine rein handlungsorientierte
Vorgehensweise und entwertet einen verstehensorientierten
Zugang (oder umgekehrt)
12.10.2009
Kombination
verschiedener
Therapieverfahren II
 Manchmal kann auch eine phasenweise Kombination favorisiert
werden:
 Z.B. Einstieg mit DBT oder Mentalisierungsbasierter Therapie
dann sukzessive stärkerer Einbezug von Beziehungsthemen
(TFP)
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Gruppentherapie




Einzeltherapie in der Gruppe
Gruppendynamiken
Lernen am Modell
Narzisstische, Neurotische und Borderline-Patienten
Soziale Situation




Frühzeitig in Angriff nehmen
Patient sollte sich nicht passiv verhalten
Realistische Perspektive vermitteln
Weitere ambulante soziale Betreuung
Basis der Behandlung:
Objektpsychologie
 Die Objektpsychologie stellt die Beziehungsstörung in den
Mittelpunkt der Behandlung
 Charakter wird als geronnene Beziehungserfahrung gesehen
 Die inneren Objektbeziehungen sind die „Brille“ mit der der
Patient die Welt sieht (mehr als nur Kognitionen; „Schemata“)
 Die Beziehung wird dabei vor allem als eine strukturelle
Thematik im Bereich der inneren Objektbeziehungen betrachtet
(z.B. Wechsel von überfürsorglich-hypochondrischer und
vernachlässigender
Körperbeschäftigung
bei
Drogenabhängigen)
 Die Objektbeziehungstheorie ermöglicht es Verbindungen
herzustellen,
zwischen
früheren
Beziehungserfahrungen,
interpersonellen
Beziehungsschwierigkeiten
und
den
Übertragungsbeziehungen
12.10.2009
Probleme der
Behandlung I

Der Fokus wird nicht ausreichend sauber gewählt
Es wird an Themen gearbeitet, die zwar mit grossem Druck
vorgetragen werden, aber sekundär erscheinen (etwa sexueller
Missbrauch bei chronischer Suizidalität)
Es sollten alle Therapeuten (mit Differenzierungen) den Fokus
kennen bzw. an ihm arbeiten (Gefahr: jeder arbeitet an etwas
anderem)
Das Thema des Abschieds sollte quasi von Anfang an
bearbeitet werden, die Beziehungsgestaltung entsprechend
gestaltet werden
12.10.2009
Probleme der
Behandlung II
 Der Patient lernt neue Symptome durch „imitatives
Verhalten“
 Ständige Kriseninterventionen etc. erzeugen eine
„Blaulicht-Atmosphäre“ und verhindern eine vertiefte
Bearbeitung der Probleme
 Trivialisierungen (Widerstand) werden nicht genügend als
solche erkannt
 Unerkannte destruktive Gruppenprozesse
 Regressionstendenzen
 Die Austrittsplanung erfolgt überhastet oder der Patient
verhält sich dabei passiv
12.10.2009
Probleme der Behandlung III
 Wenn die Therapie dauerhaft dazu beiträgt, das „reale Leben“
zu
vermeiden
und
statt
dessen
ein
therapeutisches
„Ersatzleben“ zu führen
 Wenn der Patient den Aufenthalt nutzt, um durch
dysfunktionales Verhalten und Agieren vermehrte Zuwendung
zu erhalten (sekundäre Verstärker werden zu wenig erkannt)
 Wenn der Patient das Team in einen Machtkampf verwickelt,
der nicht verstanden wird und am Ende ausagiert wird (oft
mangelnde
Bearbeitung
der
GegenübertragungsÜbertragungsdynamik)
 Fehlende ambulante Nachbetreuungsstrukturen
12.10.2009
Voraussetzungen auf Seiten
des Teams
• Technische Neutralität
• Haltende Funktion (holding)
• Containing (Aushalten von Wut und negativer
Übertragung)
• Variables Setting (Wechsel von grosser Strukturiertheit und grosser
Flexibilität
Dr. G. Dammann
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