Band 135 - Hans-Böckler

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Band 135
Aus der Schriftenreihe
"Beiträge aus der Forschung“
Freie Wohlfahrtspflege im
Modernisierungsprozess: organisationsund personalpolitische Herausforderungen
und Konsequenzen
- Dokumentation des Workshops
vom 14. März 2003 in Düsseldorf -
Dortmund, 2003
Impressum:
Beiträge aus der Forschung, Band 135
ISSN: 0937-7379 (Auflage: 500)
Layout: Marita Schöfer
Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund (sfs)
Evinger Platz 17
D-44339 Dortmund
Tel.: +49 (0)231 – 85 96-2 41
Fax: +49 (0)231 – 85 96-1 00
e-mail: [email protected]
http://www.sfs-dortmund.de
Inhaltsverzeichnis
Volker Grünewald
Vorbemerkung der Hans-Böckler-Stiftung
5
Harald Giesecke
Stellungnahme der Gewerkschaft ver.di
6
Heinz-Jürgen Dahme
Norbert Wohlfahrt
Gertrud Kühnlein
Zwischen Wettbewerb und subsidiärer
Leistungserbringung: die Verbände der Freien
Wohlfahrtspflege im Modernisierungsprozess Zwischenergebnisse eines Forschungsprojekts
8
Forschungsdesign und Vorgehensweise der Studie
8
Die sozialwissenschaftliche Bedeutung der Freien
Wohlfahrtspflege (Heinz-Jürgen Dahme)
11
Organisation im Umbau? Thesen zur
Organisationsentwicklung der Freien Wohlfahrtspflege
(Norbert Wohlfahrt)
17
Soziale Dienstleistungen zwischen Kostendruck, neuen
beschäftigungspolitischen Rahmenbedingungen und tarifpolitischen Herausforderungen
(Gertrud Kühnlein)
28
Uwe Schwarzer
Strategisches Management als Antwort auf die
organisations- und qualitätspolitischen
Herausforderungen für die Verbände der Freien
Wohlfahrtspflege
38
Wolfgang Schuth
Entwicklungstrends in der Wohlfahrtspflege in
Ostdeutschland
52
Rainer Brückers
Haben wir das „richtige“ Personal? Probleme und
neue Wege der Personalrekrutierung,
Personaleinsatzstrategien,
Personalentwicklungsinstrumente
59
Beiträge aus der Forschung
3
Wolfgang Herbertz
Die Qualität sozialer Dienstleistungen als Problem
von Dienstleistern, Politik und Arbeitnehmern - Ein
Kommentar
69
Hejo Manderscheid
Was bedeutet Werteorientierung für die
modernisierte Freie Wohlfahrtspflege?
76
„Anforderungen an ein zeitgemäßes - anforderungsund leistungsadäquates - Entgeltsystem“ - ein
Streitgespräch 89
Moderation: Anna Stefaniak
4
Beiträge aus der Forschung
Vorbemerkung
Soziale Dienstleistungen wie die häusliche Pflege geraten zunehmend in eine Finanzierungs- und Legitimationsfalle. Auf der einen
Seite steht der Anspruch, einen menschenwürdigen und Lebensqualität sichernden Service anzubieten, etwa in der Pflege alter
Menschen nach dem Prinzip „ambulant vor stationär“. Andererseits
werden die Dienstleistungen durch enge betriebswirtschaftliche
und zeitökonomische Vorgaben tendenziell auf eine Minimalversorgung zurückgefahren. Gefragt sind neue Kooperationsformen
zwischen Kranken- und Pflegekassen, Wohlfahrtsträgern und koordinierenden staatlichen Stellen. Auch die Mobilisierung und Integration bürgerschaftlichen und ehrenamtlichen Engagements
bietet sich als Entlastung und Ergänzung an.
„Vom Wohlfahrtssektor zur Sozialwirtschaft“ heißt ein von HeinzJürgen Dahme, Gertrud Kühnlein und Norbert Wohlfahrt bearbeitetes Forschungsprojekt, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird. Es untersucht neue Steuerungsformen wie das Kontraktmanagement, schaut aber auch auf die Arbeitsbedingungen und
Qualifikationsanforderungen der Beschäftigten. Das Projekt soll
einen Beitrag zur aktuellen Diskussion um die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme leisten. Im Frühjahr 2003 fand in Düsseldorf ein Transferworkshop statt, dessen Dokumentation nun vorliegt. Das Projektteam und die Hans-Böckler-Stiftung möchten
durch die Veröffentlichung ausdrücklich zu einem breit angelegten Diskurs anregen und einladen.
Volker Grünewald
Hans-Böckler-Stiftung
Im September 2003
Beiträge aus der Forschung
5
Harald Giesecke, ver.di-Bundesverwaltung
Stellungnahme der Gewerkschaft ver.di
Das Verhältnis zwischen staatlichen Stellen, öffentlichen Trägern
und Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege verändert sich in den
letzten Jahren massiv. Das Forschungsprojekt „Vom Wohlfahrtsstaat zur Sozialwirtschaft“ bietet nun erstmals die Möglichkeit,
diese Veränderungen und ihre Auswirkungen systematisch für das
Feld der sozialen Dienste zu untersuchen und einer gewerkschaftlichen Bewertung zugänglich zu machen. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat daher ein hohes strategisches Interesse an den Erkenntnissen dieses Projektes.
Mit der Einführung der Neuen Steuerungsmodelle in den Kommunen ergaben sich Rückwirkungen auf das Verhältnis von Kommunen zu freien Trägern. Verstärkt wurde dieser Prozess, der insbesondere neue vertragsrechtliche Beziehungen zwischen den öffentlichen Kostenträgern und den Dienstleistungserbringern beinhaltet, im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe durch die Novellierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes 1999. Entsprechende
gesetzliche Rahmenveränderungen gibt es aber auch für andere
Teilbereiche personenbezogener Dienstleistungen.
Mittlerweile sind Verfahren des Kontraktmanagements im Bereich
Sozialer Arbeit auf dieser Grundlage weiter fortgeschritten und
für die unterschiedlichsten Teilbereiche ausdifferenziert. Sie zu
untersuchen ist insbesondere unter Betrachtung des Zusammenhangs und Zusammenwirkens von Qualität der Dienstleistung auf
der einen Seite und Leistungsvereinbarungen auf der anderen Seite sinnvoll. Zu untersuchen und anschließend aus gewerkschaftlicher Sicht zu bewerten ist hierbei insbesondere, ob eine Ökonomisierung des Sozialsektors mit ihren Auswirkungen auf die Strukturen des deutschen Sozialstaates tatsächlich zu einer Verbesserung
der Dienstleistung für die LeistungsbezieherInnen und NutzerInnen geführt hat. Gerade unter der aktuellen finanzpolitischen Misere der Kommunen stellt sich diese Frage in verschärfter Form.
Von besonderem Interesse ist aus unserer Sicht hierbei, dass das
Projekt neben den strukturellen Veränderungen der Wohlfahrtsverbände selbst den Wandel von Arbeitsbedingungen und Qualifikationsanforderungen untersucht. In den Fokus treten somit die
Auswirkungen der skizzierten Entwicklungen auf die Beschäftigten. Nach unserer Beobachtung nimmt derzeit der Anteil prekärer
Arbeitsverhältnisse deutlich zu. In wieweit die ökonomischen Steuerungsmechanismen hier direkten Einfluss haben, ist für die sozialen Dienste wissenschaftlich wenig untersucht. In direktem Zusammenhang hierzu steht auch die Frage, in wie weit beziehungsweise in welcher Weise das professionelle Selbstverständnis der
betroffenen Berufsgruppen sich unter diesen Entwicklungen wandelt.
6
Beiträge aus der Forschung
Auch tarifpolitisch ergeben sich aus diesen Veränderungsprozessen heikle Fragen. Unter dem fortschreitenden Rationalisierungsund Kostenminderungsdruck der Wohlfahrtsverbände entwickelt
sich ein tarifpolitisches Gefälle zwischen den öffentlichen Trägern
und den Wohlfahrtsverbänden, sowie zwischen den verschiedenen
Wohlfahrtsverbänden, im weiteren auch hin zu den nicht verbandsgebundenen Trägern. Aus unserer Sicht aber hängt die Qualität
der Arbeit gerade bei personenbezogenen Dienstleistungen in besonderer Weise von den Rahmenbedingungen der Arbeit ab. Aus
gewerkschaftlicher Sicht stellt sich die dringende Frage, in wie weit
tarifliche Standards oder gesetzliche Vergabebedingungen dazu
beitragen können, den Beschäftigten im gesamten Arbeitsfeld bei
öffentlichen, freien und privaten Trägern qualitativ gute Arbeit zu
ermöglichen und damit ihrem eigenen Anspruch an ihre Arbeit
gerecht werden zu können.
Nur wenn dies gelingt, werden die Wohlfahrtsverbände auch in
Lage sein, gutes und zuverlässiges Personal langfristig zu halten.
Beiträge aus der Forschung
7
Zwischen Wettbewerb und subsidiärer
Leistungserbringung: die Verbände der Freien
Wohlfahrtspflege im ModernisierungsprozessZwischenergebnisse eines Forschungsprojekts
Forschungsdesign und Vorgehensweise der Studie
Soziale Dienstleistungen sind sozialrechtlich nach § 11 SGB I neben Geld- und Sachleistungen die “dritte Leistungsart” des bundesrepublikanischen Sozialleistungsrechts. Zu den sog. “Dienstleistungen” im sozialrechtlichen Sinn gehören alle persönlichen und
erzieherischen Hilfen, d. h. alle Formen der Beratung von Hilfeempfängern oder Hilfesuchenden, die Weitervermittlung, das Herstellen von Verbindungen zu Personen oder Einrichtungen/Institutionen sowie allgemein die persönliche Betreuung. Aus diesem Dienstleistungsauftrag des Sozialgesetzgebers haben sich eine bunte Vielfalt und Vielzahl sozialer Dienste entwickelt, die in öffentlicher, freigemeinnütziger und – zunehmend auch – in privater, d. h. erwerbswirtschaftlicher Trägerschaft erstellt und erbracht werden, wobei
den Kommunen eine besondere Rolle bei der Bereitstellung sozialer Dienste zukommt.
Bis Anfang der 90er Jahre bestanden die Besonderheiten bei der
Erbringung sozialer Dienstleistungen in der BRD in dem Sicherstellungsauftrag des Staates beziehungsweise der Kommunen, einer
Vorrangstellung der freien Träger und einer am Selbstkostendeckungsprinzip ausgerichteten Preisgestaltung in den Einrichtungen und Diensten. Seitdem wurden eine Reihe von Neuregelungen durchgesetzt. Darunter sind der Abbau des Vorrangs freier Träger, der im SGB XI bis hin zum völligen Wegfall führte, die Einführung prospektiver Pflegesätze sowie die verbindlich zu vereinbarenden Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen.
Durch die Einführung von Wettbewerb und neue vertragsrechtliche Beziehungen verstehen sich die Leistungserbringer im Bereich
sozialer Dienste nun in immer stärkerem Maße als Dienstleistungsunternehmen. Insbesondere die auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips dominanten Dienstleistungserbringer (Träger und Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege) befinden sich daher
derzeit in einem umfassenden organisatorischen Modernisierungsprozess. Dieser beinhaltet organisationspolitische wie beschäftigungspolitische Aspekte; Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen, Aufgaben und (Qualifikations-)Anforderungen an die Beschäftigten im Bereich sozialer Dienste verändern sich nachhaltig,
was auch erhebliche Konsequenzen für die Tarifpolitik in diesem
Sektor hat. Dabei sind ganz unterschiedliche Strategien bei der
Bewältigung dieser neuen Herausforderungen möglich, die sich
zudem wechselseitig in ihren Wirkungen beeinflussen (können).
8
Beiträge aus der Forschung
Neue wettbewerbliche Rahmenordnung
Organisationspolitik Ù ArbeitsorganisationÙ Entgeltpolitik Ù Qualifizierungsanforderungen
Je nachdem, welche Strategien von den Trägern und Einrichtungen gewählt werden, welche unterschiedlichen Akzentuierungen
sie bei ihren Modernisierungsbemühungen setzen, ändern sich
damit auch die Grundlagen für die Neu-Gestaltung der Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen, für Personalentwicklung und für
das gesamte Tarifgefüge in diesem Sektor.
Die mittel- und langfristigen Auswirkungen dieser Entwicklungen
können vor diesem Hintergrund bisher nur grob abgeschätzt werden. Erst auf der Grundlage empirischer Kenntnisse über den Verlauf und die Intensität der ausgelösten binnenorganisatorischen
Modernisierungsprozesse lassen sich genauere Aussagen über die
künftigen Anforderungen an eine Verbesserung und Neujustierung
der Arbeitsplatzgestaltung, der Arbeitsorganisation, der Personalauswahl und der Personalentwicklung treffen. Im Rahmen des hier
vorgestellten Forschungsprojekts soll daher überprüft und präzisiert werden, wie sich die durch mehr Wettbewerb veränderte Organisationspolitik der Träger und Einrichtungen im sozialen Sektor darstellt und welche Konsequenzen sich daraus für die Arbeitsbedingungen im weitesten Sinne ergeben.
In unserem explorativen Forschungsprojekt werden die aktuellen
Transformationsprozesse in der Freien Wohlfahrtspflege auf zwei
Ebenen untersucht:
a) Durch eine qualitative Expertenbefragung aller Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege (mit Ausnahme der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden) und ausgewählter Träger und Einrichtungen im Bereich der Freien Wohlfahrtspflege werden die
zentralen Modernisierungsschritte innerhalb der Freien Wohlfahrtsverbände erhoben und organisations- und personalpolitische Veränderungen analysiert. Diese Expertenbefragung ist
im vergangenen Jahr durchgeführt worden und es wurden
insgesamt etwa 40 Akteure auf der Bundes- und Landesebene
der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege bzw. ausgewählte Trägervertreter qualitativ befragt. Auf diesem Untersuchungsschritt basieren im Wesentlichen auch die im Folgenden dargestellten Ergebnisse.
b) Durch Fallstudien bei ausgewählten Trägern der Freien Wohlfahrtspflege werden Veränderungen an die Qualifikationsprofile der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, neue Führungsstruk-
Beiträge aus der Forschung
9
turen und die Modernisierung von Sozial- und Personalmanagement untersucht. Dabei sollen in Form von "best practice" Beispielen innovative Lösungen auf Trägerebene herausgearbeitet werden.
Gegenwärtig werden diese Fallstudien zu folgenden Themen in
Angriff genommen:
-
Kontraktmanagement und seine Folgen im Verhältnis Kommune – Freie Träger;
-
Qualitätsentwicklung und Qualitätsmanagement;
-
Fusion, Kooperation, Vernetzung;
-
Veränderung von Arbeitsbedingungen im Bereich sozialer Arbeit.
Die Fallstudien sollen im Jahr 2003 durchgeführt werden.
Im Folgenden möchten wir zunächst die aktuelle beschäftigungspolitische Bedeutung der Freien Wohlfahrtspflege verdeutlichen,
die als Träger sozialer Dienste und Einrichtungen einen Großteil
der sich entwickelnden Sozialwirtschaft repräsentiert (Heinz-Jürgen Dahme).
In den beiden folgenden Beiträgen (N. Wohlfahrt und G. Kühnlein)
werden auch erste Ergebnisse aus unseren empirischen Untersuchungen vorgestellt. Dazu wurde zum Workshop ein Thesenpapier
vorgelegt, auf das in einigen der nachfolgenden Referate ausdrücklich Bezug genommen wird.
10
Beiträge aus der Forschung
Prof. Dr. Heinz-Jürgen Dahme, Hochschule Magdeburg-Stendal
Die sozialwirtschaftliche Bedeutung der Freien
Wohlfahrtspflege
Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege 1 sind in allen Bereichen
sozialer Arbeit präsent. Ob es sich um Kindergärten handelt, um
Krankenhäuser, Altenpflegeheime oder Dienste der offenen Hilfe,
ein erheblicher Anteil von ihnen ist einem Verband der Freien Wohlfahrtspflege angeschlossen. Nach eigenen Angaben (BAGFW) gilt
dies für annähernd 94.000 Einrichtungen und Dienste, in denen
fast 1,2 Millionen Mitarbeiter/innen hauptamtlich beschäftigt sind
(Datenstand: 1.1.2000). Gemeinsam mit nebenberuflich Tätigen
sowie Ehrenamtlichen und Freiwilligen tragen die Beschäftigten
zur Gesamtleistung bei, die von der Freien Wohlfahrtspflege für
die Gesellschaft erbracht wird. Wie hoch diese Leistung ist, wird
nirgendwo exakt beziffert. Die Verbandsstatistik gibt hierüber keine Auskunft. Wie in allen Verbänden, so erfolgen auch die Meldungen zur Statistik der Sozialverbände auf freiwilliger Basis, und ihre
Finanzen legen Unternehmen i. d. R. nur ungern offen. Verbände
sind eben keine Konzerne. In der amtlichen Statistik finden sich
ebenfalls keine konkreten Angaben, denn die Freie Wohlfahrtspflege ist kein eigenständiger Wirtschaftszweig, dessen Umsatz oder
Wertschöpfung in einer volkswirtschaftlichen Statistik isoliert ausgewiesen wird. Dennoch gibt es Datenmaterial, das Schlüsse über
den Umfang des Engagements der Freien Wohlfahrtspflege in verschiedenen Tätigkeitsbereichen und über Marktanteile zulässt.
Darüber hinaus existieren differenzierte Schätzungen über die gesamtwirtschaftliche Leistung der Freien Wohlfahrtspflege, die
allerdings nicht ohne weiteres fortgeschrieben werden können.
Bedeutung der verschiedenen Arbeitsbereiche für die Freie
Wohlfahrtspflege
Einen Überblick über das Leistungsangebot der Freien Wohlfahrtspflege gibt die Verbandsstatistik (BAGFW-Statistik). Neben der
Anzahl der Einrichtungen und bereitgestellten Plätze bzw. Betten
finden sich Angaben über die Mitarbeiterzahl in den verschiedenen Arbeitsbereichen. Die Verbandsstatistik unterscheidet die Bereiche Krankenhäuser, Jugendhilfe, Familienhilfe, Altenhilfe, Behinderteneinrichtungen sowie sonstige Einrichtungen und Dienste.
Zudem sind Aus-, Fort- und Weiterbildungseinrichtungen für soziale und pflegerische Berufe nachgewiesen. Welche ökonomische
Bedeutung die einzelnen Bereiche für die Freie Wohlfahrtspflege
1
Der Begriff Freie Wohlfahrtspflege bezieht sich im Folgenden auf die sechs
Spitzenverbände Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Caritasverband, Deutsches
Rotes Kreuz, Diakonisches Werk der EKD, Paritätischer Wohlfahrtsverband und
Zentralwohlfahrtsstelle der Juden, die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammen arbeiten.
Beiträge aus der Forschung
11
haben, lässt sich aus diesen Daten nicht definitiv bestimmen, denn
es fehlt ein einheitlicher Bewertungsmaßstab. Nach der Anzahl der
Einrichtungen zu urteilen, ist die Jugendhilfe der größte Arbeitsbereich (36% aller Einrichtungen). Allerdings wird bei dieser Betrachtung von Differenzen in der Einrichtungsgröße abgesehen und
von Unterschieden in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit selbst
gleich großer Einrichtungen.
Alternativ lässt sich die Bedeutung der einzelnen Arbeitsbereiche
für die Freie Wohlfahrtspflege anhand der Angebotskapazitäten
in Form von verfügbaren Betten oder Plätzen beurteilen. Dieses
Kriterium vermittelt einen etwas anderen Gesamteindruck. Zwar
ist auch danach die Jugendhilfe der größte Bereich, die „Bedeutung“ ist aber
Bereiche
EinrichtunBetten/
Beschäftigte
deutlich gestiegen
Plätze
gen: Der Anteil
%-Anteil an Insgesamt
der Jugendhilfe
Krankenhäuser
1,3
6,7
27,3
an den gesamJugendhilfe
36,3
56,1
22,0
ten PlatzkapaziFamilienhilfe
10,1
1,8
7,7
täten liegt bei
56%. Auch dieAltenhilfe
16,3
14,7
20,4
ser Maßstab
Behindertenhilfe
13,3
10,5
13,5
weist erheblisonstige Einrichtungen und
21,0
6,6
7,6
che Defizite auf,
Dienste
denn beim VerAus-, Fort- und
Weiterbildungs1,7
3,5
1,4
gleich der Betstätten
ten- bzw. PlatzInsgesamt:
100,0
100,0
100,0
kapazitäten
Nachrichtlich:
Anzahl in Tsd.
werden alle EinInsgesamt:
94
3.271
1.164
richtungen aus
der BetrachQuelle: BAGFW Gesamtstatistik Stand 01.01.2000
tung ausgeklammert, die über solche Angebote nicht verfügen. Dies sind
insbesondere Einrichtungen der offenen Hilfe wie Beratungsstellen aber auch die ambulanten Pflegedienste gehören dazu. Darüber
hinaus ignoriert die Gleichsetzung von Plätzen bzw. Betten in unterschiedlichsten Einrichtungen, dass sich die Plätze in Bezug auf
die mit ihnen verbundenen ökonomischen Leistungen erheblich
unterscheiden; unter wirtschaftlichem Gesichtspunkt ist ein Krankenhausbett anders zu bewerten als ein Kindergartenplatz.
Von den verfügbaren Angaben der Verbandsstatistik ist die Anzahl
der Beschäftigten der beste Indikator zur Beurteilung der Relevanz
der verschiedenen Arbeitsbereiche für die Freie Wohlfahrtspflege.
Danach dominieren die Krankenhäuser. Jeder vierte Beschäftigte
der Freien Wohlfahrtspflege arbeitet in einem Krankenhaus, jeder
fünfte in der Jugendhilfe, ein ähnlich hoher Anteil in der Altenhilfe. In der Behindertenhilfe sind 13,5% des hauptamtlichen Personals tätig. Diese Anteilswerte spiegeln die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Bereiche aber ebenfalls nur näherungsweise
wider. So wird gänzlich vom Kapitaleinsatz abgesehen, der sich auf
die Arbeitsproduktivität auswirkt. Auch Unterschiede in der Arbeitszeit zwischen den verschiedenen Arbeitsbereichen bleiben unberücksichtigt. Eine Bereinigung um den Effekt unterschiedlicher
12
Beiträge aus der Forschung
Arbeitszeiten2 verändert die Gewichte, wirkt sich bei den hier getroffenen Annahmen aber nicht auf die Rangordnung aus.
Stellenwert der Freien Wohlfahrtspflege in einzelnen
Arbeitsbereichen
Mit ihren Einrichtungen und Diensten ist die Freie Wohlfahrtspflege
einer von mehreren Anbietern sozialer Dienstleistungen. Wie ist
die Freie Wohlfahrtspflege in diesem Markt positioniert? Für einzelne Tätigkeitsfelder lässt die amtliche Statistik Rückschlüsse auf
die Marktanteile freigemeinnütziger, öffentlicher und privater Einrichtungen zu 3. Einrichtungsstatistiken gibt es für die großen Bereiche der Jugendhilfe, der Krankenhäuser, der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen sowie der Pflegeeinrichtungen (stationär und ambulant). Angaben zu Behindertenheimen finden sich
in der Heimstatistik des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Mehr als die Hälfte aller Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege und annähernd 80% aller in
der Verbandsstatistik ausgewiesenen Plätze bzw. Betten gehören
diesen Bereichen an, für die es (alternative) Angaben in der amtlichen Statistik gibt. In ihnen sind ca. 80% der Mitarbeiter/innen
der Wohlfahrtsverbände beschäftigt. Einen Überblick über die
Marktanteile – gemessen an der Anzahl der Einrichtungen in den
verschiedenen Bereichen – gibt die folgende Tabelle. Da sich die
Einrichtungen zum Teil erheblich in der Größe unterscheiden, sind
die Angaben zu den Plätzen bzw. Betten je Einrichtung ergänzt4.
Bezogen auf die Angebotskapazitäten existieren in einzelnen Bereichen erstaunliche Differenzen in der Personalausstattung. Dies
lässt sich an der ausgewiesenen Größe „Beschäftigte je 100 Plätze“ ablesen5.
2
Da keine exakten Angaben über die tatsächliche Arbeitszeit vorliegen, sind
nur äußerst grobe Schätzungen möglich. Hier wurde unterstellt, dass Teilzeitbeschäftigte im Mittel 50% der Normalarbeitszeit leisten.
3
Nicht in allen Statistiken sind Angaben zur Freien Wohlfahrtspflege verfügbar. Daher beziehen sich die Ausführungen in diesem Abschnitt grundsätzlich auf alle freigemeinnützigen Träger. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass
die Bereiche in der amtlichen und in der Verbandsstatistik nicht identisch abgegrenzt sind. Die Angaben aus den verschiedenen Statistiken lassen sich also
nicht ineinander überführen.
4
Ambulante Pflegedienste haben weder Betten noch Plätze, aber sie haben
betreute Pflegebedürftige. Diese Angaben wurden als Proxi für die Angebotskapazitäten verwendet.
5
Für Behinderteneinrichtungen liegen keine Angaben über die Mitarbeiterzahl
vor.
Beiträge aus der Forschung
13
Den niedrigsten Marktanteil – gemessen an der Zahl der Einrichtungen – haben freigemeinnützige Träger bei Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen. Hier dominieren die privaten Anbieter den
Markt mit einem Anteil von 58%. Die privaten Einrichtungen sind
im Mittel sehr viel größer als die der Mitbewerber. Der Anteil privater Einrichtungen an der gesamten Leistung im Vorsorge- und
Rehabilitationsbereich wird folglich deutlich über 58% hinausgehen. Ambulante Pflegedienste sind ein weiterer Bereich, in dem
private Träger über sehr viele Einrichtungen verfügen (51%). Im
Marktanteile, Einrichtungsgröße und Personaleinsatz in verschiedenen Arbeitsbereichen
Jahr
Einrichtung
FG
Einrichtungen
öffentl. privat
5
Plätze je Einrichtung Beschäftigte je 100 Plätze
FG
öffentl. privat
FG
öffentl. privat
% an der jew.Einrichtungsart
1
Kindertageseinrichtungen
1,2
Jugendhilfeeinr.sonst
3
Krankenhäuser(Allgemein)
3
Vorsorge- und RehaEinr.
Stationäre Pflegeeinricht.
Ambulante Pflegedienste
4
Behindertenheime
1998
1998
2000
2000
1999
1999
1999
48,1
63,4
40,6
26,6
56,6
47,2
86,4
41,7
10,4
37,1
15,4
8,5
2,0
4,0
10,2
26,2
22,3
58,0
34,9
50,9
9,6
Anzahl
66,2
31,4
246,8
91,3
81,1
51,0
39,5
69,3
33,3
381,1
128,3
96,2
37,0
80,3
Anzahl je 100 Plätze
35,9
39,4
87,4
159,0
53,9
27,0
35,7
11,9
36,4
130,0
63,6
70,8
44,2
11,6
32,2
172,9
75,7
66,8
44,1
16,2
20,9
118,2
58,0
62,8
43,8
Abkürzung: FG = freigemeinnützig
Anmerkungen:
1
Freigemeinnützige Träger (FG) = Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, sonstige Religionsgemeinschaften öffentl.Rechts und
Jugendgruppen, -verbände und - ringe. Private Träger = Wirtschaftsunternehmen sowie sonstige juristische Personen und andere
Vereinigungen; 2 Ausschließlich Einrichtungsarten mit Angaben zu Plätzen und deren Mitarbeiter;3 Plätze = aufgestellte Betten;
4
Keine Angaben zur Mitarbeiterzahl verfügbar; 5 Bei ambulanten Pflegediensten: betreute Pflegebedürftige
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie (FS) 13, Reihe (R) 6.3, FS 12 R 6.1, Kurzbericht: Pflegestatistik 1999; BMFSFJ: Heimstatistik 2000
Unterschied zu den Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen
sind in diesem Tätigkeitsfeld die Dienste privater Anbieter aber eher
klein. Freigemeinnützige ambulante Pflegedienste betreuen im
Mittel fast doppelt soviel Pflegebedürftige wie private Anbieter;
insgesamt nehmen mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen die
Leistungen freigemeinnütziger Dienste in Anspruch.
Mit Ausnahme der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen
liegt der Marktanteil (Einrichtungen) freigemeinnütziger Träger in
den betrachteten Bereichen zwischen 41% (Krankenhäuser) und
86% (Behindertenheime). Die Heterogenität selbst gleicher Einrichtungsarten wird in den teilweise großen Unterschieden in der mittleren Einrichtungsgröße (Plätze je Einrichtung) augenfällig. Die
ausgewiesene Größe „Beschäftigte je 100 Plätze“ ist ein weiteres
Indiz für die zum Teil erheblichen Disparitäten zwischen gleichen
Einrichtungsarten. Inwieweit diese Differenzen auf unterschiedliche Arbeitszeiten bei den verschiedenen Einrichtungsträgern, auf
Abweichungen in der Arbeitsproduktivität oder aber auf Unterschiede in der Einrichtungsart, die hier zu gröberen Kategorien
zusammengefasst sind, zurückzuführen sind, lässt sich auf dieser
Aggregationsebene nicht beurteilen.
Die Leistung der Freien Wohlfahrtspflege im
gesamtwirtschaftlichen Vergleich
Die anschaulichen Einrichtungsstatistiken sind durchaus geeignet,
eine Vorstellung über die Bedeutung einzelner Arbeitsbereiche für
die Freie Wohlfahrtspflege und über ihre Positionierung gegenü-
14
Beiträge aus der Forschung
ber Konkurrenten zu gewinnen. Unter ökonomischem Aspekt ist
solch ein Vergleich zwischen unterschiedlichen Einrichtungsarten
und zwischen verschiedenen Trägern allerdings unzulänglich, da
sich die Einrichtungen in der Größe, in dem speziellen Angebot, in
der Klienten- und in der Beschäftigtenstruktur usw. unterscheiden.
Gänzlich versagen Einrichtungsstatistiken, wenn die Beziehung zu
anderen Wirtschaftseinheiten (bspw. Wirtschaftszweigen) beurteilt
werden soll. Hierzu ist eine Bewertung der Leistung notwendig,
die in den Einrichtungen von den Beschäftigten mit ihren unterschiedlichen Qualifikationen, Arbeitszeiten und Entgelten erbracht
wird. Eine solche Bewertung, die auch den Kapitaleinsatz einschließen muss, kann in Anbetracht der Datenlage nur eine mehr oder
weniger gute Schätzung sein. Sie muss mit Annahmen operieren
und Daten aus verschiedensten Quellen zusammentragen.
Eine sehr differenzierte Schätzung hat das Institut für Wirtschaft
und Gesellschaft (IWG) vorgenommen (Ottnard/Wahl/Miegel
2000). Folgt man dieser Studie, dann trägt die Freie Wohlfahrtspflege mit ca. 1,9% zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung bei
(1997).
Damit ist die gesamtwirtschaftliche Leistung der Freien Wohlfahrtspflege vergleichbar der relevanter Wirtschaftszweige des
Produzierenden Gewerbes wie dem Ernährungsgewerbe und der
Tabakverarbeitung, der Chemischen Industrie, dem Papier-, Verlagsund Druckgewerbe oder der Energie- und Wasserversorgung. Als
Dienstleistungsanbieter erbringt die Freie Wohlfahrtspflege die
Leistung mit einem deutlich höheren Arbeitskräfteeinsatz als die
zum Vergleich herangezogenen Branchen des Produzierenden Gewerbes. In der Freien Wohlfahrtspflege sind gut doppelt soviel sozialversicherungspflichtige Mitarbeiter/innen beschäftigt als bspw.
in der Chemischen Industrie. Allerdings arbeiten in den Einrichtungen und Diensten der Freien Wohlfahrtspflege sehr viel mehr
Beschäftigte mit reduzierter Arbeitszeit als in den Wirtschaftszweigen des Produzierenden Gewerbes. Die Unterschiede im tatsächlichen Arbeitseinsatz (Stunden) fallen also etwas moderater aus als
es der Vergleich der Beschäftigtenzahlen suggeriert.
Die gesamtwirtschaftliche Leistung der Freien Wohlfahrtspflege
kann unter verschiedenen Aspekten beurteilt werden. Für einen
direkten Leistungsvergleich mit anderen ökonomischen Einheiten
Wirtschaftliche Bedeutung der FW im Vergleich (1999)
4
3
2
1
0
Freie
Wohlfahrtspflege
(Schätzung)
Ernährungsgewerbe Papier-, Verlagsund
und Druckgewerbe
Tabakverarbeitung
Anteil am BIP
Chemische
Industrie
Energie- und
Wasserversorgung
Anteil an sozialversicherungspfl.Beschäftigten
Beiträge aus der Forschung
15
(hier: Wirtschaftszweige) sind die gleichen Bewertungsmaßstäbe
anzulegen, wie sie für den marktwirtschaftlichen Bereich gelten.
Bezogen auf den Faktoreinsatz bedeutet dies, dass ausschließlich
die bezahlte Arbeitsleistung berücksichtigt wird. Bekanntlich tragen in der Freien Wohlfahrtspflege aber auch viele Ehrenamtliche
und Freiwillige zur Gesamtleistung bei. Zudem verfügen die Verbände über Kapital, das in sozialen Einrichtungen gebunden ist und
für dessen Nutzung sie keine Kosten (Verzinsung) in Rechnung stellen. Würde auch der unentgeltlich bereitgestellte Einsatz von Arbeit und Kapital berücksichtigt, dann fiele die (fiktive) Wertschöpfung der Freien Wohlfahrtspflege deutlich höher aus6.
Die Leistungen der Freien Wohlfahrtspflege für die Gesellschaft
unterscheiden sich von der anderer ökonomischer Einheiten durch
das Nebeneinander von bezahltem und unbezahltem Faktoreinsatz sowie durch den speziellen Inhalt der Leistungen und die Form
der Leistungserstellung. Bei einer rein ökonomischen Betrachtung,
in der die Leistungen wie in einer Unternehmensbilanz bewertet
werden, wird nur ein Teil der Gesamtleistung berücksichtigt. Spiegelhalter (1999) plädiert daher dafür, die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung um eine sozialwirtschaftliche Bilanz zu ergänzen,
die auch die materiellen Zusatzleistungen und die immateriellen
Leistungsbeiträge der Freien Wohlfahrtspflege einschließt. Erst eine
solche Bilanz reflektiert den tatsächlichen Leistungsumfang, der
von der Freien Wohlfahrtspflege für die Gesellschaft erbracht wird,
angemessen. Über eine rein ökonomische Betrachtung geht solch
eine Sozialbilanz weit hinaus. Bei der Umsetzung taucht allerdings
das Problem auf, einen geeigneten Bewertungsmaßstab für nichtmaterielle Leistungen zu finden.
6
16
Das IWG schätzt eine um ca. 1/3 höhere Wertschöpfung bei Berücksichtigung
der unentgeltlichen Leistung (Ottnard/Wahl/Miegel 2000, S. 57.)
Beiträge aus der Forschung
Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt, Ev. Fachhochschule RWL
Organisation im Umbau? Thesen zur
Organisationsentwicklung der Freien
Wohlfahrtspflege
Im Folgenden möchten wir thesenartig den gegenwärtigen Diskussionsstand um die Veränderung organisatorischer Strukturen
in den Verbänden zusammenfassen. Dieser verdeutlicht zugleich,
dass die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sich aktuell in einem intensiven Modernisierungsprozess befinden, der teilweise
die Wurzeln des eigenen Organisationsverständnisses berührt und
in seinen Folgewirkungen bislang noch nicht abgeschätzt werden
kann.
1.
Die bundesdeutsche Dienstleistungsmixtur
Unabhängig von den gegenwärtig diskutierten Szenarien über die
zukünftige Entwicklung sozialer Dienste ( Privatisierungsszenario:
quantitatives Wachstum durch Mobilisierung privater Ressourcen;
zivilgesellschaftliches Szenario: wachsende Beiträge zivilgesellschaftlicher Akteure zur Bedarfsdeckung im Bereich sozialer Dienste; Verrechtlichungsszenario: Stärkung des sozialen Dienstleistungssektors durch Vereinheitlichung und Verrechtlichung sozialer
Dienste) lässt sich feststellen, dass Quantität und Qualität sozialer Dienstleistungen in ihrer Entwicklung pfadabhängig sind. Diese ist wesentlich durch die Sozialstaatsgestaltung nach dem 2.
Weltkrieg bestimmt, wo im Ergebnis an die Strukturentwicklung
der Weimarer Republik angeknüpft wurde: die Doppelstruktur von
staatlich organisiertem Versicherungssystem und örtlich organisierten subsidiären Hilfeleistungen nach dem Fürsorgeprinzip.
Auch die besondere Rolle der „freien Wohlfahrtspflege“ als Träger
von sozialen Dienstleistungen wurde bestätigt.
Die spezifische bundesdeutsche Dienstleistungsmixtur wird durch
verschiedene Vorentscheidungen bestimmt: hierzu gehört die eher
randständige Berücksichtigung des Dienstleistungsbereichs in der
sozialrechtlichen Kodifizierung und die Konzentration auf Geldleistungen. Hierzu gehört auch die Entscheidung für oder gegen eine
Dienstleistungsstrategie (gegenüber einer Einkommensstrategie),
z. B. ausgedrückt durch die Leitlinie Reha vor Rente oder Prioritätensetzungen innerhalb des Dienstleistungsbereichs, ausgebildet
durch die Leitlinie „Ambulant vor stationär“.
In den letzten Jahren ist mit der Etablierung neuer Stellschrauben
das System der Dienstleistungsproduktion noch komplexer geworden und informelle Unterstützungsnetzwerke sind verstärkt in den
Prozess der Leistungserstellung einbezogen worden. Mit der spezifischen Konstruktion der Pflegeversicherung wird eine neue Stellschraube gesetzt: Einerseits wird zwar dem Pfad der Sozialversicherungsarchitektur gefolgt (obwohl privatwirtschaftliche und
Beiträge aus der Forschung
17
steuerfinanzierte „Lösungen“ in der Diskussion waren), andererseits wird eine Wettbewerbskonstellation in die Dienstleistungserbringung eingeführt, die seitdem systematisch auf andere
Dienstleistungsbereiche ausgedehnt wurde.
Inzwischen wird sogar schon von einer Änderung der GovernanceStruktur des Wohlfahrtsstaats gesprochen, die darin besteht, das
„Wettbewerbsmodell des Marktes für die Erstellung öffentlicher
Dienstleistungen nutzbar zu machen“. Wachsende Konkurrenz um
knappe Ressourcen kennzeichnet seitdem das System sozialer
Dienste und die Strategie der Durchmarktung führt zu einer ökonomistischen Funktionslogik, die das institutionelle Arrangement
der Dienstleistungsproduktion grundlegend verändert. Diese Veränderungen beziehen sich u. a.
– auf die Wohlfahrtsmixtur, also das Verhältnis privater, gemeinnütziger und staatlicher Dienstleistungsangebote;
– auf die Organisationspolitik der Verbände und Einrichtungen
im Dienstleistungsbereich;
– auf die Qualität und „Kundengerechtigkeit“ sozialer Dienste,
– auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in sozialen
Dienstleistungsorganisationen, die Anforderungen an Personalpolitik und Tarifstrukturen.
2.
Vermarktlichung und Effizienzorientierung
Das wichtigste Argument zur Einführung bzw. Konstruktion von
Marktsituationen im öffentlichen Sektor und im sozialen Dienstleistungssektor war und ist, dass Märkte bei der Allokation knapper Ressourcen effizienter sind als bürokratische Regeln. Effizienzorientierung soll einerseits helfen, Kosten zu senken und man erwartet, dass Vermarktlichung zu einem Kostenwettbewerb auf
Seiten der Anbieter führt und somit zur Erstellung kostengünstiger sozialer Dienstleistungen beiträgt. Andererseits wird unterstellt, dass durch Vermarktlichung die Kundenperspektive bei der
Produktion von Gütern und Diensten zunehmend an Bedeutung
gewinnen wird, so dass Effizienzdenken letztlich auch zu einer Steigerung der Kundenorientierung in den sozialen Diensten wie zur
Kundenzufriedenheit mit den sozialen Dienstleistungsangeboten
führen wird. Unterstellt wird, dass Produzenten sozialer Dienstleistungen in Folge von Effizienzkalkülen Kundenwünsche besser
und schneller erkennen und befriedigen können als dies im Rahmen des traditionellen „bürokratisch-professionellen Regimes“
möglich war.
Im Hinblick auf die Eckpfeiler der Einführung von marktähnlichen
Verhältnissen im Bereich sozialer Dienste wird in allen fortgeschrittenen Industrieländern eine weitgehende Übereinstimmung der
wesentlichen Zieldimensionen des Modernisierungsprozesses festgestellt (Abbau von Hierarchien; Dezentralisierung der Aufgabenund Ressourcenverwaltung; Aufwertung der Konsumentenorien-
18
Beiträge aus der Forschung
tierung). Betrachtet man allerdings die konkreten Umsetzungsprozesse, dann zeigt sich eine starke Abhängigkeit des Ausmaßes und
der Intensität des Marktbezugs von den jeweiligen wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen und den Arbeitsbeziehungen im
sozialen Dienstleistungssektor.
Mit Blick auf die OECD-Länder ist deshalb von „qualitativen Modernisierungsprofilen“ gesprochen worden, die nachhaltige Konsequenzen auf die zukünftige Gestaltung sozialer Dienste, deren
Wachstum und Nutzungsqualität haben können. So stellte Frieder
Naschold in seiner diesbezüglichen Studie fest, dass das Modernisierungsprofil in Deutschland in einigen wenigen historischen und
Kontextbedingungen sowie im politischen Kräfteverhältnis begründet ist; die stark dezentrale Grundstruktur des deutschen
Staatsaufbaus hat im Unterschied zu den weit stärker zentralistischen Systemen von Großbritannien und Modernisierungen nicht
stimuliert.
3.
Modernisierung von Staat und Verwaltung
Mit Beginn der 1990er Jahre begann in der Bundesrepublik
Deutschland ein Modernisierungsdiskurs, der in anderen westlichen Ländern schon wesentlich früher geführt wurde. Mit aller
Macht drängt seitdem das Thema „Modernisierung von Staat und
Verwaltung“ auf die Tagesordnung und hat immer mehr Teilbereiche der Gesellschaft und gesellschaftliche Institutionen erfasst. Da
insbesondere der Wohlfahrtsstaat parteiübergreifend und in
immer breiteren Kreisen als reformbedürftig gilt, verwundert es
nicht, dass auch der Bereich der sozialen Dienste (als Teilbereich
des Wohlfahrtsstaates) zunehmend in den Sog des Modernisierungsdiskurses geraten ist.
Das Verhältnis zwischen öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege,
das lange Zeit als durch das im Sozialrecht verankerte Subsidiaritätsprinzip geklärt betrachtet wurde, die Finanzierung sozialer
Dienste, die Effektivität und Effizienz sozialer Arbeit, die Organisation der Dienstleistungsproduktion ebenso wie die Entgeltsysteme für den Einkauf sozialer Dienste durch den öffentlichen Träger
wie aber auch für die Entlohnung der Beschäftigten und einiges
mehr gelten seitdem als dringend reformbedürftig und stehen auf
der Modernisierungsagenda ganz weit oben.
4.
Strukturprinzipien auf dem Prüfstand
Das bundesdeutsche (konservative) Sozialstaatsmodell ist durch
verschiedene Strukturprinzipien gekennzeichnet, die durch die
Modernisierung des Sozialsektors auf den Prüfstand gestellt werden.
Hierzu gehört einerseits das Subsidiaritätsprinzip, andererseits die
besondere Betonung des Zusammenwirkens öffentlicher und freier
Beiträge aus der Forschung
19
Träger. Seit der Weimarer Republik ist soziale Arbeit in Deutschland geprägt durch das korporatistische Aushandlungssystem zwischen öffentlichen und freien Trägern. Diese duale Struktur ist gekennzeichnet durch gesetzliche Bestands- und Eigenständigkeitsgarantien der Freien Träger und einer gleichzeitigen Förderverpflichtung und Gesamtverantwortung der öffentlichen Träger.
Dies hat im Ergebnis zu einer engen Anlehnung der Verbände der
Freien Wohlfahrtspflege an staatliche Strukturen und zu einer hohen Abhängigkeit von staatlichen Finanzierungen der Träger und
Einrichtungen geführt. Verbunden war dies mit dem Tatbestand
des kontinuierlichen Wachstums sozialer Dienste in freigemeinnütziger Trägerschaft und einer stetigen Professionalisierung der
Dienstleistungsarbeit. Die schrittweise Ersetzung dieses korporatistischen Arrangements durch Wettbewerbselemente führt
zugleich dazu, dass die verschiedenen Funktionen der Freien Wohlfahrtspflege, die sich im traditionellen System relativ mühelos integrieren ließen, neu gewichtet werden.
Die Funktion der Wohlfahrtsverbände als soziale Dienstleister wird
aufgewertet, die Funktion der Wohlfahrtsverbände als sozialpolitische Interessenvertretung wird in Frage gestellt und die Funktion der Wohlfahrtsverbände als Agenturen des freiwilligen Engagements wird erheblich kritischer eingestuft als dies in der Vergangenheit der Fall war. Die verbandliche Strategie der Multifunktionalität wird auf diesem Weg prinzipiell in Frage gestellt und eine
stetige Differenzierung der verschiedenen Verbandsfunktionen ist
in Folge dessen zu beobachten.
5.
Vom Sozialsektor zur Sozialwirtschaft
Die mit der Initiierung von Trägerkonkurrenz und neuen vertragsrechtlichen Beziehungen zwischen Dienstleistungserbringern und
öffentlichen Kostenträgern (Abkehr vom Selbstkostendeckungsprinzip) eingeleitete Ökonomisierung des Dienstleistungssektors
führt dazu, dass sich im Sozialsektor eine Sozialwirtschaft zu entwickeln beginnt, in der sich die traditionellen subsidiären Leistungserbringer zu (Sozial)Unternehmen transformieren, die in Geschäftsfeldern operieren und die versuchen, die traditionelle territorial
bestimmte Anbieterstruktur abzustreifen. Das Aufkommen einer
Sozialwirtschaft führt auch dazu, dass die bisherigen Formen der
tariflichen Bezahlung, der Qualifizierung und der Einbindung von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Frage gestellt werden und
zunehmend klassische Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen etabliert werden. Die Wohlfahrtsverbände, als dominante Leistungsanbieter, sind mit der Frage der Neuordnung ihrer Kernfunktionen
als Träger sozialer Dienste und Sozialanwalt und Nukleus freiwilligen Engagements konfrontiert, die innerverbandlich zuwachsenden Spannungen führt. Die Dominanz der Trägerorganisationen
und die damit verbundene Hierarchisierung der Funktionen zuungunsten des Engagements und der Sozialanwaltschaft nimmt
weiter zu und scheint sich im Rahmen der traditionellen Organisationsmodelle nicht lösen zu lassen.
20
Beiträge aus der Forschung
6.
Modernisierung nur auf der Mittelebene
Die gegenwärtig zu beobachtenden organisatorischen Veränderungen in den Wohlfahrtsverbänden sind (im wesentlichen) nicht das
Resultat einer Stärken-Schwächen-Analyse durch die Mitglieder,
sondern von außen, insbesondere durch die staatlich initiierte Trägerkonkurrenz, ausgelöst. Die Wohlfahrtsverbände sehen sich einem Anpassungsdruck ausgesetzt, der sich fundamental auf alle
Verbandsfunktionen bezieht und damit die Anforderung einer Organisationsentwicklung auf verschiedenen Ebenen produziert. Der
Prozess dieser Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen wird
als „Modernisierung“ gekennzeichnet. Dabei lässt sich feststellen,
dass die Entwicklungslinie der Modernisierung (die Zweckebene)
wesentlich von außen vorbestimmt ist, die Modernisierung sich
also gegenwärtig primär auf die Ebene der Mittel bezieht – eine
auf Dauer problematische Entwicklung. Denn solange nicht das
Ziel der Modernisierung benannt ist, können auch die Mittel immer
nur reaktiv verändert werden.
7.
Neujustierung des Verhältnisses von Trägern und
Verbänden
Durch die Einführung von Wettbewerb im Sozialsektor und die
zunehmende staatliche Regulierung der Dienstleistungserstellung
haben sich in allen Wohlfahrtsverbänden tiefgreifende Veränderungen vollzogen. Diese Veränderungen zeigen sich insbesondere
in der Neujustierung des Verhältnisses von Trägern bzw. Einrichtungen und dem Gesamtverband. Insbesondere die großen Träger sind
durch den Prozess einer ökonomisch orientierten Reorganisation
der Dienste und Einrichtungen erheblich aufgewertet worden und
der hierdurch eingeleitete Prozess von Fusionen und Bildung größerer Betriebseinheiten ist in vollem Gange. Diese Entwicklung
betrifft mehr oder weniger alle Wohlfahrtsverbände. Gleichzeitig
führt die Aufwertung der betrieblichen Ebene auch zu der Frage ihrer zukünftigen Stellung im Gesamtverband. Auch hier lässt sich
zunächst feststellen, dass die Frage, welche Einflussmöglichkeiten
den Trägern und Einrichtungen in den Verbänden zukommt bzw.
zukommen soll, Gegenstand vielfältiger Diskussionen ist und der
Prozess einer Stärkung der Position der Einrichtungen (insbesondere der großen Träger) im Verband sich immer stärker dynamisiert.
8.
Organisatorischer Umbau auf allen Ebenen
Charakteristisch für die Freien Wohlfahrtsverbände in der BRD ist
ihre Multifunktionalität. Sie sind nicht nur Dienstleistungserbringer, sondern auch Lobbyisten, Anwälte der Betroffenen und Mitgestalter der Sozialpolitik. Diese Vielfalt der Funktionen macht
gleichzeitig einen organisatorischen Umbau auf verschiedenen Ebe-
Beiträge aus der Forschung
21
nen erforderlich, der sämtliche Verbandsfunktionen umfasst. Einige der zentralen Herausforderungen, denen sich die Verbände der
Freien Wohlfahrtspflege gegenübergestellt sehen, sind folgende:
Die Verbände sehen sich selbst gelegentlich als „Gemischtwarenladen“. Eine „Portfoliobereinigung“ auf der Grundlage eines neuen
Leitbildes, bei Klarheit über die eigenen Kernkompetenzen und im
Wissen um die Risiken und Chancen des Umfeldes wird deshalb
vielfach für notwendig erachtet. Auch die oft als zu vielfältig angesehen Aufgaben/Angebote sollen dabei überprüft werden. Die
Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit soll dadurch gestärkt werden, dass prinzipiell eine Angebotspalette „aus einer Hand“ für die
Kunden angeboten wird. Ein wesentlicher Vorteil der Verbände im
Verhältnis zu den gewerblichen Anbietern wird darin gesehen, eine
vorhandene breite Leistungsvielfalt auf den Bedarf einer Zielgruppe hin vernetzen zu können.
Die kleinen territorialgefassten Allzweckstrukturen (Orts- und
Kreisverbände) werden als Hindernis einer effizienten und effektiven Erbringung bestimmter Leistungen angesehen. Diesteigenden
Anforderungen an die Leistungserbringung führen aus Sicht vieler
Verbände in den kleinen Gliederungen zu Überlastungen, die vorhandenen Betriebsgrößen sind unwirtschaftlich, Fachlichkeit und
leistungsfähiges Management können aus Kostengründen nur
begrenzt vorgehalten werden. Bezogen auf einen Gesamtverband
ergeben sich in den bestehenden Strukturen bei dieser Konstellation kostenträchtige Mehrfacharbeit in den einzelnen separat agierenden kleinschnittigen Gliederungen sowie eine große Heterogenität in Erscheinungsbild, Leistungsangebot, Qualität und der
Präsenz auf dem „Sozialmarkt“.
Die traditionelle Art und Weise verbandlicher Leistungspolitik, die
bestehende Arbeitsteilung zwischen den verbandlichen Territorialgliederungen, zwischen diesen und den Fachverbänden, die fehlende leistungs-/marktbezogen spezialisierte Aufgabenbündelung
sowie die überkommene Art der Erbringung interner Dienstleistungen reichen aus Sicht der Verbände nicht mehr aus, um Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und die Mission/das Leitbild einzulösen. In den einzelnen territorialen Gliederungen eines Verbandes sind die Leistungen in Bezug auf Angebot,
Qualität, Betriebsergebnis, Managementkompetenz sehr unterschiedlich ausgeprägt. Eine gemeinsame durchgängige strategische Ausrichtung und Zielverfolgung für die einzelnen Leistungsangebote ist in den Verbänden durchorganisatorische Parzellierung
und unangemessene Entscheidungsstrukturen meist nur sehr
schwach ausgeprägt bzw. nicht vorhanden und soll deshalb durch
die Implementierung von strategischem Management hergestellt
werden.
Die traditionellen Koordinierungsinstrumente der Verbände werden – so die vielfach anzutreffende Selbstwahrnehmung - den spezifischen Anforderungen und somit auch den Steuerungsnotwendigkeiten der vielfältigen Tätigkeitsfelder eines Verbandes nicht
mehr gerecht. Die Vorstandssitzungen wie auch die Geschäftsführerkonferenzen sind aufgrund der Allzuständigkeit und der
22
Beiträge aus der Forschung
entsprechenden Vielfältigkeit der Leistungsangebote, der alles
umgreifenden Themenpalette und nicht immer klarer Prioritätensetzung oftmals Hindernisse, die eine fundierte und ziel-/ergebnisorientierte Steuerung der einzelnen Tätigkeitsfelder erschweren. Zudem sind auch die Aufeinanderbezogenheit und die Vermittlung zwischen diesen drei Ebenen unzulänglich. Eine an den spezifischen Erfordernissen der einzelnen Leistungen/Märkte ausgerichtete ziel-/ergebnisorientierte Steuerung ist nicht im heute erforderlichen Maße ausgeprägt.
9.
Diskrepanz zwischen Leitbild und Umsetzung
Es liegt auf der Hand, dass jeder Organisationsumbau und jede
Organisationsentwicklung nicht nur als technische Veränderung
angesehen werden kann, sondern unmittelbar die Frage berührt,
welchem Leitbild die Veränderungen folgen. Zugleich muss der
Veränderungsprozess in seinen Folgewirkungen auf (mindestens) 3
Ebenen analysiert werden: auf der Ebene der Organisation; auf der
Ebene der Funktion als verantwortlicher Arbeitgeber und (bei kirchlichen Verbänden) auf der Ebene des Verhältnisses von Kirche und
Verband.
Die ungenügende Verständigung über die Zweckebene der Modernisierung macht es schwierig, die jeweiligen organisatorischen
Veränderungen auf die Frage der Leitidee zu beziehen und lässt
viele Änderungen als notwendige Anpassungen an von außen gesetzte Rahmenbedingungen erscheinen. Dabei sollte nicht außer
Acht gelassen werden, dass damit implizit oder explizit immer auch
Fragen der Identität als Wohlfahrtsverband berührt werden und
organisatorische Umbauprozesse nicht getrennt von der Profilierung des Verbandes als Wohlfahrtsverband diskutiert und gehandhabt werden können.
Es ist also jeweils zu klären, welche Position warum gestärkt, welche ausgegliedert, welche geschwächt werden soll usw., und dies
gilt es mit Blick auf die Folgewirkungen abzuschätzen. Die bislang
– auch dieses Problem gilt mehr oder weniger für alle Wohlfahrtsverbände – festzustellende Diskrepanz zwischen Leitbild und Umsetzung des Leitbilds reflektiert den Tatbestand, dass der organisatorische Umbau auch als ein Prozess verstanden und gehandhabt
werden kann, in dem das Leitbild immer mehr zur formalen Klammer auseinandertretender Interessen degradiert wird und zur bloßen Legitimationsinstanz interessenpolitisch begründeter Veränderungen absinkt.
10.
Eine "halbierte Modernisierung"
Bilanzierend lässt sich vorläufig festhalten: Die Modernisierung der
freien Wohlfahrtspflege hat bisher zu einer einseitigen „Modernisierung“ der ökonomischen Funktionen der Träger und Einrichtungen geführt, während dagegen verbands- und trägerpolitisch
Beiträge aus der Forschung
23
weiterhin das Festhalten am traditionellen – korporatistisch geprägten – Sozialstaatsmodell überwiegt, d.h. Modernisierung im
Bereich der Freien Wohlfahrtspflege findet z. Z. hauptsächlich auf
der Mittelebene und weniger auf der Zweckebene statt. Die aktuell beobachtbare betriebswirtschaftliche Modernisierung (Mittelmodernisierung) darf jedoch kein Selbstzweck bleiben; die Ökonomisierung auf der Mittelebene eröffnet Chancen, denn neue Mittel können und müssen auch zu einer Zieldiskussion führen. Die
Diskussion von Ziel und Zweck der freien Wohlfahrtspflege in einem sich überall „modernisierenden“ Staat ist überfällig, will diese die Zieldiskussion nicht allein Staat und Verwaltung überlassen
und sich durch diese dann instrumentalisieren lassen oder zu einem Anhängsel ihrer eigenen Einrichtungen werden.
Gegenwärtig wird versucht, die Modernisierung der Betriebsmittel und Betriebsressourcen mit aller Macht voran zu treiben, aber
gleichzeitig wird der Versuch unternommen, am bisherigen Status des Systems der Freien Wohlfahrtspflege festzuhalten, ohne
jedoch die damit verbundenen Konsequenzen einer sozialpolitischen Entwertung der Verbände und ihrer neuen Funktionszuschreibung als instrumentelle Dienstleistungserbringer strategisch
zu bewerten. Insofern handelt es sich hier sozusagen um eine „halbierte Modernisierung“, bei der wesentliche Modernisierungsaspekte und Modernisierungsdimensionen außer Acht gelassen werden.
11.
Elemente eines neuen Regulierungsmodells
Für die zukünftige Entwicklung des sozialen Dienstleistungssektors und seiner spezifischen Organisation in der BRD ergeben sich
hieraus verschiedene Konsequenzen:
Das bisherige System staatlich privilegierter Spitzenverbände, die
in ihrer Multifunktionalität gefördert werden und als Partner des
Sozialstaats fungieren, scheint überholt. Ähnlich wie in anderen
europäischen Staaten wird dieses Modell schrittweise durch ein
neues Regulierungsmodell des sozialen Dienstleistungssektors
ergänzt, in dem der Staat und die Administration die soziale Dienstleistungserstellung unmittelbar regulieren und die Leistungserbringung steueren und kontrollieren. Die Leistungserbringer werden damit Auftragnehmer des Staates, die im Wettbewerb um Qualität und Kosten stehen. Damit wird sich auf Dauer auch eine Integration verschiedener Verbandsfunktionen nur auf Kosten der sozialpolitischen Interessenvertretung, der sozialanwaltschaftlichen
Parteilichkeit und der wertebezogenen Begründung sozialer Arbeit
aufrechterhalten lassen. Die sozialpolitischen Vorteile des bundesrepublikanischen Modells könnten sich auf diesem Weg schnell in
erhebliche Nachteile angesichts einer zunehmend residualen Sozialstaatspolitik verwandeln. Es steht zur Diskussion, inwiefern eine
Neuorganisation im Sinne einer stärkeren Differenzierung bzw.
Trennung der unterschiedlichen Verbandsfunktionen erforderlich
ist.
24
Beiträge aus der Forschung
Die personal- und tarifpolitischen Probleme, die sich aus dem Entstehen einer Sozialwirtschaft ergeben, scheinen im Rahmen der
vorhandenen Strukturen kaum lösbar. Erforderlich wären nicht nur
neue tarifvertragliche Vereinbarungen, in denen die bislang existierende Vielfalt und Unübersichtlichkeit tariflicher Strukturen
gemindert wird; es werden in diesem Zusammenhang auch die
überkommenen Verhandlungssysteme zu reformieren sein. Die von
manchen ausgesprochene Empfehlung, den „Dritten Weg“ tarifpolitisch zu verallgemeinern, würde angesichts der damit verbundenen Festschreibung des Streikverbots ein prinzipielles Ungleichgewicht von Arbeitgebern und Arbeitnehmern schaffen und die
Gefahr beinhalten, dass sich im Sozialsektor weitaus stärker als
bislang ein Niedriglohnsektor durchzusetzen beginnt. Dem einseitigen Gebrauch der Vorteile des Dritten Weges als Wettbewerbsinstrument zur Kostensenkung kirchlicher Dienste und Einrichtungen widerspricht im übrigen die von den Kirchen geforderte angemessene Bezahlung der im Sozialsektor Beschäftigten.
12.
Probleme der ehrenamtlichen Arbeit
Trotz der wichtigen und zentralen Rolle, die die Wohlfahrtsverbände bei der Aktivierung von Engagement einnehmen, ist ein unüberhörbar kritischer Ton in der wissenschaftlichen und öffentlichen
Diskussion um die Fähigkeit der Verbände, Engagement zu stärken
und zu integrieren, zu registrieren. So wird den Wohlfahrtsverbänden vorgehalten, durch eine Politik des Ausbaus staatlicher Leistungen dazu beigetragen zu haben, die „Fähigkeit, vor allem aber
auch die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, anderen auf
privater Ebene Hilfe zu leisten“, zu schwächen (so das Gutachten
von Ottnad, Wahl und Miegel, 2000, S. 82). An die Verbände wird
die Anfrage gerichtet, inwiefern sie als intermediäre Organisationen, die sich zwischen dem Sozialstaat auf der einen und der Lebenswelt der Bürger auf der anderen Seite befinden, noch in der
Lage sind, Gemeinsinn und soziale Anteilnahme zu wecken und freiwilliges Engagement anzuregen, zu organisieren und zu stabilisieren (vgl. Steinbecher 2000). Kritisch wird dabei darauf hingewiesen, dass die Einbeziehung der Wohlfahrtsverbände in den Sozialstaat inzwischen so weit fortgeschritten sei, dass es diesen immer
weniger gelingt, direkt freiwilliges Engagement und gesellschaftliche Solidarität in ihren Einrichtungen, Diensten und Vereinsgliederungen anzuregen. Auch wenn diese Kritik manchmal ohne Benennung der Ursachen geäußert wird und manchmal der Wunsch
nach einer Rückkehr zu vorprofessionellen Hilfeformen durchscheint, trifft sie doch einen Tatbestand, den auch die Wohlfahrtsverbände registrieren und im Kern als bestandsgefährdend empfinden (müssen):
Aus Sicht der Verbände hat der Zwang, sich auf die Refinanzierung
der Kosten zu konzentrieren, dazu geführt, dass Ehrenamtliche aus
dem Blick geraten sind. Wenn im Gegensatz zu früher Dienstleistungen Punkt für Punkt abgerechnet werden, bedeutet dies eine
Beiträge aus der Forschung
25
Abkehr von einer ganzheitlichen Betrachtung und führt zu einer
Verengung der Aufgabenwahrnehmung.
Viele Fachverbände klagen über fehlenden ehrenamtlichen Nachwuchs. Der Mangel an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht
dabei oftmals im Zusammenhang mit veränderten Notlagen, mit
denen die Gemeinden und Basisorganisationen konfrontiert sind,
wie Arbeitslosigkeit, Armut und die Folgen der Migration.
Probleme, die zur Beeinträchtigung von Engagement führen, existieren auf verschiedenen Ebenen: hierzu gehört das Übertragen
des diakonischen Auftrags der Gemeinde auf den Verband bei den
kirchlichen Verbänden ebenso wie die oftmals spannungsreiche
Kooperation von Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen (die Hauptberuflichen sind die „Profis“, die Ehrenamtlichen die „Helfer“). Ein
besonderes Konfliktfeld ist aus Sicht der Verbände die unentgeltliche und bezahlte Arbeit. Nicht selten kommt es vor, dass in bestimmten Arbeitsfeldern die gleichen Tätigkeiten von Ehrenamtlichen unentgeltlich und von anderen Mitarbeitern gegen Bezahlung geleistet werden.
Die Fähigkeit von verbandlichen Großorganisationen, das Potenzial ehrenamtlichen Engagements an sich zu binden und im Sinne
eigener Ziele zu organisieren, nimmt nach Einschätzung einiger
Verbände tendenziell zugunsten nichtorganisierter Träger und
selbstorganisierter Gruppen ab. Diese abnehmende Fähigkeit zur
Bindung von Ehrenamt wird dadurch begründet, dass ein punktuelles, kurzfristiges, lediglich projektbezogenes und befristetes Mitwirken kaum oder nur erschwert möglich ist. Dies wird auf die
überkommenen Mitglieder- und Organisationsstrukturen des Verbandes und die mangelnde Fähigkeit, gewandelte Motive und
Wertvorstellungen in die Organisationskultur zu übernehmen,
zurückgeführt.
Die Leitbilddiskussion in den Verbänden hat gezeigt, dass auch für
professionelle Dienstleistungen nur eine erfolgreiche Zukunft denkbar ist, wenn dem Verband eine Neubelebung und Aktivierung
ehrenamtlicher Arbeit gelingt. Die in den letzten Jahren immer
unübersehbarer gewordenen Spannungen zwischen Mitgliederorganisation und professionellen Diensten und Einrichtungen machen es für die Wohlfahrtsverbände zu einer Existenzfrage, inwieweit es ihnen gelingt, den unumkehrbaren Professionalisierungsprozess im Bereich der Leistungserstellung mit einer Reaktivierung
ihrer gemeinwesenbezogenen Orientierung und bürgerschaftlichen Verankerung zu verbinden. Es geht also im Kern um mehr als
die bloße Gewinnung Freiwilliger und ihre produktive Verwendung
in sozialen Diensten und Tätigkeitsfeldern. Erforderlich ist
demgegenüber die Blickverengung auf eine Form von Engagement
– die regelmäßige Mitarbeit – aufzugeben und der Vielfalt anderer Möglichkeiten mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Diese Feststellung klingt selbstverständlich, aber es muss berücksichtigt
werden, dass politisches Handeln zu Gunsten von Engagement
bisher dieser Tatsache nur sehr beschränkt Rechnung getragen hat.
Denn entsprechende Forderungen und ausgewiesene Initiativen
haben sich konzentriert auf Fragen der Förderung, Ermunterung
26
Beiträge aus der Forschung
und sozialen Unterstützung von engagementbereiten Bürgern (Fragen der Gewinnung und Vermittlung, der sozialen Absicherung,
Vergütung und Begleitung). Zu wenig bedacht worden ist oft, wie
Organisationen und Einrichtungen bei sich vorhandenes Engagement erneuern bzw. überhaupt erst einführen und zu einer den
Geist der Organisation prägenden Größe machen können.
13.
Kombinatorik unterschiedlicher
Modernisierungsmodelle
Die Ergebnisse unserer empirischen Erhebungen zeigen, dass die
Modernisierung der Freien Wohlfahrtspflege in der BRD pfadabhängig ist. Trotz der zahlreichen Veränderungen in den letzten Jahren,
die eine Verstärkung wettbewerblicher Elemente im Sozialsektor
zum Ziel hatten und haben, bilden die subsidiären und korporatistischen Strukturen des sozialen Dienstleistungssektors eine nachhaltige Rahmenbedingung des Modernisierungsprozesses. Insofern
befindet sich das System sozialer Dienstleistungen in der BRD gegenwärtig in einer „Mischstruktur“ zwischen Korporatismus und
Wettbewerb. Dies führt insbesondere auf kommunaler Ebene dazu,
dass unterschiedliche Modernisierungsmodelle beobachtet werden
können, in denen die partnerschaftliche Zusammenarbeit öffentlicher und freigemeinnütziger Träger mit Anbieterwettbewerb und
Kontraktmanagement kombiniert wird. Es stellt sich damit die Frage, welche „Kombinatorik“ unter den gegebenen Bedingungen als
best practice anzusehen ist und welche Folgewirkungen den jeweiligen Kombinationen zugerechnet werden kann. Diese Frage
steht im Mittelpunkt der weiteren empirischen Untersuchungen
– insbesondere mit Blick auf die Konsequenzen für das beschäftigte Personal.
Beiträge aus der Forschung
27
Dr. Gertrud Kühnlein, Landesinstitut Sozialforschungsstelle
Dortmund
Soziale Dienstleistungen zwischen Kostendruck,
neuen beschäftigungspolitischen
Rahmenbedingungen und tarifpolitischen
Herausforderungen
Jürgen Dahme hat in seinem Referat Daten zur Größe, zur Entwicklung des Wohlfahrtssektors und zu den Beschäftigtenzahlen sowie zur sozialwirtschaftlichen Bedeutung der Freien Wohlfahrtspflege vorgestellt. Ich knüpfe an diese Ausführungen an, wobei im
Vordergrund bei mir vor allem die Forschungsdefizite über Soziale
Arbeit resp. personenbezogene Dienstleistungen7 sowie erste Ergebnisse aus unserem Projekt stehen werden. Ich möchte im folgenden einen Einblick geben in die verschiedenen wissenschaftlichen und (bildungs-, tarif)politischen Diskurse, die zum Verständnis der Beschäftigungsbedingungen in diesem Sektor von zentraler Bedeutung sind.
Dass es so schwierig ist, aussagekräftiges statistisches Material zu
erhalten über die Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege und
für den gesamten Bereich sozialer Dienste, ist komplementär zu
der Tatsache zu sehen, dass die sozialen Dienstleistungen in den
öffentlichen Debatten um die Entwicklung der modernen Dienstleistungsgesellschaft eine bemerkenswert marginale Rolle spielen.
„Personenbezogene Dienstleistungen“ - so stellt Helga Krüger
(1999), fest - sind „ein expandierender Arbeitsmarkt mit sieben Siegeln“. Das bedeutet auf der einen Seite: Personenbezogene Dienstleistungen haben in den Arbeitsmarktanalysen und in relevanten
Reformdebatten und -projekten keinen definierten Platz.
Die Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen sind durch eine mangelnde Systemzuordnung - zum Regelsystem der beruflichen Bildung ebenso wie im Beschäftigungssystem - gekennzeichnet. So
wird das Berufsfeld „Sozial- und Erziehungsberufe“ z. B. in der Berufssystematik des IAB („Berufe im Spiegel der Statistik“) anders
eingegrenzt als in der Klassifizierung der Berufe durch das Statistische Bundesamt oder in anderen amtlichen Statistiken.
Personenbezogene Dienstleistungen weisen „als einzigen Bezugspunkt ihrer, auch statistischen, Erfassung die Heterogenität auf,
die entweder durch Aufzählungen von dazu gehörigen Tätigkeiten“ (Erziehen, Pflegen, Helfen, Betreuen, Versorgen ...) oder aber
„als metaphorische Einordnungen in eine ‚geräumige Schublade‘
beschrieben werden“ (Krüger 1999: 263).
7
28
Ich verwende im folgenden die Begriffe soziale, personenbezogene und personennahe Dienstleistungen synonym, wohl wissend, dass sie in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich konnotiert sind. Doch ist die begriffliche Unschärfe gerade für dieses Tätigkeitsspektrum kennzeichnend (vgl. Bauer 2001).
Beiträge aus der Forschung
Auf der anderen Seite gilt der Dienstleistungssektor in allen Expertisen, deutschland- und europaweit, als einer der wesentlichen
Motoren der Arbeitsmarktentwicklung der Zukunft.
Trotz oder gerade wegen dieser Unbestimmtheit des Sektors werden die personenbezogenen Dienste - und zwar ausdrücklich im
Unterschied zum industriellen Bereich - als der „Job-Motor für
Wachstum“ (Parmentier 2000: 10), als „Beschäftigungsmotor“
(Schulz 2000: 55) apostrophiert. Insbesondere werden entscheidende Wachstumsimpulse von den so genannten „einfachen
Dienstleistungstätigkeiten“ erwartet, die in öffentlichen und privaten sozialen Einrichtungen angesiedelt sind. Als unabdingbare
Voraussetzung dafür gilt jedoch in der Regel, dass diese Beschäftigung im „Niedriglohnbereich“ angesiedelt sein müsse.
Unterstellt ist hierbei ganz pauschal, dass es sich bei der Arbeit
mit Menschen im wesentlichen um „Jedermanns-Tätigkeiten“
handle oder – um hier auf den Punkt zu kommen – um „Jede-FrauTätigkeiten“. Gegen diese Zuschreibung – die „ärgerliche Verbindung zum sog. Niedriglohnsektor“ (Rawert und Zauner) - laufen
daher Arbeitsmarkt- und BerufsbildungsforscherInnen seit Jahren
Sturm: Gerade bei der sozialen Arbeit handle es sich ausdrücklich
um eine hochqualifizierte, professionelle, wenngleich oft unterschätzte Tätigkeit.
„Es sind ‚niedrigproduktive‘ Tätigkeiten, weil sie arbeitsintensiv sind,
aber in den meisten Fällen sind es nicht ‚niedrigqualifizierte‘ Tätigkeiten, sondern qualifizierte, die als solche aber oft unterbewertet
und unterbezahlt sind.“ (Nickel 2000, S. 253).
Ob die Beschäftigten im sozialen Bereich über- oder unterqualifiziert, über- oder unterbezahlt sind, wird – nicht nur zwischen den
Tarifpartnern, sondern auch in wissenschaftlichen Diskursen und
Gutachten – extrem unterschiedlich eingeschätzt. In keinem anderen Arbeitsmarkt- und Berufssegment, so meine Überzeugung,
gelten Tätigkeiten gleichen oder ähnlichen Zuschnitts als so unterschiedlich anspruchsvoll, schwanken die Einschätzungen so stark
zwischen professioneller, „hoch qualifizierter“ und „einfacher“
Anlerntätigkeit.
Dabei kann und soll hier selbstverständlich überhaupt nicht bestritten werden, dass es bei den sozialen, erzieherischen und pflegerischen Berufen unterschiedlich hoch qualifizierte und entsprechend unterschiedlich hoch dotierte Tätigkeiten gibt und weiterhin
– u. U. auch als Konsequenz der sich verändernden Anforderungen
– geben wird. Bezweifelt wird hier allerdings, dass Anforderungsprofile, Qualifikationen und Vergütung in einem überprüfbaren und
angemessenen Verhältnis zu einander stehen.
Soziale Dienstleistungen als typische Frauenberufe „Erwerbsberufe zweiter Klasse?“
Ungeachtet der fachlichen und sachlichen Spezifika dieses vielfältigen Tätigkeitsspektrums und trotz der gravierenden Veränderun-
Beiträge aus der Forschung
29
gen in den jeweiligen Anforderungsprofilen gelten die personenbezogenen, sozialen Dienstleistungen auch heute noch nicht bloß
als traditionelle „typische“ Frauenberufe, sondern als für Frauen
qua Geschlecht bzw. sozialisationsbedingt in besonderem Maße
geeignet (Stichwort: Mütterlichkeit als Beruf; Sachße 1986). Und
relativ ungebrochen gelten sie auch heute noch vielfach als Allerweltstätigkeiten, für deren Ausübung Formalqualifikationen nicht
unbedingt vonnöten seien, weil gleichwertig ersetzbar durch
einschlägige Erfahrungen von Frauen in der „Familienarbeit“.
Je nach konjunktureller Lage bewegt sich vor diesem Hintergrund
die Rekrutierungspraxis für die gleiche Arbeit zwischen den Polen
„qualifizierte Arbeit in geregelten Arbeitsverhältnissen“ und „familialer oder nachbarschaftlicher unentgoltener Dienstleistung“.
„Erkennbar ist dies an der Rekrutierungspolitik für die gleiche Tätigkeit. In aktuellen Zeitungsannoncen, vor allem in Verbindung
mit Mehrbedarf an qualifizierter Arbeit im personenbezogenen
Dienstleistungsbereich, lesen wir (Weser-Kurier vom 13.05.2000),
dass der Bremer Senat (Staat) sucht: ‚Qualifizierte Betreuungskräfte‘. Bewerben können sich: ‚Erzieher/Erzieherin oder Personen mit
anderer pädagogischer Ausbildung oder umfänglichen Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern (Eltern, Student/innen usw.)‘ Alle drei
Gruppen sind für die gleiche Tätigkeit vorgesehen, der sozialen
Arbeit und Förderung von Kindern – in einer Gruppengröße von
bis zu 25 Kindern.“ (Krüger 2001, S. 14)
Zur Erklärung dieses Phänomens machen viele WissenschaftlerInnen darauf aufmerksam, dass die herabsetzenden Zuschreibungen
typischer „Frauenberufe“ bereits eine sehr lange Tradition haben:
Sie haben ihre Wurzeln in den überkommenen und noch immer
vorherrschenden Geschlechtsrollenstereotypen: FamilienernährerLohnpolitik für Männer, unbezahlte Zuständigkeiten der Frauen für
Familien- und Nachbarschaftsarbeit.
Die Debatten um die diskriminierenden Effekte, die sich aus den
Besonderheiten dieses Arbeitsmarktsegments ergeben, sind also
keineswegs brandneu, sie erhalten aber vor dem Hintergrund der
sich verändernden gesellschafts- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen eine besondere Aktualität. Denn die gesellschaftliche Wertschätzung der Sozialen Dienste und die Bewertung der
sozialen Dienstleistungen gehen Hand in Hand. In der Einschätzung des sozialen Bereichs als einem Niedriglohnsektor spiegelt
sich m.a.W. auch ein Urteil über dessen Stellenwert, also eine Geringschätzung der Arbeit für und mit hilfebedürftigen Menschen
wider.
Um sich wirkungsvoll gegen die „Satt-Sauber-Trocken“-Qualität
eines Niedriglohnsektors abgrenzen zu können, muss daher versucht werden, den Zusammenhang zwischen der Qualität sozialer
Dienstleistungen und entsprechenden Qualifikationen oder Kompetenzen argumentativ zu belegen. Denn angesichts veränderter
Zuwendungsbedingungen - und damit Finanzierungsmodalitäten
- genüge es heute, so ein Gesprächspartner, nicht mehr, etwa für
Kindergärten oder Altenpflegeeinrichtungen nach einem bestimmten Schlüssel (etwa 50:50) „qualifiziertes Personal“ zu beantragen,
30
Beiträge aus der Forschung
sondern es müsse für den Kontraktpartner künftig genau dargelegt werden, für welche Anforderungsprofile welche Kompetenzprofile erforderlich sind. Es müsste also belegt werden, dass und
inwiefern die überkommenen Zuschreibungen der sozialen Tätigkeiten als speziell „weiblichen“ Kompetenzen - die als Gratisleistungen abgerufen werden - heute, angesichts veränderter Tätigkeitsprofile, weniger wirklichkeitsgerecht sind als je zuvor.
Ein solcher Nachweis aber bewegt sich im Moment in mehrfacher
Hinsicht auf unsicherem Boden, weil man es mit zu vielen unbekannten Faktoren zu tun hat. Dies betrifft die vorhandenen Qualifikationsprofile ebenso wie die sich verändernden Anforderungsprofile, dies betrifft aber auch Fragen der tarifpolitischen Bewertung, insbesondere bei der Suche nach neuen Entgeltsystemen.
Veränderte Anforderungsprofile als Folge der
Vermarktlichung der sozialen Dienste
Die von Norbert Wohlfahrt skizzierten Trends zur Modernisierung
und Ökonomisierung sozialer Dienste haben gravierende Auswirkungen auf den Kern der sozialen Dienstleistungen, den Umgang
mit Menschen resp. „Kunden“. Mit der organisatorischen Umstrukturierung der Freien Wohlfahrtspflege deutet sich ein Paradigmenwechsel an, der auch zu einem Neuzuschnitt der Arbeitsaufgaben
und der Arbeitsteilung in den Einrichtungen führt.
Mit der Vermarktlichung sozialer Dienste nimmt insbesondere die
Bedeutung von administrativen bzw. betriebswirtschaftlichen Arbeiten erheblich zu. Dazu zählen Verhandlungen mit den Kontraktpartnern, neue Verfahren der Antragstellung, Kostenaufstellung,
Abrechnung, aufwändigere Falldokumentationen, die Einführung
und Pflege von Qualitätssicherungssystemen, aber auch Strategien zur Kundenwerbung, Marktbeobachtung etc.. In diesem Zusammenhang verändern und erweitern sich auch die Geschäftsführungs- und Managementfunktionen. Inwiefern diese zusätzlich zu
erbringenden Leistungen tatsächlich die originären Tätigkeitsfelder, z.B. der SozialarbeiterInnen, überlagern, können wir im Moment noch nicht ausreichend belegen. Zu vermuten ist allerdings,
dass es sich hier um Veränderungen handelt, die nicht nur additiv
zur bisherigen Sozialen Arbeit hinzutreten, sondern - insbesondere
vor dem Hintergrund des allgemeinen Kostendrucks - zu einer
Neudefinition des Berufsbildes Sozialer Arbeit führen.
Ersten Schilderungen von MitarbeitervertreterInnen, Betriebsräten und Beschäftigten können wir entnehmen, dass die für soziale
Tätigkeiten charakteristische „Beziehungsarbeit“, die Arbeit am und
mit Menschen, zunehmend droht, an den Rand gedrängt zu werden. Damit kann gemeint sein, dass reine Verwaltungsaufgaben
stärker als früher den Arbeitsalltag bestimmen, es kann bedeuten,
dass wegen der allgemein vorherrschenden Personalknappheit
zunehmend „berufsfremde“ Aufgaben mit übernommen werden
müssen, was - im Falle einer Übernahme niedriger bewerteter Tätigkeiten - auch zu Herabstufungen führen kann. Die Gruppe der
Beiträge aus der Forschung
31
SozialarbeiterInnen/SozialpädagogInnen, so ist den bisher vorliegenden Erfahrungsberichten zu entnehmen, gilt offenbar als
besonders flexibel einsetzbar. So fungieren sie in Qualifizierungseinrichtungen, bei denen die sozialpädagogische Begleitung und
Betreuung vielfach ersatzlos gestrichen worden sind, als eine Art
„Vermittlungscoach“, deren Aufgabe vor allem in der Kontaktpflege zu Betrieben als potentiellen Arbeitgebern besteht; in Altenpflegeheimen, in denen durch die gedeckelten Pflegesätze Personalkosten einzusparen sind, übernehmen sie vorwiegend Verwaltungsaufgaben usw. usf. Es zeichnet sich ab, dass sich für Sozialpädagogen, Sozialarbeiter die Tätigkeitsfelder und Anforderungen je
nach Einrichtung resp. Trägertyp sehr stark auseinander entwickeln;
sie werden zur „Allround-Fachkraft“. Damit präsentiert sich das
Berufsbild als diffuser denn je.
Zu beobachten ist, dass in allen Wohlfahrtsverbänden generell
darüber nachgedacht wird, die Tätigkeiten mehr zu zergliedern und
- damit zusammenhängend - eine stärkere Spreizung der Lohn- und
Gehaltsgruppen (Anlern- und Hilfsberufe mit eigenen Vergütungssystemen) einzuführen. Von vielen Experten wird daher eine zunehmende Polarisierung von Funktionen (ausführende Sozialarbeit
oder „bloße“ Pflege-, Erziehungstätigkeiten versus Managementfunktionen) erwartet. Damit - so steht zu vermuten - wäre eine
„weitere Verstärkung der Geschlechterdifferenzierung und des
Geschlechtergefälles“ verbunden (Brückner 2000), also eine noch
stärkere Zuschreibung von weiblich dominierten, geringer qualifizierten Tätigkeiten und männlich dominierten Führungskräfteaufgaben.
Disparate Ausbildungsgänge und das Fehlen von
einheitlichen Berufsbildern kennzeichnen den sozialen
Sektor
Schon seit vielen Jahren wird von ExpertInnen (Meifort 1999, Krüger 1999) kritisiert, dass es kein in sich geschlossenes System beruflicher Aus- und Weiterbildung der sozialen Berufe gibt. Schon
der Versuch, einen Überblick über alle beruflichen Bildungsgänge
zu erhalten, erweist sich angesichts der Besonderheiten der Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitsberufe daher als eine Sisyphusaufgabe. „Nach vorläufigen Schätzungen (so bilanziert die GEW,
Diskussionspapier, 2000) dürfte die Zahl der ‚berufsähnlichen Qualifikationsabschlüsse‘ allein im Gesundheits- und Sozialwesen deutlich über 1000 liegen.“
Kennzeichnend sind hier also die Heterogenität von Berufsbildern
und Berufsabschlüssen incl. Berufsbezeichnungen für gleiche oder
ähnliche Tätigkeiten (keine eindeutigen Berufsprofile, unklare Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Berufen) sowie die Vielfalt der Ausbildungsgänge. Diese unterscheiden sich hinsichtlich
ihrer Zugangsbedingungen (wie Alter oder Eingangsqualifikationen), Durchführungsregelungen und -qualität sowie ihrer Bildungsabschlüsse erheblich - nicht nur von Bundesland zu Bundesland,
32
Beiträge aus der Forschung
sondern auch von einem Bildungsträger zum nächsten. Nur einige
wenige Berufsausbildungen - seit 1. August 2003 neuerdings auch
in der Altenpflege - finden im Bereich des Berufsbildungsgesetzes
statt, d.h. nach einheitlichen staatlichen Regelungen, die eine bundesweit gültige Entsprechung von Qualifikationsprofilen und Berufsbezeichnung implizieren. Der weit überwiegende Teil der beruflichen Erstausbildung findet jedoch als „Schulausbildung“ statt,
d.h. Fachkräfte-Ausbildung in vollzeitschulischen zwei-jährigen
Ausbildungsgängen an sozialpflegerischen Berufsfachschulen (verschiedene Assistenz-, Helfer- und Pflegeberufe). Die Krankenpflege-Ausbildung wird an Schulen des Gesundheitswesens in privater, öffentlicher und freigemeinnütziger Trägerschaft angeboten
(in der Regel fällt dafür Schulgeld an).
Erziehungs- und Heilerziehungsberufe werden an Fachschulen oder
Fachakademien ausgebildet (d. h. nicht als berufliche Erstausbildung, sondern als Fortbildung, die „grundsätzlich den Abschluss
einer einschlägigen Berufsausbildung oder eine entsprechende
praktische Berufstätigkeit“ voraussetzt). Die Ausbildung von SozialarbeiterInnen und -pädagogen findet seit den 70er Jahren an
Fachhochschulen bzw. an Universitäten sowie an Berufsakademien statt.
Nicht einmal in kleineren Einheiten (z. B. in Bezug auf die speziellen kirchlichen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen: Diakonie
und Caritas verfügen zusammen über mehr als 1000 Ausbildungsstätten für soziale Berufe im weitesten Sinne, also gesundheitspflegerische, pädagogische und hauswirtschaftliche Berufe) können nach Angaben der von uns befragten Experten empirisch abgesicherte Antworten auf bildungs- und arbeitsmarktpolitisch relevante Fragen über Qualität und Verwertbarkeit der dort erworbenen Qualifikationen zu geben. Auch die zentrale Frage, wie in
den einzelnen Berufsbildern die Qualifikations- entsprechend den
veränderten Anforderungsprofile wird in diesem Bildungsbereich
nirgendwo systematisch überprüft (vgl. in diesem Sinne auch die
Ergebnisse der Fachtagung „Die Zukunft der sozialen Berufe“ vom
Okt. 2002).
Als „bildungspolitischer Sonderweg“ stehen diese Berufsausbildungsgänge daher seit vielen Jahren in der bildungspolitischen
Kritik (vgl. Kühnlein 1997), weil sie gegenüber den männlich und
technisch dominierten Facharbeiter- resp. Ingenieursberufen in
vielerlei Hinsicht im Nachteil sind. Dazu gehören die geschilderte
Disparität der Bildungsgänge und der Abschlüsse, die mangelnde
Anschlussfähigkeit zu anderen, ähnlichen Berufen oder Berufsfeldern („Nischenqualifikationen“) ebenso wie die geringe Durchlässigkeit von Bildungsgängen - horizontal, zwischen benachbarten
Berufen, wie vertikal, also aufstiegsbezogen („Sackgassenberufe“).
Vollends verwirrend ist die zur Zeit zu beobachtende Tendenz unter Verweis auf die gestiegenen Qualitätsansprüche und komplexeren Anforderungen an das Pflege- und Erziehungspersonal -,
eine Akademisierung der Pflege- und Erziehungsberufe zu voranzutreiben, während auf der anderen Seite - unter Verweis auf die
notorisch „knappen“ Finanzmittel - in diesen Bereichen vermehrt
Beiträge aus der Forschung
33
nur noch Hilfs- und Anlernkräfte, auch Ehrenamtliche eingestellt
werden. Und dies wohlgemerkt ohne eine entsprechende Differenzierung der jeweiligen Aufgaben- und Einsatzgebiete.
Es fehlt hier zur Zeit jeglicher Überblick, zudem mangelt es an wechselseitig abgestimmten Verfahren und Strategien. Bezweifelt werden darf vor diesem Hintergrund, dass die angestrebten Ziele mehr Professionalität, höhere Attraktivität der Berufe, Europatauglichkeit der Abschlüsse - erreicht werden. Und dies erst recht, wenn
man bedenkt, dass im Bereich der Erzieherinnen bereits laut
darüber nachgedacht wird, die avisierte Höherqualifizierung von
einer entsprechenden tariflichen Eingruppierung abzukoppeln.
Bewertung und Vergütung sozialer Dienstleistungen
Mit dem Systemwechsel bei der Refinanzierung der sozialen Dienstleistungen (Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip und vom Selbstkostendeckungsprinzip) stehen die bisherigen Finanzierungs- und Vergütungsmodelle zur Disposition.
Im gesamten Bereich der Freien Wohlfahrtspflege ist der BundesAngestelltentarifvertrag, BAT, deutlich in Bewegung geraten, seine normierende Kraft wird immer stärker in Zweifel gezogen: So
gibt es Tendenzen, z. B. eigene Tarifverträge abzuschließen, die sich
nur noch lose am Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes orientieren (der aktuelle AWO-Tarifvertrag), es lassen sich zunehmend
Strategien der Tarifflucht feststellen (Outsourcing einzelner Arbeitsfelder, insbesondere betrifft dies Reinigungsdienste, Kantinen
etc.), besonders gravierend in den östlichen Bundesländern. Es
werden verstärkt Sonderregelungen für einzelne Einrichtungen
(Öffnungsklauseln), abhängig von deren finanzieller Situation, vereinbart. Neuerdings zeichnet sich zudem ein deutlicher Trend zur
Trennung von Formalqualifikation und Eingruppierung nach BAT
ab (vgl. Berger 2002).
Auch die Kirchen - Diakonie und Caritas - denken über eine Neugestaltung ihrer Gehaltsstrukturen nach, die bisher als „BAT-KF“
(kirchliche Fassung des Bundesangestelltentarifs) eng an den BAT
angelehnt waren. Hier stehen erhebliche Veränderungen ins Haus,
deren Resultate bisher noch nicht abzusehen sind. Die zu erwartenden Konsequenzen reichen von einer verstärkten Abkoppelung
der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen vom BAT über die Ausgliederung bestimmter Teilbereiche - theoretisch bis zu einer völligen
Abkehr vom „Dritten Weg“. Evangelische Kirche und Diakonie betätigen sich zur Zeit als Vorreiter bei der Einführung neuer Lohnund Gehaltssysteme, die in Rheinland-Westfalen-Lippe ausgerechnet für die niedrigsten Vergütungsgruppen bereits eingeführt
worden sind8 und für diese Beschäftigten zu erheblichen Einkom8
34
„Vergütungsregelungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in besonderen
Arbeitsbereichen (BA-Gruppen) ab 1.1.2002“. Diese beinhalten eine Abschaffung der Lebensaltersstufenregelung und die Einführung von Leistungsentgelten „bei erheblich überdurchschnittlichen Leistungen“; diese werden nicht
weiter spezifiziert
Beiträge aus der Forschung
mensreduzierungen führen; davon seien – so die Kritik des Frauenreferats, Feldhoff 2002 – überwiegend weibliche Beschäftigte
in Küchen- und Reinigungsdiensten betroffen.
Aber nicht nur von den Randbereichen her wird der BAT in Frage
gestellt. Eine grundlegende Reform des Tarifsystems BAT wird von
allen Tarifpartnern, auf Arbeitgeberseite ebenso wie auf Gewerkschaftsseite, als überfällig erachtet und praktisch auch betrieben.
Soziale Dienste als Seismographen gesellschaftlicher
Umbruchprozesse?
Unter dem derzeitigen Druck der „knappen Kassen“ (Budgetierung
der Ausgaben), hat die Vermarktlichung des sozialen Sektors bisher
überall vor allem dazu geführt, an der Stellschraube „Personal“ zu
drehen, um Kosten einzusparen. Vor diesem Hintergrund steht die
Diskussion darum, wie soziale Dienstleistungen angemessen zu
bewerten sind - die Frage nach qualifikations- und anforderungsgerechten sowie diskriminierungsfreieren Entgeltstrukturen derzeit sicherlich unter sehr schwierigen Vorzeichen.
Dabei stellt insbesondere die Tatsache, dass die Bezahlung des Personals nach dem „Beamtentarif“ BAT durch die gängige Deckelung
der Personalkosten und Absenkung der Fallpauschalen zunehmend
in Frage gestellt wird, einen gravierenden Faktor dar. Damit aber
schließt sich der Kreis: Einer systematischen „Aufwertung von Frauentätigkeiten“ – von der Gewerkschaft OTV/ver.di seit Jahren gefordert – steht die politisch inszenierte und gewollte Weichenstellung einer generellen Abwertung der „Humandienstleistungen“
eindeutig entgegen. Diese grundsätzliche Problematik bestimmt
nicht nur die Debatten zur „Modernisierung des BAT“ oder - weitergehend - zur Frage „Was kommt nach dem BAT?“, sondern zeitigt bereits jetzt gravierende Folgen für die Beschäftigten.
So bezieht sich bspw. die EKD-Studie „Soziale Dienste als Chance“
ausdrücklich auf das Problem, dass die – angestrebte und teilweise
bereits umgesetzte – Absenkung der Tariflöhne und -gehälter für
„einfache“ Tätigkeiten dazu führen wird, dass viele der (überwiegend weiblichen) Beschäftigten dann „kein existenzsicherndes Erwerbseinkommen“ mehr erhalten würden (s.o.). Hier sei dann, so
die EKD-Studie weiter, „die Gesellschaft“ gefordert, weil für diese
Beschäftigten ein Lebensunterhalt unterhalb der Armutsgrenze
ohne staatliche Zuschüsse dann nicht mehr gewährleistet sei (S.
27). Damit aber wäre die Frage einer leistungs- und anforderungsgerechten Vergütung von den Tarifpartnern weg und in die Verantwortung von Gesellschaft und Staat verlagert. Praktisch käme
dies einem politischen Verschiebebahnhof gleich.
Beiträge aus der Forschung
35
Literatur
Bauer, Rudolph, 2001: Personenbezogene soziale Dienstleistungen. Begriff,
Qualität und Zukunft. Westdeutscher Verlag. Wiesbaden
Berger, Rainer, 2002: Neuere Entwicklungen in den Studiengängen des
Sozialwesens. In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit. Nr. 5/2002. S.
377-384.
Brückner, Margrit, 2000: Sozialarbeit – ein Frauenberuf? In: neue praxis.
Heft 6/2000, S. 539-543.
Deutscher Caritas-Verband e.V., Diakonisches Werk (Hrsg.), 2003: Dokumentation: Fachtagung „Die Zukunft sozialer Berufe“ Fulda, 10.10.2002.
Freiburg.
Feldhoff, Kerstin, 2002: Gerechtigkeit für Frauen in der kirchlich-diakonischen Arbeitswelt!? In: Lila Blätter Nr. 25. Mai 2002, S. 58-60.
GEW-Diskussionspapier, 2000: Eckpunkte zur Aus- und Weiterbildung für
personenbezogene Dienstleistungsberufe. März 2000. Frankfurt/Main.
Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hrsg., 2002:
Soziale Dienste als Chance. Eine Studie der Kammer der Evangelischen
Kirche in Deutschland für soziale Ordnung . Hannover (zitiert als: EKDStudie).
Krüger, Helga, 1999: Personenbezogene Dienstleistungen. Schlüsselqualifikationen eines Niedriglohnsektors? In: Senatsverwaltung für berufliche Arbeit, Bildung und Frauen. Berlin. Kompetenz, Dienstleistung,
Personalentwicklung. Welche Qualifikationen fordert die Arbeitsgesellschaft der Zukunft (2. erweiterte und überarbeitete Ausgabe). Berlin. S. 261-280
Kühnlein, Gertrud, 1997: Qualität und Quantität der Berufsausbildung.
Brennpunkte der aktuellen Auseinandersetzung. Graue Reihe - Neue
Folge Bd. 127 (Hrsg: HBS). Düsseldorf.
Meifort, Barbara, 1999: Berufsbildung außerhalb des dualen Systems vollzeitschulische Berufsbildung im Strukturwandel. In: Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen (Hg.): Expertisen für
ein Berliner Memorandum zur Modernisierung der Beruflichen Bildung. Berlin. S. 141-166.
Naschold, Frieder, 1995: Ergebnissteuerung. Wettbewerb. Qualitätspolitik. Entwicklungspfade des öffentlichen Sektors in Europa. Berlin
Nickel, Hildegard Maria, 2000: Ist Zukunft feministisch gestaltbar?
Geschlechterdifferenz(en) in der Transformation und der geschlechtsblinde Diskurs um Arbeit. In: Lenz, Ilse; Nickel, Hildegard Maria; Riegraf,
Birgit (Hrsg.): Geschlecht-Arbeit-Zukunft. Münster. S. 243-268.
Ottnad, Adrian, Wahl, Stefanie, Miegel, Meinhard, 2000: Zwischen Markt
und Mildtätigkeit. München.
Parmentier, Klaus, 2000: Erwerbsarbeit im Spiegel der BIBB/IAB-Erhebungen 1999/1992. In: Dostal, Werner, Jansen, Rolf, Parmentier, Klaus:
Wandel der Erwerbsarbeit: Arbeitssituation, Informatisierung, berufliche Mobilität und Weiterbildung. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung BeitrAB 231. S. 9-38.
Rabe-Kleberg, Ulla, 1993: Verantwortlichkeit und Macht. Ein Beitrag zum
Verhältnis von Geschlecht und Beruf angesichts der Krise traditioneller Frauenberufe. Bielefeld.
36
Beiträge aus der Forschung
Rauschenbach, Thomas, 1999: Soziale Berufe – Motor oder Sand im Getriebe des Arbeitsmarktes? Sozial-, Erziehung- und Gesundheitsberufe auf dem empirischen Prüfstand. In: In: Senatsverwaltung für berufliche Arbeit, Bildung und Frauen. Berlin. Kompetenz, Dienstleistung,
Personalentwicklung. Welche Qualifikationen fordert die Arbeitsgesellschaft der Zukunft (2. erweiterte und überarbeitete Ausgabe). Berlin. S. 107-126.
Rawert, Mechthild; Zauner, Margit, 2000: Personenbezogene Dienstleistungsberufe. Ein konkretes Handlungsfeld von Frauenpolitik und gender-Mainstreaming. spw – Zeitschrift für Sozialistische Politik und
Wirtschaft. Bd. 114/2000. Zit. nach www.globalcare.de - Dokumentation
Sachße, Christoph, 1996: Mütterlichkeit als Beruf. Sozialarbeit, Sozialreform und Frauenbewegung 1971-1929. Frankfurt/Main.
Schulz, Andreas, 2000: Beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitische Potenziale deutscher Wohlfahrtsverbände zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit. Arbeit und Sozialpolitik: Heft 7-8/2000. S. 54-61.
Spiegelhalter, F., 1999: Die sozialwirtschaftliche Bilanz der Freien Wohlfahrtspflege. Hrsg.: Bank für Sozialwirtschaft. Köln.
Beiträge aus der Forschung
37
Uwe Schwarzer, Diakonisches Werk der EKD
Strategisches Management als Antwort auf die
organisations- und qualitätspolitischen
Herausforderungen für die Verbände der Freien
Wohlfahrtspflege
Einleitung
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke herzlich für die Einladung zu diesem Workshop und für
die Beteiligung am gesamten Projekt „Vom Wohlfahrtssektor zur
Sozialwirtschaft“. Ich muss diesen Dank nicht gesondert begründen, geht es doch auch bei jedem Wohlfahrtsverband wie auch bei
jedem Wirtschaftsunternehmen darum, sich immer wieder neu
über gesellschaftliche Entwicklungen zu verständigen und daraus
notwendige Konsequenzen für die Bereitstellung neuer Produkte,
im Falle der Wohlfahrtsverbände sozialer Dienstleistungen zu ziehen.
Alle Wohlfahrtsverbände haben – auch im Dialog mit Verbändeforschern – diesen Prozess in den letzten Jahren viel aktiver als
früher gestaltet. Das haben sie auch sehr prägnant in ihrem gemeinsamen Buch „Die Freie Wohlfahrtspflege – Profil und Leistungen“ formuliert. Dort heißt es auf dem Klappentext der Rückseite:
„Die aktuelle Situation ist aber auch ein Ausgangspunkt für selbstkritische Reflexion und Weiterentwicklung: Soziale, ökonomische
und ökologische Prozesse – zumal nicht mehr nur bei nationalen,
sondern europäischen und auch weltweiten Entwicklungen –
müssen immer wieder einer Gesamtschau standhalten. Diese ist
unersetzlich, wenn es darum geht, auf der Mikroebene neue Hilfekonzepte und Dienstleistungen zu entwickeln sowie auf der Markoebene die soziale Dimension des zusammenwachsenden Europas mit Ideen und Leben zu füllen.“
Dabei kann sich die Bilanz der Dienstleistungserbringung der Verbändearbeit durch Wohlfahrtsverbände sehen lassen: Die PrognosAG hatte in ihrem Gutachten 2000 die Zukunft der Verbände anders
beschrieben: Im nationalen wie auch im internationalen Zusammenhang, also dem Wettbewerb sozialer Dienstleistungsanbieter
in Europa, wurden den deutschen Wohlfahrtsverbänden geringe
Chancen der Wettbewerbsfähigkeit eingeräumt. Bisher ebenfalls
nicht eingetreten ist die im Gutachten 1991 (Freie Wohlfahrtspflege im zukünftigen Europa) angedeutete Vision, dass zukünftig Träger von Einrichtungen und selbständige Anbieter von sozialen
Dienstleistungen aus dem Ausland nach Deutschland kommen und
dass dabei vor allem auch in Deutschland die stärksten Auswirkungen des Binnenmarktes auf das Sozialsystem sichtbar werden.
Daraus leitete Prognos auch die These ab, dass die Freie Wohlfahrtspflege in Deutschland weder national noch europäisch diesem
38
Beiträge aus der Forschung
Wettbewerbsdruck standhalten kann, weil sie „nur unzureichend
gerüstet ist.“ (a.a.O., Seite 31) Prognos empfahl damals den Verbänden sowohl national als auch europäisch eine strategische Planung. (a.a.O., Seite 40) Dieser Hinweis war richtig: In meinem Beitrag möchte ich darstellen, wie dieser Prozess in der Diakonie abgelaufen ist.
Ich bin dankbar, dass nun auch die im Projekt der Hans-BöcklerStiftung skizzierten Thesen zur Modernisierung der Freien Wohlfahrtspflege erneut einen Anlass bieten, um über die derzeitige
Situation und die Perspektiven sozialer Arbeit in Deutschland nachzudenken. Gestatten Sie mir hier aber schon einen ersten kritischen
Hinweis. Auch wenn die Tendenz zu einer Sozialwirtschaft in
Deutschland durchaus vorhanden ist, so scheint mir doch erwähnenswert, dass die Situation sehr viel differenzierter und z. T. auch
widersprüchlicher ist, weil wir natürlich auch Trends und Gegentrends in der politischen Diskussion über die Entwicklung sozialer
Dienste nachweisen können. Wir haben dies in unserer EKD-Schrift
„Soziale Dienste als Chance“ ein Stück weit beschreiben:
„Insgesamt ist die Lage widersprüchlich. Es gibt Trends und Gegentrends zu gleicher Zeit. Begrüßenswerte und problematische
Entwicklungen liegen eng beieinander und sind oft miteinander
verbunden. Zum einen setzen die gestaltenden Kräfte in Gesellschaft und Staat auf einen Weg zu mehr Markt und Wettbewerb,
zum anderen kommt es zu einer wachsenden Bürokratisierung mit
vermehrten Vorgaben und stärkeren Kontrollen. Zum einen wird
auf mehr Verantwortung und Eigenentscheidung vor Ort, z. B. in
den Kommunen, gesetzt, zum anderen werden auch die finanziellen Lasten nach unten weitergegeben. Zum einen vollzieht sich ein
Trend zu qualitativ hochwertigen Angeboten, vor allem im medizinischen Bereich und in der Altenhilfe, zum anderen führt der Wettbewerb zu einem Druck auf die Standards und zu Billigangeboten,
vor allem in den ambulanten Diensten. Zum einen nehmen die
Bedarfe zu, zum anderen stagniert die Bereitschaft, entsprechend
öffentliche Mittel bereit zu stellen. Mehraufwendungen konzentrieren sich überwiegend auf den privaten Bereich.“
1.
Strategisches Management braucht eine
Zielformulierung
Das Diakonische Werk der EKD wie auch alle anderen Wohlfahrtsverbände haben sich in ihrem strategischen Management auf die
Visionen und Prognosen von Verbändeforschern seit den 80er Jahren eingelassen. Dabei haben z. T. auch sehr enge Kooperationen
stattgefunden. Grundvoraussetzung für ein strategisches Management war das Setzen von Zielen.
So hat das Diakonische Werk der EKD in einem kontinuierlichen
Prozess des strategischen Managements die Zieldiskussion sowie
auch die Ableitung entsprechender Handlungsoptionen über viele Jahre hinweg geführt.
Beiträge aus der Forschung
39
1.1
Strategische Ziele
So wurden im Jahr 2001 folgende Ziele ermittelt:
– Profilierung der Diakonie als evangelischer Wohlfahrtsverband
– Anwaltschaftlichkeit für die Menschen und Interessenvertretung der Einrichtungen unter Wahrung der Partizipation
– Die Stärkung der nationalen und internationalen Zusammenarbeit nicht staatlicher Organisationen
– Diakonie als Motor einer Gestaltung des Sozialen im nationalen und globalen Maßstab
– Gemeinwohlorientierung als Charakteristikum diakonischer
Dienstleistungen
– Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit diakonischer Einrichtungen
Dieses Ziel (wie auch alle anderen Ziele) haben wir natürlich differenzierter beschrieben. Ich will mich hier allerdings auf die Beschreibung der Wettbewerbsfähigkeit beschränken:
„Diakonie befindet sich im Wettbewerb mit privatgewerblichen
Anbietern sozialer Dienstleistungen und mit anderen gemeinwohlorientiert Handelnden sowohl in Deutschland als auch zunehmend
in Europa. Der Wettbewerb umfasst vorwiegend das Angebot der
Einrichtungen und Dienste aber auch Spenden und Projekte. Die
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit dient der Zukunftssicherung
der Diakonie. Es ist Aufgabe des Bundesverbandes, dafür Sorge zu
tragen, die Rahmenbedingungen für diakonisches Handeln in Einrichtungen, Diensten und Verbänden möglichst günstig zu gestalten und die Position der Diakonie im Wettbewerb durch ergänzende Strategien zu stärken. Dazu gehört zum einen, kritische Auswirkungen von Markt und Wettbewerb für Betroffene bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen zusammen mit den anderen
Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege zu thematisieren.
Zum anderen hat ein institutionelles Empowerment von Initiativen, Diensten und Einrichtungen zu erfolgen. Diesbezüglich ist auch
eine möglichst wirtschaftliche Erstellung der Leistungen von großer Bedeutung.“
Mit den strategischen Zielen wird versucht, der Erkenntnis Rechnung zu tragen, dass zum Bestehen eines Wettbewerbs bei zunehmender Marktorientierung es nicht mehr allein ausreicht, wenn
z. B. Führungskräfte Effektivität und Effizienz ihre Einrichtungen
erfolgreich sichern. So weisen auch Menninger und Wanke in ihrem Beitrag in der „Sozialwirtschaft aktuell“ (Januar 2003, Seite 2)
darauf hin, dass die neuen Herausforderungen eine Integration von
traditioneller Sozialwohl- und Wettbewerbsstrategie verlangen.
40
Beiträge aus der Forschung
1.2
Strategische Aufgaben der Führung
Dementsprechend sind auch die Aufgaben der Führung einer modernen Dienstleistungsorganisation beschreibbar: So gibt es bei
den Wohlfahrtsverbänden einen deutlichen Konsens, dass zu den
Aufgaben eines strategischen Managements
– die strategische Analyse
– Strategieentwicklung
– Vermittlung der Strategien in der Organisation
– Strategierealisierung und
– Strategiesicherung
gehören. (Sozialwirtschaft aktuell, a.a.O., Seite 2)
2.
Handlungsoptionen
Zu allen genannten strategischen Zielen ergeben sich zahlreiche
Handlungsoptionen hinsichtlich der Erreichung der Ziele. Handlungsoptionen können dabei auf unterschiedlichen Ebenen formuliert werden. Sie können verschiedene Dimensionen haben. Ich will
dies stellvertretend für eine Vielzahl an Optionen an der Qualitätsoffensive der Diakonie verdeutlichen.
2.1
Qualitätsoffensive/höhere Dienstleistungsqualität
als Wettbewerbselement
Eine höhere Wettbewerbsfähigkeit sozialer Dienste und Einrichtungen kann auf unterschiedliche Art erreicht werden. Auch bei
sozialen Dienstleistungen spielt dabei das Preis-Leistungs-Verhältnis eine große Rolle. Angesichts der Tatsache, dass bei der Ausschöpfung aller Spar- und Rationalisierungspotentiale letztendlich nur
noch die Qualität gesenkt werden kann, um den Preis zu reduzieren, hat sich die Diakonie dafür entschieden, die Qualität als zentralen Faktor im Preis-Leistungs-Wettbewerb in den Vordergrund
zu stellen.
2.2
Qualitätswettbewerb als Wettbewerbsstrategie
bei der weltweiten Liberalisierung von
Dienstleistungen (General Agreement on Trade in
Services, GATS)
Die Welthandelsorganisation WTO hat mit der weltweiten Liberalisierung bei Dienstleistungen eine neue Runde des Wettbewerbs
auch bei sozialen Dienstleistungsanbietern eingeläutet. Auch wenn
noch ungewiss ist, in welchen Arbeitsfeldern eine solche Liberalisierung stattfinden wird (zunächst einmal war auch an Pflege- und
Erziehungsleistungen gedacht), so brauchen wir eine Strategie, um
Beiträge aus der Forschung
41
sog. potentiellen Billiganbietern im Sozialbereich in Deutschland
zu begegnen. Als eine zentrale Strategie wird dabei die Qualitätsstrategie angesehen: Es muss für die sozialen Arbeitsfelder in
Deutschland beschrieben werden, welche Qualität für eine humane und würdevolle Betreuung von Menschen in Notsituationen
angezeigt ist. Wir meinen, dass wir mit dieser Strategie auch in
anwaltschaftlicher Weise für Menschen tätig sind.
3.
Entwicklung von Instrumenten
Zumal für einen Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege, für
den eine zentrale verbandliche Umsetzung von Strategien in praktisches Handeln eine besondere Schwierigkeit bedeuten kann, stellt
sich die Frage nach entsprechenden Instrumenten.
3.1
Qualitätsrahmenhandbücher als zentrales
Steuerungsinstrument
In der Vergangenheit gab es für einen Spitzenverband kaum Möglichkeiten, verbindlich für alle Dienste und Einrichtungen Verbandsstrategien durchzusetzen. Die Qualitätsoffensive als strategisches
Verbandsziel sowie auch die Qualitätsdiskussion der letzten sieben Jahre haben zu der Entwicklung eines Instruments beigetragen, das diese Verbindlichkeit herstellt. Dabei erweisen sich Handbücher auf Bundesebene auch über die Definition von Qualität hinaus als ein Steuerungsinstrument, das auch eine ganze Reihe
anderer verbandspolitisch wichtiger Steuerungswirkungen erzielt.
Dabei wird insbesondere dem Sachverhalt Rechnung getragen, dass
die hier diskutierte Frage der Wettbewerbsfähigkeit zusammen mit
anderen Wettbewerbselementen genannt werden muss. Von Bedeutung sind dabei insbesondere
– die Werteorientierung eines Verbandes als Wettbewerbselement (Leitbild, Leitsätze etc.)
– die wirtschaftliche Erbringung der Dienstleistungen
– die umweltverträgliche Leistungserbringung (Bewahrung der
Schöpfung)
– die Partizipation und Zufriedenheit der Klienten/Patienten/
Kunden
4.
Entwicklung von Standards
Die Standardentwicklung kann dabei als eine wichtige (neue) Aufgabe eines Spitzenverbandes identifiziert werden. Wichtige Voraussetzung für das Gelingen ist allerdings, dass in einem Bottomup-Prozess Dienste und Einrichtungen der Organisationen auf Landes- und Fachverbandsebene intensiv beteiligt werden.
42
Beiträge aus der Forschung
Auch die Standardentwicklung kann sich zur Erreichung größtmöglicher Wettbewerbsfähigkeit dabei nicht nur auf die natürlich im
Zentrum liegende Qualität der Dienstleistung selbst beziehen, sondern muss auch die wirtschaftliche und ökologische Leistungserbringung mit berücksichtigen. Ebenso bedeutsam ist dabei auch
die Gewinnung und Qualifizierung von Fachpersonal.
4.1
Entwicklung von Struktur-, Prozess- und
Ergebnisqualität
Dabei scheint es wichtig, Standards zu beschreiben, die in der jeweiligen Einrichtung zwar als verbindlich angesehen werden, aber
durchaus auch Spielräume für die jeweils individuelle einrichtungsspezifische Ausgestaltung ermöglichen. Dies kann am Beispiel Seelsorge verdeutlicht werden: Die Seelsorge als Angebot eines diakonischen Trägers leitet sich aus den Leitbildaussagen und der Leistungsbeschreibung der Einrichtung ab. In der Diakonie erwarten
wir deshalb von unseren Einrichtungen differenzierte Aussagen
über
– Seelsorgeziele
– das Seelsorgeverständnis und personelle Qualifikationen der
Seelsorger/-innen (Strukturqualität)
– der Prozesskriterien der Seelsorge (Prozessqualität)
– die Wünsche und Zufriedenheit der Adressaten der Seelsorge
(Ergebnisqualität).
5.
Qualitätsmanagement als Beitrag kontinuierlicher
Organisationsentwicklung
Die Organisation einer Einrichtung muss sich entsprechend der
Bedarfs- und auch der Wettbewerbssituation kontinuierlich anpassen. Das in den Bundesrahmenhandbüchern zur Qualität immanente Qualitätsmanagementsystem kann dabei als eine sehr wichtige Voraussetzung für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess gesehen werden. Dabei gilt es immer wieder neu z. B. die Strukturqualität der Dienstleistungserbringung (der Organisation) auf
den Prüfstand zu stellen. Kontinuierliche Evaluation der Aufgabenwahrnehmung sowie kontinuierliche Auditierung der Organisationsprozesse sichern dabei einen hohen Grad professioneller interner Organisationsentwicklung und machen im Übrigen einen Teil
externer Organisationsberatung überflüssig.
6.
Verbindlichkeit durch externe Zertifizierung
Es muss die Frage gestellt werden, wie ein Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege bei seinen Diensten und Einrichtungen hinsichtlich der Einhaltung von Standards Verbindlichkeit herstellen
Beiträge aus der Forschung
43
kann. Eine Möglichkeit ist die Vergabe von Zertifikaten. So wird
am Bundesrahmenhandbuch Qualität in der Pflege deutlich, wie
hoch das Interesse der ambulanten Dienste und Pflegeeinrichtungen ist, ein solches Zertifikat zu erhalten, insbesondere wenn es
einerseits ein Zertifikat darstellt, das die werteorientierten Erwartungen eines konfessionellen Verbandes erfüllt und gleichzeitig
aber auch anerkannte Verfahren des Qualitätsmanagements berücksichtigt wie die ISO und Elemente des EFQM.
7.
Modernisierung freier Wohlfahrtspflege
Die Einführung eines strategischen Managements sowie eines internen Qualitätsmanagements hat dort, wo es praktiziert wurde,
zu einem Modernisierungsschub in der Diakonie geführt. Modernisierung muss aber sicherlich auch noch im Zusammenhang mit
anderen gesellschaftlichen Prozessen gesehen werden.
Im Projekt der Hans-Böckler-Stiftung „Vom Wohlfahrtssektor zur
Sozialwirtschaft“ werden eine ganze Reihe von Thesen zur Modernisierung der freien Wohlfahrtpflege aufgestellt, die ich anschließend – wenn auch nur kurz – aufgreifen möchte:
7.1
Veränderungen der Arbeitsinhalte
Es ist natürlich richtig, dass Veränderungen in der Finanzierung
der sozialen Arbeit oder auch nur einzelner Dienstleistungen auch
den Inhalt der Arbeit verändert. Diese Veränderungen sind auch in
der Organisation des Dienstes wahrnehmbar. So haben sich natürlich die vielen kirchlichen Aktivitäten zur Betreuung und Begleitung Sterbender in der Hospizarbeit sehr deutlich mit der Einführung einer Finanzierungsgrundlage des SGB V (§ 39 a) verändert.
Aus diesen Veränderungen heraus lassen sich in diesem und anderen Arbeitsfeldern aber nicht unbedingt Konsequenzen ableiten,
wie sie im Thesenpapier angedeutet werden:
So macht die Praxis deutlich, dass in den Arbeitsfeldern bei einer
Sozialmarktorientierung nicht unbedingt aus dem e. V. eine gGmbH
oder GmbH folgen muss.
Bürgerschaftliches Engagement und ehrenamtliche Arbeit kann
dabei auch in den gGmbH’s ein Kennzeichen der Arbeit eines werteorientierten konfessionellen Verbandes sein.
7.2
Sozialwirtschaftliches Handeln und
gesellschaftliche Verantwortung
Die Bedeutung des sozialwirtschaftlichen Sektors, in dem sich Anbieter freier Wohlfahrtspflege in der Organisationsform einer
gGmbH mit anderen sog. privaten Anbietern im Wettbewerb verhalten müssen, ist zwar gestiegen. Dennoch darf der Blick nicht
darauf verstellt werden, dass es viele soziale Arbeitsfelder gibt, in
44
Beiträge aus der Forschung
denen es eine gesicherte kontinuierliche Finanzierung nicht gibt
und bei denen es dann meist auch keinen Wettbewerb gibt. Welcher private Anbieter würde denn einen Dienst zur Betreuung von
Frauen als Opfer von Prostitution und Menschenhandel aufbauen,
ohne von vornherein die Gewissheit zu haben, dass eine kontinuierliche Finanzierung gesichert ist. Die Wohlfahrtsverbände haben
in ihrer Schrift „Die Freie Wohlfahrtspflege – Profil und Leistungen“ deshalb ganz bewusst auch diese Arbeitsfelder einschließlich deren Finanzierungsgrundlagen aufgeführt.
Wenn nunmehr private Dienstleistungsanbieter, Politik und Wirtschaft über die für sie natürlich aus unterschiedlichsten Gründen
wichtigen sozialen Dienstleistungen sprechen, so sind dies in der
Regel die über die sozialen Sicherungssysteme entgeltfinanzierten Leistungsbereiche, die im Mittelpunkt des Interesses stehen.
Die aus den Statistiken der Wohlfahrtsverbände ablesbaren anderen umfänglichen Arbeitsfeldern und Leistungen werden von dieser Diskussion aber nicht erfasst und z. T. ja sogar auch verbal diffamiert, indem man z. B. von der „schmutzigen Diakonie“ spricht,
wenn es z. B. um die Betreuung von Obdachlosen und Prostituierten geht.
Deshalb muss auch noch einmal sorgfältig geprüft werden, ob tatsächlich die Gemeinwohlfunktion gegenüber der Dienstleistungsfunktion ins Abseits gerät. Aus den Statistiken der Diakonie ist nicht
unbedingt ablesbar, dass der nicht unmittelbar dienstleistungsbezogene Funktionsbereich zurückgedrängt wird.
Wenn wir auf die Entwicklungen der letzten drei Jahre schauen, so
lassen sich die Behauptungen, dass traditionelle Handlungsfelder
der Diakonie außerhalb von Dienstleistungen, die über gesicherte
Finanzierungsgrundlagen erbracht werden zusammenbrechen,
nicht oder nur zum Teil bestätigen. Das Bild ist zumindest ambivalent: Da gibt es einerseits Arbeitsfelder mit einem deutlichen Zuwachs an diakonischen Leistungen, wie z. B. ambulantes betreutes
Wohnen in der Altenhilfe, Jugendhilfe oder Behindertenhilfe, während andererseits die Zahl der Selbsthilfe- und Helfergruppen z. T.
erheblich eingebrochen ist.
Deutlich wird aber auch, dass die Wohlfahrtsverbände heute gesellschaftliche Funktionen anders und moderner erfüllen. Quartiersmanagement durch die Diakonie ist so ein Beispiel: Da gibt es
Projekte, in denen ausgehend von einer Kindertagesstätte unterschiedlichste Aufgaben wie z. B. Koordinationsangebote sowie Partizipationsmöglichkeiten im Quartier übernommen werden (soziale Hilfen, Hausaufgabenbetreuung, Wohnungsvermittlung etc.).
In einem anderen Projekt werden die auf kommunaler Ebene sich
organisierenden Interessengruppen unterschiedlichster Art beraten, begleitet und z. T. koordiniert. Hier hat die Diakonie vollständig ihre Funktion als Träger einer Einrichtung zugunsten einer in
den Sozialraum hineinwirkenden gesellschaftlichen Funktion bzw.
Gemeinwesenfunktion aufgegeben.
Diese neuen Formen diakonischen gesellschaftlichen Engagements
vor Ort entsprechen auch neuen Organisationsformen auf Bundesebene: So ist die Diakonie mit Vertretern örtlicher Gemeinwe-
Beiträge aus der Forschung
45
senprojekte z. B. in der Bundesarbeitsgemeinschaft Soziale Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit präsent: Hier entstehen zusammen mit anderen Kooperationspartnern auf Bundesebene
fachliche Zusammenschlüsse, die für die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege zwar transparent, aber doch in neuen Organisationsformen stattfinden.
7.2.1
Ehrenamtliches/freiwilliges Engagement
Keinesfalls einverstanden sind die Verbände damit, dass die ehrenamtliche Arbeit zur finanziellen Entlastung der öffentlichen
Haushalte instrumentalisiert wird. So gibt es Beispiele, an denen
deutlich wird, dass Ehrenamtliche – die ihre Arbeit als qualitativ
zusätzlich zur hauptamtlichen Arbeit definieren – ihre Arbeit aufgeben, wenn sie entdecken, dass sie Teil des Pflegesatzes sind.
Hauptamtliche professionelle Arbeit kann nicht durch ehrenamtliche Arbeit ersetzt werden. Allein diese Behauptung diffamiert
soziale Arbeit noch einmal zusätzlich. In vielen anderen Bereichen
von Politik und Gesellschaft wären entsprechende Fragen verpönt:
Sollte ein Politiker im Parlament diese Arbeit nicht ehrenamtlich
machen oder vielleicht auch die im Bildungsbereich tätigen Lehrerinnen und Lehrer? Ich denke nicht.
Verkannt wird dabei auch die hohe volkswirtschaftliche Bedeutung
bezahlter Arbeit im Sozialbereich: Sie trägt immerhin auch zu einem hohen Beschäftigungsniveau und zu einem hohen Bruttoinlandsprodukt bei. In Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und stagnierender Wirtschaftsentwicklung ist dies nicht unbedeutend.
Bei der Diskussion von Haupt- und Ehrenamtlichkeit entdecken wir
in letzter Zeit aber auch ganz neue Phänomene: So wird bei einem
diakonischen Praxisprojekt deutlich, dass sich eine Vielzahl von
Frauen aufgrund ihres hohen sozialen Engagements nur wenige
Planstellen untereinander aufteilen. Auch im Sozialbereich tätige
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen mit ihren Einkünften
ihre Existenz sichern. Dies bleibt unbestritten. Da dies mit einer
0,4-Stelle in einer Großstadt oft nicht möglich ist, erfahren wir von
den Frauen des genannten Projekts, dass sie ihre Existenzgrundlage durch Anstellungsverhältnisse in finanziell lukrativen Arbeitsfeldern (z. B. als Computerfachfrau) sichern. Diese Lösung scheint
eine für die betroffenen Frauen wohl akzeptable Lösung darzustellen; diese Arbeit aber völlig unentgeltlich ehrenamtlich zu leisten,
dafür hätten die Frauen aber sicherlich zu Recht kein Verständnis.
7.3
Neue Formen anwaltschaftlichen Handelns
Mit der umstrittenen These, dass die Gemeinwohlfunktion der
Verbände ins Abseits gerät, wird immer auch vermutet, dass die
anwaltschaftliche Funktion ins Hintertreffen gerät. Dem ist
entgegen zu halten, dass das Eintreten für die Interessen Betroffener heute z. T. anders stattfindet: So bedeutet anwaltschaftliche
46
Beiträge aus der Forschung
Interessenvertretung und konkret auch die Ermittlung von Bedürfnissen von Lebenslagen in Not geratener Menschen zunehmend
mehr Engagement auf der verbandlichen Ebene z. B. der Landesverbände oder Bundesgeschäftsstellen. So wurden die Armutsuntersuchungen der Spitzenverbände (s. die Habilitationsschrift von
Prof. Winter) positiv erwähnt. Auf der Einrichtungsebene wird zunehmend mehr nach Wegen der stärkeren Partizipation und Mitgestaltung der Betroffenen gesucht. So haben die Wohlfahrtsverbände die Beteiligung der Nutzer bei der Weiterentwicklung der
Einrichtung und des Dienstleistungsangebotes im Rahmen ihrer
QM-Strategien vorangetrieben, ergänzt von kontinuierlichen verpflichtenden Fragen nach Zufriedenheit sowie auch der Einrichtung eines Beschwerdemanagements. Die vielfältigsten Publikationen der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der EKD
haben diese Entwicklungen öffentlichkeitswirksam dargestellt, um
damit auch einen wirksamen Beitrag der Verbesserung der Patientenrechte bzw. Verbraucherrechte zu erbringen.
7.4
Finanzierung und Vergütung sozialer Arbeit
Richtig ist die These, dass die Produktion sozialer Dienste in einem
Dilemma steckt zwischen stärkerer Professionalisierung einerseits
und Refinanzierungsproblemen andererseits. Refinanzierungsprobleme sind den Verbänden allerdings seit je her bekannt. Es gibt
dviele Arbeitsfelder, in denen es keine gesicherte Finanzierungsgrundlage gab, um ein kontinuierliches Fortbestehen des Dienstleistungsangebotes zu ermöglichen. Neu ist derzeit allerdings, dass
sog. traditionelle Dienstleistungsangebote, die bisher über die sozialen Sicherungssysteme finanziert wurden wie z. B. die häusliche Krankenpflege nicht mehr refinanzierbar sind, weil Personalkosten z. B. in Höhe von 42 Euro die Stunde nicht mehr von Entgelten von 33 Euro gedeckt werden. Diese Situation betrifft aber sog.
private Anbieter gleichermaßen. Gerade in jüngster Zeit haben letztere mit den Verbänden Freier Wohlfahrtspflege und auch Bundesbehörden Kontakt aufgenommen mit dem Signal, dass offensichtlich für alle Anbieter im Pflegebereich die finanziellen Grundlagen für eine sachgerechte Arbeit nicht mehr ausreichend sind.
Hier stellt sich somit ein neues Problem: Es geht also nicht mehr
nur darum, wie ein Träger einer häuslichen Krankenpflege seine
Wettbewerbsfähigkeit erhöht, sondern wie alle Träger einer Branche vor dem finanziellen Ruin bewahrt werden können.
Wenn in diesem Zusammenhang immer wieder von einer leistungsgerechten Vergütung die Rede ist, so intendieren viele Befürworter dieser These im Kern eine zukünftig schlechtere Bezahlung
gerade auch von Krankenschwestern. Dies diffamiert noch einmal
die Bedeutung und Professionalität sozialer Arbeit. Zudem stellt
sich sofort die Frage nach den Bewertungskriterien für eine leistungsgerechte Vergütung. Leistungsgerechte Vergütung könnte
dabei z. B. bedeuten, dass eine junge, leistungsfähige Krankenschwester besser vergütet wird als eine vergleichbare 45-jährige,
die schon in ihrem Beruf z. B. mit einem defekten Rücken eine Be-
Beiträge aus der Forschung
47
einträchtigung ihrer Gesundheit erlitten hat. Auch wenn man hier
Aspekte wie gesellschaftliche Anerkennung für jahrzehntelange
soziale Arbeit einmal außer Acht lässt, so hat unsere Gesellschaft
für andere Berufsgruppen zumindest Regelungen geschaffen, die
ab einem höheren Alter existenzsichernde Funktionen haben: Ein
41-jähriger Pilot der Bundeswehr z. B. erhält bei eingeschränkter
Leistungsfähigkeit eine entsprechende Pension; Lehrerinnen und
Lehrer wiederum mit gesundheitlichen Einschränkungen werden
heutzutage überwiegend vor Erreichen der offiziellen Altersgrenze pensioniert. Beiden genannten Berufsgruppen ist gemein, dass
sie nach entsprechenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit
der Pension nicht nur ihre Existenz sichern können, sondern dass
sie ganz selbstverständlich bis zum Ausscheiden Gehaltssteigerungen nach dem BAT erwarten konnten. Leistungsorientierte Kriteri
en wurden nicht berücksichtigt.
7.5
Weiterentwicklung der Verbände
Im Thesenpapier zur Modernisierung wird unter der Ziffer 9 erneut eine Darstellung möglicher Entwicklungspositionen für die
Verbände der freien Wohlfahrtspflege dargestellt. Diese Diskussion ist schon sehr alt und wurde vor weit über einem Jahrzehnt
bereits vom Finanzwissenschaftlichen Institut der Universität Köln
(Prof. Hansmeier) und vom Miegel-Institut geführt. Meiner Meinung nach sind die Fragen zu diesen Entwicklungspositionen aber
bereits beantwortet: Natürlich ist es so, dass sich die Diakonie zunehmend am Markt orientiert. Meine Aussagen zur Wettbewerbsfähigkeit und die Statistik der Dienste und Einrichtungen machen
deutlich, dass hier Wettbewerb nicht nur existiert, sondern dass
die Dienste und Einrichtungen diesen Wettbewerb auch bestehen.
Dies heißt indes nicht, dass die Diakonie nicht auch eine eigenständige Rolle zwischen Markt und Staat in Bezug auf Stärkung
des Wertebezugs, Sachzieldominanz und Einbindung von bürgerschaftlichem Engagement in ihrer Arbeit inne hat. Hier denke ich
insbesondere nur an die Ergebnisse unserer Tagung „Soziale Stadt“.
Es wird deutlich, dass Quartiersmanagement und Sozialraumorientierung eine Wachstumsbranche ist, bei der die Diakonie gerade diesen (Frei-)Raum zwischen Staat und Markt ausfüllt. Und
letztlich: Natürlich sieht sich die Diakonie nicht als Juniorpartner
des Sozialstaates. Dennoch ergeben sich natürlich immer auch gute
und notwendige Kooperationen vor Ort, wenn es darum geht, gemeinsam bestimmte soziale Entwicklungen voranzutreiben oder
durch Projekte an Problemlösungen zu arbeiten. Prof. Wohlfahrt
hatte vor einiger Zeit bei unserer Rolandseck-Tagung selber darauf
hingewiesen, dass hier die Verbände natürlich auf die Finanzierungsstrukturen öffentlicher Träger bzw. Kommunen angewiesen
sind. Hier erweist sich allerdings eine enge Kooperation mit Kommunen oft als schwierig, weil in der Tat auch staatliche Strukturen
sei es hinsichtlich Gestaltung sowie Finanzierung sozialer Arbeit
berücksichtigt werden müssen. Diese Strukturen erweisen sich
häufig als nicht flexibel und praxistauglich. Bürokratisch inflexib-
48
Beiträge aus der Forschung
le staatliche Arbeitsabläufe und Regelungen werden auf den Kooperationspartner im Sozialbereich übertragen.
7.6
Modernisierung
Die These einer nur halben Modernisierung der Freien Wohlfahrtspflege und zwar vornehmlich bei ökonomischen Funktionen der
Träger muss uns einerseits zufrieden, aber auch nachdenklich stimmen: Wir sind mit der Bewertung einerseits einverstanden, weil
deutlich wurde, dass wir bei der wirtschaftlichen Betriebsführung
und wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit unsere Hausaufgaben
gemacht haben. Prognos würde heute in einem Gutachten die
wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Verbände nicht mehr so
in Zweifel ziehen. Dennoch hatte das damalige Gutachten natürlich wichtige Impulse für die darauffolgenden Veränderungsprozesse gesetzt.
Aber natürlich darf die im Thesenpapier thematisierte „aktuell
beobachtbare betriebswirtschaftliche Modernisierung (Mittelmodernisierung) kein Selbstzweck bleiben.“ Natürlich muss die
Freie Wohlfahrtspflege an ihren bisherigen gesellschaftlichen Funktionen festhalten. Richtig ist dabei auch, dass die Freie Wohlfahrtspflege gesellschaftliche Zieldiskussionen nicht allein Staat und
Verwaltung überlassen kann. Hier muss sich Freie Wohlfahrtspflege immer wieder neu an Zieldiskussionen beteiligen und auch
immer wieder ihre gesellschaftliche Rolle sowie ihre Funktionalität überprüfen und ggf. verändern. Selbstverständlich sind die Verbände etwas mehr als hier formuliert davon überzeugt, dass sie
sich immer wieder in die aktuelle gesellschaftliche Zieldiskussion
einbringen, wie z. B. bei den Armuts- und Ausgrenzungsfragen (z.
B. bei der Forderung einer Kindergrundsicherung). Die sehr gute
Beschreibung auch der gesellschaftlichen Rolle der Wohlfahrtsverbände durch den Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU lässt aber
vielleicht erkennen, dass sie europäisch anders wahrgenommen
werden als in Deutschland.
8.
Schlussbetrachtung
Veranstaltungen und Projekte wie hier der Hans-Böckler-Stiftung
sind wichtig und notwendig. Der Böckler-Stiftung sei für dieses
Projekt gedankt. Den Verbänden einen Spiegel hinzuhalten und
auf zu erwartende Entwicklungen hinzuweisen, ist wichtig, allein
schon um möglichen bedenklichen Tendenzen vorzubeugen. Hier
hatten auch die Prognos-Studien der Vergangenheit – trotz ihrer
immanenten Verbändekritik – eine wichtige Funktion. Heute ist
die Situation der Verbände – im Gegensatz zu früher – aber weitaus
komplizierter; und hier stehen wir nicht allein. So wird ganz offensichtlich, in welch schwierigen Rahmenbedingungen sich die gesamte soziale Arbeit in Deutschland befindet. Verbände der Wohlfahrtspflege, private Anbieter sowie auch Kommunen mit ihren
Beiträge aus der Forschung
49
sozialen Angeboten sitzen in einem gemeinsamen Boot; und die
See wird immer rauher.
Literatur
Bundesrahmenhandbuch Diakonie-Siegel Pflege, 2003
Diakonie und Qualität, Grundsätze, Methoden, Erfahrungen, Diakonie-Jahrbuch 2001
Diakonisches Werk der EKD: Strategisches Management als Spitzenverbandsaufgabe
Die Freie Wohlfahrtspflege – Profil und Leistungen, Herausgeber, 2002:
Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Lambertus,
2002
Menninger, Oswald, Hans-Jürgen Wanke, 2003: Strategie 2003, Sozialstaat
im Wandel, Sozialwirtschaft aktuell, 1 – 2/2003
Ottnad, Adrian, Stefanie Wahl, Meinhard Miegel, 2000: Zwischen Markt
und Mildtätigkeit, die Bedeutung der Freien Wohlfahrtspflege für Gesellschaft, Wirtschaft und Beschäftigung, eine Studie des IWG Bonn,
Olzog
Soziale Dienste als Chance, Dienste am Menschen aufbauen, Menschen
aktivieren, Menschen Arbeit geben, EKD-Texte 75, eine Studie der Kammer der EKD für soziale Ordnung, 2002
Wendt, Wolf Rainer, 2003: Wohlfahrtspflege sozialwirtschaftlich buchstabieren lernen, Sozialwirtschaft aktuell 3/2003
50
Beiträge aus der Forschung
Strategisches
Management
Strategisches Management als kontinuierlicher Prozess
Review
Formulierung
strategischer Ziele
Ziele
Formulierung von
Handlungsoptionen
Optionen
Entwicklung von
Instrumenten
Instrumente
Umsetzung
Praxisumsetzung
Evaluation
Evaluation
0
1
2
3
4
5
Jahre
Zeitschiene Jahre
Uwe Schwarzer / Abteilung Strategisches Management und Projektkoordination
Diakonisches Werk der EKD: Strategisches Management als
Spitzenverbandsaufgabe
Strategisches
Management
Ziele
Stärkung der
Wettbewerbsfähigkeit
Qualitätswettbewerb
Nachhaltigkeit
Qualitätsoffensive/
höhere Dienstleistungsqualität
Optionen
optimales PreisLeistungs-Verhältnis
Qualitätsrahmenhandbücher auf
Bundesebene
(Pflege-QM-Handbuch 1999)
Instrumente
Praxisumsetzung
als Vorgabedokument
Statistische Erhebung
der Umsetzung in die
Praxis
Standarteinführung in
Pflegepraxis +
Zertifizierung
Evaluation
0
Review
Strategisches Management als kontinuierlicher Prozess
Evaluation
u. a.: Auswertung der statistischen Erhebung , Befragung von Diensten u. Einrichtungen durch externe Zertifizierungsunternehmen
1
2
3
4
Zeitschiene
Überarbeitetes
Pflegequalitätshandbuch
(2/2003)
5
Jahre
Uwe Schwarzer / Abteilung Strategisches Management und Projektkoordination
Beiträge aus der Forschung
51
Wolfgang Schuth, AWO Landesverband Sachsen-Anhalt
Entwicklungstrends in der Wohlfahrtspflege in
Ostdeutschland
Die zunehmende Ökonomisierung der Sozialarbeit ist in den Unterlagen zum Projekt beschrieben als Ausgangspunkt zukünftiger
Veränderungsnotwendigkeiten und -strategien für die Freie
Wohlfahrtspflege.Der wachsende Wettbewerbsdruck und die Konkurrenz mit gewerblichen, kommunalen und staatlichen Anbietern
im Allgemeinen ist dargestellt, wenn er auch für unterschiedliche
Geschäftsfelder der sozialen Arbeit unterschiedlich gewertet werden muss. Die Situation auf dem Pflegemarkt wird kaum gleich zu
setzen sein mit dem Kindererziehungsmarkt oder dem Suppenküchenmarkt, dem Erziehungsberatungs- oder Suchtberatungsmarkt.
Die Wohlfahrtspflege Ost wie West ist von den Veränderungsphänomenen gleichermaßen betroffen. Die Veränderungen stoßen
nur auf unterschiedliche Vorerfahrungen, Vorbedingungen für einzelne Geschäftsfelder und andere gesellschaftliche Entwicklungen.
Der Aufschwung und die eigene stabile wirtschaftliche Basis fehlt
In den alten Ländern konnten sich die Verbände nach dem Krieg
40, vielleicht 50 Jahre in einer Zeit des gesellschaftlichen Wiederaufbaus und des wirtschaftlichen Aufschwungs langsam entwickeln. Dagegen ist die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation in den neuen Ländern grundverschieden gewesen und sie ist
es zum Teil noch heute.
Wirtschaftlich hat es nicht die Stunde Null gegeben, von der aus
es nur eine positive Entwicklung geben konnte. Bei der Währungsreform 1948 ist die Reichsmark dramatisch abgewertet worden.
Die D-Mark war bis in die 70er Jahre unterbewertet, was die Exporte gefördert hat. In den neuen Ländern ging es andersherum.
Die Währung und die Löhne sind eins zu eins umgestellt worden
und in der Folge kräftig gestiegen. Die Wirtschaftswissenschaftler
sprechen von eine 400 %igen Anhebung der realen Arbeitskosten.
Die früheren DDR-Firmen hatten damit nicht den Hauch einer
Chance.
Demographie
Die enormen demographischen Veränderungen in den neuen Ländern nach der Wende und die daraus resultierenden absehbaren
Veränderungen für die Rekrutierung von Arbeitskräften tangieren
den Gegenstand der Untersuchung direkt. Mit der Wende hat sich
die Geburtenzahl halbiert. In Sachsen-Anhalt von ca. 36.000 (1989)
auf
52
1990
31.387
1991
19.459
Beiträge aus der Forschung
1992
16.284
1993
14.610
1994
14.280
1995
14.568
1996
16.152
1997
17.194
1998
17.513
1999
18.176
2000
18.723
2001
18.073
Während also derzeit bei hoher Arbeitslosigkeit noch starke Geburtenjahrgänge auf den Lehrstellen- und Ausbildungsmarkt drängen, wird die Situation mit den Jahren 2008 folgende ein gänzlich
anderes Bild zeigen.
War der Bevölkerungsbaum in Sachsen-Anhalt 1990 aus Sicht des
Westens erstrebenswert, werden wir binnen 20 Jahren nach der
Wende – also zum Jahr 2010 – die positive Bilanz völlig in eine
negative umgekehrt haben und all die Vergreisungstendenzen
aufweisen, die für den Westen der Republik erst für 2040 vorhergesehen werden. Dies ist dem Geburtenrückgang und der Abwanderung vorwiegend junger Familien geschuldet. Das wird, so ist
leicht zu erkennen, sowohl Auswirkungen auf die Entwicklung einzelner Geschäftsfelder wie auf die Rekrutierung des Personals haben müssen.
Finanzschwache Kommunen und Länder
Die Finanzschwäche der Kommunen und Länder ist eklatant mit
Folgen für die Verlässlichkeit der Kommunen und des Landes hinsichtlich der Gewährleistung der Finanzierung sozialer Aufgaben
verbunden. Will das Land den Trägern doch derzeit klarmachen,
dass es weniger Geld gebe, dafür aber mehr Freiheit in der Verwendung.
Wir müssen erkennen, dass wir in einzelnen Bereichen die Stellen
kaum so schnell abbauen können, wie die öffentlichen Hände die
Refinanzierung entziehen. Die dann verbleibenden niedrigeren
Standards werden in einzelnen Fällen mittelfristig zur Schließung
von Angeboten führen.
Die Kommunalisierung bisher vom Land wahrgenommener Aufgaben wird die von Finanzschwäche gezeichneten Kommunen
möglicherweise wegen der damit verbundenen Finanzzuweisung
freuen. Allerdings ist kaum eine freiwillige Leistung zu sichern oder
die erhoffte Verzahnung von ambulanten und stationären Angeboten, wie dies in der Behindertenhilfe wünschenswert wäre, zu
erwarten.
Beiträge aus der Forschung
53
Einrichtungsübernahme
Viele Einrichtungen sind in den letzten 12 Jahren aus staatlicher
oder kommunaler Trägerschaft auf die Freien Träger oder gewerbliche Träger übertragen worden.
Ausgehend z. B. von einer flächendeckenden Versorgung mit Kindertageseinrichtungen ist mit den neuen Trägern in den letzten
Jahren die Bedarfsanpassung nach unten betrieben worden. Die
Halbierung der Geburtenzahl hat sich sofort ausgewirkt. Mit der
Folge, dass sich überwiegend die älteren Kolleginnen in den Einrichtungen gehalten haben und kaum Neuentwicklung stattfindet.
Entwicklung Tageseinrichtungen für Kinder Sachsen-Anhalt
Jahr
Anzahl d.
aufgenomme- davon unter
Einrichtungen ne Kinder
1 Jahr
Anzahl d.
Erzieherinnen
1993
2.419
128.567
885
19.464
1994
2.171
111.630
775
17.293
1995
1.961
97.521
958
14.922
1996
1.775
82.438
900
12.411
1997
1.609
72.914
-
11.376
1998
1.692
85.401
1.050
11.907
1999
1.653
86.840
1.349
10.627
2000
1.623
86.919
1.296
10.507
2001
2.044
104.995
1.319
11.856
Die Trägerlandschaft hat sich dabei am 31.01.2003 wie folgt dargestellt:
Kommunale Träger
72.493
69,32 %
AWO
4.048
3,87 %
Caritas
1.672
1,60 %
DRK
2.012
1,92 %
Diakonie
3.776
3,61 %
DPWV
6.115
5,85 %
14.467
13,83 %
Sonstige
Zur Strukturanpassung kam es ferner auf Grund der Finanzknappheit und des vermeintlichen Benchmarkings des Landes SachsenAnhalt mit anderen Bundesländern, insbesondere mit Sachsen. Die
54
Beiträge aus der Forschung
Standardanpassung nach unten kam zunächst 1999 und nun haben wir mit dem Kinderförderungsgesetz die nächste Senkung der
Personalstandards und der Betreuungszeiten, was nur bedeutet,
wieder Personal abbauen zu müssen.
Im Geschäftsfeld mit sinkenden Anteilen muss die Kunst vollbracht
werden, bei Personalabbau doch eine gute Altersmischung der
Teams zu bekommen.
Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe mussten die Großeinrichtungen der DDR in Klein- und Kleinsteinrichtungen umgebaut
werden.
Altenhilfe
Der Bereich der Altenhilfe ist graphisch im Vergleich zwischen NRW
und Sachsen-Anhalt dargestellt (Schaubild s. Anlage). Die Verteilung der Einrichtung stellt sich in der Pflegestatistik 2001 ähnlich
dar und ist vergleichbar mit den Bundeszahlen des KDA für 1999.
Danach waren die Heimplätze zu 8% in öffentlicher Trägerschaft,
57% in frei-gemeinnütziger und 35% in privat-gewerblicher Trägerschaft.
In der Entwicklung ist insbesondere eklatant, wie die gemeinnützigen Träger das Feld der ambulanten Pflege zu verlieren scheinen. Vor 10 Jahren war der Marktanteil hier in Sachsen-Anhalt nahe
an 100%.
Verbände der Hauptamtlichkeit
Es ist die Freie Wohlfahrtspflege eher in einer Situation gegründet
worden, in der freiwilliges Engagement – oder genauer die Mitgliedschaft in einer Organisation – verpönt war. Das erinnert doch
alles an die DDR, wo auch jeder in allen möglichen Organisationen
mitmachen musste.
Die Arbeitsteilung, wie sie als korporatistisches Aushandlungssystem zwischen öffentlichen Verwaltungen und der freien Wohlfahrtspflege beschrieben wird, war nicht bekannt. Die bis heute
anhaltende Verschlankung des Staates erfolgt durch Ausgliederung
der Betriebe – Trägerwechsel ist angesagt. Es entstanden hauptamtliche Verbände, die schneller Mitarbeiter als Mitglieder gewannen. Die Freie Wohlfahrtspflege ist Träger von Einrichtungen geworden, derer sich der Staat entledigen wollte, ohne dass die Verbände häufig die Ressourcen hatten, die übernommene Last zu
tragen, gleichwohl aber in die Verantwortung genommen wurden.
Uckermünde-Effekt: Hier hatte die Diakonie eine ziemlich abgewirtschaftete Behinderteneinrichtung übernommen, mit dem Effekt, wenige Wochen nach den Übernahme für die katastrophalen
Verhältnisse verantwortlich gemacht zu werden.
Beiträge aus der Forschung
55
Der Gesetzgeber hat seit der Wende das Seine getan – wie in den
Papieren dargestellt –, die Beziehungen zwischen Staat und Kommunen auf der einen Seite und den Verbänden auf der anderen
Seite, zwischen Leistungsanbietern und Anbietern sozialer Dienstleistung, Kostenträger und Leistungserbringer zu ändern. Kein
Wunder, dass die Ökonomisierung der Verhältnisse auch das Verhalten ändert.
Während allerdings das Wirtschaftswunder von der Zunahme der
zu verteilenden Güter lebte, kam die Wende schon in die Zeit des
Um- und /oder Abbaus der Leistungen und Güter, die zu verteilen
waren. Allein die kurze Euphorie der Wende kann über vieles, aber
nicht über den Tatbestand der Arbeitslosigkeit hinwegtäuschen.
Was haben die Verbände zu tun?
Vor dem Hintergrund der skizzierten Situation müssen sich die
Verbände in ihrer Rolle als Idealverein und als Unternehmen entwickeln. Die Stichworte sind:
– Idealverein
– Leitbildentwicklung
– Marketing zur Mitgliederwerbung
– Vom Lebenspartner-Mitglied Abschied nehmen und den Lebensabschnittspartner gewinnen
– Die Anwaltfunktion entwickeln
– Unternehmer / Zweckbetriebe
– Vom Verein zur Sparten-GmbH
– Von der Kameralistik zur doppelten Buchführung
– Vom altruistischen Angebot zur kalkulierten Dienstleistung
– Von der Monopolsituation zur Konkurrenz mit den anderen
Verbänden, den gewerblichen und kommunalen Trägern
– Von der Parteilichkeit zur Qualität der Dienstleistung
– Von der Selbstkostendeckung zur Bildung prospektiver Preise
– Von der Gleichsetzung mit dem öffentlichen Dienst – vor allem im Hinblick auf die an den Beamtenstaat angelehnte Vergütung - zur Neubestimmung des Produktionsfaktors Arbeit
– Von der Gratifikation zur leistungsgerechten Entlohnung
– Von gut gemeint zu gut gemacht
Die Tarife müssen Entwicklungen und Veränderungen unterzogen
werden, damit sie überhaupt akzeptabel werden. Dazu gehören:
– die Veränderung der Bewertungs- und Entgeltstufen,
– die Abschaffung der Lebensaltersstufenregelung und Honorierung der Betriebszugehörigkeit,
56
Beiträge aus der Forschung
– die Abschaffung der Bewährungsaufstiege,
– die Veränderung der Zulagen und Zuschläge für Erschwernisse
und Einführung der leistungsbezogenen Vergütung,
– die Abschaffung der Orts- und Sozialzuschläge mit dem Ziel,
gleiche Arbeit auch gleich zu vergüten,
– die Arbeitszeitregelungen zu modernisieren, hin zu Arbeitszeitkonten und Jahresarbeitszeitregelungen.
Wir werden nicht nur über Qualitätssicherung die Arbeit sichern.
Wir müssen auch den Produktionsfaktor Arbeit verbessern. In der
Pflege z. B. werden wir nicht nur am Siegel des TÜV für unsere Erfüllung der ISO-Norm bestehen, sondern auch dadurch, dass wir
die gegebene Pflege für die zu pflegenden Personen optimal organisieren. Wir können schon lange nicht mehr alle Pflegebedarfe
erfüllen – die Kritik ist in der Diskussion um die Verbesserung der
Pflegeversicherung anzubringen. Allerdings brauchen wir zwischen
126 und 130 bezahlter Stunden, um 100 Stunden Pflege an der
Person geben zu können. Ist das gut? Ist das schlecht?
In einem Vergleich mit Kolleginnen in der Schweiz und Kanada
mussten wir feststellen, dass die dieselbe Leistung mit 114 Std.
bewerkstelligen.
Mehr Pflege an der Person ist weniger Stress und eine höhere Qualität der Dienstleistung.
Beiträge aus der Forschung
57
Trägerschaft der ambulanten Pflegedienste in Sachsen Anhalt und in Nordrhein-Westfalen
0,7
63,50%
0,6
privat S-A
53,10%
freigemeinnützig S-A
0,5
46,10%
öffentlich S-A
privat NRW
0,4
35,10%
freigemeinnützig
NRW
öffentlich NRW
0,3
0,2
0,1
1,4%
0,80%
0,0
privat S-A
freigemeinnützig S-A
öffentlich S-A
privat NRW
freigemeinnützig
NRW
öffentlich NRW
Trägerschaft der Altenpflegeheime in Sachsen Anhalt und in Nordrhein Westfalen
0,7
66,40%
58,9%
0,6
privat S-A
0,5
freigemeinnützig S-A
öffentlich S-A
0,4
34,6%
privat NRW
27,90%
0,3
freigemeinnützig
NRW
öffentlich NRW
0,2
0,1
6,5%
6,5%
Quelle: Pflegestatistik 2001
58
Beiträge aus der Forschung
N
R
W
öf
fe
nt
lic
h
N
R
W
fr
ei
ge
m
ei
nn
üt
zi
g
NR
W
pr
iv
at
Slic
nt
fe
öf
fr
ei
ge
m
ei
nn
üt
zi
pr
iv
at
g
h
S-
SA
A
A
0,0
Rainer Brückers, AWO Bundesverband
Haben wir das „richtige“ Personal? Probleme und
neue Wege der Personalrekrutierung,
Personaleinsatzstrategien,
Personalentwicklungsinstrumente
Zum ersten Teil des Themas: Haben wir das „richtige“ Personal?
Die Frage, ob wir das richtige Personal in der Freien Wohlfahrtspflege haben, impliziert den Umkehrschluss, dass momentan das
vermeintlich oder tatsächlich falsche Personal die Geschicke der
Sozialwirtschaft lenkt.
Diese auf lediglich zweierlei Kategorien basierende Denkweise
reicht – wie wir wissen – sowohl im Generellen als auch im Speziellen nicht aus, komplizierte Zusammenhänge zu erklären, geschweige denn zu regeln. Ebensowenig reicht die polarisierende
Vereinfachung aus, die Wechselseitigkeit zwischen veränderten
politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen, Strukturwandel in der Sozialwirtschaft und fachpersonellen Anforderungsnotwendigkeiten solide und gründlich zu analysieren.
Die eigentliche Frage müsste deshalb lauten: Wie gelingt eine auf
allen Ebenen professionelle Anpassungsfähigkeit des Personals an
zukunftsorientierte Träger- und Vereinsinteressen, um den unternehmerischen und sozialen Auftrag der Wohlfahrtspflege zu garantieren?
Diese Frage muss in erster Linie, wenn nicht gar ausschließlich, das
Führungsmanagement der Wohlfahrtspflege beantworten. Das
setzt Gestaltungswillen und Engagement voraus, aber auch in
mancherlei Hinsicht ein Umdenken und Dazulernen in Hinblick auf
Führungsverhalten, Führungsqualität und Führungskompetenz.
Grundständige Ausbildungen und Studiengänge wie z.B. Sozialarbeit, Verwaltungslehre und Betriebswirtschaft allein reichen bei
weitem nicht mehr aus, dem Katalog von neuen Aufgaben und
Anforderungen in der Sozialwirtschaft gerecht werden zu können.
Dieser Sachverhalt ist nicht neu, bekommt jedoch durch immer
notwendiger werdende Steuerungs- und Kontrollverfahren in Organisationen und Unternehmen der Wohlfahrtspflege eine andere Dimension. Zudem muss man konstatieren, dass sich das quantitative Wachstum in der AWO – und dies vermute ich in anderen
Wohlfahrtsverbänden ebenso – vollzog, ohne dass zeitgleich eine
adäquate Anpassung der organisatorischen Strukturen und der
Führungskonzepte an die qualitativ veränderten Anforderungen
erfolgte.
Die Wohlfahrtsverbände sind komplexe Organisationstypen mit
einem multidimensionalen Anforderungsprofil an das
(Führungs)Personal. Die Verbändeforschung spricht von intermediären Organisationen, die zwischen „Markt“, „Staat“ und „Bürgern“
agieren (Backhaus/Olk 1996).
Beiträge aus der Forschung
59
¾ So erbringt die AWO soziale Dienstleistungen für Kinder und
Jugendliche, Familie und alte Menschen, Behinderte, Migranten, Menschen in sozialen Schwierigkeiten.
¾ Die AWO ist gleichzeitig eine politische Organisation. Sie bezieht Stellung zu sozialpolitischen Entscheidungen und Entwicklungen und übernimmt somit eine sozialanwaltschaftliche Interessensvertretung.
¾ Als Organisation mit einer sozialen und demokratischen Werteorientierung tritt die AWO für soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Chancengleichheit und Partizipation ein. Sie verfolgt
hiermit so genannte normative Zielsetzungen nach innen und
außen.
¾ Schließlich ist die AWO eine Agentur des Ehrenamts und der Freiwilligen Sozialen Arbeit, in dem sie in ihren Einrichtungen, Diensten und Vereinsstrukturen interessierten Bürgern die Gelegenheit bietet, sich freiwillig und gemeinwohlorientiert zu engagieren.
Mit dieser Organisationsform gehen Funktionen einher, die das
Führungspersonal verinnerlicht haben sollte. Diese Funktionen
können im einzelnen so beschrieben werden:
Führungskräfte als Imageträger
Das Ansehen sozialer Arbeit und die Unverwechselbarkeit Sozialer Diensteistungen der AWO werden maßgeblich dadurch geprägt,
wie es Führungskräften gelingt, die normative Wertorientierung
und die ökonomisch-operativen Effizienz- und Effektivitätsziele des
Verbandes in der Öffentlichkeit gleichwertig zu transportieren.
Führungskräfte als Qualitätsverantwortliche
Führungskräfte sind treibende und verändernde Kräfte von Qualität. Für sie gilt, jene Faktoren heraus zu arbeiten, die das Spezifische einer AWO-Dienstleistung ausmachen und sie in das Erfordernis eines Nachweises zu bringen, wenn diese Dienstleistung in
mit der AWO-Organisation – vor allem mit ihrem Namen und Logo
– geleistet wird (Brückers 2001).
Führungskräfte als Personalverantwortliche
Die Rolle der Führungskräfte sollte sich darauf konzentrieren, passende Mitarbeiter/- innen für das jeweilige Systemgefüge auszuwählen, zu fordern, zu bestärken, zu fördern und zu (ver)binden.
Wie engagiert und qualifiziert Mitarbeiter/- innen ihre Arbeitskraft
einsetzen können, hängt maßgeblich von ihrer Leitung ab.
All diese Funktionen sind inzwischen dem Wettbewerb und der
Konkurrenz ausgesetzt. Anders ausgedrückt: Die Handlungsfelder
der Sozialen Arbeit haben sich durch die Einführung von Marktmechanismen verändert, weshalb Anschlussfähigkeit zu wichtigen
Funktionssystemen der Gesellschaft hergestellt werden muss.
60
Beiträge aus der Forschung
Funktionssystem Soziale Arbeit
Aufgabe der Sozialen Arbeit ist es, Hilfe für Menschen in Not sicherzustellen. Es geht darum, Menschen in die Gesellschaft zu integrieren oder zu reintegrieren, wobei die Soziale Arbeit davon
abhängig ist, dass öffentliche Kostenträger die notwendigen Ressourcen für die Leistungserbringung zur Verfügung stellen.
Funktionssystem Verwaltung
Eine Führungsperson der Sozialen Arbeit muss die rechtlichen Rahmenbedingungen kennen und mit ihnen konstruktiv arbeiten, um
von den öffentlichen Trägern Gelder für die eigene Einrichtung erhalten zu können. Sie muss sich also mit Gesetzen, Erlassen und
Verordnungen auseinandersetzen.
Funktionssystem Politik
Wenn Führungskräfte für die Soziale Arbeit Ressourcenflüsse sicherstellen wollen, müssen sie politisch agieren und Kontakte zur
jeweiligen demokratisch gewählten politischen Macht herstellen.
Dies kann im Rahmen von Parteiarbeit oder im Bereich von Lobbys,
Verbänden und informellen Netzen erfolgen. Politische Aktionen,
Demonstrationen, öffentliche Rede oder gute Kontakte zu Medien
können sich positiv auf Ressourcenflüsse auswirken.
Funktionssystem Wirtschaft
Soziale Einrichtungen und Dienste, die durch Sponsoring oder Public Private Partnership mithelfen, die Effektivität und Effizienz oder
die Marktstellung von erwerbswirtschaftlichen Unternehmen zu
verbessern, können aus dem Funktionssystem der Wirtschaft Ressourcen bekommen. Wirtschaftliche Regeln gelten zunehmend
auch im Innenverhältnis sozialer Einrichtungen und Dienste. Es
geht darum, kostengünstig zu arbeiten und Gewinne zu erzielen
(Kolhoff, 2002).
Durch die neuen Anforderungen, die sich an Führungskräfte der
Sozialen Arbeit stellen, wenn sie mit den oben angeführten Funktionssystemen im Außenverhältnis konstruktiv agieren, ergibt sich
im Innenverhältnis der Organisationen selbst eine neue Form des
Managements. Es umfasst die Führung der Organisation und des
Personals. Zur Führung der Organisation gehört die Gestaltung der
Aufbau- und Ablauforganisation und die Fähigkeit, Prozesse zu steuern, d. h. prozessorientiert und zielorientiert zu agieren und Organisationen permanent neu zu organisieren. Die Führung des Personals ist in erster Linie ein Kommunikationsprozess, aus dem Verhaltensänderungen und neue Handlungsstrukturen folgen.
Beiträge aus der Forschung
61
Zum zweiten Teil des Themas: Personalrekrutierung,
Personaleinsatzstrategien,
Personalentwicklungsinstrumente
1.
Grundüberlegungen zur wirkungsvollen
Personalentwicklung in der Sozialwirtschaft
„Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind unser wichtigster
Erfolgsfaktor“, so oder so ähnlich heißt es in vielen Leitsätzen der
Sozialwirtschaft (in der gewerblichen Wirtschaft im übrigen auch).
Aber wie sieht die Praxis aus? Viele Organisationen, Unternehmen
und soziale Dienstleistungen stehen unter einem enormen Veränderungsdruck: Umstrukturierungen, ausufernde Kosten, neue gesetzliche Regelungen, schwer zu besetzende Funktionen, internationale Ausrichtung und ähnliches führt zu einem Getriebensein,
das oft wenig Zeit für systematische Personalentwicklung lässt.
Der Kosten- und Ergebnisdruck für alle, die sich um PE kümmern,
ist immens. Allein die Bewältigung des Organisationsalltages stellt
immer höhere Anforderungen an die Führungskräfte ebenso wie
an Mitarbeiter/-innen auf fachlichem, methodischem und persönlichemTerrain.
Trotz alledem oder gerade deswegen kann eine wirkungsvolle und
umsetzungsorientierte PE erfolgsentscheidend sein. Für alle, die
Personalverantwortung haben und Personalentwicklung gestalten,
ist maßgebend, dass sie in der Lage sind, die Organisation und die
in ihr tätigen Menschen bei der Zielerreichung und Aufgabenbewältigung zu unterstützen. Dies erfordert die Kenntnisse zeitgemäßer Instrumente und Methoden, aber auch die Fähigkeit, sich
eine eigene Haltung zur Entwicklung von Mensch und Organisation zu erarbeiten.
PE ist immer träger- und organisationsgebunden. Deshalb kann es
kein unabhängiges Vorgehen geben. Bezogen auf die Wohlfahrtsverbände haben sich PE-Konzepte grundsätzlich an dem Leitbild,
den Grundsätzen des Verbandes und der Unternehmensphilosophie zu orientieren.
Im operativen Bereich der PE ist zu berücksichtigen, dass die vielseitigen Ziele der komplexen Systeme sozialwirtschaftlicher Unternehmen und Organisationen durch Mitarbeiter/-innen als bloße Funktionsträger (Aufgabenerfüllung) nicht mehr zu erreichen
sind. Vielmehr sind die MA gefordert, ihre innovativen und kreativen Kräfte zu mobilisieren, um verantwortlich Ziele zu erreichen.
Das Motto muss lauten: Gestalten statt verwalten.
In diesem Zusammenhang lohnt es sich, die Aufmerksamkeit kurz
auf den Berufsbildungsbericht 2001 des BMBF zu lenken, in dem
Folgendes nachzulesen ist: "Für die Entwicklung innovativer, geeigneter Lösungen muss – über die unabdingbare Fachkompetenz
hinaus – ein gewisses Maß an Veränderungsinteresse und der Glaube an Gestaltungsmöglichkeiten vorausgesetzt werden (Selbst-
62
Beiträge aus der Forschung
kompetenz). Diese können allerdings nur vorhanden sein, wenn
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Maßnahmen planen und Lösungen in Unternehmen umsetzen.
Die Konsequenzen für die Personal- und Organisationsentwicklung
sind erheblich. Selbstregulation und Eigeninitiative müssen entfaltet und genutzt, die Kompetenzentwicklung in den Innovationsprozess selbst verlagert werden. Das setzt Freiräume und Möglichkeiten zum Ausprobieren im konkreten Verwertungszusammenhang voraus.
Nicht die Summe kompetenter Fach- und Führungskräfte allein
macht Handlungserfolge aus, sondern diese hängen darüber hinaus von der Einbindung in Informations- und Materialflüsse, von
der Arbeitsorganisation sowie von der technischen Ausstattung
ab. Diese organisatorische Kopplung wirkt gleichzeitig auf die eigene Kompetenzentwicklung zurück".
2.
Welche Konzepte lassen sich in der
Personalentwicklung unterscheiden?
Angebotsorientierte Konzepte
Prioritätensetzung: Der Schwerpunkt der angebotsorientierten
Konzepte der PE liegt in der Entwicklung und Erstellung von Ausund Fortbildungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter eines Betriebes. Sie werden ergänzt durch die Entwicklung, die Konzipierung
und Betreuung von Mitarbeiterbeurteilungssystemen.
Bedarfs- bzw. anpassungsorientierte Konzepte
Prioritätensetzung: Diese Konzepte sind mit einer stärkeren Individualisierung von Qualifizierungsprozessen verbunden. Im Zentrum steht hier der Mitarbeiter in seinen jetzigen und zukünftigen Aufgabenfeldern. Bedarfsorientierte Konzepte der PE übernehmen wesentliche Anforderungen einer strategischen Ausrichtung.
Insbesondere über detaillierte Bedarfsanalysen wird sichergestellt,
dass Unternehmens- bzw. Geschäftsbereichsziele Grundlage für
Personalauswahl- und Qualifizierungsprozesse werden.
Strategische und leitbildorientierte Konzepte
Prioritätensetzung: PE wird in ihrer Verbindung zur „strategischen
Marschrichtung“ eines Unternehmens, d. h. zu den Unternehmenszielen gesehen und zu einem Instrument der Strategieumsetzung.
Leitfragen in diesem Zusammenhang sind: Welche Ziele verfolgt
das Unternehmen? Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für
die PE? PE und Weiterbildung werden zu einer „Strategie- und Synergieschmiede“.
Bei der Auswahl der jeweiligen Konzepte kommt es auf eine bedarfsgerechte und passgenaue Anwendung an. Es kann also
durchaus sinnvoll sein, eine Mischung von allen Konzepten vorzunehmen oder der Zeit und den Rahmenbedingungen entsprechend
Beiträge aus der Forschung
63
das eine oder das andere präferieren. Anders ausgedrückt: Aus strategischen Gründen ist die aktive PE eine gezielte Zukunftsinvestition. Aktive PE ist jedoch auch ein wichtiger Beitrag zur Qualifizierung der Sozialwirtschaft – und das sollte man nicht gering schätzen.
3.
Ziele der Personalentwicklung
Erstens:
Die Leistungsfähigkeit sozialwirtschaftlicher Unternehmen steigern, indem der Wirkungsgrad vorhandener Ressourcen erhöht wird.
Zweitens:
Systematische Führungskonzeption, qualifizierte Führungskräfte, selbstverantwortlich handelnde Mitarbeiter, geeignete Organisationsstrukturen.
4.
Instrumente der Personalentwicklung
(Quantitative und qualitative Personalarbeit)
Im Nachfolgenden findet eine Auflistung der gängigsten Instrumente der PE statt, zum größten Teil versehen mit Kommentaren
und Erfahrungen aus der praktischen Umsetzung im AWO-Bundesverband.
Personalbestandsaufnahme
Anzahl der Mitarbeiter, Größe und Zusammensetzung der Abteilungen, Funktion- und Branchenprofile, Altersstruktur, Fluktuation, Teilzeitarbeit etc.
Systematische Bedarfsermittlung
Analysen von Kennzahlen, Befragung, Beobachtung etc.
Personalplanung
Anzahl der notwendigen neuen Mitarbeiter, Freisetzungen, Kündigungen, Umstrukturierung, Personaleinsatzplanung etc.
Bemerkung:
Es macht Sinn, hierbei die Mitarbeiterschaft und ggf. den Betriebsrat aktiv mit einzubeziehen. Notwendige Veränderungsprozesse,
seien sie strukturell-organisatorischer oder personeller Art, lösen
bei Mitarbeitern Verunsicherung, mitunter Ängste aus. Diese gilt
es ernst zu nehmen und darauf einzugehen.
Andererseits muss aber auch deutlich zum Ausdruck gebracht
werden, dass Veränderungen von jedem Einzelnen nicht nur reaktives Handeln abverlangt, sondern auch die Mobilisierung von
Gestaltungspotentialen. Neben einer gründlichen Analyse und
Reflexion geänderter Rahmenbedingungen sollte deshalb auch
immer, z. B. im Rahmen von Strategietagungen, so wie wir sie durch-
64
Beiträge aus der Forschung
führen, das Herausarbeiten von Handlungsoptionen und Alternativen im Vordergrund stehen.
Stellenbeschreibung und Anforderungsprofil
Einordnen in die Organisationsstruktur, Aufgaben, Kompetenzen
und Fähigkeiten, Bezahlung etc.
Bemerkung:
Die Stellenbeschreibung sowie die präzise Definition von Funktion und Anforderungsprofil sind das A und O einer nachfolgenden
Personalrekrutierung. Diese sind mit den Zielen, den Erwartungen
und der Strategie eines Unternehmens oder einer Organisation
abzugleichen und überein zu bringen. Darüber hinaus bietet sich
an, bereits an dieser Stelle über Anreizsysteme für die jeweilige
Funktion nachzudenken. Da die monetären Honorierungen in der
Sozialbranche vergleichsweise begrenzt sind, müssen andere Offerten gemacht werden: Attraktivität der Einrichtung, hohes Qualitätsniveau, Weiterbildungsmöglichkeiten, Arbeiten im Team, zum
Beispiel.
Personalbeschaffung
Personalsuche, Stellenbörse, Personalmarketing, Personalrekrutierung
Bemerkung:
Know-how-Vorsprünge können erzielt werden, indem durch neue
Wege des Personalmarketings die Personalsuche und –auswahl
optimiert wird. Hierfür sind die Informations- und Kommunikationstechnologien untentbehrlich. Das Internet als Medium ist für
die Personalrekrutierung aus vielen Personalabteilungen nicht
mehr wegzudenken. Viele Personalmanager schalten Stellenanzeigen mittlerweile nicht nur in den Printmedien, sondern auch im
Internet. Hierbei sei insbesondere die elektronische Jobbörse genannt. Personalmarketing bezieht zwei Dimensionen ein: Interner
Arbeitsmarkt (eigene Mitarbeiter) und externer Arbeitsmarkt (Arbeitskräfte außerhalb der Branche).
Personalmarketing setzt voraus, seine Personalpolitik und entsprechende Maßnahmen sowie seine Struktur aus einer Marketingperspektive zu betrachten und zu bewerten, um seine Stellung auf
dem internen und externen Arbeitsmarkt angemessen realistisch
einschätzen, aufbauen und verbessern zu können.
Personalauswahl
Bewerbergespräche, Assessment-Center etc.
Bemerkung:
Der AWO-Bundesverband führt seit etlichen Jahren sogenannte
Bewerbertage durch. Dies sind eintägige Bewerberrunden mit Instrumenten aus der AC-Methode. Mit dieser Praxis wird eine
möglichst hohe Objektivität in der Bewerberauswahl erwartet.
Zudem wird bei den Beobachter/-innen auf eine geschlechtspezifische Ausgewogenheit sowie eine hierarchieübergreifende Zusammensetzung Wert gelegt.
Beiträge aus der Forschung
65
Einführung der Mitarbeiter
Inplacement-Veranstaltungen, Mentorensysteme, Coach etc.
Bemerkung:
Die Einführung und Einarbeitung neuer Mitarbeiter erhält leider
oft zu wenig Aufmerksamkeit. In der AWO-Bundesgeschäftsstelle
finden aus diesen Gründen regelmäßige Inplacement-Veranstaltung (Einführung in das Unternehmen) für Neue statt. Darüber
hinaus gibt es von der Geschäftsführung einen Leitfaden, wie die
neuen Kollegen zu „begleiten“ und einzuführen sind.
Regelmäßige Personalbeurteilung und Mitarbeitergespräche
Bemerkung:
Mitarbeiter-Gespräche, auch Zielgespräch oder Mitarbeiter-Entwicklungsgespräch genannt, ist das Basisinstrument der PE. Die
AWO-Bundesgeschäftsstelle hat hierfür einen Leitfaden für MAGespräche entwickelt, der als Grundlage für dieses Instrument gilt.
Qualifizierung von Mitarbeiter/-innen
Bemerkung:
Zum zentralen Kern der PE gehört die Fort- und Weiterbildung der
Mitarbeiter, vermittels derer die Qualifikationen und Kompetenzen erhöht bzw. weiterentwickelt werden sollen. Fort- und Weiterbildung können ein weites Spektrum inner- und außerbetrieblicher Maßnahmen umfassen. Auch wenn es auf der Hand liegt, so
gilt es dennoch immer wieder zu betonen, dass es zukünftig für
alle Unternehmen mehr denn je darauf ankommt, einen fortlaufend hohen Qualifikationsstandard der Mitarbeiter zu sichern,
gleichzeitig aber die Kosten der Weiterbildung in einem wirtschaftlich vertretbaren Rahmen zu halten sind. Dies kann durch ein kontinuierliches Bildungscontrolling gewährleistet werden, das u.a. mit
Hilfe unterschiedlicher Evaluationsverfahren die Verwertbarkeit
und Passgenauigkeit von Fortbildungsveranstaltungen misst und
bewertet.
Im Übrigen wird Fort- und Weiterbildung allgemein nicht länger
als eine „Bringschuld des Unternehmens“ betrachtet, sondern als
eine „gemeinsame Aufgabe von Arbeitnehmern und Arbeitgeber“.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal kurz auf die Ergebnisse
des Bildungsberichtes 2001 des BMBF eingehen. So wurde zum
Beispiel erforscht, dass spezifisches Fach- und Methodenwissen,
fachliche, methodische und soziale Fähigkeiten und Fertigkeiten
zu einem großen Teil erst am Arbeitsplatz erworben werden. Diese Aussage wird auch dadurch gestützt, dass der Anteil informellen Lernens am Arbeitsplatz im Verhältnis zu den zeitlichen Anteilen institutionalisierter Weiterbildung deutlich zunimmt. Es konnte
nachgewiesen werden, dass fachliche, methodische, soziale und
personale Kompetenzen in unterschiedlichem Ausmaß von der
Ausprägung lernförderlicher Merkmale der konkreten Arbeitsaufgabe und der Unternehmenskultur abhängen. Dies gilt es natürlich bei der zukünftigen Planung von beruflicher Fort- und Weiterbildung im Rahmen der PE mit zu berücksichtigen.
66
Beiträge aus der Forschung
Bei der Behandlung des PE-Themas kann der Fragekomplex der
Lohnsysteme nicht ausgeklammert werden. Generell trifft die Aussage zu, dass Aufstiegsmöglichkeiten und adäquate Entlohnung,
die Einrichtungen ihren Mitarbeitern bieten, Anreizfunktionen
beinhalten. In der Freien Wohlfahrtspflege hat sich das an den öffentlichen Dienst anlehnende Entlohnungssystem BAT als zunehmend problematisch erwiesen.
Die Kriterien für die Lohngestaltung sind daher sorgfältig mit Blick
auf die konkrete Situation in Unternehmen, Betrieben und Organisationen sozialer Dienstleistung und mit Blick auf die aktuelle
Form der Arbeitsorganisation, die Entwicklungsvorhaben und Unternehmensziele hin zu entwickeln und zu überprüfen.
Zusammenfassung
„Der einzige initiationsgeschützte Wettbewerbsfaktor ist die Qualität der Mitarbeiter, ihre Fähigkeit zu lernen und sich zu entwickeln sowie ihre Bereitschaft, diese Fähigkeiten für die Ziele des
Unternehmens einzusetzen“ (Seidel, 2000). Dieses Zitat macht
deutlich worauf es ankommt, wenn vom Erfolgsfaktor „Personalentwicklung“ die Rede ist. Wie diese Erfolgsstory aussehen kann,
mag exemplarisch an einem Beispiel verdeutlicht werden:
Kundenorientierung, Kundenzufriedenheit und Kundenbindung
sind zu Begriffen geworden, die sowohl in der Wissenschaft als auch
in der Praxis der Sozialwirtschaft engagiert diskutiert werden. „Die
ökonomische Wirkung einer hohen Kundenzufriedenheit mit einer erhöhten Kundenbindung werden dabei seit geraumer Zeit in
unterschiedlichen Studien belegt“ (Karges, 2000).
Dementsprechend ist ein kundenorientiertes Bewusstsein innerhalb der Sozialwirtschaft (der Freien Wohlfahrtspflege) erforderlich. PE kann durch Einzelmaßnahmen oder durch ein Bündel von
strategischen Instrumentarien dazu beitragen, das Personal zu
befähigen, entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben oder zu fördern, die dazu motivieren, kundenorientiert zu denken und vor allem zu handeln.
PE zielt in diesem Zusammenhang darauf hin, erforderliche Wertemuster und Fähigkeiten, wie z. B. Beratung, Freundlichkeit und
Vertrauen bei Mitarbeitern und Führungskräften zu generieren, um
hierdurch eine strategische Erfolgsposition zu besetzen. Dieses „Fähigkeitsbündel“ (Karges) weist auf die Bedeutung der PE für den
Erfolg der Unternehmensstrategie hin.
Ein professionelles Personalmanagement – insbesondere die PE –
bietet Chancen, organisatorische, fachliche und strategische Lücken zu schließen. Inwiefern die Chancen genutzt werden, steht
auf einem anderen Blatt.
Nebenbei:Eine Faustregel, die für unsere Führungsgrundsätze gilt,
sei auch übertragbar auf Personalverantwortliche und deren Handhabung von Personalentwicklung:
Beiträge aus der Forschung
67
„Achte darauf, ob etwas autoritär gefordert oder durch Vorbildfunktion gefördert wird!“
Um den Bogen zur Ausgangsfrage zu schlagen: Das „richtige“ Personal in der Freien Wohlfahrtspflege zu haben oder zu bekommen
hängt maßgeblich vom „richtigen“ Personalmanagement ab. Oder
anders herum: Wer falsche Analysen zum Zustand von Betrieben
macht, falsche Konsequenzen aus politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen zieht, wer falsche oder sträflicherweise gar keine Steuerungsmechanismen zur Effizienz und Effektivität von Unternehmen implementiert, der wird auch das „falsche“ Personal
rekrutieren, nämlich eines, das den Glauben erhält, Veränderungen seien vermeidbar.
Literatur
Arbeiterwohlfahrt, Bundesverband: Unveröffentlichte Arbeitsmaterialien,
Bonn 2000
Backhaus-Maul, Holger; Olk, Thomas: Vom Korporatismus zum Pluralismus? In: Lars Claussen (Hg.), Gesellschaften im Umbruch. Frankfurt
a.M., 1996
Beck, R./Birkle W.: Personalmanagement als quantitative und qualitative
Personalarbeit. FVL-Studienbrief. Berlin 2000
Beck, R./Schwarz G.: Personalmanagement – Tradition und aktuelle Herausforderung. FVL-Studienbrief. Berlin 2000
Beck, Martin: Wie entwickele ich mein Personal. In: Sozialmarkt, Januar
2001, S. 4-5
Brückers, Rainer: Erosion der Verbandsstrukturen durch Ausgliederung
Sozialer Betriebe? In: TuP 12/99
Bundesministerium für Bildung und Forschung: Berufsbildungsbericht
2001. Bonn 2001/2002
Karges, R.: Markt- und kundenorientierte Personalentwicklung. In: Handbuch Personalentwicklung. Köln 2000, S. 1-26
Kolhoff L./Kriegel M.: Führungskräfte-Personalentwicklung. In: Theorie und
Praxis der Sozialen Arbeit. Bonn 2002, S. 359 ff
Kretschmer Harriet: Personalentwicklung. Lehrgang des regio-team, Bildungsmanagement. Hölstein (CH), 2003
Kriegel, Michael: Passgenaue Personalentwicklungskonzepte sind gefragt.
Interview in: Praxisbuch SOZIALMANAGEMENT. Bonn/Berlin, 2002
Seidel, Gerhard: Die Rolle der Bildungsträger in der Welt von morgen. In
Handbuch Personalentwicklung. Köln 2000, S.1-23
68
Beiträge aus der Forschung
Wolfgang Herbertz, ver.di NRW Fachbereich Gemeinden
Die Qualität sozialer Dienstleistungen als Problem von
Dienstleistern, Politik und Arbeitnehmern – Ein
Kommentar
Die vorgestellten Zwischenergebnisse des Projektes sowie die darauf bezogenen Diskussionen im Rahmen des workshops haben sich
bisher im wesentlichen auf die Seite der Leistungsanbieter konzentriert. Mein Tätigkeitsfeld, die gewerkschaftliche Interessenvertretung im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung, weist zwar
nur wenige direkte Verbindungen zu den dargestellten betrieblichen Problemlagen in den verbandlich gebundenen Dienstleistungsorganisationen auf. Dennoch sind diese Informationen für
unsere Arbeit von großem Interesse. Mit der Forschungsabsicht
des Projekts „Vom Wohlfahrtssektor zur Sozialwirtschaft: Wandel
der Arbeitsbedingungen und Qualifikationsanforderungen in sozialen Diensten durch Wettbewerb und Kontraktmanagement“ ist
die Frage verknüpft, ob sich im Politikfeld der sozialen Dienstleistungen ein neuer qualitätsorientierter Regierungsstil (siehe Punkt
1) herausbildet und welche Probleme mit diesem Übergang verbunden sein könnten (siehe Punkt 2). Darüber hinaus lassen sich
erste Rückschlüsse auf Hindernisse bei der Mobilisierung von Ressourcen für eine qualitätsorientierte Dienstleistungspolitik ziehen
(siehe Punkt 3).
1.
Ein neuer Regierungsstil oder Entlastungsversuche
eines überforderten politischen Systems?
Die Thesen des Forschungsteams und die Referate, die die Verbandsvertreter während des workshops präsentierten, zeigen, dass
der Wandel im Feld sozialer Dienstleistungen mit einem erheblichen Druck zur Einführung betriebswirtschaftlicher Managementinstrumente verbunden ist. Dieser Druck resultiert aus einem gewandelten Verständnis von wohlfahrtsstaatlichen Aufgaben (Damkowski 2003, Schmid 2002) bzw. einem neuen Regierungsstil
(Hirsch 2001), der auch die kommunale Ebene einbezieht. Schlaglichtartig wird diese Neuorientierung gelegentlich als Übergang
von „government“ zur „public governance“ (Schuppert u. a. 2002,
Klenk 2003) beschrieben. Damit verbindet sich die Vorstellung eines politischen Managements, das spezifische staatliche, private
und gemeinwohlorientierte Ressourcen zur Lösung sozialer Probleme in neuen Governancestrukturen (Klenk 2003, Evers u.a. 2002)
zusammenführt. Mit dem Forschungsprojekt verknüpft sich aus
gewerkschaftlicher Sicht die Hoffnung, empirische Aufschlüsse
über die tatsächliche Leistungsfähigkeit dieses neuen Regierungsstils zu erhalten. Führt die gegenwärtige Entwicklung wirklich zu
kreativen politischen Lösungen oder bürdet das politisch-administrative System lediglich politische Probleme zur eigenen Entlastung anderen gesellschaftlichen Akteuren auf? Ich möchte
Beiträge aus der Forschung
69
zunächst das Phänomen der Verbetriebswirtschaftlichung von sozialen Dienstleistungen aufgreifen, das die Forscher beschreiben.
Dabei interessiert mich die Frage, wie diese Entwicklung zu erklären ist und wie sie die gesellschaftliche Funktion und die Qualität
sozialer Dienstleistungen beeinflusst.
2.
Dienstleistungen – Soziale Funktion,
gesellschaftliche Kosten, Qualitätsverantwortung
Ich werde zunächst die gesellschaftliche Funktion sozialer Dienstleistungen beschreiben und anschließend auf das Problem der
Kosten und der Qualität eingehen.
Die gesellschaftliche Funktion sozialer Dienstleistungen
In unserem Nachbarland Frankreich gibt es einen handfesten gesellschaftlichen Skandal. Auslöser sind die Folgen der sommerliche Hitzewelle. Sie kostete über 11000 älteren Staatsbürgern das
Leben. Etwa die Hälfte lebte in französischen Altenheimen. Auch
in Deutschland hat es so etwas gegeben; so etwa in Darmstadt
und Karlsruhe. Dem Anschein nach blieben die Fälle aber regional
begrenzt. Ein Aufschrei blieb in unserem Lande aus. Die Situation
wurde nicht als Krise empfunden. Noch - so ist zu vernehmen –
werde in Deutschland insgesamt mehr Geld für die Krankenpflege
ausgegeben, während man in einigen Nachbarländern lebensbedrohliche Gesundheitszustände älterer Menschen oft schon nicht
mehr ärztlich und/oder pflegerisch behandeln würde. Vor allem
aber sei in Deutschland die Ausbildung besser.
Der Fall Frankreich zeigt: Dienstleistungen halten soziale Systeme
zusammen. Sie sichern deren Funktionsfähigkeit selbst in Notfällen. Angelehnt an die Behandlung von Gemeinkosten in der Betriebswirtschaft könnte man die Kosten für soziale Dienstleistungen als Kosten der gesellschaftlichen Betriebsbereitschaft behandeln. Das aber führt zu einem Dilemma. Es ist nicht exakt zu bestimmen, welche Produktionskapazitäten vorgehalten werden
müssen, um auch in Krisensituationen handlungsfähig zu bleiben.
Das gilt für Unternehmen ebenso wie für komplexe Gesellschaften. Die französische Gesellschaft hat die Kosten für die Betreuung älterer Menschen in einer Ausnahmesituation zu niedrig angesetzt und muss nun die dramatischen Konsequenzen dieser Fehlkalkulation bewältigen. Deutschland war bereit, höhere Dienstleistungskosten gesellschaftlich zu akzeptieren und konnte die Notlage besser meistern. Es ist zu fragen, wie lange das noch zutreffen
wird. Die Forscher des Projektes berichten von einer sehr eingeschränkten Modernisierungsperspektive in sozialen Dienstleistungsorganisationen. Sie stellen in ihrer vorläufigen Bilanz fest,
dass Modernisierung nur auf der Mittelebene stattfindet (s. den
Beitrag von N. Wohlfahrt, These 10). Im Klartext heißt das: Durch
den politisch gewollten Wandel vom Wohlfahrtssektor zur Sozialwirtschaft werden die Dienstleistungsorganisationen faktisch zu
einer Fixierung auf betriebswirtschaftliche Kostengesichtspunkte
70
Beiträge aus der Forschung
gezwungen. Das untergräbt den öffentlichen Charakter sozialer
Dienstleistungen als Instrument der Funktionsfähigkeit des sozialen Systems.
Das Problem der (gesellschaftlichen) Kosten
Wie oben bereits angedeutet, ist aus meiner Sicht mit dem Projekt
zumindest implizit die Frage verbunden, wie ein Bestand an sozialen Dienstleistungen gesichert werden kann, der es erlaubt, auch
mit gesellschaftlichen Krisensituationen fertig zu werden. Dies ist
eine gesellschaftliche Aufgabe, die von den Dienstleistungsorganisationen allein nicht bewältigt werden kann. Statt einer Reformperspektive, die darauf abzielt, die Struktur eines problembezogenen Systems der Public Governance zu gestalten, scheint die Reform eher einseitig Versatzstücken neoliberaler Theorien des öffentlichen Handelns zu folgen. Das macht eine politisch gewollte
Reduktion auf die Kostenstrukturen der Dienstleistungsorganisationen verständlich.
An dieser Stelle ist eine Überlegung zur Behandlung von Dienstleistungskosten in Unternehmen und Gesellschaft nützlich. Dienstleistungen stellen immer eine kostenrechnerisches Problem dar.
Dies ergibt sich bereits aus ihren Eigenschaften als immaterielle
Güter (nicht übertragbar, nicht lagerfähig, nicht transportierbar).
Hinzu kommen die Probleme der Unsicherheit bezüglich der Bestimmung eines ausreichenden Dienstleistungspotenzials, das
auch Notfälle abdeckt. Mit der steigenden Bedeutung von Dienstleistungen in Unternehmen erhöht sich der Druck, entsprechende
Kosten verursachungsgerecht zuzuordnen. Dies aber wäre Voraussetzung eine wichtige Voraussetzung für Kosteneffizienz. Kostenrechner in Wirtschaftsunternehmen haben mittlerweile Methoden
wie die Gemeinkostenwertanalyse oder die Prozesskostenrechnung entwickelt, die allerdings recht kompliziert und aufwendig
zu implementieren sind. Das Problem bleibt in der Betriebswirtschaft aktuell.
Auf gesellschaftlicher Ebene stellt sich das Problem ähnlich dar. Es
ist unmöglich, ein kosteneffizientes Niveau für öffentliche Dienstleistungen festzulegen. Neoliberale Ökonomen sprechen von dem
Unvermögen, eine „social welfare function“ zu bestimmen. Das
Problem der verursachungsgerechten Kalkulation von Dienstleistungskosten in Privatunternehmen wird andererseits heruntergespielt. Für Unternehmen kann zumindest im theoretischen Modell eines vollkommenen Marktes eine optimale Kosten/Nutzenfunktion kalkuliert werden. Deshalb steht öffentliche Dienstleistungsproduktion für Neoliberale generell unter Verschwendungsverdacht (Dunleavy 1987). Es liegt demnach nahe, soziale Dienstleistungen von Organisationen bereitstellen zu lassen, denen man
Kosteneffizienz unterstellt. Das gilt für Wirtschaftsunternehmen
per se, obwohl die empirischen Befunde der Sozialwissenschaften
diese Vermutung keineswegs stützen (z.B. Kühl 2002). Für gemeinnützige Organisationen entsteht so ein erheblicher Druck, sich
Wirtschaftsunternehmen durch die Übernahme von Managementkonzepten möglichst anzuähneln.
Beiträge aus der Forschung
71
Und wo bleibt die Qualität?
Eine qualitätsbezogene öffentliche Politik müsste demgegenüber
den Gesamtzusammenhang zwischen effizienzsteigernden Maßnahmen in der Dienstleistungsorganisation, die Kooperationsbeziehungen der Dienstleister mit anderen Anbietern und Kunden/
Klienten sowie die politischen Steuerungsstrategien und Instrumente in den Blick nehmen. Dies geschieht in der gegenwärtigen
Situation nicht. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe, die sich gegenseitig bestärken:
• In der Bundesrepublik - darauf weist der Begriff „Wohlfahrtssektor“ hin - hat es im Bereich der sozialen Dienstleistungen
schon immer eine mixed economy of welfare gegeben, deren
Ergebnisqualität sich öffentlicher Aufmerksamkeit und Kontrolle in einem beträchtlichen Ausmaß entzog. Umgekehrt stand
Dienstleistungsqualität nicht im Zentrum sozialstaatlicher
Steuerung und Regulierung. Die aktuellen Vorgaben im Rahmen der sogenannten Gesundheitsreform setzen diese Tradition fort. Obwohl Qualitätssteigerungen nur durch Strukturreformen erreicht werden könnten, die die Leistungserbringer
in ein qualitätssicherndes Governancesystem einbinden, halten deutsche Reformer diesbezüglich an ihrer ordnungspolitischen Abstinenz fest.
• Die Ausblendung von Qualitätsaspekten zugunsten der betrieblichen Kostenperspektive könnte durch „Kontraktmanagement“
noch unterstützt werden. Dieser Begriff aus dem Vokabular des
„New Public Management“ suggeriert öffentliche politische
Handlungsfähigkeit selbst dort, wo diese schon gegen Null tendiert. Gegenwärtig sind vor allem die Kommunen von leeren
Kassen geplagt. In Zeiten öffentlicher Armut ist die Gefahr groß,
dass Kontraktmanagement als bloße Kostenschraube begriffen und gehandhabt wird, die man bei den um die knappen
Fördertöpfe konkurrierenden Dienstleistungsorganisationen
bis zur äußersten Schmerzgrenze anzieht.
Wenn die Kosten- und die Qualitätsproblematik als reines Problem
der Leistungserbringer behandelt werden kann, entlastet dies das
politisch-administrative System kurzfristig. Mittelfristig blockiert
dieses Vorgehen soziale Ressourcen zur Absicherung der Dienstleistungsqualität.
3.
Negative Auswirkungen der Kostenfixierung auf
Qualitätsressourcen – Drei Einwände
Die Engführung von Reformperspektiven im Sinne einer einseitigen Betonung der Kosten/Mittelebene könnte mit einem hohen
politischen Preis verbunden sein, weil Möglichkeiten der Mobilisierung zusätzlicher Ressourcen systematisch verstellt werden.
Erstens erfasst eine eingeengte Kostenperspektive den besonderen Charakter des Dienstleistungsprozesses und die damit verbundenen Managementprobleme nur ungenügend. In der Folge geraten insbesondere die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
72
Beiträge aus der Forschung
sozialen Dienstleistungsorganisationen unter Druck. Dadurch werden die Voraussetzungen zur Produktion qualitativ hochwertiger
sozialer Dienstleistungen weiter verschlechtert. Zweitens vernachlässigt der Fokus auf betriebswirtschaftliche Prozesse den Gesamtkontext, in dem soziale Dienstleistungen produziert und konsumiert werden. Dies führt zur Blockade gesellschaftlicher Problemlösungsressourcen. Drittens verstärkt der Kostendruck die seit vielen Jahren zu beobachtende gesellschaftliche Tendenz, Frauenarbeit insbesondere im Bereich der sozialen Dienstleistungen niedriger zu bewerten als vergleichbare immaterielle Arbeit in anderen Arbeitsmarktsegmenten und stoppt so den notwendigen Prozess der Professionalisierung der sozialen Dienstleistungsarbeit.
Ich will diese drei Einwände abschließend näher ausführen:
• Dienstleistungen sind immaterielle Güter. Ihre Produktion und
Konsumtion fallen zeitlich zusammen. Es handelt sich also um
einen Interaktionsprozess zwischen den Dienstleistungsproduzenten und den Konsumenten. Die Qualität dieser Interaktion
bestimmt die Qualität des Dienstleistungsergebnisses. Der Arbeitsprozess im Bereich sozialer Dienstleistungen ist darum
nicht trennbar von der Interaktion mit dem Kunden. Dies gilt
nicht nur für soziale Dienstleistungen. Auch in der zunehmend
marktnäher arbeitenden Industrie oder bei der Softwareprogrammierung geht es nicht mehr ohne kundenorientierte
Dienstleistungen. Die fachliche bzw. technische Arbeit wird mit
der Beziehungsarbeit am Kunden/Klienten zu einer professionellen Tätigkeit verbunden. Im sozialen Dienstleistungsbereich
wird v.a. die Forderung nach der personenbezogenen Vernetzung aktivierender Hilfen den Dienstleistungsprozess komplexer machen und die Interaktion zwischen den Dienstleistenden und den Kunden intensivieren. Während so die gesellschaftliche Bedeutung professioneller Beziehungsarbeit wächst, führt
gleichzeitig der Kostendruck zu einer Tendenz, insbesondere die
Personalkosten zu reduzieren. Das bedeutet: Hohe Dienstleistungsqualität soll sich nicht mehr in einem entsprechenden
Entgelt für die Dienstleistenden niederschlagen. Ich sehe hier
die tieferliegende Quelle der gängigen Kritik am BAT und gleichzeitig die Gefahr einer konfliktorischen Zuspitzung. Die Gewerkschaft ver.di verschließt sich nicht der Forderung nach einer
Modernisierung des BAT. Im Gegenteil, mit den öffentlichen Arbeitgebern ist ein Modernisierungsprozess vereinbart. Kaum
akzeptabel ist jedoch die Zumutung an professionelles Personal, sich tarifvertraglich „unter Wert“ zu verkaufen.
• Will man die Verantwortung für die Dienstleistungsproduktion exklusiv in den betrieblichen Bereich von sozialen Dienstleistungsorganisationen verschieben, entsteht die Gefahr, dass
gesellschaftliche Problemlösungsressourcen blockiert statt
mobilisiert werden. Dies betrifft zunächst jene Dienstleistungen, die durch die öffentliche Hand nicht mehr bereitgestellt
werden und privatisiert bzw. auf gemeinnützige Organisationen übertragen werden sollen. Ein staatlicher Rückzug aus der
direkten Dienstleistungsproduktion führt nicht automatisch zu
neuen problembezogenen Governancestrukturen. So wird
Beiträge aus der Forschung
73
durch den Rückzug das Element Markt u.U. sogar suboptimal
entwickelt. Nicht nur fehlen am Ende des Prozesses kompetente
öffentliche Wettbewerber. Die gemeinnützigen Verbände werden ebenfalls geschwächt. In diesem Zusammenhang befürchten die Forscher eine Schwächung der Funktion gemeinnütziger Verbände als „Idealverein“ und Sozialanwälte (vgl. den Beitrag von N. Wohlfahrt). Ich gehe darüber hinaus davon aus, dass
mit der Relativierung weltanschaulicher Bindungskraft auch
Probleme bei den Bemühungen entstehen werden, zusätzliche
lebensweltliche Ressourcen in der Form von Ehrenamtlichkeit
für die Produktion sozialer Dienstleistungen zu erschließen und
diese mit professionellen Dienstleistungen sinnvoll zu koppeln.
Insofern wird die Chance der Einbindung des sogenannten Sozialkapitals in neue Governancestrukturen misslingen. Dies
bestätigt die Ergebnisse international vergleichender Forschungen, nach der ein aktiver Wohlfahrtsstaat die Voraussetzung
für die erfolgreiche Mobilisierung von Gemeinwohlkapitalressourcen ist (Putnam 2001). Insbesondere das Drama der Gemeindefinanzreform zeigt aus meiner Sicht, wie weit sich die
öffentliche Politik in Deutschland von solchen Gedanken entfernt hat. Die Gewerkschaft ver.di hat in NRW gemeinsam mit
gemeinnützigen Wohlfahrtsverbänden und anderen gesellschaftlichen Akteuren das Bündnis „Soziale Bewegung“ geschlossen, um solchen zivilgesellschaftlichen Argumenten und
Zielen in der politischen Auseinandersetzung wieder Geltung
zu verschaffen.
• Schließlich ist ein zentrales gesellschaftliches Problem mit den
Versuchen verbunden, Ressourcen für kostengünstige Dienstleistungsarbeit zu erschließen. Soziale Dienstleistungsarbeit
besteht in erster Linie in der Herstellung und Stabilisierung zwischenmenschlicher Kontakte, Kommunikation und Interaktion.
Dienstleistungsarbeit produziert generell Affekte und soziale
Kohärenz. Sie gilt deshalb in marketinggeleiteten Organisationen als ein relevanter Bestandteil der Wertschöpfungskette.
(Hardt 2002) Die Frauenforschung hat auf die strukturelle Ähnlichkeit solcher affektiven Tätigkeiten mit der traditionellen
Frauenarbeit im Bereich der personenbezogenen Dienste hingewiesen. (Möller o.J.) Beziehungsarbeit von Frauen ist jedoch
nicht selten niedrig bezahlte oder unbezahlte Arbeit. Man kann
hier von einer neuen Qualität geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung im Sinne einer sozialen Spaltung reden. Das Anziehen
der Kostenschraube in sozialen Dienstleistungsorganisationen
wird zu Versuchen führen soziale Dienstleistungsarbeit wieder
zu „entprofessionalisieren“, um Frauen verstärkt in Niedriglohnsegmenten beschäftigen zu können. Dieser Versuche einer
weiteren gesellschaftlichen Abwertung der sozialen Dienstleistungsarbeit von Frauen steht im Widerspruch zur Aufwertung
affektiver Arbeit (kommunikativer und sozialer Kompetenzen)
in den Führungsebenen der privaten Wirtschaft. Es steht zu
erwarten, dass sich die unterschiedliche Bewertung von Dienstleistungsarbeit im sozialen Dienstleistungssektor reproduziert.
In seinen Thesen scheint das Projektteam diese Befürchtung in
74
Beiträge aus der Forschung
Ansätzen zu bestätigen, wenn es auf eine sich abzeichnende
Polarisierung von (männlicher) Managementtätigkeit und
(weiblicher) ausführender Arbeit hinweist (s. dazu den Beitrag
von G. Kühnlein).
Literatur:
Damkowski, W.; Rösner, A. (2003): Auf dem Weg zum Aktivierenden Staat.
Vom Leitbild zum umsetzungsreifen Konzept. Berlin
Dunleavy, P; O´Leary, B. (1987): Theories of the State. The Politics of Liberal
Democracy. Houndsmills et.al. (MacMillan)
Evers, A.; Rauch, U. u.a. (2002): Von öffentlichen Einrichtungen zu sozialen
Unternehmen. Hybride Organisationsformen im Bereich sozialer
Dienstleistungen. Berlin
Folke Schuppert, G.; Neidhardt, F. (2002) Gemeinwohl – Auf der Suche nach
der Substanz. (WZB-Jahrbuch 2002) Berlin
Hardt, M. (2002): Affektive Arbeit. (www.mur.at)
Hirsch, J.; Jessop, B. u.a. (2001): Die Zukunft des Staates. Hamburg
Kühl, St. (2002): Exit. Wie Risikokapital die Regeln der Wirtschaft verändert. Frankfurt/New York
Klenk, T.; Nullmeier, F (2003): Public Governance als Reformstrategie. Düsseldorf
Möller, C. (o.J.): Immaterielle Arbeit. Die neue Dominante in der Wertschöpfungskette. (www.labournet.de)
Putnam, R.D. (Hrsg.) (2001): Gesellschaft und Gemeinsinn. Sozialkapital
im internationalen Vergleich. Gütersloh
Reis, C.; Schulze-Böing, M, (1998): Planung und Produktion sozialer Dienstleistungen. Berlin
Schmid, J. (2002): Wohlfahrtsstaaten im Vergleich. Opladen
Beiträge aus der Forschung
75
Hejo Manderscheid, Diözesan-Caritasverband Limburg
Was bedeutet Werteorientierung für die
modernisierte Freie Wohlfahrtspflege?
Ansätze und Perspektiven für eine Modernisierung der
nichtökonomischen Interessen von Wohlfahrtsverbänden
Als Bilanz aller im Rahmen des Forschungsprojektes „Vom Wohlfahrtsstaat zur Sozialwirtschaft“ durchgeführten Interviews wird
im vorgelegten Thesenpapier eine halbierte Modernisierung der
Freien Wohlfahrtspflege diagnostiziert. Darunter wird eine einseitige Modernisierung der ökonomischen Funktionen der Träger sozialer Einrichtungen verstanden, der zugleich verbands- und trägerpolitisch ein Festhalten an korporatistischen Strukturen und
Zielen gegenübersteht. Damit wächst das Interesse an Perspektiven für die entsprechende Modernisierung dieser nicht primär sozialwirtschaftlich determinierten Verbandsarbeit und -politik.
Aus der Perspektive des Caritasverbandes für die Diözese Limburg
e.V. will ich die These der halbierten Modernisierung zunächst durch
Praxisbeobachtungen untermauern, einige Auswirkungen dieser
gegenwärtigen Modernisierungsprozesse auf die MitarbeiterInnen
skizzieren und anschließend Ansätze einer Modernisierung der
Verbandspolitik auf Diözesan- und Landesebene darstellen, die
neben den sozialwirtschaftlichen auch nicht-ökonomische, primär
also werteorientierte Interessen in den Blick nimmt.
Bei alldem liegt der Akzent auf einer spezifischen Perspektive aus
dem Blickwinkel eines (quasi) Landesverbandes. Dies kann dazu
beitragen, in der Diskussion um Modernisierungsprozesse der Freien Wohlfahrtspflege zwischen den verschiedenen Ebenen der jeweiligen Verbände (Ortsebene als Trägerorganisation, Landes- und
Bundesebene als Dach- und Spitzenverband) zu differenzieren. Die
gegenwärtigen Modernisierungsprozesse verlaufen nämlich innerhalb der Verbände zwischen den Organisationsebenen durchaus
unterschiedlich, mitunter auch äußerst widersprüchlich.
1.
Beobachtungen zur halbierten Modernisierung
Die durch den Trend zur Sozialwirtschaft sich wandelnden Anforderungen an das Management sozialer Einrichtungen führen zu
Veränderungen sowohl in den Organisationsstrukturen der Einrichtungsträger selbst, wie auch in ihren Kooperationsbeziehungen zu
ihren spitzenverbandlichen Dachorganisationen.
76
Beiträge aus der Forschung
1.1
Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird
ausschlaggebendes konstitutives Merkmal für Zahl
und Größe von Trägerorganisationen
Die Caritasstrukturen sind über viele Jahre hinweg vorrangig nach
dem Prinzip der Präsenz in der Fläche, parallel zu den kirchlichen
Strukturen auf- und ausgebaut worden. In den letzten Jahren sind
deutliche Konzentrationsprozesse zu beobachten, die insbesondere
kleinere Organisationseinheiten zugunsten größerer leistungsfähiger Strukturen zurückdrängen. Konkurse bzw. drohende Konkurse
begünstigen vielerorts Betriebsübergänge oder Fusionen in größere Verbandseinheiten oder die Ausgründung in neue leistungsfähigere Strukturen wie etwa Bistums- oder landesweite Stiftungen oder GmbHs. Leider stehen für die Bundesebene der Caritas
keine entsprechenden Zahlen als Beleg zur Verfügung – ich gehe
aber davon aus, dass die Anzahl der Träger bei wachsenden Zahlen
von Einrichtungen und Diensten kontinuierlich zurückgeht. Im Bistum Limburg wird die Zahl der örtlichen Caritasverbände derzeit
von 10 auf 8 reduziert, örtliche Vereine als Träger von Einrichtungen haben sich aufgelöst und die Einrichtungen in die bestehenden Verbände integriert. Diese Tendenzen dürften eher den Beginn
als den Abschluss eines nachhaltigen Konzentrationsprozesses
darstellen.
1.2
Die Träger wachsen im Sektor der Sozialwirtschaft
und schrumpfen bei den Basisaktivitäten und
sozialen Diensten
Innerhalb der Trägerorganisationen kommt es durch eine neue Gewichtung der Einrichtungstypen zu Veränderungen ihrer Schwerpunktsetzungen. Die sogenannten „marktfähigen Einrichtungen“
machen einen immer größer werdenden Teil des Umsatzes aus,
umfassen die größere Anzahl von MitarbeiterInnen und beanspruchen ein höheres Maß an Managementkompetenz und Aufmerksamkeit in der strategischen Steuerung als die übrigen eigen- und
zuschussfinanzierten Dienste. Die sozialunternehmerischen Aktivitäten der Träger folgen einer spezifisch sozialwirtschaftlichen
Logik. Ähnliche Tendenzen spielen sich in den „nicht-marktfähigen“
Diensten dort ein, wo Kostenträger differenzierte Leistungsverträge einführen. In der Sozialwirtschaft unterliegt die Qualität und
der Erfolg der sozialen Arbeit somit immer stärker den alleinigen
Kriterien von Wettbewerb und Kostendeckung, im leistungsfinanzierten übrigen Bereich unterliegt sie der Qualitätsüberprüfung
durch die Kostenträger und nurmehr in einem immer geringer
werdenden Restsektor unterliegt die soziale Arbeit überwiegend
den wertorientierten Erfolgs- und Qualitätskriterien des Trägers.
Innerhalb der Caritasverbände im Bistum Limburg (sicherlich nicht
nur dort) werden diese Prozesse begünstigt durch die Umstellung
einer ehemals stellenbezogenen Förderung der Caritasarbeit durch
Kirchensteuerzuwendungen (= Eigenmittel) auf eine institutionelle
Förderung, die den Trägern die Verwendung der Mittel freistellt.
Beiträge aus der Forschung
77
Dies hat den Weg freigemacht zur abschließenden Kostenstellenrechnung mit einer lückenlos verursachungsgemäßen Zuordnung
aller Kosten über alle Einrichtungstypen hinweg. Wo also früher
vermeintlich ausfinanzierte Basisdienste existierten, weist heute
die Gewinn- und Verlustrechnung die Zuschussbedarfe aus.
Damit geht auch die jahrzehntelange Praxis von offener oder verdeckter Quersubventionierung innerhalb der Trägerorganisation
zu Ende. Als Konsequenz wird die Herausbildung geschäftsfeldspezifischer und damit unterschiedlicher strategischer Steuerungslogiken unausweichlich. Früher trafen beispielsweise wirtschaftliche
Einbussen – etwa die Kürzung von Kirchensteuerzuschüssen – prinzipiell alle Personalstellen in einem Verband gleichermaßen. Heute ist es so, dass es innerhalb des gleichen Verbandes prinzipiell
MitarbeiterInnen unterschiedlicher Kategorien gibt. Ein genereller Stellenstopp für alle Einrichtungen macht keinen Sinn mehr. Es
ist vielmehr an der Tagesordnung, dass Verbände in einigen Geschäftsfeldern expandieren und gleichzeitig in anderen schrumpfen. Entsprechend wird personalwirtschaftlich unterschiedlich verfahren. Als Folge bedarf es für die Aufrechterhaltung einer
Dienstgemeinschaft in einem Verband besonderer Anstrengungen.
Analog dieser Partialisierung von Mitarbeitern innerhalb der Trägerorganisation - sichere und prinzipiell krisenanfällige Arbeitsplätze bei gleichen Arbeitsverträgen und gleichem Tarifsystem kommt es auch zu Partialisierungen von Ortsverbänden. Deren
Entwicklung ist maßgeblich von der Refinanzierung durch örtliche Kostenträger bzw. der auf der Basis von Konkurrenz abhängigen Chance zur Erzielung kostendeckender Entgelte abhängig. Eine
koinzidente, gewissermaßen gleichförmige Entwicklung von Ortsverbänden in einem Bistum ist nahezu ausgeschlossen.
1.3
Aufbau eines mittleren Managements auf
Ortsebene
In den örtlichen Verbänden ist ein steter Auf- und Ausbau des sogenannten mittleren Managements (Abteilungsleitungen) zu beobachten. Über viele Jahre hinweg gab es eher flache Organisationsstrukturen: Geschäftsführer – Einrichtungsteams – mitunter
auch -leitungen. Die Dachverbände haben mit ihren Fachreferenten viele Aufgaben der fachlichen Begleitung und Qualifizierung
wie auch der wirtschaftlichen Beratung wahrgenommen. Die Modernisierung in den 70er Jahren brachte in den Ortsverbänden die
typische Konstruktion des sogenannten „Leitenden Sozialarbeiters“. Neben der Verwaltungsleitung (sofern die nicht ebenfalls von
der Geschäftsführung in Personalunion wahrgenommen wurde)
etablierte sich also unterhalb der Geschäftsführung eine (weitere) fachliche Leitungsebene. In den letzten Jahren kommt es nun
zu einem weitergehenden Ausbau der Funktion des leitenden Sozialarbeiters in Abteilungsleitungen, deren Professionalität für die
geänderten Anforderungen des Managements unabkömmlich
sind.
78
Beiträge aus der Forschung
Für die MitarbeiterInnen bedeutet das, dass sie sehr viel stärker
als früher in ihrer Arbeit externen Evaluierungen unterliegen. Die
Freiräume sind deutlich begrenzter. Soziale Arbeit findet sehr viel
stärker als früher unter unmittelbarer Dienst- und Fachaufsicht
sowie unter Kriterien von Effizienz und Wirtschaftlichkeit statt. Die
Definition von Qualität wird vermehrt nicht mehr den MitarbeiterInnen selbst überlassen.
Des weiteren verändern sich mit der Etablierung eines mittleren
Managements die Beziehungen zwischen Orts- und Dachverband.
Der Fachreferent des Dachverbandes muss stärker als früher mit
einrichtungsübergreifenden Leitungspersonen kooperieren als
unmittelbar mit den Fachkräften.
1.4
Sinkende Eigenanteile in der Finanzierung
verstärken die Abhängigkeit von Kostenträgern
In den Caritasverbänden im Bistum Limburg sind etwa 85% aller
Aktivitäten dem Bereich der Sozialwirtschaft zuzuordnen. Es handelt sich dabei um entgeltfinanzierte Dienste und Einrichtungen;
15% der Aktivitäten sind Basisaktivitäten und soziale Dienste. Es
gibt also eine deutliche Dominanz der Sozialwirtschaft, die damit
natürlich auch eine herausragende Bedeutung für die wirtschaftliche Basis der Verbände darstellt. In der Refinanzierung der 15%
nicht sozialwirtschaftlichen Aktivitäten schlagen die Eigenmittel
aus Kirchensteuerzuschüssen durchschnittlich mit ca. 30% zu Buche. Letztere sind deutlich rückläufig. Auf die Gesamtcaritas bezogen tendiert der Anteil der Kirchensteuermittel an der Finanzierung in Richtung 5%.
1.5
Auswirkungen auf das Verhältnis Orts- zu
Diözesanebene
Mit der wachsenden Autonomie der örtlichen Ebene durch leistungsfähigere Strukturen, höhere Refinanzierung über Entgelte
und stärkere Abhängigkeiten vom lokalen Markt wie auch der kommunalen Haushalte wachsen Konflikte mit dem Anspruch des Diözesanverbandes auf Steuerung und Aufsicht. So werden zum einen die alten Aufsichtsinstrumente und –rechte immer weniger
akzeptiert, weil diese vor allem in ihrer punktuellen Intervention
(Genehmigung von Haushalts- und Stellenplänen, von Investitionen, von Rechtsprozessen u. ä.) einem sozialwirtschaftlichen Untenehmen nicht mehr gerecht werden. Ferner wird die Wahrnehmung der Interessenvertretung auf der überörtlichen Landesebene kritisch betrachtet, wenn solche Verhandlungen nicht basismandatiert verlaufen. Fachlich geht es hier also um die Kündigung des
Landesreferenten als Obersozialarbeiter und die Kündigung der
Haushaltsaufsicht als intervenierende und kontrollierende punktuelle Eingriffsgenehmigung.
Beiträge aus der Forschung
79
2.
Die Aporien im ausbalancierten System CaritasKirche-Sozialstaat wachsen
Die zentrale Aufgabenstellung von NPO´s liegt in der Herausforderung, tendenziell nicht kompatible Systemumwelten (Wirtschaft
– Soziales – Religion) im eigenen System so auszubalancieren, dass
Sinn- und Wertorientierung der Organisation gegenüber ihrer
Umwelt allgemein und insbesondere gegenüber ihren unmittelbaren Referenzsystemen behauptet und aufrecht erhalten werden
kann. Deshalb können sich NPO´s oftmals viel besser negativ beschreiben, also was sie alles nicht sind, als positiv: bspw. kein Wirtschaftsunternehmen, kein Staat, keine fundamentalistische Kirche
etc. Diese Negativdefinition lässt in der Organisation einen breiten Gestaltungsraum, der von MitarbeiterInnen auch schon immer
als attraktiver Freiraum anerkannt wird. Diese Uneindeutigkeit war
über lange Jahre zugleich Stärke und Schwäche der NPO´s allgemein wie auch der Caritasverbände.
Derzeit sieht es so aus, dass die veränderten Rahmenbedingungen
eine solche unbestimmte und damit eine wertorientierte Eigendefinition ermöglichende Sinnkonstruktion immer weniger ermöglichen. Die Durchsetzung der Sozialwirtschaft verlangt eine Selbstdefinition als wirtschaftliches Unternehmen und verbietet tendenziell die gleichzeitige Verfolgung davon abweichender Interessen,
weil sonst die wirtschaftliche Basis des Unternehmens gefährdet
wird. Damit wachsen allerdings die Konflikte zwischen den Wohlfahrtsverbänden und den Organisationen der Milieus, aus denen
sie hervorgegangen sind. Dies wird in der Regel thematisiert als
Konflikt zwischen Idealverein und Trägerorganisation.
In der Caritas zeigen sich solche wachsenden Aporien bspw. in folgenden Symptomen:
Die sozialwirtschaftliche Logik verlangt zur Aufrechterhaltung der
Wettbewerbsfähigkeit eine andere Allokation von Unternehmensstrukturen als dies eine Pastoralstruktur verlangt, die kirchliche
Grundfunktionen flächendeckend absichern soll. Somit wird es
immer schwieriger, Caritas- und Kirchenstrukturen parallel zu organisieren. Die Pfarrei ist keine Größe für die Entscheidung, ob hier
eine Trägerorganisation wirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht.
Im Zuge der Ökonomisierung der früher gemeindlichen Sozialstationen sinkt die Bereitschaft der Kirchengemeinden, für ihre Sozialstationen Förderkreise aufzubauen und regelmäßig zu spenden.
Sozialwirtschaft und Spendenunterstützung passen mental nicht
zusammen. Es wird eher Entfremdung als Solidarität wahrgenommen.
Die Partialisierung – also wachsende Autonomie örtlicher Träger
bzw. größerer Trägereinheiten gegenüber den Dachverbänden auf
Bistums- und Bundesebene - verschärft die Diskussion um die
Durchsetzung eines Markenschutzes.
Die Bereitschaft der Bistümer als Konkursabwender in die Bresche
zu springen sinkt drastisch. Ebenso sinkt die Bereitschaft, für Investitionen der Caritas kirchliche Eigenmittel oder Vermögen
80
Beiträge aus der Forschung
(Grundstücke) zur Verfügung zu stellen. So wie in den Trägerorganisationen selbst, verschwinden auch zwischen Kirche und Caritas
die Unzahl verdeckter Subventionen.
Auf der Hintergrundfolie dieser Entwicklungen wächst naturgemäß die Herausforderung, das, was sich sozialwirtschaftlich abspielt, weiterhin als typisch kirchlich zu definieren. Die Abbrüche
zum traditionellen Selbstverständnis wachsen auch in den gerade
derzeit neu entstehenden arbeitsrechtlichen Grundsatzdiskussionen zur Weiterentwicklung des 3. Weges. Mit dem Aufbrechen der
Tarifsystematik des öffentlichen Dienstes, der sukzessiven Einführung von Branchen- und Regionaltarifen, gerät die Arbeitsrechtliche Kommission des Caritasverbandes unter Druck, der inzwischen
seit längerer Zeit zu einer ausweglosen Reformunfähigkeit führt
und die Einführung neuer Regelwerke in eigens ausgegründeten
Teilunternehmen befördert.
Im bundesrepublikanischen Sozialstaatsverständnis ändert sich
zudem das für die Wohlfahrtsverbände seit ihrer Gründung fundamentale Verständnis von der Notwendigkeit pluraler Angebote.
Für die relativ homogene Großgruppengesellschaft bis in die 60er
Jahre war das Wunsch- und Wahlrecht eine folgerichtige Ableitung:
jeder sollte die Einrichtung wählen können, die seinem Wertemilieu entsprach. In einer weitgehend individualisierten Gesellschaft
verändert sich dieses Postulat und stützt nun nicht mehr primär
die Freiheit des Trägers, sein Angebot wertorientiert für die Klientel gestalten zu können, die dies so in Anspruch nehmen will. Vielmehr verlangt das neue Verständnis von jedem Träger grundsätzlich eine bedarfgerechte Ausgestaltung seiner Dienstleistungen
mit individuell auszuarbeitenden Hilfeplänen. Die Wertorientierung lässt sich also immer weniger in der spezifischen Ausgestaltung des Angebots realisieren, wenn Kundenzufriedenheit von
Seiten des Klienten und Effektivität und Effizienz von Seiten des
Kostenträgers zu den obersten Qualitätsmerkmalen werden.
3.
Wie reagieren die Dachverbände?
Seit den 90er Jahren hat die Frage nach einer Optimierung der Steuerung sozialer Arbeit zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dies
erfolgte vor allem im Zuge der Finanzkrise der öffentlichen Haushalte und verfolgte vorrangig die Absicht, die Sozialetats der Kommunen in den Griff zu bekommen. Innerhalb der Wohlfahrtsverbände wird die Frage der Steuerung in einem etwas anderen Kontext thematisiert: sie stellt sich hier eher im Gewand der Frage
nach der Konstruktion von Profil, der Aufrechterhaltung von Systemgrenzen und erkennbarer Wertezugehörigkeit. Wie oben
bereits angedeutet, vollzieht sich in gewisser Analogie zum gesellschaftlichen Prozess der Individualisierung ein Prozess der Partialisierung, also des Auseinanderfallens der Großverbände – sowohl
schmelzen die Solidaritäten zwischen Bundes-, Bistums- und Ortsebene, zwischen örtlichen Trägern und großen caritativen Unternehmen, wie auch zwischen verfasster Kirche und Verband. In Anlehnung an die Individualisierungsthese von Ulrich Beck könnte
Beiträge aus der Forschung
81
man auch hier von Prozessen der Auflösung traditionaler Einbindungen und der Freisetzung sprechen. Damit verbunden ist die
Herausbildung neuer Muster von Wiedereinbindung in nunmehr
institutionsabhängigen Individuallagen. Freigesetzt aus dem Wertemilieu und der Einbindung in Kirche finden sich Caritasträger
nunmehr in neuer Einbindung und Abhängigkeit in die Logik der
Sozialwirtschaft.
Die Reaktionsmuster der Dachverbände lassen sich u.a. auf der Folie
dessen, wie sie sich Wiedereinbindung (Integration) als Steuerung
erklären bzw. vorstellen, in etwa folgender Weise systematisieren:
Es gibt nach wie vor viele, die an die Steuerungsfähigkeit durch
entsprechende Maßnahmen glauben; es gibt eine weitere Gruppe, die sich umorientiert und daran arbeitet, dass die Dachverbände sich strikt dienstleistungs- und kundenorientiert neu gestalten,
sich somit also gewissermaßen von unten steuern lassen und es
gibt eine weitere Strategie, die vom systemischen Verständnis her,
von der Erkenntnis ausgeht, dass sich komplexe Systeme selbst entwickeln und dass man diese Entwicklung bestenfalls durch Störungen beeinflussen kann – nicht aber steuern oder gar beherrschen kann. Die Literatur spricht hier mitunter auch von kontextueller Steuerung. Ausgehend von diesen Prämissen sind u.a. folgende Modernisierungsstrategien zu beobachten:
3.1
Verstärken der Steuerungsphilosophie
Auf Bistums- wie auf Bundesebene lassen sich Merkmale einer
defensiven Modernisierung in Form der Stärkung einer Steuerungsphilosophie beobachten, die grundlegend von der Prämisse ausgeht, die durch sozialwirtschaftliche Rahmenbedingungen sich
partikularisierende Basis wäre durch Nachbesserungen der Steuerungsinstrumente und –verfahren nach wie vor erfolgreich zentralistisch steuerbar. So gibt es auf Bundesebene Versuche, die Illusion eines Gesamtvereines, der quasi Konzernstruktur habe, zu
stärken; es wird über die Stärkung von Verbindlichkeit für alle Gliederungen des Verbandes, über Ausschlusskriterien für Mitglieder
und über nachhaltigen Markenschutz diskutiert. Die Bischöfe erarbeiten neue Kriterien für eine wirksamere Aufsicht der Caritasorganisationen.
In der Schaffung zentraler Instanzen bspw. der Qualitätssicherung
bzw. der Zertifizierung werden neue Formen einer zentralen Steuerung gesucht. In der Tradition früherer bundeszentraler Fachkonzepte entwickeln manche Verbände heute Qualitätshandbücher
mit dem Anspruch, dass diese für alle Ebenen des Verbandes Verbindlichkeit besitzen sollen.
3.2
Verstärkung der Dienstleistungsphilosophie
Daneben lassen sich Merkmale einer stärkeren Dienstleistungsausrichtung der Dachverbände beobachten. Die Wahrnehmung
beispielsweise, dass sich Verbandsmitglieder selbst neben dem
82
Beiträge aus der Forschung
Dachverband organisieren, vgl. AcU (Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen), führt dazu, dass –zwar defensiv – über neue
Angebote nachgedacht wird, die eine Zersplitterung des Verbandes abwenden können.
Diese – meist offensiv – betriebene Modernisierungsstrategie geht
von der Anerkennung einer Autonomie und autonomen Entwicklung der Trägerorganisationen innerhalb eines Verbandes aus und
orientiert sich an einem Modell des Verbändeverbandes. Dabei
kommt dem Dachverband vor allem Service- und Unterstützungsfunktion zu. Mitgliederbeiträge werden als Leistungsvergütung
betrachtet und legitimiert. Zu solchen Angeboten kann man
beispielsweise auch die Etablierung einer PflegesatzverhandlungsGmbH oder einer EDV-GmbH oder das Angebot von Geschäftsbesorgungsverträgen rechnen.
3.3
Modernisierung durch Rollenklärung und
differenzierte Professionalisierung
Eine weitere Strategie setzt bei der Einschätzung an, dass sich komplexe Systeme weitgehend selbst entwickeln und geht somit von
einer Philosophie der „Organisation der Selbstorganisation“ aus.
Für diese Organisationen ist die Definition vorrangig, dass die Steuerung einem Subsystem nicht gegenüber steht, sondern selbst Teil
des Systems ist. Ob die Steuerung steuert oder gesteuert wird –
hat beides Geltung. Von Bedeutung ist, dass Bistums- oder Bundesebene zur Trägerebene in einer systemischen Feedbackschleife
stehen und somit jede Ebene die jeweils andere Ebene beeinflusst.
Ziel dieser Strategien ist zum einen, die Rollen, Zuständigkeiten
und Funktionen zu differenzieren. So arbeitet bspw. der Deutsche
Caritasverband seit ca. 3 Jahren exemplarisch in der Jugendhilfe
an einem Funktionsbild, mithilfe dessen die unterschiedlichen Zuständigkeiten und Kompetenzen der Orts-, Bistums- und Bundesebene wie auch der Caritas- und Fachverbände beschrieben werden. Auch der neue Satzungsentwurf für den Deutschen Caritasverband unterscheidet in der Aufgabenbeschreibung sehr viel präziser nach Bundes-, Bistums- und Ortsebene.
Daneben wächst im Verband die Offenheit, deutlicher als bisher
das Lobbying für die Dienste und Einrichtungen von der Anwaltschaft für Benachteiligte zu trennen. Dies ermöglicht für beide
Funktionen jeweilige Professionalisierungen. Solche Strategien fragen nicht nur danach, wie man auf der Trägerebene Werte sichern
kann oder nach Möglichkeiten, wie man Werte anbieten kann, sondern sie entwickeln sich selbst zu wertorientierten Teilsystemen
des Gesamtverbandes, die über systemische Schleifen und Störungen, beispielsweise über die Stärkung des Verbraucherschutzes
oder die bewusste Polarisierung gegensätzlicher Interessen das
Gesamtsystem unter Strom halten, somit also immerwährend
Impulse zur Selbstreflexion und daraus resultierender Selbstorganisation aufrechterhalten.
Beiträge aus der Forschung
83
4.
Verbandsentwicklung im DiCV Limburg und in der
Hessen-Caritas
4.1
Ausgangsdiagnose
Im Diözesancaritasverband (DiCV) Limburg haben wir im Zuge einer Organisationsentwicklung Lösungen für eine Modernisierung
sowohl der Trägerfunktionen wie auch des Idealvereins entwickelt.
Die Ausgangssituation war geprägt von einem Prozess der Dezentralisierung, in dem die 5 bislang noch nicht rechtlich verselbständigten Bezirksverbände je eigene e. V. wurden. Damit gab es dann
10 rechtlich eigenständige Untergliederungen. Diesen wurden die
bisher vom DiCV getragenen Dienste und Einrichtungen mit Ausnahme der pflegesatzfinanzierten Einrichtungen übertragen.
Nach der formell erfolgten Dezentralisierung mussten nun im neuen System die Rollen, Kooperationen und Abläufe neu strukturiert
und geklärt werden. In der Ausgangsdiagnose wurde für den DiCV
deutlich, dass er sich von seiner bisherigen Rolle als mittleres Management mit direktem Zugriff in die jeweiligen Einrichtungen und
Dienste verabschieden muss und mehr Leistungen aufbauen muss,
mit denen er in der Lage ist, die Problemlösungsfähigkeit der jeweiligen autonomen Trägersysteme zu sichern und zu erhöhen.
Dafür sollte die Spezialisierung der Referenten zulasten der Generalisierung erhöht werden; originäre Landesaufgaben definiert
werden; Vermischungen von Beratung, Aufsicht und Interessenvertretung aufgelöst werden.
4.2
Vision und Ziele
Im DiCV ging es somit vorrangig um eine strukturelle Entflechtung
von Aufgaben und Interessen, die in sich oftmals konfliktträchtig
sind, deren Lösung aber in die jeweiligen Personen hinein delegiert
und somit dem verbandlichen Diskurs nicht zugänglich waren.
Deshalb wurden zunächst die Grundfunktionen des Verbandes in
drei Geschäftsbereichen abgebildet: Träger, Spitzenverband und
Verwaltung. Im Spitzenverband wurden die üblichen Fachreferatskompetenzen wie Beratung, Fortbildung, Interessenvertretung für
Einrichtungen, Anwaltschaft für Benachteiligte, Engagementförderung strukturell getrennt. Neben den bisherigen Fachreferaten,
die in ihrer Aufmerksamkeit jeweils nur auf Teilaufgaben der jeweiligen Subsysteme ausgerichtet waren, wurde eine Abteilung
Verbandsentwicklung geschaffen, die die Herstellung leistungsfähiger Systeme in Selbstorganisation unterstützen sollte.
Parallel wurde auf Landesebene mit den anderen in Hessen agierenden DiCV´en (Mainz und Fulda) die Kooperation intensiviert und
die Prämissen der Interessenvertretung auf Landesebene modernisiert. Im Zuge der Stärkung der unternehmerischen Belange der
Trägerorganisationen haben die Verbände beschlossen, sich von
dem bisherigen Monopol der Interessenvertretung auf Landese-
84
Beiträge aus der Forschung
bene zugunsten eines sogenannten koordinierten Selbstvertretungsmodells zu verändern. Hessenweit – über drei Diözesen –
wurden spartenbezogene Landesarbeitsgemeinschaften, CLAG´s
(Caritas-Landesarbeitsgemeinschaft), konstituiert, denen nunmehr
die fachpolitischen Vertretungsaufgaben delegiert werden. Die
DiCV´e konzentrieren sich demzufolge stärker auf die Aspekte der
Verbandsentwicklung im jeweiligen Bistum, auf das Lobbying für
Benachteiligte, die Engagementförderung und auf Grundsatzfragen der Caritas. Die leitende Idee liegt in der Absicht, durch Rollentrennung – fachpolitische Vertretung und Einrichtungslobbying
durch die Träger und grundsätzlich wertorientierende Prägung
durch die Spitzenverbände – beides zu stärken.
Die im Anhang beigefügten Organigramme des DiCV Limburg und
der Hessen-Caritas verdeutlichen die eingeschlagenen Reformschritte.
4.3
Erfahrungen
Noch ist es zu früh, die Ergebnisse und Erfahrungen auszuwerten.
Es zeichnet sich aber ab, dass wir im Lobbying für Benachteiligte
und in Fragen der Sozialpolitik deutlich an Profil gewonnen haben. Durch die organisatorische und funktionale Trennung vom
Einrichtungslobbying bei gleichzeitiger Verortung im Verband
wächst die Glaubwürdigkeit der anwaltsbezogenen Werteorientierung. Wir suchen also einen Weg, die Interessenskonflikte zwischen Träger- und Idealverein nicht durch Trennung des Verbandes (vgl. Malteser-Hilfsdienst), sondern durch Trennung der Funktionen im Verband zu realisieren.
Im Bereich der Verbandsentwicklung ist der DiCV zunehmend mehr
in der Lage, zusätzlich zu eher symptombezogenen Einzellösungen bei defizitären Einrichtungen, Interventionen zu setzen und
Angebote zu unterbreiten, die die Problemlösungsfähigkeit der
Subsysteme insgesamt stärken.
Die koordinierte Selbstvertretung in den CLAG´s führt zu einer
höheren Akzeptanz durch die Träger, erhöht die Problemnähe und
den Problemdruck in der politischen Auseinandersetzung. Die Etablierung der CLAG´s führt zu einer deutlichen Optimierung der
sozialwirtschaftlichen Interessenvertretung.
Gleichzeitig wird deutlich, dass diese Modernisierung durch Rollenklärung in den Kooperationsbeziehungen mit den relevanten
Umwelten zu zahlreichen Konflikten führt, weil sie im Gesamtdickicht der Freien Wohlfahrtspflege nicht anschlussfähig ist. Des
weiteren setzt diese Trennung hohe Kompetenzen auf der örtlichen Ebene voraus. Das noch nicht ausformulierte neue Selbstverständnis der Dachverbände führt zu Ängsten und Widerständen
in der Umsetzung. Man muss dabei aber auch gerade beachten,
dass die spitzenverbandliche Funktion der Diözesanverbände in
Hessen – bspw. völlig anders als in Nordrhein-Westfalen – durch
Landesrecht und -politik kaum gestützt ist. Im Zuge stringenter
Kommunalisierung der Steuerung sozialer Infrastruktur in Hessen
Beiträge aus der Forschung
85
verlieren die Landesebenen der Wohlfahrtsverbände in erheblichem Umfang an Bedeutung.
5.
Schlussbemerkungen / Ausblick
5.1 Die wachsende sozialwirtschaftliche Organisation unseres
Sozialstaats führt auf der Trägerebene zu Konzentrationsprozessen. Das Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird
zum bestimmenden Indikator für die Bildung und Beschaffenheit
von Trägerorganisationen. Die Herauslösung aus traditionalen
wertebezogenen Gesamtverbandsstrukturen in partikularisierte
örtliche Trägereinheiten wird begleitet von Einbindungen in eher
verbandsfremde Systemumwelten. Kundenverhalten und Anforderungen der Kostenträger bestimmen stärker die Trägerentwicklung und das Trägerselbstverständnis als das Herkunftsmilieu.
5.2 Das Kriterium der Leistungsfähigkeit führt auch auf der übergeordneten Verbandsebene zu neuen Formen der Kooperation. Auf
Dauer werden in einem Bundesland bestimmte Dachverbandsaufgaben nicht mehr parallel in mehreren Bistümern gleichzeitig vorgehalten werden können. Das Einrichtungslobbying wird von den
Trägern weitgehend selbst organisiert und aus Umlagen der Einrichtungen refinanziert werden. Darin liegt nicht zuletzt auch eine
Chance für die zumeist kirchensteuerfinanzierten Diözesanverbände, sich auf Verbandsentwicklung, wertebezogene Grundsatzaufgaben und die Entwicklung von Kompetenzzentren zu konzentrieren.
5.3 Die Ziele und Anliegen des Idealvereins lassen sich künftig
nur dann aufrecht erhalten, wenn sie von den Anliegen des Trägervereins getrennt und konfliktiv wahrgenommen werden. Werteorientierung gehört gewissermaßen als Kernaufgabe in Form systemischer Störung in den Idealverein. Sie hinterfragt permanent,
ob die sozialwirtschaftliche Eigenlogik mit dem Zweck des Idealvereins noch kompatibel ist.
5.4 Die Entwicklungen auf der Kostenträgerseite sind widersprüchlich und ungleichzeitig. Somit werden die verschiedensten
Mischformen nebeneinander existieren: vom Markt bis zum Korporatismus. Es wird keine geradlinige Entwicklung in die Sozialwirtschaft geben. Die bestehenden Strukturen und Systeme werden in die Transformationsprozesse ihre Werte einbringen und ihre
Bestandssicherungsinteressen soweit möglich durchsetzen.
5.5 Für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Freien Wohlfahrtspflege werden systemische Kriterien die zentralen sein: Organisation von Selbstorganisation. Insofern wird die Marke nicht
durch Vorgaben von oben durchgesetzt, sondern durch Koordination von unten immer wieder neu als Wirklichkeit konstruiert. Organisationen lassen sich nicht durch die Summe der in ihr handelnden Personen beschreiben, sie bestehen vor allem aus Kommunikationen, Werten, Regeln und Routinen. Mit diesen Mitteln
schaffen sich Organisationen eine eigene Welt, indem sie permanent die Komplexität, die es zu bearbeiten gilt, reduzieren. So ge-
86
Beiträge aus der Forschung
sehen sind Organisationen autopoietisch (selbstorganisierend) und
werden auf dem Weg in die Sozialwirtschaft – mit und ohne Störung durch die Dachverbände – ihre wertbezogene Konstruktion
von Wirklichkeit aufbauen.
Beiträge aus der Forschung
87
Caritasverband für die Diözese Limburg e.V.
Referentin des Direktors
Haushaltsaufsicht
Tina Hofmann
Peter Kirchberg
- 121
Direktion
Diözesancaritasdirektor
- 120
Öffentlichkeitsarbeit
Dr.Hejo Manderscheid
Justitiariat
Petra Schubert
- 100
Martin Ebach
- 110
- 117
Geschäftsbereich
Verwaltung
Geschäftsbereich
Spitzenverband
Geschäftsbereich
Träger
Hubert Schneider
Dr.Hejo Manderscheid
Joachim Tschakert
- 240
- 100
- 307
Rechnungswesen
Rudolf Seck
Lobbying für Dienste
und Einrichtungen
Verbandsentwicklung
Engagementförderung
Lobbying für Benachteiligte
Einrichtungen in
Hessen
- 244
Angelika Kennel
Jörg Klärner
Andreas Gesing
Othmar Hicking
- 170
- 270
- 184
- 309
Personal
Peter Eingärtner
Migration
Verbandsentwicklung
- 130
Martina Schlebusch
Jörg Klärner
- 181
- 270
Mark Schmitz
Wohnungslosenhilfe
Schuldnerberatung
Qualitätsmanagement
- 271
Jürgen Malyssek - 173
Dr.Barbara Blattert - 109
Caritas-Werkstätten
Westerwald/Rhein-Lahn
Bernhard Zepf - 179
Fortbildung
Erwin Peetz
Radegundis Glenzer - 200
Jugendhilfe
02601 / 1307 0
Bernhard Schnabel - 430
Soziale Sicherung
Armutsfragen
Dr. Karl Koch - 310
Jürgen Hartmann-Lichter
Allgemeine Verwaltung
- 202
Infothek
Norbert Theis
Familienhilfe
Marie-Jeanne Wendt - 174
- 478
Waltraud Maier - 176
EU Förderung
Kinderhilfe
Hartmuth Haag - 178
Architekt
Sonja Hees - 274
Edith Kramm - 204
Martin Ringer - 406
- 307
- 184
Migrationspolitik
Ulrike Jung - 186
Mark Schmitz
- 123 / -124
Joachim Tschakert
Andreas Gesing
ALB - Soziale Stadt
EDV
Einrichtungen in
Rheinland-Pfalz
Martin Serafin - 203
Behindertenhilfe
Dr. Elke Groß
- 183
Altenhilfe
Hausadresse:
Katharina-Kasper-Haus
Graupfortstraße 5
65549 Limburg / Lahn
Achim Eng - 185
Ambulante Dienste
Andreas Eichmann - 182
Krankenhäuser
0 64 31 / 997 - 0
[email protected]
Peter Römer - 150
Betriebswirtschaft
N.N. - 0
Stand: April 2003
Caritas- Landesarbeitsgemeinschaften
Hessen - Caritas
V
o
l
l
Dr. Hejo
Hejo Manderscheid
Caritas Direktor
DiCV Limburg e.V.
Angelika
Angelika Kennel
Kennel
Abteilungsleiterin
DiCV Limburg e.V.
v
e
r
s
a
m
m
l
u
n
g
V o r s t a n d
Vorsitzender:
Peter
Deinhart
Stellv.
Gesch äftsführer
DiCV Mainz e.V.
Gerhard Sü
Sündermann
ndermann Tina Hofmann
Caritas Direktor
DiCV Fulda e.V.
Josef Gebauer
Referatsleiter
DiCV Fulda e.V.
Dr. Guido Amend
Referentin des Direktors GF und Justitiar des
DiCV Limburg e.V.
Kommissariats der
Kath. Bischöfe in Hessen
Wiesbaden
Caritas Landesarbeitsgemeinschaften in Hessen
Kinder-, Jugend-,
und Familienhilfe
Altenhilfe / Pflege
Vorsitzende(er):
Vorsitzende(er):
Rainer
Rainer Wolf
Wolf
Dr. Werner Veith
Haus der
Volksarbeit
Gesch äftsführer
Geschäftsführung:
J. Hartmann-Lichter
DiCV Limburg
Referatsleitung
Behindertenhilfe/
Psychiatrie
Sucht
Vorsitzende(er):
Vorsitzende(er):
Steffen Hensel
Josef Gebauer
Barbara
Barbara Handke
Handke
Caritasverband
Darmstadt
Direktor
Frankfurter
Werkgemeinschaft
Bereichsleiter
Geschäftsführung:
Geschäftsführung:
Ernst-Paul Walter
DiCV Fulda
Referatsleiter
Achim Eng
DiCV Limburg
Referent
Soziale
Sicherung
Vorsitzende(er):
AG Katholischer
Krankenhäuser
Vorsitzende(er):
Hanno
Hanno Heil
Heil
Diözesancaritasverband Fulda
Referatsleiter
Caritasverband
Wiesbaden
Direktorin
Vorsitzender
Diözesancaritasverband Limburg
Geschäftsführung:
Geschäftsführung:
Geschäftsführung:
Hermann
Hermann Ohler
Ohler
DiCV Mainz
Referent
Benno Rehn
DiCV Mainz
Referent
Peter
Peter RRömer
mer
DiCV Limburg
Gesch äftsführer der
Arbeitsgemeinschaft
Stand: Juni 2003
88
Beiträge aus der Forschung
caritas
Controlling
Gemeindecaritas
Freiwilligenarbeit
Sozialpastoral
„Anforderungen an ein zeitgemäßes anforderungs- und leistungsadäquates Entgeltsystem“ - ein Streitgespräch Moderation:
Dr. Anna Stefaniak, Landesinstitut
Sozialforschungsstelle Dortmund
Eine Podiums- und Publikumsdebatte bildete den Abschluss der
Fachtagung. In einem Streitgespräch zwischen Vertretern der Tarifparteien und der Verbände sollte noch einmal die Thematik der
gesamten Fachtagung resümiert werden. Dabei stand im Mittelpunkt die Frage, wie sich aus der Sicht unterschiedlicher Akteure
(Verbände, Gewerkschaft, Arbeitgeberseite) die Suche nach neuen
- anforderungs- und leistungsadäquaten - Entgeltstrukturen darstellt.
Angesprochen waren damit zwei sehr unterschiedliche Dimensionen: Denn die Frage nach einer anforderungs- und leistungsgerechten Gestaltung von Entgeltsystemen beinhaltet sowohl die tariflichen Vergütungsstrukturen als auch den Gesamtkontext der
Erbringung und Vergütung sozialer Dienstleistungen durch die freigemeinnützigen und privaten Träger im Rahmen staatlicher Vorgaben. Zum einen war damit also der Bereich der Bezahlung von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gemeint, d.h. die Suche nach
neuen Entgeltsystemen im Sinne neuer tarifvertraglicher Modelle.
Hier ging es in erster Linie um die Modernisierung des BAT, aber
auch allgemeiner um die Frage, wie die neuen Tätigkeits- und Kompetenzprofile der MitarbeiterInnen adäquat bewertet und vergütet werden können. Zum anderen ging es um dieNeuorientierung
der finanziellen Grundlagen für die Träger, die Dienstleistungen im
sozialen Bereich erbringen. Denn mit dem zunehmenden Wegfall
des Selbstkostendeckungsprinzips, unter dem Druck von Budgetierung und Wettbewerb, sind in den letzten Jahren schrittweise
andere Entgeltsysteme zum Ausgleich für erbrachte Dienstleistungen entwickelt worden, an die sich Träger anpassen müssen. Hier
muss daher auch darüber diskutiert werden, wie Qualitätsstandards eingeführt und garantiert werden können, um einen bloßen
Preiswettbewerb zu verhindern.
Auf Einrichtungsebene haben diese veränderten Rahmenbedingungen praktische Konsequenzen für die Organisation von Arbeit und
für die Qualität der Dienstleistungen, sie haben aber auch Konsequenzen für die Anforderungen und Belastungen an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zugleich sind diese Entwicklungen tarifpolitisch wie gesellschaftspolitisch von hoher Brisanz. Denn längst
verhandeln nicht mehr nur die Tarifparteien um die Arbeits- und
Beschäftigungsbedingungen, um Tarife und Entgeltstrukturen, sondern die Politik sitzt sozusagen bei den Sozialen Diensten immer
mit am Verhandlungstisch.
Die Diskussionsrunde wurde eröffnet durch kurze Statements der
drei Podiumsteilnehmer: Thomas Niermann, Hauptreferent beim
Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, Wolfgang Altenbernd,
Geschäftsführer des Bezirksverbandes der Arbeiterwohlfahrt West-
Beiträge aus der Forschung
89
liches Westfalen, AWO WW und Rainer Friebertshäuser, Tarifsekretariat der Gewerkschaft ver.di.
Thomas Niermann, Paritätischer Wohlfahrtsverband Gesamtverband e. V.
Sehr geehrte Damen und Herren,
auf der letzten Seite des Thesenpapiers zur Modernisierung der
Freien Wohlfahrtspflege werden Fragen zu den Konsequenzen für
die künftige Entwicklung der Freien Wohlfahrtspflege erörtert. Ich
möchte meine kurzen Ausführungen auf die Fragenkomplexe
”Neue Anforderungen an Träger und Einrichtungen“ sowie ”Politische Gestaltungsnotwendigkeiten“ konzentrieren.
Bevor wir uns mit neuen Anforderungen und politischen Gestaltungsnotwendigkeiten befassen, sollten wir uns über den Sinn und
den Zweck freigemeinnütziger sozialer Arbeit vergewissern. Wir
haben es mit Menschen zu tun, die hilfebedürftig sind und möchten mit unseren Dienstleistungen einen Beitrag zur Selbstbestimmung leisten. Aus diesem Grunde haben wir unsere sozialen
Dienstleistungen am Bürgerstatus der hilfebedürftigen Menschen
zu orientieren und zu akzeptieren, dass sie als produktive Nutzerinnen und Nutzer den Hilfeprozess weitgehend steuern. Hieran
sind die unterschiedlichen professionellen Handlungskonzepte und
die Organisation des Hilfeprozesses einschließlich des Personaleinsatzes auszurichten. Anders formuliert: Über die Adäquanz einer Vollzeitstelle oder eines Minijobs entscheiden keine tarifpolitischen Ideologien, sondern die Anforderungen des Hilfeprozesses.
Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege sind auf Bundes-, Landes- und Ortsebene sozialanwaltschaftlich tätig. Die Armutsbekämpfung, der Einsatz für die Rechte behinderter Menschen oder
die Verbesserung der Lebensbedingungen von Migrantinnen und
Migranten seien als Beispiele genannt. Seit einigen Jahren stehen
zudem auch Einrichtungen und Dienste der sozialen Arbeit vor
sozialanwaltschaftlichen Aufgaben. Oftmals werden hilfebedürftigen Menschen notwendige Leistungen durch den zuständigen
Sozialleistungsträger verweigert. Leistungsbescheide sind falsch
oder unzureichend. Die Freie Wohlfahrtspflege und Einrichtungen
und Dienste sollten dann die individuelle Beratung über sozialrechtliche Ansprüche organisieren. So hat ein größerer Freier Träger
derBehindertenhilfe im Süden Hessens eine Rechtsanwältin eingestellt, die Menschen mit Behinderungen und die Betreuerinnen
und Betreuer berät, bei der Formulierung eines Widerspruchs behilflich ist und ggf. den Weg zu einer Klage vor der Sozial-oder Verwaltungsgerichtsbarkeit ebnet. Die sozialanwaltschaftliche Interessenvertretung wird eine Anforderung werden, deren Bedeutung
auch für Praxis der sozialen Arbeit Freier Träger zunimmt. Die fundierte Hilfeplanung - unter Beteiligung des Hilfebedürftigen - ist
nicht nur wesentliche Voraussetzung für die Organisation des Hilfeprozesses sondern auch für sozialanwaltschaftliche Aktivitäten.
Erst wenn alle Beteiligten wissen, welche Hilfen erforderlich sind,
90
Beiträge aus der Forschung
kann beurteilt werden, ob die bewilligten Leistungen hinreichend
sind.
Die Träger von Einrichtungen und Diensten der sozialen Arbeit
haben in den vergangenen Jahren erhebliche ”Lernanstrengungen“
vollzogen. Die Grundlagen für die mit den Kostenträgern auszuhandelnden Leistungs-, Vergütungs- und Qualitätsvereinbarungenwaren zu schaffen. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass die konzeptionelle Arbeit ein kontinuierlicher Prozess sein sollte, so dass
jeder Zeit die Notwendigkeit des Leistungsangebotes und der damit verbundenen Kosten begründet werden kann. Wenn Einrichtungen und Dienste über ihr Leistungsspektrum und die mit einzelnen Leistungen einhergehenden Kosten differenziert informiert
sind, sind sie für die Anforderungen der rigider werdenden Verhandlungsrunden gerüstet und werden sozialpolitisch handlungsfähig. Die Transparenz von Leistungen und Kosten ist notwendig,
um beispielsweise die Vergütungsverhandlung einer Einrichtung
für Menschen mit Behinderungen mit einem Sozialhilfeträger aus
dem ”stillen Kämmerlein“ herauszuholen. Die Einrichtung könnte
dann nachweisen, dass unzureichende Vergütungssätze zur Streichung bestimmter Leistungen führen und durch Lobby- und Medienarbeit dazu beitragen, dass Einschnitte in die Lebensqualität
hilfebedürftiger Menschen bzw. Qualitätsverschlechterungen in
der sozialen Arbeit politisch diskutiert werden.
Aus zeitlichen Gründen erwähne ich nur die Bedeutung praxistauglicher Instrumente der Qualitätssicherung sowie einrichtungsübergreifender Standards, verzichte aber auf Ausführungen. Herr Dr.
Manderscheid ist auf diese Themen eingegangen.
Eine weitere Anforderung ist die Kooperation mit den Vertretungen der Bewohnerinnen und Bewohner (Heimbeiräte) der gemeinnützigen Einrichtungen bzw. Nutzerinnen und Nutzer der Dienste. Das Heimgesetz und die Mitwirkungsverordnung sehen die
Beteiligung der Heimbeiräte an Verhandlungsrunden der Einrichtungen und Kostenträger vor. Wir benötigen diese ”Dritte Bank“.
Erste Erfahrungen zeigen, dass wir uns mit der Entwicklung von
Partizipationskonzepten befassen sollten. Bedauerlicherweise findet in dem Projektantrag des heute erörterten Forschungsvorhabens nur eine mögliche Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Erwähnung, nicht aber die der Heimbeiräte.
Langsam, aber in Zukunft hoffentlich gewaltig, interessieren sich
Träger für die Förderung des Freiwilligen Engagements in ihren Einrichtungen und Diensten. Alle Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege haben unterschiedliche Anstrengungen unternommen. Der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband hat in einer ”Freiwilligencharta” zehn Anforderungen formuliert, die Einrichtungen erfüllen sollten, damit sich Menschen ihren Interessen entsprechend
engagieren können. Unsere Bundesakademie führt Ausbildungsreihen für ”FreiwilligenkoordinatorInnen“ durch, die kurzum die
Einrichtungen fit machen sollen für die Interessen und Anliegen
der Freiwilligen. Wir fordern einen neuen, generationsübergreifenden Freiwilligendienst und hoffen, durch freiwillige engagier-
Beiträge aus der Forschung
91
te Menschen die Leistungsangebote erweitern zu können und Multiplikatoren sowie Lobbyisten für die soziale Arbeit zu gewinnen.
Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen unterschiedliche - zum
Teil neue - Anforderungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
in der sozialen Arbeit. Für Leitungskräfte stellen der Beginn bzw.
die Intensivierung der Medien- und Lobbyarbeit eine weitere Herausforderung und Qualifizierungsnotwendigkeit dar. Kontakte sind
aufzubauen, zu pflegen und systematisch zu nutzen. Nur so können politische Gestaltungsmöglichkeiten erarbeitet werden.
Erlauben Sie mir zum Ende meiner Ausführungen einen Hinweis
zum persönlichen Budget. Hilfebedürftige Menschen sollen die
Möglichkeit erhalten, an Stelle von Sachleistungen Geldleistungen
zu wählen, mit denen sie die notwendigen Hilfen bei einem Leistungserbringer ihrer Wahl einkaufen können. Statt der heute üblichen ”Komplettleistungen“ durch eine Einrichtung oder einen
Dienst könnten hilfebedürftige Menschen als ”Budgetnehmer“ Teilleistungen ihren Bedürfnissen entsprechend kombinieren und bei
unterschiedlichen Einrichtungen und Diensten ggf. auch außerhalb
des Sozialbereichs einkaufen. Weder die Selbsthilfeorganisationen
noch die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege oder die Kostenträger verfügen heute über Konzepte zur Einführung des persönlichen Budgets. Ich möchte appellieren, dass wir uns im Sinne der
Selbstbestimmung hilfebedürftiger Menschen für das persönliche
Budget einsetzen auch wenn hiermit Herausforderungen und Innovationen für Einrichtungen und Dienste verbunden sind. Schon
heute ist absehbar, dass auf mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter flexiblere Arbeitszeit- und Arbeitsvertragsbedingungen zukommen werden.
92
Beiträge aus der Forschung
Thomas Niermann, Paritätischer Wohlfahrtsverband
Anforderungen an die Freie Wohlfahrtspflege und ihre Einrichtungen und Dienste:
¾ Selbstvergewisserung: Soziale Dienstleistung am Bürgerstatus
der hilfebedürftigen Menschen orientieren (Selbstbestimmung,
produktiver Nutzer/in, weitgehende Steuerung des Hilfeprozesses durch Nutzer/in, Mitwirkung an der Erfüllung eines individuellen Rechtsanspruches)
¾ individuelle Beratung über sozialrechtliche Ansprüche sicherstellen (ggf. Durch- setzung sozialrechtlicher Ansprüche organisieren)
¾ Hilfeplanung forcieren
¾ Mit Hilfe kontinuierlicher konzeptioneller Arbeit, ist die Notwendigkeit des Leistungsangebotes zu begründen. Darüber
hinaus ist die Transparenz von Leistungen und Kosten herstellen. Beides sind notwendige Voraussetzungen für:
, die interne Arbeitsorganisation
, die Verhandlungen mit den Kostenträgen
, die Ermöglichung von Widersprüchen/Klagen des Hilfeempfängers gegen un- zureichende Leistungsbescheide
, Lobbyarbeit
, Medienarbeit
¾ an der Entwicklung von Standards mitarbeiten
¾ Praxistaugliche Instrumente der Qualitätssicherung entwickeln
und anwenden
¾ zeitgemäße Gestaltung der Arbeitsbedingungen
¾ Kooperation mit Heimbeiräten intensivieren (z. B.: Dritte Bank
bei Verhandlungsrunden)
¾ Kooperation mit Betreuerinnen und Betreuern intensivieren
¾ Förderung des freiwilligen Engagements zur Chef(in)sache“
erklären
, Erweiterung des Leistungsangebots
, Multiplikator nutzen
, Lobbyisten für die Einrichtung
¾ Medienarbeit: Kontakte aufbauen, pflegen und nutzen
¾ Lobbyarbeit: Kontakt zu Kommunal- und Landespolitikern aufbauen, pflegen und nutzen
Zum Schluss:
¾ Das Persönliche Budgets als Beitrag zur Selbstbestimmung
anerkennen und Herausforderungen annehmen
Beiträge aus der Forschung
93
Wolfgang Altenbernd, AWO Bezirk Westliches Westfalen
Meine Damen und Herren, zunächst möchte ich mich kurz vorstellen: ich bin Geschäftsführer der AWO Westliches Westfalen. Ich
würde gern den Focus richten auf die Ausgabensituation und Einnahmensituation, also auf die Personalkosten und deren Refinanzierung und damit als einen Schwerpunkt Tarifpolitik.
Wir haben bei uns einen ähnlichen Prozess organisiert, wie Herr
Manderscheid das für die Caritas beschrieben hat. Wir haben Ehren- und Hauptamt ein ganzes Stück getrennt, haben das Hauptamt in Konzernstrukturen organisiert und in diesen Konzernstrukturen ca. 14.000 Beschäftigte organisiert; wir sind damit die größte Gliederung innerhalb der Arbeiterwohlfahrt. In der zweiten Funktion, in der ich hier sitze, bin ich Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft Arbeiterwohlfahrt als Gegenpart von Ver.di, wir haben
gerade erst vor 14 Tagen einen Vergütungstarifvertrag verhandelt.
Wenn ich auf das Thema Tarifvertrag und Entgeltsituation eingehen darf, dann habe ich heute hier sehr vieles wieder gefunden,
was ich genau so sehe. Es war von einem „halben Modernisierungsprozess“ die Rede, ich würde es etwas anders sagen: Die Ausgangssituation ist sehr indifferent, wir haben ein bisschen Ökonomisierung, ein bisschen Wettbewerb - in dem einen Bereich ein bisschen mehr, im anderen ein bisschen weniger. Wir haben eine Situation, die gleichermaßen, obwohl Wettbewerb eigentlich auch m.E.
mit Freiheit verbunden sein müsste, mehr Regulierung, mehr Dokumentationspflichten, mehr Kontrollfunktionspflichten mit sich
bringt. Also das Stück Freiheit, was uns angeboten wird, wird auf
der anderen Seite zum Teil sehr viel teurer bezahlt.
Und wir haben schlichtweg, ich erlaube mir, das mal so zu sagen,
eine Mangelbewirtschaftung als Diskussion mit der Öffentlichen
Hand: Nirgendwo wird mehr ausreichend Geld zur Verfügung gestellt, und wir bekommen sehr viele Pseudodiskussionen über Qualität, über Preis und über die Motivation der Beschäftigten. Dies
trifft uns als Wohlfahrtsverbände, und ich kann das für den Bereich der Arbeiterwohlfahrt sagen, auf sehr unterschiedlichen Ebenen. Den Mitgliedsverband, den ehrenamtlichen Bereich trifft es
relativ wenig. Die Organisationen im Rahmen der Lobbyarbeit, also
das, was eben auch schon mal so als Spitzenverbandsarbeit oder
globale Rahmenbedingungen beschrieben worden ist, die trifft es
aber schon sehr deutlich. Allerdings in anderer Form als z.B. den
Aufgabenbereich, der subventioniert wird, der klassische Sozialarbeit ausmacht, oder den der Sozialunternehmen, die wieder eine
völlig andere Situation in diesem Sozialmarkt erfahren; und diesen Bereich könnte man wieder untergliedern, weil die Rahmenbedingungen - also der sog. Markt, der Wettbewerb, die Konkurrenz - im Bereich ambulanter Dienste völlig andere sind als im Bereich stationärer Dienste, völlig andere sind als im Bereich Tageseinrichtungen für Kinder. Zum Teil ist das alles sogar noch länderspezifisch unterschiedlich.
94
Beiträge aus der Forschung
Wenn man das herunterbricht auf bestimmte Ebenen, dann ist es
schon sehr spannend, Sie haben vorhin ein paar Mal die Frage „Qualität“ diskutiert. Wir haben für uns einen Qualitätsbegriff formuliert. Vorhin ist gesagt worden, Mitarbeiter haben ihre Qualitätsdefinitionen, Kassen haben ihre Qualitätsdefinitionen. Ich möchte
nicht unerwähnt lassen, dass auch Politik letztendlich über den
Rahmen, den Politik vorgibt, also auch über den finanziellen Gestaltungsrahmen sehr deutlich sagt, was denn gesellschaftspolitisch die Qualität ist, d.h. wie viel diese Gesellschaft letztendlich
bereit ist, zur Pflege eines alten Menschen, eines Behinderten, zur
Versorgung eines Kindes eigentlich zahlen zu wollen. Und das ist
mit die größte Stellschraube, wenn ich das mal an „Stellschrauben“ festmachen darf.
Das heißt also, wir haben, wenn man unternehmerisch denkt, und
darauf will ich mich beziehen, die Stellschraube „Kosten“. Ich kann
also an Kostenschrauben drehen, die sind sehr unterschiedlich, in
Beratungsdiensten haben wir Personalkostenanteile von 90%, in
pflegesatzrelevanten Bereichen Personalkostenanteile von ca. 70%,
Sachkostenanteile von 18-20% und immobilienbedingte Kosten
von 10-12%. Das heißt also, es gibt sehr wenige Bereiche, in denen
ein Träger einseitig die Stellschrauben verstellen kann. Er hat nur
sehr eingeschränkte Möglichkeiten. Politik und Rechtsrahmen beschreiben eigentlich sehr viel stärkere Stellschrauben.
So. Ich will es mal bei dem Rahmen lassen. Heruntergebrochen auf
eine Tarifebene heißt das für einen Träger oder für eine Trägergemeinschaft oder eine Tarifgemeinschaft, eigentlich nur an ganz
bestimmten Schrauben drehen zu wollen und zu können. Wenn
ich das mal aus unserer Sicht sage: Wir verhandeln mit Ver.di seit
anderthalb Jahren einen Reformtarifvertrag, waren im Januar in
einem relativ „tiefen Loch“, sind jetzt nach den relativ konstruktiven Lohn- und Gehaltstarifverhandlungen ein bisschen wieder
herausgekommen. Trotzdem habe ich Fragezeichen, ob das gelingen wird.
Es geht um Flexibilisierung, es geht um flexibleren Personaleinsatz, vorhin fiel das Wort „Lohndumping“ oder auch „Lohnabstriche vorzunehmen“ - ich sage sehr bewusst aus meiner Sicht, auch
das darf kein Tabu mehr sein. Wenn im Bereich Sozialstationen die
Freie Wohlfahrtspflege vor fünf Jahren 80-, 90%-iger Anbieter war
und heute noch 40%-iger Anbieter ist, und wenn das Bundessozialgericht sagt, dass Gestehungskosten nicht mehr relevant sind,
sondern eigentlich die Vergleichspreise des Marktes letztendlich
die Leistungsrahmen bestimmen, dann muss es auch möglich sein
zu sagen, wir müssen über Löhne und Gehälter von Mitarbeitern
reden, über deren Arbeitsbedingungen, die dann anders sind als
gestern. Wenn wir das nicht tun, ist die Alternative, dass es einem
Wohlfahrtsverband nicht mehr möglich ist, solche Dienste zu übernehmen.
Beiträge aus der Forschung
95
Rainer Friebertshäuser, ver.di-Bundesverwaltung
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
mir wird es wohl nicht gelingen, hier eine Brücke zwischen den
beiden vorgenannten Meinungen zu finden, weil ein Tarifpolitiker
immer so von außen die Aufgabe übertragen bekommt, die Quadratur des Kreises zu erfinden, nämlich auf der einen Seite selbstverständlich für das Klientel tätig zu werden, für das er tätig werden muss, nämlich für die Beschäftigten oder Mitglieder in den
Organisationen, auf der anderen Seite aber auch darauf zu achten,
dass von außen Geld in das System hineinkommt. Wir werden also
immer Kompromisse finden müssen, sicherlich, aber diese Kompromisse werden nie zur Zufriedenheit beider Seiten beitragen, und
ich denke, das ist ein Ding der Tarifpolitik. Aber wenn man mal so
ein bisschen grundsätzlicher an die Frage der Entgeltsysteme herangeht, so erleben wir im Moment eine Veränderung. Auch die
Wohlfahrtsverbände sind ja im Prinzip angelehnt an einer Entwicklung des BAT, der entstanden ist in einer Zeit, als der Öffentliche
Dienst und auch die Wohlfahrtsfürsorge staatliche Aufgabe waren. Und wir haben etwa seit 1983 eine Tendenz in dieser Gesellschaft der Entstaatlichung von Fürsorge und eine Marktöffnung
für Fürsorge. Der BAT ist von da her unter Druck, und wir sind auch
noch unter anderen Gesichtspunkten unter Druck.
Wenn ich über Entgeltsysteme rede, dann muss ich fragen, wie kann
ich denn Entgeltsysteme schaffen, die gerechter sind und die nachvollziehbarer sind, und woran können sie sich begründen. Ich denke, sie können sich nicht begründen an der Tatsache, dass jemand
20 Jahre lang die gleiche Arbeit gemacht hat – das will ich deutlich
sagen. Sie können sich nicht daran begründen, wie viel Kinder jemand hat und ob er verheiratet ist; es ist eine sozialstaatliche Aufgabe, dies zu subventionieren oder zu unterstützen. Aber sie müssen sich begründen am Wert der Arbeit. Und ich stelle die Frage,
ob der Wert der Arbeit zu messen ist an dem Gesichtspunkt, wie
billig Arbeit auf dem Markt zu erhalten ist unter Ausnutzung von
Notsituationen. Da bin ich der Meinung, dass das nicht den Wert
der Arbeit widerspiegelt. Der Wert der Arbeit kann sich doch nur
festmachen an dem Nutzen, den die Arbeit hat. Und wer hat den
Nutzen? Es gibt Nutzer, das sind die Arbeitgeber im Prinzip; sie
werden vom Staat beauftragt, eine Aufgabe wahrzunehmen. Die
haben eine andere Sicht der Dinge als der Nutzer, der es ertragen
muss, dass eine Leistung an ihm vorgenommen wird – ertragen,
ich habe das mal ein bisschen überspitzt, durchaus provokativ. Es
ist nämlich der Letzte, also das ist das Kind, was in den Kindergarten geht, es ist der Patient im Krankenhaus, es ist der Senior im
Pflegeheim, das sind die Menschen. Und es ist der Staat, der die
Freien Wohlfahrtsverbände nutzt, es sind aber auch die Mitarbeiter, und da sage ich mal, die werden etwas mehr auch benutzt an
manchen Stellen.
Also das Problem ist, dass meiner Ansicht nach der Wert der Arbeit
sich eigentlich nur bestimmen kann über eine gesellschaftliche
Definition der Sozialen Arbeit, die wir Ende der 80er, Anfang der
90er Jahre in einem breiten Prozess mal deutlich aufgewertet hat-
96
Beiträge aus der Forschung
ten. Im Augenblick steht dagegen im Vordergrund die pekuniäre
Situation, dass einfach kein Geld vorhanden ist. Frage ist: Ist Tarifpolitik solchen Marktgesetzen unterlegen? Dürfen wir den Wert
der Arbeit an anderen Definitionen als an dem eigentlichen Wert
denn wirklich stützen? Dürfen wir uns orientieren an Preiskämpfen, wie sie Aldi, Wal-Mart u.a. machen, oder müssen wir nicht tatsächlich eine zukunftssichere Tarifpolitik machen, die sich in den
Entgeltsystemen dann auch wieder findet?
Also von daher sind das Fragen, die wir in der Tarifpolitik stellen,
und ich denke, auch die Arbeitgeber wären gut beraten, genau diesen Weg mitzugehen.
Diskussion
In der anschließenden Diskussion standen - neben Nachfragen zu
den Erfahrungen mit dem Instrument der individuellen Rechtsklagen - Strategien der Qualitätssicherung, tarifpolitische Probleme
(Vorreiterrolle des BAT, Neu-Bewertung von Tätigkeiten im sozialen Bereich) im Vordergrund. Dabei wurde sehr deutlich von allen
Diskutanten auf die besondere Rolle und die Verantwortung der
Politik in diesem Prozess hingewiesen. Unter drei Stichworten lassen sich die Schwerpunkte der Debatte zusammenfassen.
¾ Wie kann die Qualität der Sozialen Dienstleistungen gesichert
werden, wie kann verhindert werden, dass Wettbewerb künftig nur noch über Preise ausgetragen wird?
¾ Wie sollen und können Soziale Dienstleistungen künftig tariflich abgesichert und adäquat bewertet werden?
¾ Wie kann die Politik stärker in die Verantwortung genommen
werden, um zu einer Aufwertung der Sozialen Dienste zu gelangen?
Die - sachlich zwar enge, aber in der praktischen Umsetzung unzulänglich gestaltete - Verknüpfung von Qualitätsstrukturen und
Entgelt- resp. Kostenstrukturen stellte sich dabei als ein Kernproblem heraus.
So wies Thomas Niermann am Beispiel des Pflegebereichs auf die
mangelnde Kongruenz zwischen den gestiegenen Qualitätsanforderungen auf der einen Seite, den sinkenden Pflegesätzen auf der
anderen Seite hin: So würden im Pflegebereich Qualitätsstandards
mit den Kostenträgern vereinbart und es gebe entsprechende Prüfungsvereinbarungen. Inzwischen gebe es aber mehrere Gesetze,
die sich gleichzeitig mit Qualitätsprüfungen befassen, so dass eine
ausgesprochene Unübersichtlichkeit entstanden sei. Es sei daher
bisher nicht gelungen, den Qualitätsprozess mit der Frage der Entgeltstruktur zu verbinden.
Wolfgang Altenbernd betonte, dass „die Gestaltung des Entgeltsystems auch eine Frage an die Politik ist.“ Dies sei insbesondere
mit Blick auf die Veränderungen der Entgeltsystematik ein nachhaltiges Problem: „Was uns ja abhanden gekommen ist, ist eine
Beiträge aus der Forschung
97
Beschreibung der genauen Qualitätsanforderungen, die wir leisten sollen. Im alten System war das relativ einfach: Ich mache eine
bestimmte Arbeit, stelle einen ein, der ist Sozialarbeiter, Erzieher,
Sozialpädagoge, dafür bekommt er so und so viel Gehalt, und dann
wurde aufgelistet, was der zu tun hatte. Das ist heute anders, heute haben wir ein System, in dem wir suggerieren, als wenn der Inanspruchnehmer - ich sag mal, der alte Mensch in der Sozialstation oder in der Pflege - einen individuellen Anspruch auf Pflege hat
und dass er diesen individuellen Anspruch bezahlt. Er bekommt
aber nicht seinen individuellen Bedarf bezahlt, sondern es gibt ein
System, das pauschal alle Pflegebedürftigen dieser Einrichtung nur
im Verhältnis leichter, mittlerer und schwerer Pflege differenziert.
Das heißt, Sie haben ein Problem, weil Sie die Anforderung haben,
dass von 30 Schwerpflegebedürftigen 30 unterschiedliche Bedarfe an Quantität und Qualität dahinterstehen und Sie müssen dafür
einen unterschiedlichen Personaleinsatz erwirken. Dieser wird aber
nicht definiert! Das System verlagert dieses Risiko auf den Träger,
der Träger verlagert dieses Risiko zum Teil auf Mitarbeiter, damit
haben wir ein Problem zwischen Mitarbeitern und Trägern in der
Leistungserbringung gegenüber anderen.
Das Problem der Tarifvertragsparteien ver.di oder früher ÖTV und
Freie Wohlfahrtspflege ist zudem ja auch noch sehr differenziert.
Wir haben zurzeit eine Gemengelandschaft von privatgewerblichen, immer weniger werdenden kommunalen bis zu freigemeinnützigen Trägern, die sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen
haben. Und wenn Sie in Pflegesatzverhandlungen gehen, dann sind
wir uns schnell einig. Für diese Einrichtung brauchen Sie 100 Köpfe mit der und der Qualifikation, so, dann kommt der eine Träger
und sagt, „die kosten mich so viel“, der andere sagt, „ich bin Tarifpartner, mich kosten die so und so viel Prozent mehr“, und das
Bundessozialgericht geht hin und sagt, „also diese Gestehungskosten spielen heute keine Rolle mehr“. Dann bedeutet das im Endergebnis, Sie bekommen einen Pflegesatz, der Ihnen Ihre Gestehungskosten nicht refinanziert, d. h. Sie nehmen als Unternehmer „Freier Wohlfahrtsverband“ in Kauf, dass Sie immer weniger Einnahmen haben als Sie brauchen, um Ihre Mitarbeiter zu bezahlen.
Uns ist, ich sag mal, das Feindbild abhanden gekommen. Der Öffentliche Dienst ist Vorreiter gewesen. Er ist es aber nicht mehr,
sondern wir sind heute in einer Konkurrenz zu anderen, und die
haben ein anderes Bezahlungsniveau, ein anderes Organisationsniveau. Und das ist genau die Position, über die sich Ver.di und die
Anbieter streiten müssen.“
Rainer Friebertshäuser machte abschließend darauf aufmerksam,
dass und inwiefern aus seiner Sicht Qualität, Qualifizierungs- und
Gehaltsstrukturen auf einander bezogen sind:
„Sie brauchen zur Leistungserbringung eine bestimmte Qualität,
und diese Qualität unabhängig von der Bezahlung erfordert erst
mal eine bestimmte Qualifikation. Diese Qualifikation können Sie
nicht beliebig im Bereich Altenpflegeheim gestalten, das können
Sie nur in bestimmten Kursen, Sie können das nicht frei gestalten
in Kindergärten. Sie können natürlich an Gehaltsschrauben dre-
98
Beiträge aus der Forschung
hen und können sagen, ich gebe der, weil ich nicht mehr tarifgebunden bin, 10% weniger, und wenn es ein Überangebot an Erzieherinnen gibt, wird Ihnen das gelingen. ... Wir kriegen zurzeit in
Nordrhein-Westfalen durch die offene Ganztagsschule - und das
ist politisch so gewollt! - eine Entwicklung, dass wir als Träger, freie,
gemeinnützige und kommunale, alle Plätze verlieren, in denen wir
bisher Schulkinder in Tageseinrichtungen versorgt haben. Dafür
werden Hausfrauen für 5 Euro die Stunde geworben ...“
Qualifizierung müsse daher künftig verstärkt als Thema in die Tarifverhandlungen einbezogen werden, denn "dazu steht in Tarifverträgen heute praktisch nichts drin. Auch die Bereitschaft, über
eine Arbeitszeitflexibilisierung zu verhandeln, ist bei uns vorhanden, das will ich auch ganz deutlich sagen, und auch der BAT lässt
sie heute eigentlich schon in vielen Punkten zu, und da könnten
wir uns wahrscheinlich auch schnell einigen. Das Problem ist nur,
auch hier brauchen wir unseren Ansatz, wir brauchen auch Schutzfunktionen in Tarifverträgen, die eine bestimmte Grenze nicht überschreiten. Überforderungssysteme helfen der Qualität des Systems
überhaupt nicht, auch das Problem der Überforderung von Mitarbeitern muss tarifvertraglich geregelt werden.“
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