Das vegetative Nervensystem und seine therapeutischen Ansätze

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Diplomarbeit
Das vegetative Nervensystem und seine
therapeutischen Ansätze im klinischen Alltag
eingereicht von
Elena Maria Neururer
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor der gesamten Heilkunde
(Dr. med. univ.)
an der
Medizinischen Universität Graz
ausgeführt am
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie
unter der Anleitung von
Univ.-Prof.i.R. Mag.pharm. Dr. Eckhard Beubler
Univ.-Prof. Dr.med.univ. Donnerer Josef
Graz, August 2016
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den
benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich
gemacht habe.
Graz, 31.08.2016
.………………………………………………
Elena Maria Neururer eh
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Danksagungen
Da ich nun am Ende meiner Ausbildung stehe, möchte ich mich an dieser Stelle bei einigen
Personen bedanken, die mich auf diesem langen Weg begleitet und unterstützt haben.
Für ihre unendliche Liebe, Fürsorge, Motivation und Unterstützung, möchte ich mich bei
meinen lieben Eltern, Wolfgang und Maria Neururer, bedanken. Ohne euch, wäre ich heute
nicht da, wo ich bin.
Ein besonderer Dank gilt meinem Bruder, Raphael - du hast mich nicht nur inspiriert,
Medizin zu studieren, sondern warst in den letzten 6 Jahren auch meine allergrößte Stütze.
Durch deine liebevolle, motivierende und bekräftigende Art hast du es stets geschafft, mir
selbst in schwierigen Situationen ein Lachen ins Gesicht zu zaubern und neue Kraft zu
geben. Dafür, großer Bruder und für deine uneingeschränkte Unterstützung und Hilfe in
den vergangenen Jahren, danke ich dir von Herzen.
Ein weiteres großes Dankeschön gilt meinem kleinen Bruder Clemens – obwohl du viele
hunderte Kilometer entfernt warst, hattest du stets ein offenes Ohr für mich. Besonders in
schwierigen Momenten hat mich deine unglaublich lustige und optimistische Art immer
wieder aufs Neue inspiriert und motiviert.
Meine Schwester Mirjam darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, da sie stets an mich
geglaubt und mich in meinem Tun bestärkt hat.
Weiters möchte ich mich herzlich bei Evelyn Zöhrer bedanken - du hast es stets geschafft,
mich mit lieben Worten oder kleinen Zettelchen aufs Neue zu motivieren und warst bei der
Fertigstellung meiner Diplomarbeit eine große Hilfe.
Ein ganz besonderer Dank gebührt meinem Diplomarbeitsbetreuer, Herrn Univ.-Prof.i.R.
Mag.pharm. Dr. Eckard Beubler, für die Unterstützung, die Betreuung, die Begutachtung
und vor allem die Vermittlung zu diesem sehr interessanten Thema.
Des Weiteren möchte ich mich bei meinem Zweitbetreuer, Herrn Univ.-Prof. Dr.med.univ.
Josef Donnerer für die organisatorische Hilfe bedanken.
Abschließend bedanke ich mich bei all meinen Freunden und Studienkollegen, für die tolle
Studienzeit, die wir gemeinsam miteinander verbringen durften.
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Zusammenfassung
In vielerlei Hinsicht ist das Nervensystem (lateinisch „Systema nervosum“) das komplizierteste, aber auch das
faszinierendste funktionelle System des menschlichen Körpers: Es umfasst die Gesamtheit aller Nervenzellen
(Neurone) und Gliazellen im Körper. Zu seinen wichtigsten Aufgaben zählen die Wahrnehmung von Reizen,
deren Verarbeitung sowie das Auslösen angemessener Reaktionen.
Das Nervensystem kann in ein zentrales Nervensystem (ZNS) und ein peripheres Nervensystem (PNS)
gegliedert werden. Das Zentralnervensystem (ZNS) besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark. Die
funktionelle Grundeinheit des Gehirns ist das Neuron, dessen Aufgabe es ist, Informationen zu einem anderen
Neuron, einer Muskelzelle oder Drüsenzelle weiterzuleiten. Ein Neuron besteht aus einem Zellkörper
(Perikaryon), einem oder mehreren Dendriten und aus einem Neurit (Axon). Das PNS setzt sich aus Hirn-und
Spinalnerven, mit den dazugehörigen Ganglien, zusammen. Funktionell betrachtet wird das PNS weiters in
ein vegetatives (auch autonomes oder viszerales) Nervensystem und ein somatisches Nervensystem
unterteilt.
Während das somatische (auch animalische) Nervensystem die willkürlichen und reflektorischen
Körperaktionen steuert, arbeitet das vegetative Nervensystem ohne bewusste Steuerung (autonom). Es
steuert alle vegetativen Parameter, wie z.B Kreislauf, Atmung, Körpertemperatur, Wasserhaushalt,
Verdauung, Stoffwechsel, Fortpflanzung und innerviert motorisch vornehmlich die glatte Muskulatur der
inneren Organe und Gefäße, sowie exokrine und endokrine Drüsen. Hinsichtlich funktioneller und
struktureller Aspekte wird das vegetative Nervensystem in drei Teile gegliedert: Sympathikus, Parasympathikus und enterisches Nervensystem. In Zeiten von Stress und körperlicher Erregung stellt der
Sympathikus Energie und Ressourcen bereit und hat somit eine aktivitätssteigernde Wirkung auf den Körper.
Im Gegensatz dazu stellt der Parasympathikus seinen Dienst ganz in die Erholung des Körpers, indem er
Leistungsreserven aufbaut und Energie speichert. Obwohl die Wirkungsweise von Sympathikus und
Parasympathikus größtenteils gegensätzlich (antagonistisch) ist, arbeiten beide Systeme eng miteinander
zusammen, um die Stabilität des inneren Körpermilieus (Homöostase) aufrecht zu erhalten.
Für die Informationsübertragung im vegetativen Nervensystem werden Botenstoffe (Transmitter) benötigt.
Wird durch ein ankommendes Aktionspotential die Nervenendigung depolarisiert, verschmelzen die mit
Transmittern gefüllten Vesikel mit der präsynaptischen Membran. Die in den synaptischen Spalt
ausgeschütteten Transmitter binden an der postsynaptischen Membran an spezielle Membranproteine,
sogenannte Rezeptoren. Man unterscheidet exzitatorische (erregende) und inhibitorische (hemmende)
Rezeptoren. Die häufigsten Transmitter die von Neuronen im vegetativen Nervensystem freigesetzt werden,
sind Acetylcholin (AcH), Noradrenalin und Adrenalin. Nervenfasern, die Acetylcholin freisetzen, werden als
cholinerge Fasern bezeichnet. Dazu zählen alle präganglionäre Fasern des vegetativen Nervensystems,
sowohl sympathische als auch parasympathische, sowie alle postganglionäre Fasern des parasympathischen
Systems und einige sympathische postganglionäre Fasern. Acetylcholin bindet an zwei Arten von Rezeptoren:
zum einen an den nikotinischen und zum anderen an den muskarinischen Rezeptor. Nervenfasern, die
Noradrenalin freisetzen, werden als adrenerge Fasern bezeichnet. Noradrenalin wird von den meisten
sympathischen postganglionären Fasern freigesetzt und bindet an adrenerge Rezeptoren (alpha1, alpha2,
beta1 und beta2). Daher bieten Synthese, Speicherung und Freisetzung des Neurotransmitters, sowie die
Beendigung der Neurotransmitteraktivität und Rezeptoreffekte potentielle Angriffspunkte in der
pharmakologischen Therapie.
Parasympathomimetika sind Substanzen, die einen muskarinischen Rezeptor erregen; Substanzen, die ihn
blockieren, werden als Parasympatholytika bezeichnet. Gleichermaßen werden Substanzen, die einen
adrenergen Rezeptor stimulieren als Sympathomimetika und solche, die ihn blockieren, als Sympatholytika
bezeichnet.
Schlüsselworte: Vegetatives Nervensystem, Botenstoffe (Transmitter), adrenerge Rezeptoren, muskarinische
Rezeptoren, pharmakologische Therapie
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Abstract
In many ways the nervous system (in Latin “Systema nervousum”) is the most complex, but also fascinating
functional system of the human body. It encompasses all nerve cells (neuron) and glia cells in the human body.
It’s most important tasks include the perception of stimuli, their processing as well as triggering the
appropriate responses.
The nervous system can be divided into a central nervous system (CNS) and a peripheral nervous system (PNS).
The central nervous system is composed of the brain and the spinal cord; the basic working unit of the brain
is the nerve cell, whose function is to transmit information to another nerve cell, muscle cell or gland cell. The
intake and transmission of this nerve impulses takes place in form of an action potential. A nerve cell consists
of a cell body, one or more dendrites and one neurite (axon). The peripheral nervous system consists of the
brain- and spinal nerves, as well as the associated ganglia. Functionally, the peripheral nervous system is
divided into an autonomic nervous system (ANS) and a somatic nervous system.
While the somatic nervous system controls voluntary and reflex body actions, the autonomic nervous system
operates mostly independently, autonomously. It controls all autonomic parameters such as e.g. circulation,
respiration, body temperature, digestion, metabolism, reproduction and innervates mainly the smooth
muscles of the internal organs and blood vessels, as well as the exocrine and endocrine glands. In terms of
functional and structural aspects, the autonomic nervous system is divided into three parts: the sympathetic
nervous system, the parasympathetic nervous system and the enteric nervous system. In times of stress and
physical arousal the sympathetic nervous system provides energy and resources and has an overall activityincreasing effect on the human body. The parasympathetic nervous system however is active at rest and
restores energy when needed. Although the mode of action is largely contrary (antagonistic); the two systems
are working closely together, to maintain the stability of the inner body environment (homeostasis).
To transmit information from cell to cell, the autonomic nervous system requires substances, called
transmitters. If the nerve ending is depolarized by an incoming action potential, vesicles filled with
transmitters merge within the presynaptic membrane. The transmitters are distributed into the synaptic cleft
and bind onto specific membrane proteins, called receptors in the postsynaptic membrane. A distinction is
made between excitatory and inhibitory receptors. The most common transmitters released by neurons in the
autonomic nervous system are acetylcholine, norepinephrine and epinephrine. Nerve fibers, which release
acetylcholine are called cholinergic fibers. These include all preganglionic fibers of the autonomic nervous
system, both sympathetic, parasympathetic, postganglionic fibers of the parasympathetic nervous system and
a few postganglionic fibers of the sympathetic nervous system. Acetylcholine binds onto two types of
receptors: the nicotinic and muscarinic receptor. Nerve fibers, which release norepinephrine are called
adrenergic fibers. Norepinephrine is released by most postganglionic sympathetic fibers and binds to
adrenergic receptors (alpha1, alpha2, beta1 and beta2). Synthesis, storage, release of neurotransmitters, the
termination of neurotransmitter activity and receptor effects offer potential targets in pharmacological
therapy.
Parasympathomimetics are substances that stimulate a muscarinic receptor; substances that block those
types of receptors are referred to as parasympatholytics. Similarly, substances that stimulate the adrenergic
receptor are called sympathomimetics; their counterparts are called sympatholytics.
Keywords: Autonomic nervous system, transmitters, adrenergic receptors, muscarinic receptors,
pharmacological therapy
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Inhaltsverzeichnis
Danksagungen .................................................................................................................................. 3
Zusammenfassung ............................................................................................................................ 4
Abstract ............................................................................................................................................ 5
Inhaltsverzeichnis ............................................................................................................................. 6
Glossar und Abkürzungen ................................................................................................................ 8
Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................................... 9
Tabellenverzeichnis ........................................................................................................................ 10
1.
EINLEITUNG ............................................................................................................................ 10
1.1
1.1.1
Aufbau und Anatomie ............................................................................................ 10
1.1.2
Zentrales Nervensystem (ZNS) ............................................................................... 11
1.1.3
Peripheres Nervensystem (PNS) ............................................................................. 12
1.2
3.
Entwicklungsgeschichte des Nervensystems ..................................................... 12
1.2.1
Embryogenese/Embryonalentwicklung ................................................................. 12
1.2.2
Histogenese des Nervensystems ............................................................................ 14
1.3
2.
Das Nervensystem .............................................................................................. 10
Zellen des Nervengewebes und deren Funktion ................................................ 16
1.3.1
Neuron .................................................................................................................... 16
1.3.2
Neuroglia ................................................................................................................ 20
1.3.3
Markscheide, Myelin ............................................................................................... 24
1.3.4
Synapse ................................................................................................................... 26
GRUNDLAGEN DER NEUROPHYSIOLOGIE ............................................................................ 29
2.1
Ionenkanäle ......................................................................................................... 29
2.2
Ruhepotential ..................................................................................................... 10
2.3
Aktionspotential .................................................................................................. 31
2.4
Erregungsleitung ................................................................................................. 32
DAS VEGETATIVE NERVENSYSTEM ....................................................................................... 33
3.1
Funktionelle Grundlagen .................................................................................... 33
3.1.1
3.2
Nervenfortsätze ....................................................................................................... 35
Anatomische Grundlagen, übergeordnete vegetative Steuerzentren ............... 35
3.2.1
Hypothalamus ......................................................................................................... 35
Seite | 6
3.2.2
Limbisches System ................................................................................................... 36
3.2.3
Formatio reticularis ................................................................................................. 36
3.3
3.3.1
Sympathikus ............................................................................................................ 38
3.3.2
Parasympathikus ..................................................................................................... 38
3.4
4.
Organisation des vegetativen Nervensystems ................................................... 37
Neurotransmission .............................................................................................. 40
3.4.1
Grundlagen der Neurotransmission ........................................................................ 40
3.4.2
Neurotransmitter .................................................................................................... 40
ARZNEIMITTEL MIT WIRKUNGEN AUF DAS VEGETATIVE NERVENSYSTEM ........................ 45
4.1
Parasympathomimetika ...................................................................................... 45
4.1.1
Acetylcholin (ACh) ................................................................................................... 45
4.1.2
Synthetische Cholinester: Carbachol, Betanechol, Methacholin ............................ 46
4.1.3
Alkaloide .................................................................................................................. 48
4.1.4
Indirekte Sympathomimetika (AChE-Hemmstoffe) ................................................. 49
4.2
Parasympatholytika ............................................................................................ 51
4.2.1
4.3
Atropin, Scopolamin, Ipratropium, Tiotropium ....................................................... 52
Sympathomimetika ............................................................................................. 54
4.3.1
Adrenalin ................................................................................................................. 54
4.3.2
α- und β1-Rezeptor-stimulierende Sympathomimetika ......................................... 55
4.3.3
β-Rezeptor-stimulierende Sympathomimetika ....................................................... 56
4.3.4
β2-selektive Sympathomimetika ............................................................................. 57
4.4
Sympatholytika ................................................................................................... 60
4.5
Sympatholytika - α-Rezeptor-blockierende Substanzen (α-Blocker) ................. 61
4.5.1
α1-Rezeptor Antagonisten ...................................................................................... 61
4.5.2
α2-Rezeptor Antagonisten ...................................................................................... 64
4.5.3
Nicht-selektive α-Rezeptor Antagonisten ............................................................... 65
4.5.4
Weitere α-Rezeptor Antagonisten .......................................................................... 65
4.6
Sympatholytika - β-Rezeptor-blockierende Substanzen (β-Blocker) .................. 66
4.6.1
Nicht-selektive β-Blocker ........................................................................................ 70
4.6.2
β1-selektive-Rezeptor Antagonisten ....................................................................... 72
4.6.3
β-Rezeptor Antagonisten der 3. Generation ........................................................... 73
5.
CONCLUSIO ............................................................................................................................ 75
6.
LITERATURVERZEICHNIS ....................................................................................................... 76
Seite | 7
Glossar und Abkürzungen
Abb.
Abbildung
ZNS
Zentrales Nervensystem
PNS
Peripheres Nervensystem
ER
Endoplasmatisches Retikulum
ATP
Adenosintriphosphat
GFAP
Glia Fibrillary Acidic Protein
mV
Millivolt
Acetyl-CoA
Acetyl-Coenzym A
L-Dopa
L-Dihydroxyphenylalanin
ms
Millisekunden
α
Alpha
β
Beta
ACh
Acetylcholin
COPD
Chronisch obstruktive Lungenerkrankung, chronic obstructive pulmonary disease
GI-Trakt
Gastrointestinaltrakt
MAO
Monoaminoxidase
AV-Block
Atrioventrikulärer Block
COMT
Catechol-O-Methyltransferase
BPH
Benigne Prostatahyperplasie
AV-Knoten
Atrioventrikularknoten
KHK
Koronare Herzkrankheit, coronary heart disease
NYHA
New York Heart Association
ACE
Angiotensin-konvertierendes Enzym, angiotensin converting enzyme
Seite | 8
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Struktur des Nervensystems - Seite 11
Abb. 2: Bläschenformation: Differenzierung der Primär- zu den Sekundärbläschen - Seite 14
Abb. 3: Neurulation & Histogenese: Entwicklung des embryonalen Nervensystems - Seite 15
Abb. 4: Aufbau/Struktur eines Neurons - Seite 17
Abb. 5: Axonaler Transport - graphische Übersicht - Seite 20
Abb. 6: Neuroglia im ZNS - Übersicht - Seite 23
Abb. 7: Neuroglia im PNS - Übersicht - Seite 24
Abb. 8: Markscheidenbildung im PNS - Seite 25
Abb. 9: Die Myelinscheide im ZNS - Seite 26
Abb. 10: Struktur - chemische Synapse - Seite 27
Abb. 11: Struktur - elektrische Synapse - Seite 28
Abb. 12: Ionenkanäle - Übersicht - Seite 30
Abb. 13: „Sympathikus vs. Parasympathikus“ - Seite 34
Abb. 14: Strukturformel: Acetylcholin - Seite 41
Abb. 15: Strukturformel: R-Adrenalin - Seite 42
Abb. 16: Strukturformel: Noradrenalin - Seite 44
Abb. 17: Pathologie des Asthma bronchiale - Seite 59
Abb. 18: Typische (weiße) Finger bei Raynaud-Syndrom - Seite 62
Abb. 19: Strukturformel: Propranolol, 3D-Darstellung der Strukturformel - Seite 70
Seite | 9
1.
EINLEITUNG
1.1
Das Nervensystem
1.1.1 Aufbau und Anatomie
„Was ist der Körper, wenn das Haupt ihm fehlt?“ [1]
Das Nervensystem (lat. Systema nervosum) ist sicherlich in vieler Hinsicht das
komplizierteste funktionelle System des Körpers. Es ermöglicht allen Menschen die
Kommunikation mit ihrer Umwelt, durch Milliarden feinst abgestimmter elektrischer
Impulse, die fortlaufend durch dieses faszinierende Netzwerk jagen, welches den Körper
durchzieht und somit seine Teile wie ein sehr komplexes Telefonnetz verbindet. Die wohl
wichtigsten Funktionen des Nervensystems sind die Wahrnehmung, die Integration des
Wahrgenommenen, das Denken und Fühlen, sowie die Auslösung angemessener
Verhaltensweisen. [2]
Das Nervensystem wird unterteilt in: [3]
-
zentrales Nervensystem (Zentralnervensystem, ZNS) und
-
peripheres Nervensystem (PNS).
Anatomisch betrachtet umfasst das zentrale Nervensystem das Gehirn und Rückenmark,
wohingegen sich das periphere Nervensystem aus Hirn- und Spinalnerven, mit den
dazugehörigen Ganglien, zusammensetzt. [4]
Seite | 10
Abb. 1: Struktur des Nervensystems. (Modifiziert nach Amerman 2015[3])
1.1.2 Zentrales Nervensystem (ZNS)
Im ZNS bilden Gehirn und Rückenmark die Hauptzentren, die sowohl funktionell als auch
strukturell untrennbar miteinander verbunden sind. Sowohl das Gehirn, als auch das
Rückenmark werden durch die Knochen des Schädels und die Wirbelsäule geschützt. Hirnund Rückenmarkshäute (Meningen) umhüllen das ZNS, welches in ein Flüssigkeitskissen
gebettet ist, das als Hirn- oder Nervenwasser (Liquor cerebrospinalis) bezeichnet wird.
Diese klare, farblose Flüssigkeit fungiert unter anderem als Stoßdämpfer bei schnellen
Bewegungen des Kopfes und übt somit eine Schutzfunktion aus. Auch in den sogenannten
Hirnventrikeln, einem speziellen Hohlraumsystem innerhalb des ZNS, ist diese Flüssigkeit
anzutreffen. [2,4]
Seite | 11
1.1.3 Peripheres Nervensystem (PNS)
Das PNS kann als Rezeptor- und Effektororgan des Zentralnervensystems angesehen
werden. Es spiegelt sich in den zahlreichen Nerven wieder, die durch den gesamten Körper
ziehen. Über sensible oder motorische Leitungsbahnen leitet es entweder Impulse von der
Peripherie zum ZNS (sensibel) oder vom ZNS in die Peripherie (motorisch). Weiters wird das
zentrale, als auch das periphere Nervensystem - funktionell betrachtet - in ein somatisches
Nervensystem bzw. vegetatives Nervensystem unterteilt. [2]
Somatisches Nervensystem
Das somatische (auch animalische) Nervensystem besteht aus den neuronalen Strukturen
des zentralen und peripheren Nervensystems und ist verantwortlich für (1) die Vermittlung und Verarbeitung von bewussten und unbewussten sensorischen (afferenten)
Informationen in der Peripherie, wie Schmerz und Berührung und (2) dient es (motorisch)
der willkürlichen Ansteuerung der Skelettmuskulatur. [5]
Vegetatives Nervensystem
Das vegetative (auch autonome oder viszerale) Nervensystem ist jener Teil des peripheren
Nervensystems, das für die Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts im Körper
(Homöostase) verantwortlich ist. Weiters steuert es vegetative Parameter, wie Herzschlag,
Atmung, Verdauung, Fortpflanzung und Stoffwechsel. [2]
1.2
Entwicklungsgeschichte des Nervensystems
1.2.1 Embryogenese/Embryonalentwicklung
Die Genese des Nervensystems während der Embryonalzeit umfasst folgende drei
Schlüsselschritte:
-
(Neural)-Induktion
-
Neurulation
-
Bläschenformation
Seite | 12
(Neural)-Induktion
In den frühen Stadien der Embryogenese entwickeln sich drei übereinanderliegende
Schichten, die Keimblätter: Endoderm, Mesoderm und Ektoderm.
Aus diesen drei
Schichten gehen, unter starken Wechselwirkungen, Organ-, Knochen-, Muskel-, Haut- oder
Nervengewebe hervor. Etwa am 17. Embryonaltag entwickelt sich aus dem Ektoderm,
durch Ansporn (Induktion, auch Neuralinduktion) des Mesoderms und der Chorda dorsalis
(= mesodermales, inneres Achsenskelett), das Neuroektoderm, aus dem schlussendlich die
Neuralplatte hervorgeht. [2,6]
Neurulation
Am 18. Embryonaltag entwickelt sich das Neuralrohr (Neurulation im engeren Sinne). Dies
geschieht, indem sich die Neuralplatte zur Mittellinie hin vertieft und sich die Neuralrinne
ausbildet. Die Kanten der Neuralrinne wölben sich zu Wülsten und formen sich in weitere
Folge zu den Neuralfalten. Diese bewegen sich aufeinander zu, verschmelzen miteinander
und bilden einen langen Hohlzylinder, das Neuralrohr (Abb. 3). Aus diesem entstehen
später Gehirn und Rückenmark; aus dem Hohlraum des Rohres entwickelt sich das
Ventrikelsystem. Bis zum 25. Embryonaltag schließt sich das Neuralrohr, dessen vorderes
(Kopf-)Ende als Neuroporus rostalis und hinteres Ende als Neuroporus caudalis bezeichnet
wird. [2,4,7]
Bläschenformation
Die Proliferation der Zellen im vorderen, größeren Abschnitt des Neuralrohrs führt zur
Dilatation dieses Bereiches und zur Bildung der drei sogenannten Primärbläschen: ein
vorderes
Prosencephalon-(Vorderhirn-)bläschen,
ein
mittleres
Mesencephalon-
(Mittelhirn-)bläschen und ein hinteres Rhombencephalon-(Rautenhirn-)bläschen. [2]
Seite | 13
Abb. 2: Bläschenformation: Differenzierung der Primär- zu den Sekundärbläschen. [8]
Am 32. Embryonaltag teilen sich Prosencephalon und Rhombencephlon in jeweils zwei
weitere Bläschen auf: Das Prosencephalonbläschen teilt sich in ein hinteres Diencephalon(Zwischenhirn-)bläschen, aus dem auf beiden Seiten ein Augenbläschen wächst (= spätere
Anlage des Nervus opticus und der Netzhaut) und ein davor liegendes Telencephalon(Endhirn-)bläschen. Das Rhombencephalon teilt sich weiter in ein Myel-encephalon(zukünftige Medulla oblungata) und ein Metencephalonbläschen, aus dem sich später das
Cerebellum (Kleinhirn) und der Pons entwickeln. Telencephalon, Diencephalon,
Mesencephalon, Metencephalon und Myelencephalon werden als Sekundärbläschen
bezeichnet. [2]
1.2.2 Histogenese des Nervensystems
Das Neuroepithel kleidet sowohl das Neuralrohr, als auch die Neuralleiste aus. Aus ihm
entstehen später die Nerven- und Gliazellen. Mit Ausnahme der weichen Hirnhäute
entwickeln sich alle bindegewebigen Anteile, die an das Nervensystem geknüpft sind, wie
z.B. harte Hirnhaut, Blutgefäße und Mikrogliazellen, aus dem Mesenchym. Die Zellen des
ZNS (zentrale Nervenzellen und zentrale Gliazellen) entwickeln sich aus dem Neuralrohr.
Die Neuralleiste enthält das Zellmaterial der sensiblen und vegetativen Nerven bzw.
Ganglien, sowie der peripheren Gliazellen (Schwann- und Satellitenzellen). Weiters enthält
die Neuralleiste die Anlagen für die Zellen des Nebennierenmarks, der Melanozyten und
die Zellen der weichen Hirnhäute. [2]
Seite | 14
Abb. 3: Neurulation & Histogenese: Entwicklung des embryonalen Nervensystems. [9]
Seite | 15
1.3
Zellen des Nervengewebes und deren Funktion
Das Zentralnervensystem besteht aus Nervengewebe, welches sich aus Nervenzellen
(Neuronen) und speziellen Bindegewebszellen/Stützzellen (Gliazellen) zusammensetzt und
organisiert als graue und weiße Substanz vorliegt, welche sich wiederum in Rinde, Mark
und Kerne gliedert. [2,4]
1.3.1 Neuron
Nervenzellen (Neurone) sind spezialisierte Zellen, die mit- und untereinander auf
einzigartige Weise kommunizieren. Als strukturelle und funktionelle Grundeinheit ist eine
Nervenzelle dazu bestimmt, Informationen zu einer anderen Nervenzelle, Muskelzelle oder
Drüsenzelle weiterzuleiten. Die Aufnahme und Weiterleitung dieser (Nerven-) Impulse
erfolgt in Form eines Aktionspotentiales. Abhängig von der Spezies, enthält das Gehirn
zwischen 1-100 Milliarden Nervenzellen. Sie unterscheiden sich erheblich in Größe und
Form. Während einige Nervenzellen im ZNS nur 1mm lang sind, können periphere
Nervenzellen bis zu 1 Meter Länge erreichen. [3,6]
Ein Neuron setzt sich aus drei Teilen zusammen: dem Zellkörper (Soma oder Perikaryon),
der den Zellkern und das Zytoplasma enthält und in dem die Mehrheit der biosynthetischen
Prozesse der Zelle ablaufen; aus einem oder mehreren Dendriten, die elektrische Signale
zum Zellkörper leiten und aus einem Neuriten (Axon), dem „langen Arm“ der Nervenzelle,
der elektrische Signale vom Zellkörper weg-/weiterleitet. [3]
Seite | 16
Abb. 4: Aufbau/Struktur eines Neurons. (Modifiziert nach Amerman 2015[3])
Zellkörper (Perikaryon)
Der Zellkörper ist der metabolisch aktivste Teil eines Neurons, da er sowohl für die
Aufrechterhaltung des zytoplasmatischen Volumens der Nervenzelle, als auch für die
Produktion aller Proteine, die von der Nervenzelle benötigt werden, verantwortlich ist.
Diese hohe biosynthetische Aktivität spiegelt sich in der Zusammensetzung der Organellen
innerhalb des Zytoplasmas wider: [3,10]
-
Freie Ribosomen und endoplasmatisches Retikulum liegen im Überfluss vor. Sie
spiegeln das Engagement des Zellkörpers zur Proteinsynthese wider. Das mit
reichlich Ribosomen besetzte endoplasmatische Retikulum (raues oder granuläres
ER) organisiert sich in zahlreiche, konzentrische Stapel (Nissl-Schollen).
-
Weiters sind der Golgi-Apparat und ein, oder mehrere Nucleoli an der
Proteinsynthese beteiligt.
-
Eine große Anzahl an Mitochondrien stellt den (hohen) Energiebedarf der
Nervenzelle sicher.
-
Darüber hinaus enthält der Zellkörper, der von einer doppelschichtigen Membran
umgeben wird, Lysosomen und glattes endoplasmatische Retikulum.
Seite | 17
Die charakteristische Form des Perikaryons wird allerdings durch andere Komponenten des
Zytoplasmas aufrechterhalten - das neuronale Zytoskelett. Dieses besteht aus
Intermediärfilamenten. Diese Filamente schließen sich zu Bündeln zusammen, um größere
Struktur zu bilden, sogenannte Neurofibrillen, welche den gesamten Zellkörper und
Fortsätze durchziehen. Das Zytoskelett enthält weiters Mikrotubuli, die zum einen für die
mechanische Stabilisierung und zum anderen für den Transport von Proteinen zwischen
dem Zellkörper und dem Axon zuständig sind. [3]
Fortsätze: Dendriten und Axon
Jene Verlängerungen, die sich aus den Zellkörpern aller Neuronen erstrecken und häufig an
die „langen Arme“ der zugehörigen Nervenzelle reichen, sind zytoplasmatische
Erweiterungen und werden Fortsätze genannt. Diese Fortsätze erlauben der Nervenzelle,
mit anderen Zellen zu kommunizieren. Die meisten Neurone besitzen zwei Arten von
Fortsätzen; ein oder mehrere Dendriten und ein Axon. [3]
Dendriten sind in der Regel sehr kurze, stark verästelte Fortsätze, die die Erregung von
anderen Nervenzellen aufnehmen und diese in Form von elektrischen Impulsen an den
Zellkörper weiterleiten. Durch diese Verästelung wird deren Oberfläche stark vergrößert
und dadurch auch der Raum, der den Zellen zur intrazellulären Kontaktaufnahme zur
Verfügung steht. [3,11] Das Zytoplasma der Dendriten ähnelt dem der Zellkörper und enthält
Nissl-Schollen, Mitochondrien, Mikrotubuli, Mikrofilamente, Ribosomen und agranuläres
ER. [4]
Obwohl ein Neuron mehrere Dendrite aufweisen kann, besitzt es in der Regel nur ein
einziges Axon (Neurit). Das Axon wird als langer, neuronaler Fortsatz beschrieben, der die
Leitung von Informationen aus dem Zellkörper in die Nervenendigungen gewährleistet. Ein
Axon ist rohrförmig aufgebaut, variiert aber in der Länge, je nach Lokalisation des Neurons
im Körper. So kann ein Axon sehr kurz sein (1 mm, z.B. Neurone des ZNS) oder extrem lang
(bis zu 3 Meter), wenn sie sich von einem peripheren Rezeptor der Haut zum Rückenmark
und von dort bis ins Gehirn erstrecken. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist der
Durchmesser eines Axons; dieser variiert beträchtlich. Axone mit größerem Durchmesser
leiten Impulse wesentlich schneller, als jene mit geringerem Durchmesser. Die
Zellmembran die das Axon umgibt, wird als Axolemma (Axolemm) bezeichnet. Das
Zytoplasma des Axons wird Axoplasma genannt. Das Axoplasma enthält Mitochondrien,
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Lysosomen, sowie viele Neurofilamente und Neurotubuli, unterscheidet sich jedoch vom
Zytoplasma des Zellkörpers durch Fehlen von Nissl-Granula und des Golgi-Apparates.
Ebenfalls fehlen RNA und Ribosomen im Axoplasma. [4]
Als Ursprungsort des Axons gilt eine kleine konische Erhebung auf dem Zellkörper, die frei
von Nissl-Granula ist und Axonhügel oder Ursprungskegel genannt wird. Das darauf
anschließende kurze Segment des Fortsatzes wird Initialsegment genannt. Es ist stets ohne
Hülle und gilt als erregbarster Teil des Axons. Es ist jener Ort, an dem leicht ein
Aktionspotential
initiiert
werden
kann,
aufgrund
der
auffallend
niedrigen
Erregungsschwelle des Axolemms. Die anschließende Hauptverlaufsstrecke des Axons kann
in ihrer Länge variieren und Abzweigungen aufweisen. Diese meist im rechten Winkel
abgehenden Äste, werden als Kollateralen bezeichnet. Sowohl das Axon, seine Kollateralen
und die Dendriten spalten sich in der Nähe ihres Endes in sehr feine, multiple Zweige auf,
die Telodendrien. Die Telodendrien enden in den Endknöpfchen (Axonterminal) und bilden
so den präsynaptischen Teil der Synapse. [3,4]
Ein Axon leitet immer Impulse vom Zellkörper weg. Eine Ausnahme stellen die Axone der
sensorischen Hinterwurzelganglienzellen dar; hier leitet ein langer Neurit den Impuls zum
Zellkörper hin. [4]
Der axonale Transport
Der axonale Transport ist ein wichtiges Mittel zur Organell- und Molekülbeförderung
entlang der Nervenfaser, sowohl vom, als auch zum Zellkörper hin. Er ist für die neuronale
Funktion und Lebensfähigkeit instrumental. Viele neurodegenerative Erkrankungen
werden mit Fehlern bzw. Störungen im axonalen Transport in Zusammenhang gebracht;
wie z.B. die Alzheimer-Krankheit, Parkinson, Chorea Huntington, diabetische Neuropathie
uvm. Klassisch betrachtet können axonale Transport(prozesse) in zwei Richtungen
ablaufen. Der anterograde (zentrifugale) Transport verläuft vom Zellkörper (Perikaryon) in
Richtung der terminalen Aufzweigungen (Telodendron), der retrograde (zentripetale)
Transport erfolgt vom Axonterminal in Richtung Zellkörper. [12]
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Abb. 5: Axonaler Transport - graphische Übersicht. (Modifiziert nach Juranek 2013[12])
Mit Hilfe des axonalen Transportes werden z.B. Membranproteine, Neurotransmitter,
Mitochondrien und glattes endoplasmatisches Retikulum transportiert. Abhängig von der
Geschwindigkeit, unterscheidet man einen schnellen (bis zu 400mm/Tag) und einen
langsamen (0,1 bis 3mm/Tag) axonalen Transport (Abb. 5). Der schnelle axonale Transport
(100-400mm/Tag) dient vor allem den in Vesikeln verpackten Neuro-transmittern. Diese
Art von Transport beruht auf Motorproteinen im Axoplasma, die ATP verbrauchen um die
Substanzen entlang der Mikrotubuli zu transportieren. Diese Motorproteine sind Kinesien
für den anterograden (weg vom Zellkörper) Transport und Dynein für den retrograden (zum
Zellkörper hin) Transport. Langsamer axonaler Transport (0,1-3mm/Tag): Hier werden vor
allem im Zellkörper synthetisierte Proteine, darunter die Strukturproteine des Zytoskeletts,
transportiert. Der langsame axonale Transport findet nur in anterograde Richtung statt.
[3,4]
1.3.2 Neuroglia
Neuroglia (Gliazellen) sind Stützzellen, die sowohl Nervenzellen im zentralen, als auch im
peripheren Nervensystem umgeben. Im Gegensatz zu den meisten Neuronen, behalten
Gliazellen ihre Fähigkeit zur Teilung ein Leben lang und füllen die Lücke auf, wenn
Neuronen zugrunde gehen. Im gesamten Nervensystem können 6 verschiedene Arten an
Neuroglia unterschieden werden; 4 davon finden sich im ZNS und 2 im PNS wieder. [3,5]
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Neuroglia im ZNS
Die Anzahl an Neurogliazellen übertrifft die der Neuronen im ZNS um das 10-fache. Daher
machen sie auch etwa die Hälfte der Gehirnmasse aus. [3]
Innerhalb des ZNS kommen vier verschiedene Arten von Neurogliazellen vor: Astrozyten,
Oligodendrozyten, Mikroglia und Ependymzellen.
Astrozyten
Astrozyten besitzen kleine Zellkörper mit vielen verzweigten Fortsätzen, die sich in alle
Richtungen erstrecken. Es werden zwei Arten von Astrozyten unterschieden: [4]
-
Faserglia (Astrocytus fibrosus) werden vor allem in der weißen Substanz des ZNS
gefunden; jeder ihrer Fortsätze ist lang, schlank und nicht stark verzweigt.
-
Protoplasmatische Glia (Astrocytus protoplasmaticus) kommen vor allem in der
grauen Substanz des ZNS vor. Ihre Fortsätze sind kürzer, dicker und stärker
verzweigt, als jene der Faserglia.
Weitere Astrozyten sind die Bergmanzellen im Kleinhirn, die Müllerzellen in der Netzhaut,
die Pinealozyten in der Zirbeldrüse und die Pituizyten im Hinterlappen der Hypophyse. [5]
Astrozyten (wörtlich „sternförmige Zellen“) sind die am zahlreichsten und vielfältigsten
Gliazellen im ZNS. Sie besitzen in der Tat ein sternförmiges Aussehen, mit mehreren aus
dem Soma entspringenden Hauptfortsätzen. Das archetypische morphologische Merkmal
der Astrozyten ist allerdings die Expression von Intermediärfilamenten, die das Zytoskelett
bilden. Die zwei Hauptvertreter astroglialer Intermediärfilamente sind GFAP (Glia Fibrillary
Acidic Protein) und Vimentin; die Expression von GFAP wird allgemein als spezifischer
Marker zur Identifizierung von Astrozyten verwendet. [13]
Oligodendrozyten
Oligodendrozyten sind Gliazellen, die nur wenige Fortsätze besitzen, wie der Name bereits
andeutet („oligo“ griechisch = wenig, „dendron“ griechisch = Baum). Die Haupt-funktion
der Oligodendrozyten ist die Produktion von Myelin. [13]
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Mikroglia
Mikrogliazellen sind die immunkompetenten Zellen des ZNS. Im Wesentlichen bilden sie
das Immunsystem des Gehirns aus, welches nach Verletzungen oder Infektionen aktiviert
wird. Sie repräsentieren etwa 10 Prozent aller Gliazellen im Gehirn. Mikrogliazellen
präsentieren sich im ZNS in drei unterschiedlichen Zustandsformen, nämlich als (1)
„ruhende“ Mikrogliazellen (im gesunden Gehirn), (2) als aktivierte bzw. reaktivierte
Mikrogliazellen (die in der Lage sind, Zytokine zu produzieren und bei Schädigungen des
ZNS mit Hypertrophie und vermehrtem Zellwachstum zu reagieren) und (3) als
phagozytische Zellen (Makrophagen). [5]
Ependyma
Ependymzellen sind einfache kubische (Glia-)Zellen. Sie kleiden die mit Flüssigkeit gefüllten
Hohlräume im Gehirn und Rückenmark aus und tragen an ihrer Oberfläche ein
Flimmerepithel. [3]
Ependymzellen können in drei Gruppen unterteilt werden: [4]
-
Ependymozyten - kleiden die Ventrikel des Gehirns und den Zentralkanal des
Rückenmarks aus und helfen durch Bewegung der Zilien bei der Zirkulation der
zerebrospinalen Flüssigkeit. Die zahlreichen Mikrovilli an der Oberfläche der
Ependymozyten lassen auch auf ein starkes Sekretions- und Resorptionsvermögen
schließen.
-
Tanyzyten - säumen den Boden des dritten Ventrikels aus und sind an der
Ausbildung der Blut-Hirn-Schranke mitbeteiligt.
-
Choroide Epithelzellen - bedecken die Oberfläche des Plexus choroideus und sind
somit an der Produktion und Sekretion der zerebrospinalen Flüssigkeit mitbeteiligt.
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Abb. 6: Neuroglia im ZNS - Übersicht. (Modifiziert nach Amerman 2015[3])
Gliazellen im PNS
Im PNS existieren zwei Arten an Gliazellen: Schwann-Zellen und Satellitenzellen. Die
Schwann-Zellen der peripheren Nerven und die perineuronalen Satellitenzellen der
sensorischen und vegetativen Ganglien sind das Äquivalent zu den drei Arten an Gliazellen
(Astroglia, Oligodendroglia, Mikroglia) im ZNS. Außer ihrer unterschiedlichen Lage, sind
Schwann-Zellen und Satellitenzellen nicht voneinander zu unterscheiden. Wie Astroglia
(Astrozyten), umschließen und separieren die Gliazellen des PNS unmyelinisierte
Nervenfasern und (2) befinden sich im interneuronalen Raum zwischen den Neuronen.
Wie Oligodendrozyten produzieren sie Myelin. Wie Mikroglia können Schwann-Zellen, als
Antwort auf Verletzungen und Entzündungen der Nerven zu Phagozyten werden. Anders
als Gliazellen, sezerniern Schwannzellen jedoch Kollagen, Laminin und Fibronektin
(extrazelluläre adhäsive Proteine). Diese Proteine sind die wichtigsten Bestandteile der
Basalmembran und extraneuronalen Matrix, sowie der Basallamina, die die Zellmembran
von Axonen umgibt. [3,5]
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Abb. 7: Neuroglia im PNS - Übersicht. (Modifiziert nach Amerman 2015[3])
1.3.3 Markscheide, Myelin
Die Markscheide (Myelinscheide) wird von den eben genannten Oligodendrozyten (ZNS)
und Schwann-Zellen (PNS) gebildet. Sie ist eine fetthaltige/lipidreiche Isolierschicht, die die
Axone spiralförmig umwickelt und somit die Erregungsleitung/-ausbreitung von
Aktionspotentialen erleichtert. [13]
Myelin-Struktur
Myelin besteht aus sich wiederholenden Schichten von Plasmamembranen der
neuroglialen Zellen; somit enthält es dieselben Bestandteile wie die Plasmamembran:
Phospholipide, Lipide und Proteine. Die Hauptkomponenten (70-80%) von Myelin stellen
verschiedene Lipide dar, einschließlich Cholesterin und weitere Phospholipide, wie
Phosphatidylethanolamin und Lecithin.
Bezogen auf den menschlichen Körper, bedeutet „elektrischer Strom“, Bewegung von
Ionen. Ionen können jedoch nicht so leicht durch die Phospholipid-Doppelschicht der
Plasmamembran passieren, weshalb der hohe Lipidgehalt von Myelin einen
ausgezeichneten Isolator darstellt. Der Gesamteffekt dieser Isolierung ist, die Leitungsgeschwindigkeit von Aktionspotentialen zu erhöhen: Myelinisierte Axone leiten Aktionspotentiale etwa 15-150 Mal schneller, als unmyelinisierte Axone. [3]
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Myelinisierung (Markscheidenbildung)
Die Myelinisierung im PNS findet wie folgt statt: Eine Schwann-Zelle umwickelt den
peripheren Nervenfortsatz und wächst mehrmals exzentrisch-kreisförmig um ihn herum.
Die daraus im Querschnitt resultierende lamellenartige Struktur (Markscheide) wird bei
lichtmikroskopischer Betrachtung sichtbar (Abb. 8). Dabei umwickeln mehrere SchwannZellen eine periphere Nervenfaser. [2]
Abb. 8: Markscheidenbildung im PNS. SEM = scanning electron microscope (Modifiziert nach Amerman
2015[3])
Die Myelinscheide ist eine segmentierte, diskontinuierliche Schicht, die in regelmäßigen
Abständen durch Ranvier-Schnürringe unterbrochen wird.
Myelinscheide misst circa 0,5 bis 1mm an Länge.
Schnürringen
wird
als
Internodium
bezeichnet;
[4]
[13]
Jedes Segment der
Der Abstand zwischen zwei
hier
findet
keine
Erregung
(Aktionspotential) der Zellmembran statt. Internodium und Schnürringe bilden dabei eine
funktionelle Einheit. Eine Erregung (Aktionspotential) der Plasmamembran ist alleinig an
den Schnürringen möglich. Hier versammeln sich auch fast alle Natriumkanäle der
Axonmembran, die als physiologische Grundlage der Aktionspotentiale gelten. Das daraus
resultierende „Springen“ des Aktionspotentials von einem Schnürring zum nächsten, wird
als saltatorische Erregungsleitung bezeichnet, wodurch bei der Erregungsleitung viel Zeit
Seite | 25
eingespart wird. Dieses Prinzip ist umso effektiver, je dicker die Markscheidenumhüllung
und je größer der Abstand zwischen zwei Ranvier-Schnürringen ist. [2]
Als zentralnervöse Äquivalente der Schwann-Zellen, umwickeln die Oligodendrozyten die
neuronalen Fortsätze nicht mit ihrem Zellleib, sondern einzig und allein mit ihren
Fortsätzen.
Da ein Oligodendrozyt mehrere Fortsätze besitzt, ist es ihm möglich,
gleichzeitig mehrere Axone oder Dendrite zu umhüllen. [2]
Abb. 9: Die Myelinscheide im ZNS. (Modifiziert nach Amerman 2015[3])
1.3.4 Synapse
Die Verbindung zwischen zwei Neuronen oder einem Neuron und einer Effektorzelle
(Effektororgan) wird als Synapse bezeichnet. Als motorische Endplatte bezeichnet man die
Synapse zwischen einem Motoneuron und einer Muskelzelle. Ein Impuls wandert am Axon
entlang, bis es dessen Ende, auch Axonterminal genannt, erreicht. Die meisten
Nervenzellen sind nicht direkt miteinander verbunden, sondern haben eine kleine Lücke
zwischen sich. Diese Lücke wird auch synaptischer Spalt genannt. Diese Neuronen liegen
jedoch nicht nahe genug beisammen, dass ein Impuls von einem Neuron auf das andere
springen kann. Deshalb übertragen chemische Botenstoffe, sogenannte Neurotransmitter
das neuronale Signal von einem Neuron auf das nächste Neuron bzw. auf eine Effektorzelle
(z.B. Drüse, Muskelfaser). Unter physiologischen Bedingungen erfolgt die Kommunikation
an der Synapse nur in eine Richtung. [14]
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Es gibt zwei Arten von Synapsen: chemische und elektrische Synapsen.
Die chemische Synapse
Erreicht ein Aktionspotential den präsynaptischen Teil der Synapse, verursacht dieser
ankommende Impuls einen Einstrom von Kalzium-Ionen an der präsynaptischen
Zellmembran. Dadurch verschmelzen die mit Transmitter gefüllten Vesikel mit der
Membran und geben ihren Inhalt durch Exozytose in den synaptischen Spalt ab. Die
Transmitter diffundieren über die Synapse und erreichen die postsynaptische Membranen
der nachfolgenden Nerven-, Muskel- oder Drüsenzellen in 0,5 bis 1 ms. Nach Erreichen der
postsynaptischen Membran binden die Transmitter an spezifische Proteine in der
Membran (Rezeptoren). Dadurch wird die postsynaptische Membran elektrisch erregt und
das Signal von Zelle zu Zelle weitergeleitet. [2]
Abb. 10: Struktur - chemische Synapse. (Modifiziert nach Amerman 2015[3])
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Nachdem ein Botenstoff seine Wirkung vollbracht hat, wird er von speziellen Enzymen
aufgebrochen,
inaktiviert
und
zumeist
von
der
präsynaptischen
Membran
wiederaufgenommen und in Vesikel verpackt (Reuptake des Transmitters). [14]
Die elektrische Synapse
Die elektrischen Synapsen stellen im Nervensystem eher eine Ausnahme dar. Sie kommen
vor allem im Herz- und glatten Muskelgewebe vor und beruhen auf dem Prinzip von
interzellulären Ionenkanälen (Gap Junctions, Nexus). [2]
Abb. 11: Struktur - elektrische Synapse. (Modifiziert nach Amerman 2015[3])
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2.
GRUNDLAGEN DER NEUROPHYSIOLOGIE
2.1
Ionenkanäle
Eine zweischichtige Zellmembran, deren innere Schicht aus Phospholipiden und äußere
Schicht sich aus Glykoproteinen besteht, umgibt die Neuronen. Innerhalb der Zellmembran
befinden sich spezialisierte Proteinmoleküle, die Kanäle ausbilden. Diese sind selektiv
durchlässig für Natrium-, Kalium-, Chlorid- oder Kalzium-Ionen. Diese Ionenkanäle setzten
sich aus Transmembranproteinen zusammen und bilden einen wassergefüllten
Diffusionsweg durch die doppelschichtige Zellmembran aus. [11]
Es gibt zwei Hauptklassen von Kanälen: [3,11,15,16,17]
-
Leak channels (Leckkanäle) sind immer offen und erlauben so den Ionen sich
entlang ihres Konzentrationsgradienten, entweder in die Zelle oder aus der Zelle
hinaus, zu bewegen. Der wohl wichtigste Vertreter dieser Klasse ist der K⁺-leak
channel (oder K⁺-resting channel).
-
Gated channels (gesteuerte Kanäle) sind geschlossen und öffnen sich nur auf
bestimmte Reize hin. So öffnen sich (A) Liganden-gesteuerte Kanäle lediglich, wenn
der für sie spezifische Ligand an eine äußere Rezeptorstelle des Kanalproteins
bindet. Dies bewirkt eine Konformationsänderung des Rezeptors, wodurch sich der
Kanal öffnet und die Ionen einströmen können. Solche Kanäle kommen
typischerweise an den Synapsen vor. Die Öffnungswahrscheinlichkeit bei (B)
spannungsabhängigen Kanälen hängt maßgebend vom Membranpotential ab.
Besonders wichtige Vertreter dieses Kanal-Typs sind die entlang von Nerven- und
Muskelfasern vorkommenden Na⁺-Kanäle und die in den Endigungen der
Nervenzellaxone vorkommenden Ca²⁺-Kanäle. Die dritte Art gesteuerter Kanäle
sind die (C) mechanisch gesteuerten Kanäle, die durch mechanische Reize, wie
Druck und Vibration aktiviert werden.
Seite | 29
Abb. 12: Ionenkanäle - Übersicht. (Modifiziert nach Amerman 2015[3])
2.2
Ruhepotential
Die unregelmäßige Verteilung von Ionen im Intra (IZ)- und Extrazellulärraum (EZ) einer
Nervenfaser und die unterschiedliche Ionenleitfähigkeit der Zellmembran führt dazu, dass
sich innerhalb einer Nervenzellen ein elektrisches Potential aufbaut. Ausschlagegebend für
das Ruhepotential einer Zelle ist das Verhältnis der Kalium-Ionen-Konzentration: Im nicht
erregten Zustand (der Zellmembran) diffundieren fortlaufend Kalium-Ionen in den
Seite | 30
Extrazellulärraum. Da die ruhende Membran für K⁺-Ionen gut permeabel ist und die
Konzentration von K⁺-Ionen im intrazellulären Raum ungefähr 35-mal höher ist als im
extrazellulären Raum, diffundieren K⁺-Ionen laufend nach extrazellulär. Aus diesem Grund
lädt sich die Membran langsam negativ auf. Diese negative Aufladung der Zellmembran
kommt zum Erliegen, wenn sie der Diffusionsdruck des Konzentrations-gradienten für K⁺
aufhebt und pendelt sich bei einem Wert (= Höhe des Ruhepotentials) von -60 bis -90 mV
ein. Für Natriumionen ist die ruhende Membran überwiegend impermeabel. [11,17]
2.3
Aktionspotential
Ein Aktionspotential ist per definitionem eine gleichförmige, schnelle Depolarisation und
anschließende Repolarisation (des Membranpotentials) einer Zelle. Bezogen auf das
Nervensystem, wird ein Aktionspotential an einem bestimmten Bereich des Axons, der
sogenannten Triggerzone erzeugt; diese umfasst den Axonhügel und das Initialsegment
eines Axons. D.h. dass ein Aktionspotential nur in (an) einem Axon generiert werden kann;
an den Dendriten und Zellkörpern der Nervenzellen können nur lokale Potentiale erzeugt
werden. Wenn eine Nervenzelle durch elektrische, chemische oder mechanische Stimuli
erregt wird, werden an der Zellmembran Natriumkanäle geöffnet. Die Folge ist ein rascher
Natriumeinstrom, der durch die ungleiche Verteilung von Natrium-Ionen im Intrazellulärraum (IZ) und Extrazellulärraum (EZ) zu erklären ist. Der rasche Einstrom von Natrium-Ionen
führt dazu, dass sich die Membraninnenseite positiv auflädt. Unabhängig von Art und
Stärke des depolarisierenden Reizes wird ein Aktionspotential ausgelöst => „Alles-odernichts-Gesetz“. Das Aktionspotential ist jedoch nur von geringer Dauer, etwa 5 ms. Mit
einer leichten Verzögerung steigt nun auch die Membranpermeabilität der Kalium-Ionen
erneut stark an, was dazu führt, dass Kalium-Ionen aus der Zelle (nach extrazellulär)
diffundieren. Dadurch wird der vorrangegangene rasche Natriumeinstrom kompensiert.
Weiters bewirkt der Kaliumausstrom eine Repolarisation der Membran, wobei hierbei auch
eine aktive Natriumpumpe mitbeteiligt ist. Nachdem ein Aktionspotential erzeugt wurde,
ist die Membran für kurze Zeit für neue Reize unerregbar; diese Zeitspanne wird als
Refraktärzeit bezeichnet. Unterschieden wird eine zunächst absolute Refraktärzeit und
eine (darauf folgende) relative Refraktärzeit. [3,4,11]
Seite | 31
2.4
Erregungsleitung
Beginnend am Axonhügel, bewegt sich das Aktionspotential, über eine schrittweise
(sukzessive)
Eröffnung
von
spannungsabhängigen
Natriumkanälen
entlang
der
Zellmembran des Axons fort. Mit welcher Geschwindigkeit sich dieser „Erregungsberg“, der
als lokale Depolarisation verläuft, ausbreitet, ist stark abhängig vom Umfang des Axons und
der Dicke seiner Markscheide. Einen besonderen Stellenwert nehmen hierbei die RanvierKnoten/Schnürringe ein:
Wie schon unter Kapitel 1.3.3 beschrieben, umhüllt die
Markscheide das Axon und wirkt dabei wie ein elektrischer Isolator, der die Kapazität der
Axonmembran herabsetzt und ihren Widerstand verstärkt. Deshalb wird auch nur in
diesem Bereich der nodalen Axonabschnitte ein Aktionspotential initiiert und die
internodalen, bemarkten Teilbereiche in gewisser Weise „übersprungen“. Diese Art der
Erregungsleitung wird als saltatorische Erregungsleitung bezeichnet und gewährleistet eine
wesentlich raschere Fortleitung der Nervenzellimpulse. [11]
Seite | 32
3.
DAS VEGETATIVE NERVENSYSTEM
3.1
Funktionelle Grundlagen
Das vegetative (auch autonome oder viszerale) Nervensystem innerviert motorisch
vornehmlich die glatte Muskulatur der inneren Organe und Gefäße, sowie exokrine und
endokrine
Drüsen.
Alle
vegetativen
Parameter,
wie
z.B
Kreislauf,
Atmung,
Körpertemperatur, Wasserhaushalt, Verdauung, Stoffwechsel und Fortpflanzung werden
durch das vegetative Nervensystem gesteuert. Gemeinsam mit dem endokrinen System,
ist das vegetative Nervensystem für die „Aufrechterhaltung des inneren Milieus“
(Homöostase) verantwortlich. Des Weiteren passt es die einzelnen Organfunktionen an die
aktuellen Bedürfnisse im Körper und die alternierenden Umwelterfordernisse an. Die
Steuerung des vegetativen Nervensystems findet zum größten Teil auf der unbewussten
Ebene statt. [2,4]
Das vegetative Nervensystem wird anhand funktioneller und struktureller Gesichtspunkte
in drei Teile gegliedert: [18]
-
Sympathikus
-
Parasympathikus
-
Enterisches Nervensystem.
Die Wirkungsweise von Sympathikus und Parasympathikus auf die verschiedensten
Strukturen im vegetativen Nervensystem ist größtenteils gegensätzlich (antagonistisch).
Allerdings arbeiten die sympathischen und parasympathischen Komponenten des
vegetativen Nervensystems eng miteinander zusammen, um die Stabilität des inneren
Körpermilieus aufrecht zu erhalten. Während der Sympathikus in Zeiten von Stress und
körperlicher
Erregung,
Energie
und
Ressourcen
bereitstellt
und
somit
eine
aktivitätssteigernde Wirkung auf den Körper hat, stellt der Parasympathikus seinen Dienst
ganz in die Erholung des Körpers. Er stellt sicher, dass die Leistungsreserven des Körpers
wieder aufgebaut werden und Energie gespeichert wird. Unter dem Einfluss des
Parasympathikus wird Glykogen in die Muskulatur und Leber eingelagert, die DrüsenSeite | 33
aktivität wird gesteigert und die Verdauung aktiviert. Auch werden Blutdruck und
Herzfrequenz gesenkt. Diese Reaktionslage des Organismus nennt man auch „trophotrop“.
[4,19]
Der Parasympathikus entspringt aus dem Hirnstamm und dem Sakralmark, weshalb er
auch als kraniosakrales System bezeichnet wird.
[17]
Im Gegensatz dazu, wird unter dem
Einfluss des Sympathikus, Blutdruck, Herzfrequenz und Energieumsatz gesteigert, um den
Organismus schnell an die wechselnde Belastung anzupassen. Des Weiteren wird die
Verdauung gehemmt. Somit arbeitet der Sympathikus „ergotrop“. In Stress- und
Fluchtreaktionen kommt es zu einer blitzschnellen, maximalen Aktivierung des
Sympathikus. („fight or flight“).
[19]
Der Sympathikus wird auch thorakolumbales System
genannt, da er dem Brustmark und den oberen 2-3 Segmenten des Lumbalmarks
entstammt. [17]
Abb. 13: „Sympathikus (grün) vs. Parasympathikus (blau)“.[20]
Seite | 34
3.1.1 Nervenfortsätze
Das vegetative Nervensystem besitzt einen afferenten (sensiblen) und einen efferente
(motorischen) Schenkel.
Efferenter Schenkel
Die sympathischen und parasympathischen Endneurone (postganglionäre Neurone) liegen
außerhalb des ZNS, wobei die sympathischen Endneurone im Grenzstrang zu finden sind
und die parasympathischen Endneurone in der Nähe des innervierten Organs liegen. Die
vorgeschalteten Neurone, auch präganglionäre Neurone genannt, haben ihren Ursprung
im ZNS; ihre Zellkörper liegen entweder im Seitenhorn der grauen Substanz des
Rückenmarks oder im Hirnstamm. Die Axone dieser Neurone ziehen zu den vegetativen
Ganglien, die außerhalb des ZNS lokalisiert sind und enden synaptisch auf den Zellkörpern
der postganglionären Neurone, welche die Effektororgane des vegetativen Nerven-systems
innervieren. [21]
Afferenter Schenkel
Das bisher Geschriebene trifft jedoch nicht auf den afferenten (sensiblen) Teil des
vegetativen Nervensystems zu. Dieser wird, im Gegensatz zum efferenten Teil nicht in
einen sympathischen und parasympathischen Anteil unterteilt, da es keine Zweigliederung
gibt, weder funktionell noch strukturell betrachtet. Analog zu den somatosensiblen
Afferenzen, liegt der Zellkörper des 1. Neurons, bezogen auf die vegetativen Afferenzen, in
einem Spinalganglion bzw. einem Hirnnervenganglion. [2]
3.2
Anatomische Grundlagen, übergeordnete vegetative Steuerzentren
3.2.1 Hypothalamus
Der Hypothalamus ist jener Teil des Zwischenhirns, der sich von der Lamina terminalis und
dem Chiasma opticum bis zum kaudalen Rand des Corpus mamillare erstreckt. Er liegt
ventral des Sulcus hypothalamicus, an der Seitenwand des 3. Ventrikels. Somit ist
Seite | 35
ersichtlich, dass der Hypothalamus anatomisch gesehen nur einen relativ kleinen Bereich
des Gehirns ausmacht, jedoch strategisch sehr gut platziert ist, in unmittelbare Nähe zum
limbischen System, Thalamus, zu den auf- und absteigenden Tracti, sowie zur Hypophyse.
Mikroskopisch betrachtet, setzt sich der Hypothalamus aus kleinen Nervenzellen
zusammen, die in Gruppen oder Kernen angeordnet sind. Physiologisch gesehen, findet im
Körper kaum eine Tätigkeit statt, die nicht durch den Hypothalamus beeinflusst wird. Er
steuert und integriert die Funktionen des vegetativen Nervensystems und endokrinen
Systems. Somit spielt er eine wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung des Körpermilieus
(Homöostase). Des Weiteren ist er sehr eng mit dem limbischen System verknüpft. [4,5]
3.2.2 Limbisches System
Das limbische System ist unter anderem beteiligt an der Verwertung von Emotionen, der
Entstehung des Triebverhaltens und spielt eine bedeutende Rolle bei der Speicherung von
Gedächtnisinhalten. [22]
Anatomisch betrachtet, umfasst das limbische System folgende Strukturen: Gyrus cinguli,
Gyrus parahippocampalis, Hippocampus, Corpus amygdaloideum (Mandelkern), Corpus
mamillare, Fornix, Nuclei anterioventrales des Thalamus, Septum pellucidum. [4]
3.2.3 Formatio reticularis
Die Formatio reticularis, bezeichnet ein diffuses Netzwerk an Nervenzellen und
Nervenfasern, die sich vom Hirnstamm aus, über die Medulla oblongata, bis hin zum
Thalamus erstrecken. Mikroskopisch betrachtet ist die Formatio reticularis ein Komplex
(aus) grauer Substanz, vermischt mit Faszikeln der auf- und absteigenden Axone und
dendritischen Dornen, die ihr das Aussehen eines „gewebten Netzes“ verleihen. Mit
Ausnahme der Regionen, die den Hirnnervenkernen, dem Nucleus ruber und der
Substantia nigra zugeschrieben werden, nimmt die Formatio reticularis die gesamte graue
Substanz des Hirnstammtegmentums ein und zieht sich bis ins Rückenmark hinab. [2,4,5]
Seite | 36
Gutabgrenzbare Kernregionen der Formatio reticularis sind die Raphekerne und der Locus
caeruleus. Die Kerngruppen der Formatio reticularis lassen sich aufgrund zytoarchitektonischer und funktioneller Gründe in drei longitudinale Zonen (im Hirnstamm)
einteilen: mediane Zone, mediale Zone und laterale Zone.
Die mediane Zone besteht aus den oben genannten Raphekernen. Die mediale Zone
(„ableitende“ Zone) ist durch die Anwesenheit von vielen großen Neuronen, deren Axone
sich in lange auf- und absteigende Äste (auf)gabeln, gekennzeichnet. Die laterale Zone
(„sensorische“ Zone“) besteht aus kleinen Zellen, mit relativ kurzen auf- und absteigenden
Axonen, die in erster Linie in der medialen retikulären Zone enden. Diese laterale Zone
erhält zahlreiche sensorische Informationen aus dem Rückenmark, den Hirnnerven und
dem Cerebellum (Kleinhirn). [2,5]
Die Funktionen der Formatio reticularis sind vielfältig: Einer ihrer wichtigsten Aufgaben ist
die Verschaltung der einzelnen Hirnstammkerne. Das Atem- und Kreislaufzentrum, sowie
das Brechzentrum in der Medulla oblongata und das im Mesencephalon gelegene
Weckzentrum, das auch als aufsteigendes retikuläres aktivierendes System (ARAS)
bezeichnet wird, sind Zentren, die in der Formatio reticularis lokalisiert sind. Der
motorische Teil der Formatio reticularis beeinflusst über Projektionen ins Rückenmark
(Fibrae bzw. Tractus reticulospinales) den Tonus von Rumpf- und Extremitätenmuskulatur
und gehört somit zum extrapyramidalen System. [2,4]
3.3
Organisation des vegetativen Nervensystems
Da die Wirkung von Sympathikus und Parasympathikus auf die verschiedensten Organe
meist gegensätzlich ist, kann man sie funktionell als Antagonisten bezeichnen. Allerdings
arbeiten beide Systeme eng miteinander zusammen, um das Gleichgewicht des
Körpermilieus aufrechtzuerhalten.
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3.3.1 Sympathikus
Das sympathische Nervensystem innerviert das Herz, die Lunge, die Muskulatur der
Blutgefäße, die Haarfollikel, die Schweißdrüsen, sowie den Großteil der abdomino-pelvinen
Eingeweide.
Die Hauptaufgabe des Sympathikus liegt darin, den Körper auf einen möglichen Notfall
vorzubereiten. Sollte dieser (oder eine andere Stresssituation) eintreten, erhöht er die
Herzfrequenz, verengt die Arteriolen der Haut und des Darms, erweitert die Arteriolen in
der Skelettmuskulatur und führt zum Anstieg des Blutdruckes. Darüber hinaus erweitert
der Sympathikus die Pupillen und hemmt (inhibiert) die glatte Muskulatur der Bronchien,
des Darms und der Blasenwand. Weiters aktiviert der Sympathikus die Schweißdrüsen. [4]
Sympathische Efferenzen
Die präganglionären Neurone des sympathischen Nervensystems entspringen aus den
thorakalen und lumbalen Regionen des Rückenmarks (Segmente von Th1-L2). Die meisten
dieser präganglionären Neurone sind kurz. Sie bilden Synapsen mit den postganglionären
Neuronen innerhalb der Ganglien aus, welche wiederum im Grenzstrang (Truncus
sympathicus) zu finden sind. Der Grenzstrang verläuft parallel auf beiden Seiten des
Rückenmarks und besteht aus 22 Ganglien. Ein einzelnes präganglionäres Neuron, kann mit
mehreren postganglionären Neuronen in verschiedenen Ganglien Synapsen ausbilden,
weshalb das Verhältnis von präganglionären Fasern zu postganglionären Fasern im
sympathischen Nervensystem bei 1:20 liegt. Diese Divergenz der präganglionären Neurone
führt zu einer koordinierten sympathischen Stimulation im gesamten Körper. Die meist
sehr langen postganglionären Neurone entstammen dem Grenzstrang und ziehen von dort
zu ihren Erfolgsorganen. [2,4]
Seite | 38
3.3.2 Parasympathikus
Die Aktivitäten des parasympathischen Nervensystems zielen darauf ab, Energie zu
erhalten bzw. zu erneuern: Die Herzfrequenz wird verlangsamt, die Pupillen verengen sich,
die Peristaltik und die Drüsentätigkeit wird erhöht, die Sphinkter öffnen sich und die
Blasenwand wird kontrahiert. [4]
Parasympathische Efferenzen
Die präganglionären Neurone des Parasympathikus entspringen aus mehreren Kernen des
Hirnstamms und aus den Rückenmarkssegmenten S2-S4. Die Axone der präganglionären
Neurone sind recht lang, im Vergleich zu denen des sympathischen Systems. Sie bilden
Synapsen mit den postganglionären Neuronen innerhalb der terminalen Ganglien, die auf
oder in der Wand des Erfolgsorgans liegen. Die Axone der postganglionären Neurone
hingegen sind sehr kurz. Da sich die terminalen Ganglien meist im innervierten Gewebe
befinden, ist die Signaldivergenz sehr gering, im Vergleich zum sympathischen
Nervensystem. In den meisten Organen gibt es ein 1:1 Verhältnis von präganglionären zu
postganglionären Fasern. Die präganglionären Neuronen, die aus dem Hirnstamm
entspringen, verlassen das ZNS über die Hirnnerven. Der Nervus oculomotorius innerviert
die Augen; der Nervus facialis innerviert die Tränendrüsen, die Speicheldrüse und die
Schleimhaut der Nasenhöhle; der Nervus glossopharyngeus innerviert die Parotis
(Speicheldrüse); der Nervus vagus innerviert die Eingeweide des Thorax und des Abdomens
(Herz, Lunge, Magen, Pankreas, Dünndarm, obere Hälfte des Dickdarms und Leber). Die
physiologische Bedeutung dieser Nerven, in Bezug auf den Einfluss des Parasympathikus,
wird durch ihre weite Verbreitung deutlich gemacht und der Tatsache, dass 75% aller
parasympathischen Fasern im Vagusnerv lokalisiert sind. Die präganglionären Neurone, die
aus dem Sakralbereich des Rückenmarks entspringen, verlassen das ZNS und schließen sich
zusammen, um die Beckennerven zu bilden, die die Eingeweide der Beckenhöhle (untere
Hälfte des Dickdarms, Rektum, ableitende Harnwege, innere und äußere Genitale)
innervieren. [2,4]
Seite | 39
3.4
Neurotransmission
3.4.1 Grundlagen der Neurotransmission
Durch ein ankommendes Aktionspotential wird die Nervenendigung depolarisiert, was
einen Calciumeinstrom in das Axoplasma des Nerventerminals zur Folge hat. Die mit
Neurotransmitter gefüllten Vesikel sind durch Synapsin (= ein Protein) an das Zytoskelett
geheftet. Durch den Calciumeinstrom wird das Synapsin phosphoryliert, wodurch sich die
mit Neurotransmitter gefüllten Vesikeln vom Zytoskelett lösen und mit der
präsynaptischen Membran verschmelzen. An der postsynaptischen Membran binden die
ausgeschütteten Transmitter an spezielle Membranproteine, sogenannte Rezeptoren. Man
unterscheidet: (1) Exzitatorische Rezeptoren - bindet ein Transmitter, steigt die
Leitfähigkeit für Kationen (Na⁺/K⁺), was zu einer lokale Depolarisation führt. (2)
Inhibitorische Rezeptoren - bindet ein Transmitter, kommt es aufgrund einer erhöhten
Leitfähigkeit für K⁺ und Cl- zu einer Hyperpolarisation.
Zur Beendigung der Wirkung wird der Transmitter entweder enzymatisch abgebaut oder
er wird über einen speziellen Na+-abhängigen Amintransport wieder in die präsynaptische
Nervenzelle aufgenommen. Synthese, Speicherung und Freisetzung des Neurotransmitters, die Beendigung der Neurotransmitteraktivität und Rezeptoreffekte, bieten
potentielle Angriffspunkte in der pharmakologischen Therapie. [23]
3.4.2 Neurotransmitter
Die häufigsten Neurotransmitter, die von Neuronen im vegetativen Nervensystem
freigesetzt werden, sind Acetylcholin, Adrenalin und Noradrenalin.
Nervenfasern, die Acetylcholin freisetzen, werden als cholinerge Fasern bezeichnet. Dazu
gehören alle präganglionären Fasern des vegetativen Nervensystems, sowohl
sympathische als auch parasympathische; alle postganglionären Fasern des parasympathischen Systems und einige sympathische postganglionäre Fasern. Nervenfasern,
die Noradrenalin freisetzen, werden als adrenerge Fasern bezeichnet. Die meisten
sympathischen postganglionären Fasern setzen Noradrenalin frei. [24]
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Acetylcholin
Abb. 14: Strukturformel: Acetylcholin. [25]
Alle präganglionären Neurone des Sympathikus und Parasympathikus setzen Acetylcholin
frei. Im parasympathischen System fungiert Acetylcholin als Botschafter des postganglionären Neurons und als Mediator an der motorischen Endplatte. Acetylcholin wird
aus Cholin und Acetyl-CoA, welches in den Mitochondrien im Axonende synthetisiert wird,
gebildet. Die vielfältigen Wirkungen von Acetylcholin werden von unterschiedlichen
Rezeptor-Subtypen vermittelt. [24]
Acetylcholin-Rezeptoren und Signaltransduktion
Acetylcholin bindet an zwei Arten von Rezeptoren: an den nikotinischen und
muskarinischen Rezeptor. Nikotinrezeptoren werden vor allem durch den Agonisten
Nikotin erregt und sind ligandengesteuerte Ionenkanäle. Man findet sie auf den Zellkörpern
aller postganglionären Neuronen, in den Ganglien des vegetativen Nervensystems, sowohl
den sympathischen, als auch den parasympathischen post-ganglionären Neuronen.
Acetylcholin wird von präganglionären Neuronen freigesetzt und bindet an einen
Nikotinrezeptor. Dadurch öffnen sich Kanalporen und Na+ und Ca2+-Ionen diffundieren über
die Zellmembran in die Zelle. Der Einstrom dieser zwei Kationen führt zu einer
Depolarisation und in weiterer Folge zur Erregung in den postganglionären Neuronen.
Muskarinrezeptoren werden durch den Agonisten Muskarin erregt und befinden sich auf
der Zellmembran des Effektorgewebes. Sie sind an G-Proteine und Second MessengerSysteme gebunden. Die Stimulation dieser Rezeptoren führt zu einer Aktivierung der GProteine und zur Bildung von intrazellulären chemischen Molekülen, sogenannte Second
Messenger. Deren Funktion besteht darin, gewebespezifische biochemische Effekte in der
Zelle hervorzurufen. Dadurch ändert sich die Aktivität der Zelle. Abhängig vom Gewebe,
auf dem sie lokalisiert sind, haben Muskarinrezeptoren entweder eine hemmende oder
erregende Wirkung. [24]
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Wirkung und Inaktivierung des Acetylcholins
Acetylcholin bewirkt über die Bindung an den nikotinischen Rezeptor entweder eine
Erregung der nachfolgenden postganglionären Neuronen (in den Ganglien) oder eine
Kontraktion der quergestreiften Muskulatur.
Muskarinische Rezeptoren haben ein vielfältiges Wirkungsspektrum. Acetylcholin bewirkt
über die Bindung an muskarinische Rezeptoren eine Steigerung der Magensaftsekretion
(M1-Wirkung), eine Abnahme der Herzfrequenz (M2-Wirkung), eine Kontraktion der
glatten Muskulatur von Darm, Bronchien und verschiedenen Drüsen (M3-Wirkung) und
eine Dilatation der Blutgefäße über indirekte NO-Freisetzung aus den Endothelzellen. [24]
Das Enzym Acetylcholinesterase hydrolisiert Acetylcholin in Acetat und Cholin. Cholin wird
von den präsynaptischen Neuronen wieder aufgenommen, um bei der Synthese von neuen
Acetylcholin-Molekülen wiederverwendet zu werden. [3,24]
Adrenalin
Abb. 15: Strukturformel: R-Adrenalin. [26]
Da die Wirkung von Adrenalin systemisch ist, wird es auch als Hormon bezeichnet. Es wird
während akuter Stresssituationen aus den Zellen des Nebennierenmarks freigesetzt. Dies
geschieht durch nervale Impulse des Sympathikus. [23,27]
Biosynthese des Adrenalins
Adrenalin wird zum größten Teil in den chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks und zu
einem geringen Teil im Gehirn synthetisiert. Adrenalin wird aus der Aminosäure Tyrosin
synthetisiert. Durch das Enzym Tyrosin-Hydrolase wird Tyrosin - im ersten Schritt der
Adrenalinsynthese - zu L-Dihydroxyphenylalanin (L-Dopa) umgewandelt. Durch das im
Zytosol liegende Enzym L-Aminosäure-Decarboxylase wird L-Dopa zu Dopamin
decarboxyliert. Dopamin wird nun weiter durch das Enzym beta-Hydroxylase, das in
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bestimmten Nervenendigungen und in den Zellen des Nebennierenmarks vorkommt, zu
Noradrenalin umgewandelt. Durch Koppelung einer Methyl-Gruppe an Noradrenalin
entsteht schlussendlich Adrenalin. Dieser Vorgang wird durch das Enzym N-Methyltransferase, welches vor allem im Nebennierenmark, aber auch im Gehirn zu finden ist,
katalysiert. [23]
Adrenerge Rezeptoren und Signaltransduktion
Es gibt zwei verschiedene Typen von adrenergen Rezeptoren: α(alpha)- und β(beta)Rezeptoren. Beide Rezeptorarten weisen weitere Subtypen auf: α1-, α2-, β1-, β2- und β3Rezeptoren. All diese Rezeptoren sind des Weiteren an G-Proteine und Second MessengerSysteme gekoppelt. [24]
Stoffwechselwirkungen
Die Effekte des Adrenalins auf den Stoffwechsel werden vor allem durch die Stimulation
der β2-Rezeptoren vermittelt und sind sehr vielfältig. Alle Effekte dienen jedoch ein und
demselben Ziel, nämlich der Bereitstellung von Energiestoffen - in erster Linie Glukose.
Deshalb führt der Glykogenabbau in Leber und Muskulatur und die zusätzlich stattfindende
Glukoneogenese in der Leber zu einer erhöhten Konzentration von Glukose im Blut. Die
Effekte des Adrenalins im Fettgewebe werden durch β3-Rezeptoren vermittelt und führen
dazu, dass Fettsäuren freigesetzt werden. Des Weiteren führt die Aktivierung von α2Rezeptoren auf den B-Zellen des Pankreas zu einer Hemmung der Insulinfreisetzung.
Wirkungen auf das Herz
Die Effekte von Adrenalin auf das Herz werden über β1-Rezeptoren vermittelt und sind
positiv chronotrop (frequenzsteigernd), bathmotrop (erregungssteigernd), dromotrop
(„die Erregungsleitung des Herzens beeinflussend“) und inotrop („die Kontraktionskraft des Herzens beeinflussend“).
Wirkungen auf die Bronchialmuskulatur
In den Bronchien bewirkt Adrenalin über die Aktivierung der β2-Rezeptoren eine
Weitstellung der Bronchien. Adrenalin hat also eine stark bronchodilatatorische Wirkung.
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Wirkungen auf die Blutgefäße
Über eine Aktivierung von α1-Rezeptoren führt Adrenalin zu einer Vasokonstriktion, vor
allem in der Haut und dem Splanchnikusgebiet (Darm). Über eine Aktivierung von β2Rezeptoren bewirkt Adrenalin in den Blutgefäßen eine Vasodilatation. Dadurch werden die
betroffenen Organe, z.B. die Skelettmuskulatur, besser durchblutet und mit mehr
Sauerstoff versorgt.
Abbau des Adrenalins
Mithilfe dreier Enzyme, der Catechol-O-Methyl-Transferase (COMT), der Monoaminoxidase (MAO) und der Aldehyd-Dehydrogenase wird Adrenalin metabolisch in inaktive
Abbauprodukte umgewandelt. Das Endprodukt ist die 3-Methoxy-4-Hydroxy-Mandelsäure, auch Vanilinmandelsäure genannt, die mit dem Harn ausgeschieden wird. [23]
Noradrenalin
Abb. 16: Strukturformel: Noradrenalin. [29]
Der primäre Mediator der sympathischen postganglionären Neurone ist Noradrenalin.
Noradrenalin (NA) wird, wie Adrenalin und Dopamin, aus der Aminosäure Tyrosin
synthetisiert. Die vielfältigen Wirkungen des Noradrenalins spiegeln sich in deren
verschiedenen Rezeptoren wieder (α1-, α2- und β1-Rezeptoren). Noradrenalin führt über
die Aktivierung von α2-Rezeptoren zu einer Hemmung der Insulinausschüttung. Des
Weiteren bewirkt Noradrenalin an der glatten Muskulatur eine Vasokonstriktion. Auf die
Bronchial-muskulatur hat Noradrenalin so gut wie keinen Einfluss.
Noradrenalin kann von einem präsynaptischen Neuron aus dem synaptischen Spalt wieder
aufgenommen und in Vesikeln gespeichert werden. Durch die mitochondriale
Monoaminooxidase wird das wiederaufgenommene Noradrenalin abgebaut. Auch kann
Noradrenalin von der Effektorzelle aufgenommen und durch die Enzyme Catechol-OMethyltransferase (COMT) und Monoaminooxidase (MAO) abgebaut werden. [23,27]
Seite | 44
4.
ARZNEIMITTEL MIT WIRKUNGEN AUF DAS VEGETATIVE NERVENSYSTEM
4.1
Parasympathomimetika
Parasympathomimetika ahmen die Wirkung des Parasympathikus nach; als Botenstoff
agiert dabei Acetylcholin.
Parasympathomimetika können in zwei Gruppen eingeteilt werden:
1.) direkt wirkende Parasympathomimetika
erregen Muskarin- oder Nikotinrezeptoren direkt und beinhalten folgende Untergruppen:
a) Cholinester: Acetylcholin, Methacholin, Carbachol und Betanechol.
b) natürlich vorkommenden Alkaloide: Pilocarpin, Muscarin, Arecolin und Nikotin.
2.) indirekt wirkende Parasympathomimetika
inhibieren die Wirkung des Enzyms Acetylcholinesterase (AChE). Hier unterscheidet man:
a) reversible PSM, wie: Neostigmin, Physostigmin und Edrophonium.
b) irreversible PSM, wie: Echotiophat.
4.1.1 Acetylcholin (ACh)
Da Acetylcholin nur sehr schlecht über die Magenschleimhaut resorbiert wird, ist es oral
verabreicht, unwirksam. Die empfohlene Verabreichungsform ist parenteral/intravenös.
Allerdings wird Acetylcholin im Blut sehr schnell durch das Enzym Acetylcholinesterase
hydrolysiert und in seine Bestandteile - Essigsäure (bzw. Acetat) und Cholin - gespalten.
Aufgrund dessen kommt ACh im klinischen Alltag kaum zu Anwendung. Es besitzt die
Fähigkeit, sowohl die Nikotinrezeptoren auf allen autonomen Ganglien und den
neuromuskulären Synapsen, als auch die Muskarinrezeptoren, die vor allem in den
postganglionären, cholinergen Nervenendigungen sitzen, zu erregen.
Seite | 45
Im nachfolgenden wird die Wirkung von Acetylcholin an den verschiedenen Organen genauer, an den dort vorhandenen Muskarinrezeptoren - erörtert. [30]
Acetylcholin besitzt vier wesentliche Wirkungen auf das (1) Herz-Kreislauf-System; es führt
zu:
-
einer Vasodilatation (der Gefäße),
-
einer Senkung der Herzfrequenz (negativ chronotrop),
-
einer Senkung der Leitungsgeschwindigkeit im AV-Knoten (negativ dromotrop),
-
einer Verringerung der Kontraktionskraft des Herzens (negativ inotrop).
Im (2) Gastrointestinaltrakt bewirkt Acetylcholin eine Steigerung der Motiliät, sowie eine
Entspannung der Schließmuskeln (Sphinkter). Im (3) Harntrakt stimuliert ACh den Musculus
detrusor vesicae (Detrusormuskel) und entspannt den inneren Harnröhren-schließmuskel
(Musculus urethralis), was zur Entleerung der Blase führt. Die Wirkungen von ACh auf den
(4) Respirationstrakt beinhalten nicht nur eine Bronchokonstriktion, sondern auch eine
Steigerung der tracheobronchialen Sekretion und Stimulation der Chemorezeptoren im
Glomus caroticum und Glomus aorticum; beides parasympathische Paraganglien. Diese
Effekte werden hauptsächlich über M3-Muskarinrezeptoren vermittelt. Am (5) Auge
bewirkt Acetylcholin eine Verengung der Pupillen (Miosis, durch Kontraktion des Musculus
sphincter pupillae) und verstärkt die Akkommodation (durch Kontraktion des Musculus
ciliaris). Auf die (6) exokrinen Drüsen (Speichel-, Magen-, Bronchial-, Tränen- und
Schweißdrüsen) wirkt ACh stimulierend. [30,31]
4.1.2 Synthetische Cholinester: Carbachol, Betanechol, Methacholin
Als synthetische Derivate (von Cholin) haben diese Substanzen einige Vorteile, gegenüber
dem Acetylcholin: Sie besitzen eine (a) längere Wirkungsdauer, sind sowohl (b) oral, als
auch parenteral verabreicht, wirksam und (c) sind in ihrer Wirkung selektiver. [30]
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Carbachol (Isopto-Carbachol®, Miostat®)
Carbachol besitzt anstelle der Acetylgruppe (im ACh) eine Carbamoylgruppe, die es vor der
Hydrolyse „schützt“. Dies ist auch der Grund, warum die Halbwertszeit von Carbachol
wesentlich länger ist, als die von ACh (4-24 Stunden, je nach Verabreichungsform).
Carbachol stimuliert auch nikotinische Acetylcholinrezeptoren, allerdings steht die
muskarinerge Wirkung im Vordergrund. Anwendung findet Carbachol vor allem im Bereich
der Ophthalmologie, zur Senkung des Augeninnendrucks beim Glaukom (topische, lokale
Anwendung) und bei Augen-operationen, wo eine Verengung der Pupillen (Miosis)
induziert ist. Dabei wird Carbachol als 0,01-3%ige Lösung ins Auge geträufelt.
Bethanechol (Myocholine-Glenwood®)
Bethanechol ist wie Carbachol ein quartäres Amin. Pharmakokinetik, Pharmakodynamik
und klinische Indikationen sind dem Carbachol sehr ähnlich; jedoch stimuliert Bethanechol
keine Nikotinrezeptoren und weißt daher weniger Nebenwirkungen als Carbachol auf.
Bethanechol wirkt in erster Linie auf den Harn- und Verdauungstrakt. Es ist das Mittel der
Wahl, zur der Behandlung des akuten postpartalen und postoperativen nicht obstruktiven
Harnverhalts. Es bewirkt, über die Stimulation der Muskarin-rezeptoren, eine Kontraktion
der Harnblase, sowie eine Entspannung des äußeren Schließmuskels (external sphincter
muscle of urethra). Weiters regt es die Peristaltik der Harnröhre an. Auch im
Gastrointestinaltrakt bewirkt Bethanechol eine Steigerung der Motiliät und Peristaltik des
Darmes.
Methacholin (Provokit®)
Methacholin ist das β-Methyl-Analogon von Acetylcholin. Es ist als Pulver verfügbar und
wird mit 0,9% Natriumchlorid verdünnt über einen Vernebler verabreicht. Genau wie
Carbachol und Bethanechol ist Methacholin resistent gegenüber dem Enzym
Acetylcholinesterase. Aufgrund dessen reichen schon sehr niedrige Dosen (intravenös
verabreicht) aus, um ähnliche Effekte wie ACh zu erzielen. Methacholin wird inhalativ
verabreicht, um bei PatientInnen, mit Verdacht auf ein Asthma bronchiale, die Diagnose
einer bronchialen Hyperreaktivität festzustellen.
Methacholintest/-prüfung: Methacholin bewirkt als direktes Parasympathomimetikum in
der Lunge eine dosisabhängige Bronchokonstriktion. Diese Reaktion ist bei PatientInnen
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mit Asthma bronchiale erheblich stärker ausgeprägt als beim lungengesunden
PatientInnen. [31]
4.1.3 Alkaloide
In der Gruppe der cholinergen Alkaloide unterscheidet man (1) jene Substanzen, die ihre
Wirkung am Nikotinrezeptor entfalten (z.B. Nikotin und Lobelin) und (2) jene Substanzen,
die ihre Wirkung am Muskarinrezeptor entfalten; dazu zählen Muscarin, Pilocarpin uvm.
Die Wirkung der (direkt wirksamen) Alkaloide sollte am Beispiel von Pilocarpin veranschaulicht werden. [30]
Pilocarpin (Normastigmin®, Betacarpin®, Fotil®)
Pilocarpin ist ein tertiäres Amin und kann aufgrund dessen sehr leicht aus dem
Magendarmtrakt resorbiert werden. Als tertiäres Amin überwindet Pilocarpin auch die
Blut-Hirn-Schranke. Wie alle natürlichen Alkaloide, wird Pilocarpin unverändert über die
Nieren ausgeschieden. [30,31]
Klinische Anwendungen: Pilocarpin wird vor allem zur der Behandlung der Mundtrockenheit (Xerostomie) eingesetzt, die nach einer Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich und
bei PatientInnen mit Sjögren-Syndrom vorkommen kann; dies führt zu einer Steigerung der
Speichelsekretion. Wie Carbachol, kommt Pilocarpin in der Ophthalmologie zur Behandlung des Glaukoms und als miotisches Mittel zur Anwendung.
Kontraindikationen und Nebenwirkungen: sind Folge der Erregung am Muskarinrezeptor Schwitzen, Durchfall, Bauchkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Hypotonie, sowie Akkommodationsstörungen. Die wichtigsten Kontraindikationen für die Verwendung der
Muskarinagonisten sind Asthma bronchiale, COPD, Obstruktionen im Harn- und
Gastrointestinaltrakt, Bradykardie, Hypotonie und Hyperthyreose (Muskarin-Agonisten
können bei PatientInnen mit Hyperthyreose ein Vorhofflimmern auslösen). Alle Nebenwirkungen, als auch gewünschten Wirkungen, lassen sich durch die intravenöse Gabe von
Atropin (= Parasympatholytikum) aufheben. [31]
Seite | 48
4.1.4 Indirekte Parasympathomimetika (AChE-Hemmstoffe)
Indirekte Parasympathomimetika hemmen das Cholinesterase-Molekül. Durch den
dadurch fehlenden Abbau von Acetylcholin im synaptischen Spalt, steigt dessen
Konzentration am Rezeptor und der Einfluss des Parasympathikus nimmt zu/steigt.
Man unterscheidet (a) reversible Hemmstoffe und (b) irreversible Hemmstoffe. Die
wichtigsten Vertreter der reversiblen Hemmstoffe sind Physostigmin, Neostigmin und
Pyridostigmin. [31]
Physostigmin (Anticholium®)
Physostigmin ist ein natürlich vorkommendes Alkaloid, aus den getrockneten, reifen Samen
des Schlingenstrauchs (Physostigma venenosum). Die Früchte des Strauches wurden einst
von Einheimischen in Westafrika dazu verwendet, die Schuld bzw. Unschuld eines
Angeklagten zu beweisen; deshalb werden sie auch heute noch als Gottesurteilbohnen
bezeichnet. Physostigmin wird aus dem Gastrointestinaltrakt, über die Haut und die
Schleimhäute resorbiert. Parenteral verabreicht, wird Physostigmin innerhalb von 2-3
Stunden weitgehend durch das Enzym Plasmaesterase hydrolytisch aufgespalten; die
renale Ausscheidung spielt lediglich eine untergeordnete Rolle.
Klinische Anwendungen: Physostigmin kann zur Behandlung der Myasthenia gravis, dem
Glaukom und bei Störungen der Magenmotilität eingesetzt werden. Aufgrund einer starken
Hemmung der Herzfrequenz und der ausgeprägten Wirkung im Darmtrakt, ist die
systemische Anwendung von Physostigmin als Parasympathomimetikum limitiert. Zumal
es heutzutage wesentlich besser verträgliche Substanzen, wie zum Beispiel Neostigmin und
Pyridostigmin gibt. Im klinischen Alltag von größter Relevanz ist der Einsatz von
Physostigmin, zur der Behandlung zentraler Vergiftungen durch Cholinolytika (Atropin,
Hyoscyamin, Scopolamin, Strychnin), Antidepressiva, Amphetamine und Benzodiazepinen. [31,32]
Seite | 49
Neostigmin (Normastigmin®)
Neostigmin ist ein quartäres Amin und deshalb nicht in der Lage, die Blut-Hirn Schranke zu
überwinden - es existiert bei physiologischem pH-Wert als Kation. Wie Physostigmin und
Pyridostigmin wird auch Neostigmin vom Enzym Acetylcholinesterase hydrolysiert.
Neostigmin wird nur sehr schlecht aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert und daher
ausschließlich parenteral verabreicht.
Klinische Anwendungen: Neostigmin kommt zur Behandlung der Myasthenia gravis (um
der Muskelschwäche entgegen zu wirken), dem isolierten paralytischen Ileus, bei
postoperativem Harnverhalt und als Antidot von nicht-depolarisierenden Muskelrelaxantien zur Anwendung. Ebenso bei Vergiftungen mit kompetitiven ACh-RezeptorAntagonisten wie Curare.
Pyridostigmin (Mestinon®)
Pyridostigmin ist dem Neostigmin in Wirkungen, klinischen Indikationen und möglichen
Nebenwirkungen sehr ähnlich. Allerdings ist Pyridostigmin, in Kombination mit Distigmin,
das Mittel der Wahl zur Erhaltungstherapie/Dauertherapie bei PatientInnen mit
Myasthenia gravis, da die Wirkung des Pyridostigmin langsamer eintritt, aber länger
anhält, als die von Neostigmin.
Edrophonium (Tensilon®, Enlon®)
Edrophonium ist ein kurzwirksamer Cholinesterasehemmer, der sich ideal zur Diagnosestellung neuromuskulärer Erkrankungen, wie die Myasthenia gravis, eignet - der sogenannte Tensilon-Test. Dabei werden 2mg Edrophoniumchlorid schnell intravenös
injiziert. Bleibt die erste Dosis ohne Wirkung, werden 45 Sekunden später zusätzliche 8mg
verabreicht. Leidet der/die PatientIn an einer Myasthenia gravis, kommt es zu einer ca. fünf
Minuten andauernden (Ver)besserung der Muskelschwäche; was besonders an den
Augenlidern beobachtet werden kann. [31,32]
Seite | 50
Irreversible Hemmstoffe (Phosphorsäureester)
Die Phosphorsäureester vom Typ der Organophosphate, wie z.B. Echothiophat und
Isoflurophat, binden an das aktive Zentrum der Cholinesterase und hemmen somit langandauernd bzw. irreversibel dessen Enzymwirkung. Allerdings besitzen diese Verbindungen
keinen therapeutischen Nutzen.
Weitere Organophosphate sind Parathion und Malathion, die aufgrund ihrer geringen
Flüchtigkeit und Stabilität in wässrigen Lösungen als Insektizide eingesetzt werden. [31]
4.2
Parasympatholytika
Als Parasympatholytika werden Substanzen bezeichnet, die an einen muskarinen Rezeptor
binden, und diesen dadurch blockieren. Die periphere cholinerge Übertragung lässt sich
zum einen durch Ganglienblocker in den Ganglien, durch nikotinische AcetylcholinRezeptor-Antagonisten (Muskelrelaxantien) an der motorischen Endplatte und durch
Parasympatholytika (an den parasympathischen Nervenendigungen) hemmen/blockieren.
Parasympatholytika lassen sich einteilen in (1) die natürlich vorkommenden Alkaloide
Atropin und Scopolamin, (2) die halbsynthetischen Derivate dieser Alkaloide, welche sich
von Atropin und Scopolamin in erster Linie durch ihre Disposition im Körper und ihre
Wirkungsdauer unterscheiden und (3) die synthetischen Derivate der Alkaloide, deren
Vertreter eine ausgeprägte Selektivität für bestimmte Muskarinrezeptor-Subtypen zeigen.
Nennenswerte Vertreter der letztgenannten Gruppen sind Homatropin und Tropicamid,
die beide eine kürzere Wirkdauer als Atropin aufweisen, sowie die quartären Amine,
Methylscopolamin, Ipratropium und Tiotropium, welche die Blut-Hirn-Schranke nicht
überwinden können. [31]
Seite | 51
4.2.1 Atropin, Scopolamin, Ipratropium, Tiotropium
Atropin
Das natürlich vorkommende Alkaloid Atropin ist in zahlreichen Nachtschattengewächsen
(Solanaceae), vor allem aber in der Tollkirsche (Atropa belladonna), dem Bilsenkraut
(Hyoscyamus niger) und dem Stechapfel (Datura stramonium) enthalten. Während der Zeit
des römischen Reiches und im Mittelalter wurde die Tollkirsche dazu verwendet,
unliebsame Gegner mit dem giftigen Pflanzensaft zu töten. Namensgebung: Atropos, einer
der drei Schicksalsgöttinnen in der griechischen Mythologie, hatte als Aufgabe, am Ende
der Lebenszeit, den Lebensfaden zu durchtrennen. „Belladonna“ deshalb, da angeblich
italienische Frauen die Tollkirsche dazu benutzen, ihre Pupillen zu erweitern, um dadurch
attraktiver zu erscheinen.
Atropin wird bei (meist versehentlicher oraler Aufnahme) vollständig aus dem Magendarmtrakt resorbiert und gleichmäßig im Körper verteilt. Als tertiäres Amin ist es Atropin
möglich, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Atropin hat eine Halbwertszeit von ca. vier
Stunden und wird über den Leberstoffwechsel eliminiert (ca. 50%); der Rest wird
unverändert über die Nieren ausgeschieden. [31]
Wirkung von Atropin auf die Organsysteme: Im (1) ZNS wirken niedrige Dosen von Atropin
sedierend; hohe Dosen haben eher die gegenteilige Wirkung; sie führen zu starker
Erregung, Agitiertheit und Halluzinationen. Am (2) Auge bewirkt Atropin eine Mydriasis
(Weitstellung der Pupillen, durch Relaxation des Musculus sphincter pupillae), sowie durch
Relaxation bzw. Schwächung/Lockerung des Musculus ciliaris eine Zyklopegie (Verlust der
Fähigkeit zur Akkommodation). (3) Herz-Kreislauf-System: Atropin hemmt/blockiert die
vagale parasympathische Stimulation, was zu einer Tachykardie und Vasokonstriktion
führt. Im (4) Respirationstrakt bewirkt Atropin eine Bronchokonstriktion und führt zu einer
Reduktion des Bronchialsekretes. Senkt im (5) GI-Trakt die Magenmotilität und Sekretion,
relaxiert im (6) Urogenitaltrakt die glatte Muskulatur der Harnröhre (Urethra) und der
Blasenwand (die Miktion wird dadurch verlangsamt) und unterdrückt an den (7) exokrinen
Drüsen (speziell den Schweißdrüsen) deren Sekretion und Produktion. [30]
Seite | 52
Klinische Anwendungen: Gemäß der „Advanced cardiac life support Guidelines (ALSGuidelines)“ ist Atropin das Mittel der Wahl zur Behandlung der symptomatischen
Bradykardie. Bei pulsloser elektrischer Aktivität (PEA) und Asystolie, wird eine AtropinGabe nicht mehr empfohlen.
[28]
Bei der endotrachealen Intubation kann es durch
Stimulation des Vagus zur Bradykardie und Hypotonie kommen; wird Atropin präoperativ
verabreicht, verhindert dies eine Vagusstimulation. Ein weiteres Einsatzgebiet von Atropin
ist bei Kopf-Hals-Operationen, wo eine verminderte/herabgesetzte Speichel-sekretion
gewünscht wird. Atropin wird weiters als Gegengift (Antidot) bei Vergiftungen mit
bestimmten Insektiziden und Nervenkampfstoffen (z.B. Sarin) eingesetzt.
Scopolamin
Scopolamin (auch Hyoscin) wird hauptsächlich aus dem Bilsenkraut (Hyoscyamus niger)
gewonnen und unterscheidet sich von Atropin vor allem durch (a) eine kürzere Wirkdauer
und (b) eine ausgeprägtere Dämpfung des ZNS. Aufgrund dieser Eigenschaften eignet sich
Scopolamin sehr gut als Prämedikation vor Operationen und als Reisemedikament, das es
eine starke antisekretorische und antiemetische Wirkung besitzt. Scopolamin beeinflusst
nach Aufnahme im Körper Herzfrequenz und Blutdruck kaum, indiziert aber eine starke
zentrale Wirkung, was eine tiefe Mydriasis zur Folge hat. In hohen Dosen (verabreicht),
wirkt es zentral toxisch. Dieser Zustand ist lebensgefährlich und äußert sich vor allem durch
Mundtrockenheit, Rubor (Hyperämie), Zyklopegie und Delir; Mittel der Wahl (als Antidot)
ist eine umgehende Gabe von Physostigmin.
Ipratropium (Atrovent®)
Ipratropium wird zur Inhalationstherapie zur der Behandlung der COPD eingesetzt, da es
eine Bronchodilatation hervorruft. Als Nasenspray verabreicht, bewirkt Ipratropium eine
Linderung der Rhinorrhoe.
Tiotropium (Spiriva®)
Tiotropium(bromid) ist ein langwirkendes antimuskarines, anticholinerges Mittel zur
Behandlung von Erkrankungen der Atemwege, wie z.B. der COPD oder des Asthma
bronchiale und bewirkt eine Bronchodilatation (Bronchospasmolytikum). [31,32,33]
Seite | 53
4.3
Sympathomimetika
Sympathomimetika wirken stimulierend auf den Sympathikus; dazu zählen alle Substanzen,
die α1-, α2-, β1-, β2- oder β3-Rezeptoren (Adrenorezeptoren, adrenerge Rezeptoren = GProtein-gekoppelte Rezeptoren) stimulieren/aktivieren. [27]
Sympathomimetika können zum einen nach ihrem (1) molekularen Wirkmechanismus und
(2) nach dem Spektrum von Rezeptoren, an denen sie angreifen, klassifiziert werden. Einige
dieser Substanzen sind direkte Agonisten - Noradrenalin und Adrenalin - d.h. sie aktivieren
einen Adrenorezeptor direkt. Substanzen, die die Konzentration der physiologischen
Transmitter am synaptischen Spalt erhöhen, sind indirekte Agonisten.
Ausschlaggebend für den klinischen Effekt aller Sympathomimetika, ist die Selektivität der
jeweiligen (verabreichten) Substanz, für die Vielzahl an Rezeptorsubtypen. Nichtselektive
adrenerge Agonisten wirken an den speziellen Adrenorezeptoren global im gesamten
Körper und produzieren dadurch eine Vielzahl an systemischen Effekten (inklusive etwaiger
Nebenwirkungen). [31]
4.3.1 Adrenalin
Adrenalin (Suprarenin®)
Adrenalin (Epinephrin) ist DER Prototyp aller adrenergen Substanzen und wird wie in
Kapitel 3.4.2 beschrieben, in den chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks (NNM)
synthetisiert.
Adrenalin wird im Gastrointestinaltrakt sehr schnell zerstört, konjugiert und in der Leber
oxidiert. Daher sollte es nicht oral, sondern intramuskulär oder subkutan verabreicht
werden. Eine intravenöse Injektion von Adrenalin ist nur unter bestimmten Indikationen
und entsprechendem Monitoring zu empfehlen, da die Auswirkungen auf das HerzKreislauf-System durch das Wirkspektrum eklatant ausfallen können (z.B. Auslösen eines
Vorhofflimmerns). Der Abbau erfolgt in der Leber; nur geringe Mengen an Adrenalin
werden unverändert über den Urin ausgeschieden. [30,31]
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Pharmakodynamik: Adrenalin ist ein direkt wirkender, adrenerger Agonist, der an allen αund β-Rezeptoren (α1, α2, β1 und β2) angreift.
Klinische Anwendungen: Adrenalin ist ein hochpotentes (Herz)-Stimulans, das die
Schlagkraft des Herzens und die Herzfrequenz über Erregung der β1-Rezeptoren erhöht
und in charakteristischer Weise zu einer dosisabhängigen Erhöhung des systolischen
Blutdrucks führt. Über die Aktivierung der α1- Rezeptoren, bewirkt Adrenalin ein
Zusammenziehen der glatten Gefäßmuskulatur (=> Vasokonstriktion). [33]
4.3.2 α- und β1-Rezeptor-stimulierende Sympathomimetika
Die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe sind Phenylephrin, Etilefrin und Ephedrin, die
therapeutisch vor allem wegen ihrer systemischen oder lokalen vasokonstriktorischen
Wirkung eingesetzt werden. Dabei ist von geringerer Bedeutung, ob sie direkt oder indirekt
wirken; jedoch sollte stets daran gedacht werden, dass bei der Verabreichung dieser
Substanzen, neben der gewünschten Vasokonstriktion, vermittelt über α-Rezeptoren, es
auch zu unerwünschten Wirkungen am Herzen, wie Tachykardie und Extrasystolie kommen
kann (vermittelt über β1-Rezeptoren am Herzen).
Phenylephrin (Neosynephrin®, Vibrocil®)
Phenylephrin unterscheidet sich von Adrenalin - chemisch betrachtet - zum einen durch
das Fehlen der 4-OH Gruppe und zum anderen durch seine längere Wirkdauer. Es bewirkt
überwiegend eine lokale Vasokonstriktion, weshalb es therapeutisch zur Abschwellung der
Schleimhäute bei Rhinitis oder Konjunktivitis eingesetzt werden kann. Im Bereich der
Notfallmedizin, Anästhesie und Geburtshilfe kommt Phenylephrin auch als Vasopressor
zum Einsatz. [31,32]
Etilefrin (Effortil®)
Etilefrin ist das N-Ethyl-Analogon des Phenylephrins. Es vermittelt seine Wirkung nicht nur
über die Stimulation der α-, sondern auch über die der β-Rezeptoren. Wegen seiner
systemisch vasokonstriktorischen Wirkung wird Etilefrin bei Hypotonie, orthostatischer
Dysregulation und posturaler Hypotension eingesetzt. Über die Stimulation der β1Seite | 55
Rezeptoren am Herzen bewirkt Etilefrin eine Steigerung des Herzzeitvolumens und eine
Blutdrucksteigerung. Es wird oral verabreicht fast vollständig resorbiert, besitzt eine relativ
hohe Bioverfügbarkeit und ist gegenüber dem Abbau durch die hepatischen MAO relativ
stabil. Aufgrund seiner phenolischen Hydroxylgruppe ist es Etilefrin nicht möglich, die BlutHirn-Schranke zu überwinden.
Ephedrin
Ephedrin ist ein Alkaloid vom Phenylethylamin-Typ und kommt in der Natur in Pflanzen der
Gattung Ephedra vor. Ephedrin stimuliert α- und β-Rezeptoren (direkte Wirkung); darüber
hinaus steigert es die Freisetzung von Noradrenalin aus den sympathischen Neuronen
(indirekte Wirkung), weshalb es zu den gemischt wirkenden Sympathomimetika zählt.
Klinische Anwendungen: Ephedrin stimuliert/erregt die Herzfrequenz, die Herzleistung und
erhöht den peripheren Widerstand; infolgedessen kommt es zu einer Blutdruckerhöhung.
Über die Erregung von β-Rezeptoren in der Lunge wird eine Bronchodilatation vermittelt.
Ephedrin wirkt nicht nur peripher, sondern auch zentral, mit einer Halbwertszeit von 3-6
Stunden und wird weitgehend unverändert über den Urin ausgeschieden. Heutzutage wird
Ephedrin meist nur noch in Mischpräparaten, wie in Broncholytika, Antitussiva,
Grippemitteln und Venentherapeutika, verwendet. [31,33]
4.3.3 β-Rezeptor-stimulierende Sympathomimetika
Isoprenalin (Isuprel®)
Isoprenalin ist ein potenter, nicht-selektiver β-Rezeptor Agonist, mit nur einer sehr
geringen Affinität für den α-Rezeptor. Intravenös verabreicht senkt Isoprenalin den
peripheren Gefäßwiderstand, vor allem in der Skelettmuskulatur, aber auch in den Nierenund Mesenterialgefäßen. Es kommt zu einer Steigerung der Herzleistung (positiv inotrop
und chronotrop); die Gabe von Isoprenalin kann aber auch kardiale Effekte wie
Palpitationen, Sinustachykardie und Arrhythmien auslösen. Isoprenalin bewirkt eine
Relaxation der glatten Muskulatur; dieser Effekt ist besonders in der glatten Muskulatur
der Bronchien und des GI-Traktes sehr ausgeprägt. Um eine Broncho-konstriktion und die
antigen-induzierte Freisetzung von Histamin und anderen Entzündungsmediatoren zu
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verhindern bzw. zu lindern, wurde Isoprenalin früher häufig zur Behandlung des Asthma
bronchiale eingesetzt; heutzutage existieren andere β2-Sympathomimetika, die ein
besseres Wirkprofil bei geringeren Nebenwirkungen aufweisen. Parenteral oder als Aerosol
verabreicht, wird Isoprenalin sehr schnell resorbiert und in der Leber verstoffwechselt.
Klinische Anwendungen und Nebenwirkungen: Isoprenalin (i.v. verabreicht) kommt bei
bradykarden Herzrhythmusstörungen (z.B. dem AV-Block), Asystolie und bei PatientInnen
mit ventrikulärer Arrhythmie (Torsade-de-Pointes) zum Einsatz. Wie schon im Absatz zuvor
beschrieben, kommen in der Behandlung des Asthma bronchiale mittlerweile andere β2Sympathomimetika zum Einsatz. Häufige Nebenwirkungen von Isoprenalin können sein:
Palpitationen, Tachykardie, Kopfschmerzen, Flush. Insbesondere bei PatientInnen mit
bekannter KHK, kann es zu vermehrtem Auftreten von Herzrhythmusstörungen und
Herzischämien kommen.
4.3.4 β2-selektive Sympathomimetika
Da (nichtselektive) β-Rezeptor-Agonisten, in der Behandlung des Asthma bronchiale oder
der COPD eingesetzt, ebenso die β1-Rezeptoren am Herzen stimulieren (Nebenwirkungen!) und dadurch ein eher ungünstiges Wirkungsprofil aufweisen, wurden
Substanzen entwickelt, die bevorzugt eine Affinität für β2-Rezeptoren aufweisen.
Allerdings ist diese Selektivität nur relativ, nicht absolut, und bei hoher Konzentration der
Substanz/des Medikaments geht sie vollständig verloren. Eine weitere Strategie, die die
Nützlichkeit einiger β2-selektiven Agonisten in der Behandlung des Asthma bronchiale und
der COPD erhöht hat, war die strukturelle Modifizierung dieser Substanzen, wodurch sich
ihre Stoffwechselraten verringerten und ihre orale Bioverfügbarkeit, im Vergleich zu den
Katecholaminen, stark verbesserte.
Die Verabreichung von β2-Rezeptor Agonisten als Aerosol, führt in der Regel, meist
innerhalb von wenigen Minuten, zum gewollten Therapieansprechen; allerdings gibt es
einige Agonisten, wie z.B. Salmeterol, die einen verzögerten Wirkungseintritt haben. [31,32]
Während eine subkutane Verabreichung auch prompt eine Bronchodilatation bewirkt,
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kann das Maximum der Wirkintensität von oral verabreichten Substanzen dennoch
mehrere Stunden verzögert sein.
Wie schon mehrfach erwähnt, werden β2-Rezeptor Agonisten zur Behandlung des Asthma
bronchiale und der COPD eingesetzt; es kommt zu einer Aktivierung der pulmonalen β2Rezeptoren, worauf sich die glatte Muskulatur in den Bronchien entspannt und der
Atemwegswiderstand dadurch gesenkt wird. Obwohl diese Effekte, bei PatientInnen mit
Asthma bronchiale, die Hauptwirkung dieser Medikamente zu sein scheint, deutet jedoch
einiges darauf hin, dass β2-Rezeptor Agonisten auch die Freisetzung von Leukotrienen und
Histamin aus den Mastzellen im Lungengewebe unterdrücken, die mukociliare Funktion
erhöhen, die mikrovaskuläre Permeabilität verringern und möglicherweise auch das Enzym
Phospholipase A2 hemmen. Diese zusätzlichen Wirkungen sind für den Krankheitsverlauf
bzw. Therapieerfolg als durchaus positiv zu betrachten. [31,33]
Orciprenalin (Alupent®)
Orciprenalin, das chemische Isomer von Isoprenalin, besitzt genau wie Terbutalin und
Fenoterol (die in den folgenden Absätzen noch genauer abgehandelt werden) an der
dritten und fünften Position des Phenylrings eine Hydroxylgruppe. Folglich ist Orciprenalin
resistent gegen die Methylierung durch das Enzym COMT und ein wesentlicher Anteil (40%)
wird in aktiver Form (nach oraler Verabreichung) absorbiert. Die Ausscheidung erfolgt in
erster Linie als Glucuronsäure-Konjugat. Nach inhalativer Verabreichung tritt die Wirkung
innerhalb weniger Minuten ein. Orciprenalin wirkt stark broncholytisch und ist mittlerweile
nur noch zur Behandlung des akuten Asthmaanfalls zugelassen (wobei hierfür ebenso
effektivere Medikamente am Markt zu finden sind). Einige Einsatzgebiete können als OffLabel-Use genannt werden, wie bradykarde Herzrhythmusstörungen (zur Überbrückung
einer endgültigen Schrittmacher-Therapie) oder als Antidot bei relativer oder absoluter
Überdosierung mit Betablockern. [31]
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Salbutamol (Sultanol®)
Salbutamol ist ein (kurzwirksamer, „SABA“ = short-acting β2-agonist) selektiver β2Rezeptor Agonist, mit pharmakologischen Eigenschaften und therapeutischen Indikationen
ähnlich dem Terbutalin. Im Regelfall wird Salbutamol inhalativ verabreicht und es kommt
zu einem Wirkungseintritt innerhalb weniger Sekunden, mit einem Wirkungsmaximum
nach ca. 15 Minuten und einer Wirkdauer von ca. drei bis vier Stunden. Salbutamol kann
auch oral (Retardtabletten oder als Lösung) verabreicht werden, wenn ein verzögerter
Wirkungseintritt gewollt ist.
Salbutamol wird als Bronchospasmolytikum in der Therapie des Asthma bronchiale (Abb.
17), chronischer Bronchitis und der COPD eingesetzt. Oral verabreicht besitzt Salbutamol
das Potential, frühzeitig auftretende Wehen zu hemmen. Die Nebenwirkungen und
Kontraindikationen sind ähnlich denen aller β2-Rezeptor Agonisten (Schwitzen, Tremor,
Palpitationen, Tachykardie, Kopfschmerzen, Schwindel); die kardiovaskulären Wirkungen
sind jedoch deutlich schwächer ausgeprägt, als jene von z.B. Isoprenalin. Oral verabreicht
besitzt Salbutamol das Potential, frühzeitig auftretende Wehen zu hemmen. [31,32]
Abb. 17: Pathologie des Asthma bronchiale. [35]
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Levosalbutamol
Levosalbutamol ist das R-Enantiomer des Salbutamol und besitzt dasselbe/dieselbe(n)
Behandlungsspektrum, Pharmakokinetik und pharmakodynamischen Eigenschaften.
Salmeterol (Serevent®) und Formoterol (Foradil®, Oxis®) zählen zu den langwirksamen β2selektiven Sympathomimetika („LABA“ = long-acting β2-agonist). Aufgrund des langsamen
Wirkeintritts sind sie nicht zur Akutbehandlung von Atemwegserkrankungen mit
bronchialer Beteiligung geeignet.
Terbutalin (Bricanyl®)
Terbutalin ist ein schnell wirksames β2-selektives Sympathomimetikum („RABA“ = rapid
acting β2-agonist). Es wird vor allem bei reversiblen Verengungen der Atemwege, wie dem
Asthma bronchiale und der COPD eingesetzt. Die Verabreichung erfolgt im Regelfall per
inhalationem, kann jedoch auch parenteral, als Notfallsmedikament, beim Status
asthmaticus eingesetzt werden. Aufgrund seiner Wirkung auf die glatte Muskulatur des
Uterus, kommt Terbutalin auch als Tokolytikum (Hemmung der Wehentätigkeit) in der
Geburtshilfe zur Anwendung.
Weitere schnell wirksame β2-seletive Sympathomimetika sind Fenoterol (Berotec®) und
Reproterol (Bronchospasmin®).[31,32,33]
4.4
Sympatholytika
Sympatholytika,
oder
auch
Adrenolytika
genannt,
sind
Substanzen,
die
die
sympathischen/adrenergen Rezeptoren blockieren und so die Erregungsübertragung an
den sympathischen Nervenenden auf die (sympathischen) Effektorzellen verhindern.
Unterschieden werden α-Sympatholytika (α-Blocker), welche den α-Rezeptor blockieren
und β-Sympatholytika (β-Blocker), welche den β-Rezeptor hemmen. Alle Wirkstoffe/
Substanzen haben einen sehr hohen Stellenwerte im klinischen Alltag und werden vor
allem zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt. [31]
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Nahezu alle Substanzen dieser zugehörigen Gruppe sind kompetitive Antagonisten, d.h. sie
binden an dieselbe Zielstruktur wie der entsprechende Agonist und verhindern dadurch
dessen Bindung. Eine wichtige Ausnahme
ist Phenoxybenzamin (Dibenzyran®), ein
irreversibler Antagonist am α1- und α2-Rezeptor.
4.5
Sympatholytika - α-Rezeptor-blockierende Substanzen (α-Blocker)
α-adrenerge Rezeptoren vermitteln viele wichtige Funktionen der endogenen
Katecholamine, wie z.B. die über α1-Rezeptor-vermittelte Kontraktion der arteriellen,
venösen und viszeralen glatten Muskulatur. α2-Rezeptoren unterdrücken die
sympathische Leistung/den sympathischen Tonus (Adrenalin), erhöhen den Vagotonus,
erleichtern die Blutplättchenaggregation, hemmen die Freisetzung von Noradrenalin und
Acetylcholin (aus den Nervenendigungen) und regulieren metabolische Effekte. Zu diesen
Effekten zählen unter anderem die Unterdrückung der Insulinsekretion und die Hemmung
der Lipolyse. Auch α2-Rezeptoren vermitteln die Kontraktion einiger Arterien und Venen.
α-Rezeptor
Antagonisten
bieten
ein
breites
Spektrum
an
pharmakologischen
Besonderheiten und sind chemisch betrachtet äußerst heterogen. Ihre Affinität(en) für α1und α2-Rezeptoren unterscheiden sich je Wirkstoff/Substanz deutlich. [31,32]
4.5.1 α1-Rezeptor Antagonisten
Durch Blockade der α1-Rezeptoren, wird die von den endogenen Katecholaminen
induzierte Vasokonstriktion gehemmt; dadurch sinkt der periphere Widerstand, was einen
Blutdruckabfall zur Folge hat. Wie ausgeprägt dieser Effekt ist, hängt von der Aktivität des
sympathischen Nervensystems ab, bezogen auf jenen Zeitpunkt, an dem der
entsprechende Antagonist verabreicht wurde. Weiters können durch Blockade der α1Rezeptoren einige Symptome der gutartigen benignen Prostatahyperplasie (BPH) gelindert
werden, wie z.B. dem Harnverhalt. Da die Prostata und die Gewebe des unteren
Harntraktes einen hohen Anteil an α1-Rezeptoren aufweisen, kommt es bei einer Blockade
zu einer α-Rezeptor-vermittelten Entspannung der glatten Muskulatur (in/um die Prostata
und im Blasenhals); somit wird das Ausströmen des Urins wesentlich erleichtert. Das
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Haupteinsatzgebiet im klinischen Alltag der α1-Rezeptor Antagonisten ist jedoch das HerzKreislauf-System.
Prazosin (Minipress®)
Prazosin ist der Prototyp aller α1-selektiven Antagonisten. Die Affinität zum α1-Rezeptor
ist um das ca. 1000-fache gegenüber dem α2-adrenergen Rezeptor erhöht und besitzt
ähnliche Potenzen zu den α1A-, α1B- und α1D-Subtypen.
Prazosin und seine pharmakologischen Verwandten, Doxazosin (Supressin®) und
Terazosin, werden vor allem zur Behandlung der arteriellen Hypertonie eingesetzt.
Terazosin ebenso bei der BPH.
Die Hauptwirkung von Prazosin resultiert aus einer Blockade der α1-Rezeptoren in den
Arteriolen und Venen. Dies führt zur Verringerung des peripheren Widerstands und des
venösen Rückstrom zum Herzen. Es verringert die kardiale Vorlast und bewirkt keine
Erhöhung der Herzfrequenz. Prazosin wird nach oraler Verabreichung gut resorbiert, bei
einer Bioverfügbarkeit von 50-70%. Die Plasmahalbwertszeit beträgt ca. 2-4 Stunden. Es ist
fest an Plasmaproteine gebunden (nur ca. 5% zirkulieren frei im Blutkreislauf);
Erkrankungen, bei denen es zu einer Veränderung der Plasmaproteine kommt (z.B.
entzündliche Prozesse), können somit die freie Fraktion des Wirkstoffes verändern.
Prazosin wird weitgehend in der Leber metabolisiert und nur geringe, unveränderte
Mengen der Substanz werden über die Nieren ausgeschieden.
Weiters wird Prazosin bei PatientInnen mit Raynaud-Syndrom (Abb. 18, Durchblutungsstörungen der Finger, durch auftretende Vasospasmen) und der BPH eingesetzt. [31,32,33]
Abb. 18: Typische (weiße) Finger bei Raynaud-Syndrom. [36]
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Terazosin (Uroflo®, Vicard®)
Terazosin ist ein strukturelles Analogon zu Prazosin, besitzt jedoch eine höhere Spezifität
für den α1-Rezeptor, auch wenn es weniger potent als Prazosin ist. Terazosin unterscheidet
nicht zwischen den α1-Subtypen.
Der wesentliche Unterscheid, zwischen Terazosin und Prazosin, besteht in ihren
pharmakologischen Eigenschaften: Terazosin besitzt eine höhere Wasserlöslichkeit als
Prazosin, was die Bioverfügbarkeit heraufsetzt (>90%). Die Wirkdauer beträgt in der Regel
bis zu 18 Stunden. Folglich reicht es, wenn die Substanz von PatientInnen mit arterieller
Hypertonie oder BPH einmal am Tag eingenommen wird. Ein interessanter Aspekt der
Wirkung von Terazosin und Doxazosin in der Behandlung von Störungen der unteren
Harnwege, bei Männern mit benigner Prostatahyperplasie, ist die Induktion zur Apoptose
von glatten Muskelzellen der Prostata. Diese induzierte Apoptose kann die Symptome
(durch Begrenzung der Zellproliferation) der chronischen BPH verringern. Nur ca. 10 % des
Terazosins wird unverändert über den Urin ausgeschieden. Als Initialdosis wird 1mg
empfohlen. Die Dosen werden langsam nach oben, in Abhängigkeit von der
therapeutischen Reaktion, titriert.
Alfuzosin (Uroxatral®)
Alfuzosin ist ein Chinazolin-basierter α1-Rezeptor Antagonist und wird häufig bei der
Behandlung der BPH eingesetzt; zur Behandlung der art. Hypertonie ist es nicht zugelassen.
Alfuzosin besitzt eine Bioverfügbarkeit von ca. 60% und eine Halbwertszeit von 3-5
Stunden. Alfuzosin ist ein Substrat von CYP3A4, weshalb die gleichzeitige Einnahme von
CPY3A4-Inhibitoren (wie z.B. Ketoconazol, Clarithromycin, Itraconazol, Ritonavir)
kontraindiziert ist. Alfuzosin sollte bei PatientInnen mit einem Risiko für ein verlängertes
QT-Syndrom (Long-QT-Syndrom) vermieden werden. Die empfohlene Dosis beträgt 10mg
in Form einer Retardtablette. [31,32]
Tamsulosin (Aglandin®, Alna®)
Tamsulosin ist ein Benzolsulfonamid und ein α1-Rezeptor Antagonist mit einer gewissen
Selektivität für α1A- und α1D-Rezeptoren. Diese Selektivität kann die Blockade von α1ARezeptoren in der Prostata begünstigen. Tamsulosin ist sehr wirksam in der Behandlung
der BPH, mit nur geringen Auswirkungen auf den Blutdruck. Die Halbwertszeit beträgt ca.
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5-10 Stunden und wird weitgehend durch CYP metabolisiert. In einer Übersichtsarbeit aus
dem Jahr 2005, traten bei ca. 20% aller PatientInnen, denen eine höhere Dosis Tamsulosin
verabreicht wurde, ungewollte Ejakulationen als Nebenwirkung auf. [34]
Silodosin (Urorec®)
Silodosin ist ein α1-Rezeptor Antagonist mit einer Selektivität für α1A-Rezeptoren. Es ist
zur Behandlung der BPH zugelassen und hat nur geringe Auswirkungen auf den Blutdruck.
Dennoch können Schwindel und orthostatische Hypotonie auftreten. Die häufigste
Nebenwirkung von Silodosin ist allerdings eine retrograde Ejakulation (bei 28% aller
Behandelten). Silodosin wird als Kapsel verabreicht, in Dosierungen von 4mg oder 8mg.
4.5.2 α2-Rezeptor Antagonisten
α2-Rezeptoren spielen eine wichtige Rolle in der Regulation der Aktivität des
sympathischen Nervensystems, sowohl peripher als auch zentral. Wie bereits erwähnt,
hemmt die Aktivierung präsynaptischer α2-Rezeptoren die Freisetzung von Noradrenalin
und anderen Co-Transmittern aus den peripheren Nervenenden. Eine Aktivierung der α2Rezeptoren im pontomedullären Bereich des ZNS hemmt die Sympathikusaktivität und
führt zu einem Abfall des Blutdrucks; an diesen Rezeptoren greifen Substanzen wie z.B.
Clonidin (Catapresan®) an.
Yohimbin (Yocon-Glenwood®)
Yohimbin ist ein sehr potenter α2-Rezeptor Antagonist. Es ist ein natürliches Indol-alkaloid,
das in der Rinde des Yohimbe-Baumes und den Rauwolfiawurzeln vorkommt. Yohimbin
überwindet rasch die Blut-Hirn-Schranke und bewirkt über zentrale Mechanismen eine
Erhöhung des Blutdrucks und der Herzfrequenz; es verstärkt auch die motorische Aktivität
und kann somit einen Tremor hervorrufen. Diese Wirkungen sind denen von Clonidin,
einem α2-Agonisten, entgegengesetzt. Yohimbin antagonisiert auch die Wirkungen von
Histamin (5-HT). Yohimbin wurde vor allem zur Behandlung der erektilen Dysfunktion
eingesetzt; jedoch mittlerweile von Mitteln mit einem besseren Wirkungsprofil vom Markt
verdrängt. [31,32]
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4.5.3 Nicht-selektive α-Rezeptor Antagonisten
Phenoxybenzamin (Dibenzyran®) und Phentolamin
Phenoxybenzamin und Phentolamin zählen zu den nicht-selektiven α-Rezeptor
Antagonisten. Phenoxybenzamin, eine Halogenalkanamin-Verbindung, ist ein irreversibler
Antagonist; während Phentolamin, ein Imidazolin, ein kompetitiver Antagonist ist.
Therapeutische Anwendungen: Phenoxybenzamin wird zur Behandlung des Phäochromozytoms eingesetzt. Phäochromozytome sind Tumore des Nebennierenmarks (oder
der sympathischen Paraganglien), die hormonell sehr aktiv sind und große Mengen an
Katecholaminen produzieren. Dies führt bei betroffenen PatientInnen meist zu einer
schweren Hypertonie, die auch nur episodisch auftreten kann. In der Regel werden
Phäochromozytome chirurgisch saniert; dabei bedarf es einer guten präoperativen
Vorbereitung, unter anderem der Gabe von Phenoxybenzamin. Dadurch können die
Episoden einer schweren Hypertonie und dabei miteinhergehenden Schädigungen (der
Katecholamine, an den Endorganen) minimiert werden. Ein konservativer Ansatz ist, die
Behandlung mit Phenoxybenzamin ca. 1-3 Wochen vor der Operation zu initiieren. Die
Dosis wird jeden zweiten Tag erhöht, bis die gewünschte Wirkung auf den Blutdruck
erreicht wird (unter Berücksichtigung der Nebenwirkungen/unerwünschten Wirkungen).
Phenoxybenzamin kann auch bei PatientInnen mit einem inoperablen Phäochromozytom
zur Langzeittherapie eingesetzt werden. [31,32]
4.5.4 Weitere α-Rezeptor Antagonisten
Indoramin (Wydora®)
Indoramin ist ein selektiver, kompetitiver α1-Rezeptor Antagonist. Es wird zur Behandlung
des arteriellen Hypertonus, der BPH und bei Migräne eingesetzt. Als selektiver α1-Rezeptor
Antagonist senkt Indoramin den Blutdruck, bei nur gering ausgeprägter tachykarder
Wirkung. Es verringert auch die Häufigkeit von Raynoud-Attacken. Die Bioverfügbarkeit
liegt bei nur ca. 30 % (mit erheblicher Variabilität, ausgeprägter First-Pass-Metabolismus).
Nebenwirkungen von Indoramin können sein: Sedierung, trockener Mund und Versagen
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der Ejakulation. Obwohl Indoramin ein sehr wirksames antihypertensives Mittel ist, besitzt
es eine komplexe Pharmakokinetik, weshalb es sehr selten zur Anwendung kommt.
Urapidil (Ebrantil®)
Urapidil ist ein selektiver α1-Rezeptor Antagonist. Über die Blockade peripherer α1Rezeptoren bewirkt Urapidil eine Senkung des Blutdrucks; allerdings besitzt es auch eine
ZNS Wirkung. Einsatzgebiete sind vor allem die Notfallmedizin/Anästhesiologie, zur
Behandlung von hypertensiven Schwankungen, z.B. intraoperativ.
4.6
Sympatholytika - β-Rezeptor-blockierende Substanzen (β-Blocker)
Raymond Perry Ahlquist, ein US-amerikanischer Pharmakologe, stellte im Jahr 1948 eine
Hypothese auf, dass die Effekte der Katecholamine über zwei verschiedene Rezeptoren,
nämlich α- und β-Rezeptoren vermittelt werden. Damit legte er den Grundstein, für die
Synthese und pharmakologische Evolution von β-Rezeptor Antagonisten; kompetitive
Antagonisten an β-adrenergen Rezeptoren, auch Beta-Blocker genannt, erlangten dadurch
eine enorme klinische Aufmerksamkeit, zur Behandlung des Bluthochdrucks, ischämischer
Herzerkrankungen, kongestivem Herzversagen und Herzrhythmusstörungen. Die erste
derartige (selektive) Substanz war Dichloroisoprenalin (DCI), ein partieller Agonist am β1und β2-Rezeptor. Auch wenn DCI nie von klinischer Bedeutung war, führte diese
„Vorläufer-Substanz“ zur Entwicklung des ersten klinisch relevanten Beta-Blockers,
Propranolol.
Die bedeutendsten therapeutischen Wirkungen aller β-Rezeptor Antagonisten beziehen
sich auf das kardiovaskuläre System. Da Katecholamine eine positiv chronotrope und
inotrope Wirkung zeigen, stellen sich β-Rezeptor Antagonisten genau dem entgegen, und
führen zu einer Senkung der Herzfrequenz und Verringerung der Kontraktilität des Herzens.
Sie wirken somit antihypertensiv, antiischämisch und weisen antiarrhythmische
Eigenschaften auf. [31,32,33]
Beta-Blocker binden selektiv an β-Adrenorezeptoren und bewirken einen kompetitiven und
reversiblen Antagonismus jener Wirkungen, die über β-adrenerge Reize auf verschiedene
Organe hervorgerufen werden. Die pharmakologischen Wirkungen können aus der
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Kenntnis heraus, in welchen Organen die entsprechenden Rezeptoren vorhanden sind und
der Aktivität des sympathischen Tonus erklärt werden. So haben Beta-Blocker relativ wenig
Einfluss auf die Herzfrequenz und Kontraktilität des Herzens, wenn sich der/die PatientIn
im Ruhezustand befindet; wird das sympathische Nervensystem aktiviert, z.B. durch
körperliche Aktivität oder anderer Stressoren, erzielen Beta-Blocker ihren Effekt, und
verlangsamen, wie schon weiter oben beschrieben, die Herzfrequenz und verringern die
Kontraktilität.
Klassifizierung der Beta-Blocker
Beta-Blocker können grob eingeteilt werden in:
-
(a) nicht-selektive Beta-Blocker, welche eine kompetitive Blockade sowohl der β1als auch der β2-Rezeptoren bewirken und
-
(b) jene, die eine viel höhere Affinität für β1- als für β2-Rezeptoren besitzen und
daher auch als selektive β1-Rezeptor Antagonisten bezeichnet werden. Diese
Selektivität ist dosisabhängig und sinkt oder verschwindet, sobald höhere Dosen
verabreicht werden.
Da Beta-Blocker eine große strukturelle Ähnlichkeit zu β-Sympathomimetika besitzen,
erklärt sich deren teilweise paradoxe Wirkung. So können einige Beta-Blocker eine
geringfügige erregende (agonistische) Wirkung auf β-Rezeptoren hervorrufen, eine
sogenannte intrinsische sympathomimetische Aktivität (ISA), welche meist unerwünscht
ist. Einige Beta-Blocker besitzen zusätzlich eine gefäß-erweiternde (vasodilatierende)
Wirkung, z.B. Carvedilol und Labetalol, über die Blockade des α1-Adrenorezeptors, weisen
einen β2-adrenergen Rezeptoragonismus auf (Celiprolol) oder wirken über unabhängige
Mechanismen, ohne Adrenorezeptorblockade (Bucindolol, Nebivolol). Zusätzlich werden
Beta-Blocker in lipophile und hydrophile Substanzen unterteilt. [31]
Lipophile Substanzen wie Metoprolol, Propranolol und Timolol werden schnell und
vollständig aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert, unterliegen aber einem hohen FirstPass-Effekt, was ihre orale Bioverfügbarkeit auf ca. 10-30% einschränkt. Bei PatientInnen
mit
eingeschränkter
Leberdurchblutung
(z.B.
ältere
Menschen,
kongestiver
Herzinsuffizienz, Leberzirrhose) können diese Substanzen sehr leicht akkumulieren. Alle
lipophilen Beta-Blocker besitzen eine kurze Eliminationshalbwertszeit (1-5 Stunden) und
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können leicht die Blut-Hirn-Schranke überwinden, weshalb es auch zu zentralen
Nebenwirkungen kommen kann. Hydrophile Substanzen, wie Atenolol und Esmolol,
werden unvollständig aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert und unverändert oder als
aktive Metaboliten über die Niere(n) ausgeschieden. Sie besitzen eine längere
Halbwertszeit (6-24 Stunden, verlängert bei PatientInnen mit eingeschränkter
Nierenfunktion), besitzen kaum Wechselwirkungen mit anderen Substanzen, die ebenfalls
in der Leber verstoffwechselt werden und überwinden kaum/nicht die Blut-Hirn-Schranke.
Wirkmechanismus
Die genauen Wirkmechanismen sind vielfältig und noch nicht vollständig verstanden; im
Vordergrund steht jedoch die Prävention der kardiotoxischen Effekte aller Katecholamine.
Die folgenden Mechanismen werden ebenfalls in Betracht gezogen:
-
(a) Die antihypertensive Wirkung, im Zusammenhang mit einer Abnahme der
Herzleistung, einer Hemmung der Freisetzung von Renin und der Produktion von
Angiotensin2, einer Blockade von präsynaptischen α-Adrenorezeptoren, die die
Freisetzung von Noradrenalin aus den sympathischen Nervenendigungen steigern
und der Abnahme der zentralen vasomotorischen Aktivität.
-
(b) Die antiischämische Wirkung der Beta-Blocker beruht auf einer Senkung des
myokardialen Sauerstoffbedarfs, durch Verringerung der Herzfrequenz, der
Herzkontraktionsfähigkeit und des systolischen Blutdrucks. Mit Verringerung der
Herzfrequenz, kommt es zu einer Verlängerung der Diastole und somit zu einer
gesteigerten myokardialen Perfusion.
-
(c) Reduktion der Freisetzung von Renin, Angiotensin2 und der Aldosteronproduktion, durch Blockade der β1-Adrenozeptoren, auf den juxtaglomerulären
Zellen der Niere(n).
-
(d) Durch die Verbesserung der linksventrikulären Struktur und Funktion, sowie
einer Abnahme der ventrikulären Größe und Erhöhung der Ejektionsfraktion (EF).
-
(e) Die antiarrhythmische Wirkung resultiert aus den direkten elektrophysiologischen Wirkungen am Herzen, wie: Senkung der Herzfrequenz, verlangsamte
Leitung und erhöhte Refraktärzeit am AV-Knoten, Verringerung des sympathischen
Antriebs, Steigerung des Baroreflexes und Verhinderung einer Katecholamininduzierten Hypokaliämie. [31,32]
Seite | 68
Weitere (mögliche) Mechanismen: Hemmung der kardialen Apoptose, die über eine
Aktivierung der β-adrenergen Bahnen vermittelt wird, Hemmung der Thrombozytenaggregation, Reduktion der mechanischen Belastung, die auf Plaques wirkt, Verhinderung
der Plaqueruptur, Resensibilisierung des β-adrenergen Stoffwechsels und Veränderungen
in der myokardialen Genexpression. Weiters besitzen einige Beta-Blocker antioxidative
Eigenschaften und hemmen die Proliferation vaskulärer, glatter Muskelzellen.
Nebenwirkungen
Im Allgemeinen werden Beta-Blocker gut vertragen. Es können jedoch schwerwiegende
Nebenwirkung auftreten, insbesondere, wenn hohe Dosen verabreicht werden.
-
Kardiovaskuläre Nebenwirkungen: Beta-Blocker senken die Herzfrequenz,
verlangsamen die Leitung am AV-Knoten und erhöhen dessen Refraktärzeit, was
eine (kardiovaskulär relevante) Bradykardie auslösen kann. Vor allem bei
PatientInnen mit beeinträchtigter Sinusknotenfunktion und AV-Leitungsstörungen
(z.B. AV-Block) werden diese Effekte häufig beobachtet. Durch Blockade der
vaskulären β2-Rezeptoren und einer unopponierten Stimulation vaskulärer αRezeptoren, senken Beta-Blocker die Gewebedurchblutung. Als Ergebnis, können
Beta-Blocker kalte Extremitäten und Raynaud-Phänomene hervorrufen und die
Symptome, bei PatientInnen mit schweren peripheren Gefäßerkrankungen,
verschlimmern.
-
Metabolische Nebenwirkungen: Bei PatientInnen mit insulinabhängigem Typ-1Diabetes, können nicht-selektive Beta-Blocker Warnsymptome (wie Tremor,
Tachykardie) einer Hypoglykämie verschleiern; daher sollte bei diesen PatientInnen
nur selektive Beta-Blocker verordnet werden.
-
Pulmonale Nebenwirkungen: Beta-Blocker können zu einem lebensbedrohlichen
Anstieg des Atemwegwiderstands führen, weshalb sie bei PatientInnen mit Asthma
bronchiale oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) kontrainduziert
sind.
-
Zentrale Nebenwirkungen: wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schlafstörungen,
Schlaflosigkeit, Alpträume und Depressionen.
-
Sexuelle Dysfunktion: Bei einigen PatientInnen bewirken Beta-Blocker einen Verlust
der Libido und/oder können zu Impotenz führen. [31,33]
Seite | 69
Ein abruptes Absetzen von Beta-Blockern, nach einer Langzeitbehandlung, kann zu
Rebound-Symptomen (Hypertonie, Arrhythmien, Verschlechterung einer bestehenden
Angina pectoris) führen. Dies steht im direkten Zusammenhang mit der Hochregulierung βadrenerger Rezeptoren bei chronischer Medikamenteneinnahme.
Kontraindikationen
Absolute Kontraindikationen, die gegen eine Therapie mit Beta-Blockern sprechen, sind das
Asthma bronchiale, eine symptomatische Hypotonie oder Bradykardie, sowie eine
dekompensierte Herzinsuffizienz.
4.6.1 Nicht-selektive β-Blocker
Propranolol (Inderal®)
Propranolol ist DER Prototyp aller Beta-Blocker und wirkt sowohl auf β1- als auch auf β2Rezeptoren mit gleicher Affinität; es ist somit ein kompetitiver, nicht-selektiver β-Rezeptor
Antagonist und blockiert keine α-Rezeptoren. Propranolol ist stark lipophil und wird fast
vollständig, nach oraler Verabreichung, aus dem Magentarmtrakt resorbiert. Aufgrund
eines hohen First-Pass-Effektes, erreichen nur rund 25% der oral verabreichten Substanz
den systemischen Kreislauf. Darüber hinaus existieren große individuelle Unterschiede in
der präsystemischen Clearance von Propranolol durch die Leber, was zu einer enormen
Variabilität der Plasmakonzentration führen kann; dies erklärt den breitgefächerten
Dosierungsbereich, von Propranolol, der individuell auf jeden PatientInnen eingestellt
werden muss. [31,32,33]
Abb. 19: Strukturformel: Propranolol (links), 3D-Darstellung der Strukturformel (rechts). [37,38]
Seite | 70
Propranolol besitzt ein großes Verteilungsvolumen (4L/kg) und überwindet die Blut-HirnSchranke. Ungefähr 90% des Wirkstoffs sind im Blutkreislauf an Plasmaproteine gebunden.
Die meisten Metaboliten werden über den Urin ausgeschieden. Propranolol wird ebenso
wie andere Beta-Blocker eingesetzt, zur Behandlung der arteriellen Hypertonie (durch
Reduktion der Reninproduktion), der Herzinsuffizienz und KHK, bei thyroetoxischen Krisen
und bestimmten Angstzuständen. Weiters reduziert es die Häufigkeit von MigräneKopfschmerzen und kommt als Mittel der ersten Wahl beim essentiellen Tremor zum
Einsatz.
Nadolol (Corgard®)
Nadolol ist ein langwirkender β-Rezeptor Antagonist, mit gleicher Affinität für β1- und β2Rezeptoren. Ein charakteristisches Merkmal von Nadolol ist seine relativ lange Halbwertszeit, von ca. 20 Stunden. Es ist sehr gut in Wasser löslich und wird nur unvollständig aus
dem Darm resorbiert; seine Bioverfügbarkeit beträgt ungefähr 35%. Es wird in der
Behandlung der arteriellen Hypertonie, Angina pectoris und Migräne eingesetzt.
Timolol (Betimol®)
Timolol ist ein potenter, nicht-selektiver β-Rezeptor-Antagonist. Es besitzt keine
intrinsische sympathomimetische und membranstabilisierende Aktivität. Timolol wird gut
aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert und weitgehend durch CYP2D6 in der Leber
metabolisiert. Seine Plasmahalbwertszeit beträgt ca. 4 Stunden. Timolol wird zur
Behandlung der arteriellen Hypertonie, der Herzinsuffizienz, dem akutem Myokardinfarkt
und zur Migräne-Prophylaxe eingesetzt. In der Ophthalmologie kommt Timolol zur
Behandlung von Offenwinkelglaukomen und der intraokularen Hypertonie zum Einsatz.
Der genaue Wirkmechanismus in der Behandlung von Offenwinkelglaukomen ist nicht
gänzlich bekannt; allerdings scheint Timolol durch die Blockade von β-Rezeptoren auf dem
Ciliarepithel die Kammerwasserproduktion zu reduzieren und führt somit indirekt zu einer
Senkung des Augeninnendrucks.
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Pindolol (Visken®)
Pindolol
ist
ein
nicht-selektiver
β-Rezeptor-Antagonist,
mit
intrinsischer
sympathomimetischer Aktivität. Es besitzt eine niedrige membranstabilisierende Aktivität
und geringe Fettlöslichkeit. Nach oraler Verabreichung wird Pindolol fast vollständig
resorbiert, besitzt eine mäßig hohe Bioverfügbarkeit von ca. 50 %, bei einer Plasmahalbwertszeit von ca. 4 Stunden. Die Einsatzgebiete von Pindolol beschränken sich auf die
arterielle Hypertonie, sowie die Angina pectoris.
4.6.2 β1-selektive-Rezeptor Antagonisten
Metoprolol (Beloc®, Seloken®)
Metoprolol zählt zu den β1-selektiven-Rezeptor Antagonisten und weist keine intrinsische
sympathomimetische und membranstabilisierende Aktivität auf. Nach oraler Verabreichung wird Metoprolol fast vollständig resorbiert. Es unterliegt allerdings einem
ausgeprägten First-Pass-Effekt, weshalb seine Bioverfügbarkeit mit 40% relativ gering ist.
Metoprolol wird weitgehend durch das Enzym CYP2D6 in der Leber verstoffwechselt; die
Ausscheidung erfolgt über den Urin. Die Halbwertszeit beträgt in der Regel zwischen 2-8
Stunden. Metoprolol kann in der Therapie des Bluthochdrucks, der KHK, bei Angina
pectoris, bei bestimmten Herzrhythmusstörungen, der Herzinsuffizienz, in der Therapie
und Prävention des Herzinfarktes, bei vasovagalen Synkopen, als Ergänzung bei der
Behandlung einer Hyperthyreose und zur Migräne-Prophylaxe eingesetzt werden.
Metoprolol darf u.a. nicht bei höhergradem AV-Block (2. oder 3. Grades), Bradykardie,
Hypotonie, dekompensierter Herzinsuffizienz (NYHA IV) und bronchialer Hyperreagibilität
angewendet werden. [31,32,33]
Atenolol (Atenolan®)
Atenolol ist ein sehr hydrophiler β1-selektiver Antagonist, der keine intrinsische
sympathomimetische und membranstabilisierende Aktivität aufweist. Atenolol wird nur
unvollständig resorbiert (ca. 50%) und weitgehend unverändert über den Urin ausgeschieden. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt in etwa 5-8 Stunden. Da die Substanz bei
PatientInnen mit/im Nierenversagen akkumulieren kann, sollte die Dosierung der
Kreatinin-Clearance angepasst werden. Atenolol wird in der Behandlung der arteriellen
Seite | 72
Hypertonie, Arrhythmien, Angina pectoris, akuten Myokardinfarkt, supra-ventrikulärer
Tachykardie, chronischem Herzversagen, Hyperthyreose, Long-QT-Syndrom und bei
Migränekopfschmerzen eingesetzt. Die Initialdosis von Atenolol z.B. in der Behandlung der
Hypertonie liegt bei 50mg/d, einmal täglich verabreicht. Atenolol verursacht weniger ZNSNebenwirkungen (Depressionen, Alpträume) und weniger bronchospastische Reaktionen
als die meisten gängigen Beta-Blocker (aufgrund seiner pharmakologischen und
pharmakokinetischen Eigenschaften).
Esmolol (Brevibloc®)
Esmolol ist ein kompetitiver, kardioselektiver β1-selektiver-Rezeptor Antagonist, der eine
einzigartige Struktur (Esterverbindung) aufweist; der Abbau erfolgt nicht organgebunden,
sondern über Esterasen-Hydrolasen in den Erythrozyten. Aufgrund dieser Eigenschaften
kommt es bei Verabreichung zu einem raschen Wirkungseintritt, bei nur sehr kurzer
Wirkdauer; die Halbwertszeit beträgt nur ca. 8 Minuten. Esmolol kommt häufig in der
Notfallmedizin und während Operationen zum Einsatz, um Tachykardien zu verhindern
bzw. zu demaskieren und supraventrikuläre Tachykardien zu therapieren. [31,32]
4.6.3 Β-Rezeptor Antagonisten der 3. Generation
Neben den klassischen nicht-selektiven und selektiv adrenergen β1-Rezptor Antagonisten,
gibt es auch eine Reihe von Substanzen, der (neuen) 3. Generation, die zusätzliche kardiovaskuläre (vor allem gefäßerweiternde) Eigenschaften aufweisen. Diese Effekte sind auf
eine Reihe von Mechanismen zurückzuführen, einschließlich der Blockade von α1adrenergen Rezeptoren (Labetalol, Carvedilol, Bevantolol, Nipradilol), einer gesteigerten
Produktion von Stickstoffmonoxid (Celiprolol, Nebivolol, Carteolol), über β2-agonistische
Eigenschaften, über Blockade von Kalziumkanälen und durch Öffnen von Kaliumkanälen.
Labetalol
Labetalol wirkt als Antagonist sowohl am α-Adrenorezeptor, als auch an β1- und β2Adrenorezeptoren; nach oraler Gabe besitzt Labetalol ein 3:1 Verhältnis zum Beta-AlphaAntagonismus, zugunsten der Beta-Rezeptoren. Labetalol wird vor allem zur Behandlung
der arteriellen Hypertonie (in Tablettenform) und als i.v.-Medikation in der Notfallmedizin
Seite | 73
eingesetzt, zur Behandlung hypertensiver Krisen; dabei werden wiederholt intravenös Boli
zwischen 20-80mg verabreicht, bis es zu einem adäquaten Therapieansprechen kommt.
Carvedilol (Dilatrend®)
Carvedilol, wie Labetalol, wird als racemisches Gemisch verabreicht. Es blockiert ähnlich
wie Labetalol β1-, β2- und α1-Rezeptoren, besitzt aber zusätzlich noch antioxidative und
entzündungshemmende Eigenschaften. Es weist eine membranstabilisierende Aktivität
auf, jedoch fehlt eine intrinsische sympathomimetische Aktivität. Die Isomere werden
stereo-selektiv in der Leber metabolisiert, was bedeutet, dass sich die Eliminationshalbwertszeiten unterscheiden; im Durchschnitt zwischen 7-10 Stunden.
Carvedilol
reduziert nachweislich die Mortalität bei PatientInnen mit (chronischer) Herzinsuffizienz,
wird aber primär zur Behandlung der arteriellen Hypertonie eingesetzt. In der Behandlung
der chronischen Herzinsuffizient kommt Carvedilol meist in Kombinationspräparaten mit
Diuretika und ACE-Hemmern vor.
Nebivolol (Nomexor®)
Nebivolol ist ein β1-selektiver Antagonist, mit gefäßerweiternden Eigenschaften, die
jedoch nicht über die Blockade α-adrenerger Rezeptoren vermittelt werden. D-Nebivolol
weist eine hochselektive β1-blockierende Wirkung auf, während das L-Isomer eine
Vasodilatation
hervorruft;
auch
Nebivolol
ist
ein
racemisches
Gemisch.
Der
gefäßerweiternden Wirkung liegt eine Erhöhung der endothelialen Freisetzung von
Stickstoffmonoxid (NO), durch Nebivolol induziert, zugrunde. Es weist keine intrinsische
sympathomimetische und membranstabilisierende Aktivität auf, ist lipophil und hat keinen
Einfluss auf den Glucose- und Lipidstoffwechsel. Seine Halbwertszeit beträgt im
Durchschnitt 10-12 Stunden. Nebivolol wird vor allem zur Behandlung der arteriellen
Hypertonie und als Ergänzung zu Standardtherapien der leichten- bis mittelschweren
Herzinsuffizienz, eingesetzt. [31,32,33]
Seite | 74
5.
CONCLUSIO
Das menschliche Nervensystem ist sicherlich das komplexeste System im menschlichen
Körper. Das menschliche Gehirn alleine enthält über 100 Milliarden Nervenzellen und jede
Nervenzelle weist bis zu 100.000 Verbindungen mit anderen Nervenzellen auf. Dies
bedeutet, dass ein Nervenimpuls - ein elektrochemisches Signal - zu oder vom Gehirn weg
bis zu 1015 Routen verlaufen kann.
Über das sympathische, parasympathische und enterische Nervensystem kontrolliert das
vegetative Nervensystem fast alle Organsysteme des Organismus. Aus diesem Grund
wurden zahlreiche Wirkstoffe entwickelt, die über verschiedene Angriffspunkte im Bereich
des vegetativen Nervensystems bei unterschiedlichen Erkrankungen eingesetzt werden.
Diese sind vielfältig und in dieser Diplomarbeit habe ich versucht, auf die wichtigsten
Präparate/-gruppen einzugehen. Aufgrund dieser Vielfältigkeit, haben und werden diese
Medikamente auch zukünftig eine wichtige Rolle im klinischen Alltag spielen.
Seite | 75
6.
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