präzedenzfall in mannheim

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Dieser Beitrag stammt aus db deutsche bauzeitung 6/2014
db-Metamorphose 06.2014
ENERGETISCH SANIEREN
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PRÄZEDENZFALL IN MANNHEIM
{Text: Johann Reiß, Lars Klemm, Volker Huckemann
Fotos: Cem Yücetas; Brigida González
ENERGETISCHE SANIERUNG DER KUNSTHALLE MANNHEIM
Neben komplexen organisatorischen und technischen Anforderungen
ist die energetische Sanierung von Museumsbauten eine besondere
Herausforderung. Um die Ansprüche nach flexiblen Ausstellungsflächen bei sensiblen Klimaparametern in den Innenräumen zu
erfüllen, ist ein akribisch aufeinander abgestimmtes Gesamtkonzept Voraussetzung.
Seit über 100 Jahren prägt die im Jahr 1907 fertiggestellte Kunsthalle Mannheim das kulturelle Leben der Stadt und nimmt durch
ihre hochklassige Sammlung eine bedeutende Stellung in der
deutschen Museumslandschaft ein. Die 2 150 Gemälde, 840
Skulpturen und ca. 33 000 Blatt Handzeichnungen, Aquarelle
und Druckgrafiken umfassende Sammlung gehört zu den renommiertesten Bürgersammlungen der Moderne und Gegenwart. Der Baukörper setzt sich aus dem Billing- sowie dem Athene-Trakt zusammen, beide entstanden 1907, sowie dem 1983 realisierten Mitzlaff-Bau. In den letzten Jahren zeigten sich an den
Gebäuden verschiedene Schwächen, woraus die Sorge resultierte,
dass die hohen Ansprüche einer internationalen Kunstvermittlung vom Mannheimer Haus künftig nicht mehr erfüllt werden
könnten. Weder entsprach das Museum internationalen Standards bezüglich der Raumstruktur und Gebäudetechnik noch
wurden Ausstellungsräume, Eingangsbereich und Servicezonen
in Ausstattung und Funktionalität den gegenwärtigen Museumsprofilen gerecht. Mit dieser Ausgangssituation kann die Kunsthalle als typischer Vertreter von Museen dieser Altersklasse gelten. Die Konzeption der Sanierung warf daher Themen auf, die in
vielen anderen der über 7 000 Ausstellungshäuser in Deutschland
ebenfalls anstehen.
In Mannheim führte die Ausgangslage zu einer kontroversen Diskussion. Als Zielsetzung galt es, eine kulturelle und städtebauliche Signalwirkung mit einem komplexen zeitgemäßen Museumskonzept zu verbinden. Die zwischen 2010 und Mitte 2013 er110
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folgte Sanierung des Billing-Baus wurde nach den Plänen des
Berliner Architekturbüros Pitz & Hoh ausgeführt. Um das Haus
während der Sanierung nicht vollständig schließen zu müssen,
wurde der Museumsbetrieb im Mitzlaff-Bau fortgeführt. Als Ziel
der Sanierung galt die Wiederherstellung der historischen Schauräume mit Tageslichtdecken, die bei vorausgegangenen Umbauten aufgrund raumklimatischer Schwierigkeiten umgestaltet
worden waren. Darüber hinaus sollte durch die Erweiterung der
Ausstellungsflächen und eine nachhaltige technische Ausstattung
zukünftig ein publikumswirksamer Ausstellungsbetrieb ermöglicht werden. Seinen Originalzustand hatte das nach den Entwürfen des Karlsruher Architekten Hermann Billing (1867-1946)
errichtete Baudenkmal im Bereich der Konstruktion wie auch der
äußeren Gestalt weitgehend bewahrt. Charakteristisch für die
Zeit seiner Erbauung ist die Betonskelettbauweise. Sämtliche tragenden Elemente sowie die Decken bestehen aus Eisenbeton,
während die Wandkonstruktion ein mehrschaliges Mauerwerk
aufweist.
VOR DER SANIERUNG
Mit einer Studie zum erschließbaren Energieeinsparpotenzial
durch eine energetische Sanierung beauftragte die Stadt Mannheim neben dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik das Institut
für Gebäude- und Solartechnik der Universität Braunschweig.
Für die energetische Bewertung des Gebäudes nach DIN V 18599
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U-Wert: 5,8 W/m2K
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U-Wert: 1,2 W/m2K
wurden ermittelte und angenommene U-Werte einander gegenübergestellt. Zum Vergleich wurden die Werte nach der Baualtersklasse (BAK) sowie die Anforderungen der geltenden EnEV
herangezogen. Hierbei musste berücksichtigt werden, dass die
speziellen Nutzungsanforderungen von Museen im Vergleich weder durch die Baualtersklassen noch durch die DIN V 18599 adäquat abgebildet werden können. Eine standardisierte Klassifizierung von Museen wird dabei insbesondere durch die nutzungsspezifischen Ausrichtungen und Sammlungsorientierungen der
Häuser erschwert.
Ursprünglich hatte Hermann Billing vorgesehen, die Ausstellungsräume im OG über das Glasdach mit abgehängter Glasdecke zu belichten. Damit folgte das Gebäude der klassischen
Museums- und Ausstellungsbeleuchtung des 18. Jahrhunderts.
Während einer zurückliegenden Umbauphase wurde diese Belichtungsmöglichkeit jedoch durch eine Deckendämmung überbaut und die neu installierte Holzdecke mit Leuchtstoffröhren
besetzt. Temperaturschwankungen, die aus den hohen Solarenergieeinträgen des nach wie vor bestehenden Glasdach resultierten,
mussten jedoch über eine Klimaanlage kompensiert werden. Das
Gegensteuern der Klimaanlage verursachte dabei regelmäßig
Schwankungen von Temperatur und relativer Feuchte, die den
Kunstwerken nicht zuträglich sind.
SANIERUNGSKONZEPT UND BAULICHE UMSETZUNG
Von Beginn an war das Bestreben, die selbst gesetzten, energetisch
ambitionierten Vorgaben zu erfüllen, ohne dabei den Charakter
des Gebäudes zu gefährden. Die architektonische Umgestaltung
erforderte jedoch, zunächst die ursprünglichen Funktionen des
Hauses wieder den ursprünglichen Räumen zuzuordnen, sodass
die beiden Hauptgeschosse wieder zu Ausstellungsflächen umgenutzt wurden. Ein hohes Potenzial zur Energieeinsparung bot der
Austausch des nur einfachverglasten Dachs des Billing-Baus. Neben umfassenden Dämmmaßnahmen wurden die Oberlichter
des historischen Obergeschosssaals wieder aktiviert, die Zwischenebene entfernt und die dämmende Hüllfläche in die Dachebene verlegt. Die einfach verglasten Dachfenster fanden in einer
Zweischeiben-Spiegelrasterverglasung Ersatz. Der für den Lichtschutz notwendige UV-Filter wurde in die Deckenverglasung eingebracht. Hierbei handelt es sich um eine Sicherheitsverglasung,
die eine Filterwirkung für UV-Anteile unter 400 nm aufweist.
Der ungedämmte Fußboden im UG des Gebäudes, in dem künftig Büroräume untergebracht werden sollten, wurde im Zuge der
Sanierung mit extrudiertem Polystyrol gedämmt. Die ›
[1] Das
Löwenportal des Jugendstilbaus
der Kunsthalle Mannheim
[2] Kunsthalle
Mannheim mit BillingBau, Athene-Trakt und Mitzlaff-Bau
[3/4] Glasdecke
des Ausstellungsraums
im OG von innen und die gedämmte Holzverschalung oberhalb der Glasdecke
[5/6] Darstellung
des Dachquerschnitts vor und nach Sanierung
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U-Wert: 3,6 W/m K
U-Wert: 0,2 W/m K
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Entscheidung gegen eine Außendämmung der historischen Fassaden führte schließlich zur Prüfung und Realisierung
von Systemen, die sich als Innendämmung anboten. Dafür kamen im UG 25 mm und im OG 30 mm dicke Kalziumsilikatplatten zum Einsatz. Dank dieser Innendämmung konnte der
U-Wert der Fassade auf 0,54 und 0,87 W/m²K reduziert werden.
Die Kalziumsilikatplatten wurden aufgrund ihrer Eigenschaften
ausgewählt, da sie sowohl die hygrothermischen Anforderungen
für den Einsatz ohne Dampfsperre erfüllen und gleichzeitig bei
geringer Dicke über die notwendige Dämmleistung verfügen.
Sämtliche Holzfenster des ursprünglichen Baus wurden erhalten.
Um den Wärmeschutz zu verbessern, ist jedoch die Raumseite jeder Nische durch ein zusätzliches wärmeschutzverglastes Fenster
ergänzt worden. Gegen den Einfall von besonders kurzwelliger
UV-Strahlung wurde für die Außenseite der inneren Fenster alubedampftes Glas verwendet. Die Konditionierung der Raumtemperatur erfolgt künftig über Flächenheizungen. Hierzu wurde die
Aktivierung von Wänden und Fußböden sowie die Deckensegel
realisiert. Indem die wasserführenden Leitungen direkt in das
Dämmmaterial eingepasst wurden, gelang es, die Innendämmung samt der für Flächentemperierung erforderten Installation
in einem Bauteil zu kombinieren. Durch die Temperierung der
Innendämmung konnte ebenfalls das Problem kalter Wände behoben werden, das in vielen Museen vorherrscht. Die zentrale
Wärmeerzeugung erfolgt weiterhin durch den Fernwärmeanschluss. Zur Kühlung im Sommer wird die Absorptionskältemaschine ebenfalls mit Fernwärme betrieben. Hinsichtlich der
Tageslichtnutzung stellt die Reaktivierung der Tageslichtdecken
in den Ausstellungsräumen des OG eine bedeutende Maßnahme
dar, da hierdurch Beleuchtungsenergie eingespart wird und zugleich der visuelle Komfort erhöht werden kann. Im EG werden
die Räume wie bisher seitlich über die existierenden Fenster mit
Tageslicht versorgt. Die Lichtsituation wird in den Ausstellungsräumen mit präsenzabhängig gedimmten LED-Strahlern ergänzt, um eine möglichst homogene Bildbeleuchtung zu erzielen.
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U-Wert: 1,2 W/m2K
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U-Wert: 0,9 W/m K
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U-Wert: 5,0 W/m K
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U-Wert: 1,3 W/m K
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AUSBLICK
Im Hinblick auf anstehende Sanierungen stellen die erarbeiteten
Konzepte für zahlreiche Museen wertvolle Erkenntnisse dar.
Jener Wissensstand, der durch die Umsetzung und das begleitende Monitoring erarbeitet wird bildet die Basis für Adaptionen an
Museumsbauten ähnlicher Baualtersklassen. Die Nutzung von
Tageslicht in musealen Ausstellungsräumen bildet sich als zunehmend wichtiger Aspekt im modernen Kunstbetrieb heraus. Der
Mannheimer Lösungsansatz kann sowohl auf bestehende Oberlichtkonstruktionen in historischen Gebäuden, als auch für Neubauten übertragen werden. Ebenso lässt sich die Situation der erarbeiteten Innenwandlösung als Wandheizung bzw. Dämmvariante für nahezu jeglichen Gebäudetyp verwenden. Die freien
Wandzonen ohne Temperierung können je nach Museum erweitert oder reduziert werden. Das Innendämmungssystem wird
dem Baudenkmalschutz gerecht und stellt damit einen unerlässlichen Baustein für energetische Sanierungsarbeit in historisch
bedeutenden Altbauten dar. •
{ Standort: Friedrichsplatz 4, 68165 Mannheim
Bauherr/Projektleitung: Stadt Mannheim, Hochbauamt
Projektsteuerung: Obermeyer Planen + Beraten GmbH,
München
Architektur: Pitz & Hoh. Architektur und Denkmalpflege GmbH,
Berlin; Walter + Wünsch, Architektur- und Ingenieurgesellschaft,
Heidelberg
Technische Gebäudeausrüstung: tif ingenieure, Mannheim
(Sicherheit); BWI-Ingenieur-Consult GmbH, Engelsbach (HLS);
Atelier de Luxe, Offenbach (Kunstlicht); Prof. Volker
Huckemann, Hochschule Bochum (Tageslichtplanung OG);
Thorsten Braun, Die Lichtplaner, Innsbruck u. a. (Tageslichtplanung EG)
Energiekonzept: Fraunhofer-Institut für Bauphysik; Institut für
Gebäude und Solartechnik der Universität Braunschweig
Baukosten: keine Angabe
Bauzeit: 2010 bis 2013
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[7/8] Konstruktion
des Glasdachs mit
der darunter abgehängten Lichtdecke.
Konstruktiver Unterbau kurz vor dem
Einbau der Spiegelrasterverglasung in
der Dachebene
[9/10] Darstellung
der Außenwand im
UG vor und nach der Sanierung
[11/12]
Darstellung der Außenwand
vor und nach der Sanierung
[13/14]
Darstellung der Fenster vor
und nach der Sanierung
[15]
Obergeschoss-Außenwand mit Hängezone und Anordnung der Leitungen des
Heiz- und Kühlsystems
[16]
Anbringung der Kalziumsilikatplatten. Die Platten weisen Nuten zur
Verlegung der Heizleitungen auf
[17]
Beleuchtung eines Ausstellungsraums im EG mit LED-Spots, die am
Deckensegel befestigt sind
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