Amyloidogene Peptide im Samen verstärken die HIV

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WISSENSCHAFT · SPECIAL: L ABORMEDIZIN/DIAGNOSTIK
Amyloid
Amyloidogene Peptide im Samen
verstärken die HIV-Infektion
JAN MÜNCH, FRANK KIRCHHOFF
INSTITUT FÜR VIROLOGIE, UNIVERSITÄTSKLINIKUM ULM
Mehr als 80 Prozent aller HIV-1-Infektionen werden durch ungeschützten
sexuellen Kontakt übertragen. HIV-1-kontaminierte Samenflüssigkeit
spielt dabei eine wesentliche Rolle. Bisher ist nur wenig darüber bekannt,
wie Samen die HIV-1-Infektion beeinflusst. Wir konnten aus Samen
amyloidogene Peptide isolieren, welche die HIV-1-Infektion drastisch verstärken.
Semen derived peptide fragments of the prostatic acid phosphatase form
fibril-like structures drastically enhancing HIV-1 infection.
Hintergrund
ó Das Humane Immundefizienzvirus Typ 1
(HIV-1) ist der Haupterreger der Immunschwächekrankheit AIDS und hat weltweit
etwa 33,2 Millionen Menschen infiziert[1]. In
Deutschland lebten Ende 2007 ca. 59.000
Menschen mit einer HIV-1-Infektion oder
einer AIDS-Erkrankung[2]. Die Ansteckung
erfolgt über kontaminiertes Blut, Sperma,
Scheidensekret oder Muttermilch. Der Hauptübertragungsweg weltweit ist ungeschützter
Geschlechtsverkehr mit HIV-infizierten Sexpartnern. Etwa 60 Prozent aller neuen HIV1-Infektionen erfolgen durch kontaminiertes
Sperma. Der Samen HIV-Infizierter stellt somit
das Hauptvehikel für die Ausbreitung von
HIV-1 in der menschlichen Bevölkerung dar.
Isolierung eines HIV-Verstärkers aus
Samen
Bisher war wenig darüber bekannt, welchen
Einfluss Samen auf die HIV-Infektion oder
Transmission hat. Um systematisch zu untersuchen, ob Bestandteile im Samen die Virusinfektion beeinflussen, wurden von der Biotech-Firma ViroPharmaceuticals (Hannover)
Samen-Peptide und -Proteine chromatographisch aufgetrennt. Diese aus 120 ml Samenflüssigkeit hergestellte Peptidbibliothek
besteht aus ca. 300 Fraktionen, die mehrere
tausend Peptid- und Proteinsequenzen in
hochkonzentrierter Form enthalten[3]. Zur
Identifizierung von Samenbestandteilen, welche die HIV-Infektion modulieren, wurden
die Fraktionen gelöst, zu Zellen gegeben und
diese anschließend mit HIV-1 infiziert. Überraschenderweise blockierte keine der Fraktionen die HIV-1-Vermehrung – im Gegenteil,
ein Peptidgemisch verstärkte die Infektionsrate sogar. Nach einer weiteren chromatographischen Aufreinigung dieser Fraktion
ergaben Sequenzanalysen das Vorliegen von
C-proximalen Peptidfragmenten der Sauren
Prostata Phosphatase (PAP)[3]. PAP liegt in
˚ Abb. 1: SEVI verstärkt die HIV-1-Infektion. UV-mikroskopische Aufnahmen HIV-1-infizierter
CEMx-Zellen. Nach Infektion mit HIV-1 exprimieren CEMx-Zellen ein unter UV-Bestrahlung grün
fluoreszierendes Protein.
großen Mengen im Samen vor und wurde früher als Spermamarker verwendet. Weitere
Untersuchungen ergaben, dass die häufigste
Form die Aminosäuren 248–286 von PAP
umfasst (PAP248–286) und in einer Konzentration von mehr als 35 μg/ml im Samen vorliegt.
PAP-Fibrillen
Frisch gelöste, synthetisch hergestellte Fragmente der PAP hatten keinen verstärkenden
Einfluss auf die HIV-Infektion. Interessanterweise bildeten sich in den sonst klaren
Peptidlösungen nach kurzer Lagerung unlösliche Strukturen aus, die zu einer Eintrübung
führten. Zu unserer Überraschung verstärkten diese Aggregate die HIV-Infektion um ein
Vielfaches (Abb. 1). Elektronenmikroskopische Aufnahmen und Röntgendiffraktion zeigten, dass es sich bei diesen Strukturen um
Amlyoidfibrillen handelt, wie sie beispielsweise auch vom Alzheimer-assoziierten Peptid Aβ 1–42 oder Prionen ausgebildet werden (Abb. 2). Zusammenfassend wurden die
aus Samen isolierten, Fibrillen-bildenden
PAP-Fragmente als semen derived enhancer
of virus infection oder kurz SEVI bezeichnet[3].
SEVI verstärkt die Infektion aller
HIV-1-Varianten
Untersuchungen in verschiedenen Labor-Zelllinien sowie T-Zellen, Makrophagen, Lymphgeweben und Cervix-Zellen zeigten, dass SEVI
die Infektion aller HIV-1-Varianten und Subtypen unabhängig von der verwendeten Zielzelle verstärkt[3, nicht publizierte Daten]. Die erstaun-
˚ Abb. 2: Elektronenmikroskopische Aufnahme von PAP248–286-Fibrillen.
BIOspektrum | 02.08 | 14. Jahrgang
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WISSENSCHAFT · SPECIAL: L ABORMEDIZIN/DIAGNOSTIK
Danksagung
lichsten Ergebnisse wurden in Virus-Endpunkt-Verdünnungsreihen erzielt. In Gegenwart von SEVI führten einzelne Viruspartikel zu einer erfolgreichen Infektion der Zielzellen, wohingegen in Kontrollansätzen ohne
SEVI mehr als 10.000 HIV-1-Partikel notwendig waren: eine 10.000-fache Steigerung
der Infektiosität[3]! Die stärksten Effekte auf
die HIV-Infektion hatte SEVI in Konzentrationen zwischen 10 und 50 μg/ml, was in etwa
den physiologischen Mengen im Sperma entspricht. Darüber hinaus konnte in vivo gezeigt
werden, dass SEVI auch die HIV-Infektion von
transgenen Ratten verstärkt.
Die Autoren danken allen an der Studie beteiligten Wissenschaftlern, insbesondere den
Arbeitsgruppen von Ludger Ständker und
Wolf-Georg Forssmann (Hannover), Oliver
Keppler (Heidelberg) und Walther Mothes
(Yale, New Haven).
ó
Literatur
[1] www.unaids.org/en/KnowledgeCentre/HIVData/
EpiUpdate/EpiUpdArchive/2007/
[2] www.rki.de/cln_048/nn_195960/DE/Content/InfAZ/H/
HIVAIDS/Veroeffentlichungen/EpiBull/EpiBull__node.html?
__nnn=true
[3] Münch, J., Rücker, E., Ständker, L., Adermann, K.,
Goffinet, C., Schindler, M., Wildum, S., Chinnadurai, R.,
Rajan, D., Specht, A., Giménez-Gallego, G., Sánchez, P. C.,
Fowler, D. M., Koulov, A., Kelly, J. W., Mothes, W., Grivel, J. C.,
Margolis, L., Keppler, O. T., Forssmann, W. G., Kirchhoff, F.
(2007): Semen-derived amyloid fibrils drastically enhance
HIV infection. Cell 131: 1059–1071.
Wirkungsweise von SEVI
Mittels verschiedener Methoden und mikroskopischer Aufnahmen konnte gezeigt werden, dass SEVI-Fibrillen sehr effizient HIVPartikel binden[3]. In Gegenwart von SEVIFibrillen findet man kaum ungebundenes
Virus (Abb. 3). Die mit Virus beladenen Fibrillen lagern sich wiederum an die Zielzellen an.
Dadurch gelangen die Viruspartikel in großer
Zahl an die Zelloberfläche und können so die
Zelle infizieren. Über welche Mechanismen
SEVI mit Viren einerseits und Zellen andererseits interagiert, ist derzeit noch ungeklärt.
Vermutlich spielen elektrostatische Interaktionen eine entscheidende Rolle.
Verstärkt Samen selbst die HIVInfektion?
SEVI wurde aus humaner Samenflüssigkeit
isoliert. Untersuchungen zum Einfluss von
Samen auf die HIV-Infektion sind aufgrund
der zellschädigenden Eigenschaften von
Samen schwierig. Um den zytotoxischen Einfluss von Sperma zu minimieren, wurde
Samen zunächst mit HIV-Partikeln vorinkubiert und anschließend geringe Mengen dieser Lösungen zu Zielzellen gegeben. Mithilfe dieses Ansatzes konnten wir zeigen, dass
auch Samen selbst die HIV-Infektion drastisch verstärkt und SEVI an diesem Effekt
beteiligt ist. Allerdings konnten in Samen
keine klassischen SEVI-Fibrillen nachgewiesen werden, weshalb wir davon ausgehen, dass kleinere Filamente oder Protofibrillen zur Infektionssteigerung beitragen.
Die Effekte auf die HIV-1-Infektion waren am
stärksten, wenn sehr wenig Virus eingesetzt
wurde, was den Bedingungen während der
sexuellen Übertragung von HIV entspricht.
Diese Ergebnisse zeigen, dass Samen – das
Hauptvehikel für die Verbreitung des AIDSVirus in der menschlichen Bevölkerung – die
HIV-1-Infektion verstärkt.
˚ Abb. 3: SEVI bindet HIV und interagiert
mit Zellen. Zellen sind blau, SEVI-Fibrillen
weiß und HIV-1-Partikel rot eingefärbt. Fast
alle Viruspartikel sind mit SEVI assoziiert.
Mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt von Walther Mothes, Joseph
Luna und Pradeep Uchil (Yale, New Haven,
USA).
Bedeutung
Wir konnten zeigen, dass sowohl Fibrillenbildende PAP-Fragmente, die in relativ hohen
Mengen im menschlichen Samen vorkommen, als auch Samen selbst die HIV-1-Infektion in Zell- oder Organkulturen verstärken.
Samen und SEVI ermöglichen selbst dann
eine Infektion, wenn Virusmengen verwendet werden, die normalerweise nicht für eine
Infektion ausreichen. Die Effekte sind bei
geringen Virusmengen, wie sie im Samen von
HIV-1-Infizierten vorliegen, am stärksten. Die
Wahrscheinlichkeit der HIV-1-Übertragung
durch Sex liegt je nach Sexualpraktik, der
Virusmenge im Sperma und dem Vorliegen
von Geschlechtskrankheiten, die die schützende Schleimhaut schädigen, bei ca. 0,01–
1 Prozent pro Akt. Eine wichtige Infektionsbarriere stellt dabei der saure pH-Wert der
Vagina dar, durch den Virionen inaktiviert
werden. Wir konnten zeigen, dass SEVI auch
bei sauren pH-Werten aktiv ist. Trotz der relativ geringen Transmissionswahrscheinlichkeit hat sich HIV-1 weltweit verbreitet. Sollten
unsere in vitro erzielten Ergebnisse auf die
in vivo-Situation übertragbar sein, würde dies
bedeuten, dass amyloidogene Peptide im
Samen entscheidend zur Ausbreitung von
HIV-1 im Menschen beitragen. Diese Ergebnisse wären von grundlegender Bedeutung
für das Verständnis von HIV-1 und AIDS.
Korrespondenzaddresse:
Prof. Dr. Frank Kirchhoff
Prof. Dr. Jan Münch
Institut für Virologie
Universitätsklinikum Ulm
Albert-Einstein-Allee 11
D-89081 Ulm
Tel.: 0731-500 65127 oder -500 65109
Fax: 0731-500 65131
[email protected]
[email protected]
AUTOREN
1
2
Frank Kirchhoff1
Jahrgang 1961. Biologiestudium an der Universität Göttingen, 1991 Promotion, 1991–1994
Postdoc am New England Primate Research Center, Harvard Medical School, Boston, USA. 1994–
2001 Arbeitsgruppenleiter am Lehrstuhl für Virologie, Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2001
Professor und Arbeitsgruppenleiter am Institut
für Virologie, Universitätsklinikum Ulm.
Jan Münch2
Jahrgang 1972. Biologiestudium an der Universität Erlangen-Nürnberg, 1998–2002 Promotion,
2002–2004 Postdoc am Institut für Virologie,
Universitätsklinikum Ulm. Seit 2004 Juniorprofessor und Arbeitsgruppenleiter am Institut für
Virologie, Universitätsklinikum Ulm.
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