Chemoperzeption trigeminaler Neurone 5. Zusammenfassung Die Chemosensitivität des trigeminalen Systems erlaubt die Detektion und Unterscheidung vieler Duftmoleküle, unabhängig vom olfaktorischen System. Die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen sind bislang unbekannt. In der vorliegenden Arbeit konnte gezeigt werden, dass trigeminale Neurone nicht über die spezifischen Duftrezeptorproteine des olfaktorischen Systems verfügen. Stattdessen wurden erstmalig alternative molekulare Detektionsmechanismen für die trigeminal wirksamen Dufstoffe Benzaldehyd (und Strukturverwandte) und Linalool beschrieben. Nahezu alle kultivierten trigeminalen Neurone (98 %) wiesen ATP-sensitive ionotrope Rezeptorkanalkomplexe (P2X-Rezeptoren) auf. Da es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der physiologischen Funktion der Neurone und der Expression verschiedener P2XRezeptortypen gibt, wurde zunächst eine Klassifizierung der Neurone des gesamten Ganglion gasseri anhand ihrer P2X-Rezeptor-Expression vorgenommen. Mittels elektrophysiologischer und immunhistochemischer Methoden konnte eine bislang nicht beschriebene Population trigeminaler Neurone identifiziert werden, die wahrscheinlich keine Rolle in der trigeminalen Schmerzvermittlung spielt, da den Neuronen typische Charakteristika nozizeptiver Nervenzellen (TTX-Insensitivität, P2X3-Rezeptor-Expression) fehlen. Diesen Neuronen könnte eine besondere Bedeutung in der Detektion spezifischer Duftstoffe zuzukommen. Nur Neurone dieser Population exprimieren ausschließlich homomere P2X2-Rezeptoren, deren Aktivierung zu einem anhaltenden Ionenstrom bzw. einer Folge von Aktionspotentialen führt. Diese Aktivierung wird durch Benzaldehyd und einige strukturverwandte Duftmoleküle deutlich reduziert. Die resultierende Modulation der Aktionpotentialfrequenz kann zentral analysiert werden und so zur Perzeption dieser spezifische Duftstoffgruppe beitragen. Zwingende Vorraussetzung für diese Modulation ist die zeitgleiche Präsenz extrazellulären ATPs. Die vorliegende Arbeit zeigt auch erstmalig eine aktivierungsabhängige ATPFreisetzung aus olfaktorischen Rezeptorneuronen und diskutiert andere ATP-Quellen im nasalen Epithel. Die Bedeutung des beschriebenen modulatorischen Effektes wird durch mehrere experimentelle Befunde unterstützt. Zum einen ist die Modulation, aufgrund der strukturellen Anforderungen an wirksame Moleküle (rezeptives Feld), sehr spezifisch für bestimmte Duftstoffe. Außerdem werden trigeminale Neurone, die aufgrund ihrer P2X3-RezeptorAusstattung einer anderen Population zugeordnet werden können, nicht moduliert. Ein 91 Chemoperzeption trigeminaler Neurone direkter Effekt von Benzaldehyd oder strukturverwandten Molekülen an trigeminalen Neuronen wurde nicht gefunden. Anders als Benzaldehyd führt der Duftstoff Linalool zu einer direkten Aktivierung trigeminaler Neurone und induziert einen Einstrom extrazellulärer Kalziumionen. Die pharmakologischen Untersuchungen zeigen, dass zumindest ein Teil dieses Stromes von TRPM8-Rezeptoren vermittelt wird. Dieser Rezeptor ist als Kälte- und Menthol-sensitiv beschrieben (McKemy et al., 2002; Peier et al., 2002). Darüberhinaus weisen die vorliegenden Daten darauf hin, dass der Duftstoff Linalool als partieller Agonist dieses Rezeptors fungiert und mit dem bekannten TRPM8-Agonisten Icilin um dieselbe Bindestelle konkurriert. Zusätzlich existieren Hinweise auf weitere Linalool-sensitive Detektionsprozesse in trigeminalen Neuronen, deren Vorkommen in weiteren Untersuchungen geklärt werden muss. Diese Arbeit zeigt, dass trigeminale Neurone wahrscheinlich keine Rezeptoren exprimieren, die auschließlich der Duftstoffdetektion dienen. Vielmehr werden zur Detektion spezifischer Duftstoffgruppen Rezeptoren wie TRPM8 oder P2X2 genutzt, die auch andere Reize wie Kälte oder extrazelluläres ATP detektieren. Der Befund, dass TRPV1-Rezeptoren auch als Rezeptoren für den Duftstoff Eugenol fungieren (Yang et al., 2003), unterstreicht diese Hypothese. Die unterschiedliche Duftstoff-Modulation trigeminaler Rezeptoren in z.T. polymodalen Fasern macht deutlich, dass das trigeminale System über komplexe Verarbeitungsmechanismen verfügt, die entscheidend zur Dufterkennung in zentralen Neuronen genutzt werden können. 92