MUSEUM LESSIANUM – PHILOSOPHISCHE SECTION Joseph MARÉCHAL, S. J. Doktor der Wissenschaften Philosophieprofessor am Philosophischen und Theologischischen Kolleg der Gesellschaft Jesu in Louvain. DER START-PUNKT der METAPHYSIK Deutsche Übersetzung und Internetbearbeitung von Prof. Dr.rer.nat. Otto Schärpf S.J. 2017 Vorlesungen über die historische und theoretische Entwicklung des Problems der Erkenntnis HEFT III Die Kritik Kants. Auflage 1923 1 De licentia Superiorum Ordinis NIHIL OBSTAT Brugis, die 6a Martii 1923 Alb. Boone, S.J. IMPRIMATUR : Brugis, die 9a Martii 1923 A. C. De Schrevel, Vic. gen. i Weitere Texte von Josef Maréchal SJ 1. Übersicht 2. Cahier I, premier edition 3. Cahier I, deuxieme edition 4. Heft I, 2.Auflage, französisch und deutsch 5. Cahier II 6. Heft II deutsch 7. Cahier III 8. Cahier IV 9. Heft IV deutsch 10. Cahier V 11. Heft V deutsch 12. Études sur la psychologie des Mystques, tome second 13. Studien zur Psychologie der Mystiker, deutsch Texte von Kant 1. Kritik d.reinen Vernunft 1.Aufl. 2. Kritik d.reinen Vern. 2.Aufl. 3. Kritik prakt. Vernft. 4. Kritik der Urteilskraft 5. Prolegomena ii Inhaltsverzeichnis Einführung. 1 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik Kap. 1. Allgemeines: Biografisches und Bibliografisches . . . . . . . . §1. – Von Kant erlittene allgemeine Einflüsse. . . . . . . . . . . §2. – Die Historiker der „vorkritischen Periode.“ . . . . . . . . . Liste der vorkritischen Werke Kants . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kap.2 Leibniz-Wolffscher Ausgangpunkt Kants . . . . . . . . . . . . Kap.3 Erste Etappe: Verbesserung einiger Wolffscher Positionen . . . §1. – Der Raum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §2. – Hinreichender Grund und Ursache. . . . . . . . . . . . . . Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis . . . . . . . . . . §1. – Auf einen Semi-Empirismus zu. . . . . . . . . . . . . . . . §2. – Der Einfluss Humes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §3. – Die Grenzen der Metaphysik. . . . . . . . . . . . . . . . . a) Existenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kausalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Existenz Gottes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kap. 5. Dritte Etappe: Entdeckung der Idealität von Raum und Zeit §1. – Über die „Identität der Ununterscheidbaren“ . . . . . . . . §2. Die Apriorität des Raumes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . §3. . Die „große Erleuchtung“ von 1769. . . . . . . . . . . . . . §4. . Die Dissertation von 1770. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kap.6, 4.Etappe: Erfindung des kritischen Problems (gegen 1772) . . Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Kap. 1. Objekt der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . §1. – Das Problem. . . . . . . . . . . . . . . . . §2. – Abgrenzung des Problems; analytische und Urteile apriori. . . . . . . . . . . . . . . . Kap. 2 Die synthesis a priori . . . . . . . . . . . . . . §1. – In den exakten Wissenschaften. . . . . . . . §2. – In den physikalischen Wissenschaften. . . . Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . synthetische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5 5 6 10 10 17 17 19 23 23 25 31 31 32 34 45 45 45 47 49 59 69 70 70 72 74 74 79 iii Inhaltsverzeichnis §3. – In der Metaphysik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §4. – Der reine Gebrauch der Vernunft in den Wissenschaften („reine Wissenschaften“). . . . . . . . . . . . . . . . . . Kap.3 Die kritische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §1. – Das „Objekt als Erscheinung (als Phänomen)“ . . . . . . . §2. – „Transzendentale Reflexion“ und „transzendentale Deduktion“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §3. – Der Begriff der Apriorität. . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 83 85 85 86 95 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 99 Kap.1 Apriorität von Raum und Zeit. Die “transzendentale Ästhetik“ 100 §1. . Sinnliche Intuition und „Phänomen“. . . . . . . . . . . . . 100 §2. . Apriorität des Raums als Form. . . . . . . . . . . . . . . . 102 §3. – Idealität der Ausdehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 §4. – Apriorität und Idealität der Zeit. . . . . . . . . . . . . . . 106 §5.– Schlussfolgerung: die Relativität der Sinneswahrnehmung. . 107 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 §1. – Vorbereitendes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 §2. – Auf die Objektivierung des Gegebenen hin. . . . . . . . . 109 §3. – Die „Kategorien“ des Verstandes. . . . . . . . . . . . . . . 111 §4. – Die transzendentale Deduktion der Kategorien. . . . . . . 114 a) Notwendigkeit und Methode dieser Deduktion. . . . . 115 b) Das Wesentliche dieser Deduktion. . . . . . . . . . . 119 c) Eine erste Etappe dieser Deduktion. . . . . . . . . . . 121 d) Die Einheit der reinen Apperzeption. . . . . . . . . . 122 e) Die reine (transzendentale) Apperzeption und die Kategorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 f) Zusammenfassende Wiederholung. . . . . . . . . . . . 129 K.3 Synthesen des Verstandes II. Transzendentale Urteilslehre . . . . 133 §1. – Der„Schematismus des reinen Verstandes“. . . . . . . . . . 133 a) Die Schemata im Allgemeinen. . . . . . . . . . . . . . 133 b) Die „Schemata des reinen Verstandes“ („transzendentale Schemata“). . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 §2. - Die „Prinzipien des reinen Verstandes“. . . . . . . . . . . . 142 a) Das analytische Prinzip und die synthetischen Prinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Die „Axiome der Intuition“. . . . . . . . . . . . . . . 144 c) Die „Vorgriffe (Antizipationen) der Wahrnehmung“. . 144 d) Die „Analogien der Erfahrung“. . . . . . . . . . . . . 145 iv Inhaltsverzeichnis e) Die „Postulate des empirischen Denkens im Allgemeinen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K.4 Folgerungen für die Kritik aus der transzendentalen Analytik . . §1. – Die Einheit der Sinneswahrnehmung und des Verstandes in der Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §2. . Die Einschränkung des objektiven Gebrauchs der Begriffe. §3. . Das kant’sche Paradoxon: die Natur, Produkt unserer Spontaneität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §4. . „Bewusstsein seiner selbst“ und „Erkenntnis des Ich“. . . . §5. . Kantsche Widerlegung des Idealismus von Berkeley und von Descartes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 149 149 152 153 156 157 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 161 K.1 Ding an sich und Noummenon, seine Existenz . . . . . . . . . . 162 KAPITEL2. Das Problem der Bestimmungen des „DINGS AN SICH“. 168 §1. – Sinn des Problems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 §2. – Die fundamentalen Arten der Beweisführung, die „Ideen“ und der “transzendentale Schein“. . . . . . . . . . . . . . 169 K.3 Die Geltung der transzendentalen Ideen . . . . . . . . . . . . . . 173 §1. . Die Paralogismen der reinen Vernunft. . . . . . . . . . . . 174 §2. . Die Antinomie der reinen Vernunft. . . . . . . . . . . . . . 176 a) Die fundamentale Antinomie der spekulativen Vernunft.176 b) Die abgeleiteten Antinomien. . . . . . . . . . . . . . 177 c) Die kantsche Auflösung der Antinomien. . . . . . . . 182 K.4 Das transzendentale Ideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 §1. – Sein exakter Begriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 §2. – Kritische Prüfung der Beweise der Existenz Gottes. . . . . 190 a) allgemeine Kritik jedes Beweises der Existenz Gottes. 190 b) Partikuläre Kritik der Beweise der Existenz Gottes. . 193 Ch.5 Schlussfolgerungen: Die rein regulierende Rolle der Ideen der Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls 207 K.1 Prüfung der „Kritik der praktischen Vernunft“ . . . . . . . . . . 208 §1. – Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 §2. – Epistemologische Tragweite dieser Kritik. . . . . . . . . . 208 §3. – Die fundamentale Tatsache der praktischen Vernunft :der kategorische Imperativ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 §4. – Die Bedingung apriori des moralischen Gesetzes: die Freiheit.213 §5. . Die „Postulate“ des moralischen Imperativs . . . . . . . . . 215 §6. – Epistemologische Geltung der Postulate. . . . . . . . . . . 216 v Inhaltsverzeichnis K.2 Prüfung der Kritik der Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . 220 §1. – Der Gegensatz und die Vereinigung der zwei Bereiche der (theoretischen und praktischen) Vernunft. . . . . . . . . 220 §2. . Die Vermittlung der „Fakultät zu urteilen“ (der Urteilskraft).221 §3. – Die „formartige Finalität“, apriorisches Prinzip der Fakultät zu urteilen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 §4. – Die „Urteilskraft“ und das Gefühl. . . . . . . . . . . . . . 225 §5. – Ästhetisches Gefühl und subjektiver Finalismus. . . . . . 226 §6. . Ästhetik und Teleologie (objektiver Finalismus). . . . . . . 227 §7. – Epistemologische Konsequenzen. . . . . . . . . . . . . . . 230 ALLGEMEINE SCHLUSSFOLGERUNGEN AUS DEM HEFT III.233 vi Einführung. VIII I. Es gab in der Geschichte der abendländischen Philosophie eine kleine Zahl von entscheidenden Momenten, wo der Einfluss eines Denkers von Génie sich unwiderstehlich der menschlichen Vernunft aufdrängte, sei es um damit die Evolution zu beschleunigen sei es um irgendwo wenigstens eine Krise partiell aufzuknoten. Wir denken an einen Parmenides, der im anfänglichen Chaos der kosmologischen Spekulationen, die Einheit des Seins herausstellte, an einen Plato und an einen Aristoteles, die die Verwirrung beherrschten, die von den Sophisten geschaffen wurde, und die von neuem die Metaphysik begründeten. An einen S. Thomas, der die volle Bedeutung des Aristotelismus wiederfand und ihn in Harmonie mit dem christlichen Supernaturalismus brachte. An einen Descartes, der das unversöhnliche Reich der Vernunft durch einen Kühnheitsstoß wiederherstellte, und so die Reifung des Problems der Erkenntnis beschleunigte. Kant übernahm eine der seiner großen Vorgänger wenigstens gleiche Rolle, an dem Tag, wo er sich die Sendung gab, die endgültige Kritik des rationalen Wissens zu begründen. Was auch immer der theoretische, moralische und religiöse Wert seiner Intervention gewesen sein könnte, muss man anerkennen, dass sie sich, unabhängig davon ob positiv oder negativ gesehen, von einer einzigartigen Wirksamkeit erwies. Denn die kantsche Kritik hat das allgemeine Terrain der modernen Philosophie tiefgreifend verändert. In diesem Sinn erklären sich beinahe alle unsere Zeitgenossen als von Kant abhängig: die einen durch förmliche Anleihe von Doktrinen, die andern durch indirekt erlittenen Einfluss, andere wenigstens durch die Notwendigkeit, die sich ihnen dazu aufdrängt, neue Probleme anzuvisieren, und die Verteidigung von alten Stellungen auf neuen Grundlagen zu organisieren. Im Übrigen ist der Kantianismus, nicht mehr als der Cartesianismus, in der Geschichte der Philosophie kein absoluter Neuanfang. Kant hatte Vorläufer. Wir haben woanders die Versuche einer kritischen Epistemologie unterucht, die von Rationalisten wie Descartes und Leibniz versucht wurde, oder durch Empiriker wie Locke und Hume (siehe Heft II): unvollständige und einseitige Lösungen, die wenigstens den Vorteil hatten, das Terrain abzuräumen und gerade durch ihren Misserfolg die zu vermeidenden Felsklippen anzuzeigen. Mit Descartes war in der Tat die Aufmerksamkeit aufgerufen auf eine mögliche epistemologische Rolle des Ich; mit Leibniz, auf den Dynamismus der Intelligenz in der Bildung des intelligiblen Objektes; mit Lo- 1 Einführung. IX cke und Hume auf die Unwahrscheinlichkeit des Inneismus und auf die jedem ontologistischen Realismus innewohnenden Schwierigkeiten. Dies ist nicht alles: die Kritik von Kant war in gewissem Maße vorherbestimmt durch die konkreten Ausdrücke des Problems, die sich ihr aufdrängten. Im vorhergehenden Heft wurde gezeigt, wie die natürliche Entwicklung der modernen Philosophie, angefangen beim Ockhamismus, sie zu zwei extremen Einstellungen gedrängt hat – wir wagen, zu sagen: zu zwei wesentlichen Sackgassen: – auf der einen Seite dem phenomenalistischen Empirismus (Hume), auf der anderen Seite, dem rationalistischen Dogmatismus, entweder monistisch (Spinoza), oder pluralistisch (Wolff). In beiden Richtungen war der Weg zu einer weiteren Entwicklung blockiert: der Empirismus endete in der skeptischen Ohnmacht: der Rationalismus löste sich in inneren Widersprüchen auf. Um sich vor dem einen zu hüten und um die anderen zu begrenzen musste Kant lange Jahre mühsamer Reflexion widmen. Das ist es, was die geschichtliche Bedeutung der kantschen Kritik ausmacht, und für uns sein ursprüngliches Interesse, das ist es, daß sie sich ausdachte, nach und nach bei dem unmittelbaren und wiederholten Zusammenstoß der zwei großen Tendenzen, die die moderne Philosophie unter diesen Umständen entzweite; der säkulare Konflikt des dogmatischen Rationalismus und des Empirismus spielte sich schließlich ab ungefähr während dreißig Jahren, innerhalb eines ehrlichen und geduldigen, strengen und systematischen Denkens. Wir werden an den markantesten Schicksalswenden dieses intellektuellen Dramas teilnehmen, das gar nicht banal war, und wir werden davon danach betrachten, von sehr nahe, das Ergebnis, das in den drei „Kritiken“ hinterlegt ist (Kritik der reinen Vernunft – Kritik der praktischen Vernunft – Kritik der Urteilskraft). Diese Lösung, das weiß man, war wenigstens eine partielle Lösung der grundlegenden Antinomie des Rationalismus und des Empirismus. Wie die zwei antagonistischen Tendenzen jede, seit dieser Zeit, ihre extremsten Konsequenzen entwickelt hatten, so konnte ihre Versöhnung durch Kant nur geschehen durch eine Rückkehr – unbewusst anderseits – zu einigen synthetischen Gesichtspunkten, die einst von den Vorfahren der modernen Philosophie verkannt worden waren. In Wahrheit hat Kant, dank seiner Anstrengung, die durch sein persönliches Denken aufrecht erhalten wurde, die Philosophie dazu gezwungen, bis zu der Straßenkreuzung zurückzugehen, an der der Empirismus und der rationalistische Dogmatismus sich getrennt hatten. Unter dieser Rücksicht muss der Gründer der modernen Kritik trotz der Unzulänglichkeiten seiner Lösung, unter die Restauratoren der notwendigen Einheit des Einen und des Vielfachen eingeordnet werden, die seit dem Ende des Mittelalters aufs Spiel gesetzt worden war. Die kantsche Restauration der Einheit, sagten wir, war nicht vollständig. Wir werden versuchen, diese Lücke genau zu messen und ihre Ursache zu suchen. Hier wird uns Kant noch solidarisch erscheinen mit dem 2 allgemeinen philosophischen Milieu und dadurch gerade, abhängig von den weiteren geschichtlichen Vorgängern. Doch, trotz einiger Anwandlungen, die sich verraten in der Kritik der Urteilskraft, wagt er nicht, die Grenzen zum Agnostizismus zu überschreiten, um auf die Wege einzubiegen, entweder zu einer finalistischen Metaphysik, oder zum absoluten Idealismus. Das Hindernis - unbemerkt von ihm – scheint sich finden zu lassen in einem allgemeinen Vorurteil der ganzen vorkantschen Philosophie seit der Ablehnung des mittelalterlichen Thomismus. Wenn dieses Hindernis einmal erkannt ist, wird es uns verhältnismäßig leicht sein, in den folgenden Heften die Möglichkeit eines „Darüber-Hinaus“ über Kant zu beurteilen – so seltsam der Ausdruck erscheinen könnte von einem Darüber-Hinaus, in Bezug auf eine Doktrin, deren Charakteristik zu sein scheint, der Vernunft nicht ausdehnbare Grenzen aufzuerlegen. X II. Erlauben sie uns, hier an das zu erinnern, was wir in der allgemeinen Einleitung zu dieser Arbeit (in Heft I) sagten: Wir machen nicht eine Arbeit, wie sie ein Historiker machen müsste, sondern wir wenden die Geschichte an als Weg, Probleme darzustellen und systematisch aufzugliedern, um theoretische Lösungen zu skizzieren und untereinander zu verknüpfen. Diese unsere eigentümliche Absicht erlaubt uns eine sehr freie Wahl der analysierten Werke und der aufgegriffenen Fragen. Wenn man dies vergisst, kann man nicht anders, als die – gewollten – Lücken unserer Seiten als unverzeihlich zu beurteilen. Wir haben auch am Beginn von Heft I die Regeln aufgezeigt und gerechtfertigt, denen wir bei bibliographischen Referenzen folgen wollen. Ein Wort noch über die Art und Weise, in der wir die Zusammenfassung der kantschen Kritik konzipiert haben, die in diesem Band präsentiert wird. Wir wollten zwei Extreme vermeiden. Es wäre in der Tat möglich gewesen, den Gedanken Kants auf einige einfache Zeilen zu reduzieren, die die Quintessenz davon ausgedrückt hätten. Diese Vortragsart bot den doppelten Vorteil der Kürze und der Klarheit. Aber, auf der andere Seite würde sie den Anschein weniger einer Zusammenfassung als die einer ungenügend gewährleisteten Interpretation gehabt haben. Und, um alles zu sagen, sie hätte die historische Physiognomie der kantschen Schriften mehr als recht ist verändert. Die diametral entgegengesetzte Methode war kaum gangbarer. Sie hätte die skrupulöse Wiedergabe und den detaillierten Kommentar der Gedanken Ströme verlangt, die sich nebeneinanderstellen, sich überschneiden und sich decken lang und breit in den drei Kritiken. Man weiß, wie sehr der Gang der Beweisführung in der Kritik der reinen Vernunft kurvig und verwickelt ist: bis zu dem Punkt, dass die verschiedensten und manchmal die albernsten Interpretationen dort einen Anknüpfungspunkt finden konnten. Um Kant bis ins Detail zu folgen und überall die Einheit seines Denkens unter der Verschiedenheit der 3 Einführung. XI sekundären Gesichtspunkte hervortreten zu lassen, hätte es mehrerer Bände bedurft. Man kann sich davon überzeugen, indem man einen kurzen Blick auf den unvollendeten Kommentar wirft von Vaihinger (H. Vaihinger. Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Band 1, 1881. Band. II, 1892.) der nicht über die transzendentale Ästhetik hinauskommt. Blieb eine dritte, dazwischenliegende Wahl, für die wir uns entschieden haben. Dies war, sehr eng dem Text von Kant selbst zu folgen, aber dabei eine fortwährende Auswahl ausführend in der Absicht, das Wesentliche besser freizulegen und die zu kurvigen Linien zu begradigen. Auf diese Art konnte unsere Zusammenfassung, markiert mit Verweisen, ohne exzessive Überfüllung, die Gestalt eines weitgehend genug verständlichen Ideologie-Kommentares annehmen. Für Philosophen, die schon mit der Textstudie der Werke Kants vertraut sind, behaupten wir evidenterweise nicht, ihnen etwas Neues beizubringen. Wenn sie dennoch geruhen, uns zu lesen, werden sie leicht bemerken, dass wir bei allen wichtigen Punkten zwischen den divergierenden Meinungen der Kommentatoren Partei nehmen mussten. Und meistens werden sie mühelos erraten, zwischen unseren Zeilen, die ausschlaggebenden Gründe für unsere Option. Wir haben systematisch die Interpretationen bevorzugt, die uns die logische Kohärenz und die tiefe Kontinuität des Denkens von Kant unter der scheinbaren oder wirklichen Abweichung seines Ausdrucks zu erhalten schienen. Denn wenn der Stil von Kant, vor allem in der ersten Kritik, beschwerlich und gewunden ist; wenn sein Vokabular oft approximativ ist und mehr eine Sinnverschiebung in der Bedeutung der technischen Ausdrücke toleriert; wenn seine Beweisführung sich manchmal gleichzeitig von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus entwickelt, (auch wenn sie zusammenhängen) und auf zwei überlagerten Ebenen (obgleich nicht hermetisch abgeschlossen voneinander), alles das zugegeben, geben wir ehrlicherweise zu, in der allgemeinen Bewegung des Denkens von Kant, keine formellen Widersprüche zu finden. Übrigens werden wir später mit der gleichen Direktheit sagen (Hefte IV und folgende), welche ungenügenden Unzulänglichkeiten wir dort zu bemerken glauben. Kurzum ohne uns auf irgendeine Schule von Kommentatoren zu beziehen, haben wir uns vor allem angestrengt, im Text von Kant die Thesen, die die innere Logik des kritischen Problems verlangte, wie er sie gestellt hatte zu entdecken und zu unterstreichen. Und wir hoffen vor allem sehr, in dieser theoretischen Analyse uns nicht von den geschichtlichen Wahrscheinlichkeiten noch den philologischen Anforderungen entfernt zu haben. 4 Buch I. DIE ETAPPEN DER PHILOSOPHIE KANTS VOM WOLFFIANISMUS ZUR KRITIK. 1 KAPITEL1. ALLGEMEINES: BIOGRAPHISCHES UND BIBLIOGRAPHISCHES. 2 §1. – Von Kant erlittene allgemeine Einflüsse. Die familiäre Herkunft von Kant; seine erste Erziehung; seine Studien; seine lange professorale Karriere; die Gewissenhaftigkeit seines Lebens; seine geregelte und ununterbrochene Arbeit; sein durch und durch verlässlicher aber umgänglicher und fröhlicher Charakter; seine unbestreitbare intellektuelle Aufrichtigkeit; sein pünktlicher, methodischer und vorsichtiger Geist; selbst dieser Anflug von Pedanterie, der bei ihm nur eine ein bisschen naive Überzeugung eines Denkers ist: alle diese Umstände und alle diese Züge, die vor den Augen des Lesers ein gewissenhaftes und beinahe ganz sympathisches Genie vorüberziehen lassen würden, sind Sache der Biographen. Wir bringen davon hier nur die kurze Erwähnung, um an einen dreifachen Einfluss zu erinnern auf die Jugend des Philosophen, die auch nicht aufhörte, seine Arbeiten zu inspirieren. Kant erfuhr von seiner Kindheit an der Einfluss des Pietismus: einfacher und überzeugter Pietismus bei seinen Eltern vor allem bei seiner Mutter: etwas mehr klerikaler Pietismus synchronisiert mit einem wolffschen Rationalismus, bei dem Theologen Albert Schultz, Direktor des Gymnasiums, das er besuchte. Sein ganzes Leben bewahrte er den tiefen Glauben an Gott und den strengen Moralismus, den er von seiner ersten Erziehung beibehielt und der sich bei ihm anderseits mit dem absoluten Kult der Vernunft verbündete. In der Tat war Kant, wahrer Sohn des Jahrhunderts der Aufklärung, im- 5 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 3 mer ein Rationalist. Er hörte in der Vorlesung bei Martin Knutzen in Königsberg die wolffsche Philosophie, die damals an den deutschen Universitäten vorherrschte. Der jugendliche Kant, der an „der Aufklärung“ Geschmack gefunden hatte, machte sich davon nicht mehr frei. Selbst dann, wenn er später seine drei Kritiken schreiben wird, wenn er glaubt, die dogmatischen Voraussetzungen von Wolff lebhaft zensieren zu müssen, wird er nicht weniger dessen Vortragsart und die Deduktionen dieses Philosophen als den vollendeten Typ der streng metaphysischen Methode überschwenglich loben. Der Sinn für die logische Strenge konnte bei Kant nur so sehr favorisiert sein durch seine Hochschätzung der Mathematik. Und die lieferte ihm dazu noch den Schlüssel für die newtonsche Physik (von der die erste Entdeckung ihn erreichte wie die des Wolfianismus, durch die Vermittlung von Martin Knutzen, dem einzigen ein bisschen markanteren Professor, den die Universität von Königsberg damals vorweisen konnte. Bezüglich Newtons teilte unser Student die allgemeine Schwärmerei: er wurde verführt, weniger noch durch den Reichtum des positiven Wissens als durch die methodische Sicherheit und das rationale Rezept, das das Werk des hochberühmten Physikers präsentierte. Von da an wurden die allgemeinen Prinzipien der Wissenschaft für ihn genauso viele Axiome; und die „Philosophia experimentalis“ schwebte vor seinem Geist wie eine idéale Weise. Man weiß, welchen Platz in den Schriften von Kant die Traktate einnehmen, die unmittelbar die exakten Wissenschaften und die Wissenschaften der Beobachtung betreffen: sie stufen sich ab von der reinen Mathematik und der Kosmogonie, bis zur Anthropologie und der physikalischen Erdkunde. Kant glaubte an die Wissenschaft, wie er an die moralische Ordnung und an die Vernunft glaubte1 . 1 Für die Biographie von Kant, siehe zum Beispiel: F. W. Schubert. Kants Biographie, in Imm. Kants Sämmtliche Werke. Edit. Rosenkranz. Bd. XI. Leipzig, 1842. Ruyssen, Th. Kant. Paris,1900. . Vorlânder, K. Immanuel Kants Leben, (Philosophische Bibliothek), Bd. 126, Leipzig,1911. . Cassirer E., Kants Leben und Lehre, in: lmm. Kants Werke, Edit. Cassirer. Bd. XI. Berlin 1918. – Bauch, Bruno. Immanuel Kant. 2. Aufl. Berlin,1921. Unter dem dreifachen Einfluss des pietistischen Moralismus, des wolffschen Rationalismus und der „experimentellen Philosophie“ Newtons wird das Denken Kants sich entwickeln und nach und nach sich befreien. Folgen wir nun dieser Entwicklung in ihren wichtigsten Etappen. §2. – Die Historiker der „vorkritischen Periode.“ Von der Periode, die sich von Kants Veröffentlichung seiner ersten Arbeit (1747) bis zur Kritik der reinen Vernunft (1781) erstreckt, geben die Historiker Kants kein absolut übereinstimmendes Bild. Die positiven Dokumente: chronologische Reihen der Werke Kants, Aufzeichnungen und Briefe von ihm, 6 Kap. 1. Allgemeines: Biografisches und Bibliografisches 4 Korrespondenzen und zeitgenössische Zeugenaussagen lassen in einigen Punkten Raum für abweichende Interpretationen. Von diesen erwähnen wir nur als Beispiel die zwei folgenden, die außerdem einander deutlich widersprechen. Zuerst die schon alte Theorie von Kuno Fischer2 2 K. Fischer. Geschichte der neueren Philosophie. Bd. III und IV: Kant Heidelberg, 1869, (oder 5. Aufl. Bd. IV und V. Heidelberg, 1909-1910).. Das ist die Theorie der oszillatorischen Entwicklung auf eine mittlere Gleichgewichtsstellung zu. Man müsse drei Perioden in der philosophischen Entwicklung Kants unterscheiden: 1. Eine Anfangsperiode, beherrscht durch den rationalistischen Einfluss von Leibniz-Wolff (von 1740 bis 1760). Niemand bestreitet diesen Ausgangspunkt des Denkens von Kant, aber man kann anderer Meinung sein über das Mehr oder Weniger an Unabhängigkeit, das Kant schon gegenüber der Wolffschen Orthodoxie zeigte, die damals in Mode war. 2. Eine Periode der Abweichung zum Empirismus hin (1760 bis gegen 1770): „englische Periode“, angeregt vor allem durch die Lektüre von Locke und von Hume. Der Gipfelpunkt dieser Phase wäre nichts weniger als ein tatsächlicher „Skeptizismus“ gewesen, der sich ausdrückte in den „Träumen eines Geistersehers erläutert durch Träume der Metaphysik“ (1766). 3. in einer dritten Periode, unter dem Einfluss der „Neuen Versuche“, dem posthumen Werk von Leibniz, das Raspe gerade herausgegeben hatte (1765). kommt Kant zum ontologischen Dogmatismus zurück (1770). Aber bald erweckte ihn eine neue Krise aus dem „dogmatischen Schlaf“ und bringt ihn auf dem halben Weg zwischen Rationalismus und Empirismus dazu, in diese endgültige Richtung zu gehen, wo nacheinander seine großen Werke erscheinen beginnend mit der Kritik der reinen Vernunft (1781). Aber dieser Theorie der Oszillation stellt A. Riehl3 3 Riehl, A. Der philosophische Kritizismua. Band 1. 2. Aufl. Leipzig. 1908. Buch I, Kap. 3, und Buch II, Kap. 1-2. eine Theorie der stetigen Entwicklung entgegen: auf der Grundlage des Wolffschen Rationalismus aber unter dem anregenden aufkommenden empiristischen Einfluss hätte es im eigentlichen Sinn bei Kant nie eine Ersetzung des Gesichtspunktes von Wolff durch den von Hume gegeben, sondern nur eine fortschreitende Kritik des Wolffschen Gesichtspunktes, der aber nie verlassen worden war, vermittels des Humeschen Gesichtspunktes, der aber nie vollständig angenommen wurde. Wir können nicht daran denken, in einem Buch wie dem gegenwärtigen, diese zwei Theorien im Detail zu diskutieren, noch viel weniger die Varianten, die von anderen Autoren daran angebracht wurden. Um es in zwei Worten zu sagen: die Skizze von K. Fischer scheint uns zu schematisch, zu betont; sie übertreibt offensichtlich die vorübergehende Neigung Kants zum skeptischen 7 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 5 Empirismus. Die Interpretation von Riehl scheint näher an der historischen Wahrheit: und außerdem durch die Unterstreichung des durchgehaltenen wolffschen Denkhintergrunds Kants, erklärt sie mehr als eine schwierige These der ersten Kritik. Wir werden auf diesen Punkt auf den folgenden Seiten zurückkommen. Die schnelle Überprüfung der wichtigsten Etappen der vorkritischen Periode Kants, die zu machen wir hier gerade vorhaben, beruht auf Studien der Schriften des Philosophen selbst, erhellt und kontrolliert durch die Ausführungen und die Bemerkungen von Rosenkranz4 4 Rosenkranz. Geschichte der Kant’schen Philosophie. In: Im. Kants Sämmtlihe Werke. Band XII. Leipzig, 1840. Buch II. Die Aufteilung in drei Teile, die von Rosenkranz vorgeschlagen wird, in „heuristische Epoche“, „systematische spekulative Epoche“ und „praktische Epoche“ ist sehr künstlich., Kuno Fischer5 5 K. Fischer. Geschichte der neueren Philosophie. Band III, Buch I, Kap. 1-11. Heidelberg, 1869 (oder: Band. IV Heidelberg,1909)., Paulsen6 6 Paulsen, F. Kant. Sein Leben und seine Lehre. 4. Aufl. Stuttgart, 1904. Buch 1. 5. In Versuche einer Entwicklungsgeschichte der kantischen Erkenntnislehre. 1875., Benno Erdmann7 7 Benno Erdmann. Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie. Band II, Leipzig, 1885, pp. XIII-LX., Adickes8 8 Adickes. Die bewegenden Kräfte in Kants philosophischer Entwicklung und die beiden Pole seines Systems. Kantstudien. Band I.1897., Cohen,9 9 H. Cohen. Die systematischen Begriffe in Kants vorkritischen Schriften. 1873., Riehl10 10 A. Riehl. op. sup. cit., E. Cassirer11 11 E. Cassirer. Das Erkenntnissproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Band II. 2. Aufl. Berlin. 1911. 8. Buch, Kap. I, pp. 585-648.. 8 Kap. 1. Allgemeines: Biografisches und Bibliografisches Wir haben auch Werke berücksichtigt, die seit der ersten Ausarbeitung unserer Seiten (1917)erschienen sind zum Beispiel die von Bauch12 12 B. Bauch. Immanuel Kant. 2. Aufl. Berlin - Leipzig,1921. pp. 35-103., von E. Cassirer13 13 E. Cassirer. Kants Leben und Lehre. In: Imm. Kants Werke. Band XI. Berlin,1918. Pp. 38-Î48., E. von Aster14 14 6 E. v. Aster. Geschichte der neueren Erkenntnisstheorie (Von Descartes bis Hegel). Berlin, Leipzig. 1921. Kap. V. VI.. 9 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik LISTE DER WICHTIGSTEN PHILOSOPHISCHEN WERKE VON KANT WÄHREND SEINER VORKRITISCHEN PERIODE. 1747 1755 1756 1762 1763 1764 1765 1766 1768 1770 1781 Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Principiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dilucidatio. Monadologia phvsica. Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren. Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottcs. Versuch den Begriff der negativen Grössen in die Weltweisheit cinzuführen. Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen. Untersuchungen über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral. Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre 1765-66. Träume eines Geistersehers erlâutert durch Trâume der Metaphysik. Von dem ersten Grunde des Untcrschiedes der Gegenden im Raume. De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis. Kritiîk der reinen Vernunft. Für die vorkritische Periode werden wir die Werke von Kant nach den zwei ersten Bänden der Ausgabe der Akademie von Berlin zitieren: Kants gesammelte Schriften. Berlin, 1910-1912, Band I und II. Der erste Band enthält die Werke von 1747 bis 1756; der zweite, die Werke von 1757 bis 1777; wir werden diese Ausgabe mit dem Kürzel AB bezeichnen, ohne Hinweis auf den Band. KAPITEL 2. Der leibniz-wolffsche Ausgangspunkt in der philosophischen Entwicklung Kants. 7 Das Interesse der vorkritischen Periode konzentriert sich für uns auf eine kleine Zahl von Begriffen, deren aufeinandefolgende Handhabung den endgültigen Standort der kantschen Philosophie bestimmen wird: der Raumbegriff, die Begriffe der Möglichkeit und der Existenz, die Begriffe von logischem Grund und Ursache, schließlich der Objektbegriff. Am Anfang seiner spekulativen Forschungen gab Kant diesen Begriffen in etwa ungefähr den Sinn und die Reichweite, die sie in der Philosophie von Leibniz empfangen hatten durch Wolff und durch die Schüler dieses letzten gesiebt, insbesondere durch Baumgarten. Wir haben früher schon (in Heft II) 10 Kap.2 Leibniz-Wolffscher Ausgangpunkt Kants 8 den Zusammenhang des Leibnizianismus und seiner wolffschen Ausarbeitung mit dem Rationalismus von Descartes gezeigt. Zu unserer Skizze muss man hier einige Züge hinzufügen, die wir für unser unmittelbares Ziel brauchen. Das kartesianische Prinzip von der Rationalität des Wirklichen verbunden mit den zwei Postulaten vom „substantiellen Dynamismus“ und der „Pluralität der Substanzen“, führte logischerweise zur leibnitzschen Theorie der Monaden (siehe Heft II). Man wird sich erinnern, dass die nur-innerliche Tätigkeit jeder Monade im gelebten Ablauf aus obskuren Vorstellungs-Zuständen oder unbewussten „kleinen Wahrnehmungen“ besteht, die, wenn die Monade geistig ist, unter gewissen Bedingungen in die Zone der „Wahrnehmung (Apperzeption)“ einfallen können, das heißt in das erleuchtete Feld des klaren Bewusstseins. Der ganze Vorgang der Erkenntnis entwickelt sich also vom „Konfusen“ zum „Bestimmten“, ohne eigentliche Passivität noch Einfluss von außen. In dieser Vorstellung, von so radikaler Angeborenheit, kann die reine „Sinneswahrnehmung“ nur ein konfuses Stadium der angeborenen Idee sein und die „kleinen unbemerkten Wahrnehmungen“ werden nur „Apperzeption“ (objektive Erkenntnis) vermittels der Analyse, die sie erleuchtet und sie deutlich und unterschieden macht. Aber die Analyse vollzieht sich durch Urteil, durch Zuteilung von Prädikaten zu einem Subjekt. Und jedes wahre Urteil gründet auf der logischen Identität von Prädikat und Subjekt. Selbst in den sogenannten „empirischen“ Urteilen würde ein Geist, der bis zum Grund des Subjekts vordringt, dort das Prädikat sehen.15 15 „Duobus utor in demonstrando principiis, quorum unum est: falsum esse quod implicat contradictionem; alterum est: omnis veritatis (quae immediata sive identica non est) reddi posse rationem, hoc est notionem praedicati semper notioni sui subjecti vel expresse vel implicite inesse, idque non minus in demonstrationibus extrinsecis quam intrinsecis, non minus in veritatibus contingentibus quam necessariis locum habere... In veritatibus necessariis demonstratio sive reductio ad veritates identicas locum habet. At... veritates contingentes infinita Dei analysi indigent, quam solus Deus transire potest. Unde ab ipso solo a priori ac certe cognoscuntur.. Talesque sunt omnes quas voco veritates facti.“ Leibniz. De Scientia universali, seu Calculo philosophico. Leibnitii Opera philosophica, Edit. Erdmann. Berlin 1840. 1. p. 83 b. „Zum Beweis verwende ich zwei Prinzipien. Eines davon ist: falsch ist, was einen Widerspruch einschließt. Das zweite ist: von jeder Wahrheit (die nicht unmittelbar oder identisch ist) kann man eine Begründung geben, das heißt, dass das Merkmal des Prädikats immer entweder ausdrücklich oder implizit im Merkmal des Subjekts enthalten ist und zwar dass das so ist nicht weniger in äußeren Beweisen als in inneren Beweisen, nicht weniger in kontingenten Wahrheiten als in notwendigen. In notwendigen Wahrheiten hat man einen Beweis oder eine Reduktion auf identische Wahrheiten. Aber .. kontingente Wahrheiten brauchen eine unendliche Analyse Gottes, die nur Gott durchführen kann. Deshalb werden sie von ihm allein a priori und sicher erkannt. Und von solcher Art sind alle, die ich faktische Wahrheiten nenne.“ : Leibniz, Über die Scientia universalis oder den Calculus philosophicus (Stein der Weisen). Leibnitii Opera philosophica. Edit. Erdmann, Berlin 1840, 1 S. 83 b. Wenn wir also „Intelligenz“ die Fähigkeit der objektiven [= auf ein Objekt bezogene] Wahrnehmung nennen, müssen wir sagen, dass die ursprüngliche 11 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik intellektuelle Funktion, übersetzt gerade in die Form des Urteils, die Identität ist. Mit dieser Forderung der Identität als der Bedingung des WahrnehmungsUrteils drängt sich unserem Geist eine zweite genau so ursprüngliche Forderung auf, nämlich die, die sich ausdrückt im Satz des Grundes16 16 „.....Principium reddendae rationis, quod scilicet omnis propositio vera, quae per se nota non est, probationem recipiat a priori, sive quod omnis veritatis ratio reddi potest, vel, ut vulgo aiunt. quod nihil fit sine causa.“ Ed. Gerhart. VII. 309.. 16 „...Prinzip des zu gebenden Grundes, dass nämlich jeder wahre Satz, der nicht per se (an sich) bekannt ist, einen apriorischen Beweis erhält, oder dass für jede Wahrheit eine Begründung gegeben werden kann, oder wie man gewöhnlich sagt, dass nichts ohne Grund geschieht“ Ed. Gerhart VII, 309 Jedes erkannte Objekt muss seinen intelligiblen „Grund“, seine rationale Rechtfertigung haben. Aber der nächste intelligible Grund beliebiger Attribute des Objektes ist gerade das Wesen, aus dem sie hervorgehen17 . 17 Man wird nicht vergessen, dass es in der Theorie der Monaden keine tatsächliche Kontingenz gibt, weder hinsichtlich der Wahl und der Zuteilung der geschaffenen Wesenheiten (Optimismus), noch für jedes Wesen hinsichtlich der Zustände und Seinsweisen, die sich in ihm aufeinanderfolgen (Bestimmung durch inneren Dynamismus der Monaden). Siehe weiter unten pp. 10-12.. 9 Wenn dieses Wesen „das unendliche Wesen“ ist, begründet es in sich allein seine eigene Rechtfertigung, indem es gleichzeitig und identisch die Fülle des Wesens und die Fülle der Existenz ist. Hinsichtlich der endlichen Wesenheiten, bieten diese nichts aus sich selbst, womit das unvermeidliche Problem ihrer rationalen Rechtfertigung zu lösen wäre. Der volle „hinreichende Grund“ sowohl ihrer Möglichkeit als solchen und solchen Wesens als auch der ihrer gegenwärtigen Verwirklichung unter der Existenz, muss außerhalb ihrer gesucht werden, in einer Exemplar- und Wirk- „Ursache“. Und da es Leibniz zufolge keine transeunte Kausalität von Monade zu Monade gibt, wäre die hier postulierte „Ursache“ die universelle schöpferische Ursache. Man ahnt die Schwierigkeit, die sich ergeben wird aus dem Zusammenbringen der Begriffe der Identität und des hinreichenden Grundes. In der Tat ist auf der einen Seite jedes Objekt nur ein rationales Objekt im Maße seiner Identität mit sich selbst; auf der anderen Seite, ist kein Objekt rationales Objekt, als nur entsprechend seinem hinreichenden Grund. Aber in den endlichen Objekten schließen sich diese zwei rationalen Forderungen aus, da der hinreichende Grund einer endlichen Wesenheit ihr äußerlich ist. Müsste man daraus nicht schließen entweder dass jedes endliche Objekt wesentlich nicht-intelligibel und irrational ist (aber was wird dann aus dem allgemeinen Postulat des Rationalismus, dem Parallelismus der Vernunftordnung und der Ordnung der Dinge?) oder aber, dass der hinreichende Grund notwendigerweise dem Objekt immanent ist, durch grundlegende Identität (Das rationalistische Postulat wäre gerettet, würde aber zum Monismus von Spinoza führen)? 12 Kap.2 Leibniz-Wolffscher Ausgangpunkt Kants Wie dem auch sei bezüglich dieser Schwierigkeit, die die zeitgenössischen Wolff-Gegner der Anfangszeit Kants geltend machten, prüfen wir, ob wir nicht ihre Tragweite verringern könnten, wenn wir nach Leibniz zwei Begriffe genauer definieren, die das Innerste der Debatte betreffen: 1. das „Mögliche“ im Vergleich zum „Aktuellen“; 2. den „intelligiblen Grund“ im Vergleich zu den Wesenheiten und den Existenzen. Für Leibniz und auch für Wolff ist „möglich“ alles das, dessen Begriff keinen Widerspruch enthält. In Gott bringt die Möglichkeit, die die einer „Notwendigkeit zu existieren“ ist, evident die Notwendigkeit zu existenec mit sich. Das Band zwischen der Möglichkeit und der Existenz folgt hier aus dem Wesen selbst. Auf der anderen Seite verlangt die unbegrenzte Vollkommenheit des göttlichen Wesens, dass alles, was nicht in sich widersprüchlich ist, das heißt im Innersten Nichts ist, Ergebnis einer Schöpfung werden kann. Sonst würde eine bezogen auf Gott äußerliche Bedingung Gott beschränken. Das Wesen Gottes ist so die Grundlage, der Grund der „Möglichkeit“ aller logischerweise zusammenhängenden endlichen Objekte. Aber welches ist die Beziehung dieser „Möglichen“ unterhalb von Gott oder dieser endlichen „Wesenheiten“ zur aktuellen Existenz? Leibniz hat diesen Punkt in der Monadologie und anderwärts berührt; aber wir bezweifeln, dass er es irgendwo so klar und so gewagt gemacht hat, wie in dem kurzen kleinen Werk (nicht-veröffentlicht zu seinen Lebzeiten), betitelt: „De rerum originatione radicali“ 18 18 10 Leibnitii Opern philosophica, Edit. Erdmann. Berlin 1840 pp. 147 -150.. Die existenzmäßige Verwirklichung der Wesenheiten führt für unsere Vernunft zu zwei Problemen: 1. Warum solche Wesenheiten eher als solche andern? 2. Radikaler, warum die aktuelle Existenz von endlichen Wesenheiten eher als die Abwesenheit jeder Schöpfung? Für das erste Problem kennen wir die durch den „Optimismus“ angegebene Lösung. (siehe Heft II, pp. 101-102) Der hinreichende Grund für die Wahl und für die Anordnung der Wesenheiten kann nur die Verwirklichung „des Besseren“ sein; Nun aber ist „das Bessere“ in die natürliche Tendenz der Wesenheiten eingeschrieben dazu, das Maximum an Sein zu realisieren: Jedes Wesen verlangt seine aktuelle Verwirklichung in dem Maße, wo das nicht von der besseren Verwirklichung von anderen Wesenheiten verhindert wird. Denn die endlichen Wesenheiten staffeln sich notwendig in Zusammenhang mit der Vollkommenheit der einen bezogen auf die anderen, hierarchisch organisiert einer Unendlichkeit von Graden zufolge, innerlich verbunden in ihren Abwandlungen, lokal geordnet und in die Zeit eingereit. Keines wird vom Festmahl des Seins abgedrängt; aber jedes wird auch dort nur zugelassen im Verhältnis zu den anderen unter dem höchsten Gesetz des Maximums an Sein oder „des Besseren“ 19 13 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 19 Leibniz, op. cit. p. 147 b.. Diese Vorschrift oder dieses Rezept für die Welt nach dem Modell des Besseren auferlegt sich nicht direkt der Macht des Schöpfers, für den es metaphysisch keine Unmöglichkeit gibt, anders zu schaffen. Sie auferlegt sich seiner Weisheit, die nichts ohne hinreichenden Grund der göttlichen Macht befiehlt. Derart finden sich der rationale Determinismus der Schöpfung und die Freiheit des Schöpfers versöhnt:„Patet quomodo libertas sit in autore mundi, licet omnia faciat determinate: quia agit ex principio sapientiae seu perfectionis. Scilicet indifferentia ab ignorantia oritur et quanto quisque magis est sapiens tanto magis ad perfectissimum est determinatus.“ 20 20 Leibniz, op. cit. p. 148 a. „Es ist klar, wie im Schöpfer der Welt Freiheit ist, auch wenn er alles in bestimmter Weise macht: weil er aus dem Prinzip der Weisheit oder der Vollkommenheit handelt. Indifferenz entsteht nämlich aus Ignoranz und je mehr einer weise ist, um so mehr ist er bestimmt zum Vollkommensten.“ 11 Das zweite Problem ist delikater. Schon beim Card. von Cusa haben wir beobachtet, (Heft II), dass die Gründe, die die Notwendigkeit der Form der Schöpfung zugeben lassen würden, genau so gelten würden für die Tatsache der Schöpfung. Es scheint, dass solcher Art der Gedanke von Leibniz gewesen sein muss, da er einen „hinreichenden Grund“ verlangt, nicht nur damit eine Sache solcher oder solcher Art ist, sondern einfach, dass etwas „existiert.“ Der hinreichende Grund für die Existenz Gottes ist ausschließlich sein Wesen. Der Grund für die Existenz der Welt ist der schöpferische Wille Gottes. Aber dieser Wille wäre irrational, also unvollkommen wenn er sich selbst nicht durch einen hinreichenden Grund bestimmen würde. Und was könnte dieser hinreichende Grund anders sein als die Forderung zu existieren, was die Eigentümlichkeit von jedem „Possibile = Möglichen“ ist oder von jedem „Wesen“? „Primum agnoscere debemus eo ipso quod aliquid potius existit quam nihil, aliquam in rebus possibilibus, seu in ipsa possibilitate vel essentia, esse exigentiam existentiae vel (ut sic dicam) praetensionem ad existendum et, ut verbo complectar, essentiam per se tendere ad existentiam.“ 21 21 Leibniz, op. cit. p. 147 b.1 „Als erstes müssen wir anerkennen, dass wenn eher etwas existiert als nichts, eo ipso in den möglichen Dingen oder in der Möglichkeit oder dem Wesen selbst ein Verlangen nach Existenz oder (so zu sagen) eine Neigung zum Existieren vorhanden sei und wie ich es wörtlich verstehe, dass das Wesen von sich her nach der Existenz verlangt.“ Das bedeutet, dass die Welt, klar ausgedrückt, nur in ihrer Definition betrachtet, ohne Widerspruch als nicht existierend gedacht werden kann. Und genau so dass die schöpferische Kraft, die in sich klar ausgedrückt betrachtet, frei ist, sich zu vollziehen oder sich nicht zu vollziehen. Aber das bedeutet 14 Kap.2 Leibniz-Wolffscher Ausgangpunkt Kants auch, dass die Welt, in ihrem Bezug zur integralen göttlichen Vollkommenheit betrachtet, die Existenz verlangt, weil die Schöpferkraft, unter dem Licht der Weisheit, die das höchste Gute vorschlägt, nicht mehr gleichgültig ist, sondern total bestimmt, sich zu vollziehen. „Atque ita jam habemus physicam necessitatem (mundi) ex metaphysica; etsi enim mundus non sit metaphysice necessarius ita ut contrarium implicet contradictionem seu absurditatem logicam, est tamen necessarius physice vel determinatus ita ut contrarium implicet imperfectionem seu absurditatem moralem. Et ut possibilitas est principium essentiae. ita perfectio seu essentiae gradus (per quem plurima sunt compossibilia) principium existentiae.“ 22 22 Loc. cit. p. 148 a. „Und so haben wir schon die physische Notwendigkeit (der Welt) aus der Metaphysik; auch wenn nämlich die Welt nicht metaphysich notwendig ist, so dass das Gegenteil einen Widerspruch oder eine logische Absurdität impliziert, so ist sie dennoch physisch notwendig oder bestimmt, sodass das Gegenteil eine Unvollkommenheit oder eine moralische Absurdität impliziert. Und wie die Möglichkeit das Prinzip des Wesens ist, so ist die Vollkommenheit oder der Grad des Wesens (von mehreren zugleich möglichen) das Prinzip der Existenz“ 12 Sollte man nicht hinzufügen, dass diese Unterscheidung zwischen der Macht und der Weisheit weniger wirkliche Tragweite hat, als es auf den ersten Blick scheint? In der Tat ist in Gott, dem absoluten Grund, „die moralische Ungereimtheit“ identisch mit der „physischen“ Unmöglichkeit oder dem „logischen“ Widerspruch. Wenn Gott moralisch die Existenz den Wesenheiten nicht verweigern kann, so ist das, weil diese noch als die Existenz mittelbar durch höhere Mitteilung Empfangende, dennoch am Zusammenhang der rationalen Notwendigkeit teilnehmen, die das göttliche Wesen, ihre Grundlage, an die Existenz anbindet. Im übrigen wie dem auch sei, drängt sich eine Schlussfolgerung auf, die uns wichtig genug scheint für das Verständnis des leibnitzschen Rationalismus: 1. weder das Wesen noch die endliche Existenz erklären sich außer in Abhängigkeit von einem „intelligiblen Grund“, der die unendliche Ursache ist, Exemplarursache und Wirkursache. 2. dennoch und wechselseitig vor der göttlichen Weisheit ist jedes geschaffene Wesen, in seinem Rang unter den anderen „möglichen“ Wesenheiten der adäquate “hinreichende Grund", die perfekte rationale Rechtfertigung der Existenz, die ihm verliehen wird. Wir finden hier, selbst Leibniz zufolge, die Versöhnung des „hinreichenden Grundes“ postuliert als verschiedene und transzendente Ursache, mit dem „hinreichenden Grund“ postuliert als immanentes und identisches Prinzip (Wesen). Wolff hatte, in seiner Demonstration des „principium rationis sufficientis“, welche, wörtlich genommen, fast ein Zaubertrick ist, (siehe Heft II p.106), vielleicht das Gefühl der Notwendigkeit, die der Rationalismus auferlegt, vollständig zusammenfallen lassen zu müssen die Beziehungen des hinreichendem 15 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik Grundes und der Identität. Unglücklicherweise zu schnell zufrieden mit einem oberflächlichen Ineinandergreifen der Wörter, vernachlässigte er die Grundlage des Problems zu erforschen. Leibniz und Wolff mit ihm halten also den unversöhnlichsten rationalistischen Gesichtspunkt aufrecht. Entkommen sie der Felsklippe des Monismus Spinozas? Von Der Absicht und den Formeln nach sicher. Zu Recht nicht. Ein rationalistisches System, vollständig verknüpft und zusammenhängend, ist unfähig, eine andere Gestalt anzunehmen als die pantheistische Form23 23 So war die Meinung von Kant. sobald er sich ausreichend vom Dogmatismus Wolffs befreit hatte: „Der Spinozismus ist der wahre Schluss der dogmatisierenden Metaphysik.“ (Fragment, wahrscheinlich von ungefähr um 1770-1772 datierend) B. Erdmann. Reflexionen Kants zur kritischen Philosophie. Band II. Leipzig, 1885, n0 236, p.72.; 13 wir haben das bezüglich Spinoza festgestellt, und wir machen davon noch ein Mal hier die Erfahrung. Die moralische Notwendigkeit zu schaffen, die Leibniz in Gott verlegt, ist eine tatsächliche rationale Notwendigkeit, begründet auf dem göttlichen Wesen. Aber, eine derartige Notwendigkeit aufzustellen bedeutet so viel wie die logischen Prämissen eines monistischen Emanatismus aufzustellen.. Wir behaupten nicht, dass das System von Leibniz oder von Wolff sich auf einen Spinozismus zurückführt. Aber wir glauben, sagen zu können, dass wenn er sich nicht auf einen Spinozismus zurückführt, fehlt ihm die perfekte Konsistenz. Kant wird nicht zögern, das wahrzunehmen und dementsprechend seinen eigenen Rationalismus zu verbessern. Schließen wir diese Klammer, die schon eine kritische Vorwegnahme ist, und kommen wir zurück zur einfachen Liste einiger Punkte der Leibniz-Wolffschen Epistemologie. Die göttliche Intelligenz sieht direkt den hinreichenden Grund aller Dinge in ihren Wesenheiten. Für unseren unvollkommenen Verstand verhält es sich damit anders. Die existierenden endlichen Wesenheiten sind uns nur „gegeben“ unter der „konfusen“ Form der „Phänomene“ entweder in den intramonadischen „kleinen Wahrnehmungen“ von Leibniz, oder in der „Empirie“ (der Erfahrung) verstanden im verschwommenen Sinn von Wolff. Durch die Analyse und die rationale Synthese, die an den Phänomenen ausgeübt werden, gelingt uns eine – nie erschöpfende – Erkenntnis der intelligiblen Wirklichkeit der Wesenheiten. Unsere Darstellungen sind so von zwei Ordnungen: die einen distinkt und intelligibel, etwas von der absoluten Wirklichkeit ausdrückend. Die anderen, sinnenhaft, phänomenartig, zeigen nur die konfuse Erscheinung dieser Wirklichkeit. Zu diesen letzten gehören die so besonderen Darstellungen vom Raum und der Zeit, noch undistinktes Stadium der klaren Ideen der Ordnung im Nebeneinander oder in der Aufeinanderfolge der Substanzen. Insbesondere zu diesem letzten Punkt wollen wir sprechen über den Charakter sei er rein phänomenal von der rohen Raumdarstellung, sei er rein intelligibel von der Darstellung der „Ordnung“ die dem dort entspricht – Kant 16 Kap.3 Erste Etappe: Verbesserung einiger Wolffscher Positionen wird sich dazu gezwungen sehen, das Leibnizsche Konzept zu verbessern. In seiner Kritik kommt ihm die Newtonsche Theorie des absoluten Raumes zu Hilfe, diese metaphysische Wirklichkeit im Voraus zu den Dingen, und vom relativen Raum,, der von der Existenz der Dinge abhängt, und sich nur im Bezug zu ihnen definiert.24 24 „Spatium absolutum natura sua absque relatione ad externum quodvis semper manet similare et immobile; relativum est spatii hujus mensura seu dimensio quaelibet mobilis, quae a sensibus nostris per situm suum ad corpora definitur et a vulgo pro spatio immobili usurpatur.“ (I. Newton. Philosophiae naturalis Principia mathematica. Londini,1687. Defin. 8, schol. II, p.5) „Der von seiner Natur her ohne Beziehung auf irgendetwas äußeres absolute Raum bleibt immer gleich und unveränderlich, der relative Raum ist das Maß oder irgendeine veränderlicher Maßstab dieses Raumes, welcher von unseren Sinnen durch seine Lage bezüglich der Körper definiert wird und im allgemeinen Gebrauch wie der unveränderliche Raum verwendet wird.“ Der intelligible Raum war, Leibniz zufolge, nicht wirklich wie der absolute Raum von Newton, a priori im Vergleich zu den Dingen: darin näherte er sich vielmehr dem relativen Raum Newtons, von dem er dennoch sich radikal unterscheidet. Schon von den ersten Schritten seiner philosophischen Karriere an kann Kant so die Affinitäten und die Konflikte der verschiedenen Begriffe des Raumes feststellen. Er brauchte lange Jahre, um selbst eine endgültige Stellung zu nehmen in diesem schwierigen Problem, dessen Lösung, wie wir sehen werden, so ansehnliche epistemologische Konsequenzen mit sich brachte. KAPITEL 3. Erste Etappe: Verbesserung einiger Wolffscher Positionen. 14 Trotz ihrer Neigung zum damals modernen Rationalismus, waren weder Kant noch sein Lehrer Martin Knutzen, jemals sklavisch von der wolffschen Orthodoxie abhängig. Selbst bevor er den Einfluss von Locke und Hume erlitt, gab Kant mehrere Thesen der Metaphysik von Wolff auf. §1. – Der Raum. Für Leibniz, der darin von Wolff gefolgt wird, ist die Raumvorstellung nur die konfuse Idee der Ordnung der Koexistenz (des Nebeneinander) der Objekte. Der wahre Raum besteht also in einer intelligiblen Beziehung der Monaden untereinander, einer Beziehung die die Verschlossenheit dieser letzteren von ihrer Natur her im Übrigen daran hindert, sie als eine Wechselwirkung anzusehen.25 25 In diesem letzten Punkt - der Theorie der Monaden - folgt Wolff nicht klar Leibniz. 17 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik Auch bei Kant wird der Raum lange ein begriffliches Objekt bleiben, ein „Intelligibile“. Dennoch wird selbst der Begriff dieses intelligiblen Raumes nicht aufhören, sich in seinem Geist zu entwickeln unter dem Einfluss, so scheint es, der newtonschen Physik: Schon seit 1747 erweist sich der Philosoph, obwohl noch in seinen Anfängen, als von Leibniz und von der Monadologie unabhängig. Er verwirft die „prästabilierte Harmonie“ 26 26 Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte. 1747. §6. AB, p. 20 -21., und lässt zwischen „Wechselwirkungen“ 27 . 27 den Körpern „Anziehungskräfte“ zu, also op. cit. §9 sqq. AB, p, 23 sqq. Diese wären die Grundlage der gegenseitigen Ordnung der Substanzen und der Raum, seinen drei Dimensionen zufolge, würde aus dem Spiel der ÜbergangsKräfte folgen28 . 28 15 Ibid. Man sieht bis zu welchem Punkt die Ansichten von Kant sich unter diesen Umständen der newtonschen Idee eines relativen Raumes nähern. Es besteht dennoch ein wesentlicher Unterschied fort, den man nicht vergessen darf: nämlich dass der relative Raum Newtons abhängig bleibend von einem „absoluten Raum“ mit drei Dimensionen, nur in diesen Grenzen konzipirbar ist; wohingegen der kantsche Raum, nur von der Natur der Kräfte, die ausgeübt werden zwischen den Körpern, abhängend, von unserem euklidischen Raum verschieden sein könnte, für eine andere Natur unterschieden durch die Kräfte, die im Spiel sind. So ahnt Kant, in diesem Moment, die rationale Möglichkeit von Metageometrien, die Räume von n Dimensionen definieren – etwas was mit der Lehre von Newton nicht vereinbar war. 1755 macht Kant einen weiteren Schritt, indem er Stellung nimmt für den absoluten Raum von Newton. Er akzeptiert die Möglichkeit eines „leeren Raumes“ 29 29 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels - nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt. 1755. II. 1; AB, p.262. und konzipiert diesen Raum, unabhängig von allem Enthaltenen, als die metaphysische Bedingung im Voraus zur Möglichkeit der Körper und als absolute Grundlage des relativen Raumes. Newton nachahmend, sagt er vom leeren Raum, dass er unbegrenzt ist, „das unendliche Feld der „göttlichen Gegenwart“ 30 . 18 Kap.3 Erste Etappe: Verbesserung einiger Wolffscher Positionen 30 op. cit. II. 7; A B, p.306. Cf. pp. sqq.. Später wird die Vorstellung von einem räumlichen Absoluten bei Kant diese ontologische newtonsche Bedeutung verlieren, und wird die Ordnung der sinnlichen Anschauung annehmen, indem sie aber dennoch eine Gültigkeit eines Apriori behält. Wir werden dieser neuen Entwicklung folgen, die von einer entscheidenden Bedeutung für die Kritik sein wird, (siehe weiter unten, Kapitel 5). §2. – Hinreichender Grund und Ursache. 16 In den Augen von Wolff, sind die Begriffe von hinreichendem Grund und von Ursache konvertierbar. Nach der kartesischen Formel wird Gott, der seinen hinreichenden Grund in seiner objektiven Möglichkeit hat oder in seinem Wesen, „causa sui = Ursache seiner selbst“ genannt. Hinsichtlich der endlichen Dinge bringt ihre rationale Rechtfertigung (Begründung) genau ihre ontologische Abhängigkeit von einer Ursache zum Ausdruck. Überall ist der logische Grund die ontologische Ursache und die Ursache ist logischer Grund. Auch hier entkommt Kant Wolff nach und nach. Inwieweit war er bei seiner intellektuellen Emanzipation inspiriert durch die Lektüre von Crusius (1724-1770), dem anti-wolffschen Professor von Leipzig? Dieser Einfluss war sicher nicht null, wenn wir darüber nach der ersten lateinischen Dissertation von Kant - (1755) urteilen, wo er größten Wert legte auf Crusius, selbst wenn er seine Meinung diskutiert. Dieser letztere widersprach förmlich der These der Reziprozität zwischen „logischem Grund“ und „wirklicher Ursache“ (Wirklichkeitsgrund). Seiner Meinung nach drückt der logische Grund eines Objekts nicht immer die wirkliche Ursache davon aus, obwohl die Kenntnis der wirklichen Ursache notwendigerweise den logischen Grund des Objekts liefert.31 31 Abhandl. vom Satz des zureichenden Grundes. §37 (Referenz entnommen aus v. Aster, op. cit. p.443) Kant sagt das Gleiche, nur ersetzt er den Begriff vom „hinreichenden Grund“ durch den des „bestimmenden Grundes“ 32 , 32 Principiorum primorum cognitionis metaphysicae Nova dilucidatio. Sectio II, prop. 4. a B, p.393. indem er darüberhinaus noch unterscheidet zwischen „vorausgehendem bestimmenden Grund“ (ratio essendi vel fiendi) vom „nachfolgenden bestimmenden Grund“ (ratio cognoscendi): der zweite fällt nicht notwendigerweise zusammen mit dem ersten.33 19 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 33 op. cit. p. 391 sqq. Wir haben gerade die Nova dilucidatio zitiert, und wir entkommen nicht dem Eindruck, dass diese Inauguraldissertation viel tiefer, als man es gewöhnlich zu sagen pflegt, den Prozess des ganzen Wolffianismus einleitet. Kant verwirft dort nicht nur klar die von Wolff gewagte paralogistische Demonstration des Prinzips vom hinreichenden Grund,34 34 op. cit. p. 397 -398. sondern – er erweitert die Bresche, die schon offen ist durch die Gegenüberstellung vom „Grund der Erkenntnis = ratio cognoscendi“ und dem „Grund des Seins = ratio essendi.“ – er stellt die These auf, dass die „logische Möglichkeit“ des notwendigen Seins höchstens die „ratio cognoscendi“ seiner Existenz darstellt. Denn die Existenz als solche als vorausgehende Bedingung aller Möglichkeit, könnte nicht selbst begründet sein auf einer Möglichkeit,35 35 op. cit. p. 394-395, Prop. VI und VU) Gott „causa sui“ nennen, ist die Aussage einer weiteren logischen Ungereimtheit: Dass etwas „existentiae suae rationem aliquid habere in seipso, absonum est“; das reine aktuelle bedarf im Übrigen nicht eines erklärenden Grundes.36 36 op. cit. p. 394, Prop. VI und von da ausgehend verwirft Kant kategorisch „das kartesische ontologische Argument“.37 37 17 op. cit. p. 394 -395. Eigenartige Sache, der gleiche Kant, der sich von Wolff abwendet in den Fußspuren von Crusius, wird jetzt, ohne dabei rückwärts zu gehen, Crusius verlassen in beharrlicher Treue zum fundamentalsten Prinzip des leibnitzwolffschen Rationalismus: dem Prinzip, das alle rationale Rechtfertigung in letzter Analyse zurückbringt auf die notwendige Identität (siehe oben p. 7 sqq.). Nach Leibniz muss in der Tat, da die objektiven Wahrheiten „Urteile“ sind, und da die Wahrheit des Urteils in der erkannten Identität von Subjekt und Prädikat besteht, das Subjekt des Urteils in seinen intelligiblen Noten etwas enthalten, was identisch wäre, und die gleiche Forderung gilt für das Prädikat und für den Ausschluss des Widersprüchlichen in diesem letzteren. So dass allein die Analyse des Subjekts die rationale Rechtfertigung des Prädikars liefern kann: Jeder tatsächliche Beweis, der sich selbst genügt, ist analytisch. Die rationale Wahrheit von einem Objekt – die in einem Urteil erkannt ist 20 Kap.3 Erste Etappe: Verbesserung einiger Wolffscher Positionen – setzt also notwendig die Identität dieses Objekts mit seinem erklärenden Grund voraus, mit seinem logischen Grund. Kant wird nie dieses leibnitzsche Konzept vom „reinen Rationalen“ reduziert auf das „reine Analytische“ aufgeben; Er führt es auf gerade in dem Moment, wo er im Begriff steht, sich klar zu trennen von Leibniz und Wolff in anderen Punkten: „Omnis nostra ratiocinatio in praedicati cum subjecto, vel in se vel in nexu spectato, identitatem detegendam resolvitur.“ 38 38 Nova dilucidatio, etc. I. prop. III, schol. AB, p.391. „Unsere ganze Beweisführung besteht darin, die Identität des Prädikats mit dem Subjekt entweder an sich oder im betrachteten Nexus zu entdecken.“ Aber zu behaupten, dass alle rationale Demonstration durch Analyse des Subjekts geschieht, beziehungsweise dass der logische Grund ein solcher ist gerade durch seine Identität mit dem Objekt, das er im Gedanken fundiert, heißt das nicht gerade der Voraussetzung von Crusius zu widersprechen: nämlich dass (indem man sich auf den reziproken Satz bezieht) die „wirkliche Ursache“ eines Objektes, übersetzt in einen Begriff, dessen „logischen Grund“ liefert? In der Tat glaubte Kant bald zu bemerken, dass die Ursache, das heißt der dem Wesen äußere ontologische Grund nicht nur nicht konvertierbar ist mit dem logischen Grund, sondern nie mit ihm zusammenfallen kann: Denn „logischer Grund“ sagt Identität eines Objekts und seines erklärenden Grundes; „Ursache“ sagt relative Gegenüberstellung einer Wirkung und ihres physischen Prinzips. Die „Ursache“ ist, der Definition nach, „etwas Anderes“ als die Wirkung: „etwas Anderes“, wie es formal erklärt wird 1763 in dem kleinen Werk über die „negativen Größen.“ 39 39 Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzufùhren. 1763. Allgemeine Anmerkung. AB, p. 201 -204. 18 Diese Bemerkung von Kant, weit zurückliegender Zündfunke und vielleicht sogar ausschlaggebende Prämisse der kritischen Philosophie, resultierte schon, ein bisschen konfus, seit der Dissertation von 1755; und sie wird bald, 1766 unter dem Einfluss von Hume, eine noch unversöhnlichere Form annehmen; aber schon seit 1763 drückte sie sich aus in völlig klaren Ausdrücken – so dass es der Mühe wert ist, daran zu erinnern. Denn sie decken in Kant dem überzeugten Rationalisten auf, der ganz begeistert ist von der Analyse, aber schon geheilt ist von der Illusion, die Leibniz und Wolff täuschte über die transzendente Tragweite der streng analytischen Methode. „Ich verstehe sehr gut, schreibt er, wie eine Konsequenz abgestützt werden könnte auf einem Grund nach der Regel der Identität, das heißt so viel wie, dass die Analyse der Begriffe diese Konsequenz zeigt, die in diesem Grund eingeschlossen ist... Ich kann klar die Verbindung des Grundes und der Konsequenz sehen, weil die Konsequenz identisch ein partieller Begriff gerade dieses 21 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik Grundes ist ... Aber dass eine Sache aus einer anderen Sache sich ergibt, ohne dass dies kraft der Identitätsregel so ist, das ist das, was ich gern möchte, dass man es mir erklärt. Einen Grund der ersten Art, ich nenne ihn logischen Grund, weil sein Bezug auf die Konsequenz eine logische Evidenz genießt, das heißt er ist offenkundig nach der Regel der Identität. Ein Grund der zweiten Art, ich nenne ihn ontologischen Grund (reellen), weil sein Beziehung zur Konsequenz in meinen wahren Begriffen dargestellt wird, ohne dass jedoch die Natur dieser Beziehung für das Urteil geeignet ist (sich dem Urteil mitteilt?). Aber, bezüglich des Subjekts dieses ontologischen Grundes und seiner Verbindung zu einer wirklichen Konsequenz, ist hier die einfache Frage, die ich stelle: Wie ist es zu verstehen, dass, weil eine Sache ist, muss eine andere Sache sein?“ 40 40 19 op. cit. AB, p.202. Und er schließt ab: Nach unseren Begriffen ist der ontologische Grund (Realgrund) nie ein logischer Grund und es ist nicht die Identitätsregel, die vom Wind auf den Regen schließen lässt.. Ich habe nachgedacht über die Natur unserer Erkenntnis bezüglich dieser Urteile, die ins Spiel bringen Gründe und Konsequenzen, und ich nehme mir vor, eines Tages die Früchte von meinen Überlegungen im Detail darzulegen. Daraus ergibt sich, dass die Beziehung eines ontologischen Grundes zu dem von ihm gesetzten oder beiseite geschobenen Objekt unter keinen Umständen ausgedrückt werden kann durch ein Urteil, sondern nur durch einen Begriff: Dieser Begriff, man kann ihn zurückführen durch Analyse auf andere einfachere Begriffe, die auch ontologische Gründe repräsentieren, aber von solcher Art, dass unsere Erkenntnis von der oben erwähnten Beziehung (wirklicher Abhängigkeit) anhält bei einfachen und nicht zurückführbaren Begriffen, die ontologische Gründe repräsentieren, deren Verbindung mit ihren Konsequenzen nicht für „weitere Aufklärung empfänglich wäre“.41 41 op. cit. AB, p. 203 -204. „..nicht kann deutlich gemacht werden“ Man wird diese Erinnerung bemerken - die in den ersten Berichten von Kant häufig sind - an das kartesische Prinzip „der klaren und distinkten“ Idee. Das Prinzip wird hier nur so interpretiert, wie bei Spinoza, Leibniz und Wolff, im Sinn von einer „rationalen Klarheit“, mit der analytischen Notwendigkeit verschmelzend, die sich übrigens nur ausdrückte im Urteil: „Ich sage.. dass ein deutlicher Begriff nur durch ein Urteil.. môglich sei.“ . Von der falschen Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren. 1762. Schlussbetrachtung. AB, p.58. Dass man bemerken wolle wie Kant, um die metaphysischen Beziehungen zu rechtfertigen, die nicht auf die Identität hinaus laufen, die Existenz in uns von objektiven, primitiven und unbeweisbaren Begriffen postuliert. Die Herkunft dieser Begriffe, widerspenstig einer Analyse gegenüber, spezifiziert er noch nicht. Aber das Problem arbeitet in seinem Geist. Schon im vorhergehenden Jahr (1762) sprach er von „unbeweisbaren Urteilen“ das heißt von nicht-analytischen „Wahrheiten“,42 22 Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis 42 Diese durch einfache Analyse „unbeweisbaren Urteile“ sind evidenterweise die, die nichts anderes tun als ausdrücken die innerlichen Re1ationen der „ersten unbeweisbaren Begriffe“ nach denen gefragt wurde in den ein bisschen weiter oben zitierten Texten. und trennte sich von den maßlosen Wolffanhängern, in deren Augen nur ein einziges Prinzip unbeweisbar blieb, das der Identität: „Die menschliche Erkenntnis ist voll von... unbeweisbaren Urteilen (unerweisliche Urteile).. Diese Philosophen irren sich, die so vorgehen, als ob es kein anderes unbeweisbares Prinzip außer einem einzigen gäbe “.43 43 Von der falschen Spitzfindigkeit, usw. AB, p.61. Schon seit dieser ersten Periode seiner vorkritischen Entwicklung bestätigte Kant, auch in anderen Punkten, seine zunehmende Unabhängigkeit gegenüber Leibniz und Wolff. Wir werden auf diese Punkte hinweisen aus Anlaß, wo die Probleme während der folgenden Etappen klarer dargestellt werden. KAPITEL 4. Zweite Etappe: Gesichtspunkt der „Philosophia experimentalis.“ 20 §1. – Auf einen Semi-Empirismus zu. Während dieser zweiten Periode biegt Kant in die Wege des Empirismus ein und erleidet unstreitig den Einfluss von Locke und dann von Hume. Von wo kam diese neue Orientierung, und bis wohin musste sie ihn führen? Auf diese doppelte Frage muss man extreme Antworten vermeiden: der erste Anstoß dazu kam nicht einzig von einem äußerlichen Umstand, wie es die Lektüre von Locke gewesen wäre. Und auf der anderen Seite war das Ergebnis nicht, zu keinem Augenblick,ein skeptischer Empirismus in der Weise von Hume. Die Meinung von K. Fischer über diesen Punkt war häufig gewesen und jeweils der Gegenbeweis gebracht. Erinnern wir uns an das Problem, das den Geist von Kant am Ende der vorhergehenden Periode (zwischen 1755 und 1762) quälte: Es gibt erste Begriffe, es gibt mit dem rationalen Verfahren der Analyse unbeweisbare Urteile. Welchen Ursprung haben sie? Ihre Wahrheit drängt sich uns auf; worauf gründen sie sich? Zur Tatsache ihrer Erklärung musste man entweder auf den Inneismus von Descartes zurückgehen oder von Seiten der Erfahrung suchen. Auf diesen letzten Schritt war Kant, unabhängig von jedem Einfluss von Locke, vorbereitet durch seinen persönlichen Kontakt, der schon seit 1755 so zwingend zum Ausdruck kommt, mit der experimentellen Philosophie von Newton. 23 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 21 Man wird sich erinnern, dass die „analytische Methode“ von Newton, wenn sie auch als unmittelbares Ziel hatte, die „mechanischen Ursachen“ (allgemeine Gesetze) der Welt der Erfahrung einzulösen, dennoch nicht anhält bei einem phänomenalistischen Empirismus, sondern behauptet, das Fundament einer Metaphysik zu legen. (siehe Heft II, pp. 125-128). Kant war also ganz natürlich orientiert, durch seine Sympathie für Newton, auf einen metaphysischen Empirismus, in der Tat ziemlich benachbart zum Semi-Empirismus von Locke. Die Methode von Newton scheint ihm unter diesen Umständen als der Prototyp einer echten philosophischen Methode. In der 1763 der Akademie von Berlin präsentierten „Preisschrift“ die im Jahr darauf gedruckt wurde, kündigt er seine Absicht schon in der Einleitung an, für die Philosophie die Methode, „die das Maximum an Gewissheit gibt, die diese Ordnung der Erkenntnis mit sich bringt“, zu suchen... „von der Art und Weise, in der die Methode von Newton, gestützt auf die Erfahrung und die Geometrie, in den Naturwissenschaften ein festes und sicheres Verfahren an die Stelle der Widersprüchlichkeit der physikalischen Hypothesen gesetzt hat.“ 44 44 Untersuchungen über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral. 1764. AB, p.275. und weiter unten: „Die wahre Methode der Metaphysik ist im Grunde identisch mit der, die Newton in die Physik einführte, und die sich dort so fruchtbar zeigt. Er schreibt dort vor, durch genaue Erfahrungen zu suchen oder gegebenenfalls mit der Hilfe der Geometrie, die Regeln denen bestimmte physikalischen Phänomene gehorchen ... Desgleichen in der Metaphysik., etc.“ 45 45 op. cit. p.286. In anderen Ausdrücken geht Newton von der Erfahrung der Körper aus, um dort zu entdecken, durch Analyse und durch Abstraktion, die allgemeinen Gesetze, die sie regieren. In gleicher Weise muss der Metaphysiker von den unmittelbaren Begriffen der Erfahrung ausgehen, um dort zu entdecken, durch Überlegung oder „innere Erfahrung“,46 46 Ibid. die Beziehungen und die metasensiblen Eigentümlichkeiten, die sie enthalten. Alles dies erinnert ohne Zweifel genau genug an die reflexive Herkunft der Metaphysik bei Locke. Aber man kann nicht vergessen, dass Kant selbst die Methode, die er beschreibt, auf dem Beispiel von Newton und nicht auf des von Locke stützt. Im Übrigen besteht zwischen den Philosophien von Newton und der von Locke keine dichte Zwischenwand, im Gegenteil. Die newtonsche Methode schöpft aus zwei Quellen der Erkenntnis: die Erfahrung und die Mathematik. Das metaphysische Beweisverfahren führt 24 Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis sich nicht zurück auf den Typ – apriori – der mathematischen Beweisführung, als ob die Metaphysik eine Ausdehnung der Mathematik wäre? Nein, sagt Kant: die zwei Disziplinen unterscheiden sich radikal von einander, sowohl durch ihre Materie als auch durch ihre legitime Form der Deduktion, die sie benützen. In der Tat, die Mathematik geht aus nur von einer kleinen Zahl von „unbeweisbaren Sätzen“. Während diese in der Metaphysik „unzählbar viele“ sind, wie die ersten Begriffe von möglichen Objekten unzählbar sind.47 47 op. cit. p. 276 -278. Cf. Versuch den Begriff der negativen Grössen..usw. 1763. Vorrede. AB, p.167. 22 Andererseits ist die Form der mathematischen Beweisführung „synthetisch“, die der metaphysischen Beweisführung ist „analytisch“. die Mathematik konstruiert ihre grundlegenden Definitionen, sie gibt sich ihr Objekt. Die Metaphysik empfängt zuerst ihre Objekte und definiert sie danach, indem sie sie zerlegt. Eine Philosophie, die anfängt mit Definitionen, „erfindet“ ihr Objekt, ohne es „rechtfertigen“ zu können. Auch den metaphysischen Mathematismus von Leibniz und Wolff muss man verwerfen, der als tatsächlich „mögliches“ behandelt, oder als „Wesenheiten“, willkürliche Zusammensetzungen von widerspruchsfreien Noten. Die Ansatzpunkte einer Metaphysik haben nur eine einzige Rechtfertigung: in einer Erfahrung „gegeben“ zu sein.48 48 Ibid. §2. – Der Einfluss Humes. Die Krise des Semi-Empirismus, die Kant durchmacht, erreicht ihren Höhepunkt unter dem Einfluss von Hume, aber, wie uns scheint, ohne einen von Grund auf neuen Charakter anzunehmen. Man hat viel diskutiert über den genauen Zeitpunkt, wo sich der Einfluss des englischen Skeptikers entscheidend geltend machte, dieser Einfluss, der nach einem Wort aus den Prolegomena Kant aus „dem dogmatischen Schlaf“ aufweckte.49 49 Prolegomena. Edit. Rosenkranz. Band III, p.9. Muss man diese Wende des kantschen Denkens mit Benno Erdmann bis nach der Dissertation von 1770 verschieben (siehe weiter unten 4. Etappe)? Wenn wir nur die Andeutung der Prolegomena besäßen, würde uns diese These ziemlich wahrscheinlich erscheinen. Aber es bleiben uns andere Anhaltspunkte, aus denen sich unzweifelhaft zwei Feststellungen ergeben: 1. dass gegen 1763 und während der Folgejahre Kants Aufmerksamkeit ganz besonders von der Philosophie Humes angezogen wird. 2. dass zur gleichen Zeit Kant sehr damit beschäftigt war, die wahre Methode der Metaphysik zu entdecken. Dieses Hauptinteresse, übrigens, war nicht neu, sondern brachte damals eine besondere Schärfe zum Ausdruck. Siehe nach Riehl50 25 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 50 23 Der philosophische Kritizismus. 2. Aufl. Leipzig. 1908. p. 308 sqq. zwei Serien von Anzeichen, die diesen doppelten Schluss abstützen: A 1756 erschien die deutsche Übersetzung der Inquiry (Essays) von Hume durch Sulzer. – 1759 erwähnt Hamann Hume in einem Brief an Kant (27 Juli). – 1762 zeigt Herder Hume an unter den Philosophen, die in diesem Jahr von Kant studiert wurden. – 1765, kündigt Kant selbst in seinem KursProgramme eine Prüfung der ethischen Lehren von Hume, Shaftesbury und Hutcheson an.51 51 Mag. lmm. Kants Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen im Winterhalbenjahre von 1765-1766. AB, p.311 1763 schon, im kleinen Werk „Beweisgrund, etc.“ (von dem wir weiter unten sprechen werden) scheint es, dass Kant die „Kritik der Existenz“ von Hume im Denken präsent hat. Aber sicherlich, 1766, in den „Träumen eines Geistersehers“, verrät sich die Nähe von Hume in der Koinzidenz selbst der Ausdrücke. B. Andererseits, 1764, macht Hamann eine Anspielung auf eine „neue“ Metaphysik von Kant. Und 1765, in einem Brief an Lambert (31. Dez.), kündigt Kant selbst sein Projekt an, ein Buch „über die der Metaphysik eigentümliche Methode“ zu veröffentlichen.52 52 An J, H. Lambert, 31 Dez.1765). Kants Werke. Edit. Cassircr. vol. 9, Briefe von und an Kant. I., Berlin, 1918, p.47. Im Übrigen erklärt auch Kant, angekommen am Endpunkt seiner kritischen Entwicklung, dass die ersten Keime davon gegen 1765 aufgetaucht sind.53 53 An J. Bernouilli, 16 Nov.1781). Briefe I. Édit. cit. p. 204-205. War also dort das „Erwachen aus dem „dogmatischen Schlafe“, von dem die Prolegomena sprechen? Nicht notwendigerweise. Und vielleicht hat Benno Erdmann Recht, das Datum davon auf nach 1770 zu verschieben. Aber daraus ergibt sich wenigstens aus den obenstehend erinnerten Daten, dass der Einfluss von Hume verhältnismäßig früh und für einen weiten Teil in der langen und geduldigen Gedankenarbeit, die zur Kritik der reinen Vernunft führt, vorhanden ist. Welches war im Geist von Kant zwischen 1763 und 1766 der Standpunkt bezüglich des metaphysischen Problems? Der Geisteszustand eines tiefen und ein bisschen langsamen Forschers, der, nachdem er Einzelaspekte des Problems studiert hat, plötzlich eine generelle Lösung davon undeutlich sieht, aber beinahe sofort bemerkt, dass sie noch nicht reif ist, und gewissenhaft sie wieder dem Geschäft zurückgibt. Dieser Geisteszustand spiegelt sich im Brief vom 31. Dezember 1765 wider, an Lambert. Kant, der in der „Preisschrift“ von 1763 die 26 Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis 24 Zweckmäßigkeit einer systematischen Tafel der ersten Begriffe der Metaphysik proklamierte und der für diese Disziplin eine so genaue Methode verlangte wie die der newtonschen Physik, plante seitdem über diesen Gegenstand ein Gesamt-Werk zu veröffentlichen, das selbst angekündigt war für Ostern 1763 auf dem Markt der Bücher von Leipzig. Aber bald vertraute der vorsichtige Philosoph Lambert an, dass er es vorziehe, diese Veröffentlichung einige Zeit aufzuschieben. Denn bezüglich „der Tatsache metaphysischer Behauptungen gibt es davon, wie er sagt, viel mehr Missbräuchliches als Legitimes.“ Instruiert von den Überraschungen der vorzeitigen Zustimmungen, hat er im übrigen die Angewohnheit angenommen, von sehr nahe bei den Problemen zu prüfen, die sich ihm stellen, die Vor-Bedingungen einer Lösung und den genauen Zustand der Gegebenheiten.54 . 54 An J. H. Lambert, 31 Dez.1765, Kants Werke. Edit. Cassirer. vol. 9. , Briefe von und an Kant. 1.) Berlin,1918. p.47.. Kurz, die kritische Einführung in die „neue“ Metaphysik, angekündigt als demnächst, zeigt sich als schwieriger zu schreiben, als es zuerst geschienen hatte. In der Erwartung bis sie so weit ist, hofft Kant sich zu entschädigen, indem er die Ersten metaphysischen Prinzipien der Naturphilosophie und die Ersten metaphysischen Prinzipien der praktischen Philosophie veröffentlicht.55 55 Ibid. Man sieht, wie sich hier die Aufteilung der großen Werke Kants andeuten. Aber die kritische Abhandlung über die Methode der Metaphysik bleibt die wichtigste Sorge. Vergrößerte Sorge wenn möglich, und getönt von ein bisschen entmutigter Ungeduld, 1766 in dem Buch so eigenartig und voll von Ironie: „Die Träume eines Visionärs interpretiert durch die Träume der Metaphysik.“ Diese erbarmungslose Satire der dogmatischen Metaphysik der Zeit enthält nicht, wie K. Fischer geglaubt hat, eine Kapitulation vor dem Skeptizismus von Hume, sondern deckt nur eine zugespitzte intellektuelle Krise bei einem enttäuschten Metaphysiker auf, der selbst unter diesen Umständen nicht an der „Metaphysik als solcher zweifeln“ will. „Er hat das Unglück, erklärt er, von ihr begeistert zu sein, obwohl er sich nicht damit brüsten könnte, von ihr viel Gunst empfangen zu haben".56 56 Träume eines Geistersehers, usw. 1766. AB, p.367. Es liegt nicht an der Metaphysik „als ihr selbst, wenn sie objektiv dargestellt wird“, der er die Schuld zuschreibt, vertraut er Mendelssohn an.57 57 An Moses Mendelssohn, 8 apr. 1766). Kants Werke. Edit. Cassirer. (Briefe von und an Kant. 1.), vol. 9, p.57. 27 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik Diese Metaphysik da, „davon ist er überzeugt, trägt zum wahrhaften und dauerhaften Gut der Menschheit bei.“ 58 . 58 Ibid. Eines der Hauptziele seiner „Träume“, unter deren leichtfertiger und skeptischer Erscheinung war es, den Metaphysikern die Notwendigkeit beizubringen „sehr aufmerksam zu prüfen, ob die Aufgabe (die sie übernehmen) ausreichend bestimmt ist, unter der Rücksicht unserer Möglichkeiten zu erkennen und welche Beziehungen die gegebenen Probleme zu diesen Begriffen der Erfahrung haben, auf die sich in jedem Fall alle unsere Urteile stützen müssen. In diesem Maße ist die Metaphysik eine Wissenschaft von den Grenzen der „menschlichen Vernunft“.59 59 25 Träume, usw. Edit. cit. p.368. Siehe da, das große Wort ist gefallen: „die Grenzen der Vernunft.“ Die Metaphysik wenn sie analytisch ist, und nicht synthetisch, hat keinen „Inhalt“ als gerade das, was die Erfahrung liefert. Nicht dass die Vernunft insofern sie Vernunft ist, begrenzt wäre. Aber man muss sich fragen, „ob es da keine Grenzen gibt, die auferlegt werden, sicher nicht durch die Grenzen unserer Vernunft, aber durch die der Erfahrung, die die Gegebenheiten (die Data) für unsere Vernunft liefert.“ 60 60 An M. Mendelssohn., usw. Briefe I. Edit. cit. p.59. Diese klar gezogene Unterscheidung zwischen der unbegrenzten Tragweite der Vernunft als „Form“ unserer Erkenntnisse und ihrer „materiellen“ Begrenzung, die gerade von der Einschränkung ihrer „Daten“ resultiert, die alle von der Erfahrung genommen sind, ist in diesem Moment extrem bemerkenswert. Wenn sie noch nicht die exakte Beziehung vom „Formalen“ und dem „Materialen“ definiert, dem Apriorischen und dem Empirischen in der menschlichen Erkenntnis, zum Mindesten stellt sie das Problem auf in Ausdrücken, die das Gebiet möglicher Lösungen begrenzen und die Kritik der reinen Vernunft vorausahnen lassen. Kant wird später nicht seine Formel von 1766 verleugnen müssen. In der Zwischenzeit wird er ohne Zweifel lernen, dass die formartige Teilnahme der Vernunft an der Erkenntnis nicht rein analytisch ist und dass es im Gegenteil etwas Apriorisches in der Sinneswahrnehmung gibt. Aber die extremen Ausdrücke, die er hier verbindet und gegenüberstellt in jeder objektiven Erkenntnis, werden unverändert bleiben. Einerseits die analytische Vernunft, deren Gültigkeit absolut ist, aber von rein formartiger Ordnung. Andererseits die Erfahrung, einzige Lieferantin des „Inhaltes oder der Materia“ unserer Begriffe. Die Verbindung (Konjunktion) dieser zwei Terme liefert gleichzeitig 28 Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis – wir werden es später feststellen – die absolute Grundlage und die unüberschreitbaren Grenzen der „Metaphysik“ von Kant, die er selbst benennt als: die Metaphysik von der Metaphysik.61 61 26 An Markus Herz (1781, Briefe I. Edit. cit. p.198. Hüten wir uns indessen, ungerechtfertigter Weise die weitere Entwicklung des kantschen Denkens vorwegzunehmen, indem wir hier die „Daten“ der Erfahrung vergleichen mit den „phänomenalen Gegebenheiten“, um die es in der Kritik geht. Dies würde Kant viel mehr an Hume angleichen, als es sich ziemt, und uns dazu verurteilen, später die Dissertation von 1770 als eine übertriebene Reaktion gegen den Empirismus zu interpretieren, gefolgt beinahe unmittelbar von einer Gegenreaktion – etwas, was kaum wahrscheinlich ist, in Anbetracht des intellektuellen Temperaments von Kant und dass es nicht mit seinen Erklärungen übereinstimmt. Kant hat 1766 noch nicht klar die Rolle des Sinnlichen und die Rolle des Intelligiblen in den experimentellen Daten unterschieden, das heißt in den direkten Begriffen der Erfahrung: Diese, obwohl sie von der Erfahrung gegeben wurden und nur die Gültigkeit der Objekte der Erfahrung haben, bezeichnen dennoch für ihn in diesen Grenzen, „ontologische Wirklichkeiten“. Die Erfahrung schließt die Metaphysik nicht aus, sie offenbart sie uns. Wie und in welchem exakten Sinn? Da ist das Problem, das Kant noch nicht gelöst hat,. Er macht selbst an mehreren Orten Anspielungen auf dieses noch neblige Morgenrot seiner kritischen Gedanken. Zum Beispiel in einer „Reflexion“, die nach 1770 datiert, aber sich genau auf die Zeit bezieht, von der wir hier sprechen. „Es hat eine bemerkenswerte Zeit gebraucht, bevor die Begriffe sich in meinem Geist in einer Weise geordnet haben, dass sie mir ein Ganzes darboten und mir so erlaubten, die Grenzen der Wissenschaft so klar zu ziehen, wie ich die Absicht dazu hatte. Schon vor der Dissertation von 1770 hatte ich die Idee eines Einflusses der subjektiven Bedingungen unserer Erkenntnisse auf ihre objektiven Bedingungen, dann auch von der Unterscheidung vom Sinnlichen und dem Intellektuellen. Aber diese letzte Unterscheidung war bei mir rein negativ."62 62 B. Erdmann. Reflexionen Kants.. usw. Band II. Leipzig, 1885, n0 6 p.5. Eine andere Schwierigkeit beschäftigte Kant sehr und musste dazu beitragen, ihn in einen noch unerfreulicheren Geisteszustand einzutauchen, als ihn die Träume aufdecken. Es war sehr gut, die metaphysischen Wahrheiten zu reduzieren auf experimentelle ursprüngliche Begriffe. Aber wo lag die Garantie der ontologischen Wahrheit gerade dieser? Nicht in den sinnenhaften „Eindrücken“ als solcher, da diese als rein „subjektiv“, keine „principia essendi = Seinsprinzipien“ enthalten63 29 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 63 Beachte die folgende „Reflexion“ von Kant zu Locke; obwohl wahrscheinlich einer ein bisschen späteren Periode angehörend: könnte sie hier passen: „Locke: subjektiv; er nahm die Eindrücke für die principia essendi.“ Reflexionen, n0 224, p.66. Cf. n0 227.. Noch weniger im Prinzip von Crusius: „Das, was ich nicht denken kann, es sei denn als Wahres, das ist wahr...“. Denn, sagte Kant schon seit 1763, so urteilen kommt einfach darauf zurück, subjektive Gewissheit von „unbeweisbaren Erkenntnissen“ festzustellen.64 64 Untersuchung über die Deutlichkeit.. usw. Preisschrift 1764. AB, p.295. Auf der anderen Seite ist die metaphysische Notwendigkeit eine objektive Notwendigkeit, also eine objektive Rechtfertigung fordernd. Wie würde das möglich sein? Den Schlüssel für diese Schwierigkeit wird Kant erst später besitzen, in der „transzendentalen Deduktion der Kategorien.“ In der Erwartung dessen kommt bei seinen Freunden seine Ratlosigkeit des Forschens manchmal in der Verwunderung der Freunde im Ton einer Verspottung zum Ausdruck.65 65 27 An M. Mendelssohn, 8 apr. 1766, Briefe, I. Edit. cit. p.55. In dieser Epoche hält sich die Aufmerksamkeit von Kant mit einer gewissen Vorliebe bei moralischen Problemen auf, sei es dass ein fortschreitendes Misstrauen der Metaphysik gegenüber dem gewöhnlichen Gesetz zufolge mehr oder weniger bewusst den Reiz für einen kompensatorischen Pragmatismus in ihm aufruft, sei es dass das Studium der englischen Moralisten, und vor allem vielleicht die Lektüre von J. J. Rousseau (der Gesellschaftsvertrag und der Emile wurde herausgegeben 1762) seinen philosophischen Horizont erweitert und seine gewohnheitsmäßigen Hauptinteressen mehr „humanisiert“ haben. In der Finale von den Träumen, rühmt er sehr bezeichnend begeistert den „moralischen Glauben“ gegenüber den transzendierenden Spitzfindigkeiten der professionellen Beweisführer. Diese können wohl den eitlen Applaus der Schulen hervorrufen. Aber, nach allem, spielt es für uns eine große Rolle, dass wir einen sicheren Führer im „moralischen Glauben“ haben, „der allein angepasst ist an die gegenwärtige Bedingung der Menschheit“ und von dem wir sagen können, dass er „uns ohne Umweg zu unserem tatsächlichen Ziel“ führt?66 66 Träume. AB, p.373. Schon die Abhandlung über die Beweise von der Existenz Gottes (1763) – von der wir sprechen werden – endet mit diesen Worten: „Es ist absolut unerlässlich, dass man sich von der Existenz Gottes überzeugt; es ist weniger notwendig, dass man sie beweist“.67 67 Beweisgrund.. zu einer Demonstration des Daseins Gottes. 1763. AB, p.163., wo man sehen kann, wenn wir uns nicht irren, eine erste Ankündigung des moralischen Dogmatismus der Kritik der praktischen Vernunft. 30 Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis §3. – Die Grenzen der Metaphysik. Der Einfluss von Hume, dem wir anfangs 1766 eine breite Wirkung auf die allgemeine philosophische Entwicklung von Kant zuteilen können, hatte in zwei wichtigen Punkten besonders klare Auswirkungen auf die Struktur des Werkes von den „Grenzen der Metaphysik“: die Existenz und die Kausalität. a) Existenz. 28 Kant erklärte beinahe gleichzeitig: in der Preisschrift von 1763-64, dass die logische Kohärenz einer Definition die Wirklichkeit des definierten „Wesens“ nicht mit sich bringt. (siehe oben p.22) und, im Traktat Beweisgrund usw. (1763) dass das analytische Verfahren der Vernunft nicht ausreicht, um eine Existenz zu zeigen. Diese doppelte Erklärung gibt dem rationalistischen Ontologismus den Gnadenschuss. Denn, wenn die transzendente Wirklichkeit eines Wesens – oder die Möglichkeit eines Objekts – nicht apriori folgt aus der Kohärenz selbst der entsprechenden Definition, kann sich uns diese Wirklichkeit des Wesens – oder diese Möglichkeit des Objektes – nur zeigen durch die Existenz des Objektes selbst: „ab esse ad posse valet illatio“. Und wenn die Existenz mit Recht jedem analytischen Beweis entkommt, dann bleibt nur ein einziger Weg, um sich von der Möglichkeit eines ersonnenen Objekts zu überzeugen: die empirische Feststellung seiner Existenz. Aber warum entkommt die Existenz jeder rein analytischen Demonstration? Weil diese Demonstrationsart ausschließlich darin besteht, die Identität eines Prädikats und eines Subjekts zu zeigen.68 68 Beweisgrund.. usw., AB, p.72. Nun aber ist die wirkliche Existenz nie, eigentlich zu sprechen, ein Prädikat: sie gehört nicht durch Identität zu der Definition oder zu dem Begriff einer Sache, weder als essentielles Attribut, noch als ein Akzidens. Sie bleibt außerhalb des Begriffes der Sache, so weit auch die intelligible Bestimmung dieses Begriffes getrieben wird. Zweifellos heißt die Existenz einer Sache zu denken, nicht, die Existenz einer Sache zu kennen. Aber der Begriff einer Sache, die wie ein Bestehendes gedacht wird, unterscheidet sich dadurch nicht vom Begriff dieser Sache, der wie Bestehendes gekannt wird: umgekehrt sind Subjekt und seine analytischen Attribute die Gleichen; die einzige Differenz ist die, dass im ersten Fall der Bezug zwischen dem ersonnenen Objekt und der Existenz einfach vorgestellt ist, während im zweiten Fall, dem eines Urteils wirklicher Existenz, diese Beziehung, wie Kant sagt, absolut gesetzt ist. Der „wirklichen“ Existenz einer Sache entspricht in unserem Denken die „absolute Setzung“ dieser Sache.69 69 Beweisgrund; ..usw. AB, p.73. „Das Dasein ist die absolute Setzung eines Dinges.“ 31 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik Infolgedessen kann, wenn man von irgendetwas, was auch immer dies wäre, die wirkliche Existenz verneint, in anderen Worten diese „absolute Setzung“ verweigert, die von einer ganz anderen Ordnung ist als die analytische Beziehung eines Subjekts und eines Prädikats, das von sich aus nicht irgendeinen logischen Widerspruch mit sich bringt. Selbst die Hypothese von der totalen Nichtexistenz (Nichts), allein betrachtet in der logischen Beziehung seiner Terme, ist nicht inkohärent.70 70 29 op. cit. p.73. „Es ist zwar keyn innerer Widerspruch in der Verneinung aller Existenz.“ Das Nichts widerlegt sich nicht durch einfache formale Analyse und die Existenz lässt sich also auch nicht analytisch beweisen. Man kann sich nicht damit verteidigen, sich diesen Sichtweisen von Kant anzunähern, (die ganz genau so in der Kritik des reinen Vernunft) wieder auftauchen werden mit ganz ähnlichen Schlussfolgerungen, die wir aus der Feder von Hume entnommen haben (siehe Heft II, pp. 166, 168). Die Ähnlichkeit geht dennoch nicht bis zur Identität, denn die im einen oder anderen Fall angeführten Vordersätze werden in unterschiedlichem Geist behandelt, immer rationalistisch bei Kant, radikal empiristisch bei Hume. b) Kausalität. Der ausschlaggebende Grund, jede analytische Demonstration der Existenz zu verwerfen, gilt auch für die analytische Demonstration der Kausalität. Sehr früh, wenn nicht schon immer hatte Kant die wolffsche Gleichsetzung der physischen Ursache und des logischen Grundes verworfen. Wir haben gesagt, dass er noch weiter ging, und nachdem er sich von Wolff getrennt hatte, er sich auch von Crusius entfernte, dem er einen Moment lang zu folgen geschienen hatte. In der Tat schon seit 1763, in seinem kleinen Werk über die „negativen Größen“, bestreitet er formal, dass eine „wirkliche Ursache“ jemals verstanden werden kann als „logischer Grund“, da der eine eine Funktion von Andersheit ist und der zweite eine Funktion der Identität. Schon aus diesen Prämissen folgte, dass die Notwendigkeit einer Ursache nicht mit der Vernunft nachweisbar ist. 1766 in den Träumen kommt Kant auf dieses Thema zurück und verstärkt noch seine früheren Erklärungen; Die Form, die er ihnen gibt, verrät den zeitlich nahen Einfluss von Hume (siehe Heft II, p. 168, „Kritik der Kausalität“), obwohl der Hintergrund nur die völlig normale Weiterführung einer Entwicklung war, die schon vor längerer Zeit angefangen hatte: 32 Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis (aus Französich rückübersetzt) „Als man (in der Philosophie) zu den grundlegenden Beziehungen vorgedrungen war, wurde der Aufgabe des Philosophen der Garaus gemacht: wie könnte etwas eine Ursache sein oder eine Kraft ausüben, das zu durchschauen ist unsere Vernunft radikal unfähig. Beziehungen solcher Art können nur aus der Erfahrung gefolgert werden. Denn die Ordnung unserer Vernunft erstreckt sich nur auf den Vergleich entsprechend der Identität und dem Widerspruch. Nun ist aber in dem Maße, wo etwas, was auch immer es sei, Ursache ist, irgendein Ding gerade durch ein anderes Ding gesetzt und es wird unmöglich zwischen den beiden Termen eine Beziehung durch Identität zu erhalten. Wie es auch unmöglich ist, dass ein Widerspruch entsteht durch die Tatsache dass ich die Anerkennung als Ursache einem der beiden Terme verweigere. In der Tat, wäre das ein (logischer) Widerspruch zwischen der Setzung einer Sache und der Unterdrückung einer ande30 ren Sache? Folglich die Grundbegriffe von Dingen insofern sie Ursachen sind ..., wenn sie gar nicht aus der Erfahrung entnommen sind, dann sind sie völlig willkürlich und damit und somit wenig dafür empfänglich, bewiesen zu werden oder widerlegt zu werden.“ 71 71 (original Kant) Ist man aber endlich zu den Grundverhältnissen gelangt, so hat das Geschäft der Philosophie ein Ende und wie etwas könne eine Ursache sein oder eine Kraft haben, ist unmöglich jemals durch Vernunft einzusehen, sondern die Verhältnisse müssen lediglich aus der Erfahrung genommen werden. Denn unsere Vernunftregel geht nur auf die Vergleichung nach der Identität und dem Widerspruch. Sofern aber etwas eine Ursache ist, so wird durch etwas etwas anderes gesetzt und es ist als kein Zusammenhang vermöge der Einstimmung anzutreffen, wie denn auch, wenn ich eben dasselbe nicht als eine Ursache einsehen will, niemals ein Widerspruch entspringt, weil es sich nicht kontradiziert, wenn etwas gesetzt ist, was anderes aufzuheben. Das heißt die Grundbegriffe der Dinge als Ursachen, die der Kräfte und Handlungen, wenn sie nicht aus der Erfahrung hergenommen sind, gänzlich willkürlich sind und weder bewiesen noch widerlegt werden können. Träume... usw. AB, p.370. Kant gelangt hier unstreitig sehr früh ins Kielwasser von Hume; dennoch, vom einen zum anderen, bleiben unzurückführbare Unverträglichkeiten; sie werden sich später im Bewusstsein ausdrücken, das Kant haben wird, nicht neu herausgegeben sondern weiter verfolgt und „fertig“ gemacht zu haben das durch seinen „scharfsinnigen Vorgänger“ begonnene kritische Werk. In der Tat hat Hume das kritische Problem aufgestellt und sogar reichlich dazu beigetragen, es dem Denken Kants aufzudrängen; aber er hat es nicht wirklich gelöst, 33 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik da der Skeptizismus keine Lösung ist. Kant dagegen behauptet mit Recht, dem Problem eine positive Lösung zu geben. Im Übrigen zu der Zeit von der wir sprechen hat nicht nur Kant nicht total abgeschafft, wie Hume den traditionellen Bereich der Metaphysik, sondern er bewahrt sogar etwas von einer transzendenten Ontologie. Wir werden uns davon überzeugen indem wir seine Kritik der Beweise von der Existenz Gottes studieren, die 1763 veröffentlicht wurde,: nichts deutet daraufhin dass sein Denken über dieses Thema sich vor 1770 oder selbst 1772 ernstlich verändert hat. c) Existenz Gottes. Wenn die reale Existenz sich niemals durch ein Prädikat ausdrückt, und so nicht das Objekt einer analytischen Demonstration sein kann, ist das kartesianische ontologische Argument ohne Tragweite, wiederholt Kant 1763.72 72 Beweisgrund.. usw. (III. 2). AB, p.156. Schon seit 1755 proklamierte er dieses Unvermögen des bevorzugten Arguments der rationalistischen Metaphysiker.73 73 Principiorum primorum.. Nova dilucidatio. 1755. Prop. VI, scholion AB, p. 394 -395. Und wenn überhaupt keine „Ursache“ analytisch beweisbar ist, dann ist das traditionelle kosmologische Argument, das auf der Kontingenz der existierenden Dinge beruht und auf eine transzendente erste Ursache schließt, ebenfalls von seiner Grundlage her erschüttert. Lässt man im Übrigen eine gültige Anwendung des Prinzips vom hinreichenden Grund zu, das dazu zwingt, die Existenz eines absolut notwendigen Seins zu behaupten, dann bliebe noch zu beweisen, dass ein notwendiges Sein die absolute und einzigartige Vollkommenheit besitzen muss, die Gott definiert. Ein solcher Beweis ist undurchführbar, es sei denn, man nimmt in versteckter Form seine Zuflucht auf das ontologische Argument.74 74 31 Beweisgrund.. usw. AB, p. 157-158. Wir untersuchen diese letzte Erwägung hier nicht weiter, sie wird uns später beschäftigen aus Anlass der Kritik der reinen Vernunft. Verzichtet Kant also darauf, die Existenz Gottes mittels der spekulativen Vernunft zu zeigen? Keineswegs; er hält zwei Argumente für gültige: das Argument aus der Ordnung und der Harmonie der Dinge und ein Argument gegründet auf der Existenz der „Possibilien = der möglichen Dinge.“ Das erste dieser Argumente wurde von Kant zu allen Zeiten mit einer ausgesprochenen Gewogenheit betrachtet. Es scheint ihm und wird ihm immer 34 Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis höchst überzeugend scheinen, wenn auch metaphysisch unvollständig. Man begegnet ihm übrigens in allen Etappen der literarischen Karriere des Philosophen: 1755 in der „Theorie des Himmels“ 75 , 75 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels. 1755. Vorrede, und andersw. AB, pp. 221 sqq., und, wenigstens skizzenhaft, in der Dissertatio „Nova dilucidatio“ 76 76 op. cit. Propos. XIII; AB, pp. 412. sqq. dann des langen und breiten behandelt und einer gedrängten Diskussion unterworfen im „Beweisgrund...“ von 176377 ; 77 Beweisgrund... AB. pp. 93-154. schließlich später zusammen mit Zustimmungen und Vorbehalten gleichzeitig, in der „Kritik der „reinen Vernunft“, wo wir es wiederfinden werden. Das zweite Argument, das von den „Possibilien“ ist das einzige, dem Kant die ganze Strenge eines rationalen Beweises zuerkennt. Er hatte es schon summarisch dargelegt in der lateinischen Dissertatio von 175578 78 32 Principiorum...Nova dilucidatio. Prop. VIII. . AB, p.395. und er nimmt es hier wieder auf mit größerem Umfang. Das Argument aus den „Possibilien“, das man nicht mit dem ontologistischen Argument, wo aus der „inneren Möglichkeit“ des göttlichen Wesens gefolgert wird, verwechseln darf, ist seiner Herkunft nach von Leibniz. Hier ist es in seiner ursprünglichen Form, wo es nur in der bescheidenen Rolle einer Bekräftigung des Beweises gegründet auf dem Wesen Gottes erscheint. „Da das Wesen der Sache, schreibt Leibniz, nur das ist, was seine Möglichkeit im besonderen ausmacht, ist es ganz offenkundig, dass existieren seinem Wesen nach, heißt, zu existieren seiner Möglichkeit nach. Und wenn das Sein von sich her definiert wäre in Ausdrücken, die noch besser angepasst sind, indem man sagt, dass es das Sein ist, das existieren muss, weil es möglich ist, ist es offensichtlich, dass alles das, was man sagen könnte gegen die Existenz eines solchen Seins, darauf hinaus liefe, seine Möglichkeit zu verneinen – Man könnte zu diesem Thema noch einen modalen Satz aufstellen, was eine der besten Früchte der gesamten Logik wäre: nämlich zu wissen dass, wenn das notwendige Sein möglich ist, dann existiert es. Denn das notwendige Sein und das Sein seinem Wesen nach sind nur ein und dieselbe Sache. So kann die Beweisführung, genommen auf diesem Umweg, eine gewisse Zuverlässigkeit haben. Und die, die wollen, dass man nie die aktuelle Existenz nur aus den Begriffen, Ideen, Definitionen, oder möglichen Wesen erschließen kann, fallen in der Tat auf das zurück, was ich im Begriff stehe zu sagen: Das 35 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik heißt, dass sie die Möglichkeit des Seins an sich verneinen. Aber das, was gut ist, zu bemerken, dieser gleiche Umweg dient dazu, erkennen zu lassen, dass sie Unrecht haben, und füllt schließlich die Leere der Demonstration aus. Denn wenn das Sein an sich unmöglich ist: dann sind alle Seienden in gleicher Weise auch unmöglich. Außerdem weil sie schließlich nur durch das Sein an sich sind, so könnte nichts existieren. Diese Beweisführung führt uns zu einem anderen wichtigen modalen Satz der dem ersten ähnlich ist, und der verbunden mit ihm den Beweis vollendet. Man könnte ihn so aussprechen: wenn das notwendige Sein gar nicht existiert, gibt es kein mögliches Sein. Es scheint, dass diese Demonstration bisher nicht so weit geführt worden ist. Dennoch habe ich auch woanders daran gearbeitet zu beweisen, dass das vollkommene Sein möglich ist.“ 79 79 Leibniz. Entnommen aus einem Brief... bezüglich der kartesianischen Demonstration der Existenz Gottes durch R. P. l’Amy Benedictin. Mémoires de Trevoux. Sept. - Okt. 1701, p. 205-206. Der zweite modale Satz von Leibniz, der als unabhängiger Beweis aufgestellt wird„ konstituiert die wesentliche Grundlage des durch Kant entwickelten Arguments von den „Possibilien“. Die „Möglichkeit“, von der in diesem Argument die Rede ist, ist die „interne Möglichkeit“, die Abwesenheit eines Widerspruchs zwischen den konstitutiven Noten eines objektiven Begriffes. Jede „interne Möglichkeit“ zeigt zwei untrennbare Aspekte: einen normativen, „förmalen“ Aspekt: die logische Kohärenz; einen materialen oder „realen“ Aspekt: den logisch zusammenhängenden (kohärenten=widerspruchsfreien) Inhalt.80 80 Beweisgrund., usw. I.2. 1. AB, p. 77-78. Jedes „Possibile“ – was auch immer es wäre – würde also sich unterdrückt finden, sowohl durch Unterdrückung seines Realitätselements, wie durch Unterdrückung seines formalen Elementes (das heißt, durch logischen Widerspruch).81 81 op. cit. I.2. 2. AB, p.78. Davon ausgehend können wir wie folgt schließen: „Das, was jede Möglichkeit unterdrücken würde, ist absolut unmöglich“.82 82 op. cit. I.2. 3. AB, p.79. Nun aber würde die Nicht-Existenz eines notwendigen Seins alle Möglichkeit unterdrücken. Also ist die Nicht-Existenz eines notwendigen Seins absolut unmöglich. 36 Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis 33 Die Minor dieses Syllogismus beweist sich, Kant zufolge, leicht: In der Tat brächte die Nicht-Existenz des notwendigen Seins (das durch sich selbst fortbestehend (subsistierend) ist) die Unmöglichkeit aller Wirklichkeit mit sich, also die Unmöglichkeit des Realitätselements (das heißt, eines nichtrein logischen Elementes) eines jeden Möglichen, also die Abwesenheit jeder Möglichkeit.83 83 op. cit. I.2. 4. AB, p. 79-81; und 1. 3. 1 und 2. p. 81 -83. Das, was Kant hier sagt, ist nicht in Widerspruch mit seiner Kritik des kosmologischen Argumentes, auf das wir weiter oben in einer Andeutung hingewiesen haben, p.30.). Dort wurde in der Tat das notwendige Sein vorausgesetzt als abgeleitet aus kontingenten Existenzen auf dem Weg der Kausalität. Hier ist es als die logische Bedingung der Möglichkeit als solcher anerkannt. Dort wird die absolute Vollkommenheit, die Einheit, etc. des notwendigen Seins betrachtet als durch den Begriff selbst seiner „Notwendigkeit“ bewiesen. Hier werden diese göttlichen Attribute des notwendigen Seins analytisch durch die Tatsache selbst gewährleistet, dass dieses Sein gesetzt ist als Bedingung des „Realitäts-“Inhaltes von jedem beliebigen „Possibile“. 34 Die Maior = Obersatz dagegen ist nicht, so scheint es, ganz ohne Zweideutigkeit. Sie kann verschiedene Bedeutungen haben: a) Zwischen der Behauptung des „Möglichen“, die man im Vorhinein als zugegeben annehmen würde, und der Behauptung einer Bedingung, die alle Möglichkeit unterdrücken würde, gibt es eine logische Unverträglichkeit. Also das, was jedes „Mögliche“ auslöschen würde – entweder im „formalen“ Gesichtspunkt, zum Beispiel die Negation des Identitätsprinzips; oder im materialen oder „realen“ Gesichtspunkt, zum Beispiel die Negation jeder Existenz, – ist unmöglich. Kant selbst, am Ende des §2 (1. Teil, 2. Erwägung) scheint diese Auslegung nahezulegen. Aber es bleibt dann die vorherige Behauptung über das „Mögliche“ zu rechtfertigen. Wir werden gleich auf diesen Punkt zurückkommen. b) Das, was alle Möglichkeit unterdrückt, würde selbst unmöglich sein, denn wenn es selbst möglich wäre, würde es nicht alle Möglichkeit beseitigen. Das ist ein Satz mindestens dem Anschein nach evident und analytisch. Nun aber, wenn man näher hinschaut, ist das, was evident ist, dies nur, weil ein angebliches positives „Wesen“, oder ein „Mögliches“, dessen Begriff die Negation aller Möglichkeit beinhalten würde, logisch widersprüchlich und absolut unmöglich wäre. Aber der erste Ausdruck des Obersatzes (der Major): „das, was alle Möglichkeit beseitigt“, bezeichnet hier nicht ein „Wesen“ oder ein „Mögliches“ als Zerstörer aller Möglichkeit; es handelt sich um eine reine ideale Bedingung, die auf logische Weise die Negation aller Möglichkeit mit sich bringt. Oder genauer gesagt handelt es sich darum, zu wissen, ob der Satz: „es gibt kein notwendiges Sein“ oder „es existiert nichts“, in sich betrachtet, in seiner eigentlichen Bedeutung, unmöglich wäre, das heißt innerlich widersprüchlich, allein dadurch dass er analytisch diesen anderen Satz enthält: „nichts ist möglich“; oder noch weiter, es handelt sich darum, zu wissen, ob die Hypothese: 37 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik „Abwesenheit jeder Existenz“ verbunden mit seiner Konsequenz: „Abwesenheit aller Möglichkeit“ das Widerspruchsprinzip verletzt. Ja, scheint man zu sagen, oder vielmehr, durch Kant sagen zu lassen: „das, was alle Möglichkeit beseitigt“, stellt sich selbst in die Kategorie des Unmöglichen oder des „Widersprüchlichen“; also die Abwesenheit aller Existenz ist unmöglich.84 84 Man hat der Major des Syllogismus von Kant eine andere vorgeblich analytische Bedeutung zugeteilt, die im Übrigen dem Text im „Beweisgrund“ nicht entspricht; sie kommt auf das hinaus: „Wenn es keine Existenz gibt, gibt es keine Möglichkeit, und infolgedessen wird das Mögliche unmöglich, was sich in den Ausdrücken selbst widerspricht.“ Diese Interpretation würde zwingen, Kant wie einen boshaften Logikschüler anzusehen in der Abhandlung über die „Sophismata in dictione“! Man wird zugeben, dass das nicht wahrscheinlich ist. Wir zögern, Kant (trotz gewisser materialer Ähnlichkeit in den Formulierungen, die er im §3 der zitierten Seiten benutzt) eine so miserable Zweideutigkeit zuzuschreiben. Denn es ist sehr evident, dass die Unmöglichkeit „der totalen Nicht-Existenz“ eine Unmöglichkeit ist bezüglich der objektiven Ordnung, auf die sich die „Möglichen“ beziehen, das heißt eine Unmöglichkeit bezogen auf das Sein. Aber man hat nicht das Recht, als ob es sich um identische Ausdrücke handelte, den Begriff einer objektiven Unmöglichkeit in einen logischerweise unmöglichen Begriff (das heißt widersprüchlichen) ohne weiteres umzuwandeln.85 . 85 Und das gerade nach Kant, weil die Möglichkeit nicht nur von einer „formalen und logischen“ Bedingung abhängt, sondern von einer „materialen und realen“ Bedingung (einem Inhalt). Siehe oben, p.32 und weiter Seite 36. Das „Nichts der Existenz“ ist auch das Nichts des Wesens, oder der objektiven Möglichkeit: Es „widerspricht“ dem Sein auf der ganzen Linie; aber widerspricht es auch der analytischen Regel der Vernunft, wenigstens so lange wie diese noch keine Stellung genommen hat für das reale oder mögliche Sein? Kant selbst hat das nicht geglaubt; einige Zeilen vor dem Satz, den wir zu interpretieren versuchen, hat er formal erklärt, dass die Hypothese des totalen Nichts nicht in den Ausdrücken widersprüchlich ist: „Man kann nicht behaupten, dass diese Negation (von jeder Existenz) einen inneren Widerspruch einschließt. Aber dass es eine Möglichkeit gäbe, und dass dennoch nichts existiert, das ist widersprüchlich“.86 86 35 op. cit. I.2. 2. AB, p.78. Cf. p.81. Unterstreichung von uns. Im Übrigen möge man sich erinnern an die allgemeine Doktrin von Kant über den Existenzbegriff: „die Existenz ist kein Prädikat“, und ihre Negation, selbst die totale, obwohl sie vielleicht unter anderen Titeln unmöglich wäre, widerspricht sich nicht in den Ausdrücken. Ist es wahrscheinlich, dass der Autor vom Beweisgrund die Zerstreuung bis zum Vergessen weiter getrieben hat, 38 Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis bei fünfzehn Zeilen Abstand, dass die Existenz überhaupt nicht für eine analytische Demonstration empfänglich ist? Und können wir einer Interpretation des Arguments aus den Possibilien zustimmen, die uns zwingen würde zuzugeben, sei es dass die kantsche Formel im Grunde dieselben Schwierigkeiten aufweist wie der alte ontologische Beweis, der von Kant verworfen wurde (K.Fischer)87 . 87 Kuno Fischer. Geschichte der neueren Philosophie. 5. Aufl. Band IV. (Kant. I., Heidelberg, 1909, p.249. oder sei es dass die Dialektik von Kant, getäuscht durch die Zweideutigkeit des Wortes „mögliche“, sich hier bis zum formalen Widerspruch verirrt hat (A. Riehl88 ? 88 A. Riehl. Der philosoph. Kritizismus. Band 1. 2. Aufl. p. 307-308. Riehl will glaubhaft machen, dass das rückblickende Gefühl für die Verwirrung für einen so offensichtlichen Fehler gut genug erklären würde, warum der Philosoph, der später in der Kritik des reinen Vernunft seine ganze vorherige Widerlegung des ontologischen Arguments wieder aufnimmt, sein eigenes Argument aus den „Possibilien“ verschweigt. Diese Auslassung, wir werden es sehen, erklärt sich viel natürlicher, wenn man dem Beweis aus den Possibilien die Bedeutung einer normalen Etappe in der Entwicklung des kritischen Gedankens bei Kant zurückgibt. Zwei Punkte bezüglich des formalen Wertes dieses Beweises scheinen uns ohne jeden Zweifel: 1.Er ist apriori (im Gegensatz zu „empirisch“) . Kant klassifiziert solche Beweise formell außerhalb der Beweise a posteriori, welch letztere begründet sind auf der Wahrnehmung einer Existenz89 . 89 Beweisgrund.., III; AB, p. 175 sqq. 2. er ist nicht rein analytisch; und darin stellt er sich gegenüber dem alten ontologischen Argument oder wenigstens dem ontologischen Argument wie Kant und viele andere Philosophen es verstehen.90 90 Wir haben gezeigt – in Heft II, warum das ontologische Argument von Descartes im eigentlichen Sinn nicht ein Paralogismus ist, auch wenn es auf einer fehlerhaften Voraussetzung beruht. Wie kann unter diesen Bedingungen der Beweis angesetzt werden? Wir glauben, dass Kant hier den ersten ein bisschen klaren Entwurf gibt einer Beweisart, die oft in der Kritik benutzt werden wird, und im Besonderen, in der „transzendentalen Deduktion der Kategorien“. Was wir damit meinen ist: Das Beweisverfahren, das sich abstützt auf das notwendige Postulat jeder Kritik, nämlich auf das objektive Denken betrachtet genau bestimmt d.h. in sich selbst unter Abstraktion des psychologischen Subjekts ebenso wie des Objekts in sich. 39 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 36 Nehmen wir also das Argument von den „Possibilien“ wieder auf und vervollständigen es entsprechend der Interpretation, von der wir glauben, dass wir sie von dem Text Kants machen müssen. Das notwendige Sein zu verneinen heißt die Grundlage jeder Möglichkeit zu zerstören. Dies heißt also jedes „Mögliche“ beseitigen. Aber jedes „Mögliche“ beseitigen („alles Mögliche“), heißt so viel wie das objektive Denken selbst zu verneinen, indem man jeden möglichen Inhalt des Denkens („alles Denkliche“) unterdrückt. Nun aber ist gerade die Leugnung des objektiven Gedankens eine apriorische Unmöglichkeit da ja der objektive Gedanke, wenn er in einem Urteil geleugnet wird, sich dadurch gerade implizit, selbst durch seine Negation, noch einmal aussagt. Also alle Wirklichkeit der Possibilien unterdrücken ist eine apriorische Unmöglichkeit ebenso auch die Unterdrückung jeder Existenz oder die Unterdrückung der Existenz des notwendigen Seins. Was auch immer die logische Charakteristik und die reale Gültigkeit dieser Beweisführung wären, wir wollen zuerst zeigen, dass er dem Denken von Kant entspricht. Seiner Meinung nach ist in der Tat die „formale“ Möglichkeit nur die absolute Regel vom Nichtwiderspruch. Angewandt auf einen „Inhalt“ konstituiert diese formale Bedingung mit ihm zusammen ein „Possibile“, das heißt vor allem ein „denkbares oder intelligibles Objekt“ (ein Denkliches).91 91 Diese Konzeption findet sich wieder in der Dissertation von 1770. Für Wolff war ein „Possibile“ nicht nur ein „Intelligibile“ im Denken, sondern auf der Stelle und korrelativ eine „mögliche Wirklichkeit“. Kant hat zu der Zeit, die wir behandeln, schon die ontologistische These der vollkommenen Gleichsetzung zwischen der logischen Widerspruchsfreiheit und der realen Möglichkeit aufgegeben. Das „Mögliche“ wird also einfach von ihm betrachtet wie ein Gedankeninhalt entsprechend der logischen Regel des Denkens. Es ist ein reines „Denkliches“.92 92 Ein „Denkliches“ dessen Wert von objektiver Wirklichkeit uns in der Erfahrung „gegeben“ sein muss. Ohne „Possibile“ kein „Denkbares“ aber jedes „Denkbare“ (das heißt jedes kohärente Gebäude aus Merkmalen in unserem Verstand) stellt nicht notwendig eine wirkliche und positive „Möglichkeit“ dar. vergleiche Oben Das Wort und die Idee vom „Denklichen“ spielen eine Rolle in der Beweisführung Kants die man vielleicht nicht genug unterstrichen hat. Nicht nur wird das „Denkliche“ oft das „Mögliche“ ersetzen sondern es scheint, dass in der Ordnung der Beweisführung, das „Denkliche“ den letzten Ring bildet, die notwendige Befestigung der ganzen Kette. Betrachten wir einige Texte. 40 Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis 37 [Rückübersetzung aus dem Französischen] „Wenn ich einen Augenblick nachdenken will über den Grund warum das, was sich selbst widerspricht, das absolute Nichts und das Unmögliche ist, bemerke ich dies: dass beim Zerstören des Widerspruchsprinzips, der letzten logischen Grundlage alles Denkbaren (– von jedem objektiven Gedanken) man alle Möglichkeit verschwinden lässt, und dass nichts mehr zu denken bleibt. Ich schließe unmittelbar von dort her, dass wenn ich im Allgemeinen jede Existenz verneine, dass dann auch verschwände so die letzte reelle Grundlage von allem Denkbaren (– von jedem objektiven Gedanken, im gleichen Augenblick alle Möglichkeit verschwindet und nichts zu denken bleibt. Auch kann etwas absolut notwendig sein (unter einem doppelten Titel), entweder dass seine Negation das gemeinsame formale Element jedes Denkbaren (– jedes Objekts des Denkens als solchem) unterdrückt.., oder seine Negation unterdrückt das materiale Element, das notwendig ist für jedes Denkbare und entfernt alle Daten aus dem Denken.“ 93 93 (original Kant) Wenn ich nun einen Augenblick nachdenke, weswegen dasjenige, was sich widerspricht, schlechterdings nichts und unmöglich sei, so bemerke ich, dass, weil dadurch der Satz des Widerspruchs, der letzte logische Grund alles Denkens aufgehoben wird, alle Möglichkeit verschwinde und nichts dabei mehr zu denken sei. Ich nehme daraus alsbald ab, dass , wenn ich alles Dasein überhaupt aufhebe und hierdurch der letzte Realgrund alles Denkens wegfällt, gleichfalls alle Möglichkeit verschwindet und nichts mehr zu denken bleibt. Demnach kann etwas schlechterdings notwendig sein entweder wenn durch sein Gegenteil das Formale alles Denklichen aufgehoben wird, das ist, wenn es sich selbst widerspricht oder auch, wenn sein Nicht-Sein das Materiale zu allem Denken und alle Data dazu aufhebt. Beweisgrund, AB. p.82. Wiederholen wir das in zwei Worten: Jeder Satz ist unsinnig, der entweder die logische Form, oder den notwendigen Inhalt des objektiven Gedankens verneint. Von da ausgehend zeichnet sich die Bedeutung des „Beweises aus den Possibilien“ ab und hellt sich auf. Um zusammenzufassen würden wir sagen, das Argument von Kant beruht unstreitig auf der Wahrheit des folgenden Satzes: „es gibt Mögliches.“ Für Leibniz war das wichtig. Zweifellos betrachtete er diesen Satz als evident aus sich selbst. Kant nähert sich dem mit Nachdruck von einem anderen Satz her: „Es gibt das Denken.“ Und man würde mit Recht annehmen, dass in seinem Geist der zweite Satz dem ersten als Stütze dient: „Die innerliche Möglichkeit oder die Wesen der Dinge – schreibt er beim Formulieren der Schlüsse aus seinem Traktat – sind gerade das, dessen Unterdrückung das ganze Denkbare auslöschen würde. „Die innere Möglichkeit, die Wesen der Dinge, sind nun 41 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik dasjenige, dessen Aufhebung, alles Denkliche vertilgt.“ 94 94 38 op. cit. AB, p.162. Das Denkliche: dies ist die ultima Ratio, der letzte Grund. Sieht man die Tragweite dieser Einführung des Denklichen – „objektiver Gedanke“, „denkbares Objekt“, „Objekt als solches“, „Möglichkeit des objektiven Begriffes“ – in der Perspektive des Arguments aus den „Possibilien“? Die dem Denklichen eigentümliche Notwendigkeit bestimmt die Art der Notwendigkeit des ganzen Beweises. Nun aber stellt das Denkliche gleichzeitig die Tatsache und die Berechtigung dar. Es entkommt der Kontingenz der empirischen Tatsache und hat so Anteil an der apriorischen Notwendigkeit. Aber es erreicht nicht die rein analytische Notwendigkeit. Die Abwesenheit alles Denkens ist nicht ein logischer Widerspruch. Und trotzdem ist die Negation alles Denkens, oder genauer die Negation aller objektiven Haltung des Denkens unmöglich. Warum? Weil die Negation gerade, wie die Aussage oder wie der Zweifel, eine objektive Haltung des Denkens ist. • Zu verneinen, zu zweifeln, zu bestätigen, dies ist, in allen Fällen, „zu urteilen“: • ob die Beziehung des Prädikats zum Subjekt im Urteil entweder Übereinstimmung oder Missverhältnis ist, ist hierbei ohne Bedeutung. • Positiv oder Negativ, es wird in gleicher Weise „absolut gesetzt“, – bezogen auf eine objektive Norm, entsprechend einer transzendentalen Beziehung (Beziehung von „logischer Wahrheit“ sagten die Scholastiker) – wo der Gedanke sich setzt implizit („exercite“) indem er sich das Objekt vorsetzt. In der Negation alles objektiven Denkens würde es also gleichzeitig implizite „Setzung“ und explizite „Unterschlagung“ von diesem gleichen Gedachten geben: Widerspruch zwischen dem „Gelebten“ und dem „Ausgedrückten“, und nicht nur rein logischer Widerspruch, (contradictio in terminis). Widerspruch übrigens, der auf die Form eines logischen Widerspruchs zurückgebracht werden kann durch eine Handlung der Re- 42 Kap. 4 Zweite Etappe: Philosophia experimentalis flexion, die das „Gelebte“ erklärt und es an den Tag bringt, und zwar jetzt auf der gleichen Ebene den Konflikt der Setzung und der Negation. Die Argumentationsweise, die wir gerade behandeln, ist nach Kant weder eine Induktion noch eine analytische Deduktion. Sie gehört dem – dazwischenliegenden – Typ der „transzendentalen“ Beweisführung an, • die, ohne in der Epistemologie der Alten total abwesend gewesen zu sein95 , 95 Siehe Heft I, pp. 28-29, 54. • in der kritische Philosophie eine große Entwicklung durchmachen wird. • Sie wird hier nur skizziert; wir werden sie im Weiteren noch mehr aus der Nähe studieren. Wir möchten dennoch gern das Folgende aus dem Buch IV dieses Hefts voraus nehmen und noch sehr kurz zeigen, in welchem Sinn das Argument aus den „Possibilien“, so wie wir es erklärt haben, eine normale Etappe in der Entwicklung des kantschen Denkens darstellt. Der „objektive Gedanke“ („in actu primo“, das heißt die nächste Möglichkeit (potentia proxima im Gegensatz zur entfernten Möglichkeit) eines Objekts im Denken) ist notwendig. Nun aber wäre er radikal unmöglich, nicht nur, wenn es keine logische Norm des Denkens gäbe, sondern genau so, wenn es keinen „Inhalt“ gäbe (kein „Reales“ sagt Kant) für das Denken. Damit ein objektiver Gedanke möglich sei, braucht es also etwas, das sich entgegenstellt als Reelles oder rein Logisches. Dieser (ersten) fundamentalen Forderung gegenüber hat Kant sich unseres Wissens nie geändert. 39 Welches ist das so geforderte Reale? In diesem zweiten Punkt hat sich die Doktrin von Kant entwickelt. In der Zeit vom Beweisgrund und bis zum endgültigen Beginn der kritischen Periode gibt Kant noch zu, dass der objektive Inhalt des Gedankens, obgleich von der Erfahrung stammend, begründet würde, nicht nur durch Phänomene, sondern durch Elemente, die in sich selbst die Gültigkeit von Intelligiblen haben. Solcher Art sind die allgemeinen Begriffe einer Metaphysik der Natur. Setzt man für das Reale eine positive intelligible Gültigkeit voraus, begründet er sie, vernünftigerweise mit einem höchsten Seienden, das in gleicher Weise versehen ist mit positiven Attributen. Erst später wird er glauben, die grundlegende Relativität allen materiellen Inhalts unserer Erkenntnis zu entdecken. Das Reale, das von unserem objektiven Denken postuliert wird, 43 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik könnte dann nur noch eine Ansammlung von phänomenalen Bestimmungen sein. Und der Beweis eines notwendigen Seins , das positiv intelligibel ist, wird damit sein erstes Fundament verlieren. Es wird aber nichtsdestoweniger etwas davon übrig bleiben, was jedoch nicht mehr ein „Beweis Gottes ist“: Die phänomenale Realität . wesentlich relativ und nur denkbar als ein logisches Komplement eines Absoluten, einer Realität an sich. Die Phänomene postulieren kommt gleich dem das „Ding an sich“ mit gleichem Recht Postulieren. Wir werden weiter unten sehen, dass nach der Kritik das Ding an sich durch uns nicht bestimmbar ist entsprechend seiner ihm eigentümlichen Realität. Für unseren nicht intuitiven Verstand ist es nur zugänglich als rationales Fundament der Phänomene. Es nimmt in der Kritik eine der durch den Beweisgrund dem notwendigen Sein zugeschriebenen Funktionen an, definiert als das Fundament des ganzen „Inhalts“ der „Possibilien“: Es ist gleichwohl nicht das Äquivalent dieses Seins. Wir müssen später auf den kantschen Begriff des „Dings an sich“ zurückkommen. Wenn unsere Interpretation exakt ist, gibt der Kant der Kritik in keiner Weise den rationalen Rahmen auf, der durch den Kant des Beweisgrunds aufgestellt wurde. Aber er kommt dahin, die Natur des „Reale der Möglichkeit“ oder der „Data des Denklichen“ in einem engeren phänomenalen Sinn zu konzipieren. Er erschüttert so selbst die Gültigkeit seines Arguments aus den „Possibilien“, als Beweis der Existenz eines „vollendeten und souverän wirklichen Seins“. Dieser Beweis hatte also keinen Ort mehr, wo er dargestellt werden könnte. Es bleiben davon kaum einige Bruchstücke in den Passagen der Kritik der reinen Vernunft die sich beziehen auf „das transzendentale Ideal.“ Zusammenfassend lässt die zweite Etappe der vorkritischen Philosophie Kants, obwohl sie ihn immer mehr vom integralen Wolffianismus abkoppelt, zwei Kernprobleme unvollständig gelöst: 1. die genaue Beziehung des Phänomens und des Intelligiblen in der objektiven Erkenntnis. 2. die Möglichkeitsbedingungen des Objekts im Denken. Nur die vollständige Lösung dieser zwei Probleme könnte eine definitive Antwort auf die zentrale Frage geben, die das Hauptinteresse von Kant beherrscht: 44 Kap. 5. Dritte Etappe: Entdeckung der Idealität von Raum und Zeit der Wert der Metaphysik. KAPITEL 5. Dritte Etappe: Entdeckung der Idealität DES RAUMES UND DER ZEIT (1768-1770.) 40 Diese Phase der philosophischen Entwicklung Kants interessiert vor allem das Problem von den Beziehungen zwischen der Sinneswahrnehmung und dem Intelligiblen, während die vierte und letzte Phase viel direkter das Problem des Objektes als solchem entwickeln wird. Man ahnt, dass die Begriffe von Raum und Zeit, bis dahin leidlich ungewisse gemeinsame Grenze der zwei großen Zonen der Erkenntnis, aufgeklärt werden müssen, um eine klare Begrenzung zwischen ihnen zu erlauben. §1. – Über die „Identität der Ununterscheidbaren“ Schon seit 1755 hatte Kant die leibnitzsche Theorie des intelligiblen Raumes aufgegeben und sich dem newtonschen metaphysischen Konzept des absoluten Raumes angeschlossen (vergleiche oben p. 15). Im gleichen Jahr nimmt er eine Haltung ein, die noch weiter trägt, denn sie enthält virtuell die gesamte Preisgabe der Rationalität des Raumes: Wir wollen von seiner Widerlegung des leibnitzschen Prinzips von den „Ununterscheidbaren“ sprechen. Gegen die Ontologisten stellt Kant fest, dass zwei Formen, die ganz ähnlich scheinen („ununterscheidbar“ sind), nicht notwendig identisch sind. Sie können „verschieden“ bleiben nur durch den Unterschied des Ortes.96 96 Principiorum... Nova dilucidatio. 1755. Prop. XI,2. AB, p. 409-410. Es ist überflüssig, die Gleichwertigkeit dieser kantschen These und der thomistischen These vom „Prinzip der Individuation“ der materiellen Formen zu unterstreichen, dem ersten Grund des Unterschiedes der Gegenden im Raume. 1768. AB. pp. 377-383. 41 Nun aber entkommt ein Prinzip der Unterscheidung zwischen Substanzen, das völlig andersartig ist als deren jeweiligen Definitionen der Ordnung unserer rationalen Begriffe, ist also kein „Intelligibile.“ Schon seit 1755 müsste Kant wirklich nur noch daraus ausdrücklich diese Konsequenz ziehen. §2. Die Apriorität des Raumes. Das kleine Werk von 1768, „Von dem ersten Grund des Unterschiedes der Gegenden (des Orts der Körper) im Raume“ 97 , 45 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 97 Von dem ersten Grund des Unterschiedes der Gegenden im Raume, 1768, AB pp 377-383. so wichtig es auch ist als Anzeichen der Arbeit, die im Geist von Kant vor sich geht, markiert weniger eine Bereicherung der Lehrinhalte als das lebhaftere Bewusstsein der Notwendigkeit, dies schon geahnt wird, die leibnitzsche Idee des Raumes radikal aufzugeben. Es verrät gleichzeitig die Vorahnung, welche theoretischen Schwierigkeiten diese Preisgabe aufheben wird. Die Metaphysiker (der newtonschen Schule) haben sich viel Mühe gemacht, schreibt Kant, um apriori die Existenz eines absoluten Raumes als Vorbedingung der örtlichen Beziehungen zwischen den Körpern zu zeigen. Könnte man nicht versuchen, die gleiche Demonstration aposteriori zu machen? Euler hat in seinen „Reflexionen über die Zeit und den Raum“ (1748) dieses Thema berührt; aber er hatte sich darauf beschränkt, die Schwierigkeit aufzuzeigen, die man haben würde, die Gesetze der Bewegung in der Mechanik zu interpretieren gemäß der leibnitzschen Theorie des Raumes. Er aber, Kant, will darüber hinaus zeigen, dass diese Theorie absolut unannehmbar ist, selbst für den reinen „Geometer“.98 98 1op. cit. p.378. Seine Demonstration beruht auf einer Reihe von Feststellungen aus der Erfahrung hin, von denen die frappierendste auffallendste die von den „nichtdeckungsgleichen“ symmetrischen Figuren in drei Dimensionen ist. Diese Figuren, sagt er, „können völlig gleich und gleichartig sein, und sich trotzdem untereinander unterscheiden, so dass die Konturen der einen sich nicht mit den Konturen der anderen überdecken lassen“.99 99 op. cit. p.381. Im menschlichen Körper liefern die Paare der Glieder dafür ein gutes Beispiel. Zwischen der linken Hand und der rechten Hand, die man von streng gleicher Dimensionen annehmen kann, gibt es keinen definierbaren Unterschied für einen, der sie jede für sich isoliert in sich selbst betrachtet und sozusagen von innen her. Auf beiden Seiten ist die Proportion und die relative Lage der Teile identisch. Die Nicht-Kongruenz erscheint nur, wenn man die beiden Hände bezieht auf den Raum, der sie einhüllt, genauer auf die äußere Oberfläche, die ihre Gussform bildet. Diese zwei Oberflächen, oder diese zwei Guss-Formen der räumlicher Stellung, können nicht dazu gebracht werden, zusammenzufallen.100 . 100 42 op. cit. p.382. Wenn man annimmt, dass das erste geschaffene Objekt eine menschliche Hand war, musste sie notwendig schon vom ersten Augenblick an entweder eine rechte 46 Kap. 5. Dritte Etappe: Entdeckung der Idealität von Raum und Zeit Hand oder eine linke Hand sein. Und trotzdem ist die rein intelligible Definition der zwei Hände (nach der leibnitzschen Formel, die die Ausdehnung der ontologischen Anordnung der Teile unterordnet) die Gleiche.101 101 op. cit. p. 382-383. Kant schließt daraus. und dies ist es, als sein Argument [Rückübersetzung] „dass die Bestimmungen des Raumes nicht aus der relativen Lage der Teile der Materie stammen, sondern umgekehrt, dass diese relativen Lagen abhängen von den Bestimmungen des Raumes. Und dass also in der Bildung der Körper sich Differenzen treffen, wir verstehen darunter reale Differenzen, die sich nur beziehen können auf einen absoluten und ursprünglichen Raum.“ 102 102 op. cit. p.383. was für uns wichtig ist, selbst mehr [Original Kant] Dass nicht die Bestimmungen des Raumes Folgen von den Lagen der Teile der Materie gegeneinander, sondern diese Folgen von jenen sind, und dass also in der Beschaffenheit der Körper Unterschiede angetroffen werden können, und zwar wahre Unterschiede, die sich lediglich auf den a b s o l u t e n und u r s p r ü n g l i c h e n R a u m beziehen.103 103 op. cit. p.383. Wie versteht man dies? Der absolute Raum der Mathematiker ist eine apriori notwendige Bedingung unserer Darstellung der Körper: er ist also nicht einfach empirisch und kontingent. Und man kann auch nicht sagen mit Leibniz, dass er ein rein abstrakter Begriff wäre, von der vorausgehenden Definition der Dinge abhängend. Aber wird es möglich sein „intelligibel“ (Verstandes-mäßig) auszudrücken mittels „Ideen der Vernunft“ die Realität eines Begriffes der, weit davon entfernt ist abstrakt zu sein wie die anderen Begriffe, konkret und intuitiv präsent ist für unseren inneren Sinn?104 104 op. cit. p.383. Kant weiß noch nicht genug, wie man im Raumbegriff den apriorischen Charakter (der ihn zum reinen Verstand zurückzubringen scheint), mit dem Charakter des offensichtlich Intuitiven und Einzelnen (der ihn vielmehr wieder anbindet an Sinnes-Fakultäten) versöhnen könnte. §3. . Die „große Erleuchtung“ von 1769. Das Jahr 1769 brachte Kant, seiner eigenen Erklärung zufolge, eine „Große Erleuchtung.“ 105 105 Benno Erdmann. Reflexionen Kants. Band II. n0 4, p.4. 47 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 43 Wir werden davon den unmittelbaren Reflex im lateinischen Aufsatz von 1770 finden, wo endlich die Scheidung zwischen dem Sinnes-Element und dem intelligiblen Element unserer Erkenntnisse klar markiert ist, dank einer Definition der Natur unserer Vorstellungen von Raum und Zeit. Aber vorher möchte man noch wissen, welcher Gedankengang Kant von den in dem kleinen Werk von 1768 erworbenen Einstellungen zu denen führte, welchen sich die Dissertation von 1770 widmet. Wenn die direkten Zeugenaussagen hier fehlen, konvergieren hingegen die allgemeinen Anzeichen und die innere Logik der fraglichen Probleme gegen die unlängst verteidigte Hypothese (1885) von B. Erdmann, die seitdem allgemein angenommen wurde, dass nämlich der Geist von Kant seit seiner ersten Emanzipation vom wolffschen Dogmatismus beständig vom Skandal der metaphysischen Antinomien angetrieben wurde.106 106 Siehe die Demonstration von B. Erdmann, in Reflexionen.., II. Einführung, pp. XXXIV sqq. Ohne irgendeinen persönlichen Geschmack für den Skeptizismus, bemühte er sich dennoch für sich Schritt für Schritt der Reihe nach das Für und Wieder zu zeigen, in der Hoffnung, so die Illusionen aufzudecken, wo sich unsere Vernunft verfängt.107 107 op. cit. Refl. n0 4, p.4. Nun aber hat die Antinomie des absoluten Raums der Mathematiker und des abstrakten Raums der Metaphysiker seine Aufmerksamkeit set langem angezogen. Wie ist diese Antinomie zu lösen, fragte er sich in der Einführung zur Monadologia physica (1756), „da es leichter scheinen muss Greif und Pferd zu paaren als transzendentale Philosophie und Geometrie miteinander zu versöhnen? Die Metaphysik verneint in der Tat absolut die unabsehbare Teilbarkeit des Raumes. Die Geometrie behauptet diese Teilbarkeit mit der gleichen Gewissheit wie sie ihre anderen Sätze aussagt.... etc.“ 108 108 Monadologia physica. AB. p.475. Wenn man hinzufügt, dass die Korrespondenz von Leibniz und Clarke, wo sich die zwei Konzepte des Raumes gegenüberstehen, von Kant gekannt wurde (die Ausgabe von Dutens datiert von 1768) und dass das Hauptinteresse an dieser Antinomie durchdringt im ganzen kleinen Werk von 1768, (Grund des Unterschiedes... im Raume), vor allem vielleicht in der Finale wo, nachdem er den leibnitzschen Raum verworfen hatte, Kant fühlt, dass die Antinomie wiedergeboren wird selbst im Inneren des metaphysischen Begriffs des absoluten Raumes. Wenn man alle diese Anzeichen sammelt, und wenn man sie schließlich an die 1770 herangebrachte Lösung heranrückt, nämlich 48 Kap. 5. Dritte Etappe: Entdeckung der Idealität von Raum und Zeit an die Widersprüche, die sich ergeben aus „contagium sensitivae cognitionis cum intellectuali = Berührung der Sinneserkenntnis mit der intellektuellen Erkenntnis“ 109 109 44 De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis. §23. AB. p.411. wird man gerne schließen, dass es vor allem die mehr und mehr präzise Wahrnehmung der Antinomie des Raumes ist, die hervorssprudeln lässt die große Erleuchtung von 1769. Diese war nichts anderes als die Entdeckung der Idealität „des Raumes und der Zeit“ mit ihrem Corrolar, der klaren Unterscheidung, die gezogen wird zwischen der Sinneswahrnehmung und dem Verstand. Seltsame Sache, das gleiche Prinzip, das direkt den Weg zu eine agnostischen Kritik bahnen wird, kam im Geist von Kant zur Reifung unter dem Einfluss der nouveaux Essais = der Neuen Versuche von Leibniz (veröffentlicht durch Raspe 1765). Die Dissertatio von 1770, von der wir sprechen werden, scheint auf den ersten Blick eine Rückkehr zum ontologistischen Rationalismus. Sie hat beinahe überall einen leibnitzschen Klang. Im Grund jedoch markiert sie einen Fortschritt sogar in die Richtung der regulären Entwicklung von Kant auf die streng kritische Einstellung zu. . §4. . Die Dissertation von 1770. „Das, was den Gesetzen der Intelligenz und der Vernunft widerspricht, bemerkt Kant schon vom Anfang seiner Dissertation an, ist sicher absolut unmöglich;... das gilt nicht in gleicher Weise von dem, was nur den Bedingungen der intuitiven Erkenntnis widerspricht“ (das heißt, beim Menschen der sinnlichen Erkenntnis).110 110 De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis. 1770. §1. AB, p.389. Dieser letzte Widerspruch ist in der Tat nur „subjektiv“. Er kann dennoch „einen objektiven Widerspruch simulieren“ und die Unvorsichtigen zum Irrtum verleiten, die den Bereich der Wesenheiten oder der Realität an sich messen mit unserem in den Grenzen engeren unvollkommenen Verstand.111 111 lbid. Diese Unterscheidung zwischen dem Vorstellbaren (mit den Sinnen) und dem Intelligiblen bringt zwei Konsequenzen mit sich, von denen die eine den leibnitzschen Ontologismus zu bestätigen scheint, der andere jedoch diesen an der Basis untergräbt. Wenn das Intelligible nicht in den Grenzen des Vorstellbaren (Sinnenhaften) eingeschlossen ist, ist eine transzendente Metaphysik möglich. Hingegen 49 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik wenn das (in den Sinnen) Nicht-Vorstellbare nicht notwendig das NichtIntelligible ist, gibt es in unserem Geist Quellen der Unmöglichkeit, das heißt Unmöglichkeiten apriori, die abhängen von der subjektiven Bedingung unserer Sensibilität und nicht von der objektiven Bedingung unserer Vernunft. Nun aber ist die „Unmöglichkeit apriori“ nur der umgekehrte Ausdruck einer „Notwendigkeit apriori“. Daraus schließen wir: Wenn das Vorstellbare und das Intelligible keine konvertierbaren Begriffe sind, muss man eine „Notwendigkeit apriori“ bei der Sinneserkenntnis zugeben und infolgedessen eine „Wissenschaft vom Sinnenhaften“: „sensualium itaque datur scientia.“ 112 112 45 op. cit. §12. p.398. Für die kartesianische Schule dagegen und insbesondere für Leibniz gab es nur eine Wissenschaft vom Intelligiblen. Aber das Sinnenhafte lässt sich zurückführen auf das Intelligible wie das „Konfuse“ auf das „Bestimmte“. Nun aber löst die Möglichkeit einer „Wissenschaft vom Sinnenhaften“ in Prinzip die Antinomie des Raumes, der gleichzeitig apriori sein muss und konkret, intuitiv und notwendig. Man wird sagen, dass der Raum alle Charakteristiken eines „Apriori der Sinneswahrnehmung“ oder eines „intuitus originarius = Uranschauung“ in sich vereinigt.113 113 Ibid. Und genau so verhält es sich mit der Zeit. Kant erklärt bis ins Detail die apriorische Funktion des „Begriffs vom Raum“ in der Sinnes-Erkenntnis. „Sinnenhaftigkeit“ sagt „Aufnahmefähigkeit“ eines erkennenden Subjekts einem anwesenden Objekt gegenüber, das es bestimmt.114 114 op. cit. §3. p.392. und nicht konfuses Stadium einer intellektuellen Erkenntnis, wie es Wolff will.115 115 op. cit. §7. p.394. Die sinnliche Vorstellung, abhängig von der Qualität des rezeptiven Subjekts, gibt uns also die Objekte, „nicht wie sie in sich sind“ sondern „wie sie erscheinen“ (uti apparent).116 116 op. cit. §4. p.392. In der Sinnes-Vorstellung spielt die reine passive Sinneswahrnehmung die Rolle einer „Materie“, und erscheint immer mit anderen einfachen Sinnesempfindungen koordiniert unter allgemeinen Formen – Raum und Zeit – die gerade die Gesetze unserer rezeptiven Subjektivität ausdrücken.117 117 50 op. cit. §4. p.393. Kap. 5. Dritte Etappe: Entdeckung der Idealität von Raum und Zeit 46 Wir sagen gut: gerade die Gesetze des rezeptiven Subjekts, mit anderen Worten, der formartigen Bestimmungen apriori der sinnlichen Vorstellung. In der Tat, die folgenden Sätze, bezogen auf Zeit und Raum, lassen sich nach Kant streng beweisen: 1. Der Raumbegriff ist nicht von den äußerlichen Wahrnehmungen abstrahiert, sondern diesen vorausgesetzt als ihre Möglichkeitsbedingung, (§15 A) 2. Der Raumbegriff ist eine einzelne Vorstellung, der in sich einschließt die sinnenhaften Objekte, und nicht einen allgemeinen Begriff, der identisch bleibend herabsteigt zum Niedrigeren. (§15. B) 3. Der Raumbegriff ist also eine reine Intuition: Intuition weil er kein diskursiver, abstrahierter Begriff ist. Reine Intuition, weil er nicht aus Sinnes-Empfindungen komponiert ist, sondern die notwendige vorgegebene Form, (apriori) darstellt der äußeren Sinnes-Empfindungen. Dies ist die reine Intuition des Raumes, die das Objekt der Geometrie liefert. (§15. C) 4. Der Raum ist nicht etwas Objektives und Wirkliches (Substanz, Akzidens oder Relation) sondern etwas Subjektives und Ideales, das heißt, eine Art von Koordinatorschema unserer äußeren Sinnes-Empfindungen, das abgeleitet ist nach einem stabilen Gesetz aus der Natur unseres Geistes selbst. (§15 D) 5. Obwohl der Raumbegriff, bezogen auf die „Wirklichkeit an sich“ rein imaginär genannt werden müsste, ist er dennoch bezogen auf die Sinnes„Phänomene“ nicht nur ganz wahr (verissimus), sondern die Grundlage der Wahrheit der äußeren Sinne. Er übersetzt in der Tat genau das Gesetz der Erscheinung; oder, wenn man will, die Geometrie drückt wirklich das natürliche Gesetz der Dinge aus gerade dafür, dass diese unsere Sinne beeinflussen. Der Raum ist also das „formale Prinzip der sinnenhaften Welt“ insofern sie sinnenhaft ist. (§15. E) Die gleichen Schlüsse lassen sich auf die Zeit anwenden, außer dass dieser letzte „Begriff“ die räumlichen Bestimmungen als sie selbst beherrscht (befiehlt) und das für jedes Objekt des inneren Sinnes. Darüber hinaus durch eine (sehr) ausreichend vage Vorwegnahme der zukünftigen Theorie vom „Schematismus“ zeigt Kant die Nähe der Form der Zeit zum Verstand an und die privilegierte Rolle, die sie im Akt des Intellekt übernimmt.118 118 loc. cit. Corollarium. pp. 405-406. Das „Prinzip der Idealität vom Raum und Zeit“ wird fortan für die kritische Philosophie gesichert sein. Es bedeutet, dass der Raum und die Zeit, weit davon entfernt eine ontologische Bedingung der Objekte auszudrücken, in unserer Erkenntnis nichts anderes sind, als die allgemeinen und notwendigen Bedingungen der Sinneswahrnehmung, die apriorischen Gesetze des Phänomens. 51 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 47 Sie entkommen also allen Schwierigkeiten, die auf dem Gebiet der „Wirklichkeit an sich“ einige ihrer Eigenschaften, wie die indefinite Teilbarkeit und Ausdehnung aufwerfen würden. (Siehe weiter unten: „Die kantsche Auflösung der Antinomien“) Der Autor der Dissertation 1770, hat im gleichen Moment, wo er den Graben, der seine Philosophie von der leibnitzschen Metaphysik trennte, so erweiterte, dass er unüberschreitbar wurde, scheint auf der anderen Seite daran zu arbeiten, ihn aufzufüllen, indem er anerkennt über der erweiterten Zone der Phänomene die gereinigte Zone, die jetzt heller als je ist, der wahren „Intelligiblen“ der Noumena. Ist das eine offensive Rückkehr „der metaphysischen Illusion“? Nein! Wir sagen vielmehr: Aufflammen eines Denkens, das durch und durch ontologisch geblieben ist und nun plötzlich von den räumlichen oder zeitlichen Behinderungen befreit ist, die ihn hinderten, sich aufzurichten und zu sich zu kommen. Dass die Nouveaux Essais etwas in dieser Reaktion bewirkten, die kaum anhielt, geben wir gern zu. Sie hätte sich im Übrigen auch ohne sie ereignen gekonnt. Sehen wir, worin den abrupten Durchbruch des kantschen Gedankens bestand auf eine transzendente Metaphysik zu. Die Zeit und der Raum gehören nach Kant der „phänomenalen Ordnung an“ in ihrer Qualität als nebeneinander anordnenden, notwendigen und universellen Formen der Sinneswahrnehmungen. Aber die so strukturierte Erscheinung in Vielfachheit ist eigentlich noch nicht die Erfahrung. Diese letztere setzt noch dazu einen „logischen oder analytischen Gebrauch“ des Verstandes voraus, der das normative Prinzip vom Widerspruch auf die Erscheinung anwendet.119 119 op. cit. §5. p.394. vergleiche oben unser Kap. 4, §2, c, pp 32, 36, 38 Die „reflektierte = überlegte“ Anwendung des analytischen Verstandes auf die Erscheinung liefert die allgemeinen Begriffe, die man „empirische Begriffe“ nennt und die „phänomenalen Gesetze“.120 120 Ibid. Die allgemeinen empirischen Begriffe, so weit man auch ihre Universalität ausweiten mag, werden nie wahre intellektuelle Begriffe hinsichtlich des Inhaltes (= hinsichtlich des „Realen“ im Gegensatz zu ihrer logischen, analytisch verarbeiteten Form): 52 Kap. 5. Dritte Etappe: Entdeckung der Idealität von Raum und Zeit „Conceptus itaque empirici per reductionem ad majorem universalitaten non fiunt intellectuales in sensu reali et non excedunt speciem cognitionis sensitivae, sed, quousque abstrahendo adscendant, sensitivi manent in indefinitum.“ 121 121 Ibid. „Deshalb werden empirische Begriffe im realen Sinn nie intellektuelle Begriffe durch Erweiterung auf größere Universalität und überschreiten nie die Art der sinnlichen Erkenntnis, sondern wieweit sie auch immer in der Abstraktion gehen bleiben sie immer (in indefinitum) sinnesartig“.121 121 Ibid. Ein „phänomenales Objekt“ verlangt also in den Augen von Kant, um gebührend begründet zu sein, nur eine sinnenhafte Materie, geordnet in der Zeit und im Raum, und unterworfen der analytischen Regel des Verstandes. Aber welche Bedingungen verlangt die Bildung eines „intelligiblen“ Objektes? Zuerst evidenter Weise, die gleiche analytische (logische) Regel des Verstandes. Der logische Gebrauch unserer Intelligenz „erstreckt sich ausnahmslos auf jede Wissenschaft“, auf die Wissenschaft vom Intelligiblen wie auf die Wissenschaft vom Sinnenhaften.122 122 Ibid. Die zweite Bedingung, nämlich dass unsere Intelligenz oder ihre „logische Anwendung“ insofern sie Intelligenz ist, eine „reale Verwendung“ hat, das heißt, dass sie einen eigentlich intellektuellen Inhalt besitzt. 123 123 op. cit. §6. p.394. 48 Geht das so? Ja, glaubt Kant bestätigen zu können. Wir stellen das in den grundlegenden Begriffen der „ersten Philosophie“ oder der Metaphysik fest, und in den moralischen Begriffen.124 124 op. cit. §8. und cf. §7, p.395. In der Tat, Begriffe, wie die Möglichkeit, die Existenz, die Notwendigkeit, die Substanz, die Ursache etc., die in sich selbst kein sinnliches Element enthalten und auch nicht Teil irgendeiner sinnlichen Vorstellung ausmachen, können nicht von unseren Erfahrungsbegriffen entnommen werden. Sie stellen also nur einen reinen intellektuellen Inhalt dar.125 125 Ibid. Cf. §6. p.394. Diese fundamentalen Begriffe der Metaphysik werden oft unter die „abstrakten Begriffe“ gerechnet. Kant missbilligt diese Terminologie. Denn, offen gestanden, der reine „intellektuelle Begriff“, wenn man das Sinnenhafte abstrahiert (das heißt es davon total abtrennt), ist nicht abstrahiert aus 53 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik dem Sinnenhaften (das heißt ist nicht entnommen vom Sinnenhaften). Dieser ist viel mehr ein abstrahierender oder abstractiver (abstrahens) Begriff als ein abstrakter Begriff (abstratctus). Um alle Zweideutigkeit zu vermeiden, bevorzugt Kant, die streng intellektuellen Begriffe als reine Ideen zu bezeichnen.126 126 op. cit. §6. p. 394 ; Wenn die reinen Ideen nicht aus der Sinnes-Erfahrung abstrahiert sind, wären solche also „angeboren“ (conceptus connati)?127 127 op. cit. §8. p.394. Nein! Der Inneismus ist eine „Philosophie von Faulenzern“.128 128 op. cit. §15. Corollarium, p.406. philosophia pigrorum Sie sind „erworben“, in dem Sinn, dass sie die allgemeinen Gesetze einer Tätigkeit ausdrücken, die unser Verstand nur bei Gelegenheit der Erfahrung ausübt.129 129 op. cit. §8. p.395. Welchen logischen Wert haben, von daher gesehen, diese „reinen Ideen“? Sie stellen die absolute Einstellung der Intelligenz dar und zwar gerade bezüglich der Objekte, die der Sinn nur als bezogen auf etwas wahrnimmt. Sie stellen also ontologische Bestimmungen dar, mit denen die phänomenalen Objekte bereichert werden.130 130 Es ist zu bemerken, wie für Kant der Gebrauch der Vernunft, sobald sie einen intelligiblen „Inhalt“ besitzt, ontologisch ist. Der Autor der Kritik wird diese Einstellung nie aufgeben. 49 Und unter diesem Titel haben sie eine doppelte Verwendung: Eine negative und kritische Verwendung, in dem Maße wo, ohne unsere Wissenschaft über den Bereich der Erfahrungsobjekte hinaus auszuweiten, sie uns hindert, dort das Sinnenhafte mit dem Intelligiblen zu vermischen und schützen uns vor den Irrtümern, die diese Konfusion hervorbringt – eine dogmatische Verwendung, durch die Tatsache , dass die „reinen Ideen“, Objekt der Ontologie und der rationalen Psychologie, • sich notwendigerweise einordnen unter dem obersten Typ einer „noumenalen Vollkommenheit“, eines „Maximums an Vollkommenheit“, was für die „theoretische“ Vernunft Gott ist, und für die „praktische“ Vernunft das moralische Gut.131 131 54 op. cit. §9. p. 395-396. Kap. 5. Dritte Etappe: Entdeckung der Idealität von Raum und Zeit • In der spekulativen Ordnung, der einzigen, mit der Kant sich hier beschäftigt, wird man also sagen, dass Gott, weil er als Ideal das intelligible Prinzip (principium cognoscendi) jeder Vollkommenheit ist, er auch als Existenz dessen bewirkendes Prinzip (principium fiendï) ist.132 132 Ibid. p.396. Kants Text: Intellectualium duplex potissimum finis est: prior elencticus, per quem negative prosunt, quando nempe sensitive concepta arcent a noumenis, et, quamquam scientiam non provehant latum unguem, tamen eandem ab errorum contagio immunem praestant. Posterior est dogmaticus, secundum quem principia generalia intellectus puri, qualia exhibet ontologia, aut psychologia rationalis, exeunt in exemplar aliquod, nonnisi intellectu puro concipiendum et omnium aliorum quoad realitates mensuram communem, quod est Perfectio Noumenon. Haec autem est vel in sensu theoretico133 133 Theoretice aliquid spectamus, quatenus non attendimus nisi ad ea, quae enti competunt, practice autem, si ea, quae ipsi per libertatem inesse debebant dispicimus vel practice talis. In priori est ens summum, Deus, in posteriori sensu Perfectio moralis ... Deus autem, cum ut ideale perfectionis sitprincipium cognoscendi, ut realiter existens simul estomnis omnino perfectionis principium fiendi. Offensichtlich bleibt Gott in den Augen von Kant immer „der Archetyp“ und das „Prinzip“ aller „Possibilien“ 134 , 134 vergleiche besonders §9 und 10. obgleich die Dissertation die Existenz Gottes eher voraussetzt als dass sie diese förmlich beweist. Man könnte dennoch eine Art Beweis der göttlichen Existenz entwickeln (freilegen) gerade aus der Verkettung der Entwicklungen, von denen die Section IV „De principio formae mundi intelligibilis = Vom Ursprung der Form der intelligiblen Welt“ überströmt. Diese Beweisführung würde im Wesentlichen auf Folgendes hinauslaufen: Die Form der Welt der Sinne, das heißt die räumliche und zeitlich Anund Zuordnung (Koordination), die vom Rang von Phänomenen ist, ist nur verständlich als „Erscheinung“ einer weltweiten, realen, intelligiblen Einheit, die die „Substanzen“ untereinander verbindet, die wir hinter den Phänomenen wiedererkennen.135 135 op. cit. §16. p. 406-407. Nun aber kann diese intelligible Einheit der Welt nicht resultieren aus der einfachen Koexistenz der Substanzen. Die Wechselwirkung der Substanzen muss sich gründen auf einem Band von Abhängigkeit oder wechselseitiger Kausalität.136 . 55 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 136 op. cit. §17 und 18. p. 407-408. Aber alle kausale Abhängigkeit wäre unmöglich zwischen in gleicher Weise „notwendigen“ Substanzen. Die Substanzen der Welt sind also zwangsläufig „kontingent“, das heißt sind „entia ab alio“ 137 . 137 op. cit. §20. p.408. Cf. §19. Sonst könnten sie nicht untereinander eine reale Gesamtheit bilden. Betrachten wir jetzt das Prinzip, von dem die kontingenten Substanzen abhängen: Dieses Prinzip ist notwendigerweise ein nichtkontingentes und außerweltliches Sein138 . 138 op. cit. §19. p.408. Und es kann nur ein Einziges sein, nicht nur „Architekt“ des Universums sondern „Schöpfer“. In der Tat die Einheit der An- und Zuordnung (Koordination) der Substanzen in der Welt kann keine andere letzte Grundlage haben, als ihre essentielle Abhängigkeit von diesem notwendigen Sein.139 139 op. cit. §20. p.408. 50 Und wenn dieses nicht ein Einziges wäre, dann wäre die Einheit der Welt gebrochen. Es würde nicht eine Welt geben, sondern genauso viele Welten, wie es notwendige Seine und Schöpfer gäbe.140 140 op. cit. §21. p.408. Si plures forent causae primae ac necessariae cum suis causatis eorum opificia essent mundi, non mundus, quia nullo modo connecterentur ad idem totum; et vice versa si sint plures mundi extra se actuales, dantur plures causae primae ac necessariae, ita tamen ut nec mundus unus cum altero, nec causa unius cum mundo causato alterius in ullo sint commercio. Die intelligible Einheit der Welt verlangt also, um möglich zu sein, gerade die Einheit einer ersten außerweltlichen Ursache. Man sieht mühelos, welches der Ansatzpunkt oder die „noumenale“ Voraussetzung der ganzen Beweisführung ist: Das Wissen, dass die phänomenale Einheit der Welt wirklich die intelligible Einheit einer Pluralität von Substanzen ausdrückt. Die „Kritik“ wird dieses ganze mühsame aufgebaute Gerüst niederreißen. Fassen wir in einigen Sätzen die springenden Punkte der philosophischen „Propaedeutik“ zusammen, die Kant im Aufsatz von 1770 zu skizzieren behauptete: 1. Die Objekte sind in unserer Erkenntnis auf zwei Weisen dargestellt: a) phänomenal, nach dem, wie sie uns „erscheinen“; b) intelligibel, nach dem, wie sie „in sich selbst sind“. 56 Kap. 5. Dritte Etappe: Entdeckung der Idealität von Raum und Zeit 51 2. Die phänomenalen Objekte sind uns in den „empirischen Begriffen“ gegeben. Diese, als objektive Darstellungen, folgen aus der Anwendung der logischen Norm der Identität auf die räumlichen und zeitlichen Verbindungen der Sinneswahrnehmungen. 3. Die intelligiblen Objekte sind uns in den „reinen Begriffen“ gegeben. Diese drücken einen dem Verstand eigentümlichen Inhalt unter der logischen Norm der Identität aus. Sie sind dennoch nicht „intellektuelle Intuitionen“ sondern nur allgemeine intelligible Bestimmungen, die wir auf die Individuen nur vermittels der empirischen Begriffe dieser letzteren (der Individuen) zurückbeziehen. 4. Die Vermischung des phänomenalen Objekts und des intelligiblen Objekts erzeugt die Antinomien. Und diese Vermischung stammt immer aus einem Irrtum über die Natur von Raum und Zeit – reine Intuitionen der Sinneswahrnehmung, denen ihre Apriorität und ihre Notwendigkeit die trügerische Erscheinung von reinen Intelligiblen oder von Noumenen verleihen. So lässt also Kant, wenn wir uns nicht irren, 1770 die Möglichkeit eines Objekts in unserer Erkenntnis abhängen von diesen zwei notwendigen und hinreichenden Bedingungen a) Existenz in uns eines Inhalts der Vorstellung b) unter dem logischen Gesetz der Identität. Das Objekt wird phänomenal oder noumenal sein je nach der Natur des Inhalts der Vorstellung: phänomenal wenn der Inhalt passiv empfangen ist durch die rezeptive erkennende Fähigkeit (Sinneswahrnehmung); noumenal wenn dieser Inhalt aktiv hervorgebracht ist durch die nicht-rezeptive erkennende Fähigkeit (Verstand). Kant dringt in diesem Moment noch nicht weit vor beim Problem des Zustandekommens des Objekts als Objekt. Er lässt beinahe mit allen seinen Vorgängern unter den Philosophen zu, dass die Vorstellung innerhalb des Urteils zum „bewussten Objekt“ wird, und konzipiert das Urteil noch nur unter dem analytischen Typ. Er anerkennt in uns genauso viele Klassen von erkannten Objekten, wie er Arten von Vorstellungen feststellt, die dem Gesetz der Identität unterworfen sind. Diese Vorstellungen sind unterschiedslos in seinen Augen entweder räumliche und zeitliche Gruppierungen des sinnlich Gegebenen oder metasensible (=nicht-sinnliche) Einheiten, die die allgemeinen Begriffe der Metaphysik und der Moral ausdrücken. Ebenso wenig wie Hume oder Wolff fragt er sich überhaupt nicht, ob die räumlichen und zeitlichen Gruppierungen sind durch sich allein genügend vollständige Einheiten bilden, oder auf der anderen Seite, ob die allgemeinen Einheiten des Verstandes in sich selbst genügend vollständig bestimmt sind, um isoliert die Funktion von Objekten unter dem Gesetz der Identität auszuüben. Diese Frage, wird übrigens bald in seinem Geist geboren, und die Antwort wird gerade der Boden 57 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik sein für die Kritik der reinen Vernunft. Die Gegenüberstellung vom Sinnes-Objekt und intelligiblem Objekt, wie Kant sie 1770 konzipiert, zeigt bei ihm die beharrliche Anhänglichkeit an ein Prinzip der Epistemologie, dem zu widersprechen wir auch in der Folge nie finden werden. Wir meinen damit das Prinzip vom fundamentalen Realismus der Intelligenz. Nach Kant ist die Intelligenz oder der Verstand von seiner Natur her die Fähigkeit der „ontologischen Realität“, der „Realität an sich“ 141 . 141 Markus Herz, in seinen „Betrachtungen aus der speculativen Weltweisheit“ (1771) eine Art von Paraphrase der Dissertatio von Kant bringt uns, über die objektiven Funktion der Vernunft, ein treues Echo des kantschen Denkens in jenem Moment. Da wir augenblicklich das Werk von Herz nicht verfügbar haben, zitieren wir nach B. Erdmann (Reflexionen. II. p. LII.): „Das Intellectuelle ist das Vermögen, sich solche Dinge vorzustellen, denen ihrer Beschaffenheit wegen durch die Sinne kein Eingang verstattet wird. Die sinnliche Erkenntniss hat... zum Vorwurfe... den veränderten Zustand, welcher durch ihre Eindrücke zuwege gebracht worden ist. Hingegen ist bey den Vernunfterkenntnissen kein Mittel zwischen den äusseren Gegenständen und der Erkenntniss von ihnen, daher sind jene das unmittelbare Object von dieser. Wenn nun jede Erkenntniss, nach demjenigen welches ihr nächster Vorwurf ist, sich richtet, verschieden ist, wenn dieser sich verändert, und unveränderlich ist wenn dieser beständig derselbe bleibt, so wird auch die sinnliche Erkenntniss... in verschiedenen Subjecten verschieden sein müssen... Hingegen da die reine Vernunfterkenntniss sich unmittelbar auf äussere Gegenstände beziehet, so kann sie nur alsdann einer Veränderung unterworfen sein, wenn die äussern Objecte selbst eine verschiedene Gestalt annehmen, oder von einer andern Seite betrachtet werden; so lange diese aber dieselben bleiben, muss auch die Erkenntniss davon in allen Subjecten einerley sein.“ (op. cit. p.27) 52 Alles, was sie einschließt als „Materie“ ihres Vollzugs, bezieht die Intelligenz so wie sie ist unverändert auf die „Wirklichkeit an sich“. Wenn die Intelligenz einen rein intelligiblen Inhalt als Eigentümlichkeit besitzt, der keineswegs relativ ist, hat dieser Inhalt durch die Tatsache selbst, eine absolute objektive Gültigkeit des „Dings an sich“. Zu fragen, ob es eine Metaphysik gibt die „als Wissenschaft gültig“ ist, so heißt das mit anderen Worten zu fragen, ob es in unserem Denken objektive nicht sinnliche (metasensible) Bestimmungen gibt. Nun aber gibt Kant noch 1770 zu, dass die unserem Verstand eigentümlichen Bestimmungen dort durch sich selbst einen objektiven Inhalt darstellen, eine Art von „apriori Gegebenem“. In diesem Fall nimmt „die reale Verwendung“ der Intelligenz in ihrer Ordnung eine volle ontologische Gültigkeit an, was auch immer im Übrigen die äußerliche Abhängigkeit wäre, wo die intellektuelle Fähigkeit sich gegenüber einer parallelen Sensibilität befinden könnte. Auch wenn wir den Verstand ohne eigentlichen objektiven Inhalt annähmen, würde diese Fähigkeit nicht aufhören zu bleiben in den Augen von Kant die „Fähigkeit des ontologischen Objektes“. Aber dann würden sich neue Probleme ergeben, denen wir später begegnen werden.142 142 58 Siehe weiter unten, Buch IV, Kap. 1: „Realität des Dings an sich.“ Kap.6, 4.Etappe: Erfindung des kritischen Problems (gegen 1772) Kant selbst erlebt zuerst nur, in seiner Dissertation von 1770 eine „Große Erleuchtung“, ein neues Licht, das auf die Epistemologie fällt. Geblendet und momentan befriedigt vernachlässigte er einen Rest von Schatten, der sich an die Unterscheidung des Sinnenhaften und des Intelligiblen anheftete und eine noch durchdringendere Kritik forderte. Er glaubte gut begriffen und festgestellt von daher die wesentlichen Prinzipien dieser „Methode der Metaphysik“, womit sich seit mehreren Jahre, seine gewohnheitsmäßigen Hauptinteressen aufgehalten hatten. [original Kant] „Seit etwa einem Jahr [Aus Französischem rückübersetzt]„Seit ungefähr einem Jahr, schreibt bin ich, wie ich mir schmeichle, zu er im September 1770 an Lambert, demienigen Begriffe gekommen, welbin ich zu einer Konzeption gelangt, chen ich nicht besorge iemals ändern ich schmeichele mir damit, von der ich wohl aber erweitern zu dürfen und wonicht voraussehe, sie je modifizieren durch alle Art metaphysischer quaestiozu müssen, sondern nur zu entwickeln. nen nach ganz sicheren und leichten criund nach der es möglich ist, alle Arten terien geprüft und, in wie fern sie auflösvon metaphysischen Fragen sicheren und lich sind oder nicht, mit Gewisheit kan leichten Kriterien zu unterwerfen und mit entschieden werden“.144 144 Gewissheit zu entscheiden in welchem An J. H. Lambert, (2. Sept. 1770) Briefe 1. Edit. cit. p.74. Maße sie für eine Lösung empfänglich sind oder nicht."143 143 An J. H. Lambert, (2. Sept. 1770) Briefe 1. Edit. cit. p.74. Aber in dem Moment wo Kant glaubte dass so seine epistemologische Aufgabe virtuell abgeschlossen sei, beschäftigte er sich schon unbewusst mit einer neuen und letzten Wende seiner vorkritischen Entwicklung. KAPITEL 6. Vierte Etappe: Erfindung des kritischen Problems, (gegen 1772) 53 Bei dieser entscheidende Etappe haben wir den Vorteil, auf die klarste Weise durch die Korrespondenz von Kant unterrichtet zu sein. Es wird uns genügen, zwei oder drei Auszüge aus seinemem Brief an Markus Herz vom 21. Februar 1772 mit einigen Bemerkungen zu versehen.145 145 An Markus Herz (21 febr. 1772). Briefe von und an Kant. 1. Kants Werke. Edit. Cassirer. Band IX. Berlin 1918, pp. 102 sqq. Der Autor der Dissertation sieht sich jetzt abzeichnen mit viel mehr Klarheit vor seinem Geist, das Problem des Objektes oder, wie er sagt, das 59 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 54 Problem der „Beziehung der Vorstellungen zum Objekt“. Die Notwendigkeit, dieses Problem zu lösen, gibt plötzlich seiner langen Suche nach einer kritischen Metaphysik einen neuen Sinn. Seit 1770 war ihm ein Zweifel gekommen: ob die intellektuellen Bestimmungen, die er wie einen objektiven Inhalt des reinen Denkens ansah, nicht nur die funktionale Struktur einer Intelligenz wäre, die gezwungen ist, sich mit äußeren Gegebenheiten zu beschäftigen? Und wenn das so wäre, das heißt, wenn die „reinen Begriffe“, anstatt sich isoliert wie genauso viele „intelligible Daten“ aufzudrängen – was man feststellt, ohne sie zu erklären – im Gegenteil hervorgehen aus der Intelligenz, wie die notwendigen Funktionen der radikalen Einheit des erkennenden Subjekts, obliegt der kritischen Philosophie eine neue Aufgabe. Denn es wird möglich, die systematische Tafel dieser reinen Begriffe aufzustellen – sagen wir es gleich: die Deduktion der Kategorien des reinen Verstandes zu machen. Anstatt beschreibend vorzugehen, wie einst Aristoteles, einstufend durch Nebeneinanderstellen, die allgemeinen Gedankeninhalte, wird es möglich, logisch vorzugehen und apriori die reinen Begriffe als notwendige Gesetze des Denkens abzuleiten. Es wäre gut, beim Lesen der folgenden Auszüge, als Anhaltspunkte diese drei gegenseitig verpflichteten Gesichtspunkte zu nehmen: Problem des Objekts – rein funktioneller Wert der Kategorien: – System der Kategorien. Kant teilt seinem Korrespondenten die Betrachtungen mit, die seinen Geist in dieser Zeit beschäftigt haben, und weiter beschäftigen werden: 60 Kap.6, 4.Etappe: Erfindung des kritischen Problems (gegen 1772) [Rückübersetzung] „Bezüglich der Unterscheidung des Sinnenhaften und des Intelligiblen in der Moral und bezüglich der grundlegenden Sätze, die daraus folgen, war meine Studie schon vorher ziemlich vorgerückt. Hinsichtlich der Prinzipien des Gefühls, des Geschmacks und des Urteils, mit ihren jeweiligen Wirkungen: dem Angenehmen, dem Schönen und dem Guten, hatte ich schon längst eine Skizze entworfen, die nach meinem Ermessen zufriedenstellend war. Danach habe ich vor, ein Werk zu entwerfen, das diesen Titel tragen könnte: Die Grenzen der Sensibilität und der Vernunft. Ich dachte dabei an zwei Teile: der eine theoretisch, der andere praktisch. Der erste Teil würde die zwei folgenden Unterteilungen enthalten: 1.Die Phänomenologie im Allgemeinen. 2.Die Metaphysik; aber nur in Betracht gezogen in ihrer Natur und ihrer Methode. Der zweite Teil würde sich ebenso unterteilen in zwei Abschnitte: 1. Allgemeine Prinzipien des Gefühles, des Geschmacks und der sinnlichen Neigungen. 2. Die ersten Grundlagen der Sittlichkeit. [original Kant] In der Unterscheidung des Sinnlichen vom Intellektualen in der Moral und denen daraus entsspringenden Grundsätzen hatte ich es schon vorher ziemlich weit gebracht. Die Prinzipien des Gefühls, des Geschmacks und der Beurtheilungskraft, mit ihren Wirkungen, dem Angenehmen, Schönen und Guten hatte ich auch schon vorlängst zu meiner ziemlichen Befriedigung entworfen und nun mache ich mir den Plan zu einem Werke, welches etwa den Titel haben könnte: D i e G r e n z e n der Sinnlichkeit und der V e r n u n f t. Ich dachte mir darinn zwey Theile, einen theoretischen und praktischen. Der erste enthielt in zwey Abschnitten, 1. Die Phaenomenologie überhaupt. 2. Die Metaphysik, und zwar nur nach ihrer Natur und Methode. Der zweyte ebenfalls in zwey Abschnitten 1. Allgemeine Prinzipien des Gefühls, des Geschmacks und der sinnlichen Begierde 2. Die ersten Gründe der Sittlichkeit. 61 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik Aber über die Gesamtheit des theoretischen Teiles und den gegenseitigen Bezug seiner Teile nachdenkend, bemerkte ich dies: dass mir bis dahin ein wesentliches Element gefehlt hatte, von mir unbemerkt geblieben im Verlauf meiner langen metaphysische Untersuchungen, wie es den anderen Forschern entkommen war, obwohl es den Schlüssel des ganzen Geheimnisses der Metaphysik enthielt – von dieser Metaphysik, die noch nicht zum Bewusstsein ihrer selbst gekommen ist. Ich stellte mir in der Tat diese Frage: Auf welches Fundament stützt sich die Beziehung dessen, was wir in uns die Vorstellungen nennen, zum Objekt? Wenn die Vorstellung nichts anderes einschließt als nur die Art selbst, nach der das Subjekt vom Objekt affektiert ist, begreift man leicht, dass sie mit dem Objekt übereinstimmend sein kann, so wie eine Wirkung mit ihrer Ursache konform ist, und man begreift, dass eine gleiche Bestimmung unseres Geistes etwas darstellen, das heißt, ein Objekt haben könnte. Die passiven oder sinnlichen Vorstellungen haben also eine fassbare Beziehung zu den Objekten. Und die Prinzipien selbst, die gefolgert werden aus der Natur unseres Geistes, haben einen (objektiven) Wert begreifbar hinsichtlich der Dinge, soweit die unter unsere Sinne fallen. Ebenso wenn das, was wir unsere Vorstellungen nennen, im Blick auf des Objekt aktiv war, das heißt, wenn sie zur Hervorbringung des Objektes beitrugen, im Sinn wie man die göttlichen Ideen für die Prototypen der Dinge hält, dann würde man noch einmal die Entsprechung unserer Vorstellungen mit der objektiven Wirklichkeit verstehen. 62 Insofern ich den theoretischen Theil in seinem ganzen Umfange und mit den wechselseitigen Beziehungen aller Theile durchdachte, so bemerkte ich, daß mir noch etwas wesentliches mangele, welches ich bei meinen langen metaphysischen Untersuchungen, sowie andere, aus der Acht gelassen hatte und welches in der That den Schlüßel zu dem ganzen Geheimnisse, der bis dahin sich selbst noch verborgenen Metaphysik ausmacht. Ich frug mich nämlich selbst: auf welchem Grunde beruhet die Beziehung desienigen was man in uns Vorstellung nennt, auf den Gegenstand? Enthält die Vorstellung nur die Art, wie das Subjekt von dem Gegenstande afficirt wird, so ists leicht einzusehen, wie sie diesem als eine Wirkung ihrer Ursache gemäß sey und wie diese Bestimmung unseres Gemüths etwas v o r s t e l l e n d.i. einen Gegenstand haben könne. Die passive oder sinnliche Vorstellungen haben also eine begreifliche Beziehung auf Gegenstände, und die Grundsätze, welche aus der Natur unserer Seele entlehnt werden, haben eine begreifliche Gültigkeit vor alle Dinge in so fern sie Gegenstände der Sinne seyn sollen. Eben so: wenn das, was in uns Vorstellung heißt, in Ansehnung des Obiekts aktiv wäre, d.h. wenn dadurch selbst der Gegenstand hervorgebracht würde, wie man sich die Göttliche Erkenntnisse als die Urbilder der Sachen vorstellet, so würde auch die Conformitaet derselben mit den Obiecten verstanden werden können. Kap.6, 4.Etappe: Erfindung des kritischen Problems (gegen 1772) 55 Am wenigsten also versteht man die Möglichkeit, sowohl eines intellectus archetypus auf deren Intuitionen die Dinge gegründet werden würden, als auch von einem intellectus ectypus, der die Daten aus seinen logischen Ausarbeitungen nehmen würde, in der sinnenhaften Intuition der Dinge. Aber unser Verstand ist garnicht durch seine Vorstellungen die Ursache des Objektes... und das Objekt ist noch weniger die Ursache der eigentlich intellektuellen Vorstellungen (in sensu reali). Die reinen Begriffe des Verstandes dürfen also nicht von den Eindrücken der Sinne abstrahiert sein, noch bevorzugt die Passivität der Vorstellungen in den Sinnnen ausdrücken. Sie müssen im Gegenteil ihre Quelle gerade in der Natur der Seele haben, wenigstens so viel wie sie weder Produkt des Objekts noch Ursache des Objekts sind. In der Dissertation hatte ich mich damit begnügt, auf eine ganz negative Weise die Natur der intellektuellen Vorstellungen zu definieren: Ich bemerkte nur, dass sie keine Modifizierungen sind, die in der Seele durch das Objekt produziert werden. Hinsichtlich der Tatsache zu wissen wie eine Vorstellung, die sich auf ein Objekt bezieht, möglich ist ohne Passivität irgendeiner Art gegenüber diesem Objekt, ließ ich diese Frage im Dunklen. Ich hatte gesagt: die sinnenhafte Vorstellung repräsentiert die Sachen, wie sie erscheinen: die intellektuelle Vorstellung wie sie sind. Aber wie sind die Dinge uns gegeben, wenn nicht gerade durch die Art und Weise, wie sie uns bestimmen? Es ist also die möglichkeit so wohl des intellectus archetypi, auf dessen Anschauung die Sachen selbst sich gründen, als des intellectus ectypi, der die data seiner logischen Behandlung aus der sinnlichen Anschauung der Sachen schöpft, zum wenigsten verständlich. Allein unser Verstand ist durch seine Vorstellungen weder die Ursache des Gegenstandes, (außer in der Moral von den guten Zwecken) noch der Gegenstand die Ursache der Verstandesvorstellungen (in sensu reali).Die reinen Verstandesbegriffe müssen also nicht von den Empfindungen der Sinne abstrahirt seyn, noch die Empfänglichkeit der Vorstellungen durch Sinne ausdrücken, sondern in der Natur der Seele zwar ihre Quellen haben, aber doch weder in so ferne sie vom Obiect gewirkt werden, noch das Obiect selbst hervorbringen. Ich hatte mich in der dissertation damit begnügt die Natur der Intellekual-Vorstellungen blos negativ auszudrücken: daß sie nemlich nicht modificationen der Seele durch den Gegenstand wären. Wie aber denn sonst eine Vorstellung, die sich auf einen Gegenstand bezieht, ohne von ihm auf einige Weise afficirt zu seyn, möglich, überging ich mit Stillschweigen. Ich hatte gesagt: die sinnlichen Vorstellungen stellen die Dinge vor, wie sie erscheinen, die intellectuale wie sie sind. Wodurch aber werden uns denn diese Dinge gegeben, wenn sie es nicht durch die Art werden, womit sie uns afficiren 63 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik 56 (auf der anderen Seite, wenn die intellektuellen Vorstellungen, von denen wir sprechen, aus unserer inneren Aktivität hervorgehen, woher kommt dann die Übereinstimmung, die sie mit den Objekten hätten, zu deren Hervorbringung sie überhaupt nichts beitragen? Und die Axiome der reinen Vernunft, die diese Objekte betreffen, wie können diese auf sie angewandt werden, wenn die Erfahrung in dieser Anpassung zu nichts da ist? und wenn solche intellectuale Vorstellungen auf unsrer inneren Tätigkeit beruhen, woher kommt die Übereinstimmung, die sie mit Gegenständen haben sollen, die doch dadurch nicht etwa hervorgebracht werden und die axiomata der reinen Vernunft über diese Gegenstände, woher stimmen sie mit diesen überein, ohne daß diese Übereinstimmung von der Erfahrung hat dürfen Hilfe entlehnen? Alles das ( – die Konkordanz apriori mit den Objekten) eignet sich für die Mathematik. Denn die Objekte sind nicht für uns Größen oder können nicht wie Größen vorstellbar sein, als nur in dem Maße, wie wir uns davon aktiv die Vorstellung in uns selbst erzeugen, durch Hinzufügen der Einheit. So sind die Begriffe der Größen autonom und ihre Prinzipien können apriorisch aufgestellt werden. Dagegen, unter der qualitativen Beziehung, (wenn ich frage), wie mein Verstand sich aus sich selbst, völlig apriori, Begriffe bilden könnte, denen die Dinge notwendig entsprechen müssen. Wie kann mein Verstand selbst die wirklichen Prinzipien der Möglichkeit der Dinge entwerfen, Prinzipien, denen die Erfahrung konform sein sollte, obwohl sie von ihr unabhängig waren ... – diese Frage lässt unvermeidlich eine Dunkelheit bestehen bezüglich der Kraft unseres Verstandes: von wo kommt in der Tat, für diese ihre Übereinstimmung mit den Dingen?“ 146 In der Mathematic geht dieses an; weil die Obiecte vor uns nur dadurch Größen sind und als Größen können vorgestellet werden, daß wir ihre Vorstellung erzeugen können, indem wir Eines etlichemal nehmen. Daher die Begriffe der Größen selbstthätig seyn und ihre Grundsätze apriori können ausgemacht werden. Allein im Verhältnisse der qualitaeten, wie mein Verstand gäntzlich apriori sich selbst Begriffe von Dingen bilden soll, mit denen nothwendig die Sachen einstimmen sollen, wie er reale Grundsätze über ihre Möglichkeit entwerfen soll, mit denen die Erfahrung getreu einstimmen muß und die doch von ihr unabhängig sind: diese Frage hinterläßt immer eine Dunkelheit in Ansehung unsres Verstandesvermögens, woher ihm diese Einstimmung mit den Dingen selbst komme.147 146 147 Briefe zitiert, p. 102–p.104. Briefe zitiert, p. 102–p.104. Nachdem er die Lösungen von Plato, Malebranche, Crusius und das System der prästabilierten Harmonie beiseite geschoben hatte, nimmt Kant den Verlauf seiner vertraulichen Mitteilungen wieder auf: 64 Kap.6, 4.Etappe: Erfindung des kritischen Problems (gegen 1772) [Rückübersetzung aus dem Französichen]„Indem ich auf diese Weise die Quellen der intellektuellen Erkenntnis suchte, ohne die es unmöglich ist, die Natur und die Grenzen der Metaphysik zu bestimmen, teilte ich diese Wissenschaft in wesentlich verschiedene Teile auf und bemühte mich, die Transzendental- Philosophie – das heißt die Gesamtheit der Begriffe der total reinen Vernunft – auf eine feste Zahl von Kategorien zurückzuführen. Jedoch, anstatt wie Aristoteles vorzugehen, der die Begriffe nimmt, so wie er sie findet und sie dann von ungefähr nebeneinander stellt nach seinen zehn praedicamenten, hielt ich mich an eine natürliche Verteilung dieser Begriffe in Klassen, entsprechend einer kleinen Zahl von fundamentalen Prinzipien des Verstandes. Ohne mich hier auszubreiten über alle Etappen dieser Untersuchung, bis an ihrem letzten Ausdruck, kann ich wohl sagen, dass ich, in der Hauptsache, Erfolg in meiner Absicht gehabt habe, und dass ich von jetzt an im Stande bin, eine Kritik der reinen Vernunft zu präsentieren, die die Natur der Erkenntnis, sei es theoretisch, sei es praktisch erklärt, insofern die eine und die andere rein intellektuell ist. Von diesem Werk werde ich zuerst den ersten Teil veröffentlichen, der die Quellen, die Methode und die Grenzen der Metaphysik behandelt, dann werde ich die Prinzipien a priori der Sittlichkeit bearbeiten; für den ersten Teil könnte die Veröffentlichung sich in ungefähr drei Monaten bewerkstelligen lassen."148 148 [original Kant]Indem ich auf solche Weise die Quellen der intellektualen Erkenntnis suchte, ohne die man die Natur und Grentzen der Metaphysik nicht bestimmen kan, brachte ich diese Wissenschaft in wesentlich unterschiedene Abtheilungen und suchte die transscendentalphilosophie, nemlich alle Begriffe der gäntzlich reinen Vernunft, in eine gewisse Zahl von categorien zu bringen, aber nicht wie ARISTOTELES, der sie so, wie er sie fand, in seinen 10 praedicamenten aufs bloße Ungefehr neben einander setzte, sondern so wie sie sich selbst durch einige wenige Grundgesetze des Verstandes von selbst in classen eintheilen. Ohne mich nun über die ganze Reihe der bis zu dem letzten Zweck fortgesetzten Untersuchung weitläufig hier zu erklären, kan ich sagen, daß es mir, was das wesentliche meiner Absicht betrift, gelungen sey, und ich itzo im Stande bin, eine Critick der reinen Vernunft, welche die Natur der theoretischen sowohl als praktischen Erkenntnis, so fern sie blos intellektual ist, enthält, vorzulegen, wovon ich den ersten Theil, der die Quellen der Metaphysik, ihre Methoden und Grenzen enthält, zuerst und darauf die reinen Prinzipien der Sittlichkeit ausarbeiten und, was den ersten betrifft, binnen etwa 3 Monathen herausgeben werde. 149 149 Lettre zitiert, p.105. Briefe zitiert, p.105. 65 Buch I: Die Etappen der Philosophie Kants. Vom Wolffianismus zur Kritik Die vorgesehenen drei Monate Verzögerung verlängerten sich bis auf ungefähr neun Jahre. Es bleibe davon nicht weniger wahr, dass Kant schon seit 1772 das zentrale Problem der Kritik des reinen Vernunft aufgegriffen und formuliert hatte: Wie sind „Objekte“ im Denken möglich? oder, wenn man es bevorzugt, welche sind sie Bedingungen der Möglichkeit des objektiven Gedankens? ’Öbjektiv“ Sein, das ist, eine „Beziehung zum Objekt haben“ (eine Beziehung auf den Gegenstand)150 150 Kant versteht: eine unbestimmte Beziehung zum „Objekt an sich“, die antwortet auf die objektive Kapazität der Vernunft. 57 Unsere reinen Begriffe könnten diese Beziehung nur auf zwei Weisen verwirklichen: a) als Produkte des Objekts empfangen im Subjekt; aber dann würden diese nicht mehr „reine Begriffe“ apriori sein sondern wohl partikuläre Darstellungen der passiven, empirischen „Daten“, und folglich sinnenhaft. Eine passive Darstellung, insofern sie intellektuell ist, ist eine Absurdität. b) als produktive Ursache des Objektes: aber es ist zu offenkundig, dass unsere Intelligenz das Objekt nicht schafft, auf das sie sich bezieht: eine aktive „intellektuelle Intuition“, totale Herstellerin ihres Objektes, würde, wenn sie möglich wäre, die Tragweite der menschlichen Verstandes überschreiten.151 151 Kant nimmt von neuem Erwägungen wie diese in der Kritik und in den Prolegomena auf. Siehe zum Beisp. Prolegom, § 8,9. Edit. Rosenkranz, pp. 36-37. wo gezeigt wird, dass die einzig mögliche „Intuition apriori“ die der Sensibilität ist. Unsere „reinen Begriffe“ präsentieren also in sich selbst keine „Beziehung zum Objekt“: solcher Art war das letzte Wort von Kant über den rationalistischen Ontologismus, einstmals sein Ausgangspunkt. Von einer anderen Seite her schließt unsere objektive Erkenntnis unstreitig, außer dem empirisch „Gegebenen“, ein Apriori ein: nicht nur ein sinnliches Apriori (Raum und Zeit) sondern ein intelligibles Apriori – Zeuge gerade der Existenz der „reinen Begriffe“ oder der „Kategorien“. Es ist also nicht notwendig, als Reaktion gegen den Ontologismus, sich der Gefahr auszusetzen, in dis entgegengesetzte Übertreibung zu verfallen, den phänomenalistischen Empirismus. Hume hat nicht gesehen, worin der sinnliche percept mehr oder weniger kompliziert durch Assoziation, sich unterscheide vom empirischen Objekt. 152 152 Siehe zum Beispiel in den Prolegomena, §18, Edit. Rosenkranz, p. 58, die Unterscheidung zwischen den Wahrnehmungsurteilen und den Erfahrungsurteilen. Es gibt in jeder objektiven Erfahrung, wie bescheiden auch immer sie wäre, die Universalität und die Notwendigkeit, das heißt mehr als Gruppierungen und Folgerungen aus sinnlichen Phänomenen. Isoliert betrachtet, realisieren also weder die reinen Begriffe von ihrer Seite, noch auf der anderen Seite, die Produkte der Sensibilität die Bedingungen, die 66 Kap.6, 4.Etappe: Erfindung des kritischen Problems (gegen 1772) die Bildung eines Objekts in unserem Denken verlangt. Diese Feststellung bringt Kant von Leibniz zurück zu Hume, aber dennoch nicht bis zu Hume. Sicher, da er in der menschlichen Erkenntnis kein rein rationales Objekt findet, muss Kant anschließen an das, was er selbst das „Prinzip von Hume nennt“, indem er „ jeden objektiven Gebrauch der Vernunft über das Feld der möglichen Erfahrung hinaus“ als unrechtmäßig erklärt.153 153 Prolegomena, §58. Edit. Rosenkranz, p.136. aber die objektive Unzulänglichkeit ergreift auch, obgleich aus anderen Gründen, sowohl die sinnlichen Vorstellungen als auch die reinen Begriffe: die Unzulänglichkeiten jeweilig dieser zwei Arten von Elementen sind sich ergänzend, was wir weiter unten besser sehen werden.154 154 58 Erdmann bezieht auf diese Periode, oder sogar auf die Jahre 1774 und folgende, den entscheidenden Einfluss von Hume, auf den die Prolegomena anspielen. Wir werden hier keine Mutmaßungen wagen über die genaue Zeit, wann sich bei Kant dank des englischen Philosophen das „Erwachen aus dem dogmatischen Schlaf“ ereignet hat. Das was uns sicher scheint, das ist, dass die Kritik von Hume längst im philosophischen Horizont von Kant anwesend war. Sie half ihm zuerst, den Ursprung aller direkten Erkenntnis in der Erfahrung zu suchen. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie ihm auch den Übergang zur agnostischen Schlussfolgerung erleichterte, die aus den Prämissen von 1772 folgen, die Einschränkung der Gültigkeit unserer Erkenntnisse auf die mögliche Erfahrung zu kennen. Man kann übrigens sagen, was auch immer das Maß der Einflussnahme wäre, die man Hume zuerkennt, dass Kant nicht vollständig seine Stellung ihm gegenüber vor 1772 definiert. Und die vielfältigen Ausdrücke der Hochschätzung gegenüber dem englischen Philosophen in der Kritik der reinen Vernunft und in den Prolegomena scheinen wirklich unter anderem eine engere intellektuelle Verwandschaft und verhältnismäßig neue intellektuelle Nachbarschaft wiederzugeben, selbst später als 1772. Man möge uns doch noch erlauben, im Moment, wo wir die Schwelle zur Kritik überschreiten, hier ein solches Leuchtfeuer aufzustellen, das fortan unsere Straße erleuchten wird, die berühmte Antithese, die Kant auf der ersten Seite seiner „transzendentalen Logik“ aufschreiben wird: „Die Begriffe ohne intuitiven Inhalt sind leer; die Intuitionen ohne Begriffe sind blind“. Müsste man also überhaupt nicht nach einer Möglichkeit des objektiven Gedankens in einer synthetischen Einheit reiner Begriffe und sinnlicher Intuitionen suchen? Kant glaubte nicht, dass eine andere Lösung möglich war. Warum drängt sich das auf und welche Konsequenzen resultieren daraus? Er wird das erst nach langsamen und minutiösen Überlegungen 1781 in der ersten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft, erklären. Wir schlagen vor, jetzt dieses hauptsächliche Werk zu studieren, indem wir ganz aus der Nähe dem Weg, den man manchmal direkter und schneller wünschen würde, selbst folgen, den ihr Autor ging. 67 Buch II. OBJEKT UND METHODE DER „Kritik der reinen Vernunft“. 59 69 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft KAPITEL 1. Objekt der Kritik. 60 §1. – Das Problem. Warum, fragt sich Kant, kann man am Ende des XVIII-ten Jahrhunderts behaupten, eine Kritik der Erkenntnis zu begründen? Alle Philosophien haben eine gewisse Kontrolle ausgeübt über die Materien, die sie sich einverleibten. Aber wozu ist es gut, eine „Kritik“ zu machen an einem Vorhaben, das schon abgeschlossen ist? Macht man das nicht schon ganz spontan genug, indem man mit Strenge argumentiert, ganz wie man gute Manieren lernt, indem man in guter Gesellschaft verkehrt? Kant155 155 Siehe die Prolegomena ebenso wie die Einleitungen der 1. und 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft. N. B. Bezüglich unserer Verweise auf die Kritik der reinen Vernunft, bevor sie sich nunmehr vervielfachen, wollen wir in diesem Kapitel und in den Folgenden die folgenden abgekürzten Notationen verwenden: B und BB um beziehungsweise den ersten und den zweiten Band der Übersetzung der „Kritik der reinen Vernunft“ von Barni (Ausgabe von P. Archambault Paris, Flammarion) zu bezeichnen; R um den Band II zu bezeichnen, (« Kritik der reinen Vernunft ») von „Immanuel Kants sämtlichen Werken, herausgegeben von K. Rosenkranz“ (Leipzig 1838). Die arabischen Zahlen, die den Kürzeln B, BB und R folgen, geben die Seitenzahlen an. Alle unsere Zitate sind der Übersetzung Barni entnommen, bei denen wir uns die Freiheit nehmen, sie gegenenfalls zu retuschieren. Mit Ausnahme gegensätzlicher Hinweise zitieren wir nach der 2. Auflage der „Kritik“. – Die Wahl der Ausgabe Rosenkranz und der Übersetzung Barni-Archambault im Vorzug gegen die großen neuen Ausgaben der Akademie von Berlin oder von Cassirer und der Übersetzung von Trémesaygues et Pacaud werden von uns einzig wegen der Bequemlichkeit des Lesers gewählt, der sich zu geringen Kosten, entweder den Nachdruck der Übersetzung Barni, oder auf Deutsch, die Ausgabe Reklam besorgen kann, die die Paginierung von Rosenkranz in Anmerkungen reproduziert. 61 glaubte dass der Augenblick gekommenen sei, sich nicht mehr nur auf diesen vagen Instinkt der Wahrheit zu beziehen, der unsere spontane Vernunft bis zu einem gewissen Punkt führen kann. In der Erfahrung der Jahrhunderte hat sich diese elementare und angeborene Weisheit als viel zu unzureichend erwiesen. Und es konnte selbst scheinen, dass am Höhepunkt der „Aufklärung“ die Situation der Philosophie weltweit nicht so sehr verschieden war von dem, wie sie einst in den ersten Tagen des antiken Skeptizismus gewesen war. (Siehe Heft I, Buch I. Kap. 1) Auf der einen Seite, ein sehr starker Damm metaphysischer Systeme, die sich untereinander gegenseitig verdammten und die, mehr aus der Nähe bedrängt, jede entweder die Widersprüchlichkeit ihres Inhaltes oder die Willkür ihrer Ansatzpunkte aufdeckte. Und wenn die Vernunft bei einem Abenteuer durch wohlwollenden Eklektizismus, sich anstrengte, zu vergleichen und diese verschiedenen Ansatzpunkte zu harmonisieren, fand sie sich bald bei diesem Versuche selbst zu unlösbaren Antinomien gedrängt. Auf der anderen Seite 70 Kap. 1. Objekt der Kritik 62 waren Philosophen aufgetreten, solche wie David Hume, bewaffnet mit dem empiristischen Prinzip, das sie wie einen Keil in die dogmatische Metaphysik eingeschlagen hatten: und diese zerbrechlichen, schlecht verankerten Konstruktionen gerieten unter dieser Gewalt aus den Fugen. Und als diese Umstürzler sahen, wie große Mauerstücke sich schräg stellten, beeilten sie sich, den Schluss auf die wesentliche Unsicherheit aller rationalen Konstruktionen zu ziehen. Ganz so wie in den Tagen der alten Griechen, die Tollkühnheit der Metaphysiker den Skeptizismus gezeugt hatte. Dennoch in der Mitte dieser Verwirrung des philosophischen Denkens wunderte sich Kant über einen Kontrast, dessen Anblick für einen Antiken oder Mittelalterlichen in diesem Punkt nicht in gleicher Weise in die Augen hätte pringen können. In der allgemeinen Unsicherheit der Metaphysiken blieb die Logik seit Aristoteles fest in ihrer klaren Unbeweglichkeit. Neben ihr vereinigte die reine Mathematik, in dem Maße wie sie ihre Ableitungen ausweitete, die volle Zustimmung aller Geister, ohne solche Gegenerklärungen des folgenden Tages befürchten zu müssen, die die am meisten in Mode seienden Philosophien berührten. Dank Newtons schien die theoretische Physik schließlich ihre grundlegenden Prinzipien gefunden zu haben und strebte nach der beneidenswerten Stabilität der unbestrittenen Erkenntnisse. Die gleiche Tendenz gewann immer mehr, in gewissem Grade, die Gesamtheit der experimentellen Wissenschaften. Kurzum die analytische Logik auf der einen Seite, die Mathematik und die Wissenschaften auf der anderen Seite beherrschten friedlich die menschliche Vernunft oder entwickelten sich mit beruhigendster Regelmäßigkeit. Warum blieb die Metaphysik allein der Laune und dem Widerspruch ausgeliefert? Wahrscheinlich, so dachte Kant, weil ein anfänglicher Fehler fortbesteht in der Verwendung, die die Metaphysiker von der Vernunft machen, während dagegen Mathematiker und Physiker, jeder in seinem Bereich, sich bewusst oder unbewusst dem natürlichen Ziel unserer Erkenntnisfähigkeiten anpassen. Da ja die Gültigkeit der Mathematik und der Wissenschaften durch den Erfolg bestätigt wird, suchen wir , das Geheimnis ihres Erfolges zu ergründen. Hinsichtlich der Metaphysik haben wir weder Partei ergriffen, sie zu verurteilen noch sie freizusprechen. Ihr hundertmal in der Vergangenheit von vorne angefangener Prozess ruft nach einer neuen und gründlichen Revision, einer Kritik nicht mehr von einigen partikulären Thesen sondern der ursprünglichen Faktoren der ganzen Metaphysik. Die Menschheit kann sich nicht vor dieser kritischen Aufgabe drücken. Denn die Metaphysik, trotz ihrer kapriziösen Variationen und des legitimen Misstrauens, das sie hervorruft, ist wie die menschliche Vernunft unsterblich: Eine unbesiegbare Tendenz bringt unaufhörlich den Geist des Menschen zurück vor das Angesicht des Geheimnisses des Absoluten. So oder so ringen wir also mit einem unabweislichen Problem der Episte- 71 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft mologie, das uns ergreift, jedesmal wenn wir versuchen, ihm auszuweichen. Es ist besser, es frontal in Angriff zu nehmen und es ein für alle Mal erschöpfend zu behandeln. Das ist es, was Kant durchzuführen unternimmt in der Kritik der reinen Vernunft. §2. – Abgrenzung des Problems; analytische und synthetische Urteile apriori. 63 Folgen wir dem Autor der Kritik in der genaueren Abgrenzung, die er dem Problem zieht. Die klassische Logik, die Mathematik, die Wissenschaften und die Metaphysik stellen sich als Systeme von aneinandergereihten Urteilen dar. Ihre objektive Gültigkeit hängt von der der Urteile ab, die sie bilden, da ja ebenso gut die Attribute der Wahrheit oder der logischen Falschheit zu den Eigentümlichkeiten des Urteils gehören. Aber unter den Urteilen gibt es die rein analytischen, die keine Schwierigkeit machen für niemanden, denn sie beruhen unmittelbar auf dieser universellen Norm des Denkens, nämlich dem Prinzip der Identität oder des Widerspruchs. Sie lösen auf, führen aus, „explizieren“ einen gegebenen Begriff, dies ist alles. Ihr Prädikat war schon implizit im Begriff ihres Subjekts enthalten. Trotzdem sie in den sukzessiven Gängen unserer Vernunft ganz unerlässlich wären, bereichern sie unsere Erkenntnis nicht. „Wenn ich zum Beispiel sage, alle Körper sind ausgedehnt, spreche ich ein analytisches Urteil aus“ (Kritik der reinen Vernunft. Einleitung. R 21. Cf. 21-23 und Anhang V, 700-701. B 43. Cf. 42-46.), weil die Ausdehnung gerade ein Teil der Definition des Körper ist. Mein Urteil ist „aussagend“, „erklärend“, keineswegs „erweiternd“. (Ebenda.) Andere Urteile sind solche, wo der Begriff des Prädikats „obwohl verknüpft mit dem Begriff des Subjekts, ganz außerhalb von ihm ist“. (Ebenda.) Man kann den Begriff des Subjekts bis ins Unendliche auflösen, darauf sein Denken ohne Unterbrechung anwenden, man wird dabei nie das Prädikat weder explizit noch implizit eingeschlossen finden. Dieses ist also wirklich zum Subjekt hinzugefügt und nicht nur entdeckt im Subjekt. Das Urteil reichert in diesem Fall die Erkenntnis an, es ist „erweiternd“, „synthetisch“. (Ebenda.) Kein Philosoph bestreitet die Existenz gewisser synthetischer Urteile. Wenn man behauptet, dass „die Körper schwer sind“ (Ebenda), kann man nicht sicher behaupten, dass das Attribut „Schwere“ aus dem Körperbegriff selbst zu schließen ist. Vielleicht gibt es in der Tat überhaupt keine Körper, die nicht mit Masse, Schwere versehen sind. Es bleibt indessen, dass der Geist aus dem einfachen Begriff eines „Kontinuums in drei Dimensionen“ nicht die Idee der Schwere erschließen kann noch in irgendeiner Weise ableiten kann. Das musste „sich der Idee der Körper hinzufügen“ und das Urteil ist synthetisch. 72 Kap. 1. Objekt der Kritik Bis dahin gibt es keine Schwierigkeit noch Falle in der Terminologie. Aber passen wir auf: Wir müssen uns beschäftigen mit einem undurchsichtigen Wirrwar, wo uns bereits jetzt der Streit auflauert. Wenn man leicht zum Einverständnis kommt, dass synthetische Urteile anzuerkennen sind, so hört man auf, sich zu verstehen, sobald es sich darum handelt, davon eine exakte Aufzählung zu machen und vor allem das Prinzip der Urteils-Synthese zu bestimmen. Unsere erste Bemühung muss hier sein, genau den Gedanken und die Terminologie von Kant zu begreifen. Nehmen wir das Urteil wieder auf: „Alle Körper sind schwer“. Wenn es nur die „allgemeine Tatsache“ ausdrückt, die die akkumulierten Erfahrungen zusammenfasst, das heißt, wenn es nur die empirische Integration der Vergangenheit und der Gegenwart ausdrückt unter einer kollektiven Formel, ist überhaupt kein Zweifel, dass dieses Urteil nicht synthetisch a posteriori wäre mit anderen Worten, dass das Band der Synthese dort nicht die direkte Erfahrung wäre: die Synthese ist empirisch gegeben. Aber gehen wir weiter.156 . 156 Wir nehmen damit Bemerkungen voraus, die Kant erst entwickelt, entweder im zweiten Teil der Kritik, oder in den Prolegomena und in der Kritik der Urteilskraft. 64 Nehmen wir an, dass dieses Induktions-Urteil: Die Körper sind schwer, eine „allgemeine“ und „notwendige“ Eigentümlichkeit der Körper uns vor Augen stellt. Dies ist, übrigens, genau der Sinn, den die traditionellen Philosophien den induktiven Sätzen zuschreiben. Können wir sagen, dass die Notwendigkeit und die Universalität deiner Synthese uns unmittelbar in der Erfahrung gegeben sei? Welches Verhältnis gibt es zwischen einer Summe, selbst unbegrenzt vergrößert von partikulären Synthesen, die sich wiederholen und der absoluten Universalität dieser Synthesen? Zwischen einer Tatsache, genauso viele Mal multipliziert wie man will, und einer eigentlichen Notwendigkeit? Die reine Akkumulation der Erfahrung reicht nicht aus, um eine „allgemeine und notwendige“ Synthese zu rechtfertigen: das Prinzip dieser Synthese könnte also nicht total a posteriori sein, das heißt von empirischer Ordnung, sondern muss von einer verschiedenen Ordnung sein nämlich a priori. Das ist schon eine Feststellung einer „Synthese a priori“: Wenn es notwendige und universelle induktive Urteile gibt, hängen ihre Notwendigkeit und ihre Universalität von einer logischerweise der konkreten und individuellen Erfahrung vorausgehenden „Bedingung“ ab, sagen wir das Wort: von einer „Bedingung a priori“. Aber es gibt „Synthesen a priori“, die evidenter sind, wenn möglich als die vorhergehende. Kant teilt sie in drei Gattungen auf. 73 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft KAPITEL 2. Die synthesis a priori. 65 §1. – In den exakten Wissenschaften. Zuerst die ersten Prinzipien der Mathematik. Zweifellos entwickelt sich die Mathematik, wie alle Zweige des theoretischen Wissens, zu einem gutem Teil in analytischen Sätzen. Aber wenn wir ihre Fundamente freilegen, werden wir früher oder später mit einer Synthese a priori zu tun haben. Sei es die fundamentale Operation der Addition, zum Beispiel 7 + 5 == 12: dies ist das Beispiel von Kant.157 157 Er beschränkt sich in der Einleitung darauf, davon sehr summarisch den synthetischen Charakter zu zeigen. Wir haben es für nützlich gehalten, hier vor allem darauf zu bestehen, allen Missverständnissen schon von Anfang an vorzubeugen. Wir werden uns übrigens nur solcher Prinzipien bedienen, die von Kant selbst an anderen Stellen der Kritik entwickelt werden. 66 Für eine große Zahl von Philosophen verwirklicht ein Urteil der Form: 7 + 5 = 12 den Typ eines analytischen Urteils. Sagen wir sofort, dass sie Unrecht oder Recht haben können je nach Gesichtspunkt. Man muss vor allem als außer Frage einen rein oberflächlichen analytischen Sinn dieses Urteils beiseite schieben nämlich dass (7+5) und 12 beziehungsweise nur willkürliche Symbole seien, denen ich durch eine vorausgehende Übereinkunft einen gleichen numerischen Wert zugeschrieben hätte. Sei es so, aber dann ist das synthetische Urteil im Voraus zu dieser tautologischen Formel und verbirgt sich gerade in der Aufstellung der Vereinbarung. Ein anderer kaum verschiedener Sinn würde folgender sein: beim Setzen des Subjekts: (7+5) betrachte ich es schon als eine homogene Gesamtheit von 12 Einheiten. Die Aufteilung in zwei Gruppen: 7 und 5, hat keinen logischen Wert im Urteil: sie repräsentiert dort dennoch die Erinnerung an vorausgehende Operationen. – Oder auch: das Urteil 7 + 5 = 12 ist in diesem Stadium also analytisch; er ist sogar tautologisch, denn es drückt nur die Gleichwertigkeit von identischen Gesamtheiten aus: (7 + 5) Einheiten und 12 Einheiten. Aber dann wird man sich erlauben, nach dem Grund zu fragen für die Operation, die diese identischen Gesamtheiten schuf. Wie ist man übergegangen von der Zweier-Gruppierung 7 und 5 zu der homogenisierten Gruppierung (7+5) oder 12? Kant schätzt es so ein, dass der natürliche und unmittelbare Sinn des Urteils 7+5 = 12 genau der ist, die formale Wirkung der „Operation“ auszudrücken, von der wir gerade sprechen. In der Tat was will ich sagen, im Grunde, wenn ich das arithmetische Symbol setze: 7+5? Ich verstehe darunter: die durchzuführende Vereinigung einer homogenen Gruppierung von 7 Einheiten mit 74 Kap. 2 Die synthesis a priori 67 einer homogenen Gruppierung von 5 Einheiten. Von wo schließe ich, dass die Vereinigung dieser zwei Gruppierungen mir eine einzige homogene Gruppierung geben wird von 12 Einheiten? Warum ist es mir evident, dass die Individualität der addierten Gruppen sich auswische in die neue Einheit ihrer Summe? Gehen wir dem Fall ein bisschen mehr auf den Grund. Wenn 7+5===12, sind die folgenden Sätze ebenso evident und wahr: 6+6=12; 4+8=12; 3+9=12; 2+10=12; 1 + 11 =12. Aber, damit diese ganze Serie von Ausdrücken gleichzeitig wahr wäre, dränge sich eine Voraussetzung auf, eine „Bedingung a priori“: die indifferente Aufteilbarkeit der Zahl 12, das heißt, ihre Eigenschaft, denselben Wert zu bewahren, was auch immer die hinzufügbare Gruppierung ist, die man von seinen konstitutiven Einheiten macht. Diese Voraussetzung erscheint mir als die „Regel“, nach der in jedem der obengenannten Gleichheiten ich den zweiten Ausdruck auf den ersten zurückführe. Aber, noch ein Mal, woher erhalte ich die Voraussetzung, diese Regel? Von der reinen Analyse der ersten Ausdrücke (7+5; 6+6; etc.)? Offensichtlich nicht. Jeder dieser ersten Ausdrücke gibt mir eine Gruppierung von zwei Zahlen, aber nichts mehr. Vom logischerweise vorausgehenden Begriff der numerischen Einheit? Dazu Folgendes: Viele Widerspruchsgeister gegen Kant präsentieren folgende findige Demonstration, die sie als analytisch beurteilen: Alle Ausdrücke für die Addition vom Typ: 7+5=12, können sich unter der Form schreiben: (1 + 1 + 1+...) + (1 + 1+...) = (1 + 1 + 1+... +1+1+...). Der Unterschied zwischen 7+5, 6+6, 3+9, etc... führt sich zurück auf die Umstellung von zwei Klammern in einer Reihe von vollkommen homogenen Einheiten. Der jeweilige Unterschied zwischen 7+5, etc... und 12 reduziert sich ebenso auf die Anwesenheit oder Abwesenheit von zwei Klammern. Aber in einer Serie einer Summierung von untereinander perfekt homogenen Einheiten kann die Anwesenheit oder die Abwesenheit oder die Umstellung von Klammern den numerischen Wert der Reihe nicht beeinflussen. Also beruhen die fraglichen Urteile einzig auf der Regel der Identität und sind analytisch. Aber eben gerade diese Beweisführung, hätte Kant protestiert, wenn er Kenntnis von diesem Einwand gehabt hätte, beweist, dass sie synthetisch sind. Man postuliert dort, in der Tat, die vollkommene Gleichwertigkeit der verschiedenen Gruppierungen, denen die Einheiten einer Summe unterzogen werden können, indem man sich stützt auf die Bedeutungslosigkeit der Klammern im Inneren einer additiven Serie von Einheiten. Man gibt also zu, dass der Wert der arithmetischen Urteile abhängt von einer Bedingung, die gerade dem voraus liegt, nämlich die folgende: die Einheit stellt die Eigenschaft dar, dass sie addiert werden kann, das heißt sich zu wiederholen vollkommen homogen zu sich selbst, ohne dass irgendein qualitativer Unterschied 75 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 68 zwischen ihnen ihre sukzessiven Antworten unterscheiden würde und ohne dass nichts desto weniger diese Antworten sich gegenseitig durchdringen oder verschmelzen. Man wird mühelos unter dieser fundamentalen Bedingung gerade die Definition einer quantitativen Größe, eines „Quantums“ erkennen. Die „Quantität“ ist für Kant, wie für alle Philosophen, „die synthetische Einheit einer Verschiedenheit von homogenen Elementen“ (Kritik der reinen Vernunft. Analytik der Prinzipien. Axiome der Intuition. Beweis. B.188. -R. Supplem. XVI, 761). Die angebliche analytische Demonstration der Addition hat uns also nicht einen Schritt nach vorne weitergebracht. Denn genau so gut ist die Additivitätseigenschaft der Einheit und die indifferente Teilbarkeit der Zahl eine einzige und gleiche Voraussetzung. Die ganze Frage besteht genau darin, davon die Herkunft und die Titel zu entdecken. Ist sie empirisch oder a priori? Zufällig oder notwendig? Es gibt kein Mittleres. Fragen wir uns zuerst, ob die Additivitäts-Eigenschaft der Einheit uns in der Erfahrung „gegeben“ sein kann? Man wird sich erinnern, dass Hume der Wissenschaft von der Zahl einen empirischen Ursprung zuschrieb. Es ist sicher, dass die Erfahrung abläuft in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Zahl, das heißt, dass alle „Objekte“ sich empfänglich zeigen, in der Abstraktion als numerische Einheiten betrachtet zu werden. Wenn zu zwei Fingern ich vier daneben lege, bilde ich eine sichtbare Gesamtheit von sechs Fingern. Und ich kann unbegrenzt diese Erfahrung wiederholen mit beliebigen Objekten. Kollektive Sätze, die numerische Verhältnisse ausdrücken, können sich also durch eine abstrakte Sicht von gewissen empirischen Beziehungen der Objekte konstituieren (was auch immer im Übrigen die subjektiven Bedingungen wären, die im Voraus gefordert wären gerade für diese Abstraktion.) Unglücklicherweise liefert uns eine Erfahrung, so ausgebreitet und so vielfach sie auch wäre, „das, was ist“, oder „das, was war“, „hier oder dort“, aber nicht das, was „sein muss“, „überall und immer“. Nun aber gelten die arithmetischen Urteile für alle möglichen Einheiten. Sie sind ohne irgendeine Einschränkung universell und notwendig. Sie sind also „a priori“. Strenggenommen könnte eine induktive Mathematik, die den konstanten numerischen Aspekt experimenteller Tatsachen ausdrückt, schon einen beträchtlichen praktischen Wert annehmen. Aber die Mathematik als „Wissenschaft der Zahl“ lässt sich nicht auf einer empirischen Grundlage aufbauen. Ihre Axiome müssen logisch158 158 Man möge nicht vergessen, dass es sich hier um eine logische Priorität handelt und keineswegs um ein psychologisches Voraussein. Nichts verhindert, dass die sinnliche Erfahrung nicht die psychologische Vorbedingung unserer Erkenntnis von der Zahl und den Gesetzen der Zahl wäre. der Erfahrung voraus liegend sein und müssen also abhängen von einer „Bedingung a priori“. 76 Kap. 2 Die synthesis a priori Eine „Bedingung a priori“, die die Zuteilung eines Prädikats zu einem Subjekt erzwingt, das dieses überhaupt nicht vorher schon enthält, das ist genau die Charakteristik der Urteile, die Kant „synthetisch a priori“ benennt. In diesem Sinn schließen also die fundamentalen Prinzipien des Kalküls unbezweifelbar „eine synthesis a priori“ ein. Dies wird die Aufgabe der Kritik sein, mehr im Einzelnen diese Synthese zu studieren. Die ersten Prinzipien der Geometrie und die meisten ihrer Demonstrationen beruhen ebenso auf einer Synthese a priori. Aber es muss gut verstanden werden, von welcher „Geometrie“ das Vorwort der Kritik handelt. Kant hat hier nicht die Möglichkeit von abstrakt begründeten und analytisch außerhalb der euklidischen Postulate entwickelten „Meta-Geometrien“ betrachtet, – dies war übrigens nicht unerlässlich für die Gültigkeit seiner Beweisführung – 159 ; 159 Wir haben dennoch gesehen, dass am Anfang seiner philosophischen Karriere er an die Möglichkeit von nicht-euklidischen Räumen gedacht hat. Aber er nahm damals an, dass der Raum aus den Interaktionen der Körper folgte. (Siehe oben p.15). Danach machte er keine Andeutung mehr – so viel wir wissen – zu dieser metaphysischen Möglichkeit, die im Übrigen gegenüber dem Problem des Raumes, wie er in der Kritik angenommen ist, indifferent ist. 69 er hat sich nicht mehr darum besorgt, dass die euklidische Geometrie von einigen Mathematikern wie eine rein hypothetische Konstruktion behandelt würde, aufbauend auf willkürlichen Ansatzpunkten, und ihre ganze objektive Gültigkeit nur der wiederholten Feststellung ihrer befriedigenden Übereinstimmung mit der Erfahrung verliehen bekommt, nicht mehr und nicht weniger wie eine beliebige wissenschaftliche Theorie sich eine wachsende Wahrscheinlichkeit erwirbt durch den größeren Erfolg ihrer Konsequenzen. Was auch immer die Natur des Raumes „an sich“ sein könnte, für Kant bleibt die euklidische Geometrie, unsere menschliche Geometrie, in allen Fällen die absolute Wissenschaft – allgemein und notwendig – von den räumlichen Bedingungen, die unsere sinnlichen Vorstellungen, unsere „äußeren Erfahrungen“ bestimmen. Ebenso wie die Mathematik von der Zahl die absolute Wissenschaft – allgemein und notwendig – von den quantitativen Bedingungen war, die im Allgemeinen alle unsere Vorstellungen bestimmen. So oder so „planen“ wir und „weiten“ wir die sinnlichen Objekte aus im euklidischen Raum. Und wir statten diesen Raum a priori mit einer gewissen Zahl von Eigenschaften aus. Wir wissen nicht, ob andere Räume möglich sind; aber dieses drängt sich unserer Erfahrung auf, mit Ausschluss von jedem anderen. Nun aber beruhen die grundlegendsten euklidischen Sätze nicht auf der Analyse. Kant bringt davon, an verschiedenen Stellen, diese zwei Beispiele: „Zwischen zwei Punkten ist die gerade Linie die kürzeste“ (Kritik der reinen Vernunft B.48. – R. Suppl. VI, 703. Einleitung V) und: „Es ist unmöglich, 77 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 70 eine Figur zwischen zwei Geraden einzuschließen“ (Kritik des reinen Vernunft Analytik der Prinzipien, Kap. II, 3. Sect. 4. B. 234 – R.185.). Diese zwei Sätze gründen sich mehr oder weniger direkt auf das Parallelen Postulat. Aber niemand wird auf den Gedanken kommen, dieses Postulat analytisch zu beweisen. Das Urteil, das es ausdrückt, ist also, entweder eine willkürliche Vereinbarung, deren psychologische Herkunft man höchstens suchen kann, oder ein synthetisches Urteil. Will man eines der in dem Beispiel gegebenen Theoreme unmittelbarer betrachten? Sei es das zweite: „es ist unmöglich, eine Figur zwischen zwei geraden Linien einzuschließen“. „Im Begriff einer zwischen zwei geraden Linien eingeschlossenen Figur macht Kant darauf aufmerksam, gibt es gar keinen logischen Widerspruch, denn der Begriff zweier gerader Linien verbunden mit dem Begriff ihres Treffens, enthalten nicht die Negation von irgendeiner Figur.“ (Ebenda. B.234). Woher kommt also, dass ich hier die Evidenz von einer Unmöglichkeit habe?.. In allen Fällen ergibt sich die Unmöglichkeit nicht aus einer einfachen begrifflichen Analyse. Es bleibt, dass in den Sätzen der Geometrie ein Vermittelndes keineswegs begrifflich die Vermittlung zwischen dem Subjekt und dem Prädikat macht. Dieses Mittlere ist die räumliche Intuition. In der Tat, wenn ich behaupte, dass zwei gerade Linien keine Figur einschließen können, ist dies nicht so, dass ich einen rein logischen Widerspruch im zusammengesetzten Begriff von „zwei geraden Linien“ und von eine „eingeschlossenen Figur“ wahrnehme. Das, was ich feststelle, ist, dass dieser Begriff nicht „vorstellbar“ ist, das heißt, dass es mir unmöglich ist, „es zu konstruieren im Raum“, und dass es sich also als Gegensatz zu den für meine Vorstellungen notwendigen räumlichen Bedingungen erweist. (Ebenda. B.234) Die Vereinigung dieses zusammengesetzten Begriffes mit dem Prädikat „unmöglich“ vollzieht sich so unter dem Einfluss einer der einfachen begrifflichen Analyse fremden Bedingung. Das Urteil ist synthetisch. Die direkte Berufung auf die räumliche Intuition kommt bei den meisten geometrischen Beweisen vor. Wenn man zum Beispiel versucht, anders zu zeigen „dass die drei Winkel eines Dreieckes zwei Rechten gleich sind“, dass „die Oberflächen zweier perfekt symmetrischer Figuren gleich sind“ und so weiter. Alle Beweise, wo man Verfahren von Überdeckung oder Rückentwicklung anwendet, berufen sich unmittelbar auf die räumliche Intuition. Aber mit dieser Rechnung, wird man einwenden, wird die Geometrie empirisch, induktiv, denn sich dabei auf die räumliche Intuition zu berufen, heißt so viel wie, sich dabei auf die Erfahrung berufen? Die im Einwand gezogene Konsequenz überschreitet die Prämissen, die von Kant bewilligt werden. Für ihn (siehe die Dissertation von 1770) kann eine „Intuition“ „a priori“ sein. Ja noch mehr, die Universalität und die Notwendigkeit der geometrischen Sätze verbieten in jeder Hypothese, sie wie eine reine 78 Kap. 2 Die synthesis a priori empirische oder „a posteriori“ zu betrachten. Denn man kann es nicht genügend wiederholen: Milliarden von konkreten Tatsachen, von individuellen Daten, werden nie durch sich allein eine Universalität noch eine eigentliche Notwendigkeit schaffen. Wenn man also findet, dass das Mittlere der universellen und notwendigen Synthese der Geometrie die räumliche Intuition ist, würde man dann nicht schließen müssen, dass diese selbst a priori ist? Und wenn der Rückgriff auf die räumliche Intuition die konkrete Erfahrung von verräumlichten Vorstellungen voraussetzt, wäre das nicht gerade deshalb, weil unsere konkrete Erfahrung selbst metempirische Elemente enthält und von Bedingungen a priori abhängt? In der Tat beruft der Geometer sich nicht auf die räumliche Intuition als einer empirischen Tatsache, sondern als einer Bedingung a priori für die Erfahrung.160 160 Wir haben weiter oben – Buch I, Kap. 5, §4 – gesagt, warum die räumliche Bedingung a priori eine reine Intuition genannt wird. Die geometrische Synthese, die sich darauf stützt, muss also, genau so wie die Synthese der Zahl, eine Synthese a priori sein. §2. – In den physikalischen Wissenschaften. 71 Wenn man von den exakten Wissenschaften (Mathematik) zu den Naturwissenschaften (zur Phyik) übergeht, wird man dort nach Kant in gleicher Weise synthetische Urteile a priori antreffen. Sie stellen dar (präsentieren) – hier wie woanders – diese Besonderheit: Eine letzte Grundlage für die anderen Urteile zu bieten. Denn sie drücken in Wahrheit die grundlegendsten Bedingungen der physikalischen Erfahrung aus. Welche sind also in der Physik diese synthetischen Prinzipien a priori? Man kann finden, dass nach der Auffassung unserer Zeitgenossen Kant dieses Mal eine weniger glückliche Hand bei der Wahl seiner Beispiele hatte. Offensichtlich ist er den mechanistischen, kartesianischen und anderen Kosmologien näher als wir und der physische Dynamismus von Newton erscheint ihm in einem so unberührbaren Glanz, dass er sich kaum veranlasst fühlt, davon die letzten Postulate zu kritisieren. Die zwei Beispiele von Synthesen in der Physik, die die Einleitung der Kritik der reinen Vernunft vorschlägt, sind entnommen aus den allgemeinen Prinzipien der theoretischen Physik: 1.) Konstanz der Stoffmenge, bei allen Veränderungen der körperlichen Welt; 2.) Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung bei allen Übertragungen der Bewegung. Man wird allgemein Kant zustimmen, dass diese Prinzipien nicht analytisch sind sondern eher synthetisch. Sind sie „a priori“? Sind sie sogar absolut sicher? Die Konstanz der „Stoffmenge“ und die „Erhaltung der Energie“ (anderer Ausdruck des zweiten Prinzips) kann man nach Belieben betrachten entweder 79 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 72 als gewagte Verallgemeinerungen der Erfahrung, dank einer Extrapolation, die kein rationales Prinzip in Strenge rechtfertigt oder als theoretischer Gesichtspunkt, aufgestellt als Hypothese und verifiziert gerade durch den Fortschritt der wissenschaftlichen Konstruktion, die dazu passt. Diese Prinzipien gehören viel mehr zur Methodik der Wissenschaften als zur objektiven Wissenschaft. Kant urteilt darüber anders. Vielleicht hätte er seine Meinung mehr nuanciert, wenn er ein Jahrhundert später gelebt hätte, im Kontakt mit einer schneidenderen und scharfsinnigeren Kritik der „Wissenschafts- Theorie“. Wir insistieren also nicht auf den zwei Beispielen, die von Kant aus der theoretischen Physik genommen wurden. Die Diskussion ihrer exakten Gültigkeit würde uns zu viel zu sehr ausgedehnten Entwicklungen ablenken.161 161 Bemerken wir nur dies, um soviel wie möglich der Philosophie, die wir analysieren, Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Wenn man gegen Kant einwenden kann, dass die Tragweite seiner zwei Beispiele anfechtbar ist, könnte er von seiner Seite her dem Einwand entkommen und sogar seine These wieder herstellen, indem er darlegt: 1.) dass „die Konstanz der Stoffmenge“ sich unmittelbar aus der „Dauer der Substanz“ ableitet und nur eine allgemeine Bedingung der Anwendung des Substanzbegriffs in der Welt der Physik ausdrückt. 2.) dass „die Gleichheit von Aktio und Reaktio in aller Bewegungs- Übertragung ausdrücklich eine inhärente Bedingung für die Anwendung des Kausalitätsbegriffs in den Grenzen der Körper-Welt übersetzt. 3.) dass die erste und zweite Konsequenz zweifellos voraussetzen, um gültig zu sein, dass die physikalische Welt uns als ein „abgeschlossenes System“ gegeben ist, aber dass genau diese allgemeine Bedingung sich a priori jeder unserer Erfahrungen der Natur als die Bedingung der Möglichkeit dieser Erfahrung auferlegt. Wenn es wahr wäre, dass Kant a priori die Dichtheit der physischen Natur als solcher erstellen konnte, gegen jede schöpferische oder modifizierende Intervention, sollte man vielleicht zugestehen, dass die zwei Prinzipien, auf die er sich beruft, universelle und notwendige Bedingungen unserer Erfahrung ausdrücken und also beruhen auf einer Synthese a priori, nämlich gerade die, die die Anwendung der Begriffe der Substanz und der Ursache auf Sinnes-Objekte beherrscht. Dieser Punkt kann erst geklärt werden nach einer kritischen Untersuchung der Funktionen des Verstandes in der Erfahrung (siehe unten Analytik der Prinzipien). §3. – In der Metaphysik. Die Metaphysik – was auch immer ihr Wahrheitswert wäre – stützt sich notwendigerweise definitionsgemäß auf Urteile a priori. Sind diese Urteile analytisch oder synthetisch? Wie sollten sie nicht synthetisch sein, fragt Kant, da sie doch Definitions gemäß „erweiternd“ sind? Für jemand, der weder intellektuelle Intuition zugibt (wir finden davon keine Spur in der inneren Erfahrung) noch nicht-sinnliche angeborene Ideen (die innere Analyse zeigt die sinnliche Herkunft aller unserer Ideen), könnte die Metaphysik sich nicht durch eine einfache analytische Auflösung unserer objektiven Wahrnehmungen konstituieren. Da diese uns immer Objekte der Erfahrung vorstellt, würde die objektive Analyse uns einsperren in den physischen Bereich. Wenn wir uns erheben über dieses Niveau, 80 Kap. 2 Die synthesis a priori 73 wäre dies also durch eine Tätigkeit, die unser unmittelbares begriffliches Guthaben übersteigt, anders gesagt durch eine Synthese, die den Synthesen der Erfahrung überlegen ist. Aber man muss das gut verstehen: die metaphysischen Sätze – wie die mathematischen Sätze, wie die notwendigen Urteile der Physik – sind empfänglich dafür, sekundär eine analytische Bedeutung zu empfangen. Nehmen wir ein Prinzip, das den metaphysischen Dogmatikern teuer ist „Alles kontingente Sein hat eine Ursache“ (Kritik der reinen Vernunft, transz. Analytik Buch II, Kap. 3. B.259. R.202. NB: Zu dieser ganzen Frage B. 250-251, 259; R. 777 -778). Versteht man unter „kontingentes Sein“ ein Sein, „dessen Existenz abhängig ist, das heißt, von außerhalb bedingt ist“? ein Sein „das nicht existieren könnte, es sei denn als Konsequenz von etwas anderen?“ Das Kausalitätsprinzip würde dann diese tautologische Gestalt annehmen: Jedes Kontingente (= jedes Sein, dessen Existenz von außerhalb bedingt ist), hat eine Ursache (= ist in dieser Hinsicht einer außerhalb befindlich Bedingung unterworfen). Kein Zweifel dass das so gesetzte Prinzip analytisch ist: „Wenn, schreibt Kant, eine Sache als kontingent zugegeben ist [im oben definierten Sinn], ist das ein analytischer Satz, zu sagen, dass sie dann eine Ursache hat“ (B. 251; R.778). Aber welchen Nutzen kann man von einem analytischen Satz dieser Art ziehen? Keinen. Denn wie weiß ich von einem beliebigen Objekt, ob „seine Existenz bedingt wird von Außerhalb?“ Die Erfahrung eines Objektes wird mir gut seine empirischen Ursachen zeigen, alles Vorausgehende, das es in der Zeit bestimmt. Aber ob es sich um eine metaphysische Ursache handelt, dazu werde ich das empirische Objekt vergeblich in sich selbst betrachten, nie wird die reine Analyse des Begriffs dieses Objektes es fertig bringen, dass aus ihr die metempirische Note der „Kontingenz“ oder der „kausalen Abhängigkeit“ herauskommt. Dennoch wird man sagen, dass beim Betrachten eines solchen oder solchen Objektes man wenigstens „begreifen“ kann, dass es nicht existiert hätte. Seine Existenz ist also nicht notwendig. Es ist kontingent. Diese Beweisführung erscheint zweifellos ein bisschen schnell. Von dem, dass ich die Nichtexistenz eines Objektes „begreifen, konzipieren“ könnte, folgt keineswegs, beobachtet Kant, dass diese Nichtexistenz in der wirklichen Ordnung möglich wäre. Die scheinbare logische Möglichkeit erlaubt nicht, unmittelbar auf die physische Möglichkeit zu schließen. „Ich konzipiere“ übersetzt sich nicht analytisch durch „das ist“, nicht mehr als der Satz „ich konzipiere nicht“ sich nicht analytisch übersetzt mit „das existiert nicht“. Aber, so kann man weiterfahren, dieses „Objekt“ ändert sich. Es kann also „sein und nicht sein“, ich stelle das fest. Zweifellos stellt man in diesem Objekt eine Aufeinanderfolge von Modalitäten fest. Aber stellt man unmittelbar das Verschwinden oder die Veränderung ihres substantiellen Prinzips fest?.. Ge- 81 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 74 hen wir weiter: Nehmen wir an, dass man hintereinander die Existenz und die Nichtexistenz des ontologischen Objektes feststellt. Kann man durch die einfache Analyse aus dem Begriff „sukzessive Möglichkeit von Existenz und Nichtexistenz“ diesen anderen Begriff: „Kontingenz, Abhängigkeit von einer Ursache“ entnehmen? Dass, wenn diese zwei Begriffe gegeben sind, man behaupten wird, nicht nur dass der eine vom anderen gefordert würde, (dies wird nicht bestritten), sondern dass er im anderen eingeschlossen wäre, derart dass der eine nur einen partiellen Aspekt des anderen darstellt?162 162 Siehe die „Bemerkungen“ von Kant zur These zur vierten Antinomie“. Kurzum, die begrifflichen Gegebenheiten, die direkt durch die Erfahrung geliefert werden, enthalten weder die Note: Kontingenz noch die Note: Abhängigkeit von einer Ursache. Wenn man nicht anders kann, als ihnen trotzdem diese zwei Noten zuzuteilen, kann dies nur kraft einer Synthese a priori geschehen. Es ist also notwendig, daraus zu schließen, dass die Metaphysik, wie die Mathematik, wie wahrscheinlich auch die Physik, unter ihren Prinzipien „synthetische Urteile a priori“ geltend macht. Dieser schon im Voraus gemachten Schlussfolgerung Kants – schon vor jeder Prüfung der Grundlage der „Kritik“ – fehlt nicht eine gewisse Bedeutung. Denn die Verkennung der Synthese a priori in der Metaphysik, hatte in der Tat die unmittelbaren Vorgänger Kants zu ärgerlichem Konsequenzen verführt. Einerseits der Anspruch der dogmatischen Philosophien und insbesondere der wolffschen Philosophie, alle Gewissheit a priori auf den analytischen Typ zurückzuführen, führte zu den Widersprüchen und zu den Äußerungen von Willkür, die den Kredit der Metaphysik ruinierten. Auf der anderen Seite hat die empiristische Reaktion von Hume, indem sie die Nichtigkeit der analytischen Metaphysiken entlarvte und damit so das Prinzip der Synthese der Ideen opferte, den apriorischen Charakter dieser Synthese verkannt und war damit dem skeptischen Phänomenalismus verfallen. Hätte vielleicht die Anerkennung einer Synthese a priori in den allgemeinsten Prinzipien der Metaphysik erlaubt, die Felsklippen zu vermeiden, auf die die Dogmatiker und Empiristen aufgeprallt sind? Schon zeichnet sich die Absicht der Kritik ab: „Das tatsächliche Problem der reinen Vernunft, sagt Kant, ist in dieser Frage eingeschlossen: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? (Kritik der reinen Vernunft Einleitung. VI. B. 49; R.705) 82 Kap. 2 Die synthesis a priori §4. – Der reine Gebrauch der Vernunft in den Wissenschaften („reine Wissenschaften“). 75 Wir werden versuchen, immer Kant folgend, dem der Kritik eigentümlichen Objekt einen anderen Ausdruck zu geben, dem synthetischen Urteile a priori, in einer Weise, die die Universalität dieses Objekts und die Natur des Problems, vor das sie uns stellt, besser evident macht. Gehen wir von einer Feststellung aus, die wir für gesichert halten können: die Nicht-Existenz in uns von angeborenen Ideen, oder wenn man will, die sinnliche Herkunft der Materie unserer Erkenntnisse. „Nihil est in intellectu quod non prius fuerit in sensu = nichts ist im Intellekt, das nicht vorher in der Sinneserkenntnis war“. Von daher sind beim Aufbau der Wissenschaften die ersten formulierten Sätze notwendigerweise auf verschiedene Objekte bezogen, die durch die Sinneswahrnehmung vorgelegt sind oder, mit anderen Worten, bezogen sind auf ein „empirisch Gegebenes“. Dieses Gegebene wird ausgearbeitet gewesen sein im Denken nicht nur durch Anwendung des analytischen Gesetzes der Identität, sondern durch „Synthese a priori“, das heißt, durch Auferlegung eines Systems von Beziehungen a priori auf die gegebene Vielfalt. So werden sich konstituiert haben unter verschiedenen formalen metempirischen Aspekten „Wissenschaften“ von empirischen Daten (Gegebenen). Offensichtlich hängt in diesen direkt experimentellen Wissenschaften die Verschiedenheit der Objekte und der Gesetze von zwei Ursachen ab: zuerst von der Verschiedenheit selbst des empirisch Gegebenen, und danach von der Verschiedenheit der den Gegebenen auferlegten Beziehungen a priori. So lange wie im System der wissenschaftlichen Sätze die erste Verschiedenheit weiter besteht, nämlich die des empirisch Gegebenen, bleiben die Wissenschaften experimentell. Aber man kann, indem man die experimentellen Urteile reflex betrachtet, die Verschiedenheit der empirischen Daten abstrahieren und sie so zurückbringen auf etwas, was nur noch ein „Gegebenes im Allgemeinen“ ist, und so die andere Verschiedenheit isolieren, nämlich die der synthetischen Relationen a priori. Ein System von Beziehungen a priori, durch Abstraktion befreit von aller empirischen Verschiedenheit heißt, in der Terminologie von Kant, eine reine Wissenschaft. „Eine Erkenntnis wird absolut rein genannt, wenn keine Erfahrung oder keine Sinnlichkeit sich mit ihr vermischt und die infolgedessen ganz und gar a priori möglich ist“. (Krit. der reinen Vernunft Einleitung zur ersten Auflage B. 53, Note. – R.24) Eine „reine Wissenschaft“ erklärt die Gesamtheit der „Bestimmungen a priori“, die die empirischen Gegebenheiten bestimmen. Sie drückt unter der reinsten Form, die uns möglich ist, das synthetische Element a priori unserer Urteile aus. Gleichfalls, da wir synthetischen Urteilen a priori begegnet sind 83 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 76 selbst an der Basis der Mathematik, der Physik und der Metaphysik, müssen wir damit rechnen oder voraussehen die mögliche Bildung genauso vieler reiner Wissenschaften. Tatsächlich gibt es mehrere dieser reinen Wissenschaften. Es gibt eine reine Wissenschaft der Quantität, die reine Mathematik. Es gibt eine reine Wissenschaft des Raumes, die Geometrie. Geben wir Kant gegenüber zu, dass es wenigstens in den Anfängen eine reine Physik gibt. Hinsichtlich der Metaphysik, die ihrer Definition nach metempirisch ist, so kann sie nur eine reine Wissenschaft sein. Diese verschiedenen Wissenschaften schöpfen das Apriori der menschlichen Erkenntnis aus. Mit anderen Worten, sie teilen den ganzen Bereich der „reinen Vernunft“ unter sich auf. Die Frage kann sich also in der Kritik nicht stellen nach dem Wissen, ob „ein reiner Gebrauch der Vernunft“ möglich ist, ob die Bildung von reinen Wissenschaften möglich ist. Sie existieren, was die Frage der Möglichkeit abschneidet. „Da diese Wissenschaften wirklich bestehen, empfiehlt es sich (nur), sich zu fragen, wie sie möglich sind. Dass sie möglich sind, das wird durch ihre Wirklichkeit selbst bewiesen“. (Op. cit. Einleitung VI. B 50; R. 706-707, Suppl. VI) Dennoch drängt sich hier Kant eine Unterscheidung auf. Die reine Mathematik und die reine Physik haben als Objekt die apriorischen Formen der Verbindung der empirischen Daten unter einander. Dies ist genau die Union dieser Formen a priori mit den ursprünglichen Daten der Sensibilität, die die Erfahrung möglich macht. Diese Wissenschaften entlehnen also eine spezielle Gültigkeit der Tatsache, dass sie den formalen Aspekt der Erfahrung selbst ausdrücken, von dieser Erfahrung durch welche wir in uns die Objekte der Erkenntnis konstituieren. Damit verhält es sich in der Metaphysik anders. Die Metaphysik besteht als „Tatsache“ in dem Sinn, dass wir dazu fähig sind, metaphysische Sätze zu formulieren. Aber mit welchem Recht machen wir das? Denn nach Kant empfangen die metaphysischen Sätze keineswegs die Weihe der Erfahrung. Sie übersetzen gar nicht selbst die Form der Erfahrung, das heißt, die Form, die die „Objekte“ konstituiert (Form als konstitutives Element des Objekts). Sie nehmen den Geist darüber hinaus mit, unwiderstehlich sicher aber vielleicht trügerisch. Auf die reine Mathematik und die reine Physik zu verzichten, dies würde gleichbedeutend damit sein, auf alles „objektive“ Denken zu verzichten. Auch diese reinen Erkenntnisse unlösbar verknüpft mit dem „Wissen“, drängen sich uns auf nicht nur als psychologische Tatsachen, sondern als spekulative Werte, nicht nur als natürliche Dispositionen unseres Geistes oder als subjektive Notwendigkeiten, sondern wie Wissenschaften im eigentlichen Sinn oder wie Notwendigkeiten des Objekts. Während die Metaphysik, wenn sie sich uns als natürliche Disposition aufdrängt, sich nicht notwendigerweise als ein Wert 84 Kap.3 Die kritische Methode 77 78 des Wissens, als eine Wissenschaft auferlegt. Ich kann in der Tat nach Kant meine Zustimmung zum Objekt der Metaphysik verweigern, ohne deshalb auf jedes objektive Denken zu verzichten. Das Kernproblem der Kritik muss von daher sich wie folgt ausdrücken: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ das heißt: „Wie ist eine reine Mathematik möglich [als Wissenschaft]“? „Wie ist eine reine Physik möglich [als Wissenschaft]“? „Wie ist die Metaphysik möglich, wenigstens als natürliche Disposition?“ (Krit. rein. Vernunft Introd. VI B. 49, 50, 51. R. 706-707. Suppl. VI) Wir werden die Wichtigkeit sehen, die den vorangehenden Erwägungen zukommt, bei der Rechtfertigung des fundamentalsten Verfahrens der kritischen Methode: der transzendentalen Analyse. KAPITEL 3. Die kritische Methode. §1. – Das „Objekt als Erscheinung (als Phänomen)“ Um eine Kritik der Vernunft einzuführen, muss man sich einen Ausgangspunkt geben, der nicht nur unbestritten ist sondern unanfechtbar. Nun aber vereinigt ein einziger Startpunkt gleichzeitig diese Bedingung der Tatsache und diese Bedingung der Berechtigung: der objektive Inhalt des Bewusstseins in sich selbst betrachtet, nach Abstraktion seiner innigen Verbindung mit einem psychologischen Subjekt und seines stellvertretenden Wertes bezüglich eines ontologischen Objekts. Mit anderen Worten der Bewusstseinsinhalt betrachtet als Objekt als Erscheinung Objekt als Phänomen. Dies kann im Prinzip keine Schwierigkeit machen: denn die allererste Voraussetzung einer Kritik ist evidenter Weise ein Material, an dem sie sich entfaltet. Registrieren wir also als erstes unanfechtbares Element, oder als unmittelbare Gegebenheit einer kritischen Theorie die „objektive Erkenntnis“ – die „ratio objectiva“ der Scholastiker – befreit von jeder ontologischen Aussage, das heißt „das objektiv bewusste Phänomen“. Von der „Erkenntnis des Objekts als Phänomen“ auszugehen, heißt das, von einem subjektiven Standpunkt ausgehen? Keineswegs. Dies heißt nur, von der metaphysischen Unterscheidung von Subjekt und Objekt zu abstrahieren. Mir beim ersten Anlauf die Erkenntnis als objektive im ontologischen Sinn dieses Wortes zu geben, oder im Gegenteil als subjektive, das wäre die Lösungen, die ich von der Kritik erwarte, schon von meinem Ansatzpunkt her vorzuentscheiden. Dies wäre, die dogmatische Haltung zu adoptieren. 85 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 79 Kann mein Vorbehalt als Skeptizismus betrachtet werden? Noch weniger meine methodische Erwartung impliziert noch nicht einmal einen provisorischen Zweifel, sondern einfach eine gewollte Abstraktion gewisser Probleme. Ich versetze mich in die Situation eines Untersuchungsrichters, der eine verwirrte Angelegenheit aufhellen muss und sich die Muße nimmt, die Schriftstücke des Dossiers zu prüfen. Da ich wünsche, mich mit Vorbedacht über die Gültigkeit meiner Erkenntnisse auszusprechen, fange ich damit an, sie in sich selbst zu betrachten und sie zu inventarisieren. Was könnte natürlicher sein? - Nichtsdestoweniger hätte jedoch Kant hinzufügen können, so natürlich und legitim diese Anfangs-Haltung auch wäre, sie ist nicht leicht ohne Versagen durch zu halten. Die Sprache, die ganz objektivistisch und realistisch ist, stellt uns Fallen bei jedem Schritt. Und die Erfahrung hat gezeigt, wie sehr die Leser gerade der „Kritik“ geneigt sind, die Sätze in einem metaphysischen und absoluten Sinn zu verstehen, die nur in einem klärenden (precisisierenden) und relativen Sinn ausgesagt sind. Treffen wir also ein für allemal mit Kant das Übereinkommen: bis auf weiteres werden wir „Phänomene“ des Bewusstseins analysieren, nichts mehr; der Augenblick wird kommen, wo wir ausdrücklich „das Ding an sich“ dem „Phänomen“ gegenüber stellen. Welche Behandlung erfahren die „Bewusstseinsinhalte“, der Stoff (die Materie) der Kritik? §2. – „Transzendentale Reflexion“ und „transzendentale Deduktion“. Kant verdankt zweifellos dem Einfluss von Leibniz, und insbesondere von dem der „Nouveaux Essais“, dass er sich vor einem Fehler in der Methode gehütet hat, dem alle Empiristen gemeinsam verfallen waren. Man erinnert sich, dass Hume, der eine Kritik der rationalen Erkenntnis machen wollte, angefangen hatte, die Ideen – oder ganz allgemein die Inhalte des Bewusstseins – in ihre belanglosen, unbedeutenden empirischen Elemente aufzulösen, und die vielerlei Sinneswahrnehmungen behandelte, als ob sie isoliert genauso viele ursprüngliche Objekte unseres Bewusstsein wären. Von ihnen wie den einzigen legitimen Ansatzpunkten ausgehend, fand er sich stark behindert, „objektiv“ die „Verbindungen“ zu rechtfertigen, die offensichtlich zwischen diesen Elementen bestehen. Wir haben im Heft II den ärgerlichen Einfluss der Verwirrung gezeigt, den Hume machte zwischen der klärenden (precisiven) Abstraktion und der objektiven Zerlegung. Kant, der das empiristische Vorurteil nicht teilte, glaubte nicht ohne Grund, dass die einzigen möglichen unmittelbaren Daten an der Schwelle einer Kritik 86 Kap.3 Die kritische Methode 80 die „Bewusstseinsinhalte“ waren, so wie sie sich darstellen, in der Integrität ihrer Teile, mit ihrer Einheit so gut wie mit ihrer Verschiedenheit. Mit welchem Recht, in der Tat, könnte man schon von Anfang an gewisse unanfechtbare Aspekte der inneren Erfahrung verbannen oder für nicht gangbar halten? Die empiristische Haltung ist zumindest willkürlich. In der Tat ergibt sich von dem her, dass eine Vielheit verschiedener empirischer Elemente sich gemeinschaftlich in meinem Bewusstsein objektiviert, dass jedes Element dieser Verschiedenheit sich dort isoliert objektivieren könnte? Wäre es unmöglich, dass die Qualität „Objekt der Erkenntnis“ zu sein, verbunden wäre zum Beispiel nicht nur mit den empirischen Elementen in sich selbst genommen sondern an die Bedingung einer Einheit, die sie dadurch erzeugt (einschließt), dass sie sie gruppiert? Eine Kritik kann nichts willkürlich vorverurteilen. Wie muss sie vorgehen? Durch Analyse der Bewusstseinsinhalte evidenter Weise, aber durch eine Analyse die die natürlichen Beziehungen der Elemente berücksichtigt, die sie als Analyse trennt. Denn es gibt Analyse und Analyse. Die gewöhnliche Analyse der Logiker (op. cit. Transz. Analyt. 1. B. 109; R.67) ist völlig legitim, da sie „darin besteht, die Begriffe zu zerlegen in ihre konstitutiven Noten und zwar, um sie zu klären“ (Ebenda).). Aber, fügt Kant hinzu, sie antwortet nicht auf das Ziel einer Kritik der reinen Vernunft. Aller höchstens kann sie dazu dienen, die Erkenntnisobjekte zu vergleichen und einzustufen unter der rein eliminierenden Norm des logischen Widerspruchs. Außer des analytischen Verfahrens der klassischen Logik gibt es eine andere Analyse, die nicht mehr darin besteht, Objekte zu sortieren oder objektive „Noten“ zu unterscheiden, sondern die vordringt bis zur Entstehung selbst, das heißt bis zur inneren Bedingung der Möglichkeit des Objekts des Denkens, in so weit es Objekt ist. Diese zweite Art der Analyse entspricht dem zentralen Problem der Kritik, so wie es sich formulierte schon seit 1772: „Wie sind Vorstellungen möglich unter dem Titel des Objekts?“ oder noch anders, wie es später in den Prolegomena ausgedrückt wird: „Wie sind Erkenntnisse, (das heißt eigentliche Erkenntnisse, objektive Vorstellungen), synthetisch a priori möglich? "(Proleg. Edit. Rosenkranz, p.31). Wiederholen wir es: Man fragt sich nicht, ob sie möglich sind, da ihre Existenz uns gegeben ist; man fragt sich, wie sie möglich sind „um in Stand gesetzt zu werden, zu definieren, gerade durch die Prinzipien ihrer Möglichkeit, die Bedingungen, das Ausmaß und die Grenzsteine ihres Gebrauchs“. (op. cit. p.28.) Die der kritischen Aufgabe angepasste Analyse muss also die „Prinzipien der Möglichkeit“ der objektiven Erkenntnis liefern, das heißt die Prinzipien, die den partikulären Erkenntnissen, die sie innerlich bestimmen, logisch voraus liegen. Sie isoliert vor dem Geist das System der „Bedingungen a priori“, die im 87 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 81 Objekt dem „bestimmbaren“ Element gegenübersteht, das rein „gegeben“ ist. Sie bringt an den Tag die Struktur des Objekts, insofern es Objekt ist. Jede Analyse löst eine Synthese auf. Diese Analyse löst die „objektive Synthese“ auf in die sich ergänzenden, materialen und formalen Elemente, die sie als solche konstituieren. Die Analyse vollzieht sich so von einem Gesichtspunkt, der nicht mehr der „objektive“ Gesichtspunkt der metaphysischen Zerlegung ist, sondern der Terminologie Kants zufolge, der „transzendentale“ Gesichtspunkt der kritischen Reflexion.163 163 Sein unmittelbares Resultat begründen die “transzendentale Analytik“, Teil der „transzendentalen Logik“. (Vgl. Kritik der reinen Vernunft. Transzendentale Logik. Einführung II, III. IV - und I. Transzendentale Analytik. B. 97-109; R. 59-66) Aus sprachlicher Bequemlichkeit – und aus anderen Gründen, die man erst später wahrnehmen wird – möchten wir hier das hier in Frage stehende Analyse-Verfahren, durch einen elliptischen Ausdruck bezeichnen, inspiriert vom kantschen Vokabular, obwohl er von Kant formal nicht benutzt wurde: die transzendentale Analyse (vergleiche in der Kritik die „transzendentale Analytik“, die „transzendentale Reflexion“..). In unserer Absicht stellt das Adjektiv „transzendental“ diese Analyse der empirischen Analyse gegenüber, die das durch die Sinne „Gegebene“ auflöst, und der gewöhnlichen logischen Analyse – nennen wir sie: die objektive Analyse – die im Objekt Noten oder Attribute unterscheidet. Um die Anwendungen der kritischen Analyse zu verstehen, denen wir begegnen, ist es unerlässlich, den Sinn klar festzusetzen, den unter der Feder von Kant, das Wort: „transzendental“ annimmt,. Der „Begriff transzendental“ ist absolut „charakteristisch für die Philosophie Kants“ 164 ; 164 H. Cohen. Kommentar zu Imm. Kants Kritik der reinen Vernunft. 2. Aufl. Leipzig,1907. (Philosophische Biblioth. Band 113) p.18. Er gibt den Schlüssel dazu. Ohne ihn bleibt die Kantsche Lehre unverständlich. Obwohl dieser Begriff bei Kant nicht immer einen vollkommen identischen Sinn hatte, beziehen sich die partikulären Nuancen, die er in den verschiedenen Zusammenhängen annimmt, auf eine gleiche fundamentale Bedeutung – die einzige, die uns momentan interessiert. Die Idee vom Transzendentalen ist, wie man sich wohl denken kann, verbunden mit dem der Apriorität. So lange das Apriori für Kant sich mit dem wolffschen Intelligiblen zu verschmelzen schien, fiel das Transzendentale zusammen mit dem Transzendenten (oder dem metempirischen Objekt) „Die Bestimmung eines Dings seinem Wesen nach als Ding ist transzendental“. (Reflexionen, Edit. B. Erdmann, Band II. n0 179, p.54. N. B. Gleiche Definition bei Baumgarten, dessen Handbuch der Metaphysik Kant so lange als Textbuch diente.) Oder auch: Die transzendentalen Eigenschaften der 88 Kap.3 Die kritische Methode 82 Dinge sind die, die wesentlich verbunden sind mit dem Begriff einer Sache im Allgemeinen. (Ebenda. n0 180). „Die [Philosophia] rationalis zieht entweder ihre Objekte nicht aus der Erfahrung und sie heißt darum transcendentalis, oder sie zieht offen gestanden ihre Objekte aus der Erfahrung, aber ihre Prinzipien aus der Vernunft, und sie heißt darum Metaphysik“ (Ebenda. n0 80, p.26) Doch schon seit dieser vor-kritischen Periode fängt die Differenz zwischen dem Transzendenten und dem Transzendentalen an, wenn auch nicht material, so wenigstens formal, sich zu zeigen. Die transzendente Betrachtung ist die, die das metaphysische Objekt anvisiert in sich und in seinen Wirkungen. Die transzendentale Betrachtung ist die eines – beliebigen – Objektes betrachtet in seiner Abhängigkeit bezogen auf seine wesentlichen Bedingungen der Möglichkeit. (Ebenda. n0 181.) Die eine und die andere Erwägung betrifft hier noch das ontologische Wesen. Aber der erste Teil des Wesens führt den zweiten Teil dahin, was eine andere Aussage Kants schon vor der Kritik erklärt: das Transzendentale führt hin zum Transzendierenden, (wie die „Möglichkeit“ das „Wesen“ vorbestimmt.) Wenn man der besonderen Nuance Rechnung trägt, die wir gerade unterstrichen haben, dass die Qualität des „Transzendentalen“ also in Strenge weder einem schon konstituierten Objekt zukommt noch objektiven Eigenschaften: das Transzendentale wird vielmehr ausgesagt entweder von einer rational aufsteigenden Methode, die die Bedingungen der Möglichkeit eines Objekts postuliert, oder von dieser Möglichkeit in ihr selbst, oder der Erkenntnis des Objekts entsprechend seiner Bedingungen der Möglichkeit. Von „Bedingungen der Möglichkeit“ zu sprechen, oder von „Bestimmungen a priori“ des Objekts im Denken heißt jede kontingente Gegebenheit auszuschließen aus dem Gesichtspunkt, den man abgrenzt. Und das heißt also dasselbe von den Eigenschaften des erkennenden Subjekts, insofern es so beschaffen ist, fest zu legen, das heißt des Subjekts soweit es sein immanentes Objekt aktiv bestimmt. So kann Kant schreiben: „In der transzendentalen Wissenschaft muss alles vom Subjekt erborgt werden.“ (Reflexionen, n0 100, p.32) „die transzendentale Philosophie betrachtet nicht die Objekte sondern den menschlichen Geist, entsprechend den immanenten Quellen seiner Erkenntnisse a priori und entsprechend seinen Grenzen“. (Ebenda. n0 139, p.42.) Infolgedessen ist die Wissenschaft transzendental, die man vom Subjekt hat, insofern es a priori das Objekt bestimmt. Es ist auch transzendental das Subjekt nicht zufolge seiner metaphysischen Realität, sondern, genauer bestimmend, als innere Bedingung der Möglichkeit des erkannten Objekts. In Wahrheit, wenn das Subjekt das gedachte Objekt bestimmte, nicht nur hinsichtlich der Form, sondern hinsichtlich des Inhaltes, würde die transzendentale Betrachung des Subjekts allein entsprechend seinen Bestimmungen a 89 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 83 priori ausreichen, das intelligible Objekt zu definieren (Sichtweise von 1770). Das Transzendentale hätte direkt zum Transzendenten geführt. Aber wenn man im Gegenteil zugeben muss, wie es Kant von 1772 an tat, dass das Apriori des Subjekts rein formal und funktional ist und von sich her überhaupt keinen vorstellbaren Inhalt hat, beschränkt sich die Gültigkeit des Transzendentalen. Das Transzendentale bezeichnet von sich aus nicht mehr als das Subjekt als reine Funktion der apriorischen Bestimmung eines fremden Inhalts. Und da, wegen des Fehlens des transzendenten Objekts, es in dieser Hypothese keine andere mögliche Metaphysik mehr gäbe als ein transzendentales System „reiner Erkenntnisse a priori“ ohne jeglichen intelligiblen Inhalt, versteht man diese Überlegung Kants: „Die Metaphysik ist eine Wissenschaft der Gesetze der menschlichen reinen Vernunft und sie ist also subjektiv“. (Reflexionen n0 106, p.34. Man darf im Übrigen nicht vergessen dass „subjektiv“ hier nicht im ontologischen Sinn genommen ist, sondern im kritischen Sinn, das heißt, um das zu bezeichnen, was zu den Bedingungen a priori gehört, die das bewusste Objekt bestimmen.) Dieser letzte Gesichtspunkt, der das „Transzendentale“ einschränkt darauf, die Funktion a priori des erkennenden Subjekts auszudrücken, ist evidenterweise der Gesichtspunkt, von dem her die Definitionen dieses Fachausdruckes betrachtet werden müssen, der durch Kant selbst gegeben wird, nachdem er zum vollen Besitz seiner Methode gekommen war. Um unsere vorläufigen Bemerkungen nicht über das streng Notwendige hinaus auszudehnen, stellen wir uns damit zufrieden, die zwei Stellen aus der Kritik der reinen Vernunft, die den Sinn des Wortes „transzendental“ am nächsten ausdrücken, zu übertragen und mit einem Wort der Erklärung zu versehen. [Rückübersetzung aus Fran[original Kant] „Ich nenne zös.] „Ich nenne transzendental, alle Erkenntnis transzendental die schreibt Kant in der ersten Ausgabe der sich nicht sowohl mit GegenstänKritik, alle Erkenntnis, die sich, nicht ge- den sondern mit unsern Begriffen a nau mit den Objekten, beschäftigt, son- priori von Gegenständen überhaupt dern mit unseren Begriffen a priori der beschäftigt.“ (Kritik der reinen Objekte im Allgemeinen“. (Kritik der Vernunft. Edit Meiner. A. 11-12; reinen Vernunft. 1. Aufl. B. 54; S 55. krva Einleitung, von dem UnR.25.) terschiede ...) Die zweite Auflage greift diese Definition auf und ergänzt sie, indem sie den subjektiven Charakter des „Transzendentalen“ unterstreicht: „Ich nenne alle Erkenntni transzendental, die sich beschäftigt, nicht genau mit den die sich nicht sowohl mit GegenstänObjekten, sondern mit unserer Weise, die den, sondern mit unserer ErkenntObjekte zu erkennen, insofern diese Er- nisart von Gegenständen, insofern kenntnis a priori möglich ist“. (2. Aufla- diese a priori möglich sein soll, überge B.54.) haupt beschäftigt. „ ( Meinert B25) 90 Kap.3 Die kritische Methode 84 An einer zweiten Stelle – einem sehr gewundenen Satz – präzisiert Kant noch die Tragweite des „Transzendentalen“. Wir übersetzen möglichst wörtlich: Und hier mache ich eine Anmer„Hier werde ich eine Bemerkung machen, kung, die ihren Einfluß auf alle nachdie für alle weiteren Entwicklungen von folgenden Betrachtungen erstreckt, Bedeutung ist und niemals aus dem Blick und die man wohl vor Augen haverloren werden darf: man muss wissen. ben muß, nämlich: daß nicht eidass man nicht jede Erkenntnis a priori ne jede Erkenntnis a priori, sonohne Unterschied transzendental nennen dern nur die, dadurch wir erkenkann, sondern nur jene, durch welche nen, daß und wie gewisse Vorstelwir wahrnehmen, dass (und wie) gelungen (Anschauungen oder Begrifwisse Vorstellungen (Intuitionen oder Befe) lediglich a priori angewandt wergriffe) rein a priori benutzt werden oder den, oder möglich sind, transzendenmöglich sind – ich verstehe: die Mögtal (d. i. die Möglichkeit der Erlichkeit der Erkenntnis oder ihr Gebrauch kenntnis oder der Gebrauch dersela priori. Auch weder der Raum noch ben a priori) heißen müsse. Daher irgendeine geometrische Bestimmung a ist weder der Raum, noch irgendeine priori von diesem konstituieren eine trangeometrische Bestimmung desselben szendentale Vorstellung. Transzendena priori eine transzendentale Vorsteltal können nur die Erkenntnis genannt lung, sondern nur die Erkenntnis, werden, wenn diese (?) Vorstellungen daß diese Vorstellungen gar nicht nicht von empirischer Herkunft sind und empirischen Ursprungs sind, und die die Möglichkeit selbst kraft derer sie sie Möglichkeit, wie sie sich gleichwohl nichtsdestoweniger a priori fähig sind, a priori auf Gegenstände der Ersich auf Objekte der Erfahrung zu befahrung beziehen könne, kann tranziehen. Ebenso würde die Anwendung szendental heißen. Imgleichen würdes Raumbegriffs auf Objekte im Allgede der Gebrauch des Raumes von meinen transzendental sein, [weil sie imGegenständen überhaupt auch tranplizieren würde das Bewusstsein des Geszendental sein: aber ist er ledigbrauchs a priori des Begriffs des Raumlich auf Gegenstände der Sinne eines]. Aber begrenzt auf Objekte der Singeschränkt, so heißt er empirisch. ne, heiße diese Anwendung empirisch. Der Unterschied des TranszendentaDie Unterscheidung des Transzendenlen und Empirischen gehört also nur talen und des Empirischen betrachtet zur Kritik der Erkenntnisse, und bealso nur die Kritik der Erkenntnisse und trifft nicht die Beziehung derselben nicht die Beziehung derselben zum Obauf ihren Gegenstand. Edition Meijekt“. (B. 97-98; R. 59 -60.) ner B80 (S.98) Wiederholen wir die gleiche Sache in einfacheren Ausdrücken. Das „Transzendentale“ gehört zum Bereich des Apriorischen. Es ist das Apriorische als Eigentümlichkeit des erkennenden Subjekts in dem Maße wie dieses seine Erkenntnisse innerlich bestimmt und dafür also eine Bedingung der Möglichkeit konstituiert (begründet). „Quidquid cognoscitur, cognoscitur se- 91 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 85 cundum modum cognoscentis“ (= Was erkannt wird wird auf die Weise des Erkennenden erkannt). Andererseits muss man bemerken, dass das Apriori des Subjekts, absolut unerlässliche Bedingung jeder Erkenntnis, nicht die Objektivität dieser Erkenntnis definiert. Auch zu sagen von einem Element des Bewusstseins, dass es transzendental ist, ist nicht gleichbedeutend damit die aktuelle Beziehung dieses Elements zu einer entsprechenden objektiven Realität zu behaupten. Von daher hat das Wort „transzendental“ der Erklärung Kants selbst zufolge, zwei ursprüngliche Attribute, denen sich alle abgeleiteten oder ähnlich lautenden Attribute anschließen werden: man nennt „transzendental“ 1.) die Bedingung a priori der Möglichkeit einer Erkenntnis, das heißt das Subjekt, als a priorische Bestimmung des Objekts. 2.) die Erkenntnis dieser Bedingung a priori der Möglichkeit, das heißt das Bewusstsein, dass das Subjekt von sich selbst nimmt als Bestimmung a priori vom Objekt oder die erworbene Erkenntnis des Objekts als a priori bestimmt durch das Subjekt. Man sieht leicht, dass die kritische Analyse, die auf die Frage antworten muss: „Wie sind Vorstellungen als Objekt möglich?“ – ode spezieller „Wie sind Erkenntnisse a priori möglich?“ – kann nur eine „transzendentale“ Analyse sein, das heißt, eine Analyse des Objekts unter dem transzendentalen Gesichtspunkt. Und man ahnt auch, dass diese transzendentale Analyse des Gedankenobjekts sich auf mehrere Arten machen lässt: a) Durch eine unmittelbare Reflexion, die die vereinheitlichenden und notwendigen Formen vom empirischen und vom Bewusstsein verschiedenen Inhalt abtrennt, die damit verbunden sind. Wenn wir „Fähigkeit“ nennen, ohne jeden Anspruch dadurch eine metaphysische Entität zu definieren, die Kapazität, die wir haben, als erkennendes Subjekt unter solchen oder solchen Bedingungen a priori eine gegebene Vielheit zu ergreifen, werden wir mit Kant sagen, dass die Reflexion (die er dann „transzendental“ nennt) uns „das Bewusstsein der Beziehung eines Gegebenen repräsentativ für unsere verschiedenen Fähigkeiten, für unsere verschiedenen Erkenntnisquellen“ verschafft, mit anderen Worten für die verschiedenen „Möglichkeiten“ oder „Bedingungen a priori“ von denen die hierarchisch geordnete Gesamtheit unsere erkennende Subjektivität darstellt (konstituiert). (Kritik, Transzend. Analytik. Anhang. B. 272; R.241). Die reflexe Analyse erlaubt uns buchstäblich, das ganze Gerüst unserer Fakultäten abzubauen, und nur die Bestandteile unter unseren Augen spielen zu lassen. (op. cit. B. 109 und 272; R. 67 und 214). Sie liefert einen „transzendentalen Beweis“ dieses Gerüsts von Bedingungen a priori, durch die einfache „Erklärung“ eines im Bewusstsein anwesenden „Begriffes“.165 165 Kant, in seiner ersten Serie von Beweisen zugunsten der Apriorität des Raumes (Kritik, 2.Auflage „transzendentale Ästhetik“) nennt „die Erklärung des Begriffs des Raums“ : „metaphysische Erörterung“ (Metaphysische Erklärung). Diese Bezeichnung mit „Meta- 92 Kap.3 Die kritische Methode physik“ hat viel Tinte fließen lassen bei den Kommentatoren. Wir können hier nicht in ihre Diskussionen eintreten (Siehe Vaihinger. Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Band II, 1892, p. 151 ff.). Bemerken wir nur, dass „transzendental“ „metaphysisch“ nicht ausschließt (auch wenn es nicht „metaphysisches Objekt“ bedeutet), und wenn die “metaphysische Erklärung des Raumes“, bemerkenswerter Teil der „transzendentalen Ästhetik“ den Wert „eines transzendentalen Beweises“ des Raumes als a priorische Form der Sensibilität besitzt. Für die Konzeption, die Kant sich macht unter dem kritischen Gesichtspunkt, von der Beziehung zwischen dem „Metaphysischen“ und dem „Transzendentalen“, ist es nicht ohne Interesse, den „Reflexionen“ zu folgen. 129-131 und 140 (B. Erdmann op. cit. II.). 86 b) Durch eine rationale Deduktion. Während die – transzendentale – „Reflexion“ das Apriori einer Erkenntnis feststellt, schlussfolgert die „Deduktion“ ihre Bedingungen der Möglichkeit. Nun aber können diese Bedingungen der Möglichkeit abgeleitet werden, entweder indem man sich stützt auf die Betrachtung des Subjekts (kritisch), das heißt auf die gegenseitigen Bedingtheiten der erkennenden Fakultäten, oder indem man sich ausschließlicher bei der Betrachtung des Objekts und seiner rationalen inneren Möglichkeit aufhält (s’arretant). Man macht also im ersten Fall „eine subjektive transzendentale Deduktion“, im zweiten Fall, eine „objektive transzendentale Deduktion“. Der summarische Hinweis, auf den wir uns hier beschränken, muss vervollständigt werden, wenn wir in der Kritik selbst auf die Anwendung dieser doppelten Deduktion stoßen werden. (Siehe insbesondere die Bemerkung, die wir nach der „transzendentalen Deduktion der Kategorien“ einfügen.) Wir werden es vorläufig vermeiden, ein festes Urteil zu fällen über die Gültigkeit der „transzendentalen Reflexion“ und der „transzendentalen Deduktion“. Ja wir halten es für besser, unsere endgültige Einschätzung der kritischen Methoden hinauszuschieben bis nach der Prüfung der großen idealistischen Systeme, die sich darauf zu Recht oder Unrecht berufen. Wenn man jedoch hier trotzdem eine einführende Frage über die Legitimität der transzendentalen Analyse stellen wollte, würde man gerade in der Einführung der Kritik die Elemente einer partiellen Antwort finden. Unterteilen wir in der Tat die Frage: Auf die transzendentale Analyse kann man sich berufen entweder um die Tatsache des Aprioris in der Erkenntnis festzustellen, oder um das weitere Problem von der objektiven Gültigkeit (= der „Beziehung zum Objekt“) dieses Aprioris zu zerlegen. Zuerst die Feststellung eines Aprioris der Erkenntnis, was auch immer die objektive Gültigkeit dieses Aprioris wäre: Diese Feststellung muss mir möglich sein, und folglich auch, dass eine transzendentale Analyse praktizierbar ist, wenn wahr ist, was schon die Präambeln der Kritik zeigen: 1.) die Existenz synthetischer Urteile a priori von woher es feststeht, wenigstens dass es in meiner Erkenntnis ein Element a prioti gibt. 2.) die Existenz von „reinen Wissenschaften“ (Mathematik, reine Physik, Metaphysik), woher es erscheint, dass dieses Element a priori von mir unterschieden werden und von mir erkannt werden kann nach sei- 93 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 87 nem apriorischen Charakter. Ich kann in der Tat Systeme von „notwendigen und allgemeinen“ Urteilen bilden, wobei die eigentümliche Verschiedenheit von jeder gegebenen empirischen Verschiedenheit abstrahiert. Diese Urteile drücken für mein klares Bewusstsein genauso viele a priorische „Beziehungen des Objekts im Allgemeinen“ aus. Sie folgen also zwangsläufig aus einer transzendentalen Analyse von mir durchgeführt an den primitiven und konkreten Objekten von meinem Wissen. Die transzendentale Analyse abzulehnen, das ist, die Existenz von „reinen Wissenschaften“ zu verkennen. Später in der transzendentalen Logik wird Kant weiter gehen, und, nicht zufrieden damit das Apriori in den reinen Wissenschaften festzustellen, anvisiert als tatsächliche Gegebenheiten, wird er zeigen, dass die „objektive Erkenntnis“ als solche nur möglich ist vermittelt durch ein Element a priori. Wir werden prüfen, zu gelegener Zeit den Sinn und die Voraussetzungen dieses Beweises, der eine tatsächliche „transzendentale Deduktion ist“. Aber in der Kritik ist die Feststellung oder der Schluss auf die Wirklichkeit – und selbst die Struktur des Aprioris im Denken noch nicht alles. Kant schätzt nicht nur in der transzendentalen Analyse, das Instrument, das von einer Art von Natur Geschichte oder einer „Physiologie des Geistes“ übernommen ist, wie Locke sie erträumte: eine „Physiologie des Verstandes“, das ist zu wenig. Dort anzuhalten, dies würde nur deskriptive Psychologie oder funktionale Metaphysik des erkennenden Subjekts sein und nicht Kritik. Die transzendentale Analyse, indem sie mir ganz die Prinzipien a priori der Erkenntnis als „natürliche Disposition“ meines Geistes enthüllt, muss mich auf die eine oder andere Weise dahin führen, ein Werturteil über sie auszusprechen. Sind sie Prinzipien der Wissenschaft, oder nur möglicher Rahmen der Glaubwürdigkeit, oder weniger als das, vergebliche und „trügerische“ Tendenzen? Aber, noch ein Mal, ohne voreilig in die Studie der genauen Bedingungen der „Wissenschaft“ einzutreten, stelle ich fest, dass die Frage der Gültigkeit im Prinzip in den Augen von Kant, schon seit den ersten Seiten der Kritik entschieden ist. Die reine Mathematik, und unter gewissen Einschränkungen die reine Physik besitzen ihren ganzen Gewissheits-Wert, den ein „Wissen“ präsentieren kann. Die Prinzipien, die sie lehren, sind genau die, die die Erfahrung möglich machen, und sie machen also nichts anderes als nur konstitutive Synthesen in allgemeinen Termini auszudrücken, konstitutive Synthesen des notwendiigen Objekts der menschlichen Erkenntnis. Entferne diese Prinzipien und mein Denken verdunkelt sich, es hört auf, Zugriff zu haben auf das „Gegebene“. Es fehlt ihm das „wahrgenommene Objekt“. Die Synthesen a priori der Metaphysik hingegen bieten nach Kant, diese unmittelbare Garantie nicht an. Unter ihrer Rücksicht bleibt die Frage der objektiven Gültigkeit offen. Die transzendentale Analyse kann also ein Instrument werden, nicht nur von funktioneller Zerlegung, sondern objektiver Kritik, 94 Kap.3 Die kritische Methode §3. – Der Begriff der Apriorität. 88 Man wird bemerkt haben, dass das Einleitende, was wir gerade durchgegangen sind um einen Begriff gravitiert, der noch intimer als der damit zusammenhängende Begriff des „Transzendentalen“ der Angelpunkt der ganzen kritischen Philosophie ist: der Begriff der Apriorität. Wäre es nicht möglich, in seinen Sinn einzudringen und das wohl begründete Gute davon zu ergreifen, könnte man sich nur hüten vor dem Denken Kants. Stellen wir also ein für alle Mal die Bedeutung fest, die der Apriorität in der Kritik zukommt. Eine „Erkenntnis a priori“ ist, wie Kant sagt, eine „Erkenntnis von Objekten, bei der schon etwas bezüglich ihrer Erkenntnis bestimmt ist, selbst bevor sie uns gegeben sind (Op. cit. Vorwort 2. Auflage B. 21; R.670.). Der Begriff der Apriorität läuft also hinaus auf den klassischen Begriff der logischen Priorität von gewissen objektiven Bestimmungen schon vor der konkreten und individuellen Erfahrung der Objekte: es ist dies die Priorität des Notwendigen vor dem Kontingenten. Die logische Priorität oder die Apriorität ist evidentermaßen von einer anderen Ordnung als die zeitliche Priorität. Für Kant wie für den Hl. Thomas gehört die zeitliche Priorität in der menschlichen Erkenntnis der sinnlichen Erfahrung an: „In der Zeit geht keine Erkenntnis in uns der Erfahrung voraus und alles fängt mit ihr an. Aber wenn unsere ganze Erkenntnis anfängt mit der Erfahrung, resultiert daraus nicht, dass sie alles aus der Erfahrung ableitet“. (Op. cit. Einleitung. B. 34; R. 695, Supplem. IV Meiner S.38 krvb Einleitung I von dem Unterschiede). Unter der zeitlichen Priorität der Erfahrung bleibt also Platz für eine logische Priorität von dem, was in unserer Erkenntnis nicht rein und einfach aus der Erfahrung stammt. Tatsächlich und mit Recht regelt sich, Kant zufolge, die vollständige Erfahrung – die welche die Sinneseindrücke zu denkbaren Objekten zusammenfasst – auf Grund von Bedingungen, die logisch im Voraus existieren zum Einbruch des sinnlich „Gegebenen“, das heißt auf Grund von Bedingungen a priori. Nun aber definieren gerade (justament) diese Bedingungen a priori in der Terminologie von Kant, unsere „erkennende Subjektivität“ und um das aus der Nähe zu betrachten, macht der kritische Philosoph also nichts anderes, als eine feierliche Binsenwahrheit anzukündigen, wenn er nämlich erklärt „dass wir a priori nur die Dinge erkennen, die wir selbst dorthin setzen.“ (Op. cit. Vorwort 2. Auflage B. 22; R.670 Meiner S.17). Der Begriff der Apriorität führt sich, nach den Erklärungen Kants selbst, zurück auf einen klassischen Begriff, allzu sehr von den Cartesianern und nicht weniger von den Empiristen vergessen, den Begriff der „formalen Kausalität“. In der Tat präsentiert sich in unserer Erkenntnis das apriorische Element immer als eine weitere Bestimmung des Gegebenen: die apriorischen Bestimmungen bereichern nicht die Verschiedenheit gerade des „Gegebenen“, sondern 95 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 89 90 sie vereinigen sie und erheben sie auf einen höheren logischen Wert. Nun aber sieht Kant, wie einst die Scholastiker, in der Synthese der Vielfalt und der Einheit, innerhalb des begrifflichen Objektes, eine unmittelbare Anwendung der zwei Begriffe von Materie und Form, wo der erste das bezeichnet, was im Allgemeinen bestimmbar ist, der zweite die Bestimmung dieses Bestimmbaren.“ (B. 276; R.219 Meiner S.310) „Gegeben“ auf der einen Seite; „Prinzipien a priori“ auf der anderen; solcher Art sind die sich ergänzenden = komplementären Elemente, material und formal, die in unserem Denken die Einheit des Objektes konstituieren. Würde es von daher nicht scheinen, dass die scholastischen Philosophen, daran gewöhnt, die reziproke Kausalität von Materie und Form, von Potenz und Akt, in der metaphysischen Einheit des Zusammengesetzten zu betrachten, im Bereich der Kritik den fundamentalen Gesichtspunkt der Lehre Kants leichter begreifen müssten als andere? Die kantsche Apriorität behauptet einzig und allein, im Bereich der Erkenntnis, die Priorität des formalen Prinzips gegenüber dem materialen Prinzip. Unter dieser Rücksicht und in diesem Maße könnte die kantsche Idee einer Synthese a priori, weit davon entfernt von sich aus im Gegensatz zu der Epistemologie und der Psychologie der Scholastik zu sein, sich wie ein Korrolarium daraus herleiten.166 166 Wir werden die Tragweite dieser Bemerkung im Weiteren besser sehen, aber vorher, um unseren Gang durch die künstlichen Schwierigkeiten nicht zu behindern, wollen wir ein reines Missverständnis der Terminologie zerstreuen. Beim Sprechen über die Erkenntnis versetzen sich die Scholastiker auf den Standpunkt der klassischen Logik und der Metaphysik. Kant auf den Standpunkt der Kritik. Sobald man sich die Mühe nimmt, die Umsetzungen durchzuführen die die Verschiedenheit der Standpunkte befiehlt, (siehe unser Heft V) wundert man sich, dass in manchem eine Divergenz existieren könne zwischen modernen Scholastikern und Kantanhängern über die Wirklichkeit einer Synthese a priori. Wenn es, wie wir glauben, grundlegende Unzurückfürbarkeiten zwischen den zwei philosophischen Tendenzen gibt, ahnt man den Punkt, wo sie sich ankündigen wird, woanders. Dies wird in der inneren Analyse des apriorischen Elementes sein, an der Verbindungsstelle von Verstand und Vernunft. Das radikale Prinzip der Synthese wird ganz anders von Kant verstanden als von den Scholastikern. So könnten wir nur ein Missverständnis sehen in der summarischen Beweisführung, die gewisse scholastische Autoren der kantschen Kritik entgegenstellen. Diese, so sagen sie nach Kant selbst, stütze sich eben gerade auf die Existenz von synthetischen Urteilen a priori. Nun aber. so fügen sie hinzu, sind die angeblichen synthetischen Urteile a priori entweder analytisch, oder synthetisch a posteriori. Die kantsche Lehre entbehrt also ihrer ersten Grundlage. Eine solche Beweisführung ruft nur nach einer Bemerkung. Entweder ist das eine Zweideutigkeit, ermöglicht durch die Zweideutigkeit des Wortes „analytisch“, von Kant verwendet im streng etymologischen Sinn und bei diesen Autoren in einem weiteren Sinn, oder, wenn man die Definition Kants von Analyse akzeptiert, ist dies eine arglose Erklärung von Empirismus: denn die Erknntnis beschränkt sich dann auf die direkte Erfahrung und auf die Anwendung der Norm des Widerspruchs. Wir wissen, wohin dies führt (Siehe Heft II). 96 Kap.3 Die kritische Methode Die große scholastische Tradition, die sicher die Verfahren der Analyse und Synthese kennt, hat nicht die Urteile in den zwei Kategorien eingepfercht, wo sie mehrere moderne Autoren mit Gewalt eintreten lassen: synthetische Urteile, alle a posteriori, und analytische Urteile. Sie sprach, einfacher, von „propositiones per se notae = Sätze, die von sich her bekannt sind“, von „axiomata“ oder von „dignitates“, um die Erkenntnisse a priori aus unmittelbarer Evidenz zu bezeichnen. Nun aber sind diese „propositiones per se notae“ der alten Scholastiker im Sinn von Kant analytisch oder synthetisch a priori, je nach dem Fall ... oder, genauer, nach dem Gesichtspunkt, von dem aus man sie betrachtet. Zwischen der Lehre Kants und der alten Scholastik, taucht hier nicht einmal ein Terminologiekonflikt auf. Es besteht nur eine Differenz von Voreingenommenheiten. In der Tat begnügt sich der Scholastiker damit, die objektive Evidenz zu akzeptieren. Der Kantianer untersucht hauptsächlich die Natur dieser Evidenz. Der Scholastiker analysiert in der Logik nicht die innere Konstitution des „Objektes als solchem“. Er setzt das Erkenntnisobjekt schon als konstituiert voraus, er findet es „fertig = tout fait“ vor (in facto esse), und es ist dieses schon konstituierte Objekt, das er zu bezeichnen versteht, wenn er das logische Subjekt eines Satzes anführt. Er hat von daher das Recht, alles das in Form eines Attributs zu inventarisieren, was in der unveränderlichen, bewegungslosen Struktur des Objektes impliziert ist. Und das Urteil, in diesem Stadium, ist analytisch. Der Kantianer anerkennt dieses analytische Stadium des Urteils, aber ohne sich viel dafür zu interessieren, da die analytische Auswahl eines Begriffs (notion) keine kritische Schwierigkeit macht. Das, was ihn interessiert, ist weniger die Zerlegung des schon konstituierten Objektes, als das Objekt in seiner inneren Möglichkeit, das Objekt im Entstehungszustand (in fieri): das heißt ein aller Analyse vorausliegendes Stadium, ein Stadium wo dir Begegnung der „Daten“ und der „Bedingungen a priori“ die „objektive Erkenntnis“ gebiert (zeugt). Der wahre Knoten des Urteils und die ursprüngliche Funktion des Verstandes bestehen in den Augen von Kant „nicht darin, klar zu machen [durch eine analytische Auflösung] die Darstellung des Objekts, sondern die Vorstellung eines Objektes im Allgemeinen“ möglich zu machen. (Transz. Anal. B. 218; R.169. Man wird bemerken, dass Kant hier direkt seinen Gesichtspunkt dem Leibniz-Wolffschen Gesichtspunkt gegenüberstellt, der ganz und gar nicht der scholastische Gesichtspunkt ist.) Nun aber ist die konstitutive Operation eines zusammengesetzten Objekts, wie es das unserem Verstand eigentümliche Objekt ist, notwendigerweise eine „Synthese“. In unseren ursprünglichsten (primitivsten) Urteilen – die, die diese objektive Synthese (Dies oder das ist) unmittelbar übersetzen – drückt das logische Subjekt die unterscheidenden Charaktere der kontingenten Gegebenheit aus, das Attribut einen synthetischen Charakter a priori, notwendige (Wirklichkeit sub ratione communi entis), das Ganze ein gedachtes „hypothetisch notwendiges“ Objekt. Darüber hinaus muss man bemerken, dass die Urteile, die so in Sätzen formuliert sind, eigentlich nicht die Synthese a priori bewirken. Sie konstituieren schon eine sekundäre Operation, die diese ausbreitet und ausdrücklich macht (erklärt). Sie führen eine transzendentale Analyse an einer synthetischen Aussage (Affirmation) durch. Das wahre Urteil, primitiv und extensiv, im Sinn Kants –, das heißt die konstitutive Synthese des Objekts – ist im Voraus zu jeder Analyse. Sie ist ein feststellendes [=apprehensives] Urteil und nicht ein erklärendes Urteil. 91 Wir sind in Besitz des einzigen Stoffes, an dem die Kritik angreifen könnte: unsere Bewusstseinsinhalte. Wir haben davon, unter dem kritischen Gesichtspunkt, den einzigen möglichen Angriffswinkel markiert: den phänomenalen Aspekt dieses Bewusstseinsinhalts. Wir haben schließlich die kritische Methode definiert: die transzendentale Methode der Analyse. Er wird Zeit, die Einleitungen zu verlassen, und Kant durch die bezeichnendsten Kapitel seines Werkes zu folgen. Wenn die moderne scholastische Terminologie, indem sie alle Urteile a priori 97 Buch II. Objekt und Methode der Kritik der reinen Vernunft 92 als „analytische“ qualifiziert und damit ausdrücklich die entweder durch gewöhnliche logische Analyse oder durch transzendentale Analyse erhaltenen Urteile bezeichnet, dann würde diese Unterteilung des Etiketts „analytisch“ der kantschen Einteilung von allen Urteilen a priori in „analytische“ und „synthetische a priori“ entsprechen. Diese Anpassung der Terminologie würde im Übrigen keine fundamentale Frage lösen. Man sollte nicht vergessen, dass die transzendentale Analyse nicht etwas andere ist, als das distinkte (klare) und ausdrückliche Bewusstsein einer Synthese a priori. Die Urteile, die man „analytisch transzendental“ nennen könnte, würden ihren ganzen objektiven Wert aus dieser Synthese ziehen. Was ist die Gültigkeit dieser Synthese? Das kritische Problem, wie es von Kant formuliert wurde, würde also fortbestehen in jedem Falle. Und dieses Problem würde einen für die Scholastiker selbst annehmbaren Sinn präsentieren, da auch sie in unserem objektiven Denken etwas anderes als eine einfache analytische Auswahl kontingenter Elemente aus der sinnlichen Erfahrung anerkennen. Wie ist dieses etwas anderes (was notwendigerweise zurückkommt auf die kantsche Definition der „Synthese a priori“) möglich, und welches ist seine Wahrheits-Gültigkeit? 98 Buch III. DIE EINHEIT VON SINNESWAHRNEHMUNG UND VERSTAND IN DER ERFAHRUNG 93 . 99 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung KAPITEL 1. Apriorität von Raum und Zeit. Die „transzendentale Ästhetik“ 94 §1. . Sinnliche Intuition und „Phänomen“. Die „transzendentale Reflexion“ (siehe oben S76)S.76) angewandt auf die Gesamtheit unserer bewussten Phänomene zeigt uns dabei nach sukzessivem Abzug aller Bedingungen a priori eine anfängliche, nicht zurückführbare Mannigfaltigkeit, von der wir nichts anderes sagen können, außer dass sie „gegeben“ ist. Kein innerliches Gesetz unseres Bewusstseins erklärt weder das Vorhandensein noch die Verschiedenheit dieses Gegebenen. Es drängt sich unserer Fähigkeit in einer Weise auf, die uns entkommt. Wir empfangen sie und erleiden sie. Wir stellen wohl fest, dass sie verschiedenen Beiträgen unserer Sinne entspricht. Dennoch verschmilzt ihr Charakter von „Gegebenem“ nicht mit ihrer sensorischen Besonderheit. Wir besitzen verschiedene sinnliche Fähigkeiten, was ihre Natur als „Gegebenheit“, wie sie uns die transzendentale Analyse liefert, durch diese Verschiedenheit nicht verändert. 95 Ihre Natur, das heißt, ein passiver mehrfacher, partikulärer Eindruck zu sein, entblößt von aller Notwendigkeit a priori, kurz, nur sich selbst repräsentierend. Wir nennen „Sinneswahrnehmung“ die Fähigkeit, eine Vielheit von Gegebenen zu empfangen, was auch immer der qualitative Aspekt sein könnte, den sie präsentiert. „Sinneswahrnehmung“ und „Empfänglichkeit“ in der menschlichen Erkenntnis sind gleichbedeutend. Aber eine „Gegebenheit“, wenn sie ihre eigene Form mit sich bringt, ist nur begreifbar als „Gegebenes“ wenn es gleichzeitig mit der Form einer rezeptiven Fähigkeit ausgestattet ist. Von dieser doppelten „Information“ resultiert die besondere Form, die die „Gegebenheit“ im Bewusstsein hat. Man kennt das scholastische Sprichwort: Quidquid recipitur, recipitur ad modum recipientis = was auch immer aufgenommen wird wird aufgenommen in der Art und Weise des Aufnehmenden. Eine einzige „rezeptive Potenz“ könnte unterschiedslos registrieren und unverändert durchscheinen lassen alle eigenen Formen eines Gegebenen, ohne diesem eine neue Art aufzuerlegen: dies wäre die „reine Potenz“, die „erste Materie (materia prima)“, die definitionsgemäß überhaupt keine Form bei sich hat. Eine bewusste rezeptive Fakultät kann nicht von diesem amorphen Typ sein. Sie 100 Kap.1 Apriorität von Raum und Zeit. Die “transzendentale Ästhetik“ 96 besitzt im Voraus schon ihre eigene Form, ihre eigene Aktualität, die in die Zusammensetzung mit der Form des Gegebenen eintreten muss. So unterscheidet Kant sehr mit Recht, in der Einheit des sinnlichen Eindruckes, das heißt, der Gegebenheit wie sie schon zu unserem Bewusstsein gehört zwei Aspekte: den Eindruck insofern als die Sinneswahrnehmung davon passiv ergriffen ist, und diesen gleiche Eindruck insofern er versehen ist mit der der Sinneswahrnehmung eigentümlichen Art. Diese Unterscheidung wird uns erlauben, einige Ausdrücke zu definieren. „Der Eindruck eines Objektes auf unsere sinnliche Kapazität der Vorstellungen, insofern wir von ihm ergriffen sind, ist die Sinnes-Empfindung“. (B. 61; R.31). Wenn wir „empirisch“ nennen, „ jede Intuition, die sich auf ein Objekt durch das Mittel einer Sinnes-Empfindung bezieht“ (Ebenda).), und wenn wir mit Phänomen jedes Objekt der empirischen Intuition bezeichnen, werden wir sagen, dass die „Empfindung“ „die Materie des Phänomens“ konstituiert. (Ebenda.) Welches wird die „Form“ des Phänomens sein? Dies werden die neuen Beziehungen sein, mit denen die „Gegebenheiten“ oder sie „Empfindung“ versehen sind, durch die Mitteilung (Kommunikation) der der Sinneswahrnehmung eigenen Art. Es ist evident, dass diese Form nicht im Voraus enthalten sein kann in der „Empfindung“, außer sie wäre selbst Empfindung, passive Gegebenheit, Materie des Phänomens. Bezogen auf die Empfindung ist diese Form also a priori. (B. 62; R.32) Man sieht es in der Terminologie von Kant, der sinnliche Intuition und ihr proportioniertes Objekt, das Phänomen, bezeichnen die erste definierte Einheit die ins Spiel kommt bei der menschlichen Erkenntnis. Wir sagen nicht: das erste bewusste wahrgenommene „Objekt“, denn wir müssen weiter suchen unter welchen Bedingungen die erste phänomenale Einheit „sich objektiviert“ im Blick auf das Bewusstsein. In der elementaren psychologischen Einheit, die das Phänomen ist, haben wir eine Materie und eine Form unterschieden, und wir haben die Materie „Empfindung“ genannt. Diese Benennung verleitete mehr als einen Leser von Kant zu einem Irrtum: viele Philosophen nennen mit diesem Namen in der Tat die sinnliche Intuition im Block genommen. Andere verwenden noch weniger Unterscheidungen und sprechen unterschiedslos von Empfindung, sinnlicher Wahrnehmung und sinnlicher Intuition, und vermischen unter dem gleichen Etikett, die reine Empfindung, die Wahrnehmung (Apperzeptïon) und sogar das „ judicium sensus“ (Sinnes-Urteil). Wir erlauben uns also, auf dem exakten Sinn der Terminologie Kants zu bestehen: die Empfindung bezeichnet dort nur die Materie der sinnlichen Intuition; dies ist das anfänglich Gegebene, insofern es passiv empfangen ist. Dies ist die reine qualitative Mannigfaltigkeit, ins Bewusstsein einfallend, wo sie übrigens gleichzeitig eine erste Einigung a priori erleidet. Dies ist das „id quod recipitur“, das wir erkennen „sub modo 101 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung recipientis“. Wir müssen jetzt diesen „modus recipientis“ analysieren, das heißt „die Form der sinnlichen Intuition“. §2. . Apriorität des Raums als Form. 97 Die materielle Mannigfaltigkeit der Sinneswahrnehmung erscheint uns immer verteilt im Raum und aufgereiht in der Zeit. Da die räumlichen und zeitlichen Beziehungen die Mannigfaltigkeit des Gegebenen gruppieren, üben sie gegenüber dieser Mannigfaltigkeit die Funktion einer Form bezüglich einer Materie aus. Dieser erste Satz ist unanfechtbar, wenn man ihn entsprechend versteht. Er stellt eine unmittelbare Anwendung des folgenden allgemeinen Prinzips dar: Überall wo es Zusammensetzung (Vereinheitlichung) gibt, ist das, was die Zusammensetzung als solche möglich macht, verschieden von dem, was die Mannigfaltigkeit als solche ausmacht, nämlich von den sich einigenden Teilen. Und das als solches zusammensetzende Prinzip, das das innerlich bestimmende Prinzip des Zusammengesetzten als solchem ist, nimmt dabei die Rolle einer Form an. Wir können also von einer „räumlichen und zeitlichen Form“ der sinnlichen Vielfalt sprechen. Aber gehört diese „Form“ noch dem reinen Gegebenen an, oder markiert sie schon den Einfluss der rezeptiven Fähigkeit? Mit anderen Worten trägt die räumliche und zeitliche Form den Charakter der Apriorität? Wir müssen a priori und a priori unterscheiden. Zweifellos besitzt jede Form eine natürliche Apriorität gegenüber ihrer Materie. Bezogen auf die reine Mannigfaltigkeit der Sinneswahrnehmung kann die formartige Bedingung von Raum oder Zeit nur aufhören, „a priori“ zu sein, dadurch dass sie aufhört, Form zu sein. Aber vielleicht zeigt es sich nicht unmittelbar, dass diese Apriorität mit der Apriorität Kants zusammenfällt, die diejenige einer inneren Bedingung des Bewusstseins ist. Es ist also wichtig, den Beweis zu vervollständigen. Wir berücksichtigen zuerst den Raum als Form. Wenn diese „Form“ dem Bewusstsein nicht angehört, ist sie Teil des „Gegebenen“. Es gibt kein Mittleres. Das heißt, dass in diesem Fall, die Lokalisierung, die Ausgedehntheit, die Größe der sinnlichen Qualitäten, uns eingeprägt sind mit gleichem Recht, nicht mehr und nicht weniger wie das Rotsein, das Blausein, die Wärme, das Rau-Sein, das Weichsein usw... Mit anderen Worten die räumlichen Beziehungen blieben rein empirisch. Aber dies ist offensichtlich unrichtig: „der Raum ist kein empirischer Begriff“ (B 64; R 34). Kant zeigt das durch mehrere Argumente von denen das fundamentalste und entscheidendste Prinzip sich direkt anschließt an Erwägungen, 102 Kap.1 Apriorität von Raum und Zeit. Die “transzendentale Ästhetik“ die wir lange im vorhergehenden Kapitel entwickelt haben. Die Räumlichkeit, weit davon weg nur eine sinnliche Vorstellung zu sein, die beharrlicher ist als die spezifischen Sinneswahrnehmungen, erscheint als eine universelle und notwendige Bedingung a priori der sinnlichen Erfahrung, was evidenter Weise die „partikulären“ und „kontingenten“ Eigenschaften eines rein empirischen „Ausgedehnten“ überschreitet. Anstatt Kant im Detail bei dieser Demonstration zu folgen, wie er sie seit 45 1770 macht (siehe oben Buch I. Kap. 5, §4, p.50), erinnern wir nur an einen seiner Beweise – den Wichtigsten, das ist wahr – der uns schon vertraut ist. Wenn die Bedingung der Räumlichkeit der sinnlichen Intuition empirisch wäre, könnte keine reine, apodiktische Wissenschaft vom Raum existieren, noch von der Quantität. Nun aber realisieren die Geometrie und die Mathematik der Zahl den authentischsten Typ und den am wenigsten strittigen der apodiktischen reinen Wissenschaften. „In der Tat“, schrieb Kant, in der 1. Ausgabe der Kritik, „wenn diese Darstellung des Raumes ein a posteriori erworbener Begriff wäre, und aus der allgemeinen außerhalb befindlich Erfahrung geschöpft wäre, wären die ersten Prinzipien der mathematischen Wissenschaft nichts als Wahrnehmungen. Sie würden also die ganze Kontingenz der Wahrnehmung haben und es gäbe keine Notwendigkeit dafür, dass zwischen zwei Punkten es nur eine einzige gerade Linie geben kann, sondern die Erfahrung würde uns nur zeigen, dass es in der Tat damit immer so ist. Denn das, was aus der Erfahrung abgeleitet wird, hat nur eine relative Allgemeinheit, die von der Intuition kommt. Man müsste sich also darauf beschränken zu sagen, dass man den bis dahin gemachten Beobachtungen zufolge keinen Raum gefunden hat, der mehr als drei Dimensionen hätte.“ (1. Auflage. B. 65, Note; R.35, Meiner S.67 Note 4 (krva Von dem Raume 3.)) 98 Kant schließt mit Recht, dass die räumlichen Beziehungen, als Grundlage einer reinen Wissenschaft, nicht zu den Gegebenheiten gehören und also den Charakter der Apriorität im Bewusstsein besitzen.167 167 Wo Kant die Gegebenheit und die rezeptive Funktion der Sinneswahrnehmung definiert, richtet er sich, zum Teil, nach den gängigen präkritischen, schwer ersetzbaren Konzeptionen, mit denen eine ganze philosophische Terminologie modelliert war. So spricht er von einem Subjekt, fähig ein Gegebenes auf zu nehmen in vorher bestehenden Fähigkeiten und synthetische Operationen an diesen assimilierten Gegebenen auszuüben. In aller Strenge ist eine solche Sprache die eines rationalistischen Psychologen, der sich auf den Standpunkt versetzt eines solchen, den man „anthropologischen Apriorismus“ genannt hat (im Gegensatz zum „logischen oder kritischen Apriorismus“) Dennoch ziemt es sich hier zwei Bemerkungen zu machen. a) Selbst wenn Kant seine Entwicklungen auf die entitative Gegenüberstellung abstützt die die vulgäre Erkenntnis – durch und durch metaphysisch – oder die traditionelle Philosophie, zwischen Subjekt und Objekt fortbestehen lassen, hütet er sich, für seinen Teil davor, kein eigentlich ontologisches Element in die notwendige Konsequenz seiner Beweisführung 103 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung einzuführen: Entweder ist in der Tat die „anthropologische“ Betrachtung nur ein Vorgang der Erklärung, oder - dies ist hier der Fall - der „anthropologische“ Beweis (als solcher gültig für den, der davon die Voraussetzungen zugibt) schließt einen wahrhaften und strengen kritischen Beweis ein. Kant erlaubt sich oft diese Überlagerungen von Beweisen, die durch verschiedene Ebenen zum gleichen letzten Schluss führen. Wir können darin entweder eine Bemühung der Anpassung an die Vorurteile der Leser sehen, deren Überzeugung er erzwingen will, – eine Art von Argument „ad hominem“; oder auch, vielleicht, den Ausdruck seines persönlichen Geistesturm, kritisch in reflexer Absicht, aber Ontologist bleibend in verborgener Tendenz. b) Verwickelt in Beweisführung von anthropologischer Form, oder parallel zu ihr, lässt sich immer selbst im Text der Kritik (und nicht mehr nur durch Interpretation mehr oder weniger wahrscheinlich), die nüchterne und klare Linie einer Beweisführung erkennen, die auf die strengen Forderungen antwortet, die wir, Kant zufolge, in unserem Buch II notiert haben. Diese zweite Beweisart, befreit von allem, was zufällig vorausgesetzt wird, begründet, so scheint uns, den widerstandsfähigen Kern des kritischen Denkens von Kant. (Kant liefert davon gewöhnlich die wesentlichen Elemente in den Paragraphen der Einleitung in die verschiedenen Kapitel.) Wenden wir diese Bemerkungen an auf die Definition des „Gegebenen“. 1. Interpretation des „anthropologischen“ Typs: Man setzt dort eine Wirklichkeit an sich voraus. die fähig ist, kausal ein psychologisches Subjekt ohne intellektuelle Intuition zu beeinflussen. Das Subjekt wird unter seiner ihm eigentümlichen Form den äußerlichen Inhalt, eingegossen in es durch die „Wirklichkeit an sich“, empfangen. Das Subjekt wird also subjektiv oder relativ beeinflusst durch ein kontingentes, vielfaches, veränderliches Gegebenes. Alle diese Attribute des „Gegebenen“ werden rechtmäßig erschlossen, wenn man eine ontologische Passivität des erkennenden Subjekts vor dem äußeren Objekt zugibt. Aber ist diese ontologische Passivität uns nur durch die Analyse des „phänomenalen Inhaltes des Bewusstseins“ aufgedeckt? Tatsächlich sind die Voraussetzungen dieser ganzen Beweisführung im voraus gewährt, sowohl durch den gesunden Menschenverstand, als auch durch die Dogmatiker, gegen die die Kritik hauptsächlich gerichtet ist. Wollte man diese Voraussetzungen bestreiten, könnte sich Kant beglückwünschen zu diesem Skrupel als einem großen gemachten Schritt auf den kritischen Weg zu. Und zweifellos, indem er seine Batterien umwendet, würde er mit seinem wahren Beweis herauskommen, der nicht ausgeht von irgendeiner dogmatischen oder psychologischen Voraussetzung, sondern nur die logischen Bedingungen der Möglichkeit des Objekts im Bewusstsein entwickelt. 2. streng kritische Interpretation. – Das „Gegebene“ ist einfach das, was in der Analyse des objektiven Inhalts des Bewusstseins auf jedes logische Apriori unzurückführbar bleibt. Dieses Überbleibsel, da es sich definiert durch Gegenüberstellung zum Apriori, ist kontingent und also, in dieser Hinsicht, unbeständig, veränderlich, relativ. Die Formen a priori der Sinneserkenntnis sind nur der erste Grad von Einigung dieser kontingenten Vielfachheit innerhalb des Objekts des Denkens. Eine Schlussfolgerung, die dieses Mal ebenso gut den phänomenalistischen Empirismus wie den dogmatischen Ontologismus erreicht. Man wird bemerken, dass die „kritische“ Schlussfolgerung genau zur „anthropologischen“ Schlussfolgerung passt von der einen oder der anderen Seite trägt das „Gegebene“ alle Attribute des rein „Kontingenten“. Man würde analoge Beobachtungen machen bei der Demonstration der „synthetischen kategorialen Funktionen“ und der „ursprünglichen Einheit der Apperzeption“, etc.: alle logischen Bedingungen der Möglichkeit des phänomenalen Objektes, die nichts desto weniger von Kant oft in Termen ausgedrückt werden, die eine Psychologie oder selbst eine Metaphysik voraussetzen würden. In unserer Erklärung verwenden wir ohne Skrupel die Ausdrücke (ein bisschen vermischt) von Kant, indem wir uns nur bemühen, die Kontinuität der kritischen Beweisführung unter ihrer Verschiedenheit hervortreten zu lassen. §3. – Idealität der Ausdehnung 99 Die Apriorität des Raumes als Form – und hier ist für viele traditionelle Philosophen der Skandal der kantschen Ästhetik – hat die Idealität der Ausdehnung zur Folge (B 68-69; R. 37 -39) das heißt (wenn man erkennendes Subjekt, und erkanntes Objekt gegenüberstellt), erzwingt das unmittelbar die räumlichen Bestimmungen auf das Subjekt zu beziehen und nicht auf das Objekt an sich. In der Tat wird nach Kant, die Räumlichkeit – als Form a priori – dem Gegebenen durch das Bewusstsein auferlegt und nicht umgekehrt dem Bewusstsein durch das Gegebene. Also glaubt man, schließen zu müssen, dass 104 Kap.1 Apriorität von Raum und Zeit. Die “transzendentale Ästhetik“ 100 Kant die Realität des Raums oder der Ausdehnung leugnet. Es ist wahr, dass wir es unterlassen könnten, an dieser Stelle eine Schwierigkeit zu prüfen, die vorzeitig auftaucht, auf einem anderen Terrain als dem des „Phänomens“. „Ontologisches Subjekt“ und „Objekt an sich“ haben für uns noch nicht einen bestimmbaren Sinn, denn diese Begriffe implizieren absolute Bestimmungen, deren Gültigkeit wir bis auf weiteres ignorieren. Dennoch, da wir vor allem das Denken Kants genau begreifbar machen wollen, benützen wir diesen Skrupel mancher realistischer Philosophen, um eine Quelle von Missverständnissen versiegen zu lassen, bevor sie zu groß wird,. Versetzen wir uns also einen Augenblick in die metaphysische Hypothese eines erkennenden Subjekts, das von einem solchen und solchen äußeren ausgedehnten Objekt einen Eindruck empfängt. In dieser gleichen Hypothese, würde sich die „Idealität des Raumes“, im kantschen Sinn verstanden, immer noch aufdrängen. In der Tat, die Apriorität der räumlichen Bestimmungen und der quantitativen Bestimmungen im Allgemeinen – in den sinnlichen Vorstellungen – verlangen, dass das nächste Prinzip dieser Bestimmungen, deren Tragweite überschreitet und jeder partikulären sinnlichen Wahrnehmung vorausgeht, dem erkennenden Subjekt innewohnend sei, insofern es ein erkennendes Subjekt ist. Räumlich und quantitativ zu erkennen in der Weise, wie ich es mache, ist nur möglich, wenn es außerhalb mir „ausgedehnte Objekte“ gibt, aber es ist noch unmittelbarer nötig, dass ich selbst, als psychologisches Subjekt räumlich und quantitativ bin. Mit anderen Worten, meine Sensibilität muss eine „körperliche“ Fakultät sein, genötigt ihre Operationen unter den Arten der konkreten Menge und der Ausdehnung auszuüben. Solcher Art war beständig die Lehre der scholastischen Psychologie. Wenn unsere sinnlichen Vorstellungen sich nicht nur auf ausgedehnte Objekte beziehen, sondern in sich selbst notwendig ausgedehnt sind, muss der metaphysische Grund dafür zuerst gesucht werden in der Bedingung der Ausgedehntheit, die wesentlich unsere sinnlichen Fakultäten bestimmt und durchdringt und damit also alle ihre immanenten Operationen. Die kantsche These der Idealität des Raumes drückt die gleiche Sache aus, in der Sprache der Kritik. Direkt behauptet sie nur einen Punkt: die Existenz von räumlichen Bedingungen a priori, die sich den sinnlichen Gegebenheiten auferlegen. Da ist der “reine Raum“, „ideal“ weil „a priori“, von dem Kant spricht. Folgt daraus, dass nichts im „Ding an sich“ den subjektiven räumlichen Bedingungen entspräche? Wie könnte ich das in dieser Phase meiner kritischen Ermittlung wissen? Die These von der Idealität ist genau präzisierend nicht ausschließlich im Blick auf dieses neue Problem. Wir müssen dennoch zugeben, dass in den Ausdrücken Kants (loc. cit.) ein Ton von Ausschließlichkeit durchdringt, wohl geeignet, das Misstrauen der traditionellen Philosophen hervorzurufen. Man könnte wirklich glauben, ihn hier zu hören, wie er die ontologische Wirklichkeit „bestimmt“ durch Negationen 105 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 101 und ihr das Attribut von Unausgedehntheit zu verleihen, trotz der Einbildung, die er weiter unten proklamieren wird für alle Bestimmungen „des Dings an sich“... Evidenterweise kann solcher Art nicht die Grundlage seines Denkens sein. Hier ist das, was er einschärfen will: Dass gerade diese Räumlichkeit, die sich definiert als „eine Bedingung a priori des Gegebenen und das unmittelbare Fundament „der mathematischen Urteile“ – gerade diese Räumlichkeit, und nicht eine andere – nicht wissen würde, wie sie zum „Ding an sich“ gehört, da die Eigenschaften „des Dings an sich“ uns nur erreichen durch ein empirisch Gegebenes, partikulär und kontingent, und also ohne wirksame Proportion zur Notwendigkeit und Universalität unserer räumlichen Erkenntnis sind. Aber besteht nicht im absoluten Bereich des Seins eine Gesamtheit von wirklichen Bedingungen, die dort drüben das Gegenstück bilden 168 168 Das „Gegenstück“ aber nicht die vollständige Nachbildung, weil gewisse Eigenschaften der „reinen Repräsentation“ des Raumes, zum Beispiel seine indefinite Teilbarkeit überhaupt nicht zukommen dem konkreten „Kontinuum“ der Außenwelt unserer räumlichen Bestimmungen a priori? Kant kann sie weder bestätigen noch sie verneinen: eine einzige Sache ist sicher, dies ist, dass diese „Räumlichkeit an sich“, wenn sie existiert, nichts zu tun hat mit der transzendentalen Analyse unserer Fakultät des Erkennens. Um dem „Ding an sich“ den räumlichen Charakter zu verleihen sollten wir vorher Antwort geben auf die folgende Frage: Existiert das „Ding an sich“ und kann es in unserer Erkenntnis objektiv gültige Bestimmungen empfangen? Diese Prinzipien Frage wird behandelt werden zu ihrer Zeit. In Erwartung dessen lässt die kantsche „Idealität“ des Raumes das metaphysische Problem der Realität der Ausdehnung offen. §4. – Apriorität und Idealität der Zeit. Die Form der „Zeit“ würde die gleichen Erwägungen verlangen wie die Form des „Raums“. Eine einzige Differenz trennt sie: während der Raum die reine Form der Phänomene ist insofern sie äußerliche sind, ist „die Zeit die formale Bedingung a priori aller Phänomene im Allgemeinen“ (B. 74; R.42) in sofern diese den „inneren Sinn“ affiziert, das heißt, in uns eine Aufeinanderfolge von inneren Zuständen abrollt. Sagen wir mit einem Wort, dass die Zeit die Form des „inneren Sinns“ ist.169 169 Über das thomistische Äquivalent der Form der Zeit, siehe unser Heft V. Diese Form, zurückgebracht auf das sinnlich Gegebene, präsentiert alle Charakteristiken der Apriorität. Denn sie erweist sich als eine absolut notwendige und universelle Bedingung der sinnlichen Intuition. Sie bildet das synthetische Band von Axiomen a priori wie etwa die folgenden: „Die Zeit hat nur eine Dimension. Verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern nacheinander“ (B. 106 Kap.1 Apriorität von Raum und Zeit. Die “transzendentale Ästhetik“ 102 21; R. 40 -41 Meiner S.74 krvb I,1.Teil §4 3.) und so weiter. Auf der anderen Seite folgt die Form der Zeit nicht analytisch aus der Form des Raums. Sie hat auch nichts von einem reinen Begriff, da sie integrierender Teil der sinnlichen Vorstellungen ist. Sie entspricht also, wie der Raum, dem Begriff der „reinen Intuition“ oder der „Form a priori der Sensibilität“ (Sinneswahrnehmung). Schließlich rührt von der Apriorität der Zeit ihre transzendentale Idealität her, das heißt, dass die zeitliche Bedingung a priori (apodiktisch sicher) der sinnlichen Intuition nur als eine subjektive Bedingung dieser Intuition fassbar ist (dem Bewusstsein innerlich) (B. 75-76; R. 43-44 Meiner S.79 §6 krvb §6 Ende). Übersetzen wir die “transzendentale Idealität der Zeit in die metaphysische und scholastische Sprache: Sie bedeutet, dass, um zu haben, nicht nur die Erkenntnis einer Aufeinanderfolge, sondern einer sukzessiven Wahrnehmung, muss das sinnlich wahrnehmende Subjekt selbst, in seiner sinnlichen Fakultät, der Zeit unterworfen sein und dass diese zeitliche Bedingung der sinnlichen Fakultäten des Subjekts das unmittelbare Prinzip der apodiktischen Notwendigkeit und der absoluten Universalität der zeitlichen Bedingungen ist, die von uns mit der sinnlichen Intuition verbunden wird. Raum und Zeit als Formen a priori schöpfen das Objekt der transzendentalen Ästhetik aus. Man würde nicht wissen, wie man ein drittes Prinzip in uns entdecken könnte, das die Attribute einer „Intuition a priori der Sensibilität“ realisiert. §5.– Schlussfolgerung: die Relativität der Sinneswahrnehmung. Wiederholen wir kurz. Dank der Vereinigung einer gegebenen Mannigfaltigkeit (den „Sinnes-Empfindungen“) und der Formen a priori von Raum und Zeit bildet sich die erste Einheit der spekulativen Ordnung, die ins Feld unseres Bewusstseins eindringt: Das Phänomen ist das, was zuerst im Bewusstsein „erscheint“. Dennoch darf man nicht das Wort „Erscheinung“ missbrauchen: Dieses Wort bezeichnet keineswegs eine „reine Erscheinung“, sondern den „relativen“ Aspekt eines Objektes, nicht das, was „schmückt, ausstaffiert, der Schein“ sondern „das, was erscheint“. (B. 77, 87; R. 46,718 Meiner S.91 Anmerkung krvb Anmerkung). „Phänomen“ sagt also nicht subjektive Fiktion. Es sagt noch nicht „objektive Wirklichkeit“. Es sagt unmittelbare Beziehung von Subjekt und Objekt, entsprechend den materiellen Bedingungen eines Gegebenen und den formalen Bedingungen einer das Gegebene aufnehmenden (rezeptiven) Fakultät.170 170 Ein Scholastiker würde auch sagen, dass der Sinn unmittelbar die sinnliche Wirklichkeit erkennt, aber nicht objektiv (sub ratione entis); und dass infolgedessen die reine Sinneswahrnehmung relativ ist. (Siehe Heft V dieses Werks). Die „ratio entis“, ist in der Tat kein sensibile per se“. sondern nur ein „sensibile per accidens“. 107 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung Um dem Plan der Kritik treu zu bleiben, werden wir jetzt dazu gebracht, die Bedingungen zu studieren, unter denen das sinnliche „Phänomen“ in unserem Denken ein „Etwas“, ein erkanntes „Objekt“ wird. KAPITEL 2. Die Synthesen des Verstandes. I.Die “Analytik der Begriffe des reinen Verstandes“. 103 §1. – Vorbereitendes. 104 Kant nennt die Anwendung der kritischen Analyse auf die formartigen Elemente der Erkenntnis, die die sinnliche Intuition überschreiten, transzendentale Logik. Denn die Logik ist die Untersuchung der allgemeinen Bedingungen des Denkens. Und als etwas, was die sinnliche Vorstellung übersteigt, finden wir nur das „Denken“. Wenn man die transzendentale Reflexion auf unsere Kenntnisse im Allgemeinen anwendet, erkennen man, dass die Phänomene oder die Vorstellungen unser klares Bewusstsein als erkannte Objekte nur erreichen nach Unterordnung unter allgemeinere Gesichtspunkte, fremdartig zu den Formen von Raum und Zeit. Das heißt, dass die „Phänomene“, um „Objekte“ zu werden, sich von neuen „Bedingungen a priori“ unterziehen müssen. Benennen wir „Verstand“ die Fakultät das Phänomen mit den höheren Bedingungen der Einheit zu versehen, die daraus ein „Objekt“ im Denken machen. Das System der notwendigen Beziehungen, die man erhält durch Analyse dieser metasensiblen Bedingungen bildet eine „transzendentale Analytik“, wie Kant sie nennt oder auch eine „transzendentale Logik“ des Verstands. Und „diese Logik ist gleichzeitig eine Logik der Wahrheit“ (B. 102; R.65 krvb transz.Log.), denn, da sie die Bedingungen bestimmt, ohne welche kein Objekt unserem Denken gegeben sein kann, stellt sie die Normen auf, die notwendigerweise diese Beziehung unserer erkennenden Fakultäten respektieren muss, zu den Objekten, die wir die Aussage der logischen Wahrheit nennen. Aber die transzendentale Analytik genügt nicht, Rechenschaft zu geben von allen Urteilen, die in unserem klaren Bewusstsein anwesend sind. Außer den synthetischen Urteilen durch die sich konstituieren, mittels eines sinnlichen Gegebenen, die „Objekte“ der Erfahrung, und außer den analytischen Urteilen, die die ersten auflösen, finden wir in uns höhere Synthesen, die der Metaphysik, die nicht eintreten, sagt Kant, in die notwendige Bildung jeden „Objekts“ der Erkenntnis, und also nicht präsentieren die unmittelbaren Garantien der logischen Wahrheit, die die Synthesen des Verstandes anboten. Man muss auch 108 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe gut studieren das System dieser höheren Synthesen, die uns neue Kategorien von Objekten zu schaffen scheinen, das heißt von metempirischen Objekten. Aber da diese, im Unterschied zu den Erfahrungsobjekten, Kant zufolge nicht von diesen Bewusstseinsinhalten sind, deren Unterschlagung verschwinden lassen würde, für uns, alle Möglichkeit zu erkennen, bieten sie vielleicht nur einen reinen Anschein von Objektivität171 . 171 Kant wird weiter unten „die transzendentale Erscheinung“ der „Ideen“ der Vernunft beschreiben. Wir können sie nicht mit Vertrauen auf eine „transzendentale Analytik“ anbinden, das heißt an eine sichere Wissenschaft des Objektes des Verstandes. Wir werden das Etikett, das Aristoteles anwendete vielmehr auf die Logiken des Scheins (B. 101; R.63) krvb transz.Log. Dialektik, und werden sie deklarieren als Objekte der „transzendentalen Dialektik“. Das Wort „dialektisch“ bringt nicht mit sich, im Übrigen, eine Fehlervermutung. Eine „Dialektik“ kann wahr sein, denn die Bedingungen des Anscheins, ungenügend um eine eigentliche „Wissenschaft“ zu begründen, sind ihr nicht notwendig widersprechend. Der Name „Vernunft“ ist in spezellerer Weise durch viele Philosophen besonders vorbehalten der Fakultät, metempirische Synthesen durchzuführen. Die Untersuchung der Funktionen der reinen Vernunft in ihrem metempirischen Gebrauch, das ist genau das, was Kant „transzendentale Dialektik“ betitelt, und mit der er die Krönung der ersten Kritik macht. Setzen wir unseren Gang auf dem so abgesteckten Weg fort. Wir werden berücksichtigen, in diesem Buch III. die transzendentale Analytik und im folgenden Buch die transzendentale Dialektik. §2. – Auf die Objektivierung des Gegebenen hin. 105 Das „Phänomen“, wir haben es gesehen, ist nichts anderes als der Zustand des in den Sinnen Gegebenen unter den Formen von Raum und Zeit. Durch seine „Materie“, dem einfachen aktuellen Eindruck, der passiv erlitten wird, findet sich das Phänomen begrenzt auf die engsten Bedingungen der örtlichen und zeitlichen „Eigentümlichkeit“. Befreit es Sich davon wenigstens durch seine „Form“? Nein. Die räumliche Ausdehnung oder die zeitliche Aufeinanderfolge, insofern sie das Gegebene affizieren, überschreiten nicht die Grenzen des so oder so partikulären Gegebenen. Denn die Form jedes Phänomens, obwohl sie resultiert von einer allgemeineren Disposition a priori, „zieht“ sich zusammen und partikularisiert sich durch seine unmittelbare Vereinigung mit der so beschaffenen partikulären Materie. Nun aber ist dies genau der eingeengte „partikuläre“ Charakter des Phänomens, der es daran hindert, sich total vor unserem Bewusstsein zu objektivie- 109 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 106 ren. Es stellt in jedem Augenblick die Weise dar, in der unsere erkennende Fakultät von außen affiziert ist. Es wird erlebt, erlitten wie ein Zustand nicht wie ein Objekt. Es trennt sich nicht von unserer aktuellen Subjektivität... Denn, wenn das Phänomen das Gegebene ist, das von uns empfangen ist, ist es in gleicher Weise wir selbst verändert durch das Gegebene. „Passivität“ und „Subjektivität“ gehen hier Hand in Hand. Das eine bringt das andere mit sich, das eine misst das andere. Um das Phänomen objektiv zu erkennen, sollte ich damit anfangen, es zu isolieren von den Bedingungen der aktuellen und partikulären Aufnahmefähigkeit (Rezeptivität), die es meinem Bewusstsein anhaften lassen wie an einem kontingenten Subjekt, das mit ihm verschmilzt. Denn das “Objekt“ kann nur erkannt werden durch Gegenüberstellung zum „Subjekt“. Da aber das Phänomen mit meiner aktuellen „Subjektivität“ vollständig verschmolzen ist, um eine Trennung innerhalb dieser ununterschiedenen Einheit zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich zu provozieren und so eine erste Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt erscheinen zu lassen, scheint ein einziges Mittel möglich und wirksam: dem Phänomen neue Bedingungen aufzuerlegen, unverträglich mit denen der reinen aktuellen Subjektivität. Diese neuen Bedingungen der phänomenalen Vorstellung können nicht herrühren von einer zusätzlichen äußerlichen Gegebenheit. Denn, empfangen rein von der Außenwelt, wären sie partikulär und subjektiv wie die phänomenale Vorstellung selbst. Sie müssen also – wenn sie dennoch möglich sind – herrühren von der Spontaneität meiner erkennenden Fakultät. (B. 133, krvb transz.Log. Spontaneität und hier und da am Anfang der Analytik der Begriffe. R. 83-89 und sonstwo.krvb transz.Log. Spontaneität) Wiederholen wir dies mit anderen Worten – nicht weniger exakt aber vielleicht leichter. Sobald mir ein Phänomen klar ins Bewusstsein kommt, (zum Beispiel von dem „Federhalter“, dessen ich mich in diesem Augenblick bediene), nehme ich davon Kenntnis wie von einem „Objekt“, von einem „Ding“. Das heißt, dass ich ihm eine in hohem Maße von seiner Beziehung zu meinen Erkenntnisfakultäten unabhängige Einheit verleihe. Ich teile ihm eine Dauer zu und Beziehungen, die über meine konkreten und aktuellen Vorstellungen hinausgehen. Ich versehe ihn selbst mit einer gewissen Anzahl von universellen und absoluten Prädikaten, unverträglich mit dem partikulären und flüchtigen Charakter einer subjektiven Modifikation. Dieser Federhalter ist eine Sache, wie auch ich eine bin, und nicht mehr eine einfache Veränderung meines Ich. Seine Konstitution ergibt sich aus einer Kombination (Verbindung) von notwendigen physikalischen Gesetzen. Er ist im Raum und in der Zeit, unterworfen den Prinzipien der Substantialität, Kausalität, Solidarität und so weiter. Kurzum er hat aufgehört, ein reines Phänomen zu sein, ein unbeständiges „Moment“ meines Bewusstseins, um ein „Objekt“ der Erfahrung zu werden, das seine ei- 110 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe genen Gesetze hat, die auch „begreifbar“ sind selbst außerhalb jeder Beziehung zu meiner aktuellen Subjektivität. Er ist also offenkundig, dass ein Phänomen, um im Bewusstsein überzugehen von dem Zustand des subjektiven Eindrucks zum Zustand des Objekts, wenigstens Eigenschaften erwerben muss, die es über den gegenwärtigen Moment und die partikuläre Beziehung, in denen es entstanden ist, hinausgehen lassen. Mit anderen Worten: es muss sich in einem gewissen Maße universalisieren. Sicher, in sich selbst betrachtet und genauer bestimmend (= präzisierend genommen), hört die sinnliche Vorstellung nicht auf relativ, konkret, partikulär zu sein. Aber sie wird ins Spiel mit höheren Funktionen gebracht, die ihr eine unendlich weitere logische Tragweite verleihen. Indem sie eine allgemeine Gültigkeit bekommt, fängt sie an, sich im Bewusstsein zu objektivieren. Vielleicht haben wir uns zu lange aufgehalten, länger als es für eine Präambel passt, bei dieser Unterscheidung zwischen dem Phänomen und der objektiven Erkenntnis. Was auch immer, diese Zeilen werden dazu beitragen, den Geist des Lesers in die Richtung zu orientieren, die für das Verstehen von dem, was folgt, die günstigste ist. Nehmen wir mit Kant noch einmal, aber mehr im Detail, das ganze Problem der Bildung des Objektes als solchem auf. §3. – Die „Kategorien“ des Verstandes. 107 Die Formen a priori der Sensibilität sind radikal unfähig, ein „Objekt“ im Bewusstsein auftauchen zu lassen. Die Bildung jedes gedachten „Objektes“ erfordert also formartige metasensible Bedingungen. (Für den ganzen Paragraphen, siehe transz. Analyt ch. 1 B. 110-126; R. 68-81 und 722-727) Welche sind diese letzteren? Kommen wir auf die wirklich ursprünglichen Bewusstseinsobjekte zurück, die ein sinnlich Gegebenes einschließen und aus diesem Grund Objekte der „Erfahrung“ heißen. Wir reservieren die Betrachtung dieser zweifelhaften, metempirischen „Objekte“, die auf der transzendentalen Dialektik beruhen, für später172 . 172 Der Gegenstand der reinen Mathematik braucht uns hier nicht beschäftigen, denn seine explizite Kenntnis ist sekundär. In der Tat die Intuition a priori, auf der sie beruht, wirkt sich nur auf ein „Gegebenes“ der Erfahrung aus und zeigt sich also nur als die „Form“ konkreter Phänomene. Mit anderen Worten das mathematische Objekt unterstreicht eine „reine Intuition“, die innerlich mit der Bildung des sinnlichen Phänomens vermischt ist, aber stelle sich nicht dar als ein durch sich selbst bestimmbares „Objekt“, wie ein „Ding“. (Vergleiche B. 148: R.723, Meiner S.159b, transz. Analyt §22) Aber die Objekte der direkten Erfahrung, die, deren systematische Kenntnis die Physik (= die Wissenschaft von der Natur) begründet, stellen sich uns vor unter allgemeinen Attributen, die nicht vollständig beziehbar sind, weder auf die Mannigfaltigkeit des anfänglich Gegebenen, noch auf die Formen 111 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 108 der Sinnlichkeit. Die Urteile, in denen sich diese Attribute unmittelbar ausdrücken, behaupten eine Universalität, die ihr adäquates Prinzip offensichtlich in keinem partikulären Gegebenen haben kann, weder in konkretem Nebeneinanderstellen noch in konkreter Aufeinanderfolge. Offensichtlich sind in diesen Objekten, oder, was aufs Gleiche hinauskommt, in den Urteilen, die davon die Struktur in Einzelheiten angeben, die „Phänomene“ gruppiert unter synthetischen Prinzipien a priori, denen wir noch gar nie begegnet sind. Wie können wir diese neuen Prinzipien der Einheit, in dieser unserer Hinsicht abtrennen? Das Verfahren deutet sich von selbst an. In unseren physischen Urteilen setzen wir voraus, dass das Gegebene indifferent sei, die Raum- und Zeit-Form unbestimmt. Das heißt, dass wir uns in die Hypothese versetzen eines beliebigen Phänomens. Und wir suchen dann, welche Mannigfaltigkeit diese Urteile noch präsentieren können. Mit einem Wort, wir abstrahieren von der materiellen und sinnlichen Verschiedenheit der Urteile, um nur ihre formartige und metasensible Mannigfaltigkeit beizubehalten. Wir errichten auf diese Weise eine Tafel der „Formen der Urteile“ oder der „Urteils-Funktionen“, die fähig sind, auf Objekte der Erfahrung bezogen zu werden.krvb transzend.Analytik Meiner S.105 Studieren wir also mehr aus der Nähe die möglichen „Formen“ des Urteils im Allgemeinen. (B. 113 sqq. ; R. 71 sqq. Meiner S.112 krvb Leitfaden der Entdeckung§9 Nr.3) Nehmen wir die Sätze: A ist B., (a) A ist nicht B., (b) A ist B oder C., (c) Wenn A ist, B ist. (d) Das bejahende kategorische Urteil (a) vereinigt auf eine absolute Weise, eine Form B mit einem Subjekt A. Von aller Verschiedenheit der Materie abgesehen, drückt dieses Urteil die Realität des Subjekts und des Prädikats aus, entsprechend einer Beziehung der Inhärenz des Prädikats im Subjekt. Das negative kategorische Urteil (b) nimmt von dieser Realität gerade die Beziehung der Inhärenz weg – oder, wenn man es auf die unbestimmte Form bringt: A ist nicht-B behauptet man von A die Wirklichkeit eines Attributes, das nur durch eine Einschränkung charakterisiert ist, das heißt durch den Ausschluss der Bestimmung B. Das disjunktive Urteil (c) erstellt ein Band der Gemeinsamkeit, ausschließlich oder nicht, zwischen jedem der Ausdrücke B oder C und A. Das hypothetische Urteil (d) drückt eine nicht-reziproke Abhängigkeit aus von B bezüglich A. Wenn man hinzufügt, dass diese verschiedenen Sätze, für eine beliebige materielle Mannigfaltigkeit entweder allgemein oder einzeln oder partikulär 112 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe 109 sein können; und schließlich, dass die Modalität der Urteils-Aussage – immer für einen beliebigen Inhalt – sich ausdrücken kann entweder durch einen „vielleicht“ (problematisches Urteil) oder durch ein „das ist so“ (assertorisches Urteil) oder durch eine „das muss so sein“ (apodiktisches Urteil). Man hat so die ganze Mannigfaltigkeit erkannt für welche die Urteile empfänglich bleiben, nachdem man von ihrer Materie abstrahiert hat. Oder, wenn man will, hat man so alle reinen Formen der Urteils-Synthese abgetrennt oder isoliert. Nun aber geben diese allgemeinen Formen der Urteils-Synthese wirklich die Formen a priori der Synthese des „Gegebenen“ mit dem „Objekt“ wieder, wie wir es weiter oben nahegelegt haben. In der Tat in diesen verschiedenen Urteilen – und nur dort – wird uns das Phänomen voll als „Objekt“ bewusst. Auf der anderen Seite hat unsere Analyse der reinen Formen des Urteils nur außerhalb ihrer gelassen gerade die Mannigfaltigkeit der Phänomene. Wenn also das Phänomen, wie wir gesehen haben, sich nur objektiviert, indem es sich unterwirft metasensiblen Bedingungen a priori, fällt die Mannigfaltigkeit dieser letzteren notwendig mit der Mannigfaltigkeit der Form-Arten des Urteils zusammen. Nennen wir „reine Begriffe“ des Verstandes die Formen a priori der Synthese von Phänomene in „Objekten“ (B. 119: R.78, krvb Leitfaden der Entdeckung§14 Es gibt also eben so viele reine Begriffe, wie es synthetische Urteils Funktionen gibt. Der nächste Grund für diese Koinzidenz zwischen „reinen Begriffen“ und „synthetische Formen des Urteils“, die wir gerade festgestellt haben, ist leicht zu entdecken. Das Urteil, im ganzen genommen, ist nichts anderes als eine Gruppierung von Phänomenen durch Subsumption dieser Phänomene unter eine allgemeine Regel. Die allgemeinen Regeln, die die Urteile anwenden, bestimmen also, a priori, ebensoviele Synthesen der phänomenalen Mannigfaltigkeit. Aber eine synthetische Form a priori der Phänomene ist genau das, was wir einen reinen Begriff des Verstandes genannt haben“. (B. 119; R. 77 -78 krvb Leitfaden der Entdeckung§14) Die physischen Urteile als solche sind a priori synthetisch und nicht analytisch noch rein empirisch, drücken also direkt aus, durch ihre Form selbst die fundamentalen Typen der begrifflichen Einheit. Diesen fundamentalen Typen – „reine Begriffe“ oder „Urteils-Funktionen“, dem Gesichts-Punkt zufolge, von dem aus man sie betrachtet – gibt Kant den Namen „Kategorien“. Wir reproduzieren unten die Tafel der Kategorien, so dass wir uns später darauf beziehen können, wenn wir sie brauchen. Aber wir werden nicht zögern, sie im Detail zu rechtfertigen. Es hat kaum eine Bedeutung für unsere Ermittlung, ob diese Tafel unvollständig scheint oder zu sehr unterteilt oder ein bisschen künstlich. Das was uns wirklich interessiert, das ist das Prinzip der kategorialen Synthese. Dieses Prinzip, das wir erstellen werden – immer 113 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung Kant folgend – mittels einer Beweisführung, die sehr viel strenger ist als die psychologische Induktion, von der man gerade die Zusammenfassung gelesen hat. Tafel der Kategorien nach Kant, B. 113 und 120; R. 71 und 79). krvb Kategorientafel §9 und krvb Kategorientafel §10 Urteil Kategorie I.Quantität des Urteils universelles Einheit partikuläres singuläres Vielheit Totalität II.Qualität des Urteils affirmatives Realität negative unendlich Negation Limitation III.Relation ausgedrückt im kategorisch Urteil hypothetisch disjunktiv IV Modalität des Urteils Substanz und Akzidenz ) (korrelative Kategorie Ursache und Wirkung korrelative Kategorie Reziprozität problematisch (positive und negative Kategorie assertorisch apodiktisch 110 (korrelative Kategorie: Möglichkeit. Unmöglichkeit (Kategorie positiv und negativ Existenz, Nicht-Existenz) (Kategorie positiv und neagtiv: Notwendigkeit und Kontingenz) §4. – Die transzendentale Deduktion der Kategorien. Wir beginnen hier die Kapitel der kantschen Kritik, die als die schwersten und dunkelsten gelten. Sie sind gleichzeitig nach dem Urteil von Kant „die Ausschlaggebendsten und die Fruchtbarsten“. 114 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe [Rückübersetzung aus Französisch] Ich kenne keine wichtigeren Untersuchungen, um die Grundlagen der Fakultät zu erstellen, die wir Verstand benennen, und um gleichzeitig die Regeln und die Grenzen von seiner Anwendung zu bestimmen, als die des zweiten Kapitels der transzendentalen Analytik, unter den Titel der „Deduktion der reinen Begriffe des Verstandes“ gesetzt. Das sind auch die, die mir am meisten gekostet haben, aber ich hoffe, dass meine Mühe nicht verloren ist.“ (1. Auflage B. 13; R.10173 [original Kant] Ich kenne keine Untersuchungen, die zur Ergründung des Vermögens, welches wir Verstand nennen, und zugleich zur Bestimmung der Regeln und Grenzen seines Gebrauchs, wichtiger wären, als die, welche ich in dem zweiten Hauptstücke der transszendentalen Analytik, unter dem Titel der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, angestellt habe; auch haben sie mir die meiste, aber, wie ich hoffe, nicht unvergoltene Mühe, gekostet. Meiner S.10 krva Vorrede 173 In den folgenden Ausführungen werden wir uns anstrengen, die wesentlichen Linien der kantschen Deduktion nach der 2.Auflage der Kritik einsichtig zu machen, ohne uns zu verbieten auf die 1.Auflage zurückzugreifen, um parikuläre Punkte zu klären. Man wird gerade durch unsere Interpretation sehen, dass wir die grundlegende Identität der zwei Ausgaben erhalten. Vor allem ist es wichtig, uns Rechenschaft zu geben von der Notwendigkeit, wo wir stehen in dieser „transzendentalen Deduktion“, um die Absicht der Kritik zu erreichen, a) Notwendigkeit und Methode dieser Deduktion. Kant bemerkt: Wir können nicht auf die Notwendigkeit von Kategorien schließen auf die Weise, wie wir in der transzendentalen Ästhetik auf die Notwendigkeit von Formen a priori der sinnlichen Intuition schließen konnten. Jedes empfangene „Gegebene“ in einer Fakultät, kleidet sich so oder so dabei mit einer Empfangsform – gerade die der Fakultät – und bildet auf diese Weise die elementarste Einheit, die das Feld des Bewusstseins belegen kann: das Phänomen. Aber wenn ein Mal das Phänomen erworben ist, was ist es dann, was uns dazu zwingt, weiter zu gehen? Eine Sensibilität ohne Verstand noch theoretische Vernunft scheint nicht unmöglich: Ist nicht gerade genau das, der Annahme zahlreicher Philosophen nach, die eigentümliche Bedingung der tierischen Sensibilität? Erscheinungen würden nichtsdestoDie „Kategorie“ hat also gar nicht die weniger unserer Anschauung GeRolle einer absoluten Bedingung der genstände darbieten, denn die Möglichkeit eines Phänomens. (B. 132; Anschauung bedarf der Funktionen des Denkens auf keine WeiR.86) se. krvb Erscheinung, letzter Abschnitt Meiner S.132 115 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 111 112 Man kann ein „Bewusstsein“ (im sehr weiten Sinne dieses Worts) konzipieren ohne „Kategorien“. Beeilen wir uns, hinzuzufügen, dass dieses Bewusstsein nicht „objektiv“ sein würde. Nun aber beschränken sich die ersten Gegebenen, auf die sich die Kritik auswirkt, nicht auf rein sinnliche Phänomene sondern präsentieren sofort alle Attribute von „objektiven Phänomenen“ oder „phänomenalen Objekten“. Das Bewusstsein, dessen Anspruch wir zu überprüfen haben, ist also nicht ein beliebiges Bewusstsein, sondern ein „objektives“ Bewusstsein. Das Ziel der „transzendentalen Deduktion“ ist, zu erklären wie Begriffe a priori sich auf Objekte wie nämlich subjektive Bedingungen des beziehen können (B. 128; R.83).174 Denkens sollten objektive Gültigkeit haben, d. i. Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstände abgeben krvb Meiner S.131 Oder korrelativ unter welchen Bedingungen a priori Objekte in einem Bewusstsein möglich sind. 174 Das ist genau die Formulierung, unter der das kritische Problem sich dem Geist von Kant 1772 gestellt hatte. (Siehe oben, Buch 1, Kap. 6, p. 56). a) Man wird bemerken, dass wir die Absicht (in Wirklichkeit die einzige) der transzendentalen Deduktion der Kategorien unter zwei correlativen Formeln ausdrücken. Dieser Dualismus in der Einheit antwortet auf eine gleiche Oszillation des Gesichtspunkts von Kant selbst. In der Tat, hier wie an anderen Stellen der Kritik vollzieht sich, in einem abwechselnden ein bisschen kapriziösen Rhythmus, ein Ersetzen von Perspektiven: 1. Bald wird Kant den Akzent auf die Bedingungen der Objektivität der reinen Begriffe legen – das heißt auf die Notwendigkeit eines empirischen Inhaltes, um ihnen eine objektive Gültigkeit zu versichern –, zum Beispiel im Text, den wir gerade zitieren – oder auch (B. 131; R.86) wenn er das gegenwärtige Problem in folgenden Worten andrückt: „wissen wie die subjektiven Bedingungen des Denkens einen objektiven Wert haben können.“ krvb Meiner S.131 2. Woanders dagegen legt Kant, einen empirischen Inhalt des Bewusstseins annehmend, den Akzent auf die Notwendigkeit von reinen Begriffen oder von Kategorien, um die objektive Erkenntnis möglich zu machen: [Rückübersetzung:]„Die transzen- [original:] Die transz. Deduktion aller dentale Deduktion aller Begriffe a Begriffe a priori hat also ein Prinzipium, priori hat also ein Prinzip, nach dem worauf die ganze Nachforschung gerichsich unsere ganze Untersuchung regeln tet werden muß, nämlich dieses: daß sie muss. Man muss in diesen Begriffen als Bedingungen a priori der Möglichkeit genauso viele Bedingungen a priori der der Erfahrungen erkannt werden müssen, Möglichkeit von Erfahrungen in diesen (es sei der Anschauung, die in ihr angeBegriffen anerkennen. Die Begriffe, die troffen wird, oder des Denkens). Begriffe, die objektive Grundlage der Möglich- die den objektiven Grund der Möglichkeit keit der Erfahrung liefern, sind gerade der Erfahrung abgeben, sind eben darum dadurch notwendig.“ (B. 134; R.89.) notwendig. krvb Meiner S.134 und in der endgültigen Zusammenfassung der Deduktion: „Sie besteht darin, die reinen Begriffe daß nämlich die Kategorien von seiten des des Verstandes zu erklären... als Prin- Verstandes die Gründe der Möglichkeit zipien der Möglichkeit der Erfahrung.“ aller Erfahrung überhaupt enthalten krvb (B. 163; R.759) Meiner S.188a • Ausgehend vom zweiten dieser Gesichtspunkte, der direkt dem Empirismus entgegengesetzt ist, wird bevorzugt die Deduktion entwickelt. Die kritischen Schlussfolgerungen der Deduktion dagegen – die Gültigkeit der Kategorien – werden vielmehr aus 116 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe dem ersten Gesichtspunkt gezogen, der dem ontologistischen Dogmatismus entgegengesetzt ist. • In Wirklichkeit bilden die zwei Gesichtspunkte zwei Aspekte eines gleichartigen Problems; Kant fasst sie zusammen in folgender Schlussfolgerung: „Die Kategorien sind die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung: und sie sind also auch gültig a priori für alle Objekte der Erfahrung.“ (B. 158; R.753) b) Einer anderen Ersetzung der Perspektiven begegnet man bei der transzendentalen Deduktion. Bei ihr interessiert der Ansatzpunkt, und sie wird gerade von der Pluralität der anfänglichen Anschlusspunkte der Kritik erzwungen. Diese sind – nach Belieben – entweder die Erfahrung im Allgemeinen oder die reinen Wissenschaften oder noch nüchterner das Objekt im nicht-intuitiven Denken, das phänomenale Objekt: das Denkliche. • Wir finden in der Deduktion die Erinnerung an diese drei primitiven Postulate der Kritik: 1. Die Erfahrung im Allgemeinen. Zum Beispiel. B. 134, weiter oben zitierte Stelle krvb Meiner S.134. Oder: „Der objektive Wert der Kategorien, als Begriffe a priori, beruht auf folgendem: zu wissen, dass sie allein möglich machen die Erfahrung (hinsichtlich der Form des Denkens).“ (B. 133; R.89. Cf. B 47 sq. ; R. 741-742 – B. 163; R. 759, etc. etc.) 2. Die reinen Wissenschaften, begründet auf synthetischen Urteilen a priori. Zum Beispiel an der Stelle wo Kant das Terrain seiner Deduktion entrümpelt: „ ..diese empirische Herkunft zu der Locke und Hume ihre Zuflucht nahmen, kann nicht mit der Existenz der wissenschaftlichen Erkenntnisse a priori, die wir besitzen, versöhnt werden, nämlich die der reinen Mathematik und der allgemeinen Physik. Infolgedessen ist sie durch die Tatsache widerlegt."(B. 135; ’R. 728) 3. Das gedachte Objekt als solches. Zum Beispiel die Formel vom Ende der präkritischen Periode, hier neu aufgeführt: „Wie können Begriffe a priori sich auf Objekte beziehen“. (B.128. R.83. Cf. B. 131, 141, etc.’ R.86. 736. etc.) • Man sieht übrigens, dass diese drei Ansatzpunkte einander einschließen. Das nichtintuitive Objekt umfasst eine phänomenale Materie und setzt also eine Erfahrung voraus, die verbunden ist in der Zeit und im unendlichen Raum. Auf der anderen Seite kann das nicht-intuitive Objekt seine Objektivität im Bewusstsein nur halten durch Synthesen a priori. die genau den Inhalt der reinen Wissenschaften bilden. c) Es gibt schließlich in der transzendentalen Deduktion eine Oszillation zwischen der subjektiven Methode und der objektiven Methode dieser Deduktion. Siehe zu diesem Thema die Fußnote am Ende dieses Kapitels 2. (Seite 126) 113 Dennoch besteht diese „Deduktion“ nicht darin, durch innere Erfahrung die Genese des „objektiven Begriffes“ zu zeigen. Eine empirische Demonstration würde zurückfallen in den Rahmen der Psychologie oder der „Physiologie des Geistes“, wie ihn der „hochberühmte Locke“ versuchte (B. 129; R.84); Denn. weit entfernt dass es uns genügte, die geschichtliche Reihe von Vorgängen zu beschreiben durch die wir uns „Objekte“ erschaffen, behaupten wir in der Kritik, die Bedingungen einzulösen, die a priori gerade die Möglichkeit jeder objektiven Erkenntnis befehlen. Die psychologische Erklärung gibt uns die Bedingungen für die Tatsächlichkeit und die empirischen Ursachen. Die transzendentale Erklärung beruft sich auf die Bedingungen der Berechtigung und stellt die „Rechtmäßigkeit“ fest (B. 128-129; R. 83 -84). Aber nur dieses Letzte ist wichtig für die Kritik. Um für die Kritik Gültigkeit zu haben, muss also die Deduktion der Kategorien a priori sein. Sie muss apodiktisch die „Kategorien“ mit einer „objektiven Gültigkeit“ versehen, das heißt, zeigen, nicht nur dass die Kategorien in der Tat eine andauernde Verbindung mit unserer Erfahrung der Objekte haben, sondern „dass allein die Kategorien die Erfahrung möglich machen hinsichtlich 117 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung der Form des Denkens“ (=bezüglich der metasensiblen Form der Erfahrung) (B. 133 Ende; R.89) Es könnte scheinen, dass wir diese Demonstration schon auf den vorhergehenden Seiten gemacht hätten. Wir haben sie höchstens angebahnt. Wir haben in der „Präambel“ bewiesen (p. 104, §2), dass das Phänomen, um Objekt zu werden, sich mit metasensiblen Bedingungen a priori ankleiden musste. Diese erste Schlussfolgerung war a priori, keineswegs induktiv, da sie unmittelbar resultierte aus der Analyse der Begriffe des „Phänomens“ und des „Objekts“. Aber wie haben wir darüber hinaus gezeigt, dass die sogenannten Bedingungen a priori „Kategorien“ wären? Einzig durch Feststellung der Koinzidenz der objektiven Erkenntnis mit der kategorialen Synthese, die die Urteile ausdrücken. Unser Beweis war darin psychologisch, a posteriori. Er zeigte uns zweifellos, „dass es damit so war“, aber nicht, „warum es damit so war“, und noch weniger „dass es damit nicht anders sein konnte“. Nun aber muss der objektive Wert der Kategorien auf einer unerschütterlicheren Grundlage als einem einfachen psychologischen Gesetz aufruhen, so sicher dieses auch wäre. Die Absicht Kants ist nichts weniger als Folgendes: a priori zu zeigen, dass, für jeden nicht-intuitiven Verstand (das heißt verbunden mit einem phänomenalen Inhalt) die Erkenntnis von „Objekten“ die Vermittlung durch Kategorien verlangt175 . 175 Man wird weiter unten sehen, warum wir sagen: „von Kategorien“ und nicht von den (kantschen) Kategorien“. Man versteht unmittelbar, dass diese zwei Arten von Ausdrücken Probleme von ungleichem Interesse eröffnen. 114 Kant besteht auf dieser Strenge des kritischen Gesichtspunkts: der dauernde Erfolg von „Objektivierungen“ von Phänomenen unter der Regel der „Kategorien“ genügt nicht, ein Missverhältnis zwischen den inneren Bedingungen der Phänomene und denen des Verstandes völlig undenkbar, logisch unmöglich zu machen. „Es könnte strenggenommen möglich sein, dass die Phänomene von solcher Natur wären, dass der Verstand sie überhaupt nicht konform zu den Bedingungen seiner Einheit fände und dass alles in einer solchen Verwirrung wäre, dass zum Beispiel in der Reihe der Phänomene es nichts gäbe, was eine stabile Regel für die Synthese liefern würde, nichts was dem Begriff von Ursache und Wirkung entspräche.“ (B. 131 ; R.87) Die psychologische und induktive Analyse,um die Sache ins Bessere zu setzen, führt uns logisch nicht über die folgende Schlussfolgerung hinaus: Die Objektivierung von Phänomenen mittels der Kategorien ist für mich eine subjektive und angeborene Notwendigkeit. Dies ist ungenügend, protestiert Kant. denn dann könnte ich nicht sagen: die Wirkung ist mit der Ursache im Objekt verbunden, das heißt, notwendig, sondern nur, ich bin so gemacht, dass ich eine Vorstellung nicht begreifen kann als verbunden mit einer anderen. Das würde darauf hinauslaufen, das Spiel des Skeptikers zu spielen. Denn 118 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe unsere ganze Erkenntnis, fundiert auf der behaupteten objektiven Gültigkeit unserer Urteile, wäre nicht mehr als ein Schein und es würde nicht an Leuten fehlen, die nicht zugeben würden, dass diese subjektive Notwendigkeit objektiviert werden kann. Wenigstens könnte man mit niemandem über eine Sache diskutieren, die einzig von der Organisation des Subjektes abhängt.“ (B. 162; R.758) Das Problem der „transzendentalen Deduktion“, das unendlich tiefer ist als das der psychologischen Analyse, lässt sich jetzt in genauen Ausdrücken aufstellen. Zu zeigen, außerhalb jeder Berufung auf die Erfahrung, das heißt streng a priori, dass in einem Verstand, der überhaupt nicht mit eigener Intuition begabt ist, die objektive Erkenntnis notwendig stattfindet durch eine kategoriale Synthese von Phänomenen. Wenn diese Demonstration a priori möglich ist, hat man damit gleichzeitig die Bedingungen der „objektiven Gültigkeit“ der Kategorien gezeigt. b) Das Wesentliche dieser Deduktion. 115 Bevor wir, Kant folgend, in die transzendentale Deduktion der Kategorien“ eintreten, halten wir es für nicht unnütz, davon eine sehr vereinfachte Skizze aufzuzeigen, frei von allem Nebensächlichen und von jedem Umweg der Erklärung. Das „objektive Denken“ oder das „Objekt im Denken“ Anfangs-Postulat der ganzen Kritik, umfasst sowohl sinnliche Intuitionen und Begriffe des Verstandes. Wir haben gesehen, wie gegen Ende der präkritischen Periode die zwei korrelativen Probleme aufgetaucht sind: Wie können sinnliche Intuitionen in unserem Denken die Geltung von Objekten annehmen? Wie können reine Begriffe des Verstandes in unserem Denken die Geltung von Objekten annehmen? Hier ist die Lösung von Kant in wenigen Worten. A. Das objektive Denken 1. kann nicht rein passiv sein (das heißt „empfangen“: von außen aufgedrückt, sinnlich) da das sinnliche „Phänomen“ in sich betrachtet wesentliche Attribute jedes gedachten „Objekts“ entbehrt. 2. ist beim Menschen auch nicht rein aktiv (das heißt völlig spontan, gänzlich hervorgebracht vom denkenden Subjekt). Denn wenn man die absolute Möglichkeit eines „intuitiven Verstandes“, dessen Aktivität selbst seinen materialen Inhalt schaffen würde, nicht leugnen kann, bleibt nur, dass in der Tat „unser“ Verstand, der einzige mit dem sich die Kritik befasst, nicht intuitiv ist. Unsere „reinen Begriffe“, einfache einigende vereinheitlichende Funktionen, wüssten also von sich selbst her nicht, wie sie ein „Objekt“ darstellen, repräsentieren sollen oder können aus Mangel an einem zu vereinheitlichenden „Inhalt“. B. Das objektive Denken muss also eine Synthese von passiven 119 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 116 Elementen sein, (oder von „empfangenen“: von außen gegebenen, nicht auf das a priori des Denkens zurückführbaren) und von aktiven Elementen (Bedingungen a priori). In dieser objektiven Synthese bestimmen wir genauer: 1. den Beitrag der Sensibilität. Der Empfang des von außen Gegebenen geschieht notwendig entsprechend der Form des rezeptiven Subjekts, das heißt nach einer „Form a priori“ der Sensibilität. Tatsächlich „stellt“ Kant in uns zwei „Formen a priori der Sensibilität“ fest: den Raum und die Zeit. Er versucht nicht, wie es später Fichte machen wird, sie „abzuleiten“ gerade von der Passivität des Sinnes. 2. den Beitrag des Verstandes, das heißt, alles, was man hinzufügen muss, zum Beitrag der Sensibilität, um ein „Objekt des Denkens“ zu machen, einen „objektiven Begriff“. Kant definiert diese Teilnahme des Verstandes zur Bildung des Objekts auf zwei Weisen. Zuerst verleiht der Verstand dem sinnlichen Phänomen die Bedingungen der Universalität und der Notwendigkeit, die sie trennen werden von der reinen partikulären und kontingenten „Subjektivität“. Zweitens bezieht der Verstand positiv die phänomenale Mannigfaltigkeit auf die Einheit eines gleichen Bewusstseins – auf die „reine Einheit der Apperzeption“, wird Kant sagen. Der eine und der andere Aspekt der objektivierenden Funktion – Universalisierung und Apperzeption – entsprechen übrigens dem kantschen Begriff (Notion) der „Synthese a priori“, Synthese hier bewirkt unter dem Typ der „allgemeinen objektiven Einheit des Bewusstseins“. C. Das Objekt im Denken, das also das synthetische Produkt der reinen Einheit des Bewusstseins und der intuitiven Mannigfaltigkeit des Sinnes ist, ergibt unmittelbar die Notwendigkeit von „Funktionen a priori der Synthese“ oder von „Kategorien“. In der Tat kann die Einheit a priori des Bewusstseins die Mannigfaltigkeit des sinnlich Gegebenen nicht erreichen es sei denn durch die „Formen a priori der Sensibilität“ Raum und Zeit. Siehe oben B). Es braucht also, im Voraus zum Empfang eines beliebigen Gegebenem, das heißt a priori eine funktionale Beziehung die die reine Einheit des Bewusstseins an die Formen a priori der Sensibilität bindet. Diese funktionale Beziehung stellt genauso viele Verschiedenheiten dar, wie mögliche Kombinationen zwischen den Formen a priori der Sensibilität existieren einerseits und der reinen Einheit des Bewusstseins andererseits. Wenn diese Formen der Sensibilität, beziehungsweise des Raumes für die äußerlichen Sinne und der Zeit für den inneren Sinn, sind, muss man sagen, dass die funktionale Beziehung, von der wir sprechen, genauso viele Verschiedenheiten a priori anbieten, wie es mögliche Weisen gibt, ein beliebiges Gegebenes auf die reine Einheit des Bewusstseins zurück zu beziehen durch die Vermittlung der Formen des Raumes und der Zeit – oder, kürzer noch: genauso viele Verschiedenheiten a priori wie es mögliche Weisen gibt, beliebi- 120 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe ge Phänomene in der Zeit zu vereinigen. (Siehe weiter unten, die Theorie der „reinen Schemata“) Diese differierenden „Verschiedenheiten“, die in einem gleichzeitig intellektuellen und sinnenhaften Subjektt a priori die einigende Funktion des Verstandes spezialisieren, werden von Kant die „Kategorien“ genannt. Sie stellen genauso viele allgemeine Typen möglicher Objekte unseres diskursiven Verstandes dar: eine intuitive Intelligenz hätte nur „Kategorien“ zu machen. Auf die doppelte Frage, die im Anfang von diesem Paragraphen gestellt wird, ist die Antwort von Kant also sehr klar: 1. die sinnlichen Intuitionen nehmen keine Gültigkeit von Objekten in unserem Denken an es sei denn durch Synthese unter „Kategorien“. 2. die reinen Begriffe – Ausdrücke der Kategorien – nehmen keine Gültigkeit von Objekten an in unserem Denken als durch Synthese mit den sinnlichen Intuitionen, die ihnen eine „Materie“ liefern. Machen wir jetzt noch einmal, langsamer, den gleichen Weg nach Kant, jedoch ohne uns zu verbieten, den Abweichungen seiner Erklärung von der geraden Linie zu folgen. c) Eine erste Etappe dieser Deduktion. 117 Dass ein nicht-intuitiver Verstand seine ihm eigentümliche Operationsart nur auf Phänomene ausüben kann, das ist absolut evident durch die einfache Analyse der fraglichen Begriffe. In der Tat ist ein nicht-intuitiver Verstand eine Fähigkeit ohne ihr eigentümlichen materiellen Inhalt, eine rein formhafte Funktion, denn wenn sie darüber hinaus von sich selbst her eine Materie anböte, wäre sie intuitiv. Aber eine Fakultät der formhaften Art kann die „Materie“ ihrer Akte finden in zwei Stufen der Ausarbeitung: im Zustand eines rein „Gegebenen“, und in diesem Fall ist die Fakultät rezeptiv, sie ist eine „Sinneswahrnehmung“; oder im Zustand eines schon vorher im Bewusstsein empfangenen Gegebenen . also von den Formen einer Sensibilität erfüllt, das heißt im Zustand eines Phänomens. Da der Verstand, durch Definition, sich der Sinneswahrnehmung überlagert, kann die Materie, die er verarbeitet, nur das „Phänomen“ sein, nicht das reine „Gegebene“. Und die dem Verstand eigentümmliche Funktion ist damit nicht mehr eine direkte „Information“, sondern eine „Synthese“. Es bleibt zu zeigen, dass ein nicht-intuitiver Verstand „Objekte“ nur erkennt, indem er die Phänomene unter apriorische Regeln subsumiert, nämlich unter „Kategorien“; mit anderen Worten, indem er, je nach dem apriorischen metasensiblen Typ, die Synthese von Phänomenen bewirkt. (B, 111-112, 118; R. 69-70, 76 -77) Vereinbaren wir zuerst eine minimale Definition der „objektiven Erkenntnis“. „Ein Objekt im Bewusstsein ist das, dessen Begriff die verschiedenen Elemente 121 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung einer Intuition vereinigt“ (B. 141; R. 735 -736). Ein „Objekt“ – insofern es erkannt ist – setzt also voraus: 1) eine Mannigfaltigkeit von intuitiver Herkunft, 2) vereinigt, oder synthetisiert 3) in einem Begriff, das heißt in der „Representation (Darstellung) seiner synthetischen Einheit“. (cf. B. 119; R.78)176 176 Unstreitig, treten die Elemente, die von Kant aufgezählt werden, mit aller Notwendigkeit in die Bildung des Erfahrungsobjekts ein; aber, wenn sie notwendig sind, sind sie auch hinreichend? oder wenigstens verbergen sie nicht andere, tiefere, die man hervorheben sollte? Wir würden gut daran tun einige Vorbehalte zu formulieren; man möge uns erlauben, diesen Punkt in der Schwebe zu lassen bis zu dem Moment, wo wir sagen werden, warum es dem System von Kant nur teilweise gelingt, das kritische Problem zu lösen. Bis dahin muss unser faires Bemühen sein, den Argumenten, die wir zusammenfassen, ihren vollen Wert zu geben. Unsere Vorbehalte, lassen im Übrigen, wenn sie begründet sind, die wirklich bejahenden Schlüsse der transzendentalen Deduktion fortbestehen mit Ausschluss der negativen und agnostischen Schlüsse. Wir werden also mit Kant zugeben, dass objektiv zu erkennen, heißt, das Bewusstsein haben von der synthetischen Einheit einer Mannigfaltigkeit von Phänomenen. Wie ist die so bestimmte „objektive Erkenntnis“ möglich? d) Die Einheit der reinen Apperzeption. 118 Wir müssen näher prüfen, was wohl das „Bewusstsein einer Synthese von Phänomenen“ sein kann, und was es notwendig voraussetzt. Wir sagen, dass wir Bewusstsein von „irgendetwas“ haben, wenn es uns möglich wird, in Bezug auf es auszusagen: ich sehe es, ich stelle es mir vor, ich denke es etc. kurzum, wenn die Vorstellung (Repräsentation) des Objektes sich bezogen findet auf diese homogene Einheit des „ich“ die in gleicher Weise – wie ein gemeinsamer Faktor – alle Vorstellungen (Repräsentationen), die im klaren Bewusstsein auftauchen, bestimmt. Eine Vorstellung (Repräsentation), die nicht auf diese Einheit des „ich“ bezogen ist, bleibt „unbemerkt (=inaperçue=Gegenteil von Apperzeption)“ (dem Ausdruck von Leibniz zufolge): sie ist für mich wie nicht existierend. „Das ich denke, schreibt Kant, muss alle meine Vorstellungen begleiten können, denn sonst würde es etwas Vorgestelltes in mir geben, das nicht gedacht werden könnte, was darauf hinauskommt, zu sagen, entweder dass die Vorstellung unmöglich wird, oder wenigstens dass sie nichts für mich sein würde.“ (B. 137-138; R.732). Also alle „Phänomene“, insofern sie objektiv ins klare Bewusstsein treten177 , 177 Das Unterbewusstsein als solches betrifft die empirische oder metaphysische Psychologie, aber nicht unmittelbar die Kritik. müssen auf die Einheit des „ich“ bezogen sein. Was markiert genau die Beziehung zur Einheit des „ich“? Was ist hier dieses „ich“? Es ist offensichtlich nicht die intuitive Wahrnehmung meines ontologischen Ichs, etwas wie diese objektive und ausdrückliche Erkenntnis von meiner 122 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe eigenen Substantialität, von der Descartes behauptete, sie im „cogito“ zu entdecken. Sondern, dies ist – bescheidener – die gemeinsame Bedingung apriori, die in der Einheit eines Bewusstseins alle meine Vorstellungen gruppiert. Diese sind für mich nur „Erkenntnis“ kraft des Einheitsbandes, das sie verbindet. Isoliert würden sie genauso viele verstreute Bewusstseinselemente darstellen (B. 138-139; R. 733 -734) genauso viele rudimentäre und dunkle Bewusstseine, Bewusstseine ohne „ich“, wie sie unsere menschliche Erfahrung nicht enthält. Kant nennt „empirische Apperzeption“ die Vorstellung von Objekten der Erfahrung, von partikulären phänomenalen Synthesen. Er reserviert den Namen „reine Apperzeption“ oder „transcendentale Apperzeption“ auf die Wahrnehmung des „ich“ als Bedingung apriori der Einheit, die mit der Gesamtheit der Objekte der möglichem empirischem Apperzeption in einem und demselben Bewusstsein zu tun hat, sie affiziert. Setzen wir die Beweisführung von Kant fort: Alle Phänomene, sagten wir, müssen, um Materie von Erkenntnis zu werden178 , 178 Es handelt sich offensichtlich um die eigentliche Erkenntnis als bewusste; man könnte sagen: um das Denken, unter der Bedingung, nichts über die Natur desselben vorzuentscheiden. 119 „erblickt, bemerkt“, das heißt, zurückbezogen werden können auf die Einheit des Bewusstseins. Der Bezug einer Mannigfaltigkeit von Phänomenen auf eine Einheit ist eine Synthese von Phänomenen. Aber jede ausgeführte Synthese setzt ein SynthesePrinzip voraus, eine vorausgehende Regel, oder mit anderen Worten eine Bedingung apriori, die diese Synthese möglich macht. Also, damit die „Phänomene“ Materie von Erkenntnis werden können, muss eine Bedingung apriori (mit einer logischen Priorität) vorher bestehen, die ihre Beziehung zur absoluten Einheit des Bewusstseins sicherstellt: in anderen Worten, die Synthese der Phänomene, insofern sie die Kritik interessiert und zur Bildung von „Objekten“ führt, wird sich ausführen in Übereinstimmung mit einer „Regel apriori“ der Einheit, die genau das Bewusstsein als solches definiert. (B. 139; R.734) Wir erhalten so schon eine kostbare Schlussfolgerung, von der man wissen muss, wie man sie unmittelbar anwendet. e) Die reine (transzendentale) Apperzeption und die Kategorien. „Die Einheit des Bewusstseins ist also – fährt Kant fort – das, was allein den Bezug der Vorstellungen auf ein Objekt begründet, das heißt ihre objektive Gültigkeit; es ist sie, die daraus Erkenntnisse macht, und infolgedessen ist sie es, auf der selbst die Möglichkeit des Verstandes aufruht“. (B. 141; R.736)179 123 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 179 Man hat der Philosophie Kants die Vorwürfe von „Subjektivismus“ und „Solipsismus“ gemacht. Bemerken wir hier nur, dass diese Einwände zwar Geltung hätten gegen eine anthropologische Interpretation Kants, jedoch jede Bedeutung verlieren, sobald man den tatsächlichen kritischen Begriff des transzendentalen Subjekts wieder herstellt, welcher nichts anderes ist als die Gesamtheit der Bestimmungen apriori des bewussten Objekts. Diese Bestimmungen sind uns, entsprechend ihrer absoluten logischen Notwendigkeit, zuerst bekannt, was auch immer es mit ihrer psychologischen Entsprechung auf sich hat (reines Ich oder individuelles Bewusstsein.) 120 Wenn man dieses Theorem, das wir gerade beweisen, in Strenge nimmt, müsste man sagen, dass die Einheit der „reinen Apperzeption“ die höchste Bedingung der Möglichkeit aller objektiven Erkenntnis ist, und dass also eigentlich im Bewusstsein nur ein einziges Objekt existiert, nämlich die totale Synthese der Mannigfaltigkeit der Phänomene, was auch immer ihre Unterschiede in Ort und Zeit wären. Wenn man das so versteht: ein „einziges angemessenes (adäquates) Objekt“, das zwischen sich und den Phänomenen eine Vielfalt von sekundären „Objekten“ gar nicht ausschließt, so glauben wir, dass damit wohl das Denken Kants beschrieben ist. (B. 139-140; R.734. Cf. 1. erste Auflage. BB. 323; R. 101 102) Er führt so – auf dem Gebiet der Kritik – das Gegenstück des Prinzips der „ungekürzten (integralen) Rationalität“ von Aristoteles, Descartes und Spinoza ein, nach welchem, wie wir es schon mehrmals gesagt haben, jeder Inhalt des Denkens objektiv wahr ist, in dem Maße wie er dem totalen System der Vernunft angehört. Unterscheiden wir aber tatsächlich innerhalb des einzigen Objektes selbst, das in sich die ganze Mannigfaltigkeit unserer Intuitionen vereinigen würde, nicht doch wahrhafte partikuläre Objekte? Wie ist diese Aufteilung des Objektes möglich? Auf diese Frage werden wir aprioti eine erste Antwort geben, die, wie uns scheint, sich klar genug von den Entwicklungen des zweiten Abschnitts der transzendentalen Analytik frei machr (2. Auflage zwischen den §§15 und 27), vor allem, wenn man sie mit den entsprechenden Stellen der 1. Auflage vergleicht. Die Einheit der reinen Apperzeption – da diese weder rezeptiv noch intuitiv ist – widmet sich notwendigerweise den Phänomenen, das heißt, dem äußerlichen Gegebenen schon versehen mit der Form einer rezeptiven (sinnlichen) Fakultät. Dieser Punkt wurde schon weiter oben festgestellt. Daraus folgt, dass selbst vor der Vorstellung von irgendeinem partikulären „Gegebenen“, die Einheit der Apperzeption auf der einen Seite und die Form der sinnlichen Rezeption auf der anderen Seite, verbunden werden müssen durch eine „Relation apriori“. In der Tat erreicht die Einheit der Apperzeption das Phänomen nur durch die Form der Sensibilität und alle beiden gehören zu einem einzigen und gleichen Bewusstsein. 124 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe 121 Wenn die Sensibilität einfach die Mannigfaltigkeit des anfänglich Gegebenen zurückbrächte auf eine apriori homogene Form, mit anderen Worten, wenn die sinnliche Intuition nicht eine andere Mannigfaltigkeit böte als die des Gegebenen, würden alle Phänomene zurückgeführt auf die gleiche Art und Weise auf die Einheit der Apperzeption (vorausgesetzt eine apperzeptive Synthese wäre unter diesen Bedingungen möglich). Man sieht leicht warum: die reine Einheit der apperzeptiven Synthese kann nicht unmittelbar vermannigfaltigt werden durch die empirische Mannigfaltigkeit des Gegebenen, denn dies würde bedeuten, die absolute Einheit des Bewusstseins zurückzuführen auf die relative Einheit einer „Sensibilität“ und die „objektive Erkenntnis“ unmöglich machen. Wenn eine formartige Mannigfaltigkeit in die apperzeptive Synthese eindringt, muss diese Mannigfaltigkeit also abhängen, nicht von der Verschiedenartigkeit des Gegebenen, sondern von der Verschiedenartigkeit der Beziehung, die apriori die Sensibilität mit der Einheit der Apperzeption verbindet. Aber, unter der Annahme dass die apriorische Form der sinnlichen Intuition vollkommen homogen sei, bleibt kein Prinzip einer möglichen Vermannigfaltigung der „Beziehung“, die diese „Form“ mit der apperzeptiven Synthese verbinden würde. Solches wäre der Fall (vielleicht im übrigen eine unsinnige Annahme) wenn die Form der sinnlichen Intuition lediglich (rein und einfach) die homogene Quantität wäre. Alle Phänomene würden sich dann auf die Einheit der Apperzeption beziehen gemäß einer immer gleichen „Regel“, das heißt, dass nur eine einzige „Kategorie“ bestehen würde. Aber neben der räumlichen oder quantitativen Form, gibt unsere Sensibilität – warum? Kant ignoriert sie, dies ist eine erste Tatsache (B. 147; R.742)180 180 Es gibt jedoch einen Entwurf einer Herleitung der „Zeit“, in der Analyse der „Synthese der Apprehension“. (1.Auflage BB. pp. 315-316 Meiner S.142a). Denn diese Synthese, notwendig für die objektive Erkenntnis, ist als sie selbst nur möglich durch sukzessive Vereinheitlichung (Gegenteil von Vermannigfaltigung) des Raumes. Es wäre interessant, diesen Hinweis von Kant mit der transcendantalen Deduktion von Raum und Zeit bei Fichte zu vergleichen. – eine andere Form apriori, verbunden mit der ersten im „inneren Sinn“, nämlich: die Zeit, oder genauer, die „Zeitlichkeit“. Aber, für ein beliebiges materiell Gegebenes eingeführt unter der räumlichen Form, kann die Kombination der räumlichen Intuition mit der zeitlichen Intuition vom gleichen Gegebenen apriori verschieden sein. Das heißt, dass ein beliebiges sinnliches Objekt, das im Raum gegeben ist, bezüglich der Dauer in verschiedenen Weisen eingefügt werden kann: entweder einfach als in der Zeit Gegebenes, oder als Beständiges in der Zeit, oder als in irreversibler Aufeinanderfolge Gegebenes bezogen auf ein anderes räumliches Element, und so weiter. Dank der der räumlichen Form überlagerten Form der Zeit existiert so eine Mannigfaltigkeit apriori – ein Spiel von „Möglichkeiten“ – schon in den 125 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 122 allgemeinen Bedingungen der Sinneswahrnehmung, in der Form mit der die Phänomene gebildet sind. Aber, wir haben es gerade eben gesagt, die Anwendung der apperzeptiven Einheit auf Phänomene setzt eine Beziehung aprioti zwischen ihr und der reinen Form der Sensibilität voraus. Wenn diese Form von sich aus und apriori vermannigfaltigt ist (Raum x Zeit), muss die obengenannte Beziehung also auch im Verhältnis vermannigfaltigt sein. Die Schlussfolgerung ergibt sich so von selbst: die apperzeptive Synthese von in der Zeit gegebenen Phänomenen ist apriori empfänglich für genauso viele stabile Verschiedenheitem, wie es apriori Art und Weisen gibt, ein Phänomen in der Zeit zu geben; das heißt, dass diese Synthese stattfinden muss in Übereinstimmung mit einer mehr oder weniger großen Zahl von „Regeln“ oder „Kategorien“. Vervollständigen wir die Beweisführung, und wir werden alles Wesentliche der tranzendentalen Deduktion ausgedrückt haben. Aber, so wollen wir hinzufügen, die apperzeptive Synthese ist genau das, was uns objektiv in der Zeit gegebene Phänomene zum Bewusstsein bringt. Also das objektive Bewusstsein von in der Zeit gegebenen Phänomenen verlangt eine Mannigfaltigkeit von Kategorien.181 181 Man wird sich erinnern, dass wir „Kategorie“ die Regel apriori genannt haben, nach der sich die begriffliche Synthese von Phänomenen vollzieht. – Wir übersetzen hier das von Kant selbst am Ende von Buch I der “transzendentalen Analytik “ präsentierte „Resumee=Zusammenfassung“ der transzendentalen Deduktion. Wenn man dort jedes Wort wohl erwägt, wird man, glauben wir, die skrupulöse Treue unserer Interpretation erkennen. Die transzendentale Deduktion der Kategorien besteht darin, die reinen Begriffe des Verstandes darzulegen (und mit ihnen die ganze theoretische Erkenntnis apriori) als Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung – indem man diese betrachtet als die Bestimmung der Phänomene im Raum und in der Zeit im Allgemeinen – und indem man sie schließlich herleitet vom Prinzip der synthetischen Einheit mit dem Ursprung in der Apperzeption, genau so wie aus der Form des Verstandes in seiner Beziehung zum Raum und der Zeit diese Formen mit ihrem Ursprung in der Sensibilität.“ (B. 163; R.759, Meiner S.190b) Man beachte die letzten Linien dieses Zitates, die den Zugang eröffnen zur Theorie des „transzendentalen Schematismus“. Original Kant:(siehe obigen Hyperlink, Ende des §27) nämlich: „Kurzer Begriff dieser Deduktion Sie ist die Darstellung der reinen Verstandesbegriffe, (und mit ihnen aller theoretischen Erkenntnis a priori) als Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung, dieser aber, als Bestimmung der Erscheinungen in Raum und Zeit überhaupt, - endlich dieser aus dem Prinzip der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption, als der Form des Verstandes in Beziehung auf Raum und Zeit, als ursprüngliche Formen der Sinnlichkeit.“ Man wird bemerken, dass wir nur mit einem gewissen Vorbehalt schließen: wir behaupten nicht, dass jede objektive Fakultät, die eine eigene Intuition entbehrt, – oder kürzer: jeder nicht-intuitive Verstand – eine Mannigfaltigkeit von Kategorien verlange; sondern nur, dass jedes nicht-intuitive Verstehen, das gezwungen ist, seine Synthesen in der Zeit zu wirken, eine Pluralität von Kategorien verlange. 126 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe 123 In der Tat lässt sich die Bedingung der Zeit analytisch nicht ableiten vom Begriff eines nicht-intuitiven Verstandes, oder wenigstens macht Kant nicht diese analytische Deduktion. Die Bedingung der Zeit wird uns direkt gegeben, wie eine „Intuition apriori“ konstitutiv für unsere Erfahrung: die Zeit hier einzuführen unter den logischen Faktoren der „transzendentalen Deduktion", das ist zweifellos nicht nur, die Bedingungen apriori des menschlichen Objekts der Erkenntnis zu überschreiten, sondern dies ist vielleicht schon eine Überschreitung der Bedingungen apriori der Möglichkeit des nicht-intuitiven Objektes als solchem. Um die kantsche Beweisführung in aller Strenge zu interpretieren, müssen unsere Schlüsse sich auf folgende Weise abstufen: 1. Jedes nicht-intuitive Verstehen verlangt die Vermittlung einer kategorialen Synthese, das heißt von einer oder mehreren Kategorien. Das ist ein analytischer Satz, unabhängig von der Erwägung des Faktors: Zeit. Das reicht hin, das Prinzip der „kategorialen Synthese“ selbst aufzustellen ". 2. Jeder nicht intuitive Verstand unterjocht unter die Form der Zeit, verlangt eine Mannigfaltigkeit von Kategorien. Weniger weitreichender, aber ebenso analytischer Satz. 3. Diese Kategorien sind identisch mit den „reinen Formen der urteilenden Synthese“, das heißt, entsprechen, wenigstens im Prinzip, den kantschen Kategorien (von denen wir auf S. 109 die Tabelle reproduziert haben). Dieser Satz bleibt zu beweisen. Mit Absicht haben wir der Beweisführung, die vorausgeht, die abstraktest mögliche Form gegeben, um von da aus die Tragweite zu verallgemeinern. Wir glauben übrigens nichts anderes gemacht zu haben als das Denken Kants zu übersetzen, ohne es auf irgendeine Weise „zu verraten“. Um den unter 3. vorgeschlagenen Schluss zu erreichen, schlägt dieser ausdrücklich ein Argument vor, das auf den ersten Blick davon, sich auf die psychologische Verschiedenheit von Urteilen zu berufen scheint, die aber im Grund, auf den vorhergehenden Beweis hinausläuft, vervollständigt durch die Einführung einer Definition des Urteils. „Die in einer sinnlichen Intuition gegebene Mannigfaltigkeit kommt notwendig zurück unter der synthetischen Einheit mit Ursprung aus der Apperzeption. [In der Tat, ohne diesen Bezug auf die reine Apperzeption, würde die Mannigfaltigkeit der Sinne nicht bewusst werden.] Aber, der Akt des Verstandes, durch den die Mannigfaltigkeit von Vorstellungen im Allgemeinen (entweder Intuitionen oder Begriffe) zurückgebracht wird auf die apperceptive Einheit, ist nichts anderes als die logische Funktion des Urteils. [Wir werden in einem Augenblick den Beweis dieses Untersatzes geben]. Also jede in der Sinnes-Intuition gegebene Mannigfaltigkeit ist bestimmt durch die Beziehung zu einer der logischen Funktionen des Urteils. Aber die „Kategorien“ definie- 127 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung ren sich genau wie die Bestimmungen, die eine sinnliche Mannigfaltigkeit auf die logischen Funktionen des Urteils beziehen. Also die Mannigfaltigkeit einer sinnlichen Intuition wird notwendigger Weise Kategorien unterworfen“. (B. 145-146; R.740)182 182 Wir haben da und dort die Ausdrücke des Übersetzers modifiziert. Die Einschließungen zwischen Anführungszeichen sind offensichtlich von uns. Wie beweist Kant den Untersatz dieses Polysyllogisme?183 183 Wir bitten, dass man seinen Beweis beachte, denn, dies ist einer der Punkte, wo eine aufmerksame Prüfung uns, später, zeigen wird zwar keinen Widerspruch oder einen Logikfehler, aber vielleicht eine schwere Unzulänglichkeit. 124 Betrachten wir das „Urteil“ in sich selbst. Der gewöhnlichen Definition der Logiker: „das Urteil ist die Darstellung einer Beziehung zwischen zwei Begriffen“, fehlt gleichzeitig, sagt Kant, Umfang und Genauigkeit; denn sie umfasst nicht die disjunktiven und die hypothetischen Urteile (die eine Beziehung implizieren, nicht von Begriffen, sondern von Urteilen) und darüber hinaus unterlässt sie es, das zu bestimmen was das Interessanteste gewesen wäre, zu präzisieren: die Natur der Beziehung, von der man spricht. (B. 144; R. 738 -739 Meiner S.152b §19 Anfang). Man hat zuvor gesagt, dass das Urteil, nach Kant, die Unterordnung einer Mannigfaltigkeit von Phänomenen unter eine Regel apriori sei. Nehmen wir diese Definition als exakt und anwendbar an. 184 184 In Wirklichkeit: a) ist sie unvollständig ohne positiv unrichtig zu sein (vgl. Heft IV. „Diskussion der kantschen Kritik“.) – b) sie ist anwendbar, soweit wir die strenge Apriorität gewisser synthetischer Urteile anerkennen können, oder, was aufs Gleiche hinausläuft, die Existenz von „reinen Begriffen“ und von „reinen Wissenschaften“ in uns. (vgl. weiter oben Buch II. Kap. 2 und 3. und Heft V. Der unternommene Beweis wäre vollendet, wenn wir beweisen könnten, dass diese Regel apriori immer in letzter Analyse hinausläuft auf die Einheit der Apperzeption. Der Beweis apriori davon wurde jedoch weiter oben schon ge118 macht (p. 122). Im Übrigen, findet die kantsche transzendentale Deduktion ihre Bestätigung in der psychologischen Prüfung der Urteile. Sie umfassen zweifellos eine empirische Synthese von Vorstellungen, durch die „wiedergebende Einbildungskraft“ bewirkte Synthese. Aber diese Synthese, die uns das „materielle“ Nebeneinanderstellen von Elementen verschafft, die beziehungsweise die Funktion von Subjekt und Prädikat machen könnten, hat durch sie selbst kaum etwas anderes als den „subjektiven Wert“ einer komplizierten Vorstellung. Sie ist noch nicht das Urteil. Was fehlt ihr dazu? Es fehlt das etwas, was sich in jedem Urteil ausdrückt durch die Copula „ist“. Dies drückt die letzte und einfache Form aus, die grundlegende Einheit, die die ganze Mannigfaltigkeit der verschiedenen Urteile durchdringt. Aber die letztmögliche Einheit der urteilenden Synthese, dieser Synthese, in der uns „Objekte“ erscheinen, was könnte 128 Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe die sein, wenn nicht die transzendentale Einheit des Bewusstseins, die reine synthetische Einheit der Apperzeption? „Ein Urteil,“ sagt Kant, „ist nichts anderes als eine Art und Weise, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zurückzubringen?“ (B. 144; R.739, Meiner S.154b §19 Mitte) Dank dieser „Einheit“ sind die zwei Vorstellungen (die jedes Urteil enthält) im Objekt verknüpft, unabhängig vom Zustand des Subjekts“(B. 145: wir unterstreichen; R.740 Meiner S.154b §19 Ende): Sie sind nicht nur gemeinsam erfahren, sondern objektiv gesagt, sie sind verbunden. f) Zusammenfassende Wiederholung. 125 Vielleicht wird man es nicht für unnütz halten, hier einen Augenblick anzuhalten, und mit einem kurzen Rückblick den in der „transzendentalen Deduktion“ der Kategorien durchgelaufenen Weg abzuwägen . Im Grund haben wir nichts gemacht als anzuwenden auf die unmittelbaren Daten des Bewusstseins ein sehr elementares Gesetz der Korrelation, das der eigentliche Kern der transzendentalen Beweisführung ist. Man kann es wie folgt formulieren: Jeder im Bewusstsein durchgeführten Synthese entspricht ein apriorisches Prinzip der Synthese, oder, in kritischer Sprache, eine „Fakultät“. Je umfassender die Synthese ist, desto mehr ist die Fakultät tief und eins. Nun aber haben wir gezeigt, dass die apperzeptive, kreative und enthüllende Synthese des „Objekts“ als solchen (unter der Rücksicht des Objekts) sich erstreckt auf die Gesamtheit der im Bewusstsein anwesenden Elemente, als deren höchste synthetische Einheit sie so erscheint; von daher besetzt das apriorische Prinzip dieser Synthese selbst die Basis des Bewusstseins und beherrscht alle anderen Bedingungen apriori der Erkenntnis. Dieses kantsche Theorem der transzendentalen Apperzeption ist ein ganz ausdrücklicher Ausdruck der absoluten Einheit des Bewusstseins in der objektiven Erkenntnis. In ontologische Sprache transponiert, würde es die allerstrengste metaphysische Einheit des sinnlich-rationalen Subjekts, nämlich des Menschen, bedeuten. Für das apperzeptive Prinzip mussten wir nach den allgemeinen Bedingungen der Anwendung auf eine Gegebenheit der sinnlichen Intuition suchen. Und wir haben an erster Stelle gefunden, dass das apriorische Prinzip der Apperzeption sich der Eigenschaft erfreuen muss, die Kant als „Spontaneität“ bezeichnet, in Gegenüberstellung zur „Empfänglichkeit (Rezeptivität)“ der sinnlichen Formen. Die „Spontaneität“ ist eine Apriorität der zweiten Potenz, die selbst die Apriorität der unmittelbar rezeptiven Formen der Gegebenheit umfasst. Daraus folgt schon die Notwendigkeit einer „kategorialen“ Synthese der Phänomene. 129 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung Danach haben wir gesehen, dass die innerliche Mannigfaltigkeit der Formen apriori der Sensibilität als Konsequenz eine funktionale Vermannigfaltigung der apperzeptiven Einheit mit sich brachte, oder mit anderen Worten, die Vermittlung durch eine Mannigfaltigkeit von „Kategorien“ erforderlich machte. Und wir haben schließlich diese Kategorien mit den „reinen Begriffen des Verstandes“ identifiziert, als Prinzipien der Aufteilung der Mannigfaltigkeit der Erscheinung zwischen den „logischen Funktionen des Urteils“. Wir haben so apriori die Notwendigkeit von Kategorien gezeigt. Können wir das Beweisverfahren weiter treiben und apriori spezifizieren welche diese Kategorien sein müssen? 126 Zwei Wege der Beweisführung waren uns offen: entweder apriori die verschiedenen möglichen Anordnungen des räumlichen Elementes mit der Form der Zeit zu definieren, wobei die Mannigfaltigkeit apriori der Sensibilität gerade das Prinzip der Vermannigfaltigung der Kategorien ist; – oder die verschiedenen möglichen Formen des Urteils zu entwirren, definiert als „Unterordnung einer phänomenalen Mannigfaltigkeit unter eine Regel apriori“: man kann sich im Übrigen fragen, wie weit eine apodiktische Bestimmung dieser Urteils-Formen gangbar sein würde, ohne die Erwägung der apriorischen Mannigfaltigkeit der Sensibilität. Kant drehte die Schwierigkeit um und erstellte das Detail seiner Kategorien, indem er das Urteil analysiert,107so wie es sich in unserer psychologischen Erfahrung zeigt. (siehe oben, S. 111). Wir möchten nicht behaupten, dass diese kantsche Identifizierung der Kategorien rein induktiv wäre: unter dem Anschein von einer Induktion verbirgt sie, wie wir meinen, apriorische Notwendigkeiten; aber diese gehören verschiedenen Ebenen der Apriorität an, und, aufs ganze gesehen ist die kantsche Tafel der Kategorien nicht homogen. Vielleicht werden wir darüber eine vertieftere Untersuchung in einer späteren Arbeit anstellen, über die grundlegenden Begriffe der Metaphysik und der empirischen Wissenschaft. Hier unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Kritik der Erkenntnis, ist es für uns weniger von Bedeutung, ob die Kategorien diese oder jene seien. Die Hauptsache war, deduktiv die Mitwirkung von Kategorien an der Bildung (Konstitution) jedes Objekts des Denkens darzulegen.185 185 Wichtige Fußnote: Muss die Deduktion der Kategorien, wie wir sie dargelegt haben, nach der Terminologie von Kant, eine subjektive Deduktion oder eine objektive Deduktion genannt werden? Sicher ist dies eine objektive Deduktion, im Sinn, wie Kant sie verstand. Was nicht sagen will, dass in diese objektive Deduktion nicht gewisse Elemente eingehen, die auch der subjektiven Deduktion angehören. Hier ist der Hinweis auf einige Stellen, die erlauben, den Sinn dieser Ausdrücke festzustellen. 1. Einleitung der 130 Ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft: Kap.2 Synthesen des Verstandes I Analytik der reinen Verstandesbegriffe [Rückübersetzung] [original Kant] Diese Untersuchung [die Deduktion der reinen BeDiese Betrachtung, die etwas tief angelegt griffe des Verstandes], ein bisschen tief gefasst, hat ist, hat aber zwei Seiten. Die eine bezieht zwei Teile [N. B. Man könnte genauer übersetzen: sich auf die Gegenstände des reinen VerstanDiese Studie, die ziemlich tief vorstößt, bietet zwei des, und soll die objektive Gültigkeit seiner Aspekte.] Der eine [= objektive Deduktion] bezieht Begriffe a priori dartun und begreiflich masich auf die Objekte des reinen Verstandes, und es chen; eben darum ist sie auch wesentlich zu ist nötig, dass sie zeigt und bewirkt den objektimeinen Zwecken gehörig. Die andere geht ven Wert seiner apriorischen Begriffe zu verstehen. darauf aus, den reinen Verstand selbst, nach Sie hängt wesentlich mit meiner Absicht zusammen. seiner Möglichkeit und den ErkenntniskräfDer andere [= subjektive Deduktion] nimmt sich ten, auf denen er selbst beruht, mithin ihn vor, den reinen Verstand selbst unter dem Gesichtsin subjektiver Beziehung zu betrachten und, punkt seiner Möglichkeit und der Fähigkeit zu erobgleich diese Erörterung in Ansehung meikennen zu betrachten, auf denen er Beruht - infolgener Hauptzwecks von großer Wichtigkeit ist, dessen unter dem subjektiven Gesichtspunkt. Nun so gehört sie doch nicht wesentlich zu demselaber, obwohl diese Prüfung eine große Wichtigkeit ben; weil die Hauptfrage immer bleibt, was bezüglich meines Hauptziels hat, gehört er dennoch und wie viel kann Verstand und Vernunft, nicht wesentlich dazu, denn die hauptsächliche Frafrei von aller Erfahrung, erkennen und nicht, ge ist immer, zu wissen das was der Verstand und wie ist das Vermögen zu denken selbst mögdie Vernunft unabhängig von aller Erfahrung erkenlich? (B. 13; R. 10 -11.Meiner S.10 im 3.Abnen können, und nicht wie die Fakultät zu denken satz selbst möglich ist.“ – Vergleiche das, was über den objektiven Wert der „transzendentalen Beweise“ gesagt wird in der Transzendentalen Methodenlehre I, 4. Sektion, BB. 258 sqq. ; R. 603 sqq. Meiner S.711ff.) 2. Wenn man ein Beispiel von rein subjektiver Deduktion will, wird man es in der Deduktion im folgenden Buch dieses Hefts III finden, – von den Ideen der Vernunft. „Von diesen transzendentalen Ideen, sagt Kant, ist im eigentlichen Sinne keine objektive Deduktion möglich, wie die, die wir von den Kategorien geben konnten. Denn sie [= die Ideen] haben in der Tat keinen Bezug auf irgendein Objekt, das ihm in den Gegebenheiten angemessen sein könnte, genau deshalb weil dies nur Ideen sind. Aber wir konnten es versuchen, sie subjektiv aus der Natur unserer Vernunft herzuleiten, und dies ist auch das, was wir gemacht haben im entsprechenden Kapitel“. (B. 326; R.270 Meiner S.364). Woanders (BB. 182 sqq. ; R. 519 sqq.). Kant zeigt, dass die transzendentale Deduktion der „reinen Begriffe“ sie erscheinen lässt nicht nur wie natürliche Ausdrücke des Verstandes, sondern wie Bestimmungen apriori, konstitutiv für das notwendige Objekt unseres Denkens; auch diese Deduktion selbst wird objektiv genannt. Hingegen lässt die transzendentale Deduktion der Ideen, sie wohl wie natürliche Ausdrücke der Vernunft erscheinen, aber gar nicht wie Bestimmungen apriori konstitutiv für das notwendige Objekt unseres Denkens: außerdem bleibt auch die Deduktion der Ideen eine Deduktion von Eigenschaften des „Subjekts“ und sie muss subjektiv genannt werden. 3. In der Art und Weise einer Bestätigung, wozu man uns erlaube, zwei von den ältesten Interpreten der kantscheb Terminologie zu zitieren: a) Nachdem er die transzendentale Deduktion der rein empirischen Deduktion gegenüber gestellt hat, weist Schmid darauf hin, dass die erstere noch sorgfältig unterschieden werden muss, zuerst von der „physiologischen Deduktion“, (psychologisch nach der Art und Weise von Locke) und von der „einfachen Erklärung“, welche „nur den Inhalt einer Vorstellung angiebt und ihren apriorischen Ursprung beweist, sich aber nicht auf die Untersuchung ihrer Objectivität einlässt“. Hinsichtlich der transzendentalen Deduktion selbst, folgt hier das, was er darüber sagt: Der allgemeine Grund, den diese Deduktion von der Objectivität der Vorstellungen a priori ausgiebt, ist diese: dass ohne diese Vorstellungen keine Erkenntniss – entweder keine Anschauung oder kein Denken der Gegenstände möglich wäre. So sind a) die reinen Anschauungen daher deduciert worden, dass sie Formen des menschlichen Anschauungsvermögens, mithin Bedingungen aller Gegenstände sind, die wir anschauen... b) die Categorien oder reine Verstandesbegriffe daher, dass die Formen unsres Verstandes, mithin Bedingungen sind, ohne welche sich kein Gegenstand von uns denken, d. h. in einen nothwendigen Zusammenhang der Erkentniss, in einer Erfahrung vorstellen lässt. c) die Grundsätze des reinen Verstandes, etc...“ (C.C. E. Schmid. Wörterbuch zum leichtern Gebrauch der kantischen Schriften. 2. Ausg. Jena,1788. pp. 127-128) b) Die objektive Deduktion bestehet nehmlich darin, dass gezeigt wird, ein Begriff oder synthetischer Satz habe wirklich ein Object oder emen Gegenstand, durch den er in concreto dargestellt wird, so dass er nicht ein bloss leerer Gedanke bleibt. Die subjektive Deduktion 131 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung N. B. 127 128 129 bestehet hingegen darin, dass der Begriff oder Satz aus der Natur unserer Vernunft abgeleitet wird... Man deduciert die Categorien objectiv, wenn man zeigt wie durch sie allein Erfahrung möglich ist. Dies kann man nun mit den Vernunftbegriffen (Ideen) nicht.“ (G. S. A. Mellin. Encyclopädisches Wörterbuch der kritischen Philosophie, Jena und Leipzig, 1799. Band II, 1. Abt., p.41). Wenn die Erklärung, die wir oben über die „Deduktion der Kategorien“ gemacht haben, trotz der zahlreichen Zitate, auf die sie sich stützt, noch einer Rechtfertigung der Auslegung bedürfte, würde sie diese in der kantschen Unterscheidung einer objektiven (essentiellen) Deduktion und von einer subjektiven (unwesentlichen) Deduktion finden. Die subjektive Deduktion führt zu der Notwendigkeit einer Funktion des Subjekts; die objektive Deduktion führt zur Notwendigkeit einer Form des Objektes; aber die Deduktion der reinen Begriffe des Verstandes hat dies als Besonderheit, dass die Funktion a priori des (transzendentalen) Subjekts sich dort zeigt zugleich mit der Bestimmung a priori oder der Einheit gebenden (=unificatrice) Form des (gedachten) Objektes. Diese Koinzidenz der zwei Gesichtspunkte hatte in der ein bisschen wirren Entwicklung Kants ein Vermischung von subjektiven und objektiven Elementen zur Folge, die im Übrigen legitim ist. Wie wir weiter oben gesagt haben, sind wir bevorzugt der Art und Weise der Erklärung der zweiten Ausgabe der Kritik gefolgt, die viel unbefangener ist: Kant selbst hat anerkannt, mit gutem Grunde, die Verbesserung, nach der der Text der ersten Auflage rief. Siehe in „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft“, Vorrede – eine sehr interessante Bemerkung, wo dieses Geständnis begleitet wird von Erwägungen über die Notwendigkeit des objektiven Standpunktes in der kritischen Deduktion. (R. Band V, pp. 315-316, Note) Ein Punkt bleibt doch noch aufzuklären. Wie die „Kategorien“, apriorischer Apparat der Einheit des Bewusstseins, sich regelmäßig anwenden lassen auf die empirische Mannigfaltigkeit der Sinne? Die Notwendigkeit dieser Entsprechung, damit ein Objekt im Denken möglich ist, haben wir früher schon abgeleitet und wir müssen nicht dort hin zurückgehen; aber wir möchten vorziehen, nicht mit verbundenen Augen zu dieser Schlussfolgerung gezwungen zu sein: wir möchten wünschen, dort ein bisschen klarer zu sehen und uns auch Rechenschaft von dem „Wie“ zu geben. [original Kant] [Rückübersetzung] „Es hanJetzt soll die Möglichkeit, durch Kategoridelt sich jetzt, sagt Kant, darum, en die Gegenstände, die nur immer unsezu erklären, wie mittels der Karen Sinnen vorkommen mögen, und zwar tegorien, Objekte, die nicht wisnicht der Form ihrer Anschauung, sondern sen würden, wie sie sich uns anden Gesetzen ihrer Verbindung nach, a ders als in unseren Sinnen vorstelpriori zu erkennen, also der Natur gleichlen können, uns a priori in den Gesam das Gesetz vorzuschreiben und sie sosetzen ihrer metasensiblen Verbingar möglich zu machen, erklärt werden. dung bekannt sein können“. (B. 157; R.752 Meiner §26 S.177b) Kant formuliert mit noch anderen Worten das gleiche Problem. Dies ist nicht alles, sagt er, eine Lehre von den Begriffen zu besitzen, abstrakt die konstitutiven „Regeln a priori“ von den Objekten zu kennen. Regeln zu kennen ist nichts, wenn man nicht weiß, wie man sie anwendet, wenn man nicht weiß, „zu entscheiden ob etwas fällt oder nicht fällt unter irgendeine dieser Regeln“. (B. 167; R.118 Meiner S.194). Nun aber ist die Fähigkeit unter Regeln zu subsumieren, genau die Fakultät des Urteils (ebenda).). Die Notwendigkeit von „Begriffen des Verstandes“ wissend, wissend also auch die Notwendigkeit eines „Urteils“, die sie auf eine gegebene Materie anwendet, besitzen wir jedoch 132 K.3 Synthesen des Verstandes II. Transzendentale Urteilslehre noch keine vollständige Lehre des „Urteils“. Erst im Moment, wo wir den Schlüssel für die verschiedenen Anwendungen der begrifflichen Regeln halten werden zu den sinnlichen Phänomenen. Auch Kant nennt die Untersuchung, die folgen wird: „transzendentale Lehre des Urteils“. KAPITEL 3. Die Synthesen des Verstandes. II. Die „TRANSZENDENTALE Lehre VOM URTEIL“. 130 Sie umfasst zwei Teile: 1. die Untersuchung über die Bedingungen der Anwendung der Kategorien, oder der reinen Begriffe des Verstandes auf die Sinnesdaten. 2. die systematische Untersuchung der synthetischen Urteile a priori, die unmittelbar dieser Anwendung zugrunde liegen und die gerade dadurch alle unsere Erfahrung von Objekten steuern. Die erste Studie wird von Kant betitelt: „Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe“ die zweite „System aller Grundsätze des reinen Verstandes“. (vgl. B. 169 ff. ; 120 ff. Meiner S.196-205.) §1. – Der„Schematismus des reinen Verstandes“. Vor jeder Untersuchung sagen wir mit einem Wort, dass der Schematismus des reinen Verstandes nichts anderes ist als die Gesamtheit der Bedingungen apriori in der reinen Sinnlichkeit durch die notwendige Unterordnung dieser unter den reinen Verstand im Inneren der Einheit des Bewusstseins selbst hervorgebracht. a) Die Schemata im Allgemeinen. 131 „Um ein Objekt unter einem Begriff zu subsumieren, braucht es eine gewisse Gleichartigkeit zwischen dem, was das Objekt enthält, und dem, was den Begriff darstellt“. (B. 170; R.122Meiner S.196 f.) tatsächlich „subsumiert“ man nur entsprechend einem gemeinsamen Attribut. Nun aber, gibt es zwischen den Kategorien oder den reinen Begriffen des Verstandes auf der einen Seite, und den empirischen Intuitionen auf der anderen Seite. vollständige Ungleichartigkeit... “. Wie ist also die Subsumtion dieser Intuitionen unter diese Begriffe und folglich die Anwendung der Kategorien auf die Phänomene möglich?“ (ebenda S.197).) Da sich die Subsumtion nichtsdestoweniger vollzieht, „ist es evident, dass es dabei einerseits einen dritten Term geben muss, der gleichartig wäre auf 133 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung der einen Seite mit der Kategorie und auf der anderen mit dem Phänomen, und der die Anwendung der ersteren auf die zweite möglich macht“. (B. 171; R.123 Meiner S.197). Dieses dazwischenliegende Element „muss rein sein (das heißt: apriori, ohne jeden empirischen Inhalt). Trotzdem, wenn es auf der einen Seite intellektuell sein muss, muss er auf der anderen sinnlich sein“. (B. 171; R.123 Meiner S.197) „ Solcher Art ist das transzendentale Schema“ (Ebenda Meiner S.197).) Begegnet man in unserer psychologischen Erfahrung einem Verbindungselement, das die Eigenschaften dieses Schemas besitzt? Ohne Zweifel: Eine, aber nur eine einzige, unserem Bewusstsein innewohnende Bedingung umschließt gleichzeitig den Verstand und die Sinne: die Zeit, Form des inneren Sinnes. Jede „transzendentale Bestimmung der Zeit“ könnte also die Attribute des Schemas realisieren. (B. 171; R.123 Meiner S.198) Aber, zuerst, besetzt die Zeit wirklich einen mittleren Platz zwischen der Sensibilität und dem Verstand? Das folgt aus den Demonstrationen, die schon im Verlauf der transzendentalen Deduktion gemacht wurden. Einerseits bezieht sich die Zeit tatsächlich unmittelbar auf das Phänomen, als konstitutive Form von ihm. Auf der anderen Seite ist die Zeit, höhere Form der Sensibilität, als sie selbst notwendig bestimmt durch die apriorische Einheit des Bewusstseins, durch die ursprüngliche Einheit der Apperzeption“. Unter diesem zweiten Aspekt erwirbt die Zeit eine „transzendentale Bestimmung“ homogen zur Kategorie. (B. 171; R.123 Meiner S.198) Das heißt dass jeder Kategorie, die als partielle Funktion der synthetischen Einheit des Bewusstseins betrachtet wird, unmittelbar eine Bestimmung apriori entspricht, herrührend von der Form der Zeit und sich durch diese Vermittlung den Phänomenen aufdrängend. Die „transzendentale Bestimmung der Zeit“ kann also die Funktion eines „transzendentalem Schemas“ haben. [Rückübersetzt] [original Kant] Unter ihren wesentlichen Be- Nach demjenigen, was in der Deduktion der dingungen ins Auge gefasst, Kategorien gezeigt worden,...endlich, daß reidie auf der transzendentalen ne Begriffe a priori, außer der Funktion des Deduktion beruhen, muss das Verstandes in der Kategorie, noch formaSchema definiert werden: „ei- le Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich ne formartige und reine Be- des inneren Sinnes) a priori enthalten müsdingung der Sensibilität [in sen, welche die allgemeine Bedingung enthaldiesem Fall: der Zeit] auf ten, unter der die Kategorie allein auf irgenddie ein Begriff des Verstan- einen Gegenstand angewandt werden kann. des in seinem objektiven Ge- Wir wollen diese formale und reine Bedinbrauch“, das heißt in seiner gung der Sinnlichkeit, auf welche der VerAnwendung auf Phänomene, standesbegriff in seinem Gebrauch restrineingeschränkt wird [bestimmt giert ist, das Schema dieses Verstandesbewird].(B. 177; R.129) griffs ... nennen. (Meiner S.199) 134 K.3 Synthesen des Verstandes II. Transzendentale Urteilslehre 132 So streng dieser Begriff des „transzendentalen Schemas“ in seiner gestrengen Abstraktion auch sei, scheint Kant geglaubt zu haben, dass man eine näher an der psychologischen Erfahrung liegende Definition von ihm wünschen würde . Damit beginnen wir neu, mit einer anderen Neigung, die Frage des Schemas. Wir werden zuerst versuchen, die psychologische Funktion des Schemas im Allgemeinen zu beschreiben; dann diese Funktion des Schematismus einzufügen unter die in unserer objektiven Erkenntnis überlagerten Bedingungen; schließlich die „Schemata des reinen Verstandes“ noch besonders zu definieren. Was ist ein Schema im Allgemeinen und worin unterscheidet es sich vom Bild? (B.172; R.124 Meiner S.199) Der eine und der andere sind, sagt Kant, ein Produkt der Einbildungskraft, die definiert wird, wie eine Fakultät des „inneren Sinnes“. In der Tat versteht man unter dem Bild eines wahrgenommenen Objektes immer eine Pluralität von Phänomenen, verbunden nicht nur im Raum, der Form des äußerlichen Sinnes, sondern in der Zeit, Form des inneren Sinnes. Wir sagen: „in der Zeit"; denn um die konkrete Einheit eines räumlichen Bildes zu erhalten, zum Beispiel das Bild von fünf nebeneinander liegenden Punkten, lernt man aus der Psychologie, dass es nicht genügt, den rohen räumlichen Eindruck von diesen Punkten zu empfangen: man muss, um sie in ihrer Gesamtheit zu erfassen, hintereinander die Aufmerksamkeit von einem zum anderen hinwenden, sie überschauen. Der räumliche Eindruck, passiv empfangen, stellt unterschiedslos isolierte Phänomene nebeneinander, ohne dabei eine typische Gruppierung abzugrenzen; nur die sukzessive Bewegung einer Synthese ballt sie zusammen und gruppiert sie zu einem Bild.186 186 Um die psychologische Einheit einer empirischen Vorstellung zu erhalten, könnte man direkter zeigen, indem man sich auf die essentiellen Bedingungen der Erkenntnis die Notwendigkeit einer Synthese des Raumes durch die Zeit stützt. Nun aber läuft diese letzte Operation in der Zeit ab, folgt dem inneen Sinn und bezieht sich auf die Fähigkeit, die die Psychologen Einbildungskraft nennen. Das „Schema“, von dem wir sprechen, gehört zu dieser Phase des sukzessiven Aufbaus des Bildes: es ist also eine Bestimmung des inneren Sinns der Zeit nach. Zwischen dem „Schema“ und dem „Bild“, ist damit jetzt der exakte Unterschied wie folgt: Das Bild stellt den konkreten Ausdruck der Operation der Einbildungskraft dar, sein Resultat. Zum Beispiel: „fünf nebeneinander liegende Punkte“ sind ein Bild der Zahl fünf. (Das Bild ist empirisch). Das Schema hat nichts von einer fertigen Vorstellung; es bezeichnet nur die Methode, nach der die Einbildungskraft das Bild aufbaut; das Schema ist ein Vorgang des imaginativen Aufbaus in der Zeit. Welches wird also das Schema der Zahl fünf sein? Einzig die „innere Regel“, die die Synthese der 135 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 133 Vorstellungskraft dieser Zahl leitet. (Das Schema ist apriori im Vergleich zum partikulären Bild) Eine sehr einfache psychologische Beobachtung macht den Unterschied zwischen Schema und Bild völlig evident. Nehmen wir, sagt Kant (B. 172; R.124) den Begriff einer ansehnlichen Zahl, sagen wir tausend. Dieser Begriff wird von einem Schema begleitet, das heißt vom praktischen Begriff einer Methode, nach der die Einbildungskraft konstruieren könnte, durch Synthese, einen Tausender von konkreten Einheiten; aber es wäre schwierig, dass der Begriff sich verdoppelte in einem aktuellen Bild von tausend nebeneinandergestellter Einheiten. „In der Tat beobachtet Kant sehr fein, unsere reinen sinnlichen Begriffe [das heißt die, die die Form der sinnlichen Intuition ausdrücken] haben nicht das Bild der Objekte zur Grundlage, sondern ihr Schema. Es gibt kein Bild von einem Dreieck, das dem Begriff eines Dreieckes im allgemeinen angemessen sein könnte. In der Tat würde kein Bild die Allgemeinheit des Begriffes erreichen, erreichen dass dieses sich anwenden lässt in gleicher Weise auf alle Dreiecke, rechtwinklige, ungleichseitige etc... Das Schema des Dreieckes bedeute eine Regel der imaginativen Synthese, die gewisse Figuren im Raum konstruiert.“ (B 172-173; R. 124 -125 Meiner S.199-200) Das, was vom Begriff geometrischer Figuren wahr ist, ist es nicht weniger von empirische Begriffen. Nehmen wir den allgemeine Begriff „Hund“. „Er bezeichnet eine Regel, nach der meine Einbildungskraft187 187 Die Übersetzung von Barni sagt: „kann sich vorstellen“. Wir bevorzugen, zu sagen: „zu zeichnen“, um besser auszudrücken, dass es sich um den aktiven Aufbau einer Vorstellung handelt. Der deutsche Text gibt übrigens : „verzeichnen“ und nicht „sich vorstellen“ oder irgendeine gleichbedeutende Wendung. auf eine allgemeine Weise die Figur eines Vierbeiners [dieser Kategorie] zeichnen kann, ohne gezwungen zu sein zu dieser partikulren Form, die die Erfahrung anbietet, nicht mehr als zu einem solchen oder solchen besonderen und konkreten Bild."(B. 173; R.125) Man versteht mit diesen Beispielen leichter den Unterschied, den Kant zwischen Schema und Bild macht. Das Bild drückt sich in Ausdrücken der Vorstellung aus; und es wird übereinstimmend mit dem Schema konstruiert, das aus diesem Grunde in der Operation der Vorstellungskraft eine logische Priorität genießt. Das Schema drückt sich aus in Ausdrücken einer Aktion (eines Tuns)188 : 188 Um das Denken Kants nicht zu verfälschen, wollen wir die Handlung nicht im metaphysischen Sinn einer immanenten Handlung des ontologischen Subjekts verstehen, sondern nur im Sinn einer normativen Vor-Bedingung des synthetischen Inhalts der Einbildungskraft. es ist gerade die Form des Akts der Synthese, die das Bild hervorbringt. 136 K.3 Synthesen des Verstandes II. Transzendentale Urteilslehre 134 Wir werden später zeigen bis wohin genau die scholastische Ideogenese (Ideenentstehung), durch ihre Theorie der begrifflichen Abstraktion und durch ihre Hinweise auf die Rolle der Finalität im Verstehen sich trifft mit der kantschen Lehre des Schematismus (siehe Heft V.) Vorläufig skizzieren wir den ganzen Vorgang der objektiven Erkenntnis nach der Sicht von Kant, um den Platz des Schemas klarer zu markieren. (1. Aufl. B. 315ff., 329ff.; R. 95ff.. 108ff. Meiner S.160a ff. oder Meiner S.168a) Am Ursprung finden sich die sinnlichen Fakultäten passiv aufgedruckt durch die „Gegebenheiten, Sinnesdaten“, empfangen entsprechend den räumlichen Bedingungen des Subjekts („secundum quantitatem concretam“= der konkreten Quantität entsprechend). Dies ist die Rolle der äußerlichen Sinne in der objektivien Erkenntnis: Erste und ungenügende Reduktion des „Gegebenen“ auf die Einheit des Bewusstseins. Das ausgedehnte Gegebene muss darüber hinaus wieder aufgenommen werden und vereinheitlicht werden durch den inneren Sinn, dessen eigentümliche Form die Zeit ist. Nun aber misst die Zeit den Raum, indem sie ihn konstruiert, – oder ihn wiederaufbaut – hintereinander. Wenn die Einheit des erkennenden Subjekts sich beschränkte auf die der räumlichen Kontinuität gemessen durch die reine zeitliche Kontinuität, würde das verschiedene Gegebene in jedem Augenblick nur ein einziges polymorphes Phänomen konstituieren, von gleicher Ausdehnung (coétendu) wie das Subjekt, und sich mit ihm entwickelnd, untrennbar, im Verlauf der unabsehbaren Zeit. In Wirklichkeit diversifiziert (=vermannigfaltigt) sich das Phänomen in partiellen Einheiten, die in der banalen Mannigfaltigkeit des Gegebenen, mehr oder weniger ausgebreitete und verhältnismäßig stabile Gruppierungen zeichnen. Die räumliche und zeitliche Staffelung des Gegebenen ist nicht die einer gleichgültigen Mannigfaltigkeit, sondern offenbart eine vielfache Synthese von verschiedene Elementen: in der Tat, allein diese Synthese schafft und bestimmt (grenzt ab) die gestalteten Einheiten, die wir sinnliche „Vorstellungen“ nennen. Nun aber ist dies nur möglich, wenn die Zeit, soweit sie ihre Einheit dem Raum auferlegt, selbst vereinigt und sozusagen „zusammengezogen (kontrahiert)“ ist durch ein vorausgehendes Prinzip der Einigung.189 189 Es ist hier nicht die Frage – das ist doch selbstverständlich – nach der Zeit und dem Raum in ihrer ontologischen Wirklichkeit, sondern nur von der zeitlichen und räumlichen Funktion in unserer Erenntnis. In diesem Punkt bestätigt die psychologische Analyse absolut die kritische Beweisführung. Sie bezeugt, dass die sinnliche Wahrnehmung oder die ursprüngliche Synthese einer Vorstellung keine so einfache Sache ist, wie man glauben könnte. Die sinnliche Wahrnehmung setzt immer die Mitwirkung von komplizierten assoziativen Vorgängen voraus, deren elementarstes Spiel noch das ist, auf das Kant hinweist als eine aufeinanderfolgende Resynthese der 137 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 135 gegebenen räumlichen Elemente. Wenn man das „aufbauende (konstruktive) Einbildungskraft“ nennt als die Fakultät, synthetisch eine sinnliche Vorstellung aufzubauen mittels des räumlich Gegebenen werden, die Psychologen sagen, dass die sinnliche Wahrnehmung die Mitwirkung der konstruktiven (aufbauenden) Einbildungskraft verlangt.190 190 Die Scholastiker haben eine analoge These, wenn sie in der Psychologie die Teilnahme des sensus communis selbst an der sensatio externa verlangen. 136 Nun aber setzt die Synthese der Einbildungskraft, wie jede Synthese, ein entsprechendes synthetisches Prinzip voraus: hier muss dieses Prinzip der Synthese vorherbestimmt haben dass der synthetische Akt, sich in der Zeit in solcher Weise abspiele, vielmehr als auf solche andere; dieses Prinzip muss also eine „transzendentale Bestimmung der Zeit“ sein. Die zeitliche Synthese wird so gleichzeitig von zwei Seiten abgegrenzt: materiell vom aktuell Gegebenen, das sie in Aufeinanderfolge (Sukzession) umgruppiert; formartig durch eine Vor-Bedingung, deren letztes Prinzip man noch tiefer im erkennenden Subjekt suchen muss. Die innere und formartige Prädetermination der Zeit, bezogen auf eine räumlich gegebene Materie, begründet (konstituiert) ein Schema: dieses allgemein betrachtet muss sich also definieren: die spezifizierende Form, die immanente „Regel“ der Synthese der Vorstellungkraft. Aber welches ist das „synthetische Prinzip“, das diese „innere Regel“ (Schema) der Synthese der Vorstellungskraft auferlegt? Vergessen wir nicht dass das synthetische Produkt der Einbildungskraft objektiv in unserem Bewusstsein anwesend ist. Nun aber hängt jede Synthese von Phänomenen in „Objekten“ schließlich ab von der absoluten Einheit des Bewusstseins. Diese Einheit, wir haben es gesehen, kann nicht erreichen die Mannigfaltigkeit der Phänomene als dadurch dass sie im Voraus bestimmt die Form der Zeit, mit anderen Worten, indem sie apriori der Synthese der Vorstellungskraft gewisse Bedingungen auferlegt. Diese Bedingungen, die primitiv sind, und rein apriori, heißen, insofern man sie im Verstand betrachtet, Kategorien oder reine Begriffe. Insofern man sie betrachtet als apriori auferlegt selbst der Betätigung der Einbildungskraft antworten sie auf die Definition der „Schemata“ (im gegenwärtigen Fall Schemata ohne Beimischung von empirischen Elementen: reine Schemata). Außer den absolut allgemeinen Bedingungen apriori der Synthese der Urteilskraft (imaginative Synthese) greifen da zweifellos, in dem Maße in dem wir lebendig sind, eine Menge anderer Vor-Bedingungen ein, die aus der Kombination der ersteren mit den intellektuellen Rückständen der vorhergehenden Erfahrung herrühren: die Erfahrung der Vergangenheit lenkt die Erkenntnis der Gegenwart. Ebenso wie nicht alle Begriffe reine Begriffe sind, sind nicht alle Schemata reine Schemata. Aber alle, – rein oder gemischt – dienen als Vermittler zwischen der Einheit des Bewusstseins und der aktuellen Synthese der Einbildungskraft. 138 K.3 Synthesen des Verstandes II. Transzendentale Urteilslehre In der Synthese der Einbildungskraft vollzieht sich also zum ersten Mal das Zusammentreffen der gesamten materieartigen und formartigen Bedingungen der objektiven Erkenntnis: der Verschweißungspunkt ist das Schema.191 191 Man darf nicht vergessen, dass die Theorie des Schematismus in der Absicht Kants auf ein logisches Problem antwortet. Übertragen – wie wir es gerade gemacht haben – in psychologische Ausdrücke, ist sie sehr suggestiv aber unvollständig. Die logische Notwendigkeit des Schemas wird gezeigt; das Wie davon entgeht uns zu einem guten Teil. Dies ist, sagt Kant, „eine Kunst, die in den Tiefen der Menschenseele verborgen ist, und deren Geheimnis der Natur zu entlocken und es aufzudecken ganz schön schwierig sein wird“ (B.173). Man muss hinzufügen, dass die Theorie der Schemata das Problem der wissenschaftlichen Induktion nicht löst. Das letzte Wort von Kant zu diesem Problem wird in der "Kritik der Urteilskraft“ ausgesprochen“.. b) Die „Schemata des reinen Verstandes“ („transzendentale Schemata“). Wir haben im Allgemeinen vom Schema gesprochen. Wir müssen jetzt im Besonderen die „reinen Schemata“ betrachten, die die Einbildungskraft bestimmen, im Voraus zu aller Intuition der Sinneswahrnehmung. Die „reinen Schemata“ oder besser: die „Schematen der reinen Begriffe des Verstandes“ lassen sich durch das allgemeine Abstraktionsverfahren herausarbeiten, das uns schon früher dazu gedient hat, die „reinen Erkenntnisse“ zu definieren. (Für diesen ganzen § siehe B.173; R.125 Meiner S.201 ff. 7.Absatz) [original Kant, worauf sich wohl das Folgende alles bezieht, vom Übersetzer eingefügt] Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden. So viel können wir nur sagen: das Bild ist ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raume) ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wonach die Bilder allererst möglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen, und an sich demselben nicht völlig kongruieren. Dagegen ist das Schema eines reinen Verstandesbegriffs etwas, was in gar kein Bild gebracht werden kann, sondern ist nur die reine Synthesis, gemäß einer Regel der Einheit nach Begriffen überhaupt, die die Kategorie ausdrückt, und ist ein transzendentales Produkt der Einbildungskraft, welches die Bestimmung des inneren Sinnes überhaupt, nach Bedingungen ihrer Form, (der Zeit,) in Ansehung aller Vorstellungen, betrifft, sofern diese der Einheit der Apperzeption gemäß a priori in einem Begriff zusammenhängen sollten. 139 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 137 Wenn wir im Allgemeinen das innere Gesetz einer sukzessiven Synthese der Einbildungskraft „Schema“ nennen, muss man anerkennen, sagten wir weiter oben, dass dieses innere Gesetz der Synthese, wenn es apriori bezogen auf die konkrete Vorstellung ist, die sie bestimmt, deshalb noch gar nicht total metasensibel ist, selbst nicht immer total metempirisch. In der Tat hängt eine konkrete Synthese der Einbildungskraft von mehreren vorausgehenden Einflüssen ab, oder kann abhängen. Zuerst vom remanenten Einfluss der vorausgehenden Erfahrungen. Wie dieser Einfluss schließlich ursprünglich empirisch und materiell ist und keineswegs primitiv, kann man in einer Theorie der Bedingungen apriori zu aller Erfahrung vernachlässigen. An zweiter Stelle hängt die Synthese der Einbildungskraft von den allgemeinen räumlichen Bedingungen der Vorstellung ab; mit anderen Worten: von einer Art von „reinem Bild“ des Raumes, in dem das konkrete Bild sich einfügen muss. Nun aber, wenn die reinen räumlichen Bedingungen apriori gewisse Züge des besonderen Bildes verlangen, und in diesem Sinn davon wirklich ein Schema konstituieren (das Schema, das einem „sinnlichen Begriff des Raumes“ entspricht, einem „imaginären Raum“), auf der anderen Seite greifen sie in die konkrete Vorstellung ein, wie eine Art von organisiertes Gerüst, und machen dort also sich selbst zum „Bild“. Soweit wie sie diese doppelte Funktion vereinigt, präsentiert das Schema räumlicher Vorstellungen, obgleich unabhängig vom empirisch Gegebenen, und infolgedessen apriori, zu gleicher Zeit die Charakteristik einer „Intuition“ des Raumes. Dies ist ein Schema der reinen Sinneswahrnehmung und noch gar nicht ein Schema des reinen Verstandes. Eine analoge Beweisführung sollte man bezüglich der Zeit machen.192 192 „der Raum und selbst die Zeit sind zweifellos reine Begriffe jedes empirischen Elementes, und es ist wohl sicher das sie ganz und gar apriori im Geist vorgestellt werden; aber trotzdem würden sie in sich selbst keinen objektiven Wert noch irgendeine Bedeutung haben, wenn man davon nicht die für sie notwendige Anwendung auf Objekte der Erfahrung zeigte. Ihre Vorstellung ist nur ein Schema, das sich immer bezieht auf die wiedergebende Einbildungskraft.“ (B. 183; R.136) Schließlich hängt das synthetische Gesetz der Einbildungskraft auch von Bedingungen ab, die sich nicht mehr ableiten weder von der Mannigfaltigkeit des Gegebenen noch von der der reinen Sensibilität eigentümlichen Mannigfaltigkeit: Diese höheren Bedingungen sind einzig die, die die angeborene Vereinigung der intellektuellen Einheit mit der Form des inneren Sinnes sicherstellen, das heißt mit der reinen Intuition der Zeit. Hier hat das Schema nichts mehr von einem räumlichen oder zeitlichen Bild, selbst nicht von einem so gereinigten Bild, wie eine geometrische Figur: es ist nicht mehr als eine „Regel“, als eine „Norm apriori der 140 K.3 Synthesen des Verstandes II. Transzendentale Urteilslehre Einheit“, die in der Zeit auferlegt ist, entsprechend den Kategorien des Verstandes.193 193 Wenn man diese kritische Lehre von Kant mit den passenden metaphysischen Thesen des Thomismus vergleichen wollte: substantielle Einheit vom Körper und der Seele; Kooperation und Unterordnung des Fantasmas zum intellektuellen Akt; äußerliche Abhängigkeit des Verstandes in Beziehung zur Sensibilität, etc. – Der „abstrakte Begriff“ der Scholastiker entspricht in der Terminologie von Kant, dem Bewusstsein des „Schemas“, absolut und präzisiv [= Präzisierung bewirkend] betrachtet nach seinen objektiven Elementen; ebensoviel wie es Grade von Apriorität der Schemata gibt, ebensoviel muss es dort verschiedene Arten von abstrakten Begriffen geben. Wir werden zu diesen Gegenstand zurückkommen in unserem Heft V. 138 Das Schema, abstrakt betrachtet unter diesem dritten Aspekt begründet im eigentlichen Sinne „ein Schema des reinen Verstandes“. Offensichtlich können die Schemata des reinen Verstandes nur der dynamische (oder funktionale) Ausdruck von „reinen Begriffen“ oder von „Kategorien“ in der „reinen Einbildungskraft“ sein (B. 173; R.125 Meiner S.200 Abschnitt 7) eine Art Siegel (bei Kant: Monogramm), das vorgeformt ist in der Einbildungskraft unter dem Einfluss des Verstandes und nur auf eine äußerliche Materie wartet, ein „Gegebenes“, um ein konkretes Bild zu erzeugen. Die erste Anwendung der „reinen Schemata“, völlig apriorischer Regeln der Synthese der Vorstellungskraft – ebenso wie, vermittels der Schemata die erste Anwendung der Kategorien – vollziehen sich „vor-bewusst“, „per modum naturae“ (=nach der Weise der Natur). Aber will man einen bewussten Gebrauch der „Fähigkeit zu urteilen“ machen, das heißt, auf eine ausdrückliche Weise in formulierten Urteilen die „reinen Begriffe“ auf die Phänomene beziehen, muss man zuerst bestimmt haben – systematisch und ein für alle Mal – die konstante Beziehung, die jeden der „reinen Begriffe“ vereinigt mit einer solchen oder solchen charakteristischen Einfügung der Phänomene in die Dauer. Die „Schemata des reinen Verstandes“, derart durch Überlegung und Abstraktion entwickelt, würden genauso viele „allgemeine Zeichen“ liefern, erkennbar in den Phänomenen und erlaubend, sie zu subsumieren – bewusst und ausdrücklich – unter die „reinen Begriffe“, die ihnen entsprechen. Wenn das Prinzip des „Schematismus“ einmal erklärt ist, werden wir nicht zögern, die vollständige Liste der „transzendentalen Schemata“ aufzustellen. Es ist für uns kaum mehr wichtig in diesem Werk, die exakte Zahl der reinen Schemata zu wissen, wie es für uns unwichtig ist, die Kategorien genau aufzuzählen. Kant selbst gibt nur eine flüchtige Aufzählung. Das Schema der „Quantität“ als Begriff des Verstandes betrachtet, ist die Zahl, das heißt die sukzessive Synthese homogener Einheiten. Man kann leicht die Differenz in diesem Beispiel zwischen dem Schema bemerken und dem reinen Bild. Das reine Bild aller „Quanta“, aller konkreten Quantitäten, ist der geometrische Raum. Das reine Bild aller Objekte im Allgemeinen ist die reine zeitliche Aufeinanderfolge. Das Schema der Quantität oder die Zahl 141 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 139 ist dagegen das Gesetz, nach dem die reine zeitliche Intuition eindringt in die reine räumliche Intuition. (B. 174; R.126) Das Schema der „Wirklichkeit“ und der „Negation“ (Unwirklichkeit) wird die Einführung sein oder die Verbannung eines „Quantums“ im inneren Sinn. Das heißt, wenn man so will, die Besetzung, positiv oder negativ, eines „Elements“ der Zeit durch ein Gegebenes, das, im inneren Sinn, von 0 zu einem positiven Wert (Wirklichkeit) übergeht, oder von einem positiven Wert auf 0 (Negation) fällt. (B. 174; R.126). Eine Scholastiker würde das folgendermaßen übersetzen: Schema realitatis est motus sensus interni de potentia ad actum. Schema autem negationis ist motus inversus de actu ad potentiam, sive cessatio actus. (= Das Schema der Realität ist der Übergang des inneren Sinnes von der Potenz zum Akt. Das Schema der Verneinung ist der umgekehrte Übergang vom Akt zur Potenz oder das Aufhören des Akts.) Das Schema der „Substanz“ ist die Dauer in der Zeit, das heißt die unveränderliche Beziehung eines Gegebenen mit der sukzessiven Fortdauer des inneren Sinnes. (B. 175; R.127) Das Schema der „Kausalität“ ist das regelmäßige Beharren der sukzessiven Ordnung von verschiedenen Phänomenen oder die irreversiblen Aufeinanderfolge dieser Phänomene. (B. 175; R.127 Meiner S.201-202 8.Absatz) Und so weiter. §2. - Die „Prinzipien des reinen Verstandes“. a) Das analytische Prinzip und die synthetischen Prinzipien. Die objektive Erkenntnis geschieht, mittels Begriffen, in synthetischen Urteilen apriori.194 194 Man darf nicht vergessen, dass im Denken Kants diese fundamentalen „Synthesen apriori“ apprehensive Urteile und nicht blinde Synthesen von schon konstituierten Begriffen sind. Siehe weiter oben, S.79 Anmerkung. Aus den vorhergehenden Seiten folgt. dass Kant zufolge das synthetische Urteil apriori zuerst ist, und eigentlich zu sprechen, das unmittelbare Bewusstsein, das wir vom „Objekt“ nehmen, in der apperceptiveen Synthese der Phänomene: dieses primitive synthetische Urteil übernimmt vor allem die Funktion, in unserem Denken „Objekte“ zu bilden. Aber die gesamte apperceptive Synthese stellt ein komplexes Gerüst von formartigen Bedingungen dar, die einer transzendentalen Analyse zugänglich sind. Unter der gesamten Synthese, zeigen sich partielle und sekundäre Synthesen, die an Stelle des ganzen „Objekts“ durch Abstraktion nur gewisse „innere Bedingungen der Möglichkeit“ der „Objekte“ ausdrücken. Diese partiellen Synthesen begründen, ihrerseits, genauso viele synthetische Urteile apriori gestaffelt zwischen der Ebene des rein materiell Gegebenen, und der Ebene der reinen apperzeptiven Einheit. Wir müssen 142 K.3 Synthesen des Verstandes II. Transzendentale Urteilslehre 140 141 uns jetzt beschäftigen mit diesen Urteilen, die vor unserem Bewusstsein die verschiedenen formartigen Aspekte der konstitutiven Synthese des Objektes ausbreiten. (B. 182 -185. R. 135 -139). Genau so wie wir isoliert reine Schemata und reine Begriffe betrachtet haben, wird es uns auch gelingen, durch eine vorsichtige Abstraktion, Urteile des reinen Verstandes erscheinen zu lassen. Diese werden bestehen aus einem System von synthetischen Prinzipien apriori, gültig für alle sinneshaften Objekte im Allgemeinen. Sie können nur transzendentale Bedingungen ausdrücken, unter denen ein Erfahrungsobjekt möglich ist. Man darf im Übrigen nicht vergessen, dass unter den Bedingungen apriori aller Erkenntnis an erster Stelle als das allgemeine normative Prinzip, das „Widerspruchsprinzip“ steht. Kant, nachdem er an dessen Existenz erinnert hat und ein bisschen die Formulierung verbessert hat, beschränke sich darauf, seine Gültigkeit zuzugestehen als universelles und voll hinreichendes Prinzip aller analytischen Erkenntnis. "(B. 180; R.133) 1. Und in der Tat, als normatives Prinzip, Grundlage der reinen Analyse, wird das Widerspruchsprinzip nicht und kann nicht bestritten werden. Niemand denkt daran die Sophistik wiederzuerwecken. Die Aufmerksamkeit, in der Kritik Kants, beschäftigt sich vielmehr mit diesen synthetischen Urteilen apriori, die die allgemeinen konstitutiven Beziehungen der Erfahrung ausdrücken. Wir haben schon gesehen, dass die ganze Mannigfaltigkeit apriori dieser Beziehungen dargestellt war in dem, was den Verstand betrifft, durch das System der Kategorien. „Die Tafel der Kategorien liefert uns also, ganz natürlich, die Ebene derjenigen der Prinzipien [des reinen Verstandes], da die Prinzipien nichts anderes sind als die Regeln vom objektiven Gebrauch der Kategorien.“ (B. 186; R.141 NB. siehe die Tafel der Kategorien, oben p. 109 113) Man wird uns zugestehen, dass wir weder den partikulären Wert noch die systematische Anordnung dieser Prinzipien diskutieren: diese Aufgabe soll uns vielmehr obliegen in späteren Veröffentlichungen, auf die wir schon verwiesen haben bezüglich des Details der Kategorien und der Schemata. Sie würde übrigens besonders dort erleichtert werden 195 195 Die scholastische Tradition würde hier erlauben, vielleicht mehr auf den Grund zu gehen, indem man das Widerspruchs-Prinzip als das erste der synthetischen Prinzipien apriori betrachtet. Denn das Widerspruchsprinzip: „Sein und Nichtsein schließen sich aus“ – ist es etwas andere als eine negative Formel des Identitätsprinzips: „Was ist, das ist“? Nun aber macht von der logischen Identität ein Scholastiker nicht, wie Hume, das unmittelbare Synonym einer „(psychologischen) Dauer des Seins“, aber wohl eine synthetische Beziehung zwischen zwei partiellen Aperceptionen eines Objektes. Wir werden später, (Heft V), die Art und Weise der „Concretion“ studieren, die die Thomas zufolge, alle unsere Urteile bestimmt; der essentielle Grund dafür kommt auf folgendes zurück: wir kennen Objekte nur durch Zuteilung von bestimmenden „Formen“ zu einem unbestimmten „Subjekt“: „praedicando formas de subjecto“. Das Sein selbst, so abstrakt wir es auch annahmen, objektiviert sich vor unserem Geist nur, indem es sich innerhalb einer synthetischen Aussage seiner Einheit spaltet: „das, was ist, (id quod est: subjectum) – ist (habet 143 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung formam essendi)“. Was drückt ein derartiges Urteil aus, wenn nicht die Synthese einer doppelten partiellen Aperzeption des Seins (als „Subjekt“ und als „Form“) in der Einheit einer gesamten Apperzeption? Wir werden die Wichtigkeit dieser Bemerkung später besser begreifen, die vielleicht hier in den Augen von einigen unserer Leser das Aussehen einer „falschen Spitzfindigkeit“ hat. durch die schon hier erreichten Schlüsse. Wir werden uns hier damit begnügen, die Klassifizierung von Kant wiederzugeben und dabei einige Bemerkungen hinzuzufügen. b) Die „Axiome der Intuition“. Zuerst die Prinzipien, die Kant „Axiome der Intuition“ nennt. Sie schließen sich an an die Kategorien der Quantität: dies sind Prinzipien der Mathematik", deren Gewissheit „intuitiv“ ist, während die Geltung der Prinzipien, die folgen werden, „diskursiv“ ist. Das grundlegende Axiom dieser ersten Gruppe lautet wie folgt: „Alle Intuitionen (Anschauungen) sind „ausgedehnte (=extensive) Größen“. (B. 188; R.142 Meiner S.217) Unsere Vorstellungen sind aufgebaut auf der Grundlage einer „intuitiven Synthese von homogenen Elementen“ („Form des Raumes“), schließen also immer ein eine extensive Größe, ein „Quantum“. Es ergibt sich daraus eine Konsequenz, deren Wichtigkeit man ahnt: wenn der Begriff nur die synthetische Einheit apriori einer extensiven Vorstellung ist, befindet sich jeder Begriff unvermeidlich der Zahl unterworfen. Wievielmal schon, am Verlauf der Geschichte der Philosophien, haben wir nicht festgestellt entweder die Übertreibung oder die Vergessenheit dieser Einschränkung des „Begriffs“ auf die Begrenzung durch die Zahl! c) Die „Vorgriffe (Antizipationen) der Wahrnehmung“. 142 Hier ist das wesentliche Prinzip derselben: „In allen Erscheinungen, ist die Wirklichkeit, das heißt das Objekt der Sinneswahrnehmung, eine intensive Größe, ein Grad.“ (B.192. R.762 Meiner S.220) Dieses Prinzip bezieht sich auf die Kategorien der Qualität, und es zeigt, durch Vorwegnahme, einen allgemeinen Charakter der empirischen Erkenntnis. Die Intensität des „Wirklichen“ misst sich durch den Abstand, der zwei äußerste Punkte im inneren Sinn trennt: das rein förmartige Bewusstsein, ohne „Gegebenes“ (oder die „empirische Null“), und die fertige Synthese eines positiv „Gegebenen“. (B. 199 und Vorausgehende. R.152). In scholastischen Ausdrücken würde man sagen: der Grad der „Wahrnehmungen“ ist „das Maß der Aktuierung“ der sinnlichen Fähigkeiten. Und dieser Charakter entspricht einer bestimmbaren (definierbaren) Wirklichkeit, denn, für eine gegebene Ausdehnung, jedes Element einer sinnlichen Mannigfaltigkeit kann noch in „Dich- 144 K.3 Synthesen des Verstandes II. Transzendentale Urteilslehre tigkeit“ variieren sozusagen. Dieser Begriff würde zu schwer sein, in wenigen Worten zu analysieren. Bemerken wir nur mit Kant, dass die „Intensität“ des Wirklichen zu den „dynamischen Bedingungen“ der Erkenntnis gehört. (B. 187; R.141). d) Die „Analogien der Erfahrung“. Erklären wir zuerst den Sinn dieses Ausdrucks: „Analogie“. „In der Philosophie, sagt Kant, bedeutet die Analogie etwas ganz anderes als was sie in der Mathematik bedeutet. In der Mathematik sind es Formeln, die die Gleichheit von zwei Beziehungen zwischn Größen ausdrücken, und besitzen einen wirklich bestimmenden Wert [von jedem der proportionalen Ausdrücke]: in der Tat wenn drei Glieder der Proportion gegeben sind, ist das vierte durch diese Tatsache bestimmt.196 196 143 Zum Beispiel, im Ausdruck: a/b = x/m ist x absolut bestimmt. In der Philosophie dagegen ist die Analogie die Gleichheit von zwei Beziehungen nicht einer Quantität, sondern einer Qualität: wenn drei Glieder gegeben sind, kann ich apriori erkennen und geben – nicht das vierte Glied, sondern nur eine Beziehung zu diesem vierten Glied [das, in sich selbst mir unbekannt bleibt]: ich erhalte nur eine Regel, um nach ihm in der Erfahrung zu suchen, ein Zeichen, um es dort zu erkennen.“ (B. 202-203; R. 154 -155). Die Analogien der Erfahrung – obwohl erforderlich für die Einheit derselben – liefern mir also nicht konstitutive Prinzipien, sondern regulierende Prinzipien des Objektes der Erfahrung. (Ebenda.) Das höchste Prinzip, das alle Analogien (Ensprechungen) der Erfahrung beherrscht, ist uns von den langen Analysen der „transzendentalen Deduktion“ bekannt: es ist in Wahrheit nur eine Form des Prinzips der Einheit des Bewusstseins“: „Die Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich“ (B 199; R.152 Meiner S.229). Dieses allgemeine Prinzip untergliedert sich, übereinstimmend mit der Unterteilung der Kategorien der Beziehung, Relation : 1. Erste Analogie: Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz : „Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, und das Quantum derselben wird in der Natur weder vermehrt noch vermindert“.. (B.204; R.156 Meiner S.235) 145 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung In der Tat ohne ein unveränderliches Substrat der wechselnden Erscheinungen vorauszusetzen, wäre es unmöglich irgend etwas als Objekt zu denken. (B. 209 ; R.161 Meiner S.240 letzter Abschnitt). [original Kant:] So ist demnach die Beharrlichkeit eine notwendige Bedingung, unter welcher allein Erscheinungen, als Dinge oder Gegenstände, in einer möglichen Erfahrung bestimmbar sind. 2. zweite Analogie: Grundsatz der kausalen Aufeinanderfolge: „Alle Veränderungen geschehen nach dem Gesetz der Verknüpfung der Ursache und Wirkung."(B.210; R.768 Meiner S.241). Das, was man von der Notwendigkeit einer stabilen Ordnung der imaginativen Synthese herleitet, damit die Phänomene bezogen werden können auf die Einheit der Apperzeption und so zu „Objekten“ werden. 3. dritte Analogie: Grundsatz des Zugleichseins, nach dem Gesetz der Wechselwirkung oder Gemeinschaft: Alle Substanzen, sofern sie im Raum als zugleich wahrgenommen werden können, sind in durchgängiger Wechselwirkung.“. (B. 226; R.770 Meiner S.259) Denn die Einheit der Apperzeption umfasst apriori die Gesamtheit der Erfahrung ; oder mit anderen Worten, die Erfahrung ist nicht nur vollkommen „objektiv“ in ihrer Gesamtheit. Aber diese Gesamtheit, in einer Pluralität von Substanzen, wird nur gegeben durch reziproke Verknüpfung zwischen diesen Substanzen. e) Die „Postulate des empirischen Denkens im Allgemeinen“. 144 Sie antworten auf die Kategorien der Modalität. Und sie spezifizieren die Bedingungen in denen sich rechtmäßig die Sätze ausdrücken lassen, die schon seit der Antike „modale“ Sätze genannt werden („modale Sätze“ der Scholastik) : Es ist möglich..., wirklich..., notwendig, dass A ist B oder nicht ist B. Durch die vorausliegende Synthese: A=B, findet sich ein Objekt (AB) vor den Geist gestellt. Es bleibt noch die Beziehung dieses gedachten Objektes zu den notwendigen Bedingungen der Erfahrung zu beurteilen, was darauf hinausläuft, eine Gültigkeit des Objekts zu "bestimmen". Die drei „Postulate des empirischen Denkens“ antworten auf dieses Problem der Gültigkeit: 1. „Jedes Objekt, das mit den formartigen Bedingungen (sowohl intuitiv als begrifflich) der Erfahrung übereinstimmt, ist möglich“. (B. 232; R.183 Meiner S.266) 2. „Jedes Objekt, das [darüber hinaus] den materialen Bedingungen der Erfahrung (das heißt, den aktuellen Bedingungen der Sinneswahrnehmung) entspricht, ist wirklich“. , (ebenda).) 3. „Jedes Objekt, von dem der Zusammenhang mit dem Wirklichen sich 146 K.3 Synthesen des Verstandes II. Transzendentale Urteilslehre 145 [völlig] bestimmt findet [allein] durch die allgemeinen Bedingungen der Erfahrung, ist notwendig“. (Ebenda.) Diese drei Prinzipien definieren die Möglichkeit, die Wirklichkeit und die Notwendigkeit durch die besondere Beziehung, die ein Objekt zu unserer erkennenden Fähigkeit hat. Nun aber haben wir in der Sprache der Kritik „Fähigkeiten“ genannt, die Gesamtheit der Bedingungen apriori der Möglichkeit von Objekten: und diese Bedingungen müssen gelten für eine beliebige Gegebenheit, denn ohne sie ist überhaupt kein Objekt möglich. Was drückt das „erste Postulat“ anderes aus als die Real-Geltung der Apriorität der Formen der Erkenntnis? Die transzendentale Analyse zu praktizieren, die die Bedingungen apriori der Möglichkeit eines Objektes definiert, oder dieses Postulat anzuwenden, dies ist alles ein und dasselbe. Von den formartigen Bedingungen der Möglichkeit zur aktuellen Wirklichkeit des gedachten Objektes, ist in der rein spekulativen Ordnung ein einziger Weg möglich: den formartigen Bedingungen eine Materie zu liefern, mit anderen Worten, sie unmittelbar zu beziehen auf eine Sinneswahrnehmung, auf eine ursprüngliche Gegebenheit. Das ist der Sinn des zweiten Postulats, nämlich dem Postulat welches das „Wirkliche“ bestimmt. Was wird von daher gesehen die „Notwendigkeit“ des Objektes sein? Es handelt sich hier, bemerkt Kant, nicht um die reine logische Notwendigkeit von Beziehungen zwischen Begriffen, sondern um die reelle Notwendigkeit, das heißt, um die notwendige Existenz. Wie wir das Wirkliche nur in der Sinneswahrnehmung erreichen, können wir sicherlich keine „absolute Notwendigkeit“ zu existieren definieren, die Mit der empirischen Erkenntnis überhaupt nichts zu tun hat; hingegen können wir uns „Notwendigkeiten zu existieren“ definieren, die untergeornet sind unter diese oder jene partikuläre empirische Existenz. In der Tat stellt sich jede Existenz in unserer Erfahrung dar als umgeben von einer unvermeidbaren Aureole von Beziehungen zu anderen Existenzen, von denen wir also die Notwendigkeit erkennen, bevor wir sie in sich selbst bestimmen können. Zum Beispiel wissen wir, dass eine solche Erscheinung, in die Existenz gebracht, apriori bestimmt ist durch eine existierende Ursache, schon bevor wir die Erfahrung gemacht haben können von dieser letzteren. Das dritte Postulat formuliert diese Art von Notwendigkeit. Man wird sich zweifellos fragen, warum Kant die drei Grunsätze, die die Modalität des Urteils bestimmen, „Postulate“ nennt. Offensichtlich bedeutet hier „Postulat“ nicht einen Satz, den man ohne weiteres für sicher ausgibt, ohne ihn zu rechtfertigen noch ihn zu beweisen“ (B. 247; R.194 Meiner S.281 vorletzter Abschnitt). „ In der Tat zuzugestehen, dass synthetische Sätze, so evident sie auch scheinen, ohne Herleitung und auf den ersten Blick eine absolute Zustimmung gewinnen könnten, würde heißen, jede Kritik des Verstehens zu zerstören “, um sich dafür auf eine rein subjektive Neigung zu beziehen. (Ebenda.) Jedes synthetische Urteil muss objektiv bewiesen werden oder transzendental 147 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung daduziert werden. (Ebenda.)197 197 Man wird bemerken, dass Kant dieser logischen Forderung gegenüber, mit den Philosophen völlig einverstanden ist, die sie bekämpfen: eine „Synthese“, an sich bringt mit sich nur subjektive Notwendigkeit: die Objektivität einer Synthese muss „bewiesen“ werden. Nun aber sind die Grundsätze der Modalität, obwohl sie nicht aus einer transzendentalen Deduktion der inneren Elemente des Objektes folgen, uns unmittelbar gegeben im Bewusstsein der mehr oder weniger engen Beziehung, den der objektive Begriff mit unseren verschiedenen Fakultäten eingegangen ist. Die Synthese, die sie ausdrücken, : „dies ist möglich... wirklich., notwendig“, (B. 248; R. 194 -195 Meiner S.282), verschmilzt mit dem Modus selbst der Tätigkeit der objektiven Erkenntnisfähigkeit. Und aus diesem Grund nennt Kant sie „Postulate“. In der Tat, was ist ein Postulat in der Mathematik? Es ist, sagt er, „ein zweckmäßiger Satz, der nur die Synthese enthält, durch die wir uns zuerst ein Objekt vorgeben und davon einen Begriff machen; zum Beispiel, die Tätigkeit, von einem gegeben Punkt aus mit einer gegebenen Linie einen Kreis auf einer Oberfläche zu beschreiben“. (B. 248; R.195 Meiner S.282 letzter Abschnitt). Beim Setzen eines Aktes „postuliere“ ich die theoretischen Elemente, die er impliziert, was einem Beweis durch das Faktum entspricht. Ein Postulat lässt sich also nicht beweisen, aber nur, weil es eines Bweises nicht bedarf und es sich aufdrängt, im Voraus zu jeder Demonstration, gerade in der Ausführung einer Tätigkeit. Nun aber führt sich jede Tätigkeit des Erkennens ursprünglich und natürlich, in einer von drei theoretischen Arten aus, nämlich der Möglichkeit, der Wirklichkeit oder der Notwendigkeit, je nach der mehr oder weniger vollständigen Beteiligung verschiedener Fakultäten.198 198 Man erlaube uns eine kurze Bemerkung, bevor wir diesen Paragraphen zu Ende bringen. Ebenso wie wir weiter oben Vorbehalte bezüglich des kant’schen Begriffs des Objekts formuliert haben, müssen wir auch Vorbehalte formulieren bezüglich der Grundsätze der Modalität. Die beiden Fragen hängen zusammen und hängen unter anderem von der Lösung ab, die man dem allgemeinen Problem eines transzendenten und absoluten Gebrauchs der Vernunft geben sollte (convient). Wenn wir genauer präzisieren sind für den einfachen phänomenologischen Gesichtspunkt die Grundsätze der Modalität unbestreitbar weder mehr noch weniger als die transzendentale Analyse selbst. Aber schließt sich diese, genauso wie jene notwendig ein in die Grenzen des „Objekts als Erscheinung“? Ist ihr Sinn als Erscheinung exklusiv? Wir werden bald dieses Problem unmittelbar in Angriff nehmen können und in diesem Band die kantsche Lösung davon erklären - die im Übrigen nicht die unsre ist. 148 K.4 Folgerungen für die Kritik aus der transzendentalen Analytik Kapitel 4. Folgerungen für die Kritik aus der „transzendentalen Analytik“. §1. – Die Einheit der Sinneswahrnehmung und des Verstandes in der Erfahrung 147 Die Entwicklung der vorkantschen Philosophie hat in unseren Augen den Stolperstein entdeckt, über den sowohl Rationalisten wie Empiristen zum straucheln kamen: man möge sich an die unentwirrbaren Schwierigkeiten erinnern, in die sie das Problem der Beziehung zwischen der Sinneswahrnehmung und dem Verstand brachte. Sie bemerkten wohl gut das notwenndige Zusammenwirken der einen und der anderen Fakultät in der objektiven Erkenntnis, und konnten sich so nicht damit abfinden, entweder die Sinneswahrnehmung oder den Begriff gänzlich zu verkennen. Darum neigte ihre ganze Anstrengung dazu, den Abstand zwischen den zwei Fakultäten zu verringern, indem sie die Heterogenität ihrr Formal-Objekte verwisschten. Auf idealistischer Seite, bei Descartes und bei Leibniz, wird das innere „Objekt“ der Erkenntnis ganz und gar, in seinr Materie wie in seiner Form, „Idee“, „Art und Weise des Gedankens“. Die kartesische Sinneswahrnehmung unterscheidet sich vom Gedanken, weniger durch einen Unterschied der Natur als durch einen Unterschied inm Ursprung: der eine entsteht aus Anlaß einer somatischen Veränderung, der andere ist rein angeboren, aber alle beide sind geistige Vorstellungen, innewohnend in der Substanz der Seele. Zweifellos ist ihr logischer Wert verschieden: die Sinneswahrnehmung stellt die außerhalb befindlich Wirklichkeit (die Sache an sich) nur „kausal“ dar und im übrigen „konfus“; die angeborene Idee stellt die Wirklichkeit an sich „formartig“ dar; aber alle beide haben eine gleichbedeutende transzendentale Gültigkeit und „objektivieren“ in gleicher Weise auch ihren idealen Inhalt vor dem Geist. Die gleiche Annäherung zwischen Sinneswahrnehmung und Begriff findet sich bei Leibniz: hier ist die Sinneswahrnehmung rein und einfach der Monade angeboren, ebenso wie der Begriff; Sinneswahrnehmung und Begriff unterscheiden sich nicht mehr als durch den Grad der „Distinktion (Klarheit)“: die Sinneswahrnehmung ist konfus. , sie ist ein Gemisch von ungenügend sortierten Vor- oder Darstellungen; im Begriff ist die Auswahl und die Klassifizierung durchgeführt; aber noch ein Mal, die Sinneswahrnehmung stellt das Objekt „konfus“ dar, während der Begriff das Objekt „deutlich=distinkt“ darstellt: die transzendentale Gültigkeit der Sinneswahrnehmung und des Verstandes ist wesentlich der gleiche. Von der Seite der Empiristen stellt sich die Anstrengung der Assimilation der zwei Fakultäten in gleicher Weise dar mit dem einzigen Unterschied, dass er 149 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung sich auf die Sinneswahrnehmung stützt anstatt sich auf den Begriff zu stützen. Wir haben an die Aushölung des Begriffs unter der empiristischen Analyse miterlebt. Das Resultat dieses Zerfalles war wiederum die Unterscheidung zwischen Sinnes-Objekt und gedachtem Objekt rein zufällig zu machen: die Sinneswahrnehmung gibt ein elementares Objekt, der Begriff gibt eine stabile Gruppierung von elementaren Objekten. Immer also, die gleiche Tendenz, die Formalobjekte von Sinneswahrnehmung und Verstand zu verwischen. Kurzum die modernen Philosophen, Vorgänger von Kant und Nachfolger von Duns Scotus und von Ockham, haben nicht gewusst, wie man die sich ergänzende Rolle der Sinneswahrnehmung und des Verstandes in der Bildung des „Objekts“ der Erkenntnis deutlich machen kann. Dementsprechend mussten sie den objektiven Beitrag dieser zwei Fakultäten möglichst „homogenisieren“: daraus ergab sich schicksalhaft eine Vermischung der einen mit der anderen. Aber da diese Vermischung in gleicher Weise geschehen kann, indem man das sinnenhafte Objekt oder das begriffliche Objekt als Typ der Aneignung wählt, resultierte daraus auf der Grundlage eines gemeinsamen Fehlers ein scharfer Konflikt zwischen dem Idealismus und dem Empirismus: der Konflikt der „Objekt-Idée“ und der „Objekt-Sinnesempfindung“. Wir haben im Heft II dieser Arbeit gezeigt wo der Konflikt herkommt: von der Preisgabe eines den Scholastikern des 13.Jahrhunderts vertrauten Gesichtspunkts, worin sie der Philosophie des Aristoteles folgten. Dieser Gesichtspunkt setzte - voraus - bevor es dem Buchstaben nach so formuliert war - eine „transzendentale Reflexion“ über das der menschlichen Erkenntnis eigentümliche Objekt. Dieses war in der Tat nicht ausschließlich bezogen weder auf die Sensibilität, noch auf den Verstand, sondern auf die simultane und streng komplementäre Aktivität dieser zwei Fakultäten. Die Sinneswahrnehmung ohne Begriff erreichte nicht den Rang einer Erkenntnis eines Objekts; der Begriff, in „Abwesenheit der Sinneswahrnehung“ wurde nicht mehr im Bewusstsein objektiviert: er brauchte, um eine objektive Erkenntnis zu begründen, das heißt die Erkenntnis von einem „etwas“, die Vereinigung mit der Sinneswahrnehmung, als Materie, zum Begriff als Form. So fanden sich gleichzeitig die Einheit des Objekts und die Unterscheidung der Fakultäten erhalten. 148 Kant bringt uns zu dieser mittelalterlichen Position zurück; er löst, wie es Thomas gemacht hätte die erste der durch die dekadente Scholastik an die modernen Philosophie vererbten großen Alternativen. (Siehe unser Cahier I). Lesen wir nach, in der Kritik der reinen Vernunft, diese zehn Zeilen, die sehr genau die Tragweite eines Fortschrittes vermessen, der gleichzeitig eine unbewusste Rückkehr zur Tradition ist: 150 K.4 Folgerungen für die Kritik aus der transzendentalen Analytik „Leibniz intellectualisierte die Phä- [original Kant:] Leibniz intellektuierte nomene, wie Locke in seinem System die Erscheinungen, so wie Locke die Verder Noogonie die Begriffe des Ver- standesbegriffe nach einem System der standes sensualisiert hat. Anstatt Noogonie (wenn es mir erlaubt ist, mich in der Sinneswahrnehmung und im dieser Ausdrücke zu bedienen,) insgeVerstand zwei ganz und gar verschie- samt sensifiziert, d. i. für nichts, als den Quellen von Vorstellungen zu empirische, oder abgesonderte Reflexisuchen, aber gleichzeitig zwei Quel- onsbegriffe ausgegeben hatte. Anstatt len deren Verknüpfung absolut erfor- im Verstande und der Sinnlichkeit zwei derlich ist, um über die Dinge objek- ganz verschiedene Quellen von Vorsteltiv urteilen zu können, hat jeder die- lungen zu suchen, die aber nur in Verser zwei großen Männer sich nur an knüpfung objektiv gültig von Dingen ureine von ihnen gehalten, nämlich auf teilen könnten, hielt sich ein jeder dieser das, was sich in seiner Meinung un- großen Männer nur an eine von beiden, mittelbar auf die Objekte selbst be- die sich ihrer Meinung nach unmittelzog, während die andere [Fakultät] bar auf Dinge an sich selbst bezöge, innur die Vorstellungen der ersten ver- dessen daß die andere nichts tat, als die wirrte oder ordnete“. (B. 279; R.222 Vorstellungen der ersteren zu verwirren Meiner S.317) oder zu ordnen. Die kantsche Analytik gibt also dem Idealismus ebenso wie dem Empirismus den Teil der Wahrheit, den ihre Interpretation der objektiven Erfahrung enthielt; aber mit gleichem Schlag zerstört Kant die fundamentalste Voraussetzung aus der die Gegenüberstellung dieser zwei Tendenzen ihren Ursprung hatte. Er widerlegt, indem er vermittelt. Und sein Prinzip der Vermittlung wiederholt in fast den gleichen Ausdrücken das alte aristotelische und scholastische Prinzip von der „synthetischen sensitivo-rationalen Einheit des Erfahrungsobjekts“. Vergessen wir jedoch nicht, dass die Geschichte genau so wie das Leben, ja sogar die Geschichte des Denkens sich nicht sklavisch wiederholt. Das aristotelische Prinzip erscheint bei Kant wieder, gestützt auf eine neue kritische Rechtfertigung und angereichert durch die philosophische Erfahrung mehrerer Jahrhunderte, aber auf der anderen Seite, verarmt und verdünnt durch die Befürchtungen einer agnostizistischen Methodologie. Wenn die erste der aufgestellten Alternativen für die moderne Philosophie, die von der Sinneswahrnehmung und dem Verstand glücklicherweise im Kantismus überwunden zu sein scheint, wird man sich erinnern, dass sie verstärkt wurde – untrennbar – durch eine zweite Alternative, der vom Verstand und der Vernunft. Die kritische Aufgabe ist weit entfernt davon erledigt zu sein, und wir werden von nun an uns vorbereiten müssen sie wieder aufzunehmen Gruppieren wir also, um dafür einen neuen Ansatzpunkt zu gewinnen, diejenigen kritischen Schlussfolgerungen der transzendentalen Analytik, die Per149 spektiven im Bereiche der Vernunft eröffnen. 151 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung §2. . Die Einschränkung des objektiven Gebrauchs der Begriffe. 150 Ohne Anschauung ist die objektive Erkenntnis nicht möglich: ihr würde der Inhalt fehlen. Aber wir begegnen in uns selbst keiner anderen Intuition als der sinnlichen Intuition: diese ist also, unvermeidlich, die Bedingung aller unserer objektiven Erkenntnis. Auf der anderen Seite genügt die sinnliche Intuition allein nicht, um uns die Erkenntnis von „Objekten“ zu geben. Das „Objekt“ fordert eine metasensible Synthese der sinnlichen Mannigfaltigkeit; mit anderen Worten die sinnlichen Phänomene sind nur die notwendige Materie einer objektiven Erkenntnis: um „Objekte“ zu werden, müssen sie vermittelst von Funktionen apriori, die wir die „Kategorien“ genannt haben auf die apperzeptive Einheit bezogen werden. Die „Kategorien“ haben also als die ihnen eigentümliche Funktion, eine sinnliche Mannigfaltigkeit apriori zu bestimmen, um davon ein „Erfahrungsobjekt“ zu machen. Ihre Funktion erscheint so rein einigend, rein formartig: sie objektiviert sich vor unserem Bewusstsein nut indem sie sinnliche Phänomene zusammenschnürt, so wie eine Form eine Materie zusammenschnürt. Auf der anderen Seite schöpfen die „Kategorien“ die Gesamtheit der metempirischen Bestimmungen unseres Denkens aus. Wenn diese innerliche Bestimmungen enthielte, die nicht kategorial, nicht rein formartig sind, müsste man sagen, dass wir bezogen auf gewisse Objekte mit intellektueller Intuition begabt sind, wovon wir apriori alle wesentlichen Elemente besitzen würden. Aber es findet sich nichts davon, die innere Erfahrung liefert uns kein einziges Beispiel eines Objekts des Denkens, das ganz apriori geschaffen ist; im Gegenteil zeigt sie uns, in jedem von unseren Begriffen, einen empirischen Inhalt, der aus der sinnlichen Intuition stammt. Daraus ergibt sich unmittelbar eine wertvolle Regel für den Gebrauch unseres Verstandes: dieser Gebrauch ist sicherlich legitim, sagt Kant, wenn er sich an die Grenze der Bestimmung apriori von Objekten unserer Erfahrung hält. (B. 161, 149, und Alibi; R. 756, 743 (etc.) Meiner S.190 In diesen Grenzen, vermischt sich unsere kritische Zustimmung mit den unmittelbaren Resultaten der transzendentalen Deduktion: wir wissen durch sie, dass die Kategorien die Bedingungen apriori von jeder objektiven Wahrnehmung im Raum und in der Zeit ausdrücken. Wir kennen also im voraus eine gewisse Anzahl von Gesetzen, „auf denen die Natur im allgemeinen beruht , als Gesamtheit von Phänomenen betrachtet“. (B. 160 ; R. 755 -756)199 199 Das reicht uns sicher nicht, um die besonderen natürlichen Gesetze zu unterscheiden: da diese den formartigen Bedingungen des Verstandes und der Sensibilität unterworfen sind, beziehen sie ihre letztmögliche Diversifikation vom materieartig Gegebenen als 152 K.4 Folgerungen für die Kritik aus der transzendentalen Analytik solchem.(Ebenda.) Das Problem der generischen und spezifischen Induktion wird in der „Kritik der Urteilskraft“ behandelt. Siehe weiter unten. 151 Mit anderen Worten: Wie kennen apriori die universellen Bedingungen unserer möglichen Erfahrung. Aber können wir weiter gehen und die Anwendung der Kategorien ausdehnen über unsere möglichen Erfahrungen hinaus, auf unseren Sinnen unzugängliche Objekte? Diese Frage unterteilt sich in die drei folgenden, (die zwei ersten sind virtuell schon beantwortet durch das was vorausgeht): 1.) Hat eine derartige Erweiterung der Kategorien eine definierte Bedeutung? ist diese begreifbar? Mit anderen Worten: besitzen wir überhaupt einen Begriff von einem Objekt, das kein Objekt einer möglichen Erfahrung wäre? von einem transzendenten Objekt, auf das wir die „Kategorien“ anwenden könnten? 2.) unter der Annahme, dass diese Erweiterung begreifbar ist, ist sie legitim? bietet sie Wahrheitsgarantien? Wir würden nicht wissen, wie wir uns weigern könnten, den empirischen Gebrauch der Kategorien als gültig anzunehmen, da er innerlich die „Erfahrung“ konstituiert und dass das sich uns aufdrängt, was auch immer wir machten, als eine ursprüngliche Bedingung unseres Denkens. Aber geht das genau so mit einem metempirischen (transzendenten) Gebrauch der Kategorien? 3.) und wenn man auf diese letzte Frage eine negative Antwort geben müsste, würde ein ernstes Problem fortbestehen. Denn es ist eine Tatsache, dass wir die Kategorien benutzen für andere Anwendungen als auf der inneren Bestimmungen von Objekten der Erfahrung; geben wir zu, dass sie uns transzendente Objekte, die sich unserer Zustimmung (adhesion) aufdrängen, nicht grundlegend erkennen lassen (wegen des Fehlens einer intellektuellen Intuition); was bedeutet dann, im eigentlichen Sinn gesprochen, die métempirische Funktion, die tatsächlich die Kategorien übernehmen? Da sie sich ausübt, antwortet sie also auf gewisse natürliche Bedingungen einer Aus-Übung; und, mangels objektiver Gültigkeit füllt sie wahrscheinlich eine gewisse andere legitime Rolle in der Erkenntnis aus. Die Weiterführung der „Kritik“ entwickelt die kantsche Lösung dieser Probleme. Wir werden ihnen unser nächstes Kapitel widmen. §3. . Das kant’sche Paradoxon: die Natur, Produkt unserer Spontaneität. Kant vergleicht gerne das Werk der Kritik mit der Revolution, die in der Astronomie durch Kopernikus bewirkt wurde. Die bewegungslose Erde mit den Alten im Zentrum der Welt anzunehmen, hat zur Folge, die unentwirrba- 153 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 152 re Komplikation der „Epizyklen“ in die Himmelsmechanik einführen zu müssen und sich damit in dynamische Enormitäten ungeheuere Größe zu fügen. Kopernikus wirft den Gesichtspunkt um, und nimmt eine um die Sonne bewegliche Erde an: das Problem vereinfacht sich sofort und erhellt sich. Genau so sagt Kant, hat die rationale Erkenntnis bis dahin herumgetastet und hat die Widersprüche akkumuliert. Warum? Beruht der Grund dieser lästigen Sterilität nicht auf einer allgemeinen fehlerhaften Voraussetzung? Die rationale Wahrheit – insofern sie die Natur interessiert – bestehe in der „notwendigen Übereinstimmung der Erfahrung von Objekten mit den Begriffen dieser Objekte“. Nun aber gibt es zwei Weisen, diese notwendige Übereinstimmung zu konzipieren: „entweder ist es die Erfahrung, die die Begriffe möglich macht (solcher Art war die gemeinsame Überzeugung der Metaphysiker), oder es sind die Begriffe, die die Erfahrung möglich machen. Die erste Erklärung kann nicht harmonieren mit den Kategorien, da die Kategorien Begriffe apriori sind, und dass sie infolgedessen an sich von der Erfahrung unabhängig sind. Bleibe also die zweite Erklärung..., zu wissen, dass die Kategorien von Seiten des Verstandes die Prinzipien der Möglichkeit aller Erfahrung im Allgemeinen enthalten“ (B. 161-162; R. 756 -758.Meiner S.190 cf. Einleitung 2 Edition. B. und R. supplém.) Das heißt dass die Kategorien des Verstandes (wie übrigens auch die Formen apriori der Sinneswahrnehmung) sogar in die Bildung unserer Erfahrung der Objekte eintreten und es so notwendig Übereinstimmung gibt, dem exakten Maß dieser Teilnahme zufolge, zwischen den so „erfahrenen“ Objekten und den subjektivn Bedingungen unseres Verstandes. Die Übereinstimmung ist offen gestanden nur die Übereinstimmung des Geistes mit sich selbst. In einem Sinn also ist die Natur, weit davon entfernt sich uns von außen aufzudrängen, ein Produkt unserer Spontaneität. Das ist der beunruhigende Satz, der sich wiederholt an verschiedenen Orten der Kritik der reinen Vernunft und der Prologomena. Beunruhigend vielleicht, wenn man ihn schlecht versteht; paradox, ohne Zweifel, und ein bißchen kränkend für die traditionellen Spracheangewohnheiten. Im Grunde wiederholt sie lediglich von neuem das algemeine Prinzip der Apriorität und Idealität der formartigen Bestimmungen der Erkenntnis in einer Anwendung. Die Natur von der dort die Rede ist, ist die Natur insofern sie sich objektiviert in unserer Erkenntnis, es ist nicht die Natur als „Ding an sich“; vergessen wir nicht, dass wir uns immer befassen mit dem phänomenalen Gesichtspunkt und dass wir uns noch nicht gefragt haben, ob ein „Ding an sich“ existiert oder nicht: wir studieren die innerlichen, immanenten Bedingungen, des in einem Akt der physischen Erfahrung dargestellten objektiven Inhalts, das ist alles. (Cf. Einleitung 2. Ausgabe B. 23; R.672) Aber Kant behauptet nicht selbst dass die Natur, als phänomenales Objekt, 154 K.4 Folgerungen für die Kritik aus der transzendentalen Analytik 153 als „ratio obiectiva = objektivierter Grund“, total von unseren Fakultäten der Erkenntnis abhängt: das was dabei von unseren Fakultäten abhängt, ist nur das, was wir dort „apriori“ entdecken; dies ist das formartige und notwendige Gerüst der Gesamtheit der natürlichen Gesetze: die Natur im Allgemeinen, sagt Kant, als natura formaliter spectata, (B. 160; R.756,Meiner S.190; dies sind die objektiven Bedingungen, allzu allgemein um ein beliebig empirisch Gegebenes zu affizieren; aber das ist in keinem Fall die Mannigfaltigkeit gerade der physikalischen Gesetze; dies ist beisspielsweise nicht zu wissen, dass eine chemische Anordnung von einem thermischen Phänomen begleitet wird, von einem leuchtenden Phänomen, einem elektrischen Phänomen : diese Eigentümlichkeiten haben überhaupt keine apriorische Gültigkeit; sie repräsentieren, in der physikalischen Erkenntnis, den kontributiven Teil des anfänglich Gegebenen: ihnen gegenüber sind wir rein rezeptiv. Das, was wir ihnen apriori zuschreiben, ist, sich in den unabänderlichen Rahmen der Zahl, der Substanz, der Kausalität, der Handlungssolidarität und so weiter einzuordnen. Wir haben weiter oben gesehen, wie Kant, durch seine Theorie des Schematismus die Möglichkeit erklärt diese begrifflichen allgemeinen Bestimmungen eines partikulären Gegebenen in der Sinneswahrnehmung zu empfangen. In die Sprache der scholastischen Psychologie übersetzt, kann also die kantsche These der Spontaneität des Verstandes nichts anderes bedeuten als dies: „Species impressa, quae recipitur in intellectu possibili, ibi proxime non inducitur per actionem principalem, sive objecti externi, sive sensus aut phantasiae, sed per actionem principalem ipsius intellectus in seipsum (aliis verbis, per operationem intellectus-agentis) secundum similitudinem phantasmatis“. Das heißt, dass der Begriff eines Objektes aus der spontanen Tätigkeit der Intelligenz folgt („intellectus-agens est semper in actu“), sich als sie selbst richtend, entsprechend ihrer ihr eigentümlichen Universalitätsart und den allgemeinen Bedingungen des „inneren Sinns“ zufolge nach einer simultanen „Passion=Erleiden,Passivität“ der Fakultäten der Sinneswahrnehmung. Auch die Natur, insofern sie objektiv dar-(vor-)gestellt ist, durch die Kategorien des Seins in unserer intellektuellen Erkenntnis, ist sie wohl, wie Kant sagt, ein spontanes Produkt unseres Verstandes und nicht nur ein passiver Eindruck unserer Fakultäten der Sinneswahrnehmung. Das ist möglich, ohne zu sagen, dass Kant je den Unsinn hervorgebracht hat, den mehrere ihm zuschreiben, zu wissen dass die Natur als Ding an sich ein Produkt unseres Denkens sein würde. Um so weniger als an diesem Ort der Kritik, es ihm nicht möglich gewesen wäre, sich auf dieses große idealistische Konzept der traditionellen Metaphysik zu berufen: „der absolute Gedanke – Ursprung des Seins – ist Schöpferin ihres Objekts“; jeder Hypothese, die darauf mit Recht oder Unrecht abzielt, unser Denken zu einer Weiterführung irgenwelcher Art des schöpferischen Denkens zu machen, hätte also eine verständliche Grundlage gefehlt. Für einen Leser, der nicht vergisst, auf 155 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung welchem Terrain sich die Kritik bewegt, enthält der Sinn des kantschen Aphorismus, der eine Zusammenfassung der transzendentalen Analyrik darstellt, nichts Dunkles noch Ungewisses. §4. . „Bewusstsein seiner selbst“ und „Erkenntnis des Ich“. 154 Wir machten kurz vorher eine Anspielung suf die Spontaneität des Verstandes bei der Bildung objektiver Begriffe. Den Scholastikern zufolge ist der letzte metaphysische Grund, der eine aktive Konformation des Verstandes an die Operationen der Sinneswahrnehmung möglich macht, in der substantiellen Einheit des sensitivo-rationalen Subjekts zu suchen. Wäre es diese metaphysische Einheit, von der wir Kenntnis haben würden in dem synthetischen Akt der Apperzeption, durch welchen wir uns, Kant zufolge, „Objekte“ bilden? Mit anderen Worten: Ist das „Bewusstsein seiner selbst“ das jede Vorstellung begleitet, eine objektive Erkenntnis vom substantiellen Ich? Ja und nein. Die Wahrnehmung der Objekte zeigt mir ihre Beziehung zu der Einheit eines Bewusstseins; ich weiß, dass diese Einheit, wie alle synthetische Einheit, apriori ist: ich erkenne mich also als „Bedingung apriori“ von allen Phänomenen, von denen ich Bewusstsein habe, das heißt in meiner formartigen Beziehung zu ihrer Mannigfaltigkeit. In diesem Sinn habe ich „Bewusstsein von mir“, wenn man will, aber nur als „Fakultät der Synthese von Phänomenen“. Kann ich darüber hinaus sagen, dass ich wirklich eine objektive Erkenntnis habe von mir selbst?“ (B. 156 und cf. 152, 154 sqq. ; R. 751, 747, 749, sqq.) Ja, von neuem, in einem gewissen Sinn, das heißt in der gleichen Weise, wie ich Bewusstsein habe von außerhalb befindlichen Objekten: ich erkenne mich als phänomenales Objekt. In der Tat, um ein Objekt zu erkennen, braucht es, außer seinem reinen Begriff oder seiner Kategorie, eine Intuition, die den allgemeinen Begriff bestimmt, um ein solches besonderes Objekt darzustellen. Nun aber habe ich wohl Bewusstsein von mir als „apperzeptive Einheit“ im allgemeinen; aber diese abstrakte Funktion der Apperzeption muss, um mich mir darzustellen als Objekt, intuitiv bestimmt werden: sie sollte eine Mannigfaltigkeit überdecken (couvrir) die mich bezeichnet. – Welche Art Mannigfaltigkeit finde ich hier in meinem Bewusstsein? Die Mannigfaltigkeit, die meine ontologische Wirklichkeit begründet (konstituiert), ist nicht apriori meinem Denken gegeben: der einzige Inhalt, der vorkäme, um die allgemeine Einheit der Apperzeption in mir zu umgrenzen, ist die Aufeinanderfolge meiner Phänomene im inneren Sinn. Ich erkenne mich also objektiv nur entsprechend den Phänomenen, die mich in der Zeit affektieren, das heißt, insofern ich mir selbst erscheine in der sukzessiven Tätigkeit des inneren Sinnes. (B. 156; R.751) 156 K.4 Folgerungen für die Kritik aus der transzendentalen Analytik Auf der anderen Seite, habe ich Bewusstsein von mir als Einheit des Denkens und „Erkenntnis von meinem Ich“ als phänomenales Objekt; von allem womit ich mittels dieses letzten Titels mir die verschiedenen Kategorien zuteilen könnte von Substanz, von Ursache, und so weiter, habe ich absolut keine intellektuelle Intuition, weder von meiner ontologischen Einheit, noch von meiner Substanz, noch vom metempirischen Wesen meines Denkens. Thomas von Aquin sagte in gleicher Weise: „Unumquodque, cognoscibile est secundum quod est in actu, et non secundum quod est in potentia... Non ergo per essentiam suam, sed per suum actum, se cognoscit intellectus noster... “ (S. th. 1. 87, art. 1, in corp.) Es ist wahr, dass Thomas, im Unterschied zu Kant dieser „Überlegung“ der Intelligenz über ihren Akt die Geltung einer indirekten Erkenntnis des ontologischen Wesens zuschreibt: etwas was die „Kritik“ nich erlaubtt. §5. . Kantsche Widerlegung des Idealismus von Berkeley und von Descartes. 155 Die Bemerkungen, die vorausgehen, erlauben uns, die von Kant gegen das Ende der Analytik (2.Auflage) vorgeschlagene Widerlegung des Idealismus leicht zu verstehen. Der Idealismus der hier in Frage steht, ist nicht die idealistische Tendenz im allgemeinen, sondern nur eine partikuläre These, die sich daran anschließt. Man nennt sie manchmal „vulgären Idealismus“; Kant gibt ihm den Namen „materialer Idealismus“: dies ist „die Theorie, die die Existenz der Objekte der Sinneswahrnehmung im Raum entweder als zweifelhaft und unbeweisbar erklärt [Siehe Descartes, wenigstens in diesem Sinn, dass er zwischen der Außenwelt und unseren Sinneswahrnehmungrn nur einen kausalen Zusammenhang anerkennt, keine formartige Übereinstimmung], oder einfach für falsch und unmöglich [vergleiche Berkeley]“. (B. 238; R.772 Meiner S.272) "Der dogmatische Idealismus von Berkeley“ B. 238; R.772, hat schon seine Widerlegung gefunden in den ‘Schlussfolgerungen aus der transzendentalen Ästhetik. Denn er beruht ganz und gar auf diesem Vorurteil: dass der Raum nur konzipiert werden kann als eine „Eigentümlichkeit der Dinge an sich“ (Ebenda); und da ein „Raum an sich“ widersprüchlich erscheint, muss die Existenz von Objekten in einem solchen Raum auch als eine unmögliche Fiktion erscheinen. Die kantsche These der Idealität des Raums schneidet die durch den englischen Philosophen aufgeworfene Schwierigkeit an ihrer Wurzel ab: damit ein sinnliches Objekt die Attribute der „Wirklichkeit“ empfangen könnte, ist Kant zufolge in der Tat keine andere Räumlichkeit erfordert, als die räumliche Form der sinnlichen Intuition. Aber verschmilzt diese „Wirklichkeit“ des sinnlichen Objektes nicht mit der subjektiven Wirklichkeit meines Gedankens, sodass eine außerhalb meines Ge- 157 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 156 dankens befindliche sinnliche Wirklichkeit völlig problematisch wäre? Könnte sich so der idealistische Standpunkt von Descartes ausdrücken. Nein, antwortet Kant, wir stellen uns die außerhalb befindlichen Dinge nicht nur vor, sondern wir haben davon auch die Erfahrung; und im Übrigen ist es das, was man nur beweisen kann, indem man zeigt, dass unsere innere Erfahrung, die für Descartes ohne Zweifel da ist, als sie selbst nur möglich ist unter der Bedingung der äußeren Erfahrung.“ (B. 239; R.773Meiner S.273) Die Demonstration von Kant läuft im Wesentlichen auf folgendes hinaus: Die kartesianische These nimmt an, dass das erkennende Subjekt alle seine Vorstellungen ausdrücklich auf sein objektives Ich beziehen kann, ohne irgendwie durch die Erfahrung von von diesem Ich unterschiedenen Objekten hindurchzugehen. Diese Voraussetzung wäre vielleicht legitim, wenn das Subjekt eine intellektuelle Intuition von seinem Ich hätte. (B. 224, Note; R. 685-686, Note) Aber wir stellten gerade im §4 fest, dass es diese nicht gibt. In Wirklichkeit erkennt sich das Subjekt objektiv in dem Maße exakt, wo die allgemeine Einheit der Apperzeption sich „bestimmt“ findet durch die sukzessive Intuition des inneren Sinns, oder mit anderen Worten durch die zeitliche Synthese der Phänomene. (B. 241-242; R. 773 -774(Meiner S.274, ff.)) Aber die zeitliche Synthese der Phänomene – die, wir erinnert uns daran, im Durchlaufen einer verräumlichten Mannigfaltigkeit entsprechend der Schemata besteht – verlangt, während sie sich vollzieht, die Dauer von einem in der räumlichen Intuition Gegebenen. Nun aber ist ein in der räumlichen Intuition beständig Gegebenes, verborgen unter der progressiven Synthese des inneren Sinnes, gerade das, was man ein Objekt des „äußeren Sinnes“ nennt, ein „Objekt außerhalb des Sujekts“ (B. 239-240; R.773(Meiner S.273, ff.)). Wir können schon schließen, dass die Erkenntnis vom Ich – in dem Maße in dem sie uns möglich ist – nicht ohne die Erkenntnis des außerhalb des Ich befindlich Objekts geht. Aber es ist noch mehr zu sagen. Die Erkenntnis des außerhalb befindlich Objekts ist unmittelbar und ursprünglich. Mit anderen Worten, sie macht nicht im Voraus geltend, nicht einmal gleichzeitig, die klar unterschiedene Erkenntnis des Ich als Objekt. (Wir bezeichnen nicht: das „Bewusstsein von sich“ als Anzeichen für Apperzeption.) In der Tat das erste Resultat der sukzessiven Synthese der Einbildungskraft ist, unserem unmittelbaren Bewusstsein das gesamte Gebäude des außerhalb befindlichen Gegebenen zu präsentieren, angeordnet entsprechend der Bedingungen apriori der Sinneswahrnehmung und des Verstandes: unsere Aufmerksamkeit taucht so auf einen Schlag bis zum letztmöglichen materialen Element dieser Gesamtheit ein, das heißt selbst bis zum Objekt des äußeren Sinnes. Es ist nur sekundär durch Reflexion über diese ursprüngliche Erkenntnis, dass wir entdecken, in einem Teil der formartigen 158 K.4 Folgerungen für die Kritik aus der transzendentalen Analytik Elemente, aus denen sie zusammengesetzt sind, den Charakter der „Spontaneität“, der aktiven Synthese, durch den wir uns als Subjekte den äußeren Gegebenheiten gegenüberstellen (ebenda.) Kant kann also seine These aufstellen: „Das einfache Bewusstsein meiner ei- Das bloße, aber empirisch bestimmte, genen Existenz, empirisch bestimmt Bewußtsein meines eigenen Daseins be[in der Zeit] beweist die Existenz weist das Dasein der Gegenstände im von außerhalb im Raum befindlichen Raum außer mir. (Meiner S.273, LehrObjekten“. (B. 239; R.773) satz) Die Widerlegung des kartesianischen Idealismus durch den Autor der Kritik, ist zwei Einwänden gegenüber ungschützt. Die erste wurde von Kant geahnt, der sich die Mühe machte, sie in einer Anmerkung zu lösen,. (B. 241; R. 774, Note (Meiner S.274, Note zu Anmerkung 1.)) Ist es wohl sicher dass das, was wir „unmittelbare äußere Erfahrung“ nennen, nicht einfach darin bestehe, uns etwas wie Äußeres zu erdenken“ (Ebenda.)? Zweifellos, antwortet Kant, können wir, in Sonderfällen, unvollkommen die Einbildungskraft von der Erfahrung unterscheiden und in den Raum subjektive Fiktionen projizieren: außerdem muss man für jede gegebene Vorstellung scharfsinnig die Regeln anzuwenden wissen, die erlauben, ihre psychologische Natur zu unterscheiden. Aber hier ist nicht die Frage: was auch immer es in Sonderfällen ist, es bleibt, dass eine äußere Erfahrung die unerlässliche Voraussetzumg jeder imaginativen (phantasievollen) Synthese bildet: ohne Dauer 157 einer gegebenen Mannigfaltigkeit im Raum, gibt es keine mögliche Einheit der Vorstellung. Und dann, um sich ein Objekt als „Äußeres“ „vorzustellen (zu erdenken)“ muss ich also in meiner Erfahrung, die zwei korrelativen Typen von “außerhalb befindlich“, von „reiner Aufnahmefähigkeit der äußerlichen Intuition“ und von der „Spontaneität der Einbildungskraft“ besitzen: ich muss also, im Voraus, ein Gegebenes im Raum erfahren haben, das heißt ein außerhalb befindlich Objekt. (B. 241, Note, und 243; R. 774, Note, und 775)(Meiner S.274, Note zu Anmerkung 1.) Ein kartesianischer Philosoph könnte übrigens diese Schwierigkeit weiter treiben und Kant einen zweiten Einwand entgegnen, den wir kurz anzeigen werden. Für Kant gab es keine Möglichkeit, sich damit zu beschäftigen, denn dieser Einwand würde sich aus einem Missverständnis über den kantschen Sinn der Wörter: „außerhalb befindliche Wirklichkeit“ ergeben. Selbst wenn man annimmt, wie es aus der Antwort auf den ersten Einwand folgt, dass man eine äußerliche (rezeptive) Erfahrung und eine innere (spontane) ebenso unmittelbare Erfahrung unterscheiden muss, würde es dann nicht doch noch möglich sein, zu konzipieren, dass die angebliche „Aufnahmefähigkeit“ der äußerlichen Erfahrung nur eine unterbewusste Art von Operation des Subjekts sei, die etwas in sich selbst hervorbringt, was man ein „Gegebenes“ 159 Buch III. Die Einheit von Sinneswahrnehmung und Verstand in der Erfahrung 158 nennt? Auf diese Hypothese gibt es hier nur eine einzige Antwort: der Einwand versetzt sich auf das Terrain des „Dings an sich“, der „absoluten Wirklichkeit“ – wovon wir vielleicht nichts wissen – und nicht auf das Terrain des „Phänomens“, der „reinen Relativität“ auf der sich in diesem Moment die Kritik Kants noch bewegt. Wenn wir von äußerer Existenz und Existenz des Ich sprechen, handelt es sich nicht um die Gegenüberstellung von zwei „Dingen an sich“, sondern um die Gegenüberstellung von Objekt und von Subjekt, von äußerlich und von innerlich, im Inneren von „Bewusstseinsinhalten“ die wir „in ihnen selbst“ und „präzisierend = sie genauer bestimmend“ studierten, wie die Scholastiker sagen würden. In welchem Maß die Differenzen der Inhalte des Bewusstseins übertragbar sind auf das „Ding an sich“ dies ist genau das Problem das uns noch zu behandeln bleibt. In Anbetracht der Tatsache, dass der kartesianische Idealismus unter der Hypothese eines ontologischen Subjekts, einer Ich-Substanz argumentiert, hätte Kant vielleicht besser daran getan, seine Widerlegung bis zu dem Moment zu verschieben, wo er der Beantwortung ihre ganze Weite gegeben haben könnte. So wie es nun einmal ist lassen sich jedoch nicht Elemente präsentieren die sich erst später als brauchbar zeigen werden. 160 Buch IV. DER REGULIERENDE GEBRAUCH DER REINEN VERNUNFT. 159 161 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft Kapitel 1. „Dinge an sich“ und „Noumena“: Das Problem der Existenz des „Dings an sich“ 160 161 Die transzendentale Analytik hat die Notwendigkeit eines komplementären Zusammenspiels der sinnlichen Intuition und der Kategorien des Verstandes in der Erfahrung der Objekte in perfektes Licht gebracht. Ergibt sich daraus, dass jeder objektive Gebrauch der Kategorien des Verstandes streng eingeschränkt ist auf die Erfahrung? Ja, antwortet Kant. Man muss wohl zugeben, dass diese Konsequenz nicht auf einer unmittelbaren Evidenz beruht. Ja gerade die eigentümliche Apriorität der Operationen des Verstandes muss hinter der empirischen und relativen Erkenntnis eine wenigstens mögliche Welt von absoluten Einsichten vermuten lassen. Wir werden mit Kant versuchen, die Probleme, die sich an diese draufgängerische aber vielleicht leichtfertige Vorwegnahme unseres Denkens anschließen, zu entwirren. In der Erfahrung finden wir offen gestanden den Gebrauch der Begriffe apriori des Verstandes „eingeschränkt“ durch die „Schemata“, und so mittelbar durch die materialen Bedingungen unserer Sensibilität. Doch um diese Begriffe in sich selbst als „reine Begriffe“ zu betrachten, im Voraus zu ihrem empirischen Gebrauch, würde man dabei nicht wissen, wie man irgendeine innere Bedingung entdeckt, die sie dafür prädestiniert, sich in die Grenzen unserer sinnlichen Intuition einzusperren: wie Kant sagt, „sie erstrecken sich auf Objekte der Intuition im Allgemeinen, ob diese der unseren ähnlich wäre oder nicht, vorausgesetzt, dass sie sinnlich wäre und nicht intellektuell“. (B. 149; R.744) Darüber hinaus ist es uns möglich – absolut gesprochen – eine objektive Gültigkeit der Formen des Verstandes zu konzipieren, selbst außerhalb der Bedingungen jeder Sinneswahrnehmung, mittels Stellvertretung des sinnlichen Inhaltes durch einen Inhalt „intellektueller Intuition“. Dieser metasensible Gebrauch des Verstandes würde ein „Objekt“ geben, von dem wir apriori und hypothetisch, voraussehen können eine gewisse Anzahl negativer Prädikate, das heißt alle die Prädikate die von diesem Objekt „die Charakteristiken, die der sinnlichen Intuition eigentümlich sind“ verneinen würden. (B. 149; R.744) Wir besitzen infolgedessen in der Apriorität unserer intellektuellen Fakultäten, ein Mittel, in problematischer Weise die Grenzen der Erfahrung zu überschreiten. Und nachdem ein Mal diese Flucht gelungen ist, kann nichts mehr unser Denken anhalten, als nur die natürlichen Einschränkungen, die im abstrakten Begriff eines „Objekts im Allgemeinen“ enthalten sind. (B. 262; R. 205 ; Aber was ist der logische Wert dieses kurzen Blickes auf den metempirischen Horizont? Bemühen wir uns, ihn mit Präzision zu definieren, entsprechend dem Denken von Kant. 162 K.1 Ding an sich und Noummenon, seine Existenz 162 Man erinnert sich, dass der Ansatzpunkt aller objektiven Kritik die im klaren Bewusstsein enthaltenen Vorstellungen sind. Nun aber verraten diese im Bewusstsein objektivierten Vorstellungen, dort, wir haben es gesehen, das was man mit Kant eine „transzendentale Komposition“ nennen kann, das heißt eine simultane Beziehung zu verschiedenen konstitutiven Prinzipien. Sie hängen ab zugleich von der rezeptiven Passivität des Bewusstseins vor einem Gegebenem und von der Spontaneität des Bewusstseins in der apperzeptiven Synthese dieses Gegebenen. Wenn man jetzt unter Abstraktion vesteht das „bewusste Objekt“ unter der ersten seiner zwei transzendentalen Aspekte, das heißt insofern es ein „Gegebenes ist empfangen unter sinnlichen Formen“, wird man es sich notwendig definieren als eine „Beziehung, die das Bewusstsein affiziert“, als „etwas was im Bewusstsein erscheint“, kurz als „Phänomen“. Aber die Begriffe der Beziehung, der Erscheinung, des Phänomens rufen nach einen korrelativen Begriff, den von einem Term der Beziehung, einem Objekt der Erscheinung, von einem „an sich“ des Phännomens, mit einem Wort, den Begriff eines „Dings an sich“, von einem „etwas“ von dem der evidenteste deskriptive Charakter besteht in der Negation der dem Phänomen eigenen Relativität. Aber, in unserer Erkenntnis vermischen sich die Attribute des Phänomens, als eines solchen, mit den besonderen Bedingungen der Sensibilität. Das unserem Bewusstsein präsente Objekt könnte also als ein „Objekt an sich“, als „Ding an sich“, nur gedacht werden, wenn wir davon alles das abtrennen, was es von der sinnlichen Intuition erhält, mit anderen Worten, wenn wir in ihm ausschließlich die Bestimmungen berücksichtigen, die es von unserer intellektuellen Spontaneität her hat. Nun aber ist ein Objekt, das ausschließlich von intellektuellen Charakteren bestimmt ist, genau das, was die Alten ein Sein oder ein „intelligibles“ Objekt nannten, ein „Noumenon“. Ein Objekt wie etwas „ jenseits des Phänomens“ zu denken, wie ein „Ding an sich“, heißt notwendigerweise, es denken als Objekt der reinen Intelligenz, als „Noumenon“. (B. 265 und 1. Aufl. B. Anmerkung 263, sqq. ; R. 782 und 206 -209). Das Ding an sich charakterisiert sich also vor unserem Denken (als „Intelligibile“ oder als „Noumenon“) durch zwei Reihen von Attributen: 1. negative Attribute: Ausschluss von Bedingungen der sinnlichen Intuition; 2. positive Attribute: Konformität mit Bestimmungen der reinen Intelligenz. Es besteht kein Zweifel, dass die Nebeneinanderstellung dieser doppelten Reihe von Attributen in einem und demselben „Objekt“ nicht dem logischen Widerspruch entkommt. (B. 268; R.210) das so bezeichnete hypothetische Objekt wäre so negativ möglich. Das aber bedeutet einfach, dass wir übrhaupt kein Recht haben, gültig apriori, die absolute Möglichkeit davon zu verneinen. Aber wird es uns gelingen bis dahin zu kommen, davon die positive Möglichkeit zu behaupten? Die gleiche Frage kann mit anderen Worten gestellt werden: wir konzipieren 163 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 163 notwendiger Weise das Noumenon in Korrelation mit dem Phänomen; aber ist dieses Noumenon rein „negativ“, das heißt, bezeichnet es ein unbestimmtes Objekt, von dem wir nur bestätigen können, dass es „kein Objekt der sinnlichen Intuition“ ist (B. 266; R.783 Meiner S.302) ? oder ist dieses Noumenon „positiv“, das heißt mit metasensiblen Bestimmungen angekleidet? (Ebenda.) Die transzendentale Analytik hat das Problem, das uns beschäftigt, im Voraus gelöst. Ein noumenales Objekt könnte in unserer Erkenntnis keinen anderen positiven Charakter besitzen, als seine strenge Korrespondenz mit den reinen Begriffen des Verstandes. Nun aber sind diese uns einzig erschienen als ein System von Funktionen apriori, leer in sich selbst von allem Inhalt, und unfähig ein „Objekt“ zu definieren ohne die Mitwirkung der materialen Bestimmungen der sinnlichen Intuition. Da diese letzteren Bestimmungen vom Noumenon ausgeschlossen sind, bleibt nur, dass dieses als Objekt nur ungenügend bestimmt ist durch seine Korrespondenz zu den Formen unseres Verstandes. Die Ergänzung durch Bestimmungen, die ihm fehlen, könnte nur aus einer nicht-sinnlichen Intuition kommen. (B. 266; R.783) Daraus klärt sich die Frage nach der Möglichkeit des Noumenon. Ein ungenügend bestimmtes Objekt ist „negativ“ möglich, in dem Sinn, dass „Unbestimmtheit“ noch keine „Unmöglichkeit einer Bestimmung“ sagt. Aber ist dieses Objekt „positiv“ möglich? Ja, wenn die notwendige Ergänzung seiner Bestimmungen möglich ist. Nun aber wissen wir nicht, ob eine „intellektuelle Intuition“, eine „nicht-sinnliche“ Intuition, möglich ist oder nicht. Wir können also nicht wissen, wie man die positive Möglichkeit des noumenalen Objekts bestätigt. (B. 267; R.784) Dennoch, erklärt Kant nicht selbst wiederholt, dass die Behauptung eines Dings an sich und eines Noumenon „unvermeidlich“ sei? Zweifellos. Er kommt genau so dazu den Sinn dieser Behauptung des Noumenon zu definieren. Dieser Sinn ist nicht, und kann nicht sein, das Noumenon als ein intelligibles Objekt aufzustellen, bestimmt im Blick auf unseren Verstand“, da wir selbst die Möglichkeit einer rein intellektuellen objektiven Bestimmung des Verstandes nicht wissen: die intellektuelle Intuition bleibt für uns ein Problem, nichts mehr. (B. 269; R.211) Die unvermeidliche Behauptung des Noumenon hat noch einen bescheideneren Sinn, der dennoch keineswegs geringzuschätzen ist: sie deutet die essentielle „Einschränkung“ der phänomenalen Erkenntnis an; denn sie verbietet uns gleichzeitig, das Phänomen als Absolutes aufzustellen, als Ding an sich und die Möglichkeit von transphänomenalen Objekten zu verneinen. Das Noumenon, das wir behaupten, ist also dieses „negative“ Noumenon, das sich einzig definiert durch den Ausschluss der den Phänomenen eigentümlichen Bedingungen. Es zu behaupten ist so viel wie zu behaupten, dass das Objekt der Erkenntnis nicht notwendig durch das Phänomen ausgeschöpft ist; es ist soviel wie, zu behaupten, dass die sinnliche Intuition nicht notwendig die einzige mögliche Art 164 K.1 Ding an sich und Noummenon, seine Existenz 164 von Intuition ist; dies ist, zu behaupten, dass die Untersuchung des Phänomens präzisierend ist und nicht ausschließend; dies heißt, das Recht zu behaupten, dass metempirische Probleme sich (auf-)stellen oder sogar sich spekulativ auflösen lassen. „Wir haben, sagt Kant, einen Verstand, der sich problematisch erweitert, weiter als die Sphäre der Phänomene, aber wir haben überhaupt keine Intuition, wir haben nicht einmal den Begriff einer möglichen Intuition, durch welche uns Objekte gegeben werden könnten, und der Verstand assertorisch über das Feld der Sinneswahrnehmung hinaus benutzt werden könnte. Der Begriff eines Noumenon ist so nur ein einschränkender Begriff, bestimmt die Ansprüche der Sinneswahrnehmung einzuschränken, und in Folge dessen hat er nur einen negativen Gebrauch. Dies ist dabei dennoch nicht eine willkürliche Fiktion, denn er bestimmt wirklich für die Sinneswahrnehmung eine Grenze“. (B. 268; R. 210 -211) Kant weist diesem Schluss eine große Bedeutung zu, nicht nur für die Perspektiven, die er verschließt, sondern vor allem vielleicht für die Perspektiven die er offen hält. Wie er woanders bemerkt, die Bestimmung, die dem Noumenon fehlt in der Ordnung des spekulativen Vernunft, besitzt sie diese nicht in einer anderen Ordnung, zum Beispiel in der Ordnung der praktischen Vernunft oder in der Ordnung der Neigungen (Gesinnung)? (BB. 158, 163; R. 493 -498) Und man versteht schon von daher, selbst ohne auf die weiteren Entwicklungen der Kritik zu warten, wie der Philosoph darüber stolz werden konnte, nicht nur die Festung der Vernunft geschleift zu haben, sondern sie veranlasst zu haben, durch eine strenge Reflexion ihrer selbst, anzuerkennen, über den Bereich der rationalen Wissenschaft hinaus, den unantastbaren Bereich des metempirischen Glaubens. Wir fassen zusammen. Wir stellen uns notwendigerweise das „Ding an sich“ oder das „Objekt an sich“ vor, als „intelligibles Objekt“, als Noumenon. Aber der Begriff, den wir dann vom Noumenon haben, ist dann entweder der einschränkende Begriff von einem total unbestimmten „über-die-Phänomene-hinaus“ (negatives Noumenon), oder „der problematische Begriff“ vom Objekt einer Intuition die eine anderw ist als die sinnliche Intuition (positives Noumenon). (B. 290; R. 233 -234 Meiner S.328-330) 200 200 Die Übersetzungen Barni-Archambault dieser letzten Stelle könnte infolge eines Druckfehlers verwirren: in dem Satz: „Wenn wir darin einzig die Objekte einer sinnlichen Intuition verstehen...“ muss man lesen: „von einer nicht-sinnlichen Intuition“. Der deutsche Text heißt: „einer nichtsinnlichen Anschauung“. Sobald wir uns bemühen, das „Ding an sich“ als ein „positives Noumenon“ auszusagen, das heißt wie ein „Intelligibile“ oder als ein „definierbares Objekt“, machen wir einen „transzendentalen Gebrauch“ der Kategorien. Unsere Urteile über die Wirklichkeit dieses Noumenon können nur eine „problematische“ 165 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 165 Geltung haben: sie formulieren nicht mehr als hypothetische und unkontrollierbare Extrapolationen unserer Vernunft. Trotzdem – die ganze vorkritische Philosophie von Kant und selbst der Text der zwei ersten Auflagen der Kritik glauben daran – Kant hat nie gezweifelt an der Notwendigkeit, vor der wir stehen, absolut die Wirklichkeit des „Dings an sich“ auszusagen. Auf welcher Grundlage beruht diese notwendige Aussage – die er von höchster Gültigkeit hält? Um das zu verstehen, muss man, scheint uns, auf die Wolffschen Ursprünge des Denkens von Kant zurückgehen. Das “Objekt als Phänomen“ wird gesetzt oder akzeptiert durch den Philosophen der Kritik, als das Anfangs-Postulat seines Unternehmens. Nun aber kann nichts gesetzt oder akzeptiert werden, als was den allgemeinen Forderungen der Intelligibilität der Vernunft entspricht. Die erste dieser Forderungen, (dem Wolffschen Konzept entsprechend, das von Kant nie verleugnet wird) besteht darin, dass alles, was von der Vernunft „gesetzt“ wird, „in seinem Wesen intelligibel sei“, das heißt, fähig sei „identifiziert“ zu werden mit sich selbst in einem notwendigen Urteil (Siehe weiter obe, Buch I, Kap. 2, p.7 und folgende). Das Phänomen, das isoliert betrachtet wird, antwortet es auf diese Forderung? Nein: das Phänomen als solches ist nicht „intelligibel“, und infolgedessen auch nicht „aussagbar“; rein relativ, kontingent, subjektiv, veränderlich, bietet es kein inneres Prinzip von Notwendigkeit. Wenn also ich, als kritischer Philosoph, das Phänomen „setze“ oder „akzeptiere“, würde ich mir widersprechen, wenn ich nicht mit dem gleichen Schlag die notwendige Ergänzung der Intelligibilität dieses Phänomens setze, das "´Absolute“ wofür man das Relative verdoppeln muss, um darauf das notwendige fundamentale Prinzip der Identität anwenden zu können. Diese für die Intellibilität notwendige Ergänzung des Phänomens ist nichts anderes als das kantsche „Ding an sich“. Obwohl dieses keine bestimmte Kontur annimmt in unserem Denken, als durch die Kategorien, und deshalb als Noumenon nicht „vorstellbar“ ist, es sei denn unter dem Titel problematisch, ist es dennoch implizit, aber auf eine absolute Weise gesetzt schon vor seiner noumenalen Vorstellung kraft eines vorausgehenden Bedürfnisses dem (im) Spiel der Kategorien. Dem Ausdruck von Kant zufolge, konstituiert das „Ding an sich“ auf der objektiven Rückseite der sinnlichen Phänomene „das Korrelativ der Einheit der Apperzeption“ (1. Aufl. B. 264, Note; R.207); und sie hat also, über den problematischen Objekten, die in der ontologischen Ordnung den reinen Kategorien entsprechen würden, die gleiche logische Priorität, die das apperzeptive Prinzip im Denken genießt, in Beziehung auf die verschiedenen Kategorien, die es übersetzen. Das „Ding an sich“ erfüllt unser ganz primitives rationales oder, wenn man uns dieses Wort erlaubt, „vorkategoriales“ Bedürfnis von etwas Absolutem. Aber ist dieses Absolute nur gefragt – im relativistischen und methodologischen Sinn, wie die Neu-Kantianer von Marburg es verstanden (siehe unser 166 K.1 Ding an sich und Noummenon, seine Existenz 166 Heft VI) – wie eine ideale Grenze der indefiniten Progression der Phänomene? oder ist es erfordert wie eine Wirklichkeit, ohne Zweifel unbestimmt, aber ebenso wirklich wie das Phänomen, die es postuliert; mit anderen Worten das „Ding an sich“ definiert als die erforderliche Ergänzung der Intelligibilität des Phänomens, ist es wirklich, im absoluten Sinn des Wortes Realität? Dieses zweite Konzept drängt sich auf, wenn das Intelligibile, (definiert von der notwendigen Identität her) und das Wirkliche (im absoluten Sinn) zusammenfallen; oder, was aufs Gleiche hinausläuft, wenn der Verstand, Fakultät des Intelligiblen, durch dieses und im gleichen Maße die Fakultät „des reellen Objekts“ ist. Nun aber, bezüglich dieses preliminären (vorausliegenden) Punkts zum Problem der Kritik, hat Kant, wie wir glauben, das cartesianowolffsche Prinzip vom „Parallelismus zwischen der intelligiblen Notwendigkeit und der objektiven Wirklichkeit“ nie aufgegeben. Wenn man das „phänomenal Gegebene“ akzeptiert (und wie sollte man es nicht akzeptieren, da mangels intellektueller Intuition, es sich uns wie die materiale Bedingung unseres Denkens aufdrängt? ), akzeptiert man mit dem gleichen Schlag und zwangsläufig, alles, was logischerweise unerläßlich ist, um dieses „Gegebene“ einfach intelligibel das heißt „möglich“ zu machen. Das „Ding an sich“ ist real als „Bedingung der Möglichkeit“ des Phänomens, nicht mehr und nicht weniger. Der Schlüssel des kantschen Denkens, in der gegenwärtigen Frage, ruht also in der doppelten rationalistischen Gleichung – zäher Fortbestand des antiken Realismus bis in das Herz sogar der modernen Kritik: „Intelligibilität = notwendige Identität mit sich selbst = Wirklichkeit“. Die Beziehung des Phänomens zum „Ding an sich“ schleicht sich im Geist von Kant nicht ein zu gunsten einer unrechtmäßigen Anwendung der Kategorie der „Kausalität“, wie Jacobi geglaubt hat und andere Gegner des integralen Kantianismus; diese Beziehung wird vom ursprünglichen Gesetz der Vernunft als solcher auferlegt: das Gesetz von der notwendigen Intelligibilität von allem, was von der Vernunft gesetzt wird. Das Phänomen zu setzen, dies ist mit gleichem Titel, das „Ding an sich“ zu setzen. Außerdem ist, wie Kant beobachtet, die Existenz "´des Dings an sich“ schon gleichermaßen seit den ersten Seiten der Kritik ausgesagt (transzendentale Ästhetik): „Es folgt natürlicher Weise aus dem Begriff des Phänomens im Allgemeinen, dass ihm etwas entsprechen muss, was kein Phänomen an sich wäre, da ein Phänomen nichts in sich ist und nichts außerhalb unserer Art von Vorstellung ist. Infolgedessen, wenn man einen fortwährenden Zirkel vermeiden will, zeigt das Wort Phänomen schon eine Beziehung zu etwas von dem, in Wahrheit, die unmittelbare Vorstellung [im Phänomen] sinnenhaft ist, die aber etwas an sich sein muss.“ (1.Aufl. B 264, Note; R. 207. und 2.Aufl. B 266; R.783. – Hervorhebung von uns.) Dennoch soviel ist sicher, in den Augen von Kant, hält die Existenz des „Dings an sich“ – dieses absolut Mysteriöse, das die Phänomene verhüllt und 167 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft gleichzeitig verrät – die intelligiblen Bestimmungen, von denen wir versuchen wollen, sie aufzustellen, genauso verdächtig.201 , 201 Man wird bemerkt haben, dass das Ding an sich, von dem Kant die Wirklichkeit aussagt, sich dem streng bestimmten „transzendentalen Subjekt“ entgegenstellt, und nicht dem „ontologischen Subjekt“. Es ergibt sich, dass die Hypothese, die das „phänomenal Gegebene“ von einer unbewussten Tätigkeit des Ich ableiten lassen würde, und dieses Unterbewusste mit dem kantschen Ding an sich identifizieren würde, sicher die durch die Kritik auferlegten Vorbehalte überschreiten würde, aber nicht notwendigerweise im Widerspruch mit dem strengen Begriff des Dings an sich wäre. Immer ausgenommen dass man dem Kantismus keine „anthropologische“ Interpretation geben darf – die die Kritik der reinen Vernunft unseres Erachtens total unverständlich machen würde. dies ist das, was wir jetzt mehr in Detail betrachten müssen. KAPITEL2. Das Problem der Bestimmungen des „DINGS AN SICH“. 167 §1. – Sinn des Problems. Die vorhergehenden Seiten enthalten virtuell alle Vorbehalte, mit denen die kantsche Kritik den metempirischen Gebrauch der Vernunft umgibt. Wir können danach nur noch die Anwendungen einschränken und Folgen daraus ziehen. Außerdem muss man anerkennen, dass es dieser sekundären Aufgabe, der Kant lange Kapitel widmet, nicht an Wichtigkeit fehlt, und diese sich sogar gebieterisch aufdrängt wenn man nur die spontanen Kühnheiten unserer Vernunft erwägt. Diese in der Tat weit davon entfernt sich zufrieden zu geben mit in analogen Ausdrücken gestellten „Problemen“ und mit Aussagen, die den Kontakt mit der Erfahrung bewahren, wird unermüdlich dazu gedrängt, diese vorsichtigen Grenzsteine zu überschreiten, zu definieren und transzendente Objekte absolut zu setzen, die aller möglichen Erfahrung fremd sind. In jeder Epoche haben die Metaphysiken, und die verschiedensten Metaphysiken Ansprüche erhoben auf dem Gebiet, das sich ausdehnt weit über die Phänomene hinaus: sie haben nicht nur das Ding an sich als „Objekt im allgemeinen“ behauptet, sondern sie haben es mit allen genauen Bestimmungen versehen, die einem „wirklich erkennbaren Objekt“ zukommen. Waren und sind diese Ansprüche vergebens? Schon jetzt, unter dem Vorbehalt einer Korrektur der Analytik, muss Kant mit „ ja“ antworten; die Frage ihrer objektiven Gültigkeit ist im Prinzip entschieden. (siehe Seite 149 ff.) Trotzdem, gerade ihre Existenz und ihr Beharren, stellen ein neues Problem : dieser Eigensinn des menschlichen Geistes, an der verbotenen Frucht zu nagen, verwirrt und macht geneigt zu bezweifeln die Wohlbegründetheit der kritischen Verbote. Eine notwendige und doch unfruchtbare Illusion ist kaum begreifbar: wenigstens sollte man für sie eine natürliche Grundlage und eine spekulative 168 KAPITEL2. Das Problem der Bestimmungen des „DINGS AN SICH“. 168 Funktion entdecken. Eine Metaphysik ist nicht möglich „als Wissenschaft“, dies ist abgemacht; aber wie ist sie dennoch möglich unter dem Titel einer „natürlichen Disposition“? Auf welche Nützlichkeit kann sie wohl antworten? Das ist es, was uns zu prüfen bleibt. Beginnen wir damit, das freie Spiel der rationalen Funktion zu studieren; wir werden danach die kritischen Konsequenzen von unserer Analyse freilegen . §2. – Die fundamentalen Arten der Beweisführung, die „Ideen“ und der “transzendentale Schein“. Kant definierte den Verstand: „das Vermögen der Regeln“, indem er ihn so unterscheidet von der Vernunft, die er das Vermögen der Prinzipien nennt (B. 301; R.243 Meiner S.339) wir haben lange die Weise betrachtet, mit der der Verstand vorgeht, um eine Gegebenheit der sinnlichen Intuition unter irgendeine dieser Regeln apriori, die die reinen Begriffe oder die Kategorien sind, zu subsumieren. Das Werk des Verstandes hält an bei den Synthesen der Phänomene, die die Objekte der aktuellen oder möglichen Erfahrung konstituieren. Die Vernunft geht weiter. Während der Verstand sich beschränkt „die Phänomene unter der Einheit von begrifflichen Regeln zu gruppieren“, „vereinigt die Vernunft selbst die Regeln des Verstandes unter Prinzipien“ (B. 303 ;R.245 Meiner S.341). Die zwei Fakultäten beharren darauf, die Einheit in die Mannigfaltigkeit einzuführen: aber die eine wirkt auf die Phänomene und geht nicht hinaus über die vervielfachte Einheit der empirischen Objekte; die andere wirkt auf schon durch den Verstand elaborierte Erkenntnisse und bemüht sich, dort hin eine höhere Einheit einzuführen, deren idealer Typ nichts anderes ist als die absolute Einheit. Die eine reflektiert und stellt fest, die andere folgert und schließt. (B. 309-310; R. 351 -352 Meiner S.347) Man muss dies zeigen. Was nennen wir „beweisen“? Dies ist nicht, im eigentlichen Sinn gesprochen, begreifen noch urteilen, sondern, es ist, zu begreifen oder zu urteilen, „indem man diese Erkenntnis aus einem Prinzip ableitet“. (B. 302; R.243 Meiner S.341) mit anderen Worten ist dies, eine Erkenntnis aus anderen Erkenntnissen zu erschließen. Es gibt unmittelbare Schlussfolgerungen, die, die die alten Logiker „Umwandlungen“ nannten. Wir haben nicht vor, uns damit zu beschäftigen, denn dies sind, sagt Kant, „Schlussfolgerungen des Verstandes“. (B. 304; R. 245 -246 Meiner S.341) Sie bestehen einfach aus dem ausführlichen Bewusstsein, das man von der logischen Struktur des ausgeführten Urteils hernimmt. Die wahren Schlussfolgerungen, die „Beweise“, nehmen immer die Vermittlung eines Satzes an, der zwischen das Prinzip und den Schlusssatz einge- 169 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 169 schaltet wird, oder, wenn man es bevorzugt, sind immer auf die Form eines Syllogismus zurückführbar, in welchem der Obersatz eine allgemeine Regel ausdrückt (z.B. Alle Menschen sind sterblich), der Untersatz subsumiert einen Begriff unter die Bedingung dieser Regel (z.B. Peter ist ein Mensch) und die Schlussfolgerung proklamiert die entsprechende Anwendung der allgemeinen Regel (z.B. Peter ist sterblich). Obersatz und Untersatz können jeweils vom Verstand geliefert werden. Aber das, was der Vernunft eigen ist, ist zwischen ihnen eine Verknüpfung der begrifflichen Einheiten herzustellen, im Schluss, die in den Prämissen noch nicht da waren. Der Begriff „Peter“ zum Beispiel, hatte sich schon in der weiteren Einheit der Klasse Mensch eingeführt gefunden, sei es in der Erfahrung, sei es durch die Vermittlung eines vorausgehenden Beweises; die Vernunft nimmt diese komplexe Einheit (Peter-Mensch) auf, um sie als ganze einer noch allgemeineren Einheit einzugliedern, nämlich der, die das Prädikat „sterblich“ ausdrückt. Der Obersatz des Syllogismus hat als angleichendes und vereinigendes Prinzip gedient. Aber dieser Obersatz selbst, der einerseits eine Menge von partikulären Begriffen beherrscht, die er mit seiner Einheit einhüllt, kann auch andererseits sich anschließen, als Schluss an noch höhere, noch allgemeinere Prinzipien. Das heißt, dass die Bedingungen, die er ausdrückt, da sie nicht letzte und unbedingte sind, abhängig bleiben von einer Serie anderer Bedingungen, die mehr und mehr abgelegen sind, deren theoretische Grenze nur eine absolut letzte und ganz unabhängige Bedingung sein kann. Die gleiche Tendenz die unseren Geist dazu bringt, den Syllogismus zu konstruieren, das heißt Schlussfolgerung einer allgemeinen Regel unterzuordnen entsprechend einer Bedingung, die die Rolle eines vermittelnden Terms spielt, diese gleiche Tendenz verleitet uns dazu, dem Syllogismus eine unabsehbare Serie von „Prosyllogismen“, wie Kant sie nennt, vorangehen zu lassen (B. 306 ; R.249). Das heißt ihrerseits die allgemeine Regel einer weiteren Regel unterzuordnen, die Bedingung einer „Bedingung einer Bedingung“, und so weiter, so weit es möglich ist, zu gehen. Man sieht also, dass das allgemeine Prinzip, das den ganzen logischen Gebrauch der Vernunft beherrscht, ist, zu verfolgen, (so weit wie möglich) das unbedingte Element, das die Einheit der bedingten Erkenntnisse des Verstandes vollenden muss. (B. 306; R.249) Dank dieser regressiven Bewegung, die die Vernunft aufsteigen lässt von Bedingung zu Bedingung und schließlich zu der Bedingung, die die absolut letzte sein würde. Die Gesamtheit der menschlichen Erkenntnisse nimmt die Gestalt eines Systems an das mehr und mehr eng verkettet ist, wo die Objekte damit enden, dass sie sich alle verbinden in einer notwendigen Teilnahme an zahlenmäßig unbegrenzt abnehmenden Prinzipien oder allgemeinen Bedingungen. (B. 305; R.247). An der Basis dieses Gebäudes breitet sich die unaufhörlich aus der Erfahrung angereicherte Mannigfaltigkeit aus; am Höhepunkt außer Sicht des Verstandes vermuten wir einen solchen Pfeil, der dünner wird zu ei- 170 KAPITEL2. Das Problem der Bestimmungen des „DINGS AN SICH“. 170 171 ner Spitze in den Wolken, der höchsten und unbedingten Einheit. Dazwischen steigen konvergierende Linien auf: sie bahnen sich in der Ebene des Verstandes an, denn die synthetische Mannigfaltigkeit des Objektes ist schon eine Einigung von der konfusen Mannigfaltigkeit der Phänomene; aber die Linien, die hier unsere Aufmerksamkeit fordern, sind die, die sich sogar bis oberhalb der Mannigfaltigkeit der empirischen Objekte erheben. Folgen wir diesen letzteren in ihrer Konvergenz auf die Einheit zu. Es gibt drei Weisen, die Beziehung einer Bedingung und eines Bedingten auszudrücken unter einer allgemeinen Regel – oder mit anderen Worten es gibt unter dem Gesichtspunkt, der uns interessiert, drei mögliche Formen von Obersätzen in unserer Beweisführung: die „kategorische“ Form (A ist B), die „hypothetische“ Form (Wenn A ist, ist B), die „disjunktive“ Form (A ist B oder C oder D...). (B. 304, R.246) Jeder dieser Formen entspricht eine charakteristische Reihe von Bedingungen regressiven Bedingungen im Streben nach dem absoluten Prinzip, auf die unbedingte Einheit zu. In der Tat: Betrachten wir zuerst einen Obersatz der „kategorischen Form“. Ein Prädikat, B, wird dort einem Subjekt zugeordnet, A. Welche Rolle kann die vereinigende Vernunft ziehen aus dieser kategorischen Art der Zuordnung? Eine einzige – wenigstens wenn man nur die Form der ins Werk gesetzten Sätze betrachtet und nicht ihre Materie. Die Vernunft, durch die Abwechslung von den Subjekten und Prädikaten einer Serie von untergeordneten Sätzen muss auf ein erstes Prinzip hinzielen, dessen logisches Subjekt nicht mehr auf irgendeine Weise die Funktion des Prädikats in einem anderen Urteil haben kann. Das Unbedingte in der Staffelung der kategorischen Urteile ist also „die absolute Einheit des Subjekts“, (vgl. B. 317 und 324, 325; R. 260, 268 -269) Aber die Beweisführung anstatt die kategorische Art zu verwenden, kann sich auch auf der „hypothetischen“ Art abspielen. Jeder hypothetische Obersatz drückt die Abhängigkeit eines Bedingten in Beziehung zu einer Bedingung aus: Wenn A ist, ist B. Bedingung und Bedingtes werden übrigens hier betrachtet, die eine und die andere „in der objektiven Ordnung“, in deren Innerem sich auch die empirische Verbindung der Kausalität etabliert (niederlässt). Aber eine Bedingung, die dem Geist nicht als eine absolute und letzte Bedingung erscheint, ruft, durch diese Tatsache selbst nach einer weiteren Bedingung, von der sie abhängt, und so weiter, endlos, bis zu dem Moment, wo die kausale Reihe abschließen würde durch eine unbedingte Bedingung. Die hypothetische Beweisführung zielt also von ihrer Natur her auf ein Unbedingtes, das „die absolute Einheit der Reihe der objektiven Bedingungen der Erfahrung“ sichert, (vergl. ll.cc.) Bleibt noch die „disjunktive“ Form der Beweisführung. Ein Obersatz des Typs: A ist B oder C oder D..., was auch immer die genauere Interpretation wäre, die man machte von der Disjunktion, drückt in jedem Fall bezüglich 171 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 172 eines Objekts aus das System oder das Aggregat seiner potentiellen Teile: jede disjunktive Beziehung markiert ein Bemühen, eine Pluralität unter einer Einheit zusammenzuzählen. Der ideale Ausdruck einer ähnlichen Anstrengung wäre ein Gesichtspunkt, einfach in sich, der aber erlaubte, die Gesamtheit der „partiellen Objekte“ zu umfassen, auf die sich disjunktiv der Begriff des „Objekts im Allgemeinen“ verteilen kann. Die disjunktive Beweisführung führt uns also dazu, uns die „absolute und unbedingte Einheit aller Objekte unseres Denkens im Allgemeinen“ vorzustellen. (vgl. ll. cc.) Das sind also die drei Arten, wie unsere Vernunft Sätze miteinander verknüpft, jede von ihnen anerkennt keine andere natürliche Grenze als die unbedingte Einheit, die ihr diesbezüglich entspricht. Begegnet man dieser Einheit unter den Objekten der Erfahrung? Überhaupt nicht. Das empirische Objekt ist wesentlich bedingt. Die Vernunft findet sich also unvermeidbar mitgerissen über die Grenzen aller Erfahrung hinaus, in diesen Bereich des Unbedingten und des Absoluten, wo es ihm unmöglich ist, nicht in Gedanken den Punkt der Konvergenz zu projizieren, – den „virtuellen Brennpunkt“, entsprechend der durch Kant aus der Optik geliehenen Metapher – all seiner natürlichen Schritte. Im Bezug auf den Geist sind die drei „Unbedingten“, die den idealen Typ der drei wesentlichen Arten der Beweisführung darstellen (und also in sich selbst nichts anderes sind als das innere und subjektive Gesetz einer systematischen Einigung der Erfahrung) nehmen die Erscheinung von „gedachten Objekten“ an, von „Noumena“. Sie werden sich definieren gerade durch die Form der dreifachen gestaltenden Synthese, die die Gesamtheit der empirischen Elemente auf sie hinführt, wie auf eine höchste Verwirklichung; das heißt dass sie sich definieren mit den Kategorien der Substanz, der Ursache und der Gesamtheit, die aller beschränkenden Bedingung entzogen ist. Das was nichts anderes wäre als ein erlebtes Ideal der Vernunft – ein „ausgeübtes“ Ideal, hätten die alten Scholastiker gesagt – objektiviert sich von nun an vor dem Geist wie eine „Idee“, wie ein intelligibles Objekt. Solcher Art ist der trügerische Vorgang, den Kant den „transzendentalen Schein“, die Erscheinung oder die transzendentale Illusion nennt. Illusion. in der Tat: ans Ende der Verkettung von Bedingungen stellt der Geist durch Vorwegnahme, gleichsam wie den Zielpunkt der Serie, eine unbedingte Bedingung; und er kleidet sie mit objektiven Bestimmungen, die sie auf die gleiche Ebene setzen, wie die vorausgehenden Terme, die Objekte der Intuition sind. Muss man sich darüber wundern? In Perspektive gesehen, in der Verlängerung der empirischen Reihe scheint das unbedingte Ideal teilzunehmen, mit erhabenem Titel, am Charakter der Objektivität der Reihe, die sich orientiert von ferne schon auf ihn hin. Es ereignet sich hier eine vergleichbare „natürliche Illusion“ wie bei den optischen Täuschungen: sie drängt sich dem Geist auf, der sich ihrer nicht entledigen kann; aber sie wird harmlos, sobald man in sie eindringt. (B. 299; 300; R. 241 -242) Dies ist es woran wir uns mit 172 K.3 Die Geltung der transzendentalen Ideen Kant hängen. Denn wir müssen jetzt „die transzendentalen Ideen“ mehr aus der Nähe prüfen, um sie der Kritik zu unterwerfen, die transzendentalen Ideen durch welche wir uns das „Unbedingte„ vorstellen, und die Beweisführungen, die uns schließen lassen, richtig oder falsch, auf die objektive Wirklichkeit dieser Ideen. KAPITEL3. Die Geltung der transzendentalen „Ideen“. 173 Die „transzendentalen Ideen“ entsprechen den drei Unbedingten, die beziehungsweise die drei typischen Modalitäten unserer menschlichen Beweisführung erfüllen. Die „absolute Einheit des logischen Subjekts“, konzipiert als reales Objekt, kann nur das denkende „Subjekt“ sein, auf das sich, wie auf ein letztmögliches Subjekt der Zuordnung, alle beliebigen Phänomene der Erkenntnis beziehen. Die erste transzendentale Idee wird also das Ich sein begriffen als Substanz, das heißt, das traditionelle Objekt der „Psychologie“. Die „absolute Einheit der kausalen Reihen der Erfahrung“ kann nur realisiert werden in einer organisierten „Welt“, in deren Innerem die Verkettungen der Ursachen und Wirkungen zum Abschluss kommen in einer nicht verursachten, metempirischen Kausalität. Die Zweite transzendentale Idee wird also die der Welt oder der „kosmischen Kausalität“ sein in der Weise, wie diese Idee von den Metaphysikern definiert wird, die daraus das Objekt der „rationalen Kosmologie“ machen. Schließlich „die absolute und unbedingte Einheit aller Objekte des Denkens im Allgemeinen“ kann nur zu einem Objekt gehören, „das die oberste Bedingung enthält der Möglichkeit von allem, was gedacht werden kann – zum Sein der Seienden, dem Objekt der Theologie“. (B. 325; R.269) Die dritte transzendentale Idee ist also die von Gott. Diese drei transzendentalen Ideen stellen das traditionelle Feld der Metaphysik in seiner Gesamtheit dar. Wenn wir ihre Beweisführung einer gedrängten Kritik unterwerfen, von der man behaupten könnte, ihre objektive Gültigkeit aufzubauen, hätten wir im Wesentlichen die Kritik der ganzen Metaphysik gemacht, vielleicht schon vollendet oder noch ausstehend. Und diese unmittelbarere Kritik der großen metaphysischen Probleme wird noch einmal aufführen – und sie dabei bestätigen – die Schlussfolgerungen der transzendentalen Analytik. Kant legt einigen Wert auf diese Gegenprobe. 173 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft §1. . Die Paralogismen der reinen Vernunft. 174 Die erste transzendentale Idee ist die des Ich, als subsistierende (weiterbestehende) Einheit betrachtet. Kant nennt „Paralogismen der reinen Vernunft“ die vier sophistischen Beweisführungen, die schließen auf die hauptsächlichsten transzendenten Eigenschaften dieses substantiellen Ich. Das Detail der Paralogismen würde vielmehr zu einer Abhandlung der rationalen Psychologie gehören. Um unsere Ausführungen nicht übermäßig auszudehnen, werden wir uns hier damit begnügen, den fundamentalen Paralogismus zu prüfen, der nach Kant die gemeinsame Wurzel der besonderen Paralogismen ist; wir wollen von der Beweisführung sprechen, die zur Idee von einem fortbestehenden (subsistierenden) Ich führt. Diese Beweisführung setzt zwei verschiedene Serien von Erwägungen in die Tat um. Auf der einen Seite stützt er sich auf das Gesetz der Verkettung unserer kategorischen Urteile. Man erinnert sich, dass die natürliche Bewegung unserer Vernunft sie dazu bringt, durch die Serie von empirischen Urteilen zu einem letzten Prinzip hinaufzusteigen, dessen Subjekt nicht mehr ein Prädikat irgendeines Urteils sein kann. Wir haben schon bemerken lassen, dass dieses „absolute Subjekt“, wenn man es als letzten Term der empirischen Reihe betrachtet, sich darstellt unter dem „objektiven“ Schein, der der ganzen Serie zukommt. Unter diesem Aspekt, das heißt in der Hypothese in der er rechtmäßig als „Objekt“ konzipiert werden kann, verlangt das absolute und unbedingte Subjekt die Anwendung der Kategorie der Substanz: denn er würde wirklich „im Objekt“ das grundlegendste Substratum und die absoluteste Dauer darstellen. Solcher Art ist der genaue Sinn, und so ist die Rechtfertigung des Obersatzes der paralogistischen Beweisführung, auf der die rationale Psychologie beruht: „Das, was nur wie ein Subjekt konzipiert werden kann, kann nicht anders existieren denn als Subjekt und muss also Substanz sein“. (B 338; R.790 Meiner S.388b (8.Abschnitt des verlinkten Textes)) Auf der anderen Seite ergibt sich der Untersatz des Paralogismus aus einer ganz anderen Ordnung von Erwägungen. Wir haben in der Analytik gesehen, in welchem Sinn man behaupten könnte, dass das denkende Subjekt Bewusstsein seiner selbst hätte: er erkennt sich als apperzeptive Einheit, als Bedingung apriori, die die ganze Mannigfaltigkeit der Vorstellungen mitreißt zur Einheit eines Bewusstseins. Nun aber scheint es evident, dass sich zu erkennen als innerliches und allgemeines Prinzip von Einheit der verschiedenen Vorstellungen so viel wäre, wie sich als das Subjekt oder das notwendige „Substratum“ dieser Vorstellungen selber zu erkennen. Man würde dann eben sagen – und solches ist genau der Untersatz des Paralogismus. – dass „ein denkendes Sein, genau unter diesem Aspekt betrachtet, denkend zu sein, nur konzipiert werden kann 174 K.3 Die Geltung der transzendentalen Ideen 175 als Subjekt“. (B. 338; R.790 Meiner S.388b (8.Abschnitt des verlinkten Textes und Folgendes)) Folgt dann nicht der Schluss: „Also existiert dieses denkende Sein auch einzig als Subjekt, das heißt als Substanz“ (Ebenda).? In Wirklichkeit folgt dieser Schluss nicht, und das Argument ist eben ein Paralogismus. In der Tat gilt der Obersatz streng in der objektiven Ordnung: das Subjekt das er aussagt, – zu Recht oder Unrecht, ist im Übrigen ein Subjekt gedacht als ein wirkliches Objekt, so objektiv und so reell wie die Prädikate, mit denen es ausgestattet ist: nur unter diesem Titel kann es sich als „Substanz“ präsentieren. Der Untersatz dagegen beschränkt sich oder wenigstens – nach Kant – sollte sich beschränken auf die Ordnung der reinen Funktion der Erkenntnis, subjektiv betrachtet. Streng genommen, bedeutet er nur dies: alle beliebigen Objekte werden bewusst, das heißt Objekte des Denkens, kraft ihrer Teilnahme an einer Einheit (Einheit des Bewusstseins, apperzeptive Einheit), die nicht selbst als sie selbst, insofern sie denkende Einheit ist, als gedachtes Objekt bestimmt werden könnte und muss also, in dieser Hinsicht, als Subjekt konzipiert werden. Im Obersatz ist das Subjekt, von dem man spricht, ein Subjekt der Zuweisung, die objektiv ein letztes Substratum objektiver Eigenschaften bezeichnet (ontologisches Subjekt). Im Untersatz bezeichnet das Subjekt (Prädikat genannt) nur ein denkendes Subjekt (prout formaliter tale = insifern es der Form nach so beschaffen ist), das heißt, nicht ein objektives Substratum von Eigenschaften oder Vorstellungen, sondern eine Gesamtheit von formartigen Bedingungen apriori, oder wenn man will, ein subjektives Zeichen der Einheit, das gleichförmig die objektiven Vorstellungen (transzendentales Subjekt) affiziert. Ohne Zweifel ist es erlaubt, sich weiter zu fragen, ob das „denkende Subjekt“, in der Kritik als „transzendentales Subjekt“ definiert, als „Einheit der Bedingungen apriori der Erkenntnis“, nicht gleichzeitig ein wirkliches Subjekt sein würde, begabt mit der engsten substantiellen Einheit: man kann sich sicher einen „problematischen“ Begriff vom Ich als Ding an sich bilden. Aber dafür dass dieser problematische Begriff ein „objektiver“ Begriff im eigentlichen Sinn würde, müsste er – sagt uns Kant – eine intellektuelle Intuition antreffen, die ihm die metempirische Bestimmung liefert, die ihm noch fehlt. Kurzum spielt der Paralogismus der reinen Vernunft mit den Wörtern „konzipiert sein als Subjekt“: aus der Nähe betrachtet ist dies ein Syllogismus mit vier Ausdrücken. (Vergl. über die Erkenntnis des Ich weiter oben S. 153-154. Siehe B. 338-339 und ff. benachbarte Seiten; R. 790 sqq.)202 202 Wir werden in Heft IV wo wir über Fichte reden, zurückkommen auf die Bedeutung von der „Setzung“ des Ich als transzendentales Subjekt bei Kant. Es gibt dazu in der „Kritik“ zwei sehr bemerkenswerte Seiten: Vergl. „Allgemeine Bemerkung bezüglich des Übergangs von der rationalen Psychologie zur Kosmologie“. B. 349-351 ; R. 802 -804. Meiner S.429b 176 175 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft §2. . Die Antinomie der reinen Vernunft. a) Die fundamentale Antinomie der spekulativen Vernunft. 177 Die reine Beweisführung bietet für die Idee der Psychologie als Idee keine große Hilfe. Sehen wir, ob sie wenigstens für die Ideen der Kosmologie ein gewisses Ansehen verschafft. Wir erinnern uns sicher, dass die kosmologischen Ideen bezüglich der Phänomene für „objektiv“ gehalten werden und dass sie die „unbedingte Einheit der objektiven Bedingungen der Phänomene“ ausdrücken. (BB. 3; R. 322 -323) Nun aber ist hier die Beweisführung. die uns, Kant zufolge, in Besitz der kosmologischen Ideen bringt unter ihrer allgemeinst möglichen Form, die folgende: „Wenn ein Bedingtes gegeben ist, ist es die ganze Summe seiner Bedingungen ebenfalls, und infolgedessen das absolute Unbedingte, das allein das Bedingte möglich machte“. (BB. 5; R.325. Meiner S.440 vergl. BB. 67; R.393 Meiner S.496) „Nun aber sind die Objekte der Sinne (die Phänomene) uns gegeben als bedingt. Also.“ (BB. 67; R.393 Meiner S.496) Wir schließen – unwiderstehlich scheint es – dass die Gesamtheit der Bedingungen des Phänomens uns mit ihm gegeben ist. Was ist über diese Beweisführung zu denken? Bevor wir zeigen, auf welche seltsamen Einwände das führt, schenken wir einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit drei von Kant formulierten Bemerkungen, die dazu geeignet sind, die Frage in einzigartiger Weise aufzuhellen. Zuerst ist es zweifellos, dass der Begriff „bedingt“ die Beziehung auf eine „Bedingung“ impliziert, und dass, wenn diese ihrerseits wiederum als bedingt präsentiert wird, sie eine weiter reichende Bedingung voraussetzt, und so weiter. Alles, was bedingt ist, lädt uns also notwendig ein zu einer „Regression (einem Zurückgehen) in der Reihe seiner Bedingungen“. BB. 67; R.393 Meiner S.497). „Dieser Satz, sagt Kant, ist analytisch. Er ist ein logisches Postulat der Vernunft’. (Ebenda.) Es kommt noch schöner. Wenn man annimmt, dass das „Bedingte“ außerhalb der Zeit gegeben ist als „Ding an sich“ oder als „Noumenon“, dann ist kein Zweifel, dass in dieser „absoluten“ Ordnung die Verkettung als ganze der regressiven Bedingungen, wo die einen von den anderen abhängen, nicht gegeben oder vorausgesetzt ist mit einem und demselben Schlag und unter gleichem Titel. Ins Absolute übertragen, würden die kausalen Reihen nichts anderes bedeuten können als den unteilbaren Block der Bedingungen der Möglichkeit eines vom Subjekt unabhängigen Objekts. (BB. 68; R.394 Meiner S.497) Aber tatsächlich, und das ist die dritte Bemerkung, die zu erwägen nützlich ist: unsere Kausalreihen reihen nur Phänomene, die sie in der Zeit staffeln: sie 176 K.3 Die Geltung der transzendentalen Ideen sind uns nicht zuerst als Bedingungen des „Seins“ gegeben, sondern, wenn man so sagen kann, als Bedingungen des „Erscheinens“. Und dann, wirkt sich die Tendenz unserer Vernunft, die aufsteigenden Reihen der kausalen Bedingungen zu totalisieren, auf die Bedingungen aus, die einander in der Dauer folgen. Nun aber ist die Frage: hat der Begriff einer „absoluten Totalität der zeitlichen Reihen von Phänomenen“ einen Sinn? Ist er nicht widersprüchlich? zum mindesten müssen wir anerkennen, dass hier neue Probleme auftauchen und dass die allgemeine kosmologische Beweisführung, an die wir oben angeknüpft haben möglicher Weise einer Unterscheidung unterworfen werden müsste, die ihre Beweiskraft aufheben würde. (BB. 68, 69; R. 394 -395 Meiner S.497 f.) Wenn man sich an diese letzte Bemerkung von Kant hielte, müsste man von jetzt an die Schlussfolgerungen der kosmologischen Beweise auf die ungewisse Bedingung beschränken, auf die wir die Schlüsse der psychologischen Beweise verringert sahen: auf beiden Seiten könnte die ausgesagte Idee nur höchstens ein „problematisches“ Objekt bezeichnen. Dennoch muss eine ausführlichere Prüfung uns zwischen den beiden Beweisführungen einen wichtigen Unterschied entdecken lassen: während in der psychologischen Ordnung der “transzendentale Schein“ mangels eines strengen Beweises seiner objektiven Gültigkeit wenigstens dem logischen Widerspruch entkommt und ganz und gar zugunsten eines wahrhaft substantiellen Ich bleibt, eines metempirischen Subjekts der Vorstellungen, kurz, zugunsten eines tatsächlichen „Unbedingten“, „geht es damit ganz anders, wenn wir in der kosmologischen Ordnung die Vernunft auf die objektive Synthese der Phänomene anwenden (BB. 4 ; R.323 Meiner S.438): die Beweisführung, anstatt einfach Beweiskraft zu entbehren, belastet sich, wenigstens wenn man bis zu ihren Grund vorstößt, in offenkundige Widersprüche; sie deckt eine natürliche Antithetik auf, in die sich die menschliche Vernunft von sich aus und unvermeidlich stürzt“. (Ebenda.) Unsere Leser können sich wohl erinnern, dass in diesem Punkt der Kardinal von Cusa ein entfernter Vorläufer von Kant war (siehe Heft II). b) Die abgeleiteten Antinomien. 178 Versuchen wir, die Tatsache der essentiellen Antinomie der Vernunft in der Anwendung auf Objekte zu erfassen. Diese Antinomie äußert sich in genauso vielen Paaren von „Thesen“ und von „Antithesen“, wie es fundamentale Gruppen von kosmologischen Ideen gibt. Und wir können leicht apriori die verschiedenen möglichen Arten von diesen Ideen einschränken (bestimmen). In der Tat sind „die transzendentalen Ideen nur eigentlich gesprochen, auf unbedingte Weise verstandene Kategorien“ BB. 5; R.325). Aber wie die kosmologischen transzendentalen Ideen die Gesamtheit der Reihe der zurück schreitenden (regressiven) Bedingungen oder der Voraussetzungen des Objekts ausdrücken müssen, werden sie nichts finden, 177 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft um sich eingabeln zu lassen, als den Rahmen der Kategorien203 203 179 vgl. die Tafel der „Kategorien“, weiter oben p. 109. „wo die synthetische Funktion eine Reihe von untergeordneten (und nicht einfach beigeordneten) Bedingungen zwischen ihnen im Bezug auf ein Bedingtes umschließt“ (BB.5, 6; R. 325 -326 Meiner S.439f.). Solcher Art sind, wie Kant zeigt, die Kategorien der Quantität, angewandt auf die verflossene Zeit und auf die synthetische Wahrnehmung (Anwendung) des Raums; dann die Kategorien der Qualität, in dem Sinn, dass die Wirklichkeit von einem ganz phänomenal im Raum Gegebenen, das heißt von einer „Materie“, als letzte rationale Bedingung die absolute Integrität in der Teilbarkeit dieses Ganzen besitzt, auf die Weise im Grenzfall „sie sich reduziert entweder auf Null, oder auf etwas, was nicht mehr Materie ist, das heißt auf das Einfache (BB. 8; R.328 Meiner S.444); dann noch unter den Kategorien der Beziehung offensichtlich die Kategorie der Kausalität; schließlich in den Kategorien der Modalität die Kontingenz, die die Vernunft von Bedingung zu Bedingung zur „absoluten Notwendigkeit“ jagt, der Krönung jeder objektiven Reihe (BB. 8, 9; R. 328,329 Meiner S.444). Lassen wir also die Vernunft ihrer natürlichen Bewegung folgen, entsprechend den verschiedenen Richtungen, die diese Kategorien markieren, und wir werden sehen, wie sie sich in besonderen Antinomien verraten, diesen wesentlichen Widerspruch, den Kant „die Antinomie der reinen Vernunft nennt“. Ein erster Konflikt kündigt sich an in der zeitlichen und räumlichen Anwendung der Kategorien der Quantität. Wenn man unter diesem Gesichtspunkt die Objekte der Erfahrung betrachtet, scheint es, dass ihre Gesamtheit „die Welt“, auch empfänglich sei widersprüchliche Attribute zu empfangen. Nehmen wir die folgende „These“: „Die Welt hat einen Anfang in der Zeit, und sie ist auch im Raum begrenzt“. (BB. 17; R.338 Meiner S.454). Was ist offensichtlicher? Eine sukzessive „totalisierte (=in ein Ganzes zusammen gefasste) Reihe, ist sie nicht zwangsläufig „fertig“ und somit irgendwo begrenzt in ihrer Dauer? Hinsichtlich der räumlichen Reihen, da sie in unsere Erkenntnis nur eintreten durch die sukzessive Synthese, die wir damit machen, indem wir sie aktiv durchlaufen, können sie nicht konzipiert werden als „als Ganzes zusammengefasst“ wenn nicht gerade durch den Abschluss der sukzessiven Synthese ihrer Teile, das heißt durch eine Begrenzung im eigentlichen Sinne. Das muss gezeigt werden. Aber sofort taucht die „Antithese“ auf; der Geist, zuerst hypnotisiert von der Idee einer absoluten Gesamtheit, wird sich bewusst der unmittelbareren Bedingungen der sinnlichen Intuition; und es scheint, dass eine neue Evidenz sich dann an die Stelle der Vorhergehenden setzt: „Die Welt kann weder Anfang (in der Zeit) haben noch Grenze im Raum“. (BB. 17; R.338 Meiner S.454). Sind nicht die Zeit und der Raum, tatsächlich die apriorischen Bedingungen der sinnlichen Anschauung? also des Phänomens als solchem? Von daher werden 178 K.3 Die Geltung der transzendentalen Ideen 180 diese Bedingungen wohl auch vorausgesetzt von der Gesamtheit der Phänomene wie durch jedes der besonderen Phänomene. Und was ist der Raum außer dem unbestimmten Ort von möglichen Phänomenen? und die vergangene Zeit, außer dem unbestimmten Moment von möglichen Vorgängern? Um eine absolute Gesamtheit von Phänomenen anzunehmen, müssten wir also kraft der allgemeinen und essentiellen Bedingungen der Erfahrung, noch voraussetzen, für diese Gesamtheit, die Möglichkeit anderer Phänomene, das heißt die absolute Gesamtheit zu verneinen, indem wir sie behaupten. (Wir glauben, so die von Kant vorgeschlagene Demonstration zusammenfassen zu können, BB. 17 bis 23; R. 338 bis 344 Meiner S.454-457). Das ist die erste Antinomie der Vernunft. Wenn wir zu den Kategorien der Qualität übergehen, erwartet uns dort die gleiche Ratlosigkeit. Wählen wir als Leitidee den Charakter der „Unbedingtheit“ den die Vernunft ihrem Objekt aufdrängt? Dann werden wir bei der Aufteilung des „phänomenalen Ganzen“ dazu gezwungen werden, eine unüberschreitbare Grenze anzunehmen: das „einfache“ Element, Atom oder Monade: Jede Substanz in der Welt ist aus einfachen Teilen zusammengesetzt: nichts besteht nur das einfache oder das aus einfachen Zusammengesetzte (BB. 23; R.344 Meiner S.458). Ziehen wir es dagegen vor, unsere Aufmerksamkeit auf die inneren Bedingungen der Struktur jedes phänomenalen Objektes zu heften, insofern es phänomenal ist? dann werden wir finden, dass gerade das Prinzip seiner Teilbarkeit seine räumliche Form ist und dass der Raum nicht auf einfache und unteilbare Teile reduziert werden kann: jeder Bruchteil des Ausgedehnten ist noch etwas Ausgedehntes. Man muss also schließen, dass „kein Ding in der Welt ist nicht zusammengesetzt aus einfachen Teilen und dass absolut nichts Einfaches existiert (unter den Objekten der möglichen Erfahrung)“. (BB. 23; R.344 Meiner S.458). Ist die Teilbarkeit der Objekte im Raum begrenzt?.. ist sie unbegrenzt?.. Zweite Antinomie. Die Kategorie der kausalen Beziehung liefert das Terrain eines dritten Konflikts: die berühmte Antinomie von Determinismus und Freiheit. Wenn wir die Phänomene unter dynamischem Gesichtspunkt betrachten, stellen wir fest, nicht nur, dass sie verpflichtet sind, sich in Reihen der Zeit nach anzuordnen, sondern dass feststehende Gesetze dieser Aufeinanderfolge präsidieren, mit anderen Worten, dass die Beziehungen von Vorausgehendem zum Nachfolgenden irreversible und vollkommen bestimmte Beziehungen sind. Es ist diese irreversible und bestimmte Aufeinanderfolge, die wir empirische Kausalität nennen. Aber hier stoßen wir von neuem auf ein lästiges Dilemma: Oder aber wir behaupten der gebieterischen Forderung unserer Vernunft nachgebend, die Gesamtheit als unbedingt, die vollständige Bestimmung der Kausalreihen. . Richtige Forderung, so scheint es; denn wie wäre ein beliebiges Phänomen möglich, wenn es nicht ganz bestimmt würde, und wie wäre 179 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 181 es ganz bestimmt, wenn die aufsteigenden Kausalreihen nicht in einer oder anderen Weise abschließen würden? Aber wie könnten sie abschließen? Durch einen letzten Term – erste Ursache – der selbst ein reines Antezedens wäre, eine empirische und phänomenale Ursache? Dies ist unmöglich; denn, kraft der allgemeinen Bedingungen der Erfahrung könnte dieser letzte Term nicht konzipiert werden als empirisches Objekt es sei denn in Abhängigkeit von einem weiteren Vorgänger, was gegen die Hypothese ist. Es bleibt also nur, dass der letzte unbedingte Term metempirisch ist, kausal unabhängig, ausgestattet mit absoluter Spontaneität, kurz eine freie Ursache wäre. Stellen wir also die „These“ auf: „Die Kausalität, die von den Gesetzen der Natur bestimmt wird, ist nicht die Einzige, aus der alle Phänomene der Welt stammen. Man muss, um sie zu erklären, auch eine freie Kausalität zugeben“. (BB. 30, 31; R.353Meiner S.462). Oder aber, noch ein weiteres Mal, lassen wir die rationale Forderung vor den unmittelbareren Gesetzen der Erfahrung fallen. Die angeblich freie Ursache – bemerken wir, der Reflexion gegenüber – muss notwendig entweder ihre Aktion einfügen in die empirischen Kausalreihen, oder existieren, insofern sie Ursache ist, außerhalb dieser Reihe, das heißt unabhängig von ihr wirken. Im ersten Fall ist sie nur fassbar, wenn sie selbst unterworfen ist (in ihrer Aktion) dem Gesetz des kausalen Determinismus, essentielle Bedingung jeder Erfahrung: wir stoßen auf einen offenkundigen Widerspruch, diese Ursache wäre nicht mehr frei. Im zweiten Fall, wenn die freie Ursache sich durchhält – als Ursache – außerhalb der empirischen Reihe, wird die Erfahrung mit ihrer Regelmäßigkeit und ihren notwendigen Gesetzen ihrerseits unmöglich. In der Tat wenn von den zwei Dingen eines sich durchsetzt: entweder die freie Ursache, insofern sie Phänomene hervorbringt, unterwirft sich freiwillig von ihrer Seite her den feststehenden und unabänderlichen Gesetzen, die gerade die der Erfahrung sind.., und man muss zugeben, dass, in diesem Fall, die Hypothese einer freien Ursache völlig unnütz wird, wenn nicht sogar widersprüchlich; oder die freie Ursache handelt auf wirklich freie, spontane und unabhängige Weise: aber dann, was wird für jedes Phänomen bevor es sich, der Hypothese nach, schließlich auf eine Ursache dieser Art bezieht, aus der objektiven Wahrheit der Erfahrung, begründet auf dem Determinismus? was wird aus den Naturgesetzen? was wird aus den Voraussagen? was wird aus der allgemeinen Regelmäßigkeit? Eine freie Ursache zu setzen als unbedingten Term von kausalen Reihen ist gleichbedeutend damit, zu verzichten auf die Welt der Erfahrung mit Rücksicht auf einen unkontrollierbaren und vielleicht erdichteten Begriff. Daraus folgt: „Es gibt keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht nach Naturgesetzen“. (BB. 30; R.353Meiner S.462) 180 K.3 Die Geltung der transzendentalen Ideen Schließlich zwingen uns die Kategorien der Modalität zu einer vierten Antinomie. Kontingent ist das, was auch nicht sein kann. Nun aber ist die empirische Äußerung und also die einzige „objektive“ Äußerung der Kontingenz uns gegeben in der „Veränderung“. Aber das, was sich verändert, ist „bedingt hinsichtlich seiner Existenz“ und hängt schließlich von etwas ab, was unter dieser gleichen Rücksicht der Existenz unbedingt ist, mit anderen Worten das notwendig ist“. Ist diese „Notwendigkeit, zu sein“ oder dieses „notwendige Sein“ in der Welt oder außer der Welt? Es muss, scheint es, einen Teil der Welt bilden auf die eine oder andere Weise. Denn es ist nur begreifbar als die letzte Bedingung, der zufolge Reihen von Existierenden sich in der Zeit enthüllen: wie würde es also sein in dieser Hinsicht außerhalb der Zeit, das heißt außerhalb der Welt? „Es existiert in der Welt, entweder wie ein Teil von ihr, oder wie ihre Ursache, ein absolut notwendiges Sein“. (BB. 37 sq; R. 360 sq.Meiner S.465) Aber die Vernunft gibt sich unverzüglich die Erwiderung: „Nirgends existiert ein absolut notwendiges Sein, weder in der Welt noch außerhalb der Welt, als äußere Ursache derselben“. (BB. 37; R.360Meiner S.465) Insofern das phänomenale Universum – das einzige, das wir objektiv erreichen – daran interessiert ist, kann man drei Arten von Hypothesen über die Natur eines notwendigen Seins machen: 182 1. Dieses Sein ist Teil der Kette der Phänomene. Aber dies ist unmöglich, denn das notwendige Sein, kraft der konstitutiven dynamischen Gesetze der Erfahrung (siehe weiter oben p. 142) könnte nicht in die phänomenalen Reihen eintreten, es sei denn als Phänomen, „bedingt“ durch andere Phänomene: es würde also aufhören, notwendig zu sein. 2. Das notwendige Sein bezeichnet die phänomenale Reihe als solche, genommen in ihrer Gesamtheit: worauf man einwenden würde unter anderen Dingen „dass eine Vielfalt nicht wissen würde, wie sie notwendig sein könnte, weil keines von seinen Teilen notwendig existiert“. (BB. 37; R.360Meiner S.465) 3. Das notwendige Sein ist die außerhalb befindliche (transzendente) Ursache der Welt: da sich aber das notwendige Sein in der rationalen Kosmologie nur als die unbedingte Bedingung zeitlicher Existenzen definiert, versteht man die kausale Aktivität dieses Seins nur als ausgeübt in der Zeit. Aber dann würde sich die Existenz dieses Seins als Ursache (dies ist die einzige Existenz, nach der hier die Frage sein könnte) ebenso in die Zeit setzen und würde also zur „Welt“ gehören. (BB. 38; R.361Meiner S.466) Das ist unmöglich, wie es offensichtlich ist aus den zwei ersten Hypothesen. Also ist ein notwendiges Sein in Beziehung zur „Welt“ nicht begreifbar. 181 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft c) Die kantsche Auflösung der Antinomien. 183 Fühlen wir uns, zwischen die „Thesen“ und die „Antithesen“ gesetzt, völlig gleichgültig der Adoption der einen oder der anderen gegenüber? Sicher nicht. Die Thesen, die auf den Gesichtspunkt der idealistischen Metaphysik antworten, befriedigen mehr unsere tiefsten menschlichen Gefühle und geben eine rationale Konsistenz – wenigstens scheinbar – unseren teuersten „moralischen Werten“ Das, was Kant nennt das „praktische Interesse der Vernunft“, ist entschieden zugunsten der Thesen. Die Antithesen dagegen, die an den empiristischen Gesichtspunkt erinnern, präsentieren diese schwere Lücke, keine Anknüpfung zu bieten für unsere affektiven und moralischen Tendenzen: aber diese Unzulänglichkeit findet einen breiten Ausgleich – nach Kants Einschätzung – im „spekulativen Interesse der Vernunft“, das immer erworben wird, als Konto Abschluss für die Strenge und die Sicherheit eines Denkens, das seine Weite nur eingrenzt um sich unbestreitbarer zur Herrin ihrer selbst zu machen. . Man versteht, dass diese divergierenden Interessen die Philosophen antreiben können, Stellung zu nehmen, ihrem intellektuellen Temperament entsprechend entweder für die Thesen, oder für die Antithesen. Aber ihre Option, so subjektiv gerechtfertigt sie auch ist, hat nichts Kritisches. Die Vernunft muss für sich selbst das Geheimnis der Antinomien aufklären. (BB, p.44. sq. ; R. 367 sq.Meiner S.470) Kann sie das? Ohne jeden Zweifel, antwortet Kant. Denn die Daten des Problems der Antinomien wohnen alle gerade in der Spontaneität des Denkens: die Wurzel der Antinomie ist nicht in der Erfahrung als solcher, sondern wohl im Gebrauch apriori, den wir von der Erfahrung machen. Die Quelle der Antinomien ist in uns und wir können sie also entdecken. (BB. 53 sqq. ; R. 377 sqq.Meiner S.480) Es würde offen gestanden in diesen dornigen Fragen eine sehr einfache rationale Haltung geben: die skeptische Haltung. Da die kosmologischen Beweise zu offenkundigen Widersprüchen führen, kommt das doch daher, dass den transzendentalen Ideen, auf denen sie aufbauen, jede spekulative Gültigkeit fehlt. Warum sich dann mit leeren und rein imaginären Begriffen aufhalten?"(BB. 59-62; R. 384 -388Meiner S.489) Die skeptische Lösung, sagt Kant, bringt uns auf den richtigen Weg. Aber sie ist zu einfach. Denn wenn es wahr ist, dass die Antinomie der Schlüsse den trügerischen Charakter der Prämissen offenbart, kann es dennoch sein, dass das Ganze, was darin steckt, keine Illusion ist. Ebenso gut gibt es eine positive und kritische Lösung, die den sehr großer Vorteil bietet, jede waghalsige Aussage beiseite zu schieben, aber gleichzeitig die wirklich nützliche Funktion der metaphysischen Tendenz unserer Vernunft zu zeigen: nämlich den transzendentalen Idealismus oder den kritischen Idealismus204 . 182 K.3 Die Geltung der transzendentalen Ideen 204 184 den die transzendentale Analytik auferlegt. Studieren wir die zwei Aspekte – negativ und positiv – dieser Lösung. Zuerst verraten die Antinomien sicherlich eine Zweideutigkeit in den Prämissen des allgemeinen kosmologischen Beweises, den wir weiter oben (Seite 176) dargelegt haben. Welche ist genauer diese Zweideutigkeit? Wir haben es schon geahnt. Der Obersatz behauptete, dass alles Bedingte die Existenz der Gesamtheit seiner Bedingungen verlangt. Der Untersatz sagte aus, dass uns in der Erfahrung ein Bedingtes gegeben ist. Und man schloss aus der Wirklichkeit des erfahrenen Bedingten auf die Wirklichkeit aller seiner Bedingungen. Diese Beweisführung in der summarischen Form, die wir ihr geben, ist, Kant zufolge, weder wahr noch falsch: sie ist zweideutig. Halten wir seine möglichen Bedeutungen auseinander. Offensichtlich, wenn der Obersatz (die Major) ausdrücklich ein Bedingtes bezeichnet, das ein „Ding an sich“ wäre, die zum Bereich der absoluten Wirklichkeiten gehört, und wenn der Untersatz (die Minor) nur die phänomenale Wirklichkeit dieses Bedingten aussagt, dann sind Major und Minor jede für sich wahr, aber der angebliche Syllogismus, der vier Terme hat, kann keine Schlussfolgerung liefern (BB. 67-68; R. 393 -394Meiner S.497f.). Wurde die menschliche Vernunft wirklich Jahrhunderte hindurch durch einen so flagranten Paralogismus betrogen? Es ist wahrscheinlich dass die Illusion einen stärkeren Schein von Wahrheit hatte: hier ist ihr scharfsinniger Gesichtspunkt. In der grundlegenden Beweisführung der rationalen Kosmologie, wird die Major, von der wir sprachen, als Ausdruck sei es der absoluten Wirklichkeit sei es wenigstens einer schlecht definierten Wirklichkeit genommen, die absieht von den Eigentümlichkeiten der phänomenalen Ordnung. Die Minor auf der anderen Seite, projiziert die Existenz des Bedingten (das jedoch nicht wirklich sondern nur als Phänomen) gegeben ist, in die gleiche überhöhte Perspektive, wo die Major sich aufhält: sie behandelt das Phänomen wie ein „Ding an sich“, oder wenigstens wie eine Wirklichkeit, die von gewissen wesentlichen Einschränkungen der phänomenalen Ordnung befreit ist. Major und Minor sind so auf die gleiche Ebene gebracht und die Konsequenz des Syllogismus ist stimmig. Aber um welchen Preis hat man den „logischen Paralogismus“ vermieden? indem man, wie Kant sagt, in einen „transzendentalen Paralogismus“ fällt und in die Antinomien, die daraus folgen. Einerseits wendet man in der Tat die rationale Forderung einer unbedingten Gesamtheit an auf die betrachteten phänomenalen Objekte, wie wenn sie wenigstens äquivalent zu „Realitäten an sich“ wären und man erhält so die „Thesen“. Aber, auf der anderen Seite, bewahren diese unserem Denken gegebenen Objekte, ob wir wollen oder nicht, die wesentlichen Attribute des Phänomens, und müssen dadurch früher oder später in Konflikt kommen mit 183 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 185 dem absoluten Charakter der rationalen Gesamtheiten: gerade aus den Elementen der „These“ taucht die „Antithese“ auf. Das ganze Übel kommt daher, dass wir instinktiv versuchen, „Ding an sich“ und „Phänomen“ auf die gleiche Ebene zu verlegen. Wir wollen, das „Ding an sich“ so behandeln als ob es bestimmbar wäre durch die Attribute, die sich auf das Phänomen beziehen und das Phänomen als ob es die absolute Markierung vom „Ding an sich“ empfangen könnte. Dies ist der ewige Fehler des „Dogmatismus“, sei er empiristisch., sei er rationalistisch. Sie verändert die zwei Prämissen des kosmologischen Syllogismus. Schon in der Analytik hat die „transzendentale Reflexion“ über die Inhalte unseres Bewusstseins uns aufgedeckt die formartige „Idealität“, das heißt den wesentlich relativen Charakter der Phänomene: hier sieht man, sagt Kant, dass die Antinomien uns den indirekten Beweis dieser „Idealität“ geben, da, wenn er sie nicht annimmt, unser Geist mit unüberwindlichen Widersprüchen kollidiert. Auf jeden Fall, nimmt er wahr, „dass die Phänomene nichts außerhalb unserer Vorstellungen“ sind. (BB. 73; R.400Meiner S.503) Versuchen wir also, der grundlegenden kosmologischen Beweisführung eine Bedeutung zuzuweisen, die die „transzendentale Idealität“ der in ihrem Untersatz (der Minor) gegebenen Phänomene respektiert. Wir könnten ihn formulieren wie folgt: „Wenn das Bedingte gegeben ist, ist es auch die ganze Reihe seiner Bedingungen (BB. 67Meiner S.497),.. aber nur entsprechend dem Maße der Wirklichkeit und in der Ebene des Seins des Bedingten selbst.“ Nun aber sind die Objekte der Sinne uns gegeben als Bedingte (BB. 67Meiner S.497),.. das heißt als Phänomene, wesentlich relativ und unterworfen dem Gesetz zeitlicher Aufeinanderfolge, das alle phänomenale Wirklichkeit beherrscht. Also? ..ein einziger Schluss ist legitim, nämlich der: Also mit den Objekten der Sinne, in der Erfahrung, ist die Gesamtheit der Bedingungen gegeben, die vom Phänomen als solchem impliziert sind, entsprechend der der phänomenalen Wirklichkeit eigentümlichen Art. Aber die der phänomenalen Wirklichkeit eigentümliche Art, ist die, nur gegeben zu sein hintereinander durch die zeitliche Verkettung vom Vorausgehendem und Nachfolgendem. Jedes Phänomen wird also wesentlich durch eine Serie von Phänomenen bedingt, die ihm in der Zeit vorangegangen sind. Welchen Sinn kann wohl die „Gesamtheit“ einer derartigen Serie von Bedingungen bieten? Eine absolute Gesamtheit, vollendet, sozusagen unter einer zeitlosen überlegenen Bedingung gesammelt? Eine solche ist unmöglich; denn eine Serie von Phänomenen kann uns nur gegeben werden durch die sukzessive Synthese die unser Denken davon macht (im „inneren Sinn“): nun aber ist diese Synthese mitausgedehnt in der Zeit, wie es ihr Objekt ist, auch an sich indefinit und unbegrenzt, wie ihr Objekt. Infolgedessen kann die „Gesamtheit“ der Bedingungen des Phänomens, als solchem, erstens uns nicht gegeben sein 184 K.3 Die Geltung der transzendentalen Ideen 186 außerhalb der Zeit, und zweitens, könnte auch nicht sich jemals vollenden in uns in der Zeit. (BB. 68, 69; R. 394 -395 Meiner S.497 f.). Die einzige Gesamtheit von Bedingungen vereinbar mit der essentiellen Unfertigkeit der phänomenalen Wirklichkeit beschränkt sich auf eine potentielle Gesamtheit, „antizipative“, das heißt auf diese Gesamtheit, die virtuell in jedem dynamischen Gesetz anwesend ist. In diesem letzten Sinn nur lässt sich der Obersatz des kosmologischen Beweises wirklich auf die Phänomene als solche anwenden. Denn kein Phänomen ist in der Erfahrung nur gegeben unter der Bedingung, sich an vorherige Phänomene durch eine regressive an sich unbegrenzte Synthese anschließen zu können: diese innere Unbegrenztheit des dynamischen Gesetzes der Regression ist die einzige mögliche phänomenale Übersetzung der Idee einer „unbedingten Gesamtheit.“ (BB. loc. cit. ; R. loc. cit.) Man sieht jetzt, wie sich die positive Rolle der kosmologischen Ideen abzeichnet – und im Allgemeinen der Ideen der Vernunft. Die „unbedingten Gesamtheiten“, die sie uns illusorisch wie Objekte vorstellt, sind offen gestanden (= in Wahrheit) nur „problematische Begriffe“, „Grenz-Begriffe“; aber sie haben, selbst unter rein spekulativem Gesichtspunkt, diese unermessliche Nützlichkeit, den idealen Ausdruck der empirischen Untersuchung ausreichend hoch zu platzieren damit wir nie versucht wären , voreilig das Feld der möglichen Erfahrung zu begrenzen. Sie reichern unsere Erkenntnis mit keinem neuen Inhalt an, aber sie auferlegen ihr eine „Methode“, eine „Regel“, die sie zu ihrem Maximum von Ausdehnung und Potenz (Möglchkeit) trägt, bringt. Dem kantschen Ausdruck zufolge, dem wir schon oft begegnet sind, sind sie keineswegs „konstitutive“ Prinzipien unserer objektiven Wissenschaft, sondern nur „regulierende“ Prinzipien; sie können uns nicht sagen, was das Objekt ist, sondern wie man die empirische Regression ansetzen muss, um zum vollständigen Begriff des Objekts zu kommen.“ (BB. 75 und die ganze 8. Sektion; R.402. Cf. 400 sqq. Meiner S.504) Der Gesichtspunkt den wir gerade dargelegt haben erlaubt – nach Kant – eine leichte Lösung der Antinomien. Es wird uns reichen, sie hier summarisch nachzuzeichnen. In den zwei ersten Antinomien, die Kant die mathematischen Antinomien nennt, weil sie die Ausdehnung und die Teilbarkeit von quantitativen Größen betreffen, befinden sich die „These“ und die „Antithese“ genau auf dem gleichen Terrain und sind so unüberbrückbar (als „konträr (Gegenteile)“, nicht als „widersprüchlich“). Aber noch mehr: es ist in gleicher Weise auch falsch, zu sagen : „die phänomenale Welt beschränkt sich selbst in der Zeit und im Raum“, oder zu sagen: „die phänomenale Welt ist in der Zeit und im Raum absolut unbegrenzt“. Die dem Phänomen eigentümliche Bedingung erlaubt nur, wie wir gesehen haben, das Folgende zu erschließen: das Gesetz der Regression der Phänomene zu ihren Bedingungen enthält von sich her keine Klausel, die ihre 185 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 187 Anwendung in der Zeit oder im Raum einschränkte. (BB. 87-90. Cf. 80 sqq. : R. 415-418. Cf. 407 sqq.Meiner S.516) Die phänomenale Welt an sich ist weder endlich noch unendlich sondern „indefinit = unabsehbar, unbestimmbar “. (BB. 84Meiner S.513) In der dritten und in der vierten Antinomie ist die Gegenüberstellung der „These“ und der „Antithese“ nicht so absolut. Man kann hier in der Tat sich vorstellen, dass die These und die Antithese sich auf verschiedenen Ebenen platzieren, und sie könnten so gleichzeitig wahr sein. (BB. 87-90; R. 415 418Meiner S.516) Betrachten wir zuerst die dritte Antinomie, die des Determinismus und der freien Kausalität. Am Gegensatz zur Ausdehnung oder der quantitativen Teilung, die homogene Teile voraussetzt, passt sich die Relation der Kausalität an eine Heterogenität zwischen ihren zwei Termen an: diese Heterogenität ist wenigstens negativ möglich. Nehmen wir also ein Phänomen an: es hängt zweifellos von einem vorausgehenden Phänomen ab, nach dem empirischen Gesetz der Kausalität; wir können die Notwendigkeit dieser homogenen Kausalitätsbeziehung nicht verkennen , die ganz eingeschlossen ist in die phänomenale Ordnung. Aber wird es uns verboten sein, sie zu überholen (verdoppeln) hypothetisch mit einer heterogenen Beziehung der Kausalität, die in der absoluten Ordnung das intelligible Prinzip der ersteren werden würde? Die Aktion der intelligiblen Ursache würde spontan, frei sein, aber sie würde sich in der empirischen Ordnung nur als eingesperrt zwischen den Kettengliedern des Determinismus zeigen. Diese Hypothese würde keinen Sinn haben, wenn man dem Phänomen die Geltung eines „Objekts an sich“ zuteilte, von einem Absoluten: denn, zwischen der „Freiheit“ und dem „Determinismus“ von „Dingen an sich“ wäre keine Vermittlung möglich. Aber gilt das in gleicher Weise, wenn man das Phänomen für das hält, was es ist, das heißt für eine rein relative Manifestation? Kant denkt dass es nicht so ist, und er schätzt, dass man keinen Widerspruch zwischen der Aussage einer freien Kausalität in der noumenalen Ordnung und der des strengsten Determinismus in der phänomenalen Ordnung aufzeigen könne. Dieses Fehlen eines offensichtlichen Widerspruchs genügt sicherlich nicht, um die objektive Möglichkeit intelligibler und freier Ursachen zu beweisen, aber es genügt wenigstens teilweise, die natürlichen Forderungen der Vernunft zu befriedigen, die das Problem der Freiheit stellt. (BB. 90-107; R. 418 -437 Meiner S.519-536) Die dritte Antinomie lässt also die negative Möglichkeit einer intelligiblen Art von Kausalität offen, die die empirischen Objekte erreichen würde. Obwohl diese intelligible Kausalität außerhalb des Feldes der Erfahrung wohnen müsste, verhindert im Übrigen nichts, dass die Substanz, die Träger davon ist, nicht zur empirischen Welt als „Dauer von Phänomenen“, als „Substanzphänomen“ gehört, sagt Kant. (BB. 109; R.439Meiner S.538?). Der Mensch 186 K.4 Das transzendentale Ideal 188 zum Beispiel, würde unter der Annahme dass er eine freie Kausalität ausüben würde, deshalb nicht weniger Teil der empirischen „Welt“ unter dem Titel „phänomenale Substanz“ ausmachen. In der vierten Antinomie, dagegen, betrifft die Gegenüberstellung zwischen der Welt der Phänomene und der Welt der Noumene nicht mehr nur eine Art von Kausalität, sie dringt bis zur Existenz vor: das Unbedingte, nach dem hier die Vernunft verlangt, muss unbedingt sein unter allen Rücksichten und kann auf keine Art der sinnlichen Welt angehören; mit anderen Worten wird dies ein der „Welt“ absolut transzendentes Sein sein. Ausgehend von diesem Gesichtspunkt, entdeckt Kant eine Lösung für die vierte Antinomie. Die „Antithese“ ist dort von der phänomenalen Existenz wahr: Diese , ganz der Veränderung unterworfen, antwortet wesentlich auf den empirischen Begriff der Kontingenz und bietet überhaupt keine Handhabe für die Notwendigkeit; wenn das Phänomen behandelt werden könnte als identisch mit dem „Ding an sich“, würde die Kontingenz den ganzen Bereich der Existenz besetzen und man müsste kategorisch die Möglichkeit eines „notwendigen Seins“ leugnen. Aber das Phänomen bleibt Phänomen und die „These“ die die Notwendigkeit der Existenz aussagt ist empfänglich, eine Bedeutung zu empfangen, die der Antithese überhaupt nicht widerspricht. Warum, in der Tat, nicht ein notwendiges Sein annehmen, das sich überhaupt nicht als „Existenz“ einreiht in den unabsehbaren (indefiniten) Ablauf der kontingenten Reihe, die aber doch die „intelligible Bedingung“ und absolut transzendente Bedingung dieser ganzen Reihe wäre? Zweifellos wäre dieses transzendente Unbedingte heterogen zu seinem empirisch Bedingten, aber wer wird beweisen, dass es sich so nicht mit ihm verhalten kann? Die Anwendung der Prinzipien des transzendentalen Idealismus auf die vierte Antinomie lässt also die Möglichkeit ahnen, wenigstens negativ, von einem notwendigen Sein, das rein „noumenal“, universelle Bedingung der Existenz der Welt ist. (BB. 108 sqq. ; R. 438 sqq.Meiner S.537? 542? oder Meiner S.542) Die kritische Prüfung der rationalen Kosmologie liefert uns so den problematischen Begriff des Seins selbst, dessen Studie das Objekt der natürlichen Theologie bildet. Sehen wir – immer nach Kant – ob diese letzte Wissenschaft im Stande ist, neue, essentielle oder existentielle Bestimmungen zu ihrem hypothetischen Objekt hinzuzufügen. KAPITEL4. Das “transzendentale Ideal“. 189 §1. – Sein exakter Begriff. Das notwendige Sein, unbedingte Bedingung aller möglichen Objekte, auferlegt sich unserer Vernunft nicht nur als eine „Idee“ sondern als ein „Ideal“. Kant 187 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 190 erklärt selbst das, was man unter diesem Ausdruck zu verstehen hat. In dem Maße wie der Geist in seiner inneren Reflexionsarbeit sich von der reinen sinnlichen Erfahrung entfernt, begegnet er in sich selbst nacheinander drei Arten von „transzendentalen“ Elementen: die „reinen Begriffe“ oder „Kategorien“, einfache Formen des Denkens, die aber wenigstens sich noch auf eine empirische Materie anwenden lassen; dann die eigentlichen „Ideen“, die nichts anderes sind als zum Grad der „Unbedingtheit“ weitergeführte Kategorien: sie könnten sich nicht in irgend einem Phänomen verwirklichen und reduziert auf ihren eigentlichen richtigen Wert, weit davon entfernt Objekte zu bezeichnen, markieren sie nur die unzugängliche Grenze, auf die hin die natürliche Bewegung der Vernunft die empirischen Reihen tendieren lässt; schließlich noch weiter weg von der sinnlichen Erfahrung trifft sie auf das „Ideal“, das heißt die Idee, betrachtet nicht mehr als einfache Grenze der Erfahrung, sondern als individuell in ihr selbst realisiert, als vollständig bestimmt in der intelligiblen Ordnung. Solcher Art waren die platonischen Ideen, subsistierende Prototypen der verschiedenen Arten von möglichen Dingen. (BB. 114-115; R. 444 -445 Meiner S.548). Ist es das was von jetzt ab das „transzendentale Ideal“ ist, von dem auf den folgenden Seiten die Rede sein wird? Offensichtlich wie selbst die Ausdrücke es andeuten, wird es eine Idee sein, die gleichzeitig ein bestimmtes Objekt als individuelles (Ideal) und eine Bedingung apriori der Möglichkeit der Dinge (transzendental) ausdrückt. Wir stellen also fest, dass im Geist ein „Ideal“ dieser Art existiert und dass dieses „Ideal“ dem klassischen Begriff des vollkommenen Seins, des „ens realissimum“ entspricht. Es ist ein wohl bekanntes Axiom, dass „ jedes existierende Ding vollständig bestimmt ist“, oder mit anderen Worten, dass die Existenz die allerletzte Bestimmung jedes Dings ist. (BB. 118; R.448 Meiner S.552). Sobald wir also ein Ding als existierend erkennen, erkennen wir es als vollständig bestimmt. Was - so fragt Kant – setzt die vollständige Bestimmung eines Objekts in unsere Erkenntnis voraus? Zuerst zweifellos, die logische Bestimmung seines Begriffs: es ist notwendig, dass „von zwei widersprüchlichen Prädikaten nur eines dem Begriff zukommen kann“ (BB. 117; R.447 Meiner S.551). Aber diese rein logische Bestimmung, dieses Fehlen eines inneren Widerspruchs des Begriffes reicht nicht aus, um das Objekt ganz zu bestimmen: die vollständige objektive Bestimmung setzt das Objekt mit allen positiven oder negativen Prädikaten ausgestattet voraus, die ihm zukommen. „Das kommt darauf hinaus zu sagen, dass, um eine Sache vollständig zu erkennen, man all seine Möglichkeiten kennen muss.“ (BB. 118; R.448 Meiner S.553). Denn eine Sache ist nur durch ihre positive oder negative Beziehung zum gesamten Feld der Möglichkeit vollständig charakterisiert. Aber diese „Gesamtheit der Möglichkeit“ als Funktion von der sich die par- 188 K.4 Das transzendentale Ideal 191 tikuläre Möglichkeit jedes Objekts definiert, können wir nicht konkret und empirisch in seiner Totalität repräsentieren: es gibt also keine vollständige Bestimmung der Dinge, die in der konkreten und empirischen Ordnung möglich wäre. „Die Gesamtheit aller Möglichkeiten“, allgemeines und angemessenes (adäquates) Fundament der partikulären Bestimmungen, kann für uns nur eine reine Idee sein, eine Idee der Vernunft. Diese Idee ist genau die, von der wir weiter oben gesehen haben, dass sie den formartigen Zielpunkt des disjunktiven Urteils versinnbildlicht (symbolisiert) (p. 171 vergl. BB. 120-121; R. 451 -452 Meiner S.555): „unbedingtes“ Überlegenes, das die Gesamtheit der möglichen Objekte unter sich gruppiert hält; durch Vorwegnahme haben wir es Gott genannt. Wir müssen jetzt diese Bezeichnung rechtfertigen, denn Gott ist, in der anerkannten Sprache, nicht nur ein Symbol der Totalisierung: er ist Individuum und transzendent zur Welt. Zeigen wir zuerst, dass die transzendentale Idee, die wir gerade aufgezeigt haben, individuell ist, ein Ideal ist und nicht nur eine Idee. Auf den ersten Blick scheint es, dass die Idee der „Gesamtheit aller Möglichkeit“ extrem arm an Bestimmungen ist: denn wir kennen nur solche „möglichen“ Objekte von denen „die Erfahrung uns die Verwirklichung zeigt“. Schauen wir da jedoch mehr aus der Nähe hin, dann werden wir finden, dass diese Idee, allein durch die Tatsache, dass sie etwas absolut Ursprüngliches bezeichnet, eine Menge von Prädikaten ausschließt sowohl abgeleitete als auch widersprechende: außerdem verfeinert sie sich so, bis sie die vollständige Bestimmung apriori erreicht, das heißt, bis sie zum Begriff eines individuellen Objektes wird, vollständig bestimmt durch seine intelligiblen Charaktere, mit anderen Worten zu einem „Ideal der reinen Vernunft“ (BB. 118; R.449 Meiner S.555 letzter Absatz). Kürzer: die Grundlage apriori aller beliebigen Bedingungen der Möglichkeit kann nur ein Einziges sein; aber das, was nur einzig sein kann, ist, gerade dadurch vollständig bestimmt als Individuum (sei es wirklich, oder nur gedacht). Gehen wir einen Schritt weiter und sehen, ob wir nicht das präzisieren können, was im transzendentalen Ideal eigentlich das Prinzip seiner „vollständigen Bestimmung“ bildet. Der Begriff, der die „Gesamtheit aller Möglichkeit“ ausdrückt, muss „alle möglichen, positiven und negativen Prädikate“ einschließen (BB. 118, 119; R. 449-450 Meiner S.555-556). Dennoch ist es leicht, zu zeigen, dass die „negativen Prädikate abgeleitet sind (BB. 119; R.450 Meiner S.556) und also zur Bestimmung des transzendentalen Ideals nicht beitragen; in der Tat gibt es nicht eine absolute Negation: alle Negation gründet auf einer positiven Wirklichkeit, die sie begrenzt. (BB. 119, 120; R. 449 -450 Meiner S.556/7). Jedes negative Prädikat verbirgt eine ergänzende Aussage. Die letzte Grundlage aller Möglichkeit ist also höchst positiv, wirklich: es ist die „omnitudo realitatis“, das „ens realissimum“. (BB. 120; R.450 Meiner S.555 189 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 192 Das Ideal der reinen Vernunft fällt also zusammen mit der Idee des höchsten wirklichen Seins, des absolut vollkommenen Seins des hl. Anselm und Descartes. Bevor wir uns fragen, ob dieses Sein existiert, unterstreichen wir hier eine letzte Bemerkung die Kant hier macht. Sie sagt aus, wenn nicht die absolute Transzendenz, radikal entgegengesetzt zum pantheistischen Monismus, so wenigstens eine gewisse Transzendenz des „ens realissimum“. Die Beziehung dieses Seins zu den anderen Objekten unseres Denkens ist nicht, sagt Kant, die einer Gesamtheit zu ihren konstitutiven Einheiten, eines Ganzen zu seinen Teilen, von einem Aggregat zu seinen Elementen: denn es wird vorausgesetzt, in der Qualität einer höchsten Wirklichkeit, allen seinen möglichen Teilnahmen gegenüber; es ist nicht fassbar als eine Resultante, sondern nur wie ein „Prinzip“. Und da dieses Prinzip notwendig und vollständig bestimmt ist, „wenn wir davon ausgehend die Idee weiter führen, indem wir sie zur Idee einer Hypostase machen, können wir [unter anderem] das erste Sein bestimmen allein durch den Begriff der höchsten Realität, als einzigartiges Sein, einfach, hinreichend für alles, ewig usw.: mit einem Wort, wir können von ihm bestimmen die unbedingte Vollkommenheit entsprechend aller Weisen der Aussagen. Der Begriff eines solchen Seins ist der transzendentale Begriff von Gott.“ (BB. 122; R.453 Meiner S.558) Angenommen, dass wir rational die Existenz des ens realissimum, das individuell und transzendierend ist, beweisen könnten, würden wir gerade durch diese Tatsache – Kant stimmt dem implizit zu – alle klassischen Schlussfolgerungen der natürlichen Theologie wiederfinden, die im XVII-ten und XVI1I-ten Jahrhundert allgemein angenommen waren. Man ahnt, und man wird es später noch besser sehen, warum wir nicht wagen, unsere Formulierung zu verallgemeinern indem wir sie auch erweitern auf die streng thomistische natürliche Theologie, die so anspruchsvoll ist bezüglich des Begriffs der Transzendenz Gottes: Für den Augenblick begrenzen wir uns beschränken wir uns auf den Vortrag der kantschen Kritik und diskutieren unverzüglich die verschiedenen möglichen Beweise der Existenz Gottes. §2. – Kritische Prüfung der Beweise der Existenz Gottes. a) allgemeine Kritik jedes Beweises der Existenz Gottes. Der besonderen Diskussion der Beweise der Existenz Gottes werden in der Kritik der reinen Vernunft allgemeinere Erwägungen über das natürliche Vorgehen der Vernunftïm Verlauf dieser Beweise, vorausgeschickt. Der Knoten jedes Beweises der Existenz Gottes besteht, nach Kant, in der Identität, die zwischen dem Begriff des notwendigen Seins und dem des absolut vollkommenen Seins (ens realissimum) besteht. Wenn einmal diese Identität 190 K.4 Das transzendentale Ideal 193 zugegeben wird, das heißt, wenn ein Mal das notwendige Sein identifiziert ist mit dem Ideal der reinen Vernunft, erhalten wir einen sehr bestimmten Begriff von Gott von dem die Verwirklichung in der Ordnung der Existenzen nicht mehr und nicht weniger an Schwierigkeiten bietet als die objektive Aussage der „notwendigen Existenz“. „Solcher Art also, sagt Kant, sind die natürlichen Schritte der menschlichen Vernunft: sie überzeugt sich zuerst von der Existenz von irgendeinem notwendigen Sein und sie erkennt in diesem Sein eine unbedingte Existenz. Dann sucht sie nach dem Begriff von etwas, was unabhängig wäre von jeder Bedingung und sie findet den Begriff von irgendetwas, was in sich enthält die hinreichende Bedingung von jedem anderen Ding, das heißt, die das Prinzip der ganzen Realität ist... [ens realissimum, höchstes Sein]. Die Vernunft schließt schließlich, dass das höchste Sein existiert auf absolut notwendige Weise, als fundamentales Prinzip aller Dinge“. (BB. 127; R.458 Meiner S.563) Auf den ersten Blick ist es evident, dass zwei Bedingungen erforderlich sind für absolute Geltung dieses Beweises: 1. die Gewissheit der Existenz eines notwendigen Seins; 2. die Gewissheit der Identität zwischen diesem notwendigen Sein und dem höchsten Sein, in dem Sinn, dass die Begriffe des notwendigen Seins und des höchsten Seins „konvertierbar (=vertauschbar)“ sind. Aber diese zwei Bedingungen sind nur unvollkommen erfüllt.205 205 Das gilt, ohne dass wir sagen, dass wir weiterhin nur ein Interpret, so exakt wie möglich, des Textes von Kant sind. Muss man zuerst an alles erinnern, was weiter oben bezüglich der Rolle der transzendentalen Ideen gesagt wurde und der Lösung der vierten Antinomie (S.171 ff.)? Durch die Tatsache, dass uns in der Erfahrung Objekte gegeben sind, ist uns das notwendige Sein gleichfalls gegeben , aber nur in der Art einer regulierenden Idee, welche in der absoluten Ordnung nur ein problematisches Objekt bezeichnen kann, das negativ möglich ist. Das notwendige Sein ist uns also nicht rein und einfach gegeben als ein existierendes Objekt. Aber ist wenigstens die notwendige Existenz, unter der Voraussetzung dass man sie rechtmäßig betrachten kann als in sich gegeben, sicher das Erbteil des höchsten einzigen Seins, des Prinzips aller Wirklichkeit? Dies wäre zu viel behauptet. Um genau zu sprechen, muss man sich darauf beschränken, zu sagen, dass, unter allen bestimmten Begriffen, die wir besitzen, der von der „vollkommenen Wirklichkeit“ der einzige ist, der sich mit der notwendigen und unbedingten Existenz verträgt: denn er ist der einzige Begriff der, in unserer menschlichen Erkenntnis, vollständig apriori bestimmt ist; die anderen bezeichnen empirisch bestimmte und also auch wesentlich bedingte Objekte. „Aber man kann das noch nicht sicher von daher erschließen, dass jedes [ontologische] Objekt, das nicht in sich enthielte die höchste und vollkommene Bedingung der [universellen Possibilität (Möglichkeit)] gerade dadurch bedingt 191 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 194 sein müsste in seiner Existenz“. (BB. 126; R.457 Meiner S.559) Es ist nicht bewiesen, noch unmittelbar evident, würde man in scholastischen Ausdrücken sagen, dass die beiden Begriffe des „ens necessarium“ und des „ens realissimum“ „konvertierbar“ (=vertauschbar) wären; denn wissen wir ob irgendein Sein, das nicht die absolute Vollkommenheit sein würde, nicht dennoch notwendig und unbedingt existieren könnte? Die weitreichendste Schlussfolgerung, die uns hier die strenge Logik erlaubt, überschreitet nicht das folgende: „Der Begriff eines Seins, das die höchste Wirklichkeit besitzt, ist, unter all unseren Begriffen von möglichen Dingen, das, was am besten passen würde206 206 Das Denken Kants ist folgendes: ... das einzige, was eine gewisse positive, aber dennoch unvollkommene Korrespondenz darstellt, ...etc..“ Siehe die Fortsetzung des zitierten Textes. zum Begriff eines unbedingt notwendigen Seins: obwohl er dort nicht voll befriedigt, haben wir nicht die Wahl“.. (BB. 126; R.458 Meiner S.563) Die rein spekulative Vernunft führt uns also nicht mit Gewissheit bis zur Existenz Gottes. Aber auf der anderen Seite schränkt sie unsere praktischen Möglichkeiten der Option zu diesem Thema ein. Doch, aus Gründen, die nicht von spekulativer Ordnung sind, zum Beispiel aus affektiven oder moralischen Gründen, fanden wir uns gezwungen, vor dem Problem der Existenz Gottes Stellung zu nehmen, anstatt einfach unser Urteil in der Schwebe zu lassen, dann würde es für uns tatsächlich nur eine einzige mögliche Haltung geben: „unsere Wahl für die absolute Einheit der vollkommenen Wirklichkeit zu entscheiden, als der ersten Quelle (Urquelle) jeder Möglichkeit (BB. 127 Meiner S.563) das heißt, in voller Härte der Ausdrücke die Existenz Gottes anzuerkennen. Man ergreift sehr gut, nach dem, an was wir gerade erinnert wurden, die besondere Natur des Agnostizismus von Kant: in der Aussage transzendenter Wirklichkeiten, bereitet die spekulative Vernunft den Weg vor, begrenzt das Objekt ebenso weit wie sie es kann; aber das ausschlaggebende Moment, dasjenige was das Objekt auferlegt, gehört anderen Fakultäten an, die nicht rein spekulativ sind: der moralische Wille und die natürliche Neigung. Wir werden auf diesen Punkt zurückkommen, wenn wir von den zwei „Kritiken“ sprechen, von der praktischen Vernunft und dem Urteil. Wir könnten uns mit diesen Allgemeinheiten begnügen, wenn es sich nicht ziemen würde in jeder Erklärung der transzendentalen Dialektik, wenigstens einen kurzen Blick auf die berühmten Seiten zu werfen, wo Kant die verschiedenen besonderen Formen diskutiert, die der Beweis der Existenz Gottes annehmen kann. 192 K.4 Das transzendentale Ideal b) Partikuläre Kritik der Beweise der Existenz Gottes. Die spekulativen Beweise der Existenz Gottes laufen alle zusammen auf drei Typen hinaus207 : 207 Wir haben im Buch I gesagt. (SS.38-39) warum Kant hier nicht mehr „das Argument aus den Possibilien“ aufzählen muss, das er 1763 als gültig darstellte. 195 Entweder entnimmt man aus dem reinen Begriff des höchsten Seienden, Ideal der Vernunft seine notwendige Existenz. Dies ist das ontologische Argument, das im Mittelalter vorgeschlagen wurde vom hl.. Anselm und von der kartesianischen Schule wieder aufgenommen wurde. Oder man sucht nach dem Ansatzpunkt des Beweises in der Erfahrung : sei es aus der Erfahrung einer beliebigen Existenz, im Allgemeinen: dies ist der klassische Beweis aus der Kontingenz oder der kosmologische Beweis; sei es aus der besonderen Erfahrung aus gewissen charakteristischen Eigenschaften der Welt, wie der Ordnung, der Finalität (Zweckbestimmtheit) etc.: das ist der physiko-theologische Beweis. In der Kritik dieser Beweise bemüht sich Kant, zu zeigen, dass die kosmologischen und physiko-theologischen Argumente, außer Unzulänglichkeiten die ihnen eigentümlich sind, sich alle beide auf den gleichen Trugschluss stützen, die dem ontologischen Argument eine Form mit einem Schein der Wahrheit gibt. Es ist also wichtig, dieses letzte aufmerksam abzuwägen, da die anderen es voraussetzen. Das ontologische Argument. Im wesentlichen kommt das ontologische Argument auf dies zurück: die Existenz ist Teil der notwendigen Prädikate des höchsten Seins, Prinzip aller Wirklichkeit. Also existiert dieses Sein notwendig. Kant stimmt mit S. Thomas darin überein zu erklären, dass dieses Argument, rein unter dem Gesichtspunkt der Logik betrachtet, nicht schlüssig ist: aus reinen Begriffen, außerhalb jeder Beziehung zu einer wirklichen Existenz versetzt, deduziert man nie analytisch eine wirkliche Existenz, denn es würde ein flagrantes Missverhältnis geben zwischen dem Vordersatz und dem Schlusssatz. Zeigen wir direkter, wo im gegenwärtigen Fall die Illusion liegt. Nichts ist schwerer zu definieren, als die „absolute Notwendigkeit des Seins“. Existiert notwendig das, dessen „Nichtexistenz unmöglich“ ist, BB. 131; R.462,: aber das einzige Zeichen der absoluten Unmöglichkeit einer Sache, ist, für uns, „unbegreifbar“ zu sein. (Ebenda.) Welche Beziehung besteht zwischen einer für unseren Geist unbegreiflichen Nichtexistenz und einer Nichtexistenz unmöglich an sich? Wir wissen es nicht. Auch die unserem Denken zugängliche Notwendigkeit ist nicht direkt eine absolute Notwendigkeit der Sachen, es ist zuerst eine logische Notwendigkeit unserer Urteile, begründet auf der Norm des Widerspruchs; mit anderen Worten ist dies eine Beziehung des Subjekts 193 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 196 zum Prädikat derart dass, wenn das Subjekt gesetzt ist, gäbe es einen logischen Widerspruch, wenn man nicht auch das Prädikat setzt. In diesen notwendigen Urteilen ist es ist mir sicher unmöglich, das Prädikat zu unterdrücken und dennoch das Subjekt zu erhalten. „Aber wenn ich gleichzeitig das Subjekt und das Prädikat beseitige, folgt daraus kein Widerspruch; denn es gibt nichts mehr, womit es da einen Widerspruch geben könne“. (BB. 132; R.464 Meiner S.569) Wenden wir nun diese Analyse an. „Gott existiert notwendig“: Was soll das sagen? Dass eine logische unleugbare Beziehung zwischen dem Begriff Gottes und dem Begriff der notwendigen Existenz besteht, so gut dass, wenn man den einen setzt, dies die Setzung des anderen wäre mit gleichem Titel und im selben Maße des Seins. Wenn ich also Gott setze in der Ordnung der absoluten Existenz, setze ich ihn dort infolge dessen als notwendige Existenz. Aber warum sollte ich „absolut“ das logische Subjekt setzen: Gott? Wenn ich mich darauf beschränke, Gott zu denken, denke ich ihn als notwendig versehen in der Ordnung meines Denkens mit dem Attribut der Existenz. Aber die gedachte Existenz ist nicht die wirkliche Existenz; von der einen würde man nicht wissen wie man unmittelbar auf die andere schließt. (BB. 134-136; R. 466 -470 Meiner S.571-575) Diese Unterscheidung zwischen der einfach gedachten Existenz und der aktuellen (wirklichen) Existenz macht uns gar keine Schwierigkeit, wenn es sich um kontingente Objekte handelt: von dem was ich erdenke für eine mögliche Veröffentlichung des Buches, das ich schreibe, folgt nicht dass dieses Buch wirklich existiert, das ist ganz klar. Der Fall vom Begriff von Gott, der die notwendige Idee impliziert, bietet, das muss man zugeben, ein bisschen mehr an Komplikation. In der Tat, im Gegensatz zu dem, was für die kontingenten Objekte gilt, würde die Möglichkeit an sich eines notwendigen Seins logischerweise die Existenz dieses Seins zur Folge haben: wenn Gott möglich ist, existiert er. Aber was wissen wir von der inneren Möglichkeit von Gott oder von der inneren Möglichkeit eines notwendigen Seins? Nichts. Wir wissen höchstens, dass diese Ideen unseren Geist durch keinen offensichtlichen Widerspruch blenden; unglücklicherweise ist die offensichtliche Abwesenheit eines logischen Widerspruchs nicht die einzige Bedingung der Möglichkeit eines Objektes, sie stellt dafür nur die negative Möglichkeit dar. Um über das negativ mögliche Objekt besser Bescheid zu wissen, müssten wir davon entweder eine intellektuelle Intuition haben, oder eine empirische Intuition: nun aber – aus verschiedenen Gründen – fehlt uns die eine und die andere Intuition dafür vollständig.„Deus, sagten die Scholastiker, non est primo et per se notus quoad nos“: Gott ist nicht das erste und unmittelbare Objekt unserer expliziten Erkenntnis; wir können von ihm also nicht apriori weder die innere Möglichkeit noch die Existenz erkennen. In diesem Punkt, stimmen Scholastiker und Kantianer überein. (vergleiche BB. 136; R.468 Meiner S.573ff.) 194 K.4 Das transzendentale Ideal 197 Man sollte andererseits die Tiefe dieser Übereinstimmung nicht übertreiben. Kant und die Scholastiker konzipieren die Bedingungen der legitimen Attribution der aktuellen Existenz anders. Für Kant gibt es keine andere objektive erkennbare Existenz208 208 Das sei gesagt ohne Vorurteil von der „Wirklichkeit des Dings an sich“, absolut ausgesagt von Kant, aber nicht definierbar als positives Noumenon, als intelligibles Objekt. 198 als die regelmäßige Verkettung der Wahrnehmungen in der Einheit der Erfahrung; der Bereich der Existenz beschränkt sich also auf den Bereich der sinnlichen und rezeptiven Intuition; die durch uns erkennbare Existenz ist immer relativ und phänomenal, wie die Intuition, durch die sie uns gegeben wird. Um eine absolute „noumenale“ Existenz zu erreichen, müsste unsere spekulative Vernunft mit intellektueller Intuition begabt sein. (BB. 136-137; R. 468 -469Meiner S.573.) Nicht mehr als Kant anerkennen die Scholastiker der menschlichen Vernunft keine Fakultät der intellektuellen Intuition; dennoch hüten sie sich davor, die Erkennbarkeit der Existenz einzuschränken allein auf die phänomenale Existenz: sie schätzen, dass gerade im Akt der empirischen Erkenntnis die menschliche Vernunft immer ein Absolutes erreicht, das eine strenge Analyse evident machen kann. Ihre philosophische Position bleibt vermittelnd zwischen der von Kant und der der Ontologisten: dies wird später unsere Aufgabe sein, von da aus sehr klar zu definieren im Blick auf die neuen Gesichtspunkte, die Kant in die moderne Philosophie eingeführt hat. Das kosmologische Argument. Das ontologische Argument, wir haben es gerade festgestellt, (1.) stütze sich auf die „logische Vertauschbarkeit“ der Begriffe des notwendigen Seins und des höchst vollkommenen Seins , und (2.) schließt sophistisch, indem es die Bedingungen des Denkens verwechselt mit den Bedingungen der aktuellen Existenz. Das kosmologische Argument, das klassische Argument aus der Kontingenz, entkommt dem Trugschluss, der ohne weiteres aus der logischen Ordnung schließen lassen würde auf die ontologische Ordnung. Im Gegenteil stützt es sich auf die empirische Existenz, so wie sie gegeben ist in der Erfahrung und schließt von da auf die aktuelle Wirklichkeit eines notwendigen Seins. Es ist nicht so, dass nachdem man ein notwendiges Sein als aktuell existierend gesetzt hat, man dieses notwendige und existierende Sein mit dem höchsten wirklichen Sein, mit Gott, identifiziert und dass man absolut darauf schließt: Gott existiert. (BB. 138-139; R. 471-472Meiner S.575 ff.) Was ist die Gültigkeit dieses neuen Beweises, der wenigstens dem Anschein nach die Schwächen des vorhergehenden vermeidet? „Es gibt da, sagt Kant, so viele trügerische Sätze, die in diesem kosmologischen Argument vereinigt sind, dass die spekulative Vernunft hier ihre ganze dialektische Kunst entfaltet zu haben scheint, um den größtmöglichen transzendentalen Schein zustande zu bringen“. (BB. 139; R.472 Meiner S.577.) 195 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 199 Offensichtlich wirft Kant diesem Argument vor, Gebrauch zu machen von der Idee des notwendigen Seins, als ob es der Begriff eines definierten Objektes wäre und nicht nur, so wie man es weiter oben gezeigt hat, ein problematischer und regulierender Begriff, von dem wir nicht einmal wissen, ob er ein mögliches Objekt darstellt. (BB. 123-124; R. 454 -455 Meiner S.559.(Quellen)) Aber Kant macht gegen den kosmologischen Beweis einen zweiten vielleicht noch tiefer gehende Einwand geltend, dessen exakte Bedeutung nicht so leicht zu verstehen ist. Selbst wenn die Existenz eines notwendigen Seins zugegeben wird, gründet der kosmologische Beweis sich noch – versichert er – auf eine unerlässliche Voraussetzung, die keine andere ist als das ontologische Argument. Versuchen wir, diese subtile Bemerkung verständlich zu machen. (BB. 139-141, 142-143; R. 472-474, 475 -476 Meiner S.577-579 Meiner S.580-581) Gäbe es hypothetisch eine gebührend bewiesene „absolute Notwendigkeit der Existenz“: wie kann man wissen, in welchem bestimmten Objekt diese „Existenznotwendigkeit“ sich realisiert findet? Zu beweisen, dass sie sich nur verwirklichen kann im höchsten Sein, souverän wirklich, das wir Gott nennen, solches wäre, sagt Kant, der „nervus probandi des kosmologischen Argumentes“. (BB. 141; R.474Meiner S.579.) Unstreitig besteht in unserem Geist eine gewisse Beziehung zwischen der kosmologischen Idee von der Notwendigkeit des Seins und dem theologischen Ideal der reinen Vernunft; aber es genügt nicht eine beliebige Beziehung, um dem traditionellen Argument aus der Kontingenz die absolute Strenge zu verleihen, die man ihm gerne zuteilt. Damit es diese volle Strenge erreicht, muss die Identität, auf der er gründet, resultieren, mit der unausweichlichsten logischen Notwendigkeit, aus der einzigen Analyse von den zwei Begriffen vom notwendigen Sein und von der höchsten Wirklichkeit, in der Weise dass man apriori aussagen könnte, dass „ jedes absolut notwendige Sein zu gleicher Zeit souverän wirklich ist“. (loc. cit.) Nun aber muss dieser Satz in guter Logik „konvertierbar“ sein; denn sein Prädikat ist einzeln, und da es nur ein einziges Individuum bezeichnen kann, kommt es einem „Universale“ gleich. Wenn also das kosmologische Argument Anspruch erhebt auf volle Strenge, muss die Umkehrung des obengenannten Satzes apriori wahr sein: „das Sein mit höchster Wirklichkeit ist absolut notwendig“, wie es das ontologische Argument aussagt. (BB. 140-141; R. 473 -474Meiner S.578/9.) Auf den ersten Blick erstaunt dieser Schluss und man fragt sich, ob Kant nicht einer „falschen Spitzfindigkeit“ zum Opfer gefallen ist. Denn der dem ontologischen Argument eigene Trugschluss besteht nicht in der Identifizierung, zu recht oder zu unrecht, der zwei Begriffe des notwendigen Seins und des höchsten Seins, sondern im nicht gerechtfertigten Übergang vom Begriff zur Sache, von der gedachten Existenz zur wirklichen absoluten Existenz. Nun aber scheint es, dass der Fall des kosmologischen Arguments viel weniger er- 196 K.4 Das transzendentale Ideal drückend ist. Durch die Analyse der Begriffe der notwendigen Existenz und der höchsten Wirklichkeit, zeigt man dort einfach, dass diese Begriffe sich einander ersetzen können und das gleiche hypothetische Objekt bezeichnen: aber die Beziehung des einen und des anderen zur aktuellen Existenz, weit davon entfernt aus einer reinen Analyse von Begriffen gezogen zu sein, stützt sich auf die unmittelbare Erfahrung von Objekten der sinnlichen Intuition. Das kosmologische Argument, würde man leicht schließen, geht ohne Zweifel auf die gleiche Identifizierung von Begriffen hinaus wie das ontologische Argument, aber vermeidet den typischen Trugschluss dieses letzteren. Ohne sich diesen Einwand zu formulieren, ist Kant ihm zuvorgekommen: er beruht auf dem ewigen, schon weiter oben angekündigten Missverständnis, das uns ohne Unterschied alle transzendentalen Ideen als fertige Begriffe oder definierte Objekte behandeln lässt, obwohl es doch außerhalb der „empirischen Begriffe“ keinen anderen vollständig bestimmten Begriff gibt, als nur das Ideal der Vernunft. In der Tat, die transzendentale Idee des notwendigen Seins ist uns gegeben, als Funktion der wirklichen Erfahrung, in der ganz und gar unpräzisen Form einer „unbedingten Bedingung der Existenz im Allgemeinen“, das heißt, ohne irgendein Attribut. das es in sich bestimmt als Objekt, als erkennbare Wirklichkeit: wir können also zwischen dieser Idee ohne Konturen, wesentlich verknüpft mit phänomenalen Reihen und dem bestimmten Begriff eines höchsten Seins nicht die Art von Vergleich anstellen, der zwischen zwei objektiven Begriffen legitim ist, von denen wir die Attribute analysierten, um über die Identität oder die Unterschiedenheit der Wesenheiten, die sie definieren, zu urteilen. Zerstreuen wir die „transzendentale Illusion",’ die uns die Fata Morgana eines durch Begriffe definierbaren notwendigen Seins schafft (erzeugt). „Notwendiges Sein“, oder besser „Notwendigkeit zu Existieren“, ist ursprünglich nur eine transzendentale Bezeichnung reeller Reihen von Phänomenen; eine Weise, im Blickfeld unserer Vernunft existentielle Hierarchien zu ordnen und „in Perspektive“ zu erscheinen; eine Art von höherer methodologischer Beziehung, vom Subjekt in der Erfahrung selbst postuliert; kurzum die Markierung der Notwendigkeit, der Existenz auferlegt und nicht die Darstellung einer privilegierten Existenz; dies könnte nicht etwas Objektives werden, als nur dadurch dass es sich an ein „Objekt“ hängt, indem es sich in einen vollständig definierten Begriff einfügt, zum Beispiel in den Begriff des „ens realissimum“. Und diese Assimilation muss apriori sein und analytisch. Sieht man wohin wir dadurch mitgenommen werden? Wohin uns das bringt? 200 Entweder der außergewöhnliche Begriff, der von sich aus analytisch nach „einer absoluten Notwendigkeit zu existieren“ rufen würde, kommt vor; und dann ist das Objekt dieses Begriffes sofort mit dem Modus der Existenz angekleidet (versehen): er wird nicht nur „gedacht“ als notwendig existierend, sondern im Voraus dazu selbst kraft seines Begriffs, wird er notwendig als 197 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft existierend „gesetzt“.209 209 „Sein, sagt Kant, ist evidenterweise kein wirkliches Prädikat, ein Begriff von etwas, was zum Begriff einer Sache hinzukommen könnte. Es ist einfach die Setzung einer Sache oder gewisser Bestimmungen an sich. Im logischen Gebrauch ist er nur die Copula eines Urteils und nicht ein definiertes Prädikat“. (BB. 134-135; R.467 Meiner S.572.) 201 Die einfache Analyse des Begriffs muss also dort aufdecken, nicht nur die abstrakte Idee der Existenz, sondern direkter den Modus des Existierens. Nun aber was ist eine Analyse reiner Begriffe, aus der der absolute Modus der Existenz hervorgeht, also anderes als die Vorgehensweise gerade des ontologischen Arguments? Oder. zweite Hypothese. keiner unserer Begriffe, nicht einmal der des ens realissimum falle nicht so von sich selbst her mit der notwendigen Existenz zusammen: in diesem Fall ist die Beweiskraft des kosmologischen Argumentes ganz evident gefährdet. Denn dieses Argument, wenn es die unauffällige Stütze verliert, die das ontologische Argument ihm verlieh, spaltet sich in zwei unvereinbare Stücke: die – legitime – Aussage eines notwendigen Modus der Existenz als Bedingung des Ideals, das die sinnliche Erfahrung begrenzt; und. auf der anderen Seite, eine Spekulation mehr oder weniger tolerabel, aber keineswegs ausschlaggebend, die zum gegenseitigen Einschluss von zwei problematischen Begriffen führt, fälschlicherweise objektiv alle beide, von denen der eine, der eines „höchsten Seins“ (das Ideal der Vernunft), um die Wahrheit zu sagen als einzelner Begriff bestimmt ist, aber entblößt bleibt jeder Beziehung zur wirklichen oder möglichen Existenz, und von denen der zweite, der eines „notwendigen Seins“, weil als Objekt des Denkens weder empirisch noch metempirisch bestimmbar, uns nichts desto weniger nur bestimmt „erscheint“ durch das Spiel des transzendentalen Scheins“. (vgl. BB. 134 unten – 135; 140; 142-143; R. 467-468; 472-473 ; 475-476Meiner S.573ff.) Wenn wir das ganze kosmologische Argument auf einen Syllogismus reduzieren wollen, könnten wir die kritischen Vorbehalte durch die folgenden Unterscheidungen übersetzen, wie Kant sie nennt: Jede empirische Existenz verlangt ein „notwendiges Sein“. Nun aber ist das „notwendige Sein“ identisch mit dem „ens realissimum“, das heißt mit Gott. Also verlangt jede empirische Existenz das „ens realissimum“. Dieser Syllogismus ist (einzigartig) besonders zweideutig. Distinguieren wir seinen Obersatz: Alle empirische Existenz verlangt ein „notwendiges Sein“: als ideale Grenze der gegebenen empirischen Existenz, gibt man das zu; – als definiertes Objekt des Denken, verneint man es. Kontradistinguieren wir den Untersatz: 198 K.4 Das transzendentale Ideal Das notwendige Sein ist identisch mit dem „ens realissimum“: wenn man es versteht als das notwendige Sein als ideale Grenze der gegebenen empirischen Existenz, muss man den Untersatz verneinen, denn eine ideale Grenze ist eine „transzendentale Bedingung“ der phänomenalen Existenz und 171 199 keineswegs ein „objektiver Begriff“ (vgl. pp. 171, 196,; – wenn man dagegen, zu Recht oder Unrecht, unter „notwendigem Sein“ ein rein als problematisches definiertes Objekt versteht, kann man, falls es sich lohnt, die Identität dieses „notwendigen Seins“ mit dem „ens realissimum“ zugeben. In diesem letzten Sinn lassen wir die Minor passieren, dennoch nicht ohne darauf hinzuweisen (1.) dass – in der Tat – die Idee des notwendigen Seins überhaupt nicht die essentiellen Bedingungen eines objektiven Begriffes in sich hat, und (2.) dass sie, wenn man sie willkürlich wie einen objektiven Begriff behandelt, sie noch nicht mit der Idee des „ens realissimum“ verbunden ist, es sei denn kraft eines Beweises durch Ausschluss, (vielleicht unvollständig) aber überhaupt nicht absolut noch analytisch (das heißt, dass wir in unserem Denken keinen anderen Begriff finden, der zum notwendigen Sein passt, außer dem Begriff des vollkommenen Seins). Wenn wir aus der gemachten Unterscheidung einen Nutzen ziehen, müssen wir die Folgerichtigkeit des kosmologischen Arguments verneinen, und es steht uns frei, seinen Folgesatz in Abrede zu stellen.210 210 Man wird bemerkt haben, dass die wirkliche Tragweite dieser ein bisschen mühsamen aber, wenn man seine Voraussetzungen zugibt, sehr exakten Kritik, von den negativen Schlussfolgerungen der transzendentalen Analytik abhängt. 199 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft [Rückübersetzung] „Die ganze Aufgabe des transzendentalen Ideals, so schließt Kant, kommt also darauf zurück, entweder zu der absoluten Notwendigkeit einen [objektiven] Begriff, [der sie unterstützt,] oder zu dem Begriffe von irgendeinem [transzendierenden] Dinge die absolute Notwendigkeit desselben zu finden, [die ihn in die Existenz setzt]. Dieses doppelte Unternehmen ist wechselseitig: wer das eine kann, der kann das andere. Unglücklicherweise überschreitet der eine und der andere die Tragweite der extremsten Anstrengungen, die wir versuchen könnten, sei es um in diesem Punkt unseren Verstand zu befriedigen, sei es wenigsten um ihn in Ruhe zu halten in seinem Machtlosigkeit“. (BB. 144; R.477 ) 202 [original Kant] Die ganze Aufgabe des transzendentalen Ideals kommt darauf an: entweder zu der absoluten Notwendigkeit einen Begriff, oder zu dem Begriffe von irgendeinem Dinge die absolute Notwendigkeit desselben zu finden. Kann man das eine, so muß man auch das andere können; denn als schlechthin notwendig erkennt die Vernunft nur dasjenige, was aus seinem Begriffe notwendig ist. Aber beides übersteigt gänzlich alle äußersten Bestrebungen, unseren Verstand über diesen Punkt zu befriedigen, aber auch alle Versuche, ihn wegen dieses seines Unvermögens zu beruhigen. (Meiner S.582.) Trotz der Spitzfindigkeit der Erwägungen, die vorangehen, haben wir geglaubt dass wir etwas darauf bestehen müssen, weil sie uns später helfen werden den zentralen Punkt freizulegen, an dem die kantsche Kritik sich trennt von den Metaphysiken der Antike. Der Ausgang der Diskussion der zwei ersten theologischen Beweise wurde im voraus von einem einzigen Prinzip befohlen, dem gleichen mit welchem sich das erste Kapitel der transzendentalen Dialektik eröffnet: die Bestimmung einer Erkenntnis als Objekt ist nur möglich in der Erfahrung; nun aber haben die Ideen der Vernunft keinen „konstitutiven Teil“ in der Erfahrung, sie üben dort nur eine äußerliche Funktion aus der „Regulierung“ aus; sie können also nicht bestimmt sein als Objekte, noch unter diesem Titel in unseren Beweisen erscheinen. Das physiko-theologische oder teleologische Argument. Beim dritten Beweis der Existenz Gottes, dem „physiko-theologischen Beweis“, können wir sehr kurz sein. Nicht dass dieser Beweis geringzuschätzen wäre: ganz im Gegenteil schätzt Kant, dass er aus der Ferne der Überzeugendste und der an die menschliche Vernunft am besten angepasste ist, was im übrigen nicht sagen will, dass seine wissenschaftliche Strenge jede Kritik heraus fordert. Man weiß worin dieses Argument besteht: von der Einheit, der Schönheit, der Ordnung der Welt kurzum von der Zweckbestimmtheit der Objekte unserer Erfahrung schließt man auf die Existenz einer höchsten Intel- 200 K.4 Das transzendentale Ideal 203 ligenz, einziger Ursache des Universums. Mit Kant gehen wir über zur Schwierigkeit, die Finalität (Zweckbestimmtheit) der Dinge festzustellen, einer Feststellung, die wir zweifellos nur kraft der von uns erstellten Analogie zwischen der Art unserer persönlichen Tätigkeit und der Art von Tätigkeit der Ursachen der Welt machen, so legitim und überzeugend, wie wenig wissenschaftlich. Nehmen wir also eine intentionale Ordnung an, die den Dingen eingeprägt ist und eine finale Einheit des Universums; was können wir unmittelbar daraus schließen? Höchstens die Existenz eines sehr erhabenen Ordners oder „Weltbaumeisters“ (BB. 154; R.488Meiner S.593.(Absatz 10)) aber nicht „eines Weltschöpfer“ (Ebenda): die Existenz eines Seins, dem eine „sehr große erstaunliche, unermessliche Vollkommenheit“ zukommen würde, aber nicht notwendigerweise diese absolute Vollkommenheit, die die „omnitudo realitatis“ ist, die der Gottheit eigen ist. (Ebenda.) Um den Abgrund zu überschreiten, der noch die relative Unermesslichkeit der Vollkommenheiten trennt, geahnt von der empirischen Seite und dem Absoluten der Vollkommenheit, dem Erbteil des göttlichen Seins, gäbe es wirklich nur ein Mittel: den physiko-theologischen Beweis zu vervollständigen, unfähig sich so hoch zu erheben durch den Beweis aus der Kontingenz. (BB. 155; R.488Meiner S.594.) Aber wir haben gesehen, dass der Beweis aus der Kontingenz selbst den ontologischen Beweis voraussetzen würde. Dieser letzte ist also die gemeinsame Grundlage aller möglichen Beweise der Existenz Gottes. (BB 156 ; R. 489 -490Meiner S.595. letzter Absatz) Kant hat auf diese Weise die Prüfung der Versuche ausgeschöpft, die man machen kann, um dem Ideal der reinen Vernunft aktuelle Existenz zuzuschreiben. Vom spekulativen Gesichtspunkt her gesehen, scheinen sie alle dem Misserfolg geweiht. Ergibt sich daraus, dass dem Ideal der Vernunft die Gültigkeit entzogen ist? Weit davon entfernt. „Das höchste Sein,“ so erklärt die Kritik, „bleibt für die rein spekulative Vernunft ein einfaches Ideal, aber ein Ideal frei von Fehlern, ein Begriff, der die ganze menschliche Erkenntnis vollendet und krönt. Zweifellos kann die objektive Realität dieses Begriffes nicht bewiesen werden auf dem Weg der Spekulation allein, aber sie kann auch nicht widerlegt werden auf diese Weise. Und dann, wenn es eine Moraltheologie gibt, die fähig ist, die Lücken der transzendentalen [spekulativen] Theologie aufzufüllen, wird diese, die vorher nur problematisch war, unentbehrlich, um den grundlegenden Begriff der Moraltheologie zu bestimmen und um ohne Unterlass ständig die Vernunft zu warnen vor den Illusionen der Sinneswahrnehmung“. (BB. 163; R. 498;Meiner S.604.letzter Abschnitt cf. BB. 158; R.493Meiner S.599.) Für die endgültige Lösung des Problems der Existenz Gottes, trifft Kant mit uns also eine Verabredung auf einem Boden, der die Kritik der spekulativen reinen Vernunft überschreitet: wir werden ihm dorthin folgen, und ein bisschen weiter unten, die „Kritik der praktischen Vernunft“ an unserem geistigen Auge 201 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft vorüberziehen lassen. KAPITEL5. Schlüsse aus der „transzendentalen Dialektik": DIE REIN REGULIERDENDE ROLLE DER IDEEN DER VERNUNFT 204 205 Die „objektive Wirklichkeit“ eines Erkenntnisinhalts verlangt, nach Kant: 1. Dass dieser Inhalt ein bestimmtes Objekt darstellt; 2. dass dieses bestimmte Objekt unter der Modalität der aktuellen Existenz plaziert wird. Diese doppelte Bedingung fand sich in der Anwendung der Kategorien verifiziert an den Inhalten der Sinnes-Intuition: jedes Objekt repräsentierte dort den konkreten Ausdruck einer wenigstens möglichen Erfahrung, und fand sich so vollkommen bestimmt als objektiver Begriff; darüber hinaus hing dort jedes Objekt innerlich auf mittelbare oder unmittelbare Weise ab von der SinnesIntuition, und fand sich dadurch sogar direkt oder indirekt dem aktuellen Modus der Existenz unterworfen, da die Weise zu existieren in unserer Erkenntnis nur in einer Beziehung zur unmittelbaren Intuition besteht. Die Existenz, die uns in der Intuition gegeben wird, ist evidenter Weise von der gleichen Ordnung wie diese Intuition selbst: die Sinnes-Intuition rezeptiv und relativ, gibt uns relative und phänomenale Existenzen; sie ergreift die Objekte, gar nicht wie sie vielleicht in sich selbst bestehen, sondern je nachdem wie sie uns affizieren in der Zeit und im Raum. Wenn wir eine Fakultät der intellektuellen Intuition besäßen, würden wir höhere Arten der Existenz wahrnehmen, die wir über die Zeit und den Raum hinaus in dieser unbestimmten Zone vermuten. Aber wir besitzen keine intellektuelle Intuition. Der einzige theoretische Weg, auf dem wir die Chance hätten, – unvollkommen und von weitem – „Objekte an sich“, transphänomenale Wirklichkeiten zu ergreifen, wäre der diskursive Weg, der Weg des Beweisens. Führt er uns zum Ziel? Man bräuchte dafür die Möglichkeit, dass man in unserem Geist zustande brächte das Zusammentreffen von „bestimmten transphänomenalen oder metempirischen Objekten“ und den “Modus der aktuellen Existenz“. Tatsächlich entdecken wir als Objekte im weitesten Sinne dieses Worts in unserem reinen Denken nur die transzendentalen Ideen und das „Ideal“ der reinen Vernunft. Die Ersteren - psychologische Ideen und kosmologische Ideen – erscheinen 202 Ch.5 Schlussfolgerungen: Die rein regulierende Rolle der Ideen der Vernunft 206 uns als totalisierende Bedingungen der konkreten Erfahrung, und bewahren ein Band wenigstens indirekt mit der empirischen Existenz. Streng genommen könnte die zweite Bedingung jeder objektiven Wirklichkeit (der Modus der Existenz) ihnen zuerkannt werden; aber nicht – dennoch – die erste Bedingung: sie repräsentieren nicht „bestimmte Objekte“. Wie wir festgestellt haben, sind sie nichts anderes, in sich selbst, als „Kategorien“, von denen jede empirische Bestimmung abgezogen ist, ohne zum Ausgleich irgendeine transzendente Bedingung empfangen zu haben. Das „Ideal der reinen Vernunft“, das heißt, der Begriff eines göttlichen Seins von höchster Wirklichkeit ist unter gewissen Rücksichten begünstigter. Ohne eingeschränkt zu sein durch irgendeine empirische Bestimmung, bestimmt er sich selbst apriori in der Art eines absoluten „Maximums“ (BB. 179; R.516 Meiner S.622.): seine einzigen intelligiblen Charakterisierungen reichen aus, um ihm die individuelle Einheit und die Einmaligkeit zu verleihen. Obwohl wir nicht wissen, ob er ein mögliches Objekt darstellt oder nicht, könnte er in unserer Beweisführung die Funktion eines „objektiv bestimmten Begriffs“ ausüben. Aber die zweite Bedingung, die der objektiven Wirklichkeit (der Existenz) wird ihm völlig verweigert. In der Tat würde er nicht wissen, wie er sich, in unserem Geist, mit der noumenalen Existenz verbindet, da uns die intellektuelle Intuition fehlt. Es würde also nur übrig bleiben ein diskursives Band mit dem phänomenalen Modus des Existierens. Nun aber wäre der einzige Verschweißungspunkt mit der phänomenalen Existenz die Identifizierung des Ideals der reinen Vernunft mit der kosmologischen Idee der „notwendigen Existenz“ gewesen. Wir haben bei der Kritik des Arguments aus der Kontingenz gesagt, warum in den Augen Kants diese Identität unbeweisbar ist. Das Ideal der reinen Vernunft bleibt so über der Existenz schwebend (schwimmend): die theoretischen Argumente sind unfähig, es mit irgendeinem beliebigen Modus der objektiven Existenz auszustatten. Aber wenn die Ideen der Vernunft überhaupt nicht in sich selbst objektive Wahrheit haben, oder mit anderen Worten, wenn sie sich nicht rechtmäßig für irgendeinen „transzendenten Gebrauch“ eignen, würde man dennoch kaum der Auffassung sein, das sie völlig unnütze Fiktionen wären. „Alles, was auf der Natur unserer Fakultäten gründet, muss ein Ziel haben und sich mit dem normalen Spiel dieser Fakultäten vertragen... Die transzendentalen Ideen müssen also auch, infolge jeder Vermutung, ihre gute Verwendung haben, die nur ein „immanenter Gebrauch sein kann.“ (BB. 164; R.499Meiner S.605.) Welcher ist also dieser immanente Gebrauch der Ideen der Vernunft? „Ich behaupte, sagt Kant, dass die transzendentalen Ideen nie einen konstitutiven Gebrauch haben [eines notwendigen Objekts unseres Denkens], als ob objektiv bestimmte Begriffe uns durch sie gegeben würden und [ich halte fest] , dass, in diesem letzteren Sinn verstanden, sie nichts wären als trügerische (dialektische) Ideen. Sondern sie haben im Gegenteil eine hervorragende 203 Buch IV „Regulierender“ Gebrauch der reinen Vernunft 207 und unerlässliche regulierende Verwendung, nämlich den Verstand zu einem gewissen Ziel zu leiten, welches, obwohl es nur eine Idee (focus imaginarius) ist, dennoch dazu dient, den Begriffen des Verstandes größte Einheit verbunden mit dem größt möglichen (Begriffs-)Umfang zu geben“. (BB. 165; R. 500 -501Meiner S.606.) Die Rolle der Ideen entwickelt sich also ganz und gar im Inneren des erkennenden Subjekts, und besteht darin, die Erkenntnis als solche mit einem „systematischen Charakter“ auszustatten (BB. 166; R.501 Meiner S.606/7.), den die rohe Erfahrung nicht verleihen könnte. Im Unbegrenzt-Werden der Erfahrung führen die Ideen wirklich ein Prinzip der Einheit ein. Wie? Man erblickt das mühelos, wenn man sich auch nur ein wenig an ein Verfahren von der modernen Wissenschaft erinnern wollte, das uns vertraut geworden ist. Vor einer Gesamtheit von partikulären Tatsachen, bemüht sich der Mann der Wissenschaften, der nicht ein einfacher Sammler ist, nach einem theoretischen Gesichtspunkt zu suchen, der sie alle umfasst und doch ihre Affinitäten ausdrückt: von diesem Gesichtspunkt aus, als Ausgangspunkt genommen, deduziert er eine Methode der Forschung, die ihn auf die Spur neuer Tatsachen bringt, die sich ihrerseits zusammenschließen können unter die Einheit des vorläufig adoptierten theoretischen Gesichtspunkts; und so weiter. Welches ist in dieser theoretischen Hinsicht die objektive Gültigkeit? genau die einer erklärenden Hypothese, immer mehr überprüft durch ihre Konsequenzen: nie jedoch gibt die Überprüfung der Konsequenzen allein, so weit sie auch immer getrieben wird, die absolute Sicherheit für den hypothetischen Vordersatz; denn man kann immer die Möglichkeit einer anderen erklärenden Hypothese konzipieren: dem alten Sprichwort zufolge, „consequens sequitur ex antecedente, non vero antecedens ex consequente“. Wenn es sich um empirische Wissenschaft handelt, wie dies der Fall ist in den modernen Wissenschaften, wird der theoretische Vordersatz immer in den Grenzen der möglichen Erfahrung gewählt, wenn nicht sogar der gangbaren (praktikablen) Erfahrung: er gehört selbst zum empirischen Bereich und stellt ein Objekt dar,das durch uns bestimmbar ist. Außerdem in dem Maße wie das Bündel der Phänomene wächst und sich vereinigt (se resserre), kann das Bündel der Phänomene, das sie „idealerweise“ eint eine wachsende Wahrscheinlichkeit erwerben und sich unmerklich annähern sogar an die Gültigkeit eines wirklichen Objekts. Kommen wir zu den transzendentalen Ideen zurück. Ebenso wie die theoretischen Gesichtspunkte der positiven Wissenschaften, sind sie „hypothetisch“ gesetzt als „problematische“ Begriffe und in dieser Qualität üben sie auf den Inhalt des Gedankens einen ordnenden und vereinigenden Einfluss aus: sie gruppieren die partikulären Begriffe und sie sind sozusagen der Schlüssel des allgemeinen „Systems“ der Erfahrung. Dank ihres Einflusses auf den Vorgang des Verstehens wird kein Begriff abschließend von uns zugegeben, der sich nicht 204 Ch.5 Schlussfolgerungen: Die rein regulierende Rolle der Ideen der Vernunft an der gemeinsamen Orientierung koordiniert aller unserer Erkenntnisse auf die absolute Einheit zu. Der hypothetische Gebrauch der Vernunft ist also sehr ähnlich dem der wissenschaftlichen Theorie: dies ist weniger eine Erkenntnis als eine „Methode“ (BB. 168; R.504) ein „heuristisches“ Verfahren (BB. 178, 183,.. R. 515,520 Meiner S.621, Meiner S.626). Solches ist die legitime und natürliche Rolle der menschlichen Vernunft, das, was Kant gern benennt als „regulierende“ Rolle. Aber diese regulierende Rolle wird in keiner Weise von einer „konstitutiven Rolle überholt", mehr oder weniger wahrscheinlich in der objektiven Erkenntnis: Die Vernunft gibt uns ihre Ideen nicht als definierte „Objekte“: sie sagt uns nur, dass alles sich empirisch ereignet „als ob“ die reinen Ideen transzendente Objekte repräsentierten. Und in der Tat im Unterschied zu dem, was existiert in den empirischen Wissenschaften, wüsste die transzendentale Hypothese, die als synthetisches Prinzip der Erklärung dient, nicht unter keinem Titel, niemals kontrolliert zu werden durch direkte Erfahrung, da sie als sie selbst dem empirischen Bereich fremd bleibt: allein ihre Konsequenzen sind der Überprüfung zugänglich. Um mit Sicherheit die objektive Wirklichkeit dieser Idee zu erstellen, wäre die geringste geforderte Bedingung, alle ihre möglichen Konsequenzen geprüft zu haben. Aber [Rückübersetzung] „wie will man [original Kant] „wie will man alle möglichen Folgen erkennen, die aus alle möglichen Folgen wissen, die, ineinem und dem selben transzendentalen dem sie aus demselben angenommePrinzip abgeleitet sind, um dadurch die nen Grundsatze folgen, seine AllgeUniversalität zu beweisen? (BB. 167; meinheit beweisen? (Meiner S.608) R.503)“ 208 Man müsste die Unendlichkeit ausschöpfen. Es ist also ein trügerisches Unternehmen, die hypothetische und regulierende Rolle der Vernunft umwandeln zu wollen in eine konstitutive Rolle von eigentlichen Objekten. Die „spekulative Vernunft“ beim Menschen kennt keine „transzendenten Objekte“. 205 Buch V. DIE IDEEN DER VERNUNFT, POSTULATE DES MORALISCHEN WILLENS UND VORAUSSETZUNGEN DES GEFÜHLS. 209 207 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls KAPITEL1. Prüfung der „Kritik der praktischen Vernunft“. 210 §1. – Vorbemerkung. Bezüglich der gesamten Tätigkeit der Vernunft betrachtet die Kritik der reinen Vernunft nur den spekulativen Aspekt. Unter diesem begrenzten Winkel boten die authentischsten Produkte der rationalen Tätigkeit, die „Ideen“, keine Garantie objektiver Wahrheit. Aber diese unmittelbare Garantie, die zu geben die Spekulation, für sich allein, ohnmächtig war, könnten sie diese nicht woanders finden, wenn nicht so vollständig, so doch wenigstens fest und wirksam? Daran hat Kant nie gezweifelt. Schon seit der Zeit wo er seine erste Kritik verfasste, sah er klar voraus die Ergänzung, die sie in der Kritik der praktischen Vernunft (1788) empfangen würde, das heißt in der Analyse des moralischen Aspekts der rationalen Tätigkeit. Hinsichtlich der Kritik der Urteilskraft (der Fakultät zu urteilen) – der tatsächlichen Kritik der Zweckbestimmtheit der Vernunft – wenn er davon nicht sehr früh den exakten Platz erblickte in der Gesamtheit seines Werkes, wie er es Reinhold in einem Brief vom 18 Dezember 1787211 211 Kants Werke Edition Cassirer. Band IX. Briefe 1, p.345 oder Rosenkranz Band XI. pp.86-87. Die „Kritik der Urteilskraft“ erschien, offen gestanden, erst 1790, aber Kant beschäftigte sich damit seit 1787. Er dachte damals daran eine „Kritik des Geschmacks“ zu veröffentlichen; aber er bemerkte, dass sie von einer Art von Prinzipien apriori befohlen wurde, die er bis dahin nicht beachtet hatte. (l. c.) 211 anvertraute, versichert er zu Recht, dass dieser dritte Aspekt der Prüfung unserer erkennenden Fakultäten nichtsdestoweniger logischerweise von den zwei anderen verlangt wird. Wir können es uns also nicht ersparen, schnell aufzusammeln, aber mit Genauigkeit, die allgemeinen epistemologischen Lehren die die Kritik der praktischen Vernunft und die Kritik der Urteilskraft zu denen der Kritik der reinen Vernunft hinzufügen. §2. – Epistemologische Tragweite dieser Kritik. 212 212 vgl. Kritik der praktischen Vernunft. Vorrede und Einleitung, passim. Edit. Rosenkranz, Band VIII, pp. 105 ff. und 119 -121. – Übersetzung. Picavet, 3. Aufl.. Paris 1906. pp. 1 ff. und 21 -23. NB. Wir verwenden in diesem Kap. 1, die abgekürzten Notationen: P. (Übersetzung Picavet) und R. (Ausgabe Rosenkranz). Was fehlt den Produkten der spekulativen reinen Vernunft, den „transzendentalen Ideen“, um sich rechtmäßig „zu Wirklichkeiten“ machen zu können? 208 K.1 Prüfung der „Kritik der praktischen Vernunft“ 212 Wir haben gesehen, dass allen, außer dem Ideal der Vernunft, die letzte Bestimmung fehlte, die in den Augen des Geistes daraus definierte Objekte gemacht hätte, und dass allen ohne Ausnahme darüber hinaus das etwas, dieses zusätzliche Moment fehlte, das sie aus dem Bereich der „Probleme“ und der „negativen Möglichkeiten“ in den der „kategorischen Aussagen“ und der „Existenzen“ transponiert hätte,. In der Ordnung der Spekulation könnte sich an den Ideen diese doppelte Ergänzung nicht ereignet haben, es sei denn mittels einer „Intuition“, die ihnen einen Inhalt liefert. Die Intuition „individualisiert“ ihr Objekt und „realisiert“ es ganz gleichzeitig, wenn man sich so ausdrücken kann. Unglücklicherweise bleibt die empirische Intuition, nämlich unsere, ohne Zugriff auf die reinen Ideen und die intellektuelle oder metempirische Intuition während sie, absolut gesprochen, möglich sein würde, gehört darum nicht, auf alle Fälle, zu unserer menschlichen Intelligenz. Wir können also nicht hoffen, die objektive Unbestimmtheit der transzendentalen Ideen mittels einer spekulativen Bestimmung zu beheben. Aber, mangels der reinen Spekulation, bleibt eine andere Zufahrtsstraße zur Realität offen, nämlich der der Handlung oder der „Praxis“. Vor den transzendenten Wirklichkeiten, hypothetischen Objekten der spekulativen Vernunft, ließe die Kritik uns eine Option: sie aus irgendwelchen der Wissenschaft fremden Motiven auszusagen, oder uns zu enthalten. Vom theoretischen Gesichtspunkt her ist das so gestellte Problem unlösbar; vom praktischen Gesichtspunkt her, in der Ordnung der Notwendigkeiten der Handlung und der freien Willensentscheide, wäre dann nicht das Problem eigentlich schon im Voraus gelöst, als Antwort auf die virtuell gemachte Option? Nehmen wir diese praktische Option als verwirklicht an, und fragen wir uns, welche Art von Bestimmung sie den Ideen verleiht. Nicht, offensichtlich, eine neue spekulative Bestimmung: die Idee wird weder besser bestimmt noch reicher an Inhalt, den ihr nicht schon die theoretische Vernunft lieferte: die Handlung wiegt die abwesende Intuition nicht total auf. Hingegen findet sich die Idee, verkettet mit dem Vermögen der Handlung, umgeben von der unmittelbaren Wirklichkeit dieser selbst und kann sich ausdrücken „assertorisch“: ihre praktischen Bestimmungen haben sie den ganzen Raum, der die einfache logische Möglichkeit von der objektiven Wirklichkeit trennt, überspringen lassen Außerdem muss man noch anmerken, dass es verschiedene praktische Optionen geben kann je nach dem Charakter der Veränderungen, die das Verhalten des handelnden Subjekts befiehlt. Die Option, die der Idee das Attribut der objektiven Wirklichkeit vollständig verleiht, muss apriori und absolut sein in den Bedingungen, die sie bestimmen. Von den empirischen Veränderungen angeregt, würde die Option subjektiv bleiben und bedingt; ihre Gültigkeit würde sich auf die beschränkten guten Sitten eines „empirischen Subjekt“ 209 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls 213 begrenzen. Hingegen setzt eine praktische total apriorische Bestimmung unbedingt und absolut sein notwendiges Objekt und seine anderen Bedingungen der Möglichkeit: in der Tat kann sie nur sie selbst sein als „absolute“, über jeder kritischen Abschwächung, da sie ihre Wirklichkeit so gut rechtfertigt wie sie sich selbst erschafft. Wenn unsere Vernunft also eine rein apriorische praktische Anwendung hat, würden alle spekulativen Bedingungen, die logischerweise von diesem Gebrauch impliziert werden, sich absolut und objektiv ausgesagt finden, ohne mögliche Abrede. „In der Tat, sagt Kant, wenn die Vernunft wirklich praktisch ist, insofern sie reine Vernunft ist, beweist sie ihre Wirklichkeit und die ihrer Begriffe durch eben diese Tatsache“, P. 1; R.105, „Folglich müssen wir eine Kritik machen nicht der reinen praktischen Vernunft sondern nur der praktischen Vernunft im allgemeinen. Denn die reine Vernunft braucht, sobald man gezeigt hat, dass sie existiert, keine Kritik.“ (P.22; R.120) Wenn die spekulative reine Vernunft eine Kritik verlangt hat, war dies nicht insofern sie uns auferlegte gerade die Realität ihrer transzendentalen Funktionen als genauso viele „Tatsachen der Vernunft“, sondern insofern sie behauptete, sie anzuwenden zur Bestimmung von von ihr selbst verschiedener Objekte. Die reine praktische Vernunft belastet sich überhaupt nicht mit einer äußerlichen Beziehung, wie das eine Vorstellung machen würde: sie sagt nur das aus, was sie bewirkt, wenn sie sich selber setzt und unterliegt daher nicht dem, darin „kritisiert“ zu werden. Die ganze Kritik der praktischen Vernunft besteht also darin, zu untersuchen ob eine rein praktische Anwendung der Vernunft existiert und das zu bemerken, was das impliziert bei den spekulativen Bedingungen. Folgen wir Kant in dieser Ermittlung. §3. – Die fundamentale Tatsache der praktischen Vernunft :der kategorische Imperativ. Alle freiwillige Tätigkeit, beim Menschen entwickelt sich notwendig im Bereich der einen oder der anderen von diesen zwei rationalen Bedingungen: einer Maxime oder eines Gesetzes. (P. 27; R.125) Die Maxime ist Definitions gemäß ein subjektives Prinzip einer praktischen Bestimmung; das Gesetz ist ein objektives Prinzip, das heißt allgemein gültig. Wenn wir die Veränderungen unserer freiwilligen Entscheidungen prüfen, werden wir dabei sicher oft einfachen Maximen begegnen. In der Tat in allen diesen unseren Vorgehensweisen, die uns partikuläre Objekte verfolgen lassen, ist das bestimmende Prinzip unserer Tendenz oder unseres Wunsches entnommen aus der empirischen Ordnung (P 31 Lehrsatz I; R 128) und verknüpft sich immer in letzter Analyse mit der Liebe von 210 K.1 Prüfung der „Kritik der praktischen Vernunft“ 214 uns selbst, dem persönlichen Glück (P.32.Lehrsatz II; R.129). Dergleichen Vorgehensweisen sind offensichtlich nur inspiriert von „Maximen“, das heißt von partikulären Prinzipien, anziehend, und also subjektiv. Wenn es wirklich objektiv Veränderliches gäbe in unserem Willen, müssten diese vollkommen unbeteiligt und vollkommen universell sein. Diese doppelte Bedingung setzt ihre Apriorität voraus, denn wenn sie als Prinzipien einer freiwilligen Bestimmung etwas Empirisches bewahrten, würden sie zurückfallen in den subjektiven Partikularismus der Maximen. Gar nicht empirisch seiend, können sie auf uns nicht mehr durch Zwang wirken, indem sie unserem Willen das Joch eines außerhalb von ihm befindlichen Determinismus auferlegen. Ihre Kausalität ist anders: im rationalen Bereich kann ein Prinzip von praktischer Bestimmung nur eine „moralische“ Kausalität haben. Kant sagt sehr richtig: das vernünftige Geschöpf hat allein die Fakultät, der „Vorstellung von Gesetzen“ gemäß zu handeln,; wenn diese Gesetze apriori, allgemein und infolgedessen notwendig sind: müssen sie bekleidet sein in der praktischen Ordnung mit dem einzigen zwingenden Charakter, der rationalen Vorstellungen zukommt: der Verpflichtung. Sie drücken „moralische Imperative“ aus, „Pflichten“. (P. 28-29; R. 125 -126) Nicht jeder Imperativ, bemerken wir es gut, begründet eine Pflicht. Es gibt bedingte Imperative: dies sind die „Vorschriften für das Handeln“ die wir uns auferlegen angesichts eines Zieles (P. 29-30; und vergleiche 109-110, zur Abwesenheit einer objektiven Zweckbestimmtheit des ursprünglichen absoluten Gutes beim moralischen Imperativ; R. 127 und vergl. 182 -183). Denn ein Ziel beim Menschen ist das Objekt eines Wunsches, welcher, alles einbezogen,sich bezieht auf eine gewisse Summe von Befriedigung oder Schmerz und sich also beschränkt auf egoistische Bedingungen eines Subjekts; im übrigen ergab es sich schon aus der ersten Kritik, dass überhaupt kein Ziel vor unserem Geist objektiviert als nur unter empirischen Zügen. Die Vorschrift, die uns auf ein Ziel hin tendieren lässt, belastet sich also immer mit subjektiven und empirische Bedingungen. Der wahre „moralische Imperativ“ dagegen muss „ausreichen, um den Willen zu bestimmen, in sofern er Wille ist (P. 29; R.127, unabhängig von jeder empirischen und einschränkenden Bedingung: er muss „unbedingt“ sein, demgemäß kategorisch; und er wäre im übrigen nicht so, es sei denn kraft seiner totalen „Apriorität“. Wenn wir jetzt diese Ableitung von Kant auf „Imperative“ anwenden wollen denen wir in uns selbst begegnen, können wir die folgenden Feststellungen machen: 1. dass die Ausführung unserer moralischen Willensentschlüsse, unsere partikulären „moralischen Verwirklichungen“ zweifellos von einem kategorischen Imperativ abhängen müssen, aber nicht in sich unter ihrer partikulären Form nicht den wesentlichen Charakter der Moralität besitzen (Vergl. z.B. P. 76-77 (Ende); R. 160 -161). Denn die außerhalb befindlichen Verwirklichungen 211 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls 215 fallen in die Ordnung der Ziele, die nicht wissen würden, wie man für uns zu vollkommen objektiven noch uneigennützigen Prinzipien wird. Die moralische Handlung gehört also ganz und gar zum Willen als solchem. 2. dass die partikulären moralischen Gesetze ihren obligatorischen Wert nicht von ihrer materiellen Mannigfaltigkeit beziehen (P.43. Lehrsatz III; R.136). In der Tat wenn ihre Materie, das heißt das partikuläre Objekt, das sie uns wollen lassen, in ihnen das bestimmende Prinzip, oder das „Ziel“ unseres Willens wäre, wären sie also insofern sie Gesetze sind, empirischen und subjektiven Bedingungen unterworfen: denn sie würden zu einfachen „Gesetzen der Zweckbestimmtheit“ und ihr Einfluss auf uns würde vor allem in der Beziehung gewisser empirischer Vorstellungen zu unseren egoistischen Gefühlen von Vergnügen und Schmerz, auf unsere Wünsche bestehen. Es bleibt, dass die partikulären moralischen Gesetze nicht wirklich „moralische Gesetze“ sind, es sei denn durch ihre universelle Form. Welche ist also diese universelle, „kategorisch imperative“ Form des moralischen Gesetzes? Kant spricht es wie folgt aus: „Handle so dass die Maxime deines Willens immer gleichzeitig als ein Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte“. (P. 50; R.141). „Man kann, fährt er fort, das Bewusstsein dieses fundamentalen Gesetzes eine Tatsache der Vernunft nennen, weil sie sich uns auferlegt durch sie selbst, wie ein synthetischer Satz apriori, der auf keiner Intuition, weder einer reinen noch einer empirischen gründet.“ (P. 51; R.142). Im moralischen Gebot, wie wir es in der Tiefe unseres Bewusstseins entspringen fühlen, findet sich das Absolute des Imperativs also eng verknüpft mit der Universalität des Gesetzes. Notwendigkeit und Universalität, in der praktischen Ordnung eben so gut wie in der theoretischen Ordnung, sind streng korrelative (wechselseitige) Charaktere. Vom rein formartigen, apriorischen und absoluten Aspekt des moralischen Gesetzes leitet sich unmittelbar ein Corollarium von erster Wichtigkeit ab: die Autonomie der praktischen Vernunft. (Vgl. P. 55; R.145). Das bestimmende Prinzip der moralischen Haltung muss spontan (unaufgefordert) aufgehen aus dem Zentrum der praktischen Vernunft selbst. Nehmen wir an, in der Tat, dass das moralische Wollen als solches von einer der Vernunft selbst äußerlichen Bedingung abhängt, mit anderen Worten, setzen wir den moralischen Willen als heteronom voraus: dann müsste also die moralische Verpflichtung sich verschmelzen, wenigstens teilweise, entweder mit der Notwendigkeit, ein objektives213 213 Die von Kant verkündete komplette Trennung zwischen der endgültigen (finalen) Kausalität und der autonomen moralischen Bestimmung des Willens hängt offensichtlich von Schlüssen der Kritik der spekulativen Vernunft ab, die der menschlichen Intelligenz jedes transzendente Objekt absprechen und infolgedessen auch dem Willen jede unmittelbare Verfolgung eines gleichartigen Objektes als Ziel. Aber sind diese Schlüsse unwiderruflich? Wir werden das in den nächsten Heften diskutieren. Ziel zu erreichen, oder mit dem durch dem Willen fremde Neigungen ausge- 212 K.1 Prüfung der „Kritik der praktischen Vernunft“ übten Zwang; es müsste also die Materie des Wollens selbst, welche nur das Objekt des Wunsches sein könnte, der mit dem Gesetz verbunden ist, sich einmischen in das praktische Gesetz wie eine Bedingung der Möglichkeit dieses Gesetzes“ (P. 55; R.145). Das moralische Gesetz als solches würde aufhören, unbedingt zu sein, und würde auf den Rang einer Maxime oder einer partikulären Vorschrift abfallen. §4. – Die Bedingung apriori des moralischen Gesetzes: die Freiheit. 216 Die Autonomie der moralischen Bestimmung als solche, die ausdrücklich festgestellt wird, erlaubt uns, in einen der spekulativen Vernunft verschlossenen Bereich rechtmäßig einzudringen. Denn ebenso ausdrücklich, wie es auf den ersten Blick erscheint, sagt Autonomie Autolegislation, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit gegenüber dem empirischen Gesetz der Kausalität, mit einem Wort: Freiheit. (vergl. P. 46 ff.; R. 138 ff.) Die spekulative Vernunft stellte ausdrücklich einen problematischen Begriff der Freiheit auf, aber sie hatte kein Mittel, dessen Voraussetzung objektiv zu prüfen. Nun aber trifft jetzt diese „problematische freie Kausalität“, einfaches negatives Noumenon“ auf die moralische Handlung, in der diese (problematische freie Kausalität) als ihre unmittelbarste Bedingung impliziert ist. „Die spekulative Vernunft gewinnt dabei nicht, in Wahrheit, eine erweiterte Sicht, aber sie gewinnt dort hinsichtlich dessen was die Garantie ihres problematischen Begriffs der Freiheit betrifft, der hier eine objektive Wirklichkeit erhält“. (P. 83; R.165) „Die Freiheit und das unbedingte praktische Gesetz implizieren sich einander“. (P 47; R 140) „Die Freiheit ist die ratio essendi des moralischen Gesetzes, aber das moralische Gesetz ist die ratio cognoscendi der Freiheit (P 3, und vgl. 47, 48; R 106 und vgl. 140-141). Das eine uns das andere bietet also unserer Vernunft den objektiven Wert einer metempirischen, völlig a priori gesetzten Tatsache. Trotz alledem besteht ein Zweifel fort. Diese Freiheit, das heißt diese Unabhängigkeit gegenüber der empirischen Kausalität ist sie nicht Definitions gemäß ganz abgeschnitten von der Handlung, da diese letztere sich entwickelt im Reich der objektiven Ziele? Eine unfruchtbare und unwirksam Freiheit, ist sie nicht ganz trügerisch (illusorisch)? Der Einwand kommt ganz und gar aus der Konfusion, die schon oben angezeigt wurde, die uns den moralischen Charakter und also auch die Freiheit, auf die äußeren Verlängerungen der Handlung, das heißt auf die objektive Erzeugung von „Wirkungen“ zurückbeziehen lässt. Zweifellos dem Ausdruck Kants zufolge ist diese Wirksamkeit „physisch bedingt“ (P. 51; R.142) und fällt also 213 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls 217 in den Rahmen des empirischen Determinismus: Sie ist weder eine moralische Handlung noch eine freie Handlung. Aber die metempirische Ausübung der Freiheit, obwohl sie im aktiven Subjekt immanent bleibt, lässt nichts anderes zu als dass sie reell ist. Die freie Handlung, deren Wirklichkeit uns vom moralischen Bewusstsein gewährleistet ist, besteht – und dies ist viel – in dieser Selbstbestimmung eines Willens, der, indem er für sich selbst ein unbedingtes Gebot setzt, mit demselben Schlag seine unbedingte Fähigkeit aussagt, sich darin anzugleichen. Ein von Kant entlehntes Beispiel wird uns in der Erfahrung selbst eine Bestätigung der vorausgehenden Ableitung zeigen. „Nehmen wir an, dass jemand behauptet, indem er von seinem Hang zum Vergnügen spricht, dass es für ihn völlig unmöglich ist, zu widerstehen, wenn sich das geliebte Objekt und die Gelegenheit zeigt: wenn vor dem Haus, wo er auf diese Gelegenheit trifft, ein Galgen aufgerichtet wäre, um ihn da sofort festzubinden, sobald er seine Leidenschaft befriedigt hätte, würde er nicht über seinen Hang triumphieren? Man muss nicht lange nach dem suchen, was er antworten würde. Aber frage ihn, ob in den Fällen, wo sein Fürst (Prinz) ihm befehlen würde, indem er ihn mit einem unmittelbaren Tod bedroht, eine falsche Zeugenaussage zu machen. Er würde es für möglich halten, seine Liebe für das Leben zu besiegen, wie groß sie auch sein könnte. Er wird vielleicht nicht wagen, zu versichern, dass er es machen würde oder nicht machen würde, aber er wird zustimmen, ohne zu zögern, dass ihm das möglich ist. Er urteilt also, dass er eine Sache machen kann, weil er das Bewusstsein hat, dass er sie machen soll, und er erkennt so in ihm selbst die Freiheit, die ohne das moralische Gesetz ihm unbekannt geblieben wäre“. (P. 49-50; R.141) Dieses Beispiel gibt eine typische Illustration der berühmten Maxime: „Du kannst, denn du sollst“ (Schiller). Der moralische Imperativ hat keinen Sinn außerhalb der Freiheit der freiwilligen Bestimmung: es ist also nichts Erstaunliches, dass die Anerkennung der „Pflicht“ beim Menschen immer die Überzeugung des „Könnens“ mit sich bringt. Um vollständig zu sein, sollte man hier mehr im Detail das „moralische Gefühl“ analysieren und die psychologische Veränderlichkeit der freien Handlung. Die Entwicklungen durch Kant dem negativen Gefühl von „Demütigung“ der Neigungen gewidmet und dem korrelativen Gefühl des Respekts für das moralische Gesetz, würden uns wohl über das Ziel dieser summarischen Behandlung hinaus führen. Sie würden uns übrigens drängen, auf verschiedenen Wegen, zum fundamentalen Geheimnis, das die Anwendungen des moralischen Imperativs auf konkrete Handlungen enthalten (recelent). Denn schlussendlich erscheint der kategorische Imperativ in unserem Bewusstsein nur als die Form der moralischen Gebote (Vorschriften), uns solche oder solche Art von konkreter Tätigkeit einschärfend. Nun aber entwickelt sich diese Tätigkeit notwendig in der Ordnung der Ziele, beherrscht von der Liebe zu sich selbst, durch die Suche des persönlichen Glücks (Heiles). An der Handlung der 214 K.1 Prüfung der „Kritik der praktischen Vernunft“ 218 reinen praktischen Vernunft, die die Form der moralischen Gesetze bestimmt, haftet, wohl oder übel (ob man will oder nicht) eine Materie. Wenn man das adäquate Objekt des moralischen Willens das „höchste Gut“ nennt, das heißt das absolut objektive und universale Gut worunter sie sich die Verwirklichung oder die Verfolgung vorstellt (P. 199; R.244) muss man erkennen, dass die progressive Verwirklichung des höchsten Gutes sich wohl nicht verwirklichen kann außerhalb der Wege unserer persönlichen Zweckbestimmtheit: nun aber ist das überhaupt nicht moralisch, da es das „Glück“ (bonheur) zum Ziel hat. Man sieht also eine Antinomie hervorbrechen, die an die der spekulativen Vernunft erinnert: die Antinomie vom Glück und der Moralität (Sittlichkeit). (vergl. P. 207; R.250) Die Verwirklichung des höchsten Gutes, auferlegt unserem Willen, würde die Vereinigung (Union) verlangen von zwei Elementen, die unvereinbar erscheinen: die höchste Tugend und das höchste Glück, die höchste Uninteressiertheit (Indifferenz) und das höchste Interesse, das allgemeine Ziel und das persönliche Ziel. Wie ist diese Antinomie der praktischen Vernunft aufzulösen? - §5. . Die „Postulate“ des moralischen Imperativs Da, sagt Kant, „die Tugend und das Glück als notwendig vereinigt verstanden werden, so dass das eine von der reinen praktischen Vernunft nicht zugelassen werden kann ohne dass das andere sich nicht auch ergäbe“ (P. 207; R.250),.. „muss also [scheint es], entweder der Wunsch nach Glück der Beweggrund der Maximen der Tugend sein, oder die Maxime der Tugend die Wirkursache des Glücks“. (lbid.) Nun stößt aber das eine und das andere Glied der Alternative auf eine Unmöglichkeit: der egoistische Wunsch nach Glück kann die Tugend nicht begründen, und auf der anderen Seite sind die moralischen Absichten der Tugend von sich her keine effiziente Ursache in der physischen Ordnung, wo sich das Glück verwirklicht. Muss man also das moralische Gesetz als Illusion verurteilen, das sich uns doch auferlegt und uns antreibt? Wenn man das zweite Glied der Alternative untersucht, das wir gerade angeführt haben, wird man erkennen, dass es eine Ausflucht fortbestehen lässt. Zweifellos, wenn wir uns darauf beschränkten, das moralische Gesetz im endlichen und bedingten Handelnden zu betrachten, der es erfüllt, würde es uns nicht das Geringste Prinzip bieten für [= das uns versichern konnte] eine notwendige Verbindung zwischen der Sittlichkeit und dem Glück. Indessen, in der notwendigen Verfolgung des höchsten Gutes postuliert man einen solchen Zusammenhang als notwendig: wir müssen suchen das höchste Gut zu verwirklichen (das also möglich sein muss). So postuliert man auch die Existenz einer Ursache der ganzen Natur, verschieden von der Natur, und das 215 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls Prinzip dieser Verbindung enthaltend, das heißt von der exakten Harmonie vom Glück und der Sittlichkeit. Das höchste Gut ist also nur möglich in der Welt, wenn und insofern man zulässt eine höchste Ursache der Natur, die eine Ursächlichkeit hätte, die übereinstimmend ist mit der moralischen Absicht“. (P. 227-228; R.265) Eine solche Ursache – die an der ganzen Natur handelt „entsprechend der (Vor-)Darstellung der Gesetze“ – muss Intelligenz und Wille sein: sie antwortet auf den Begriff von Gott.214 214 Gott, Postulat der praktischen Vernunft, ist genau die ontologische Wirklichkeit, die dem Ideal der theoretischen Vernunft entspricht: in der Tat um die ganze Vermittlung (Versöhnung) der moralischen Ordnung und der Ordnung der Ziele zu erreichen, kann Gott nicht weniger sein als „das absolute Prinzip aller Möglichkeit“. 219 die Existenz Gottes ist uns also als ein Postulat des moralischen Imperativs gegeben. Das ist nicht alles. Die Verwirklichung des höchsten Gutes lässt sich nicht trennen von der „moralische Heiligkeit“ (P. 222; R.261). Diese Heiligkeit ist durch die Tatsache des kategorischen Imperativs „gefordert als praktisch notwendig“ (Ebenda).) und muss also möglich sein. Auf der anderen Seite konstituiert (begründet) sie eine „Vollkommenheit, deren in keinem Augenblick seiner Existenz irgendein vernünftiges Seiendes der Sinnen-Welt fähig ist“. (Ebenda.) Infolgedessen „kann man ihr nur begegnen in einem Fortschreiten auf das Unabsehbare in Richtung auf diese vollkommene Entsprechung (Konformität)“. (P. 223; R.261) Es muss, um unsere moralische Bestimmung zu erfüllen, so sein, dass das „Unendliche, für das die Bedingung der Zeit nichts ist, in dieser Reihe, die für uns ohne Ende ist, eine vollständige Entsprechung mit dem moralischen Gesetz sieht. (P. 224; R. 262-263): Keine endliche Reihe könnte in der Tat für diese totalisierende (zusammenfassende) göttliche Intuition die erforderliche Fülle von Heiligkeit anbieten“. Aber, fährt Kant weiter, dieser unabsehbare Fortschritt ist nur möglich in der Annahme einer Existenz und einer Persönlichkeit des vernünftigen Seins, das unbegrenzt beharrt (das, was man die Unsterblichkeit der Seele nennt). Also das höchste Gut ist praktisch nur möglich in der Annahme der Unsterblichkeit der Seele; infolgedessen ist diese, als untrennbar verbunden mit dem moralischen Gesetz, ein Postulat der praktischen reinen Vernunft“. (P. 223; R.262) §6. – Epistemologische Geltung der Postulate. Hier sind wir also, Kant zufolge (P. 240 ff.; R. 274 sqq.), im Besitz von drei großen Postulaten der praktischen Vernunft: der Freiheit (das heißt der intelligiblen Kausalität) des moralischen Subjekts, seiner Unsterblichkeit (das heißt seine Dauer und also auch seiner Substantialität, als freier Handelnder) und schließlich der Existenz Gottes (mit den Attributen, die gerade aus den 216 K.1 Prüfung der „Kritik der praktischen Vernunft“ 220 Bedingungen sich ergeben, aus denen sie postuliert ist: Ewigkeit, Allmacht, Allgegenwart, etc.) Warum nennt Kant diese theoretischen Begriffe „Postulate“? Ein Postulat ist für ihn wesentlich ein theoretisches Element, impliziert in einer Handlung. Das theoretische postulierte Element trägt nicht die objektive Garantie einer Intuition: sonst wäre sie mehr als ein Postulat; auf der anderen Seite, muss es wenigstens den spekulativen Wert eines negativen Noumenons (eines „problematischen Objekts“) haben und so auf einen „Bedarf“ der Vernunft antworten: sonst wäre sein theoretischer Wert null und nichtig. Das „Postulat“ entsteht aus der Koinzidenz eines (hypothetischen) Bedürfnisses der spekulativen Vernunft mit einer (Absoluten) Forderung der praktischen Vernunft . „Ein Bedarf der reinen Vernunft in ihrem spekulativen Gebrauch führt nur auf Hypothesen, der Bedarf der reinen praktischen Vernunft führt zu Postulate“. (P. 257; R.287) Aber dies verlangt noch eine Erläuterung. Denn endgültig ist das, was wirklich Objektivität und Absolutheit in den praktischen Gebrauch der Vernunft einführt, eine apriori geforderte Handlung, es ist die Vollendung eines absoluten Imperativs: Jede Handlung schafft in der Tat „Existenz“ und setzt rein und einfach ihr Formalobjekt: wenn die Handlung apriori gefordert wird, ist die Möglichkeit ihres Formal-Objektes also implizit ausgesagt gerade in der Forderung: der objektive Wert dieser „Möglichkeit“ ist von der gleichen Ordnung wie das apriori des absoluten Imperativs. Aber der kategorische Imperativ, der von der Form her eine Handlung fordert, beruht nicht direkt auf der Aussage der Postulate, das heißt auf dem Glauben an theoretische Voraussetzungen entweder des Gebots selbst oder des gebotenen Ziels (Absicht). Die Quelle und die Garantie dieses Glaubens können also nicht einzig auf den moralischen Imperativ als solchem zurückgehen. Kant hat diese Schwierigkeit bemerkt. In der Tat, erklärt er, ist „die moralische Notwendigkeit [der Postulate] subjektiv, das heißt [ist] ein Bedarf, und nicht objektiv, das heißt dass sie nicht als sie selbst eine Pflicht ist“. (P. 229; R.266) „Das Gute zu tun“, solcher Art ist das objektive Gesetz der Pflicht; an die theoretische Möglichkeit des Guten zu glauben „solches ist infolgedessen das subjektive Bedürfnis der Vernunft: vor der Tatsache des moralischen Gesetzes, hat sie keine andere mögliche Haltung, „aber diese Unmöglichkeit ist einfach subjektiv“. (P. 263; R.291, Hinsichtlich der „Weise in der man sich die Möglichkeit [des Guten] vorstellen muss, kann die Vernunft [nicht mehr] objektiv entscheiden“ alles, was sie darüber sagen kann, ist, dass sie nicht die Wahl hat, und dass sie die einzige für sie theoretisch mögliche Weise adoptiert, sich die exakte Harmonie des Reichs der Natur und des Reichs der Sitten vorzustellen, als Bedingung der Möglichkeit des höchsten Guts“. (P. 264 ; R.292) Das „assertorische“ Urteil, durch das wir die Postulate aussagen, gründet 217 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls sich also unmittelbar auf einem „Bedarf“ der spekulativen Vernunft, und ist in diesem Sinn subjektiv; aber gleichzeitig erscheint es uns als das einzige Mittel unsere theoretische rationale Haltung an die objektive – obligatorische – Verwirklichung dem höchsten Gut gegenüber anzupassen: in diesem Sinn kann man sagen, dass der Glaube an die Postulate ein „reiner praktischer 221 Glaube der Vernunft“ ist. (P. 264; R.292) „Dieser Glaube ist also [eigentlich gesprochen] nicht befohlen, aber er leitet sich ab von der gleichen moralischen Absicht wie eine freie Bestimmung unseres Urteils, nützliche [Bestimmung] im moralischen Gesichtspunkt (die uns befohlen wird) und sich darüber hinaus mit dem theoretischen Bedarf unserer Vernunft einigend “. (P.264, 265 R.292) mit anderen Worten wird dieser Glaube bei der Verwirklichung des höchsten Gutes eine praktische Bedingung der Möglichkeit“. (P. 246; R.279) Die Postulate, ohne in sich die essentiellen Bedingungen eines „Objektes“ zu vereinigen, empfangen doch kraft einer unausweichlichen objektiven Notwendigkeit, nämlich der vom erfüllen „Müssen“, eine indirekte und geliehene Objektivität, (P. 240; R.279) das, was einzig den objektiven Bedingungen zukommt, unter welchen unsere Vernunft in der Tat die Pflichterfüllung für möglich beurteilen könnte. Unter der Objektivität der Postulate selbst bleibt ein Teil der Subjektivität latent (verborgen). Die Bemerkungen, über die wir gerade berichten erlauben es, festzusetzen, noch klipp und klarer als vorher, den Sinn eines sehr wichtigen kritischen Ausdrucks. Die transzendentalen Ideen, sagt Kant, [Rückübersetzung] „werden hier [original Kant] ...Hier werden sie imimmanent und konstitutiv, weil manent und konstitutiv, indem sie Grünsie die Prinzipien der Möglichkeit de der Möglichkeit sind, das, notwendige sind, das notwendige Objekt der rei- Objekt der reinen praktischen Vernunft nen praktischen Vernunft zu realisie- (das höchste Gut) wirklich zu machen, da ren, (das höchste Gut), während sie sie, ohne dies, transzendent und bloß reohnedies transzendente und einfach gulative Prinzipien der spekulativen Verregulierende Prinzipien der speku- nunft sind, die ihr nicht ein neues Objekt lativen Vernunft sind, die ihr nicht ein über die Erfahrung hinaus anzunehmen, neues Objekt hinzugeben lässt, über sondern nur ihren Gebrauch in der Erdas der Erfahrung hinaus, sondern ihr fahrung der Vollständigkeit zu näheren, nur erlauben, sich vollkommener in auferlegen. der Erfahrung anzuwenden."(P. 246; R.279).215 215 Wir glauben, die Übersetzung von M. Picavet in den letzten Wörtern von diesem Zitat modifizieren zu können: der Originaltext toleriert zwei Versionen, getrennt durch eine leichte Nuance. Die transzendentalen Ideen, Postulate des kategorischen Imperativs, sind also wirklich, Kant zufolge, „Konstitutive des notwendigen Objekts der reinen 218 K.1 Prüfung der „Kritik der praktischen Vernunft“ praktischen Vernunft“, weil sie zu den „Prinzipien der Möglichkeit“ zählen die diesem obligatorischen Objekt innerlich sind. Es wird gut sein nicht aus der Sicht zu verlieren den kantschen Begriff eines „konstitutiven Elements“ des Objektes“ auf den wir mehr als ein Mal zurückkommen müssen. (Vgl. auch die Schlussfolgerungen dieses Heftes.) 219 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls KAPITEL 2. Prüfung der „Kritik der Urteilskraft“. 222 §1. – Der Gegensatz und die Vereinigung der zwei Bereiche der (theoretischen und praktischen) Vernunft. 216 216 Vgl. R. Einleitung, I und Einleitung II, pp. 8-14. Ba. I. 11 -21. In diesem Kapitel bezeichnet der Buchstabe R die Ausgabe Rosenkranz, Band 4. Das Kürzel Ba, die französische Übersetzung der „Kritik der Urteilskraft“, durch J.Barni, 2 Bände. Paris 1846). 223 Die zwei ersten Kritiken haben uns den Schlüssel der zwei großen Bereiche der reinen Vernunft geliefert: des theoretischen Bereichs und des praktischen Bereichs. Der theoretische Bereich, der der Wissenschaft,die sich ganz und gar auf die objektive Synthese der Phänomene mit den Kategorien bezieht, umfasste ausschließlich die sinnenhaften Dinge, die „Natur“. Dies ist der Bereich der empirischen Kausalität. Der praktische Bereich bot sich unserer Betätigung als eine Ordnung metasensibler Ziele an, „postuliert“ gerade durch die Form Gesetze der Moral, und beherrscht vom letzten Ziel, dem absoluten Ziel. Dies ist der Bereich der freien Kausalität. Unser Wille, der als zweckgerichtete Fakultät betrachtet wird, bewahrt gleichzeitig Kontakt mit diesen zwei Bereichen. Er macht die Besonderheit geltend, entsprechend den Begriffen, das heißt, in der Terminologie von Kant, mit Zweckbestimmtheit (Finalität) zu handeln. Diese Begriffe, die ihn bestimmen, können von zwei Arten sein: entweder Begriffe von empirischen Objekten (Natur-Begriffe), oder von moralischen Begriffen (Freiheitsbegriffe) (R. 89. Ba, I. 11 -12). Im ersten Fall ist das Ziel, das durch unseren Willen verfolgt wird, von technischer Ordnung (technisch-praktisch), und die Regeln unserer Handlung entspringen dem experimentellen und theoretischen Bereich der Vernunft, für die Wissenschaft, als einfache praktische Corollarien (Folgen) der Anwendungen (R. 10-11. Ba. I. 13 -14). Im zweiten Fall überschreitet das durch unseren Willen gestellte Ziel den experimentellen und theoretischen Bereich, es ist absolut an sich, noumenal, rein praktisch (moralischpraktisch); und die Handlungsregel, die uns dort bindet, die Pflicht, postuliert, um einen rationalen Sinn anzunehmen, die Existenz von Wirklichkeiten, die höher sind als die Grenzen und Einschränkungen der Natur. Zwischen diesen zwei Arten von Zielen, die sich unser Streben des Willens vornimmt, oder sagen wir kürzer: zwischen dem theoretischen Bereich und dem moralischen Bereich der Vernunft, ist die Grenzlinie klar gezogen; kein gemeinsamer Begriff, kein Übergriff eines Formal-Objekts weder im einen Sinn noch 220 K.2 Prüfung der Kritik der Urteilskraft im anderen; denn transzendierendes Objekt und empirisches Objekt, Freiheit und kausaler Determinismus, moralische Pflicht und physische Notwendigkeit, stehen sich widersprechend (kontradiktorisch) gegenüber. (R. 14. Ba. I.19) Dennoch mangels direkter gegenseitiger Überschneidung muss es wohl so sein, dass diese zwei Bereiche auf irgendeine Weise verbunden sind; dem Ausdruck von Kant zufolge, muss wohl über den Abgrund, der sie trennt, irgendeine Brücke geschlagen werden. (R. 14, und R 37. Ba. I.20. 55) In der Tat ist es ein einziges und gleiches Bewusstsein, aus dem der theoretische und praktische Gebrauch der Vernunft hervorgeht: es ist das gleiche Subjekt, das empirisch die Natur erkennt und das sich verpflichtet, das letzte Ziel der moralischen Ordnung zu realisieren. Und noch mehr: diese „subjektive Einheit“ der Natur und der Sittlichkeit wird verstärkt durch eine „finale Einheit“ der Unterordnung; denn endgültig ist die „Materie“ des kategorischen Imperativs, d.h. die Mittel, das „moralische Ziel“ zu realisieren, genau diese „technischen Ziele“, die unser Wille in der Natur verfolgt: „der empirische Mensch ist der Gesetzgebung des rationalen Menschen unterworfen“, sagt Kant. Also wenigstens dass alle Sittlichkeit nicht vergeblich ist, besteht kein Zweifel, dass nicht zwischen dem rein theoretischen Gebrauch und dem rein praktischen Gebrauch der Vernunft, ein Verbindungsglied existiert, ein dazwischenliegender Ring, der dem menschlichen Subjekt erlaubt, diesen doppelten Gebrauch seiner Fakultäten zu harmonisieren. (R. 4 und 14. Ba. I. 4,20) §2. . Die Vermittlung der „Fakultät zu urteilen“ (der Urteilskraft). 217 217 224 Cf. R. Einleitung, III. 14-17. Ba. I. 21 -26. Meiner Einl.III Von daher müssen wir versuchen, unter den psychologischen Tätigkeiten des Menschen dieses eingeschobene Kettenglied zu unterscheiden. Zwischen unseren zwei großen spekulativen Fakultäten, zwischen dem Verstand, der konstitutiven Fähigkeit der Begriffe und der Vernunft, der schöpferischen Fähigkeit der transzendentalen Ideen vermittelt eine dritte Fakultät, die Kant bis dahin noch gar nicht besonders berücksichtigt hat, das Wissen um die Fakultät, die Begriffe in den Urteilen anzuwenden, die Fakultät zu urteilen, (Urteilskraft). Von einer anderen Seite, wenn wir im Allgemeinen die Fakultäten der Erkenntnis vergleichen mit den Fakultäten des Strebe-Vermögens, treffen wir dort ebenso auf halbem Wege von der einen zu der anderen auf eine dazwischenliegende Fakultät: die, welche das Gefühl von Vergnügen und Missfallen steuert, (Gefühl der Lust und Unlust). 221 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls Aber die „apriorische Regel“ der (objektiv) erkennenden Fakultät, sitzt im Verstand; die „apriorische Regel“ vom höheren oder rationalen Streben (die allein hier von Bedeutung ist), hat ihren Sitz in der Vernunft. Es liegt also Veranlassung vor, zu vermuten, dass die Parallelität der äußersten GrenzAusdrücke (Erkenntnis - Verstand; Wille - Vernunft) sich auch erstreckt auf die dazwischenliegenden Fakultäten, das heißt, dass die „Fakultät zu urteilen“ ) zwischen dem Verstand und der Vernunft, zu ihrem Teil ein „apriorisches Prinzip“ enthält, nämlich irgendwie verbunden ist mit dem “Gefühl von Vergnügen oder von Schmerz“, das zwischen die reine Erkenntnis und das reine Erstreben eingefügt ist. Eine aufmerksame Kritik der „Fakultät, zu urteilen“ drängt sich also auf, deren Auswirkung die Entdeckung der „apriorischen Regel“ der Ausübung und der Beziehung zum Gefühl wäre. (R. 17. Ba. I.25) §3. – Die „formartige Finalität“, apriorisches Prinzip der Fakultät zu urteilen. 218 218 225 Vgl. R. Einleitung, IV, V, 17-26. Ba. I. 26 -39. Meiner Einl.IV Meiner Einl.V Äuf eine allgemeine Weise ist die Fakultät, zu urteilen, die Kraft (Fähigkeit), das Partikuläre als unter dem Allgemeinen enthalten zu denken“. (R. 17. Ba. I.26 Meiner Einl.IV) Es kann sein, dass wenn das Allgemeine im Voraus gegeben ist, die Urteilsfunktion sich darauf beschränkt, das Partikuläre unter sich zu „subsumieren“. In diesem Fall wird man sie die „bestimmende“ Fakultät zu urteilen nennen. Solcher Art ist ihre Rolle in der Anwendung der Kategorien auf die SinnesPhänomene: das synthetische Urteil apriori „bestimmt objektiv“ die Phänomene, indem es sie subsumiert unter die Kategorien des Verstandes. Aber es ist auch möglich, dass das Partikuläre allein gegeben ist und dass es sich genau darum handelt, für es ein Universale zu finden, einen übergeordneten Begriff. Man würde also sagen, dass die Fakultät, zu urteilen, reflektierend ist, denn sie müsste, da sie schon das Partikuläre als Objekt kennt, darin oder dazu durch Überlegung (Reflexion) das erforderliche Universale entdecken. Wir kommen nicht auf den „bestimmenden“ Gebrauch der Fakultät zu urteilen zurück, da er sich vermischt mit der synthetischen Funktion des Verstandes, die wir schon studiert haben in der Kritik des reinen Vernunft. Hingegen könnten wir uns mit gutem Recht hier fragen, wie weit die Fakultät zu urteilen einem „reflektierenden“ Gebrauch zugänglich ist. Kant lässt uns durch eine sehr einfache Überlegung den äußerst großen Teil, den das reflektierende Urteil in unserer Konzeption der Natur einnimmt, mit 222 K.2 Prüfung der Kritik der Urteilskraft 226 dem Finger berühren. (Für alles, was folgt, vgl. R. 14, R 21-23, R 23-25. Ba. I. 26, 31-35, 36-39) Es fehlt viel daran, dass der Verstand allein genügte, uns von der Welt ein befriedigendes Gemälde zu zeichnen. Was lehrt uns in der Tat die einfache Anwendung der Kategorien auf empirische Daten? Sie bringt uns bei, dass jedes Element der Daten den allgemeinen Bedingungen unterworfen ist (Quantität, Kausalität, Reziprozität usw.) die selbst die Möglichkeit von jedem Objekt der Natur beherrschen. Aber, außerhalb dieser allgemeinen Attribute, präsentiert unsere direkte Erkenntnis uns nur eine konkrete, wirre (konfuse) und auswechselbare Vielfalt von Phänomenen, deren Klassifizierung und Verkettung auf das Apriori des Verstandes keinen Eindruck mehr macht. Es seien A, B, C.. Phänomene: das, was ich davon a priori weiß, das ist nicht mehr oder weniger das, was ich a priori von anderen, qualitativ verschiedenen Phänomene M, N, Ô.. weiß, das heißt dass die einen und die anderen den allgemeinen Prinzipien der Erfahrung gehorchen, die uns die Kategorien auferlegen. (siehe weiter oben, Buch III, Kap. 4 §3) Aber zum Beispiel dass die Materie von dem einen gegebenen Begriff A und B sein muss eher als A und C oder eine solche komplexe Verbindung von Phänomenen AM-BN eher als eine solche andere AR-CS; dass die Materie eines gegebenen Begriffes der Substanz ABC sein muss eher als ABM oder eher als AMR ; kurz dass der qualitative Entwurf des Inhalts jedes Begriffs nicht nur tatsächlich so ist sondern so sein muss eher als dieser andere, wie könnte ich das wissen, sei es a posteriori, denn die Erfahrung liefert mir die aktuelle Tatsache und nicht die Notwendigkeit der Tatsache, sei es a priori da die Formen meines Verstandes in keiner Weise das qualitative Modell der empirischen Daten als solche im Voraus enthalten? Kraft des Verstandes allein besitze ich also: einerseits Bestimmungen apriori die mich lehren, welchen allgemeinen Gesetzen jede Erfahrung gehorcht; auf der anderen Seite eine vielfältige Masse von empirischen mehr oder weniger komplexen, mehr oder weniger konstanten Bestimmungen, deren konkrete Formen der Gruppierung an keiner apriorischen Notwendigkeit teilnehmen und so radikal „kontingent“ (zufällig) bleiben. (R. 22. Ba. I.34) Beschränkt unser Geist dort sein Streben? Passt er sich an an diese Lücke, die zwischen den kategorialen Bestimmungen und der zufälligen Vielfalt von empirischen Formen klafft? In der Tat wird zwischen den höchsten (souveränen) Prinzipien der „Natur im Allgemeinen“ und der heterogenen Vielfalt der konkreten Phänomene eine unermessliche und mehrfach Brücke geschlagen: nämlich das System der partikulären induktiven Gesetze, derjenigen, die das Detail von wechselnder Gestalt der Erfahrung synthetisieren (zusammenfassen?) und hierarchisch organisieren den Gattungen und den Arten entsprechend. (R. 23-24. Ba. I. 34 -38) Wie sind dergleichen empirische Gesetze – notwendig und allgemein, wenigstens in ihrer subjektiven Formulierung – möglich? 223 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls 227 Hier erscheint in vollem Tageslicht die „reflektierende“ (nachdenkende) Funktion des Urteils. Die induktiven Gesetze, die empirische Gruppierungen von Phänomenen ausdrücken, würden nicht wissen, wie man eine Universalität behauptet es sei denn kraft eines apriorischen Prinzips. Aber welches Prinzip hat die Kraft, die qualitative Vielfalt der Erfahrung unter modellhaften Einheiten von mehr und mehr Allgemeinheit zusammenzubringen, um auf diese Weise ein umfassendes (verständiges) System von Gattungen und Arten zu organisieren? Die Kategorien genügen dafür nicht, weder tatsächlich, noch zu Recht: sie steigen nicht tief genug herunter zu den „Gegebenheiten“ (Daten). Bleibt nur, unter den Prinzipien apriori, als das leitende Prinzip der Handlung, das Prinzip der Zweckbestimmtheit (Finalität): aber mit welchem Recht kann man sich hier darauf berufen, und in welchem Sinn? Die „praktische Vernunft“ hat in uns ein letztes Ziel entdeckt, ein absolutes Ziel, (das höchste Gut), dem gegenüber wir die Verpflichtung haben, es zu verwirklichen durch die Entsprechung unserer empirischen Handlung mit dem Gesetz unserer Freiheit. Zu akzeptieren, wie wir es müssen, dieses letzte Ziel, das ist, zuzugeben, mit demselben Schlag, zwischen unseren Fakultäten und der Welt der Phänomene, das Maß der Korrespondenz, das vorausgehendes Einverständnis, das eine effiziente Verfolgung des letzten Ziels erlaubt. Dieses vorausgehende Einverständnis wird verstanden notwendigerweise als die Wirkung einer ordnenden Intelligenz, die die Bildung der Dinge den aktiven Bedürfnissen unserer praktischen Vernunft angepasst hätte. (Vgl. R. 18 und R 36-37. Ba. I. 28-29, 55-57). Unter dem Gesichtspunkt dieser höchsten Intelligenz würden also die Dinge der Natur in ihrer Weise zu sein genauso vielen partiellen Zielen entsprechen, untergeordnet der Verwirklichung des letzten Zieles, die uns obliegt. . So drängt sich unserem reflektierenden Denken die Anwesenheit einer Teleologie in der Natur, oder, wie man es auch nennen kann, Kant zufolge, einer formartigen Zweckbestimmtheit (formalen Finalität) (formellen Zweckmäßigkeit) auf, das heißt alles in allem von einer geordneten und hierarchischen Anpassung der Phänomene an die zweckmäßige Einheit der reinen ptaktischen Vernunft. (Siehe auch am Ende der Kritik der Urteilskraft, die Methodik, z.B. R. 357-358. Ba. I. 175 -177) Man sieht mühelos, dass dieses „Prinzip einer formalen Zweckbestimmtheit der Natur“ (R. 19. Ba. I.30) ein Prinzip der Spezifizierung der Dinge einschließt (R. 25. Ba. I.38): denn die Dinge ordnen sich und passen sich an unsere Handlung an, nicht genau ihren individuellen Formen – unendlich verschieden und variabel (veränderlich) – zufolge aber ihren spezifischen und Gattungs- Formen zufolge, einer Stufenleiter der Gattungen und der Arten entsprechend. Die bewusste Anwendung des Prinzips der Finalität auf empirische Objekte geschieht in einem Urteil. Die Fakultät zu urteilen, ist dabei nicht „bestim- 224 K.2 Prüfung der Kritik der Urteilskraft mend“, sie konstituiert da nicht, eigentlich gesprochen, neue Objekte: die Phänomene wurden ihr präsentiert, schon auf „Objekte“ reduziert; ihre ganze Rolle beschränkt sich darauf, sekundär und reflex, auf diese Objekte das allgemeine Prinzip der Finalität zu projizieren. Dieses begründet also wohl eine „apriorische Regel“ für den reflektierenden Gebrauch der Fakultät zu urteilen. §4. – Die „Urteilskraft“ und das Gefühl. 219 219 228 vgl. R. Einleitung, VI. 26-28 und VIII. 29-33. Ba. I. 39 -49. Bevor wir die Anwendung des Prinzips der Zweckbestimmtheit auf Objekte weiter präzisieren, empfiehlt es sich, das Band zu studieren, das die Fakultät zu urteilen mit dem Gefühl verbindet. "Die Erreichung jeder Absicht ist immer begleitet von einem Gefühl der Freude (Lust, Vergnügen); und wenn die bestimmende Bedingung von diesem Erlangen eine apriorische Vorstellung ist, findet sich das Gefühl der Lust also auch apriorisch begründet und allgemein gültig“. (R. 27. Ba. I. 40 -41) Nun aber stellt man fest, dass die „bestimmende“ Übung der Fakultät zu urteilen, kein affektives Echo entfacht; ohnehin darf sie es nicht entfachen, da sie kraft einer „Aktivität der Natur“ und nicht durch Absicht geschieht. (R. 27. Ba. I.41) Im Gegenteil, die reflektierte Ausübung der Fakultät zu urteilen, die sich entwickelt übereinstimmend mit einem ausdrücklichem Ziel (Ziel gleichzeitig theoretisch: die rationale Einheit, und praktisch: das moralische Gut) realisiert die für die Entstehung eines Gefühls des Vergnügens unerlässliche Bedingung. Und da die nachdenkende (reflektierende) Tätigkeit der Fakultät zu urteilen sich entfaltet unter dem Einfluss eines „apriorischen Prinzips“, muss wohl auch das entsprechende Gefühl des Vergnügens das Niveau einer rein zufälligen Befriedigung überschreiten und drückt so die Forderungen einer allgemeinen Gültigkeit aus. Gibt es unter den Gefühlen, die wir empfinden solche, die diesen Bedingungen entsprechen? Wir können sofort die einfach „angenehmen“ Gefühle beiseite schieben. Der Eindruck „angenehme“ hängt gar nicht von einem allgemeinen apriorischen Prinzip ab sondern von der Befriedigung der konkreten und sinnlichen, im engen Sinn subjektiven Tendenzen ab. Niemand wird behaupten dass das, was ihm angenehm scheint, ohne weiteres und apriori auch genauso seinem Nachbarn schmeicheln müsse. Er gibt dennoch eine Art von Vergnügen, dessen Ansprüche sich steigern bis zu einer Art Objektivität: das ästhetische Vergnügen. Jedes Mal wenn wir es prüfen, urteilen wir „schön“ über das Objekt, mit dem es sich verbindet – schön, nicht nur in unseren Augen und für den gegenwärtigen Augenblick, sondern für 225 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls alle und absolut (unbedingt?). Wenn also irgendein Gefühl verknüpft ist mit dem „apriorischen Prinzip“ als Inspirator des „reflektierenden“ Urteils, kann das nur das ästhetische Gefühl sein. §5. – Ästhetisches Gefühl und subjektiver Finalismus. 220 220 Vgl. R. Einleitung, VII. 29-33 und I Teil, I, 1s Buch 45 ff. und 2s Buch, – Ba I. 43-52 und 65 ff. 229 Kant unterscheidet zwei Formen des ästhetischen Vergnügens: das Gefühl des Schönen und das Gefühl des Erhabenen. Versuchen wir, sie in Ausdrücke der Zweckbestimmtheit zu übersetzen: es ist eine mögliche Übertragung, denn jedes Gefühl des Vergnügens findet seinen natürlichen Ausdruck in einem Urteil der Zweckbestimmtheit (Finalität): das, was schön ist, ist gut in irgendeiner Art. Aber Zweckbestimmtheit sagt nicht immer Schönheit: über die Schönheit hinaus kann ein Objekt die Zweckmäßigkeits-Attribute empfangen von der „Annehmlichkeit“, der „Nützlichkeit“, von der „Gutheit“. In unserer Schätzung unterscheidet sich die Schönheit sicher von der Annehmlichkeit, die nur ein materieller und subjektiver Bezug zu unseren Sinnes-Fakultäten ist. Das Schöne in seinem formartigen Begriff unterscheidet sich auch vom Guten im Allgemeinen und vom Nützlichen; in Wahrheit sind diese zwei letzten Charaktere objektiv, wie das Schöne, aber ihre Objektivität bezieht sich gänzlich auf die existentielle Ordnung ; sie stellen ein „Interesse“ unserer Natur dar, das Interesse eines Mittels oder eines Besitzes; nun aber abstrahiert das Schöne als solches von der Existenz, um sich nur an die Form zu halten; es ruft in uns nur ein uneigennütziges Gefallen hervor. Das ästhetische Urteil vermischt sich also nicht mit dem Urteil der Zweckmäßigkeit, durch das wir uns eine Absicht oder Mittel zuweisen. Auf der anderen Seite ist das ästhetische Urteil universell und einzeln beides zugleich. Einzeln durch sein Formal-Objekt, das nur konkret und partikulär sein kann; universell durch die Gültigkeit der Schönheit dieses Objektes für den Anblick jedes Subjekts, das es betrachtet. Die Universalität ist also hier die der dynamischen Beziehung des Objekts zu einer gemeinsamen Disposition der erkennenden Subjekte. Daraus ergibt sich, dass das ästhetische Urteil nicht wissen würde, wie man seine charakteristische Gültigkeit nur den begrifflichen Noten des Objekts verleiht: das ausschlaggebende Moment sitzt höher gerade in der Weise, in der das Subjekt vom Objekt affiziert wird. Kurz: 1. das Schöne ist nicht ein solches durch seine Materie – sonst wäre es nur „angenehm“ – sondern durch seine Form (R. 67-68. Ba. I. 96 -97); 2. diese Form, da sie ein Gefallen hervorruft, ist eine Form der Zweckbestimmtheit, (R. 68. Ba. I.97) ; 226 K.2 Prüfung der Kritik der Urteilskraft 230 3. diese Zweckbestimmtheit wird „ohne Begriff erkannt“, das heißt sie wird nicht erschlossen von der objektiven Erwägung eines Begriffes (R.55) sondern direkt erfahren vor einem Objekt; 4. diese Zweckbestimmtheit ist uneigennützig, das heißt dass sie nicht die Verfolgung einer Absicht ist und nicht an einen Besitz gebunden. (R. Ebenda. und 47 ff.–. Ba. loc. cit. und 67-68) Nachdem all dies ausgeschlossen ist, bleibt nur eine einzige Art der Finalität: die Harmonie des Objekts mit dem freien Spiel unserer Fakultäten, ohne Zwang; das heißt, wenn man will, eine formartige Übereinstimmung zwischen dem empirischen Objekt und der vollkommen normalen Disposition unserer erkennenden Subjektivität; eine Unterordnung der formartigen Charaktere des Objektes unter die apriorischen Bedingungen unserer persönlichen Zweckbestimmtheit. Dass wir uns darin gefallen, ist nichts Erstaunliches: das Gefühl des Vergnügen ergibt sich natürlich aus der gesamten und vollkommen geordneten Tätigkeit unserer Fakultäten. Die Analyse des Gefühls des Erhabenen würde durch einen Umweg zu den gleichen Schlussfolgerungen führen (R. 97 ff. . Ba. I. 137 ff.). Während, in der Betrachtung des Schönen sich der Genuss unmittelbar mit der harmonischen Tätigkeit der Einbildungskraft und des Verstandes verband, ist hier, vor dem „Erhabenen“, die affektive Reaktion viel komplexer : sie impliziert im ersten Moment einen Stoß von der Einbildungskraft und vom Verstand, die sich überholt, zerschmettert finden, verwirrt von einem zu großen Anblick; dann in einem zweiten Moment, des Eintritts der Vernunft in die Szene, die sich triumphal bewusst wird ihrer „unendlichen“ Überlegenheit über die unteren Fakultäten und ihr empirisches Objekt. Dass es sich um das Erhabene handelt, oder um das Schöne trägt das Subjekt also in sich selbst, in der hierarchischen Harmonie seiner Fakultäten, der letzten Norm des ästhetischen Urteils. Wenn man die Fakultät ästhetische Urteile zu tragen, „Geschmack“ nennen will, ist klar, den Prinzipien von Kant zufolge, dass einer „objektive Wissenschaft des Geschmacks“ total die Grundlage fehlen würde, da die ausschlaggebenden Elemente des ästhetischen Urteils überhaupt nicht dem Objekt an sich angehören, sondern der Reaktion des erkennenden Subjekts; dennoch, da das ästhetische Urteil wesentlich abhängt von einer Disposition a priori der Fakultäten des Subjekts, das heißt von einer universellen Bedingung, muss eine „Kritik des Geschmacks“ möglich sein. (Vgl. R. Einleitung, 32-33 und I Teil, I. 2, §4 und ff. – Ba. I. 49 und 213 ff.) §6. . Ästhetik und Teleologie (objektiver Finalismus). 221 221 Vgl. R. Einleitung, VIII. 33-36. Ba. I. 50 -55. 227 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls 231 Wir können uns, in diesem Band, nicht über die Details der Ästhetik Kants ausbreiten. Ein einziger Punkt fordert noch unsere Aufmerksamkeit: die Beziehung die zwischen dem ästhetischen Urteil und dem objektiven Urteil der Zweckbestimmtheit bestehen muss. Kant führt eine Bemerkung zu dieser Äußerung an, die man nicht aus dem Blick verlieren darf. (R. 27-28). Seit langem hat der Mensch die ursprüngliche Frische der Eindrücke durch Gewöhnung verloren, die seinen ersten Kontakt mit der Natur begleiten sollten, die sich widerspiegelt in seinen Fakultäten. Die Erfahrung, die sich wiederholt und komplizierter wird, bewirkt dass auch das ästhetische Gefühl immer verzögerter, langsamer im Auftauchen wird. Wäre nicht das psychologische Gesetz der „Angewohnheit, die abstumpft“, müsste er jedoch jedes mal aufwachen, wenn in uns unter dem Schock eines empirischen Objektes, das Bewusstsein einer harmonischen und angepassten Reaktion unserer erkennenden Fakultäten entsteht. Und in der Tat, beobachtet Kant, ist dies für uns noch ein tiefes und dauerhaftes Vergnügen in der Reflexion die mögliche Gruppierung mehrerer Naturgesetze unter einem umfassenden Gesichtspunkt [bei näherer Betrachtung] zu entdecken, der sie vereinigt. Aber anstelle weiter Synthesen, handelt es sich bescheidener darum eine beliebige Vielfalt von empirischen Objekten unter unmittelbar spezifischen oder generischen Einheiten zu vereinigen, die Operation, identisch dennoch mit der Vorhergehenden, verliert unendlich von ihrem Wohlgeschmack, aus dem guten Grund, dass sie uns so vertraut, so banal geworden ist, wie unser alltäglicher Gebrauch der Dinge. Trotz alledem antwortet diese Operation, selbst in ihren unteren Stufen, auf ein Harmoniebedürfnis unserer erkennenden Fakultäten und provoziert also einen Zustand, wenigstens vage, von ästhetischer Befriedigung. Will man sich davon überzeugen? Machen wir die negative Probe: erdenken wir uns den Geisteszustand, wo wir darauf reduziert wären, dass es uns plötzlich verboten würde, irgendeine qualitative Gruppierung zu verallgemeinern; doch, außerhalb einiger absolut allgemeinen Prinzipien der Erfahrung, fühlten wir uns den unendlichen Schwankungen und der unverständlichen Mannigfaltigkeit der Phänomene oder zu einander heterogenen Gruppen von Phänomenen ausgeliefert. Dies wäre für unseren Geist die Erfahrung eines Schreckens (eine plötzliche Verwirrung) und eine unheilbare Verwirrung. Denn etwas in uns verlangt die Verallgemeinerung der empirischen Gruppierungen, die Bildung von abstrakten Typen; mangels dessen das freie Spiel unserer Fakultäten sich behindert sieht, und dies ist ein sehr lebhaftes Gefühl des Missfallens, das uns befällt, (durchaus missfallen. R. 28. Ba. I.42) Nun aber, wir haben es schon gesehen (Seite 227) ist die Bildung von abstrakten hierarchisch organisierten Typen befohlen vom allgemeinen Prinzip der „Spezifizierung der Natur“, welches nur ein Aspekt des apriorischen Prinzips der Zweckbestimmtheit (Finalität) ist, der höchsten Regel der Fakultät 228 K.2 Prüfung der Kritik der Urteilskraft 232 zu urteilen. Jede Ausübung, verallgemeinernd oder spezifizierend, des reflektierenden Urteils bringt wenigstens von Rechts wegen einen ästhetischen Charakter mit sich. Umgekehrt sollte man sagen, dass jedes ästhetische Urteil von sich aus zu einem spezifizierenden Urteil und sogar zu einem Urteil der objektiven Zweckbestimmtheit führt. Denn sich bewusst werden – unmittelbar – der Anpassung eines Objektes an die Zweckbestimmtheit unserer Erkenntnis-Fakultäten, ist das nicht das sich bewusst werden – mittelbar – einer „formartigen Bestimmung“ des Objektes selbst, das heißt seiner inneren Zweckbestimmtheit? (R. 34. Ba. 1. 50 ff.) Die objektive Zweckbestimmtheit – oder Teleologie – findet sich also eng verbunden mit der subjektiven oder ästhetischen Zweckbestimmtheit. Alle beide gehören der reflektierenden Tätigkeit der Fakultät zu urteilen an: während die eine unmittelbar und affektiv das empirische Objekt auf die harmonische Tätigkeit der Fakultäten des Subjekts bezieht, fährt die andere, wahrhafte rationale Schlussfolgerung, weiter auf das Objekt zu, und drückt davon das innere Prinzip des der Übereinstimmung aus, wodurch sie ein „natürliches Ziel“ ist (Naturzweck R. 34. Ba. I.51). Die eine und die andere übrigens, wir haben es schon gesagt, kann sich mit dem moralischen Ziel des Menschen wie eine sehr hohe praktische Garantie verkleiden (Siehe oben, Seite 226 -227): der Mensch in sofern er moralisch handelt, erscheint so, immer mehr, wie der Gewölbeschlüssel und das Ziel der ganzen geschaffenen Natur. (R. 11 Teil II, § 83, p. 332. Ba. II. 139) Im übrigen, deckt diese Zweckbestimmtheit der Natur – die sich subjektiv im ästhetischen Gefühl zeigt – uns nicht sofort die ganze detaillierte Hierarchie der Gattungen und der Arten auf: das, was sie uns liefert, ist direkt nur das rechtfertigende Prinzip einer gleichartigen Hierarchie. (R. 28. Ba. I.42). Sie orientiert unser Begreifen der Dinge auf eine weite Systematisierung der Erfahrung (System der Erfahrung vgl. R. Einleitung 18 und II, Teil, I. § 66 S. 261 ff. Ba. I. 28-29 und II. 35 ff.), dessen Abschluss unseren Anstrengungen viel weniger einen zu realisierenden Zweck, als eine Grenze liefert, der man unaufhörlich näher rücken muss. Auch unsere partikulären Gesetze, die im Prinzip legitimiert werden durch das reflektierende Urteil der Zweckbestimmtheit, bewahren sie in ihrer konkreten Physiognomie einen nicht zurückführbaren Teil von „Kontingenz“ („Zufälligkeit“) (R. 22. Ba. I.34), das heißt, dass ihre empirische Formel immer nur unvollkommen an den Attributen apriori der Zweckbestimmtheit teilhat. Zweifellos können sie unbegrenzt experimentelle Bekräftigungen empfangen (R. 25 – Ba. I. 37 f.) und so gegen einen unabänderlichen und absoluten Wert streben: sie würden dennoch nicht diese obere Grenze überschreiten es sei denn an dem Tag, wo ihre Gesamtheit die Totalität (Gesamtheit) der möglichen Erfahrung ausschöpfen würde. (R. 25-26. Ba. I. 36 -39). Das „System der Erfahrung“ ist also der Unfertigkeit 229 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls 233 ausgeliefert. Er bestehen dennoch innerhalb der Natur, privilegierte Fälle, in denen die innere Zweckbestimmtheit sich unseren Augen klarer umschreibt: wir wollen von den lebenden Organismen sprechen (R. II Teil I. §65, S. 260 – Ba. II. 33 ff.). Diese stellen eine große Analogie zu diesen anderen empirischen Objekten dar, die unstreitig mit Zweckbestimmtheit bekleidet sind, nämlich die Produkte der Kunst im weitesten Sinn dieses Wortes. In einem künstlichen Objekt wurde die ganze Gruppierung der Teile willentlich durchgeführt unter dem Einfluss der Idee des Ganzen: unter dem kausalen Gesichtspunkt (unter dem Gesichtspunkt der Wirkursache) betrachtet, ist die konkrete Form des Ganzen nur eine Resultante, und nichts desto weniger hat der Begriff dieser Form wirksam zu seiner Verwirklichung den Vorsitz geführt. Nun aber, ist es gerade dort, wo das Wesentliche der Zweckbestimmtheit ruht, im Einfluss auf seine Teile im Voraus zum Ganzen, insofern es Idee ist. In lebenden Körpern zeigt uns die deskriptive Anatomie so gut wie die genetische Studie andauernd eine Beziehung der Teile auf das Ganze so eng, dass sie unmöglich ohne einen vorausgehenden (und infolgedessen idealen) Einfluss der Form des Ganzen vor den Teilen verstehbar scheint, das heißt ohne eine aktive Zweckbestimmtheit im Inneren des Lebewesens selbst. §7. – Epistemologische Konsequenzen. 222 222 Vgl. R. Einleitung VIII, IX, S. 33-40 und II Teil 1 § 60, S. 239-241 und II, S. 271 ff. (Dialektik der teleol. Urteilskr.) . Ba. I. 50-59; II. 3 ff. und 49 ff. Der Bereich des Verstandes, das heißt die Natur als Objekt der Wissenschaft, ist dem strengen Gesetz der Kausalität ganz unterworfen: jede Gruppierung der Phänomene nimmt dort unvermeidlich die Charaktere einer reinen „Resultante“ an. Dies ist das Reich des kausalen Determinismus, der Versklavung des Ganzen an den Teil. Andererseits, dank der moralischen Freiheit, erhellt sich der Bereich der Vernunft vom Prinzip der absoluten Zweckbestimmtheit her, dessen Macht sich selbst ausdehnt, indirekt, auf die Dinge der Natur und sie kleidet, im reflektierenden (nachdenkenden) Urteil mit dieser „formartigen, konkreten Zweckbestimmtheit“, die wir lange untersucht haben. Dies ist die Vorherrschaft des Ganzen über den Teil. Bezogen also auf dieselben Objekte der Erfahrung finden wir das Vorhandensein von zwei entgegengesetzten Prinzipien: 1. das Prinzip der Kausalität (Mechanismus) Bedingung der sinnlichen Intuition und der Wissenschaft; 2. das Prinzip der konkreten Zweckbestimmtheit (Finalität) (Teleologie), Bedingung von äußerer Wirksamkeit des freien Wollens und so indirekte Konsequenz des moralischen Imperativs. 230 K.2 Prüfung der Kritik der Urteilskraft 234 Diese zwei Prinzipien beschränken sich gegenseitig: keiner der zwei würde wissen in seiner Allgemeinheit wie er absoluten Wert haben kann. Sie sind also, jeder allein und unter verschiedenen Titeln, „regulierende“ Prinzipien unserer Erkenntnis. (R. II Teil, §69, S. 272 ff. und §74, S. 287 ff. Ba. II. 51 ff. und 72 ff.) Da ihre Gegensätzlichkeit ganz und gar aus dem (irreduziblen) unzurückführbaren Dualismus unserer Erkenntnisquellen herrührt – Verstand angekettet an eine sinlich intuitive Materie und transzendente Vernunft, ohne intuitiven Inhalt, aber gestützt auf das moralische Absolute – können wir zugeben, dass die Antinomie verschwinden würde im Blick auf eine „intuitive Intelligenz“ (R. II Teil II, S. 297, und siehe auch den ganzen §76, ebenda. - Ba. II. 89 und 78 ff.), Schöpferin gleichzeitig von Materie und Form seines Objektes. In der intellektuellen Intuition, tatsächlicher künstlerischer Schaffung des theoretischen Objekts würden Zweckbestimmtheit und Kausalität sich harmonisieren bis zu dem Punkt, dass sie verschmelzen (R. II Teil, II §75, S.294 – Ba. II. 84-85): ebenso gut hat Gott, die höchste schöpferische Intuition, überhaupt keine Schwierigkeit bis ins Detail den natürlichen Determinismus und das moralische Ziel zu versöhnen – nicht mehr als ein Künstler, unter Erhaltung aller Proportionen, als ein Bildhauer, den Lehm knetend, keine Schwierigkeit hat, die Kohäsion des toten Stoffes mit dem plastischen Ideal, das er ihr aufdruckt, auszugleichen. Nun aber ahmt unsere Fakultät zu urteilen, sowohl in ihrem ästhetischen Gebrauch als in ihrem teleologischen Gebrauch in gewissem Sinne diese höchste künstlerische Tätigkeit der intuitiven Intelligenz nach: über den Objekten, die ihr der Verstand auferlegt indem er die Erfahrung erfasst, heuchelt sie für ihren eigenen Gebrauch neue Objekte, Produkte einer Art von „natürlicher Technik“ in denen sich die Zweckbestimmtheit der reinen Kausalität überlagert (R. II Teil II, §77, S. 302-309 – Ba. II. 96 ff.); mittels dieser neuen Objekte strengt sie sich an, ein System zu erbauen, dessen Einheit sich einschließt, im Maße wie sich der Umfang davon vergrößert; sie zielt so, wirklich, durch sukzessive Anstrengungen, darauf ab, durch das was draußen ist, diese intellektuelle Intuition auf zu bauen, die sie nicht gefunden hat nach allem Bemühen in seinem angeboren Vermögen. Ohnmächtige Anstrengungen? Ja und nein. Ohnmächtig in dem Sinn, dass der letztmögliche Ausdruck sich davor immer drücken wird. Fruchtbar, dagegen, in dem Sinn, dass die immer wieder neue Erfahrung sich empfänglich zeigt für unser Suchen nach Finalität: sie lässt es Erfolg haben oder verbessert es. Bekräftigungen und Retuschen, die einen gleichen Preis haben für den späteren und unabsehbaren Aufbau unseres „Systems der Natur“. Aber wenn tatsächlich unser „System der Natur“ sich ständig mit neuen Beiträgen anreichert und gleichzeitig die immer breitere Weihe des Erfolgs empfängt, wer ist es also der uns hindert, uns die zweckmäßigen Schöpfungen 231 B.V Postulate des moralischen Willens und Voraussetzungen des Gefühls 235 der Fakultät zu Urteilen vorzustellen als die fortschreitenden Vorwegnahmen, das „Werden“, wenn man will, einer „intellektuellen Intuition“, deren angemessenes Objekt (identisch mit ihr?) ein „intelligibles Substrat der Dinge wäre“, eine einzige Idee, immanent in der Welt? (R. 308. Ba. II. 104. Cf. R. II Teil, II, §77, S. 302-308. Ba. II. 96-105) Kant lässt sich einen Augenblick lang durch diese Perspektiven verführen, die Schelling ankündigen, aber sofort fasst sich sein strenger kritischer Sinn und prüft den Bedarf wieder zu bestätigen, dass das Prinzip der konkreten Zweckbestimmtheit, obwohl subjektiv allgemein und notwendig, dabei nicht weniger bescheiden „regulierend“ und einfach „heuristisch“ bleibt. Nützliches und fruchtbares Prinzip, dem immer fehlen wird, um einen objektiven Wert anzunehmen, sich in eine Intuition einzufügen. Eine letzte Bemerkung. Wenn das Prinzip der Zweckbestimmtheit nur eine „regulierende Rolle“ hat, vergessen wir dennoch nicht das einzigartige Privileg, das eine seiner Anwendungen erhöht. Das ästhetische Gefühl erscheint in uns wie das natürliche und unmittelbare „Reagenzmittel“ der teleologischen Übung der Fakultät zu urteilen: unter der ästhetische Aussage – „das ist schön“ – setzt das Gefühl, das sie grundlegt, die konfuse Zustimmung unseres ganzen Seins, die es genießt sich frei nach seinem eigenen Gesetz zu entwickeln. In einem sehr strengen Sinn könnte man also sagen, dass wir direkt fühlen unsere persönliche Zweckbestimmtheit, und dass die Zweckbestimmtheit der Objekte ein logisches Postulat unseres Gefühlslebens ist. So weit gilt das Gefühl als Offenbarer unseres tiefen Seins, so weit gilt auch die theoretisch Voraussetzung des Gefühls, das heißt die universelle Zweckbestimmtheit. Dennoch auch hier noch, wollen wir nichts übertreiben und lassen uns nicht unmerklich von Kant zu Schleiermacher abrutschen. Der Abstand zwischen den kantschen Postulaten der reinen praktischen Vernunft und den Voraussetzungen des affektiven (Gefühlslebens) Lebens bleibt groß: die ersten nehmen an der allgemeinen Forderung der Pflicht teil, sie berühren das Objektive und das Absolute; die zweiten sind mit der konkreten Übung einer Tendenz verbunden; sie bleiben subjektiv und relativ, so gebieterisch sie auch sind. 232 ALLGEMEINE SCHLUSSFOLGERUNGEN AUS DEM HEFT III. 236 Trotz der Vorbehalte einer pedantischen Kritik darf man nicht vergessen, dass selbst in den Augen von Kant, die transzendentalen Ideen, einfache Forderungen subjektiv für die theoretische Vernunft, vom moralischen Willen und vom Gefühl eine kostbare Weihe empfangen. Durch eine wahrhaftige Konvergenz von seinen Fakultäten – kognitiven und appetitiven – ist der Mensch geübt, von allen Seiten, zur Aussage der gleichen problematischen Objekte: Gott zuerst, entweder als absolutes Sein, oder wenigstens als „höchster Architekt des Weltalls“; dann das Ich, als moralisches, freies und fortbestehendes (subsistierendes) Subjekt, oder als aktive Zweckbestimmtheit, die auf die Objekte einwirkt (reagiert); schließlich die Natur, als weltweite Einheit oder als System von objektiven Zielen. Diese „Ideen“ die sich aufdrängen unter so vielen Titeln, was fehlt ihnen dass sie erreichen – zwar nicht die subjektive Gewissheit: diese besitzen sie sondern die volle „objektive Wahrheit“ eines Objekts der Wissenschaft? Kant hat es hundertmal wiederholt: es fehlt ihnen konstitutiv zu sein für ein notwendiges theoretisches Objekt. Die Voraussetzungen des Gefühles sind gut, offen gestanden, in unserer Verfolgung der partikulären Ziele, „konstitutiv“ für unsere konkrete Handlung (praktisch -bestimmend vgl. R. Bd. 4. Kritik der Urteilskraft, 2-ter Teil, II, §87, p.361): aber unsere konkrete Handlung ist nie an sich absolut notwendig. Die Postulate der praktischen Vernunft sind ebenso „konstitutiv“ für unsere Handlung und dieses Mal, von unserer moralischen Handlung als solcher, also von einer absolut notwendigen Handlung weil rein „obligatorisch“: ihr praktischer Wert (Geltung) ist also absolut; aber sie genießen noch nicht die theoretische Notwendigkeit, die die unmittelbare Markierung des objektiv „wahren“ ausmacht. Weder Voraussetzung des Gefühls, noch Postulate der praktischen Vernunft sind „theoretisch-bestimmend“ (R. loc. cit.); das heißt, erklärt Kant, dass wenn sie wie die „einzige mögliche Form unseres Denkens“ erscheinen, sei es bezogen auf eine eine gegebene Handlung, sei es selbst „absolut“ und für jede beliebige Handlung: erscheinen sie noch nicht wie „die einzige Form der Möglichkeit des Objekts“ (Ebenda). Auch 233 ALLGEMEINE SCHLUSSFOLGERUNGEN AUS DEM HEFT III. 237 im theoretischen Gesichtspunkt bleiben sie „regulierende“ Prinzipien unseres Denkens, Ausdrücke des „subjektiven Bedarfes“ der Einheit unserer Vernunft, nicht mehr. Unter den intellektuellen Erkenntnisfunktionen haben sich nur die „Kategorien“ als „konstitutiv“ erwiesen für ein notwendiges theoretisches Objekt, da ohne ihre Teilnahme als Form kein Objekt des Denkens für uns möglich ist; aber das theoretische Objekt, das sie innerlich möglich machen, und dessen objektive Notwendigkeit sie also teilen, ist nur ein „phänomenales“, „relatives Objekt.“ Da die Kategorien keinen „transzendentalen Inhalt“ haben, haben sie keinen „transzendentalen Gebrauch“, mit anderen Worten, sind sie einer unmittelbaren ontologischen Bedeutung beraubt. (Siehe die Schlussfolgerungen aus der „transzendentalen Analytik“.) Damit eine „absolute Wirklichkeit, bestimmt insofern sie absolut ist“ von der theoretischen Vernunft objektiv erkannt würde, sollte diese Wirklichkeit eingreifen, als innere Bedingung der Möglichkeit, gerade in die Bildung des notwendigen Objekts unserer Erkenntnis. Um diesen Preis würde sich Kant beugen der metempierischen Funktion der Vernunft; aber dann sollte er auch zugeben dass es in unserer menschlichen Erkenntnis kein rein phänomenales Objekt gibt: das noumenale Objekt der Vernunft, das „metaphysische Objekt“ wäre implizit enthalten selbst im Objekt des Verstandes. Man muss hinzufügen, dass Kant keine mögliche Verwirklichung dieser Hypothese ahnt: er schätzt für evident ein, dass eine Metaphysik223 223 Es handelt sich um eine Metaphysik im strengen Sinn, das heißt um eine objektive Erkenntnis der Noumena. 238 nicht begründet werden könnte durch die spekulative Vernunft ohne eine tatsächliche intellektuelle Intuition der Objekte. Drängt sich diese Forderung einer intellektuellen Intuition, um eine Metaphysik möglich zu machen, unwiderlegbar auf? so fragen wir uns unsererseits. Kann man sich kein Zwischenglied zwischen dem „phänomenalen Objekt“ des Verstandes und dem noumenalen Objekt einer intellektuellen Intuition denken? Kant selbst bringt uns auf den Weg einer dritten Möglichkeit. „Transzendentale Ideen“, „Postulate der praktischen Vernunft“, „wir lernen, sagt er, dass sie Objekte haben, ohne jedoch zeigen zu können, wie ihr Begriff sich bezieht auf ein Objekt: und das ist noch keine Erkenntnis dieser Objekte. Doch hat ein problematischer Gedanke dadurch, zum ersten Mal, objektive Wirklichkeit erworben“. (Kritik der praktischen Vernunft. Rosenkranz p. 278; Übersetzung. Picavet, p.245). Aber diese indirekte Objektivität resultiert nur von einer praktischen Notwendigkeit der Vernunft. Wir haben das weiter oben gesehen. Machen wir einen Schritte weiter, und riskieren eine Hypothese, wie es immer erlaubt ist, zu versuchen, um einer eindringlichen Alternative zu entkommen. Nehmen wir an, man könnte zeigen, dass die Postulate der praktischen Vernunft – mehr oder weniger das 234 239 göttliche Absolute – in gleicher Weise auch „Bedingungen der Möglichkeit“ der fundamentalsten Ausübung der theoretischen Vernunft sind, wir wollen sagen, gerade der Funktion durch welche die theoretische Vernunft sich ein Objekt gibt in der Erfahrung: man hätte dann die objektive Wirklichkeit dieser Postulate gegründet auf eine „Notwendigkeit“, die zum spekulativen Bereich gehört. Sie würden werden, wenn man sich so ausdrücken kann, zu „Postulaten der spekulativen Vernunft“ und würden genannt werden können „konstitutiv für das theoretische Objekt“. Aber auf der anderen Seite, wegen des Fehlens eines intuitiven metasensiblen Inhalts, würden sie uns nicht den eigentlichen und direkten Begriff transzendenter Objekte liefern von denen sie dennoch, auf einem Umweg, die notwendige Existenz enthüllen würden. Man ahnt unendlich komplizierte Probleme auf diesem mittleren Weg, und vielleicht Widersprüche. Es ist dennoch gerade das, scheint es, womit man sich beschäftigen muss, wenn man dem kantschen Dilemma entkommen will; und es ist auch dort, wo man die Chance hat, zurüchzukommen selbst auf dem Wege der Kritik auf den tiefen Sinn, den der Thomismus mit der analogen Erkenntnis verbunden hat. Aber, wird man sagen, diese befreiende Hypothese, die die essentiellsten Prärogativen der praktischen Vernunft zum Zentrum der theoretischen Vernunft transferiert, wird endgültig sich weitgehend auf die ursprüngliche Notwendigkeit der Handlung stützen definiert von der Priorität der Handlung mit Bezug zur Form, auf das dynamische Wesen der Spekulation. Sind da nicht Gesichtspunkte die völlig fremd sind dem Geist und der Methode der Kritik? Sicher muss man anerkennen: trotz der dynamistischen Ausdrücke (Funktion, synthetische Tätigkeit, etc..) die Kant wie alle Welt benutzt, beruhen seine Demonstrationen ausschließlich auf unveränderlichem Ineinandergreifen (Verzahnung) von apriorischen Bedingungen, auf einer logisch notwendigen Hierarchie von „Formen“ und von „Regeln“. Darin haben die Neukantianer von Marburg richtig gesehen: die Kritik der reines Vernunft ist vor allem eine Nomologie und eine Methodik der Vernunft. Kant konnte nicht ganz die Wolffsche Hefe seines Geistes eliminieren: er bleibt darin bei der statischen Analyse; bei ihm ist die „transzendentale“ Überlegung aus der – wird Fichte glauben – die siegreiche Aussage des Aktes entspringen könnte, schließt sich ein in die (minutiöse) genaue und endgültige Markierung der Form. Ebenso müsste das dynamische Konzept des Verstandes – auf das wir hingwiesen haben – um sich in die Kritik einzubringen, dort eindringen mit lebendiger Kraft, das heißt, gestützt zweifellos auf die unvermeidlichsten Postulate und auf die fundamentalsten Forderungen dieser Kritik, aber nichtsdestoweniger jedoch im Gegensatz zum rationalistischen Geist und selbst bis zu einem gewissen Punkt im Gegensatz zur Methode, die dort regiert. Wäre ein gleicher Einbruch des kompakten und tiefen Werkes, das wir gerade analysieren, möglich? Und könnte man Kant zwingen, sich selbst zu 235 ALLGEMEINE SCHLUSSFOLGERUNGEN AUS DEM HEFT III. übertreffen, im Namen der Kritik die agnostizistischen Schlüsse seiner Kritik zu verleugnen? Jeder kennt die Versuche von Philosophen die in verschiedenem Sinn und mit ungleichem Erfolg, dieses Unternehmen versuchten. Man hat weniger bemerkt dass der mittelalterliche Aristotelismus enthielt, virtuell und antizipativ, epistemologische Prinzipien, verkannt seit den Ursprüngen der modernen Philosophie und vielleicht erlaubend, die meisterhaften, aber unvollständigen Analysen Kants zu erweitern. Schließen wir hier diesen Band. Es würde voreilig sein, schon jetzt zu entwerfen positive Lösungen, die unser V-tes Heft darlegen wird. Wir halten es für nützlich, zuvor die Zugänge und die Umgebung zu klären – zuerst durch eine direkte Kritik gerade des Prinzips des kantschen Idealismus; – dann durch die Prüfung der großen transzendentalistischen Systeme, die auf diesem Prinzip aufgebaut sind, und um so mehr interessant für unseren Gesichtspunkt, die sie fanden im Rahmen der kritischen Philosophie, ein Durchbruch zur umfassendsten Metaphysik: wir werden im Heft IV uns damit beschäftigen, diese Abstammung ans Licht zu bringen, die geschichtlich evident ist und wohl bekannt, aber logisch ein bisschen verwirrend. 224 224 P. Pierre Charles wird demnächst im Lessianum eine Studie über die Metaphysik des Kantianismus veröffentlichen. Unsere Leser werden diese Interpretation des kantschen Denkens nach den Quellen, die sicher originell und durchdringend sein wird, mit Profit konsultieren. 236