Rolf G. Heinze/Katrin Schneiders Vom Wohlfahrtskorporatismus zur

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Rolf G. Heinze/Katrin Schneiders
Vom Wohlfahrtskorporatismus zur Sozialwirtschaft? Zur aktuellen
Situation der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland
Erschienen in
ARCHIV für Wissenschaft
und Praxis der sozialen Arbeit
Heft 2/2013
Vierteljahresschrift zur Förderung von
Sozial-, Jugend- und Gesundheitshilfe
Herausgegeben von
Prof. Dr. Peter Buttner
Deutscher Verein für öffentliche
und private Fürsorge e. V.
Michaelkirchstraße 17/18
10179 Berlin-Mitte
Tel. 030 629 80-0
Fax 030 629 80-150
www.deutscher-verein.de
Rolf G. Heinze/Katrin Schneiders
Rolf G. Heinze/Katrin Schneiders
Vom Wohlfahrtskorporatismus zur Sozialwirtschaft?
Zur aktuellen Situation der freien Wohlfahrtspflege
in Deutschland
Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Organisationsstruktur der freien Wohlfahrtspflege und zeichnet ihre Entwicklung seit den 1990er-Jahren nach. Er analysiert
ihre aktuelle Situation vor dem Hintergrund einer zunehmenden „Ökonomisierung“
des Sozialsektors und der öffentlichen Kritik daran und zeigt Perspektiven für eine
neue Gesamtkonzeption verbandlicher Arbeit auf.
Eine zentrale Säule der deutschen Sozialpolitik, der Wohlfahrtskorporatismus, ist ins
Wanken geraten. Die Einführung neuer Steuerungsmodelle seit den 1990er-Jahren, die
u.a. zu einer Aufhebung der Privilegierung der Wohlfahrtsverbände geführt haben, eine
zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft, von denen insbesondere die kirchlichen
Wohlfahrtsverbände Diakonisches Werk und Deutscher Caritasverband betroffen sind,
und nicht zuletzt die aktuell kontrovers debattierten Verwerfungen auf dem sozialwirtschaftlichen Arbeitsmarkt stellen die freie Wohlfahrtspflege vor erhebliche Herausforderungen. Berichte über Abweichungen von Normalarbeitsverhältnissen, „Lohndumping“
durch Ausgliederungen, Auswüchse des „Dritten Weges“ wie fehlende Streikmöglichkeiten beschäftigen nicht nur die Medien. Manche Beobachter sprechen von intransparenten „Hilfsindustrien“, die ihre Wachstumsdynamik nicht eigenen Leistungen, sondern den „Sozialkassen“ verdanken.
Wenn sich auch Niedriglöhne und Outsourcing in Grenzen halten, wird das traditionelle Leitbild der „wohltätigen“ Organisation zunehmend hinterfragt. Dies sorgt für Irritationen bei den verbandlichen Akteuren, die dadurch auch in gesellschaftspolitischen
Fragen in die Defensive geraten sind.1 Bislang hatten eher die Kirchen und Wohlfahrtsverbände die Aufgabe übernommen, „kapitalistische“ Arbeitgeber für wachsende soziale Polarisierungen verantwortlich zu machen. Jetzt reagieren die Wohlfahrtsverbände
mit ihrer traditionellen Rolle eines „Anwalts der Schwachen“ nicht immer souverän,
wenn sie mit unfairen Arbeitsbedingungen und der Nichtgewährung demokratischer
Grundrechte wie dem Streikrecht in Verbindung gebracht werden. Durch diese Verwer-
1 Die öffentlichen Debatten über negative Auswüchse bei den Arbeitsbedingungen der Wohlfahrtsverbände
wurden vorangetrieben durch die gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den diakonischen Einrichtungen der evangelischen Kirche und Verdi, die im Herbst 2012 mit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes
endeten. Demnach steht Gewerkschaften das Recht zu, auch in diesem Sektor Tarifverträge auszuhandeln
(und damit auch Streiks auszurufen); andererseits wurde aber der „Dritte Weg“ der Kirchen als verfassungskonform bestätigt (zu arbeitsrechtlichen Missständen bei kirchlichen Arbeitgebern vgl. Müller 2013).
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fungen kommt es in der Öffentlichkeit zu Legitimationsverlusten und der Ruf nach mehr
Wettbewerb im Sozialsektor wird (noch) lauter.
Jenseits der oft pauschalen Skandalisierungen in der Öffentlichkeit hat in Verbänden und wissenschaftlichen Kreisen
längst eine Debatte über die zukünftige Ausrichtung der verbandlichen Wohlfahrtspflege begonnen. Die Gründe für die
vollzogenen verbandlichen Reorganisationsstrategien liegen
v.a. in den gewandelten Finanzierungsstrukturen: Während
bis in die 1990er-Jahre die Verbände (in enger Kooperation
mit staatlichen Institutionen) über ihre Angebote verhandeln
und sie dann refinanzieren konnten, haben sich diese Rahmenbedingungen in Richtung auf die Einführung von Wettbewerb (wenigstens in Teilbereichen) und Kostenkonkurrenz
strukturell gewandelt. Einige Träger geben diesen Druck
durch die Übertragung betriebswirtschaftlicher Muster (Outsourcing, Fusionen etc.), die teilweise unreflektiert aus der
Privatwirtschaft übernommen werden, an ihre Beschäftigten
weiter. Wurden diese Veränderungen in der ohnehin zersplitterten und schwer durchschaubaren Wohlfahrtsbranche
zunächst kaum öffentlich registriert, lösen sie inzwischen
nicht nur Proteste von Beschäftigten und Gewerkschaften
aus, die ihrerseits auch unter Organisationsdruck stehen.
Vielmehr generieren sie Legitimationsprobleme für die gesamte Wohlfahrtspflege, die weit über arbeitsrechtliche Fragen hinausgehen.
Prof. Dr. Rolf Heinze
lehrt Allgemeine Soziologie,
Arbeit und Wirtschaft an der
Ruhr-Universität Bochum.
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Katrin Schneiders
lehrt Wissenschaft der Sozialen Arbeit mit Schwerpunkt
Sozialwirtschaft an der
Hochschule Koblenz.
E-Mail:
[email protected]
Das besondere Kennzeichen der freigemeinnützigen Wohlfahrtspflege, durch
eine Integration der drei Steuerungsinstitutionen Markt, Staat und Gemeinschaft
den speziellen Anforderungen im Produktionsprozess sozialer Dienstleistungen
in besonderer Art und Weise gerecht zu werden, verliert an Kontur. Der hierfür
erforderliche Ausgleich zwischen den von verschiedenen Anspruchsgruppen
formulierten Anforderungen bzw. Interessen ist ein Balanceakt, der – so unsere
These – zunehmend weniger gelingt.
Im Folgenden wird nach einem kurzen Überblick über Organisationsstruktur und (sozial-)wirtschaftliche Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege auf die Friktionen im Interessenausgleich vor dem Hintergrund der allgemeinen Reorganisation wohlfahrtsstaatlicher Dienste eingegangen. Daraus ableitend bzw. abschließend werden Überlegungen
zu strategischen Steuerungsoptionen skizziert.
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Die ungebrochene Wachstumsdynamik des sozialen
Dienst­leistungssektors
Der soziale Dienstleistungssektor hat sich in Deutschland als ein wichtiges Beschäftigungsfeld bestätigt und gilt als „Fundament sozialstaatlicher Wirksamkeit“ (Schroeder
2012). Mehr als 12 % der Beschäftigten in Deutschland arbeiten inzwischen im Gesundheits- und Sozialwesen und alle vorliegenden Prognosen zur weiteren Entwicklung
gehen von einem wachsenden Anteil an der Gesamtbeschäftigung aus. Allerdings ist innerhalb der entstehenden Beschäftigungschancen zu differenzieren: Befristete Beschäftigungsverhältnisse sind in den letzten Jahren ausgeweitet worden; rund zwei Drittel der
Neueinstellungen im Bereich sozialer Dienste sind in Deutschland inzwischen befristet
(vgl. Dathe u.a. 2012 sowie die Beiträge in Evers/Heinze 2008 und Evers u.a. 2011).
Die freie Wohlfahrtspflege, deren Träger im Wesentlichen in den sechs Spitzenverbänden Arbeiterwohlfahrt (AWO), Deutscher Caritasverband (DCV), Diakonisches Werk
(DW), Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Paritätischer und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden
(ZWStdJ) organisiert sind,2 erbringt trotz einer Zunahme privatwirtschaftlicher Akteure in einigen Handlungsfeldern (v.a. in der Altenpflege, von einem sehr geringen Niveau ausgehend zunehmend auch in der Kinderbetreuung) einen Großteil der sozialen
Dienstleistungen in Deutschland. Im Jahr 2008 waren bei den Spitzenverbänden der
Wohlfahrtspflege in knapp 137.000 sozialen Einrichtungen und Selbsthilfegruppen mit
über 3,6 Millionen Plätzen rd. 1,54 Millionen Erwerbstätige beschäftigt (BAGFW 2009,
19). Gegenüber 1970 hat sich die Zahl der Hauptamtlichen fast vervierfacht – zum Teil
allerdings aufgrund eines erheblichen Anstiegs der Teilzeitbeschäftigung –; insgesamt
werden rund drei Viertel der sozialen Dienstleistungen von den Wohlfahrtsverbänden
angeboten. Die Organisationen der „freien Wohlfahrtspflege“ werden i.d.R. dem Nonprofit- bzw. „Dritten“ Sektor zugeordnet (vgl. zusammenfassend Merchel 2011). Dieser
unterscheidet sich vom Profit- bzw. Marktsektor durch eine von der Gewinnorientierung abweichende Handlungsorientierung, vom Staatssektor durch seine partielle finanzielle Unabhängigkeit aufgrund des Zugriffs auf Spenden und von der Familie bzw.
anderen Gemeinschaften durch die professionelle Dienstleistungserstellung.
Die Dachverbände der freien Wohlfahrtspflege entsprechen den Merkmalen von NonProfit- bzw. Dritte-Sektor-Organisationen, allerdings gilt das nicht für alle den Dachverbänden angeschlossenen Organisationen. Die operativen Einheiten unterhalb der
Dachverbandsebene der Wohlfahrtsverbände haben zum Teil keinen eigenen Zugang
zu Spendenmitteln und werden auch nicht durch ehrenamtliches Engagement getragen, sondern weisen eine interne Organisations- und Finanzierungsstruktur auf, die
sich nicht wesentlich von derjenigen privatwirtschaftlicher Unternehmen unterscheidet.
Steuerrechtlich bewegt sich nur ein Teil dieser Organisationen innerhalb des gemeinnützigen Rahmens; immer mehr Wohlfahrtsverbände bzw. deren Untergliederungen
2 Hinzu kommen Religionsgemeinschaften sowie gemeinnützige Organisationen, die keinem der Spitzenverbände angehören (vgl. als Überblick zur Wohlfahrtspflege Moos/Klug 2009).
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gründen neben gemeinnützigen GmbHs auch „normale“ GmbHs aus. Hier erwirtschaftete Gewinne fließen i.d.R. allerdings wiederum den gemeinnützigen Dachorganisationen zu. Insofern unterscheiden sich rechtlich privatwirtschaftlich organisierte Einrichtungen innerhalb der Wohlfahrtsverbände von privatgewerblichen Unternehmen im
Sozialsektor. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Organisationstypen verlieren
jedoch an Trennschärfe, sodass von einer zunehmenden Hybridisierung des Sektors
gesprochen werden kann (Heinze u.a. 2013). Diese stellt die innerverbandliche, aber
auch die Außenwirkung der Verbände vor erhebliche Herausforderungen, indem das
Alleinstellungsmerkmal der Wohlfahrtsverbände, den Besonderheiten der sozialen
Dienstleistungsproduktion in besonderer Weise gerecht zu werden, erodiert.
Die freie Wohlfahrtspflege als „eierlegende Wollmilchsau“:
Dilemmata aus organisationssoziologischer Perspektive
Als Organisationen der Interessenvermittlung nehmen die Wohlfahrtsverbände im sozialpolitischen Feld eine zentrale Rolle ein. Wohlfahrtsverbände sind i.d.R. in den gesamten Politikformulierungs- und Implementationsprozess sozialpolitischer Interventionen eingebunden. Innerhalb dieses Prozesses nehmen sie unterschiedliche Funktionen
wahr (siehe Abb. 1).
Abb.1: Funktionen der Wohlfahrtsverbände im sozialpolitischen Policy-Cycle
(eigene Darstellung in Anlehnung an Jann/Wegrich 2009)
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Aus der schematischen Übersicht wird deutlich, dass die Wohlfahrtsverbände im sozialpolitischen Policy-Cycle die Interessen mindestens zweier verschiedener Anspruchsgruppen (Klient/innen und Dienstleistungsproduzenten, d.h. Einrichtungen) vertreten,
die sich zum Teil widersprüchlich darstellen. Dies führt dazu, dass die Organisationen
einen permanenten internen Interessenausgleich zwischen den Interessen der Mitglieder bzw. Klient/innen auf der einen Seite und den Einrichtungen auf der operativen
Ebene bewerkstelligen müssen. Dieser latente Konflikt ist durch die Neuorientierung
der Sozialpolitik mit der Abweichung vom traditionellen, verbandszentrierten Subsidiaritätsverständnis sowie der Aufhebung des Kostendeckungsprinzips und weiterer marktlicher Steuerungselemente (u.a. die partielle Aufhebung des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses) deutlich verschärft worden (vgl. zur historischen Entwicklung des
Verhältnisses zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden Heinze/Olk 1981). Die Abkehr
vom Kostendeckungsprinzip hat insbesondere die Interessendivergenz zwischen den
Rollen „Dienstleistungsanbieter“ und „Interessenvertreter“ der Klient/innen verschärft,
da nicht mehr jede vom Wohlfahrtsverband im Sinne der Klient/innen als notwendig
erachtete Dienstleistung mit den Kostenträgern abgerechnet werden kann. Ausgehend
von ihrer Funktion als Interessenvertreter der sozial Benachteiligten beanspruchen die
Wohlfahrtsverbände jedoch weiterhin die Deutungshoheit bezüglich der Wünsche und
Bedarfe ihrer Klient/innen. Diese sozialanwaltschaftliche Perspektive kollidiert jedoch
zunehmend mit anderen Handlungsorientierungen.
Zum erforderlichen Ausgleich zwischen den Interessen der Kund/innen und der Produzenten sozialer Dienstleistungen treten Anforderungen der Mitglieder sowie der Beschäftigten hinzu, die zunehmend auch öffentlichkeitswirksam artikuliert werden. Abbildung 2 zeigt idealtypisch die Interessen der verschiedenen Anspruchsgruppen sowie
die daraus resultierenden Rollen der Wohlfahrtsverbände.
Durch die in einigen Handlungsfeldern vollzogene Aufhebung des sozialrechtlichen
bzw. -wirtschaftlichen Dreiecks3 sowie eine zunehmende Inanspruchnahme von sozialen Dienstleistungen jenseits öffentlicher Finanzierungen (insbesondere durch Ältere) ist
eine neue Anspruchsgruppe entstanden: Kund/innen, die anders als Klient/innen relativ
unabhängig (ggf. innerhalb eines vom Kostenträger definierten Budgets) entscheiden
können, welche Dienstleistungen sie von welchen Anbietern „einkaufen“. Aus dieser
veränderten Rollenzuschreibung resultiert fast zwangsläufig eine erhöhte Preissensibilität. Die Forderung nach moderaten Preisen wird auch von den Kostenträgern formuliert,
die hier der „Gesellschaft“ zugeordnet wurden, da sie u.a. die Funktion des innergesellschaftlichen Lastenausgleichs wahrnehmen.
Soziale Dienstleistungen weisen oftmals zwei Zielperspektiven auf: eine auf die Verbesserung von individuellen Lebensbedingungen gerichtete sowie eine am gesellschaftlichen Integrationsbedarf orientierte. Ein Ausgleich zwischen diesen beiden Zielperspektiven ist für die Wohlfahrtsverbände nicht frei von Widersprüchen. Während es aus
3 Vor allem in der Altenpflege, aber auch der Behindertenhilfe (Persönliches Budget) sowie in Teilen der Kinderbetreuung (Gutscheinsystem in Hamburg).
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Gründen der Verbesserung der individuellen Lebensqualität bzw. Teilhabechancen geboten scheint, weitreichende Unterstützungsleistungen zu fordern und zu garantieren
(Sozialanwaltschaft), ist es wegen der erforderlichen Refinanzierung aus Steuermitteln
gesellschaftlich wünschenswert, öffentlich finanzierte soziale Dienstleistungen zu beschränken bzw. zumindest eine höchstmögliche Effizienz des Mitteleinsatzes sicherzustellen. Idealtypisch gelingt dieser Interessenausgleich den Wohlfahrtsverbänden als
Dritte-Sektor-Organisationen aufgrund ihrer nicht erwerbswirtschaftlichen Orientierung
besser als privatgewerblichen Akteuren, da unterstellt werden kann, dass aufgrund der
fehlenden Gewinnorientierung nur erforderliche Dienstleistungen zu einem optimalen
Preis angeboten werden. Die durch die partielle Öffnung des Sozialmarktes für andere
Anbieter möglichen Preis- und Leistungsvergleiche zeigen jedoch, dass von einem derartigen Automatismus nicht mehr ausgegangen werden kann.
Abb. 2: Anspruchsgruppen und Rollen der Wohlfahrtsverbände (eigene Darstellung)
Auf die zunehmend in den öffentlichen Fokus geratene Funktion der Wohlfahrtsverbände als Arbeitgeber wurde bereits hingewiesen. Angesichts der Trägerkapazität von
bundesweit rund zwei Dritteln der sozialen Einrichtungen sind die Wohlfahrtsverbände nicht nur in sozialpolitischer Hinsicht mächtige Akteure, ohne deren Kooperation
und Ressourceneinsatz viele soziale Dienste nicht angeboten werden könnten. Sie
sind auch in beschäftigungspolitischer Sicht eine tragende Säule des Arbeitsmarktes,
die in den letzten Jahren noch an Bedeutung gewonnen hat. Dies wird auch in den
Wohlfahrtsverbänden reflektiert, die sich zunehmend als „Motor“ der Sozialwirtschaft
sehen und in vielen Bundesländern Studien zur beschäftigungspolitischen Bedeutung
der Sozialwirtschaft vorgelegt haben. Dabei wird nicht nur auf die gewachsene Zahl an
Arbeitsplätzen verwiesen, sondern die Wertschöpfungsnetzwerke und Ausstrahlungsef-
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fekte hervorgehoben (vgl. Thüringer Ministerien für Wirtschaft, Arbeit und Technologie
sowie für Soziales, Familie und Gesundheit 2012 sowie Karmann u.a. 2012).
Das durchaus begründete erhöhte Selbstbewusstsein als wichtiger beschäftigungspolitischer Akteur wird jedoch durch die aktuelle Berichterstattung über die Arbeitsbedingungen in Wohlfahrtsverbänden konterkariert. Dazu gehören sowohl empirisch
nachzuweisende flächendeckende Ausgründungen als auch punktuelle Leiharbeit, Einzelarbeitsverträge etc., aber auch die von vielen Verbänden vorgenommene Abkehr
von Tarifverträgen mit sozialen Komponenten (vgl. u.a. Lührs 2010). Die Kritik an der
Beschäftigung von osteuropäischen Frauen in der häuslichen Pflege, die von einigen
wohlfahrtsverbandlichen Akteuren mit dem Argument des Lohndumpings und der fehlenden Qualitätssicherung zunächst artikuliert wurde, verliert an Glaubwürdigkeit,
wenn die gleichen Akteure dann als Vermittler derartiger Haushaltshilfen fungieren (vgl.
Schneiders 2012). Zudem läuft das Professionsverständnis der Mitarbeiter/innen bzw.
deren Interpretation der Erfordernisse der Dienstleistungsproduktion der Kostensicht der
Trägerebene zuwider, was von den Beschäftigten als Prekarisierung und Entprofessionalisierung wahrgenommen wird (Wolf 2011; vgl. zu den Interessendivergenzen in der
Behindertenhilfe am Beispiel der Werkstätten für Behinderte: Weber 2009).
Eine besondere Ressource der Wohlfahrtsverbände sind die Ehrenamtlichen, die zum
Teil auch Mitglieder der jeweiligen Verbände sind.4 Mit Blick auf das eigenständige
Leistungsprofil der freien Wohlfahrtspflege erodiert jedoch die Ehrenamtlichkeit als
Anker. In allen offiziellen Publikationen der Wohlfahrtsverbände wird das in Verbänden akkumulierte Ehrenamt betont und seit Jahrzehnten wird von gut 2,5 Millionen
ehrenamtlich engagierten Mitarbeiter/innen gesprochen. Allerdings wandelt sich das
Potenzial an Ehrenamtlichen massiv, weil das klassische Ehrenamt mit seiner relativ
festen Bindung an Organisationen schwindet. Das regelmäßige, verbandsförmig gebundene Engagement ist deutlich zurückgegangen, während das breiter aufgestellte Bür­ger­
engagement eher wächst. Säkularisierung und Individualisierung haben das Potenzial
klassischer ehrenamtlicher Arbeit in den sozialen Verbänden verringert: Das Ehrenamt
mit dem „goldenen Helferherz“ stirbt aus. Der Strukturwandel des Ehrenamtes trifft
die Wohlfahrtsverbände an einem empfindlichen Punkt. Das neue Ehrenamt ist eher
durch eine Verbindung von sozialer Gesinnung, persönlicher Betroffenheit, Selbstverwirklichungsmotiven und politischem Veränderungswillen geprägt und muss Raum für
Kreativität und Spontaneität zulassen. Es verträgt keine unbegrenzte Verpflichtung mehr,
wie es gerade die Wohlfahrtsverbände klassisch vorgesehen haben.
Quer zu diesen teilweise latenten, teilweise sehr expliziten Interessendifferenzen bzw.
-konkurrenzen innerhalb der freien Wohlfahrtspflege verläuft ein Konflikt zwischen den
4 Die Verbände weisen in Bezug auf ihre Mitgliederstruktur erhebliche Unterschiede auf. So sind AWO und
ZWStdJ Dachverbände mit persönlichen Mitgliedern, während es sich bei den Mitgliedern von DW und der
DPWV um Organisationen handelt, die wiederum Mitglieder haben. Der DCV und das DRK schließlich
verfügen sowohl über Organisationen als Mitglieder als auch über persönliche Mitglieder. Unterhalb der
Dachverbandsebene sind insbesondere die konfessionellen Wohlfahrtsverbände von einer sehr komplexen
Organisationsstruktur gekennzeichnet, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.
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verschiedenen verbandlichen Ebenen. Während die sozialpolitische Interessenvermittlung mit der hier dominierenden Handlungsorientierung „Solidarität“ von den Dachverbänden auf (bundes-)politischer Ebene wahrgenommen wird, folgen die operativen
Einheiten (Einrichtungen bzw. deren Leitungen) aufgrund der Einführung wettbewerblicher Steuerungselemente teilweise gezwungenermaßen eher den Handlungsrationalitäten des „Marktes“. Während auf der Dachverbandsebene ein „Negativwachstum“
bspw. in der Behindertenhilfe vor der Folie der Inklusion goutiert wird, verursacht ein
derartiger Richtungswechsel bei Einrichtungsleitungen aus betriebswirtschaftlichen
Gründen Ablehnung und bedeutet für die Beschäftigten nicht nur einen drohenden
Arbeitsplatzverlust, sondern wird auch als Mangel an Wertschätzung der eigenen Arbeit
wahrgenommen (Weber 2009).
Positionierung der freien Wohlfahrtspflege in der Sozialwirtschaft
Aufgrund der Besonderheiten der sozialen Dienstleistungsproduktion, insbesondere
der vorhandenen Informationsasymmetrie über die Notwendigkeit und Qualität von
Leistungen sowie der für einen Erfolg erforderlichen Koproduktion durch Kund/innen
bzw. Klient/innen, ist der Sektor nicht durchgehend marktlich zu organisieren. Dies gilt
insbesondere für Beratungs- bzw. Unterstützungsleistungen, denen neben der Beseitigung bzw. Reduzierung individueller Probleme auch eine gesamtgesellschaftliche Integrationsfunktion innewohnt (bspw. in der Sucht- sowie der Straffälligenhilfe). Trotz aller
Ökonomisierungstendenzen, die sich in den letzten Jahren in viele gesellschaftliche
Felder ausgedehnt haben, handelt es sich allenfalls um „Quasi-Märkte“. Welche nicht
intendierten Nebeneffekte eine konsequente Ausrichtung an ökonomischen Zielen verursachen kann, zeigte das Extrembeispiel der Treberhilfe Berlin (vgl. Douma 2010).
Durch die zunehmende Ökonomisierung sozialstaatlicher Regulierungen (vgl. Heinze/
Schneiders 2013) wird auch die Integrationskraft der Wohlfahrtsverbände beeinträchtigt. Von diesem Problem sind grundsätzlich alle Sozialunternehmen betroffen, Wohlfahrtsverbände aufgrund ihres besonders postulierten Wertegebotes allerdings in besonderem Maße. Sie versuchen, an der formalen Struktur der Organisationen Anpassungen
vorzunehmen, sie also den veränderten institutionellen Kontexten in Form von Ausgründungen etc. anzupassen, um die gängigen Rationalitätsmythen zu bedienen. Dabei ist
zu berücksichtigen, dass die Ausgründungen über Entkopplungsstrategien hinausgehen.
Durch die Ausgründungen und Überführung in andere Rechtsformen verlieren die Organisationen an Legitimität und die Logik des Vertrauens erodiert zunehmend. Durch
die organisatorische Trennung der Funktionen, wie sie bspw. für den DCV prognostiziert wird (Manderscheid 2006, 57), droht der Verlust der Legitimität des Gesamtverbandes. In diesem Kontext sind dann auch die zu beobachtenden „Verselbständigungsbestrebungen großer Träger, die sich von ihrem Wohlfahrtsverband nicht mehr vertreten
fühlen“ (Sell 2008, 83) nicht überraschend. Bislang sind diese Prozesse vor allem in
Form der Ausgründung von Tochterunternehmen großer Einrichtungen erkennbar. Diese
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Servicegesellschaften sind – teilweise gegen den erheblichen Widerstand der Dachverbände – nicht in den jeweiligen Dachverbänden organisiert. Der Austritt von übergeordneten Trägerorganisationen konnte hingegen von den Verbänden verhindert werden.
Auch vom eigenen Selbstverständnis her stellt die freie Wohlfahrtspflege nur noch
einen Teilbereich einer komplexer werdenden Sozialwirtschaft dar, wobei die Unterscheidung von Dachverbänden und operativen Einheiten immer fließender wird. Die
historisch verankerte Integration verschiedener Funktionen erodiert dadurch und es
kommt zu einer doppelten Entkopplung: zwischen den verschiedenen Funktionen und
zwischen den Ebenen. Die Entkopplungstendenzen zwischen den Aufgaben und organisatorischen Einheiten sind deutlich erkennbar und gefährden in manchen Fällen die
besondere Stellung der Wohlfahrtsverbände – etwa wenn sich Einrichtungen in arbeitsrechtlichen Fragen von Satzungen des Dachverbandes absetzen. Insgesamt erodieren
somit die normativ postulierten Ansprüche, bspw. eines „Dritten Weges“, die die Sonderstellung der Wohlfahrtsverbände legitimierten (vgl. Dahme u.a. 2012).
Die Debatte um die Steuerungsprinzipien wird nicht nur durch die punktuell problematischen Arbeitsbedingungen oder Bürokratisierungseffekte befördert, sondern auch durch
neue Anbieter sozialer Dienstleistungen, die sich nach außen öffentlichkeitswirksam
als soziale Unternehmer definieren und den Anspruch haben, soziale Dienstleistungen
unter Einbezug unternehmerischer Instrumente anzubieten. Jenseits der traditionellen
Wohlfahrtsverbände sehen sie als ihre primäre Motivation nicht die Gewinnerzielung
an, weisen dennoch Züge von gewerblichen Unternehmen (Rechtsform, Risikoübernahme etc.) auf. Diese auch als Social Entrepreneurs bezeichneten Akteure verfügen
im Vergleich zu den etablierten Akteuren (bislang) nur über geringe Kapazitäten und
bedienen vor allem sozialpolitische Nischen (niedrigschwellige Betreuungsangebote,
Organisation ehrenamtlicher Unterstützungsangebote etc.). Sie weisen jedoch eine
hohe Innovationskraft insbesondere in den Bereichen des Sozialmarketings sowie der
Einbindung ehrenamtlichen Engagements auf (vgl. die Beiträge in Hackenberg/Empter
2011 sowie Heinze u.a. 2013).
Insgesamt führen die Ausdifferenzierung der wohlfahrtsverbandlichen Organisationsstrukturen sowie die Entstehung neuer Organisationsformen jenseits der klassischen
Trennung zwischen Rendite- und Gemeinwohlorientierung zu einer Unübersichtlichkeit im Sozialsektor. Aus wissenschaftlicher Perspektive stellt diese zwar eine spannende analytische Herausforderung dar, den Akteuren in den Wohlfahrtsverbänden bereitet
sie jedoch v.a. erhebliche Handlungsprobleme. Die verschiedenen Entwicklungstendenzen – von der Ökonomisierung der sozialen Dienste über die Pluralisierung der
Trägerlandschaft und neue hybride Organisationsformen bis hin zur Erosion der verbandlichen Ehrenamtlichkeit – weisen darauf hin, dass sich das soziale Ordnungsmodell des Wohlfahrtskorporatismus zumindest in Teilbereichen (vgl. Grohs 2010) entgrenzt und tendenziell verflüssigt hat. Die zentralen Säulen stehen zwar noch, bedürfen
allerdings einer grundlegenden Konstruktionsreform. Als Leitbild kann ein erweiterter
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Zur aktuellen Situation der freien Wohlfahrtspflege
„Wohlfahrtspluralismus“ bzw. Welfare Mix (vgl. Evers/Olk 1996) dienen, der derzeit
eine Renaissance als strategische Option für eine lokal organisierte Wohlfahrtsproduktion erlebt. Dem Welfare Mix wohnt ein zivilgesellschaftlicher Anspruch mit der
Hoffnung inne, dass eine „auf menschlicher Empathie beruhende soziale Solidarität“
(Streeck 2008, 25) zurückkehrt.
Entwicklungsperspektiven: Reorganisation, Transparenz und
Kommunikation
Der in den letzten Jahren zu beobachtende Wandel der wohlfahrtsverbandlichen Produktions- und Leistungsstrukturen hat bislang (noch) nicht zu einer neuen Gesamtkonzeption verbandlicher Arbeit geführt. Auch die Fokussierung auf die Sozialwirtschaft
wird diese Lücke nicht schließen können. Nach den Phasen der Leitbildentwicklung,
der Verbandsreform sowie der Ausgründung (vgl. Boeßenecker 2012) sind nun ambitionierte, systemisch ansetzende Konzepte erforderlich, was auch in den Wohlfahrtsverbänden zunehmend erkannt wird. Diese Aufgabe ist in Zeiten permanenter systemischer
Unruhen und eingeschränkter staatlicher Handlungsfähigkeit (vgl. zusammenfassend
Heinze 2009, 2011) aber schwierig zu erfüllen.
Schaut man auf mögliche Entwicklungsperspektiven für die Zukunft der verbandlichen
Wohlfahrtspflege, dann muss zunächst die These von der Pfadabhängigkeit der korporatistischen Struktur der verbandlichen Wohlfahrtspflege angesprochen werden. Das institutionell verankerte Beziehungsgeflecht zwischen Staat und Verbänden in Deutschland
hat sich lange als relativ stabil erwiesen, zeigt allerdings derzeit ernst zu nehmende Risse. Eine schleichende Erosion, begleitet von „Sonderregelungen“ für Spitzenverbände,
ist zu beobachten; diese hybriden Organisationsstrukturen sind bislang noch begrenzt
auf einzelne sozialarbeiterische Handlungsfelder. Tendenziell ist davon auszugehen,
dass die Wohlfahrtsverbände mit einer zunehmenden Auflösung ihrer Monopolstellung rechnen müssen und damit der traditionelle deutsche Weg der Produktion sozialer Dienste modifiziert wird. Einzelne Verbände bzw. Untergliederungen haben in
den letzten Jahren erkannt, dass der klassische Korporatismus mit den innewohnenden
Privilegien (etwa den traditionellen Trägerauswahlverfahren) zu Ende geht. Erhebliche
Modernisierungsschritte hinsichtlich der „Governance“ sozialer Dienste sind längst
eingeleitet, die ein aktives Umsteuern notwendig machen. Erste Reaktionen aus den
Wohlfahrtsverbänden zeigen, dass dieser Paradigmenwandel und die veränderten Akteurkonstellationen zu einer Zersplitterung innerhalb des Wohlfahrtssystems führen
können (Bode 2013, 354 ff.).
Wohlfahrtsverbände haben auch in einem stärker pluralisierten System der Produktion
sozialer Dienste als multifunktionale Organisationen weiterhin eine Zukunft – sie müssen allerdings die Chancen, die sich aus der Integration der verschiedenen Funktionen
ergeben, wieder stärken akzentuieren. Nur die Wiederherstellung der Balance zwi-
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schen den verschiedenen Interessen kann verhindern, dass die Multifunktionalität vom
Alleinstellungsmerkmal zum Fluch wird (vgl. Schneiders 2010, 232 ff.). Allein auf einzelne verbandliche Dienstleistungsangebote bezogene Modernisierungen werden auch
von einzelnen Verbandsvertretern als zu eng aufgefasst und weitergehende Schritte in
Richtung eines systemischen Managements diskutiert. Der strategische Weg in Richtung
einer Netzwerkwirtschaft mit neuen bereichsspezifischen Verschränkungen zwischen
öffentlichen und privaten Akteuren zielt in diese Richtung.
Aber nicht alle Verbände erkennen die Herausforderungen, geschweige denn verlassen
sie die „alten“ Pfade. Das Beharrungsvermögen vieler Verbandsakteure, die einer Umstrukturierung reserviert gegenüberstehen, darf (wie auch in anderen Organisationen)
nicht unterschätzt werden. Dabei besteht die Gefahr, dass die Wohlfahrtsverbände inhaltlich und legitimatorisch „ausbluten“, ohne dass sich die Wiederherstellung einer
Prosperitätskonstellation unter den gegebenen Wettbewerbsbedingungen abzeichnet.
Der bei vielen zentralen Akteuren noch immer gern kommunizierte Hinweis auf die
eigene Organisationsstärke darf nicht darüber hinweg täuschen, dass auch das „soziale
Kapital“ (das sich u.a. aus dem bei Wohlfahrtsverbänden erodierenden ehrenamtlichen
Engagement speist) spätestens dann erschöpft ist, wenn es den verantwortlichen Akteuren nicht gelingt, den massiven Herausforderungen aktiv zu begegnen.
Eine aktive Bewältigungs- bzw. Modernisierungsstrategie muss über öffentliches Klagen über die unzureichende Bereitstellung finanzieller Ressourcen hinausgehen – auch
wenn es angesichts der Haushaltslage vieler deutscher Kommunen und damit zusammenhängender harter Preis- und Budgetverhandlungen in einigen Bereichen durchaus
berechtigt ist. Empirische Untersuchungen zeigen, dass gerade auch von etablierten
Akteuren in Wohlfahrtsverbänden Innovationen angestoßen werden (vgl. Heinze u.a.
2013 sowie Scheuerle u.a. 2013) – allein sie werden von der Öffentlichkeit im Gegensatz zu den medial hochprofessionell agierenden Social Entrepreneurs kaum wahrgenommen. Eine erhöhte Transparenz der verbandlichen Aktivitäten und eine verbesserte
Kommunikationspolitik scheinen daher dringend erforderlich5 – nicht zuletzt vor dem
Hintergrund der Bestrebungen der Europäischen Kommission zu Regulierungen im Sozialsektor.
Eine Modernisierung der freien Wohlfahrtspflege in Richtung eines Akteurs, dem es
wieder gelingt, seine multiplen Funktionen zu einer gesamtgesellschaftlich verantwortlichen Balance auszutarieren, kann nur gelingen, wenn dieser Re-Organisationsprozess
unter dem Einbezug der relevanten Akteure aller verbandlichen Ebenen und nach außen transparent verläuft. Nur dann kann ein gesellschaftlicher Konsens über die Notwendigkeit der freien Wohlfahrtspflege wieder hergestellt werden. Die erforderliche
neue Schnittstellendynamik zwischen dem Staat sowie privaten und gemeinnützigen
5 Die Veröffentlichung von statistischen Daten zum Umfang und zur Struktur der Aktivitäten von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) angeschlossenen Verbänden in einem Vier-JahresRhythmus und mit einer zweijährigen Verzögerung (die Veröffentlichung der Daten von 2012 ist für das Jahr
2014 vorgesehen), trägt hingegen nicht zu dieser Transparenz bei.
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Akteuren bildet sich bislang nur in Konturen ab und muss noch ausbalanciert werden.
Zurzeit besteht angesichts einer zunehmenden Skepsis gegenüber simplen Ökonomisierungsstrategien die Chance, sozialinvestive, nachhaltige Strategien durchzusetzen.
Vor dem Hintergrund der unsicheren Finanzierungsstruktur und gestörten Vertrauensverhältnissen sind diese jedoch generell schwieriger umzusetzen. Neue sektorenübergreifende Handlungsstrategien werden immer wichtiger und sollten auch ein Weg für
die Wohlfahrtspflege sein, ihr Leistungspotenzial neu auszurichten.
Die besondere Rolle und die Notwendigkeit der freien Wohlfahrtspflege wären
auch gesellschaftlich wieder besser nachvollziehbar, wenn sich die Verbände
einem systematischen Benchmarking stellen würden, das über undifferenzierte
Preisvergleiche hinausgeht und die Sozialrendite der freien Wohlfahrtspflege als
Arbeitgeber, Dienstleistungsunternehmen, Interessen- und Mitgliederverband
sowie zivilgesellschaftlichem Akteur einbezieht.
Literatur
BAGFW – Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. (Hrsg.) (2009): Einrichtungen und Dienste der Freien Wohlfahrtspflege Gesamtstatistik 2008, Berlin.
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Dahme, Hans-Jürgen/Kühnlein, Gertrud/Stefaniak, Anna/Wohlfahrt, Norbert (2012): Der
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Dathe, Dietmar/Paul, Franziska/Stuth, Stefan (2012): Soziale Dienstleistungen: Steigende Arbeitslast trotz Personalzuwachs, in: WZBrief Arbeit 12.
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