Aevum Antiquum N.S.3 (2003), pp. 363-396 ALOIS MARIA HAAS (Universität Zürich) © 2007 Vita e Pensiero / Pubblicazioni dell’Università Cattolica del Sacro Cuore HANS URS VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN Das Begriffsfeld um griech. hypsos, lat. sublimis (sublimus)1 und dt. erhaben, ist seit dem Beginn des Christentums ein Minenfeld – sowohl lexikalischsemantisch wie in den Vorstellungen der Philosophie-, Rhetorik-, Philologie-, Ästhetik- und Theologiegeschichte. Das heisst: Es ist schlechterdings nicht mehr überblickbar, was in diesem Feld fröhlich und beschwerlich ausgreifender Begriffs- und Denkwucherungen alles gleichzeitig akribisch und fahrlässig entwickelt worden ist2. Und zwar ist das keinesfalls, wie oft behauptet wird, beschränkt auf die seit Kant und der Aufklärung einsetzende moderne Erhabenheitsdiskussion. Schon die Deutung der anonymen Grundlagenschrift Peri hypsous wird hinsichtlich ihrer Gesamtintention kontrovers ausgelegt und erlaubt in der Tat verschiedene Interpretationsansätze. Um den komplexen kritischen Bezug der theologischen Ästhetik Hans Urs von Balthasars zu den Erhabenheitsvorstellungen deutlich zu machen, gehe ich in mehreren Schritten vor: 1. werde ich den ursprünglichen Bezug des Erhabenen zum Religiös-Theologischen im Rekurs auf des PseudoLonginos’ Schrift deutlich zu machen versuchen (I.), und 2. die Problemlage der Bedeutungs- und Deutungszusammenhänge um das Erhabene in den (post-)modernen Diskursen aufzeigen (II.) und 3. dann die von der säkularen und postmodernen Erhabenheitsdiskussion kaum wahrgenommene moderne religionsphilosophische Diskussion um das Heilige als Voraussetzung einer Würdigung von Balthasars in Erinnerung rufen (III.) 1 Nach dem denkwürdigen Streit zwischen dem Renaissancespezialisten Erwin Panofsky (18921968) und dem amerikanischen Künstler Barnett Baruch Newman (1905-1970), dessen Kunstprogramm sich neben dem performativen Satz: «The sublime is now» auch in einer Bildunterschrift Vir Heroicus Sublimus (1950/51 entstanden) und vielen ähnlichen Verlautbarungen dokumentieren lässt, wissen wir, dass das Sublime künstlerisch die direkte Auseinandersetzung «with the reality of the transcendental experience» (Newman) und nicht deren blosse Repräsentation darstellt. Cfr. M. Imdahl, Barnett Newman. Who’s afraid of red, yellow and blue III, in Pries 1989, Ss. 23352; zum Streit cfr. Wyss 1993 (wo auch der von Panofsky getadelte Endungsfehler –is oder –us abgehandelt wird). 2 Vgl. Steinhauser 1989. 364 ALOIS M. HAAS und 4. schliesslich Balthasars ästhetische Sonderposition seines monumentalen Gesamtwerks in der modernen Theologie (IV.) und 5. seinen theologischen Gesamtentwurf einer Transzendentalienlehre aufzeigen, in welcher das Schöne (und darin eingeschlossen das Erhabene) die Hauptrolle spielt (V.), und zuletzt werde ich die Rolle des Erhabenen im Fokus dieses Hauptwerks ‘Herrlichkeit’ skizzieren (VI.). I. Aus der Schrift des Longinos will ich Punkte herausgreifen, die für meine Darlegungen wichtig sind: Zunächst Longinos’ Deutung der ekstasis, der megalophrosyne und des pathos. Bisher standen all diese Begriffe im Kontext einer Säkularisierungsthese, die Joseph Hans Kühn 1941 in seiner bis heute aufschluss- und informationsreichen Studie Hypsos. Eine Untersuchung zur Entwicklungsgeschichte des Aufschwunggedankens von Platon bis Poseidonios aufgebracht hatte. Danach3 hatte die Schrift des Ps.-Longinos Peri hypsous die ursprünglich ‘religiös gefärbte Sphäre’ ihrer Begrifflichkeit des Aufschwungs zum Göttlichen hinüberwechseln lassen in eine «Verallgemeinerung... zum literarischen Begriff», so dass mit dieser begrifflichen ‘Inhaltsentleerung’ notwendigerweise auch deren ‘Säkularisierung’ zu rein technisch-rhetorischer Anwendung habe eintreten müssen. Die Begriffe wurden zu ‘leeren Hülsen” und zu blosser Rhetorik. Dieser These einer Technisierung der Begrifflichkeit im Sinne einer reinen Rhetorisierung haben Gianni Carchia4 und andere Forscher, z.B. Fritz Wehrli5, widersprochen. Es kommen in diesem Widerspruch Erkenntnisse zum Tragen, die jedem unvoreingenommenen Leser der Schrift schon in einer spontanen Erstlektüre einsichtig sein können. Nicht ein Wechsel von einem metaphysisch-religiösen Konzept zu einem rein rhetorischen findet in der Schrift Peri hypsous statt, sondern statt dessen wird eine eigenartige Vertiefung des ursprünglichen Werts und der unbegründbaren Autonomie des rhetorischen Worts in dieser Schrift wahrnehmbar – und dies zeitlich vor aller metaphysischen Funktionalisierung des logos6. Wehrli begründet seine Meinung mit dem Hinweis einerseits auf die Lehre über Ekstase und Enthusiasmus des Vorsokratikers Demokrit von Abdera (Mitte des 5. Jh’s vor Chr.)7, der eine klare Unterscheidung trifft zwischen dem Enthusiasmus der Dichter, kumulierend in der physis theazouse Homers, und der dem Normalmenschen aufgegebenen Aufgabe, die Seele von den pathe zu reinigen8 – andererseits mit dem Verweis auf die Psychagogie und Rhetorik 3 Kühn 1941, S. 49 f. Carchia 2004, Ss. 105-15. 5 Wehrli 1946, Ss. 9-34; vgl. auch Wehrli 1955, Ss. 39-49. 6 Carchia 2004, S. 106. Über die pädagogische Macht der rhetorischen Erziehung (paideia) der jungen Männer in der Spätantike cfr. Brown 1995, Ss. 51-94. 7 Demokrit, DK 68B, frg. 17 f. und frg. 21; frg. 31, 191. 8 Pfister 1959, hier Sp. 961. 4 VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 365 des Begründers der attischen Kunstprosa, Gorgias von Leontinoi (etwa 484376 v. Chr.), in denen dem Wort (und dem rhetorischen Ornatus) ein poetisch-magisch-religiöser Grund zugebilligt wurde, worin Poetik und Rhetorik unverbrüchlich zusammengehören9. Für Gorgias sind ‘Wahrheit’ und ‘Ornat’ der Rede identisch, so dass die rhetorische Figur, die künstlich gestaltete Abweichung (apate) von einer Norm10, den Grund der Wahrheitsaussage trägt. Aufgrund der so konzipierten Wortmacht kann Gorgias von einer gewissen ‘Psychagogie durch Worte’ sprechen11, die vor der späteren Trennung von Rationalität und Pathos, von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit, Poesie und Philosophie dem hypsos eine neue Legitimation verleiht, die – in keiner Weise abgeleitet wie in säkularisierter Literatur – ihren innersten Zusammenhang mit Ekstase und Kathartik nie aus den ‘Augen der Meinung’ (Gorgias, frg. 11, 13) lässt. Dass der Schrift Peri hypsous mithin mehr als nur der Rang einer rhetorisch-stilistischen Programmschrift zukommt, ist immer gesehen worden12. Schon ihre für viele Forscher verwirrende äussere Form (Aufbau und Anordnung der Themen)13, obwohl immer wieder negativ vermerkt, wurde bald durch eine diese ergänzende ‘innere Form”14 durchsichtiger gemacht. Man wird aber zusätzlich den von Ps. Longinos gebrauchten HöheBegriff durchaus im Zusammenhang mit zeitgenössischen christlichen Verwendungen des Wortes betrachten müssen. Ich kann nur zwei Hinweise geben, denen näher nachgegangen werden müsste. Der Patristik ist das Wort ebenso geläufig wie der christlichen Liturgie. Diese kennt ein kirchliches Fest, die Verklärung Christi auf dem Berg Tabor (‘Metamorphosis’ in der Ostkirche)15, in deren Licht allenfalls eine Theologie christlicher Erhabenheit zu entwerfen wäre und wohl tatsächlich auch entworfen worden ist. Es geht um das in Mk 9,2-13, Mt 17,1-8 und Lk 9,28-36 geschilderte Ereignis, in dem sich Jesus seinen Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes – nach der Überlieferung auf dem Berg Tabor – in verklärter Gestalt in Anwesenheit von Elias und Moses offenbart hat. Ansätze zu einer Theologie des Sublimen zeigt die Hymne in der zweiten Vesper des Breviers. Sie lautet: 9 Cfr. Buchheim 1996, hier 1026 f. Vgl. Gorgias 1989, S. XIX: «Apáte meint nicht die Verstellung einer im Hintergrund bleibenden Wahrheit durch unrichtige Vermittlung, sondern apáte ‘bringt ab vom bisherigen Weg’ und entführt in eine dem Kunstinteresse gemäss gestaltete Welt». 11 Fürs Folgende cfr. Carchia 1990, S. 106 f. 12 Cfr. Grassi 1946, Ss. 42-45, der ihr einen hohen dichtungshermeneutischen Rang zubilligt. 13 Schultz 1936, S. 3 f. 14 Ibid., S. 4. 15 Die liturgischen Texte der Ostkirche siehe in: Orthodoxer Gottesdienst X. Zu Spiritualität und Ikonographie des Fests in Ost und West vgl. Cantalamessa 2000; Le Guillou 2001; Heiser 2002, Ss. 199-213; Cerbelaud 2005; Krüger 2003; Henning 2005. Texte aus der orientalischen und okzidentalen Patristik: Joie 1985; Grâce 1990, vor allem cfr. Krems 2001. 10 366 ALOIS M. HAAS Quicumque Christum quaeritis, Oculos in altum tollite: Illic licebit visere Signum perennis gloriae. Illustre quiddam cernimus, Quod nesciat finem pati, Sublime, celsum, interminum, Antiquius caelo et chao. Hic ille Rex est gentium Populique Rex judaici, Promissus Abrahae patri Ejusque in aevum semini. Hunc, et prophetis testibus Iisdemque signatoribus, Testator et pater jubet Audire nos et credere. Jesu, tibi sit gloria, Qui te revelas parvulis, Cum Patre et almo Spiritu, In sempiterna saecula. Amen 16. (Gloria tibi, Domine, Qui apparuisti hodie, Cum Patre, et Sancto Spiritu, In sempiterna saecula. Amen) 17. Das illustre quiddam, das die Augen der angesprochenen Christen in der Höhe des Berges an diesem Festtag wahrnehmen sollen, charakterisiert sich dem endlichen Wesen des Menschen als ein sublime, celsum, interminum, das älter als das geschaffene All ist und als solches unerreichbar ist. Höhe und Erhabenheit gehen mit der sinnlichen Wahrnehmung des Berges zusammen. 16 Breviarium 1915, S. 632. Die zweite Strophe mit dem Thema der Erblickung (Er-äugnis) hat Hans Urs von Balthasar in seiner Herrlichkeit, III 2, 2, 16 zitiert, um damit «den entrückenden Blick zur Mitte hin», die das erhabene Erscheinen des Menschensohns ist, als Grundakt des Glaubens zu legitimeren. 17 Diese Schlussstrophe stammt aus dem Brevier der Karmeliten, steht aber schon im ursprünglichen Breviarium Romanum 1999, S. 835. VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 367 Der Berg ist an sich schon immer der auserwählte Ort der Gotteserfahrung18. Das für das Erhabene typische Schreckensmoment im Sinne von Burke liesse sich in verschiedenen Varianten schon in den Theophanien des Alten Testaments (H III,2,1), vor allem aber in der christlichen Liturgie wahrnehmen, z.B. in der Messe zum Kirchweihfest, wo im Introitus das tremendum der Gegenwart Gottes an einem bestimmten Ort machtvoll intoniert wird: Terribilis est locus iste; hic domus Dei est... Was die religiösen Implikationen betrifft, die durchaus auch mit christlich Erhabenem im Vergleich gesehen werden müssten, darf zunächst darauf hingewiesen werden, dass Peri hypsous im ersten nachchristlichen Jahrhundert, also im unmittelbaren Umfeld des Christentums, entstanden ist. Ich würde sogar U. von Wilamowitz zustimmen, der die Entstehungszeit auf die Jahre 20-50 n. Chr. festgelegt hat19. Ich folge dieser Festlegung, weil kurz danach auch in christlichen Texten der Zeit20 der Ausdruck «hypsos» gebraucht und mit spezifischem Sinn – «Höhe der Liebe» (Gottes) – verwendet wurde. Im sog. Klemens-Brief (entstanden 80-100 n. Chr.) findet sich die Stelle: Wer Liebe in Christus besitzt, halte die Gebote Christi. Wer vermag das Band der Liebe Gottes zu beschreiben? Wer ist imstande, ihre erhabene Schönheit (tò megaleîon tês kallonês) auszudrücken? Die Höhe, zu der die Liebe emporführt, ist unbeschreiblich21. Dahinter könnte die wohl übliche Redewendung «in der Höhe» = «im Himmel» von Hebr. 1,3 stehen. Das Erhabene aber, bricht es im rechten Moment hervor, zersprengt alle Dinge wie ein Blitz und zeigt sogleich die gedrängte Gewalt des Redners (1,4). Im Gegensatz zu der Meinung vieler meint unser Autor, dass mit Glück und verständiger Einsicht die Wirkweise der Natur des Erhabenen allerdings in eine bestimmte Ordnung einzubeziehen ist, ansonsten führe das Reden zu Schwulst oder zum Kindischen. Aber an der Ekstase macht er keine Abstriche: Sie ist dem Blitz vergleichbar, der im siebten Brief Platons die 18 Die Auskünfte über den religionsphänomenologischen Rang Heiliger Berge sind in den meisten Nachschlagewerken eher dürftig (und beschränken sich häufig auf die neun Heiligen Berge Chinas). Cfr. E. Stommel 1954. 19 Wilamowitz 1906, S. 378; erwähnt in der Textausgabe, nach der ich Peri hypsous zitiere: Longinos 1966, S. 12, n. 4 (der Text wird nach dem Zitat mit einfachem Hinweis auf Kapitel und Abschnitt belegt). Folgende weitere Textausgaben habe ich konsultiert: Longinos, 1938; Longinus, 1988; Longino 1992; Longinus 1999 (Loeb). 20 Lampe, S. 1468, s.v. hypsos. 21 Klemensbrief 49,1-4; in Fischer 1998, S. 19 (Begründung der Datierung), S. 86 f. (Text). 368 ALOIS M. HAAS Wahrheit sich ereignen lässt, und sie definiert sich wie die Ekstase insgesamt nicht dadurch, dass der davon Betroffene bei und im Göttlichen ist, sondern dadurch, dass das Göttliche – als Einsicht und Erkenntnis – im betroffenen Menschen anwesend ist22. Thematisch wird der Gott hier noch nicht, aber in seiner Wirksamkeit ist er als ‘Natur’ greifbar. Der Verfasser zeigt dann später, dass er ein ausserordentlich hohes Problembewusstsein von den Gefahren und Vorzügen stilistischer und gefühlsmässiger Masslosigkeit hat (32,4 ff.). Für ihn besitzt Demosthenes (34,3 f.) die wie Donner und Blitz daher fahrende Leidenschaft eines echten Redners als ‘gottgesandte Gabe’. Damit verwirklicht er die Natur des Menschenwesens, dem – gottgleich (35,2) – Lebenswelt und Kosmos wie die Szenerie eines grossen Festes erscheinen. Denn die Natur hat unseren Seelen sogleich ein unzähmbares Verlangen eingepflanzt nach allem jeweils Grossen und nach all dem, was göttlicher ist als wir selbst. Darum genügt selbst der ganze Kosmos nicht für die Betrachtungen und Gedanken, die der menschliche Geist wagt, sondern häufig überschreitet unser Denken die Grenzen dessen, was uns umgibt. Wenn man rings unsere Umwelt betrachtet und sieht, in welchem Ausmass das Ungewöhnliche, das Grosse, das Schöne in allem überwiegt, so wird man rasch erkennen, wozu wir geboren sind. ...das Erhabene erhebt sie [die Menschen, die sich über das Sterbliche erheben] nahe an die Seelengrösse des Gottes (35,2-36,1). Hier wird der Mensch als naturhafte ekbasis (‘Überschreitung’) gefasst, mittels der er seine Lebensbedingungen laufend überschreitet, indem er einem Antrieb Folge leistet, der ihm offensichtlich innerlicher als er sich selbst, denn: thaumaston d’homos aei to paradoxon («Bewunderung jedoch erregt immer das Unerwartete» [35,5]). Die megalophrosyne theou (‘göttliche Seelengrösse’) ist Resultat dieser Haltung naturhafter Erhabenheit. Neben der auf Platon zurückgehenden homoiosis theo, welche naturhaft begründet ist, muss noch ein zweiter wichtiger Sachverhalt dieser bedeutenden Schrift erwähnt werden, wenn es um deren religiöse Implikationen geht. Gemeint ist die Stelle 9,9, wo es um den göttlichen Logos geht. Es ist schon früh dazu festgestellt worden, dass die Bereiche der physis und des logos die gleiche Wertordnung aufweisen23. 22 Vgl. Leisegang 1967, Ss. 136-231. Siehe die Artikel Enthusiasmos von F. Pfister 1962 und Entrückung von Strecker 1962. Angemessen berücksichtigt ist der Gesichtspunkt der Ekstase in Cassin 2004, S. 1228. 23 Bühler 1964, S. 138 (zu 35, 4). VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 369 Auf die komplexen Probleme, welche die Erwähnung des Moses24 hier stellt, will ich nicht eintreten. Seine Erwähnung soll auf jüdisch-apologetisches Schrifttum zurückgehen, das es liebt, Moses als einen von Gott begeisteten Propheten darzustellen25. Wenn Longinos Gen. 1,3-9 zitiert, dann will er die göttliche Macht des Wortes, die, was sie sagt, performativ auch schafft, bezeugen. Die Lichtwerdung im Fiat lux 26 steht hier für die performative Kraft des göttlichen Logos: Die Lichtwerdung durch Gottes Wort schafft nicht nur die Helligkeit, in der etwas wahrgenommen werden kann, sondern rückt auch gleich das Wahrzunehmende selbst ins hellste Licht. Johann Georg Hamann (1730-1788) hat dies in seiner Aesthetica in nuce vollkommen erfasst und in ‘erhabener’ Sprache dargestellt: ...die erste Erscheinung und der erste Genuss der Natur vereinigen sich in dem Worte: Es werde Licht! Hiemit fängt sich die Empfindung von der Gegenwart der Dinge an27. Das Sein findet sich in diesem Schöpfungsakt Gottes vereint als Natur und Sprache: Blitzhaft ist das noch Ungesehene sichtbar, erkennbar und erfahrbar. Zu aller möglichen Selbstüberschreitung des Menschen zum Göttlichen hin, von der unser Autor Kenntnis gibt, wird hier überdies noch die Bedingung zur Initiation in diese Überschreitungsmöglichkeit geliefert! II. Seit Kants Analytik des Erhabenen28 in seiner Kritik der ästhetischen Urteilskraft (Kritik der Urteilskraft, 1790) ist das Erhabene ein Thema, das jahrhundertelang eines bleiben wird. In seiner Analytik unterscheidet Kant bekanntlich die rührende Heftigkeit der Erhabenheitserfahrung von der reizenden Kontemplation29 von Schönheit. Das Wohlgefallen an Schönheit beweist dem Menschen, dass er in die Welt hineinpasst, die negative Lust des Erhabenen dagegen zeigt ihm, dass er mental über die Welt hinaus ist. Kant legt den Sinn des Wortes Erhabenheit ganz in den Geist des Menschen. Nicht die Natur trägt das Prädikat des Erhabenen, weil sie unermesslich und gewal24 Siehe die Erwägungen Bühlers 1964, Ss. 34-37; und Mazzucchis in Longino 1992, Ss. 172-74. Cfr. Leisegang 1967, Ss. 119 ff. und Ss. 145-63; Kühn 1941, Ss. 53 ff. Saint Girons 1993, Ss. 45, 90, 184 f., 235, 398. 27 Hamann 1968, S. 83. Cfr. dazu Saint Girons 1993, Ss. 44-49. 28 Kant 1957, Bd. V: Kritik der Urteilskraft: Zweites Buch: Analytik des Erhabenen, §§ 23-29, Ss. 328-55. Interessant ist die vor Kants Studie 1788 in Göttingen und Halle erschienene Studie Über das Erhabene von Carl Grosse: auch bei ihm liegt das Schwergewicht auf dem Erhabenen in der Natur und in den Sitten (Grosse 1997). Zu Kants Theorie des Erhabenen vgl. Böhme 1983, Ss. 215-28; Pries 1995. Cfr. unten nn. 44 und 45. 29 Vgl. zu diesem Begriff, der, aus der christlichen Mystik stammend, bei Kant und Schopenhauer gerade im ästhetischen Kontext des Erhabenen und Schönen weiterverwendet und in der kritischen Theorie bei Benjamin und Adorno emphatische Qualität erlangte, Seel 2004, Ss. 11755 (Dialektik des Erhabenen). 25 26 370 ALOIS M. HAAS tig ist – sofern sie das ist, ist sie ganz einfach formlos und erschreckend –, sondern Erhabenheit ist ein Prädikat der Vernunft, welches unser Gemüt beim Anblick jener Naturerscheinungen «sich fühlbar machen kann». Damit verbindet Kant in seiner Theorie des Erhabenen zwei bestehende Deutungen – die französische Sicht des Sublimen (von Boileau/Despréaux) als Heroismus und magnanimitas (Sittlich Erhabenes) und die englische Tradition, welche den ‘delightful horror’ (Naturerhabenes) privilegierte. Damit war eine Konstellation gegeben, die im Geist der Moderne fruchtbar zu werden vermochte, aber sicherlich wegen ihrer Objektferne und Subjektlastigkeit immer ideologisch und spekulativ anfällig blieb30. Allerdings verstrickt sich zunächst die philosophische Öffentlichkeit bis in die Postmoderne hinein in mehreren Anläufen immer wieder in Diskussionen darüber, was denn nach Kant das ‘Objekt’ des Erhabenheitsgefühls sein könnte, das es dem Vermögen des Gemüts möglich macht, «als ein Ganzes auch nur denken zu können», was «allen Massstab der Sinne übertrifft»31. Denn irgendwie muss auch das rein funktional definierte Erhabene nicht nur in Abhebung vom Schönen, in Richtung auf ein wie immer schwach ausgeprägtes, nur negativ bestimmbares Zielobjekt hin ausgerichtet sein. Das Problem reicht aber noch weiter zurück: Schon für PseudoLonginos’ Traktat Peri hypsous sind sich die Gelehrten bis heute nicht einig, ob es sich dabei um einen Traktat handle, der sich um die Klärung von ausschliesslich Rhetorisch Erhabenem (des Stils oder der Gegenstände der Rede) oder rein Naturerhabenem oder gar Göttlich Erhabenem bemüht. Mit dieser Ungewissheit ist der Weg offen für je neue Definitionen und Umschreibungen dessen, was allenfalls als ‘erhaben’ bezeichnet zu werden verdient. Über die Jahrhunderte hin unterscheiden wir so (mit Kant) Mathematisch Erhabenes von Dynamisch Naturerhabenem und beide wieder vom Metaphysisch Erhabenen – ein Konzept, das in der Postmoderne in das des Kritisch Erhabenen überschritten werden soll32. Die kritischen Bemühungen um mehr oder weniger doktrinäre Festlegungen des Erhabenen konzentrieren sich in den folgenden Jahrhunderten bis heute auf folgende Möglichkeiten: Auf Rhetorisch Erhabenes, Erhabenes der Dreistillehre (mit ihrer Spitze im genus grande, sublime oder vehemens)33, Poetisch Erhabenes, Technisch Erhabenes, Psychologisch Erhabenes (Schrecken, Furcht und 30 Bei dieser Charakterisierung habe ich mich an das Nachwort von Carsten Zelle (Grosse 1997, S. 27) gehalten. 31 Kritik der Urteilskraft, in Kant 1957, Band V, S. 341 (A 91). 32 Pries 1995, Ss. 174-92. 33 Martin 1974, S. 332 und S. 335; Bauer 1986, Ss. 432-60; Ueding 1992, Ss. 173-77 (zu Schillers Begriff des Erhabenen). Dass das genus sublime eine besondere Affinität zur Gottesproblematik und zur Vermittlung religiöser Fragen und Antworten entwickelt hat, liegt auf der Hand. Cfr. Webb 2000. VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 371 Angst), Unheimlich Erhabenes (Nietzsche), Feminin Erhabenes, Avantgardistisch Erhabenes, Modern und Postmodern Erhabenes, Nachmetaphysisch Erhabenes und immer wieder Ästhetisch Erhabenes – inhaltlich alles Versuche, ein geschichtliches Konstituens von Kunst schlechthin34 in der Kategorie des ‘Nichtidentischen’ zu fassen, das dann in der Umschreibung als ‘Unbestimmt’ Erhabenes oder ‘big nothing’ seine greifbaren Konturen35 nahezu gänzlich verloren hat. Ernüchterung stellt sich ein, wenn ein eminenter Kenner der Erhabenheitsszene den Begriff des Erhabenen nach allen Seiten abwandern sieht und feststellen muss: ... in dem Moment, wenn die Erkenntnis des ästhetischen Diskurses der Kunst umschlägt in eine Ästhetisierung der Philosophie (wie bei Rorty)36 oder in eine Ästhetisierung der Lebenswelt (wie bei Welsch37 in Anlehnung an Habermas38) oder aber in eine Kompensationstheorie (wie bei Marquard), dann werden in solcher ästhetischen Nachtbeleuchtung alle Katzen grau, dann verliert das Erhabenheitstheorem gerade sein wichtigstes Element: Die Angabe von Differenz gegenüber dem Nichtidentischen39. Im Grunde stellt Bohrer Ähnliches fest, was schon der Meisterdenker des Erhabenen, Edmund Burke, 250 Jahre früher an der Art des gelehrten Umgangs mit seinem Gegenstand erkannt hat, wenn er in der Vorrede zu seiner Schrift Vom Erhabenen und Schönen schreibt: Diejenigen Leser, die mit Untersuchungen dieser Art vertraut sind, werden darauf gefasst sein, viele Fehler zu finden, und geneigt sein, sie zu verzeihen. Sie wissen, dass viele Objekte unserer Untersuchung in sich selber dunkel und verwickelt sind und dass viele andre durch künstliche Verfeinerung und falsche Gelehrsamkeit erst dunkel und verwickelt gemacht worden sind40. Wichtig für unseren Zusammenhang ist die Tatsache, dass paradoxerweise ein Begriff, der ursprünglich für die Behauptung der Wahrnehmbarkeit von Transzendenz eintrat, zum Unbegriff ‘transzendentaler Obdachlosigkeit’ werden konnte41, in deren Faszinationsbereich die von Nietzsche beklagte «Abwesenheit Gottes und die allgemeine Sinnfremde und Bedeutungsleere 34 Cfr. Albert 1996; Welsch/Pries 1991. Hoffmann 2006, Ss. 19-68, Ss. 333-72. 36 Rorty 2000. 37 Welsch 1990. 38 Frank 1988. 39 Bohrer 1994, S. 137 f. 40 Burke 1989, S. 35 f. 41 Lukács 1994, S. 32; cfr. dazu Hoffmann 2006, S. 336. Einen hochinteressanten Einblick die postmoderne Problemgeschichte des Erhabenheitsbegriffs gibt Peter V. Zima 2000, Ss. 196-206. 35 372 ALOIS M. HAAS der Natur»42 gehören. Als deren Ausdruck ist dieses nichtige Erhabene einerseits seit der Moderne zwar deutlich im Sinn einer negativen Ästhetik apostrophiert und von Melancholie umdüstert43, andererseits im Bedeutungsmoment seiner inhaltlichen Leere auch offen für mögliche neue Transzendenzentwürfe. Offensichtlich wird in den meisten Überlegungen das Erhabene als reines Phänomen einer Rezeptionsästhetik traktiert, welcher nach und nach das Objekt abhanden gekommen ist, zuerst Gott, dann die Natur und schliesslich die immer wieder rhetorisch zu feiernde, aber immer wieder mit Füssen getretene dignitas hominis, deren Verlust zu keinem Zeitpunkt der Geschichte massiver zu beklagen ist als im 20. Jahrhundert – die Weiterführung dieser Entwicklung ins 21. Jahrhundert kann ohne Zweifel erwartet werden! Der Erhabenheitsdiskurs steht heutzutage mit ziemlich leerem Herzen und Händen da, was nicht heisst, dass seine Situation völlig pessimistisch zu interpretieren ist. Gegenüber den immer wieder mehr oder weniger modisch artikulierten, oft der ‘sublimen’ Attraktion des kaum greifbaren Gegenstands (meistens ein «Je ne sais quoi»)44 erliegenden Konstruktionen (oder: «Ideen» nach Kant)45 über das Erhabene ist es vielleicht sinnvoll, auf die ursprünglich doch religiöse Bedeutung des Erhabenen hinzuweisen, die schon in Peri hypsous und dann auch bei Kant46 und in der Religionsphilosophie der (Post-)Moderne sich signalisiert findet. Im übrigen ist auch in jüngster Zeit diese religiöse Bedeutung nicht völlig ausser Sichtweite gefallen. Ein Denker wie Theodor W. Adorno läutete zwar die neue Erkenntnis übers Erhabene in einem Statement machtvoll ein: In der verwalteten Welt ist die adäquate Gestalt, in der Kunstwerke aufgenommen werden, die der Kommunikation des Unkommunizierbaren, die Durchbrechung des verdinglichten Bewusstseins. Werke, in denen die ästhetische Gestalt, unterm 42 Hoffmann 2006, S. 336. Taminiaux 1997; Didier/Levy-Bertherat/Ponnau 1998, Ss. 5-8; Bohrer 2002. 44 Köhler 19722, Ss. 46-66; Köhler 1976; Jankélévitch 1980; Foos 1999, Ss. 60-111 (über Kants Erhabenes); Hoeps 1989, S. 178. 45 «Den Gegenstandsbezug des Erhabenen lässt der sonst so scharf definierende Kant merkwürdig unbestimmt» (Müller 2004, S. 135). «Die Grundide der Kantischen Analytik ist, dass das Erhabene nicht in den Dingen der Natur, sondern allein in unseren Ideen zu suchen sei» (Müller 2004, S. 136 und Ss. 138-140). Cfr. auch zur Inkonsistenz des ‘Gegenstands’ in Kants Denken: Held in Held/Hilmes/Mathy 1997, Ss. 11-32. 46 «Kant wird nicht müde, gerade die Unendlichkeit des Erhabenen zu betonen. Es geht um das absolut Ganze, um das über alle Vergleichung Grosse, um eine Anschauung, die die Idee der Unendlichkeit bei sich führt. Für das Erhabene in der Natur gebe es kein Beispiel. Damit wird der dem Erhabenen zugrunde liegende Gegenstand mit Prädikaten ausgestattet, die eigentlich nur dem Unbedingten zukämen. Die erstaunliche Übersteigerung der Erhabenheitsproblematik hat Kant den Vorwurf eingetragen, er habe die Grenze zwischen ästhetischer und religiöser Erfahrung verwischt» (Müller 2004, S. 135, mit Hinweis auf Lazaroff 1980, S. 202 f.). 43 VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 373 Druck des Wahrheitsgehalts, sich transzendiert, besetzen die Stelle, welche einst der Begriff des Erhabenen meinte47. Aber er vertrat doch auf eine sehr entschiedene Weise eine ‘minimal theology’48, indem er gegenüber der Invasion des Erhabenen in die Kunst49 und in die Philosophie dessen inständige Herkunft aus der Theologie anmahnte: Das Erhabene markiert die unmittelbare Okkupation des Kunstwerks durch Theologie; sie vindiziert den Sinn des Daseins, ein letztes Mal, kraft seines Untergangs50. Adorno verbindet – schaut man genau hin – mit seiner Betrachtung des Erhabenen eine geschichtsphilosophische Niedergangsthese: Danach war der bürgerlichen Kunst, als sie «nach dem Erhabenen die Hand ausstreckte und dadurch zu sich selbst kam,... bereits die Bewegung des Erhabenen auf seine Negation hin einbeschrieben»51. Und dann folgt der gedanklich an Kierkegaard anknüpfende Satz: «Theologie ihrerseits ist spröde gegen ihre ästhetische Integration»52. Adorno signalisiert damit eine verhängnisvolle, die Neuzeit einleitende Diastase zwischen Gottes – und Weltwissen – und damit die Säkularisierung des Erhabenen und dessen künftige Isolierung in immer kleiner gedachten, zum Nichts hin tendierenden Begriffsportionen. Leidtragende sind dabei beide Partner, die Theologie wie das säkulare Wissen. Theologie wie Religiosität schlechthin sind inzwischen nicht untergegangen. Sie leben mehr oder weniger munter in tausend Variationen weiter und unternehmen immer wieder Versuche, sich gegen die Grabsprüche, mit denen sie seit 300 Jahren eingedeckt wurden, als lebendige, wenn auch oft bloss reagierend, zu sperren. Man wird getrost behaupten dürfen: Das Erhabene lebt – wenn auch ebenso viele Male totgesprochen – in tausend Modulationen des Objekt- und Subjektsbezugs weiter. Und zwar nicht bloss als Gefühl, sondern schlechthin auch gegenständlich erfahr- und fassbar als das Andere schlechthin: Metaphysisch als das Absolut Andere – mono- oder polytheistisch als das Andere des Göttlichen oder Gottes – jedenfalls immer wieder als ein wahrnehmbares Objekt menschlich geistiger Wahrnehmung und Erfahrung. 47 Adorno 1997, S. 292. Brändle 1984, Ss. 50 ff.; Vries 2005, Ss. 332 ff. Adorno1997, S. 292. 50 Ibid., S. 295. 51 Ibid., S. 296. 52 Ibid. 48 49 374 ALOIS M. HAAS III. Dieses Andere in der Gestalt des Schön Erhabenen als Objektives wahrzunehmen ist nach Hans Urs von Balthasar ein subjektiv aisthetischer Akt, der seine eigene Würde besitzt. Im Blick auf den grossen Entwurf einer theologischen Ästhetik durch Hans Urs von Balthasar – Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik 53 – mag eine Variante der Erhabenheitsdebatte aufscheinen, in der sich die sperrige Faszination des Begriffs ‘Erhabenheit’ zwar abschwächt, dafür aber in eine umfassendere Sicht menschlicher Wahrnehmung eingebettet werden kann, die, weil religiös-theologisch, für viele Postmoderne – die wie der Teufel das Weihwasser jeden Anflug scheinbar unaufgeklärter Religiosität scheuen – gênant oder ‘peinlich’54 sein mag, aber natürlich unbezweifelbar ihre eigene Vernunftstruktur aufweist. Erich Auerbach hat in überzeugender und entschiedener Weise in zwei gewichtigen Aufsätzen darauf hingewiesen, dass sowohl das Mittelalter55 wie die beginnende Moderne56 die Stilkategorie des «Erhabenen»57 in einem spezifischen Sinne kannten und sie auch begriffs- und sachgemäss anzuwenden wussten, ohne doch dabei auf Pseudo-Longinos als auf ihre Inspirationsquelle Rekurs nehmen zu müssen, was mit Ernst Robert Curtius zwar zu bedauern, aber nicht zu ändern ist58. Mit andern Worten: Man wird bei einer Darstellung der Rezeptionsgeschichte59 von Pseudo-Longinos’ Traktat Peri hypsous immer in Rechnung stellen müssen, dass das Phänomen des ‘Hohen’ Stils auch ohne die Beeinflussung durch diesen historischen Text und dessen ‘begriffliche’ Festlegung des Erhabenen literarisch präsent bleiben konnte. Dante und Baudelaire, auf die sich Auerbach ausführlich bezieht, sind in der Hinsicht eindeutige Beispiele. Ganze Sektionen literarischer Formung – so z.B. ein eigener Bereich der Lyrik, die sog. Erhebungsgedichte60 – gehören in diese Anonymität verborgener Zugehörigkeit zur Geschichte des ErhebendErhabenen. Wer sich dagegen fragt, worin denn die Attraktion des Erhabenen in der Phase der Postmoderne beruht, der wird sofort auf die Rolle der Hinfort zitiert als H mit Band- und Seitenzahl. Peter Sloterdijk 2006, S. 115: «Die ‘Rede von Gott’ ist in Europa bekanntlich seit mehr als hundertfünfzig Jahren vom Tischgespräch der guten Gesellschaft verbannt – allen periodisch zirkulierenden Gerüchten über eine Wiederkehr der Religion zum Trotz». Der sich hier als Vordenker einer kommenden ‘Weltkultur’ in den Redeverboten der ‘guten’ Gesellschaft rückversichern zu können glaubt anstatt Argumente zu liefern, diskreditiert sich angesichts des schurkischen Potentials dieser ‘guten’ Gesellschaft! 55 E. Auerbach, Camilla oder über die Wiedergeburt des Erhabenen, in Auerbach 1958, Ss. 135-76. 56 E. Auerbach, Baudelaires ‚Fleurs du Mal’ und das Erhabene, in E. Auerbach 1967, Ss. 275-90. 57 Cfr. Müller/Tonelli/Homann 1972; Souriau 1990, Ss. 1319-1322; Kallendorf, Zelle, Pries 1994; Hoffmeister 1998, Ss. 195 f.; Heinicher 2001. 58 Curtius 1978, Ss. 402-04. 59 Vgl. Seidl 1889; Albert 1989; Altrichter 2003, Ss. 30-41; Till 2006. 60 Vgl. Viëtor 1952; Pestalozzi 1970; Bohrer 1994, Ss. 92-120; Bloom 1997, S. 97; Vierle 2004. 53 54 VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 375 Kunstphilosophie (Ästhetik) und insbesondere auf den Namen des französischen Philosophen Jean François Lyotard (1924-1998) verwiesen, der in seinen Studien der Jahre 1982-86 im Umriss der (post-)modernen Kunst fünf entscheidende Aspekte festzustellen glaubt: Dekomposition, Reflexion, Ästhetik des Erhabenen, Experiment und Pluralität61. Der Ästhetik des Erhabenen kommt dabei eine Sonderrolle zu, weil sie nach der Meinung Lyotards mit dem Reflexiv-Werden der modernen Malerei in dieser einen grundsätzlichen Wechsel der Selbstdeutung anbahnt, der «von einer Ästhetik des Schönen bzw. der Beschönigung zu einer Ästhetik des Erhabenen»62 führt. Das ‘Erhabene’ wird dabei kantisch bestimmt63 als «Erweckung des Gefühls eines übersinnlichen Vermögens in uns»64, aber auch nach Burke als événement (‘Ereignis’)65. Oder nach einer anderen Definition: Erhaben ist, was auch nur denken zu können ein Vermögen des Gemüts66 beweiset, das jeden Massstab der Sinne übertrifft67. Das unbezweifelbar religiöse Potential, welches das griech. hypsos und sein lateinisches und deutsches Pendant sublimis/erhaben inhaltlich charakterisiert, ist bei seiner postmodernen Übertragung in avantgardistisch-ästhetische Zusammenhänge von allen Beteiligten – Künstlern und Theoretikern – immer wieder eher als hinderlich empfunden worden, obwohl ganz klar ist, dass der Grundlagentext, die Schrift Peri hypsous des Pseudo-Longinos, bei der Konstruktion des Erhabenen ohne ideologische Verstimmung auch höchst relevante religiöse Themen und Vorstellungen zur dessen Deutung einbezieht. Auch Kant hatte Schwierigkeiten, die ästhetische von der religiösen Erfahrung bei seiner Fassung der Erhabenheitsidee zu trennen; gleichwohl hat er solches im Ansatz versucht. Ernst Müller bringt es auf den Punkt: Nach Kant liesse sich der Gegensatz zwischen der religiösen und der ästhetischen Fassung des Erhabenen so fassen: Religiös ist es, insofern der Mensch das Erhabene 61 Lyotard 1985; Welsch 1990, Ss. 83-95. Zu Lyotards Auffassung vom Erhabenen cfr. Lyotard 1994; Reese-Schäfer 1995, Ss. 57-62; Hoffmann 2006, Ss. 30-38; Zima 2001, Ss. 63-92 (die Vorgeschichte bei Mallarmé, Valéry, Adorno und Lyotard), 95-97 (Lyotard); Portune 2003. Zur theologischen Einordnung Lyotards cfr. die Arbeiten von Wendel 1997a und 1997b; Wisser 2001, Ss. 61-104. 62 Lyotard 1985, S. 88. 63 Kant 1957, V, S. 336, § 25 (B 85, 86; A 84, 85); dazu Lyotard 1994. 64 Kant 1957, V, S. 335: «Erhaben ist das, mit welchem in Vergleichung alles andere klein ist» (B 84; A 83). 65 Cfr. Pries in Kallendorf, Zelle, Pries 1994, S. 1385. 66 Der Begriff ‘Gemüt’ hat hier noch Einiges von seiner Semantik aus der Deutschen Mystik bewahrt, indem er als Träger einer Erkenntnis- und Gefühlskräfte implizierenden, die Person in ihrer intellektual-affektiven Spitze zusammenfassenden Kraft gebraucht wird. Cfr. Friedmann 1956, Ss. 1-8. 67 Kant 1957, V, S. 336 (B 86, A 85). 376 ALOIS M. HAAS dem Objekt zuschreibt, ästhetisch insofern das Erhabene als das Gefühl der Achtung, die ‚Idee der Menschheit in unserem Subjekte’ entdeckt wird, das Subjekt also letztlich in den Ideen sich als Grund des Erhabenen lustvoll erfährt68. Das Erhabene gehört also durchaus mit Recht auch in den Kontext dessen, was in die religionswissenschaftliche Forschung als Die Diskussion um das Heilige 69 eingegangen ist. Das ‘Heilige’, dessen Ruhmesgeschichte unverbrüchlich mit dem Namen des Religionsphänomenologen Rudolf Otto (1869-1937) verbunden ist70, hat die Konturen festgelegt, innerhalb derer es in seiner religionssignifikanten Bedeutung bis heute auch zu diskutieren ist71. Otto, aus der kantisch-friesschen Schule stammend72, entzieht die ‘Ideenassoziation’73 ‘Heiliges’/’Erhabenes’ jeder Zufälligkeit und unterstellt sie der Kantischen Schematisierung74 – ähnlich wie er das mit dem Kombinat ‘Rational’/’Irrational’ macht75 und meint dazu: Echte Schematisierung unterscheidet sich von blossen Zufalls-Verbindungen dadurch dass sie nicht bei steigender und fortgehender Entwicklung des religiösen Wahrheits-gefühles wieder zerfällt und ausgeschieden wird sondern immer fester und bestimmter anerkannt wird. Aus dem Grunde ist es wahrscheinlich dass auch die innige Verbindung des Heiligen mit dem Erhebenen mehr ist als blosse Gefühlsgesellung, dass eine solche vielmehr nur die geschichtliche Weckung 68 Müller 1998. Colpe 1977. 70 Otto 1997. Zu Ottos Ansicht über religiöse Erfahrung cfr. Jay 2005, S. 110-23. 71 Cfr. Colpe 1990, Ss. 40 ff.; Gantke 1998, Ss. 171 ff., subsummiert die Zugehörigkeit des ‘Erhabenen’ zum Begriff des Heiligen als ein Moment der Mehrdeutigkeit des Begriffs ‘Heiliges’. 72 Rudolf Otto 21921 hat die Religionsphilosophie von Jakob Friedrich Fries (1773-1843) in einem eigenen Werk nachgezeichnet; cfr. auch Colpe 1990, Ss. 21 f.; Krech 2002, Ss. 62-64. 73 «Die ‘Ideenassoziation’ oder deutsch gesagt die Gesellung von Vorstellungen überhaupt bewirkt nicht nur das gelegentliche Miterscheinen der Vorstellung Y wenn Vorstellung X gegeben ist: Sie stiftet unter Umständen auch länger dauernde Beziehungen, ja bleibende Verbindungen zwischen beiden. Und die Gefühls-gesellung nicht minder. So sehen wir auch das religiöse Gefühl in Dauer-verbindungen mit andern Gefühlen die nach solchem Gesetze mit ihm verkoppelt sind. Verkoppelt oft mehr als wirklich verbunden. Denn von solchen blossen Verkoppelungen oder Zufallsverbindungen nach Gesetzen blosser äusserer Entsprechungen unterscheiden sich notwendige Verbindungen nach Prinzipien innerer wesensmässiger Zusammengehörigkeit. Eine solche Verbindung innerer Zusammengehörigkeit und zwar nach einem inneren Prinzip a priori ist zum Beispiel nach Kantischer Lehre die Verbindung der Kategorie der Ursächlichkeit mit ihrem zeitlichen Schema, nämlich mit dem zeitlichen Nacheinander zweier sich folgender Vorgänge, das durch den Hinzutritt jener Kategorie als ein Verhältnis von Ursache und Wirkung der beiden erkannt wird. Der Grund der Verbindung zwischen beiden, zwischen Kategorie und Schema, ist hier nicht äussere zufällige! Ahnlichkeit sondern wesentliche Zusammengehörigkeit. Auf Grund einer solchen ‘schematisiert’ die Zeitfolge die Kategorie der Ursächlichkeit» (Otto 1997, Ss. 60 f.). 74 Cfr. dazu Camartin 1971, Ss. 34-171. Zu Rudolf Otto als strengem Schüler Kants cfr. Colpe 1980, Ss. 143 ff. 75 Weiteres Material für Assoziationen bietet Rudolf Otto in den auf ‘Das Heilige’ folgenden Aufsatzbänden: Otto 1923; und dasselbe verändert in: Otto 1932a. 69 VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 377 und erste Veranlassung jener war. Die innige Dauerverbindung der beiden in allen höheren Religionen weist darauf hin dass auch das Erhabene ein echtes ‘Schema’ des Heiligen selber ist 76. Damit ist für Carsten Colpe77 klar, dass die Schrift Peri hypsous einen entscheidenden Baustein zur Ausformulierung der Heiligkeitsvorstellungen geliefert hat: Diese Schrift bildete im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert78 neben der aristotelischen Poetik und der Ars poetica des Horaz die Grundlage jeder Ästhetik und Literaturkritik, ja der Autor schlug mit seinem «Goldenen Buch», wie Isaac Casaubonus die Schrift nannte, diese Jahrhunderte geradezu in seinen Bann, vor allem durch die zentrale These, ein ausserordentliches Dichtwerk wirke nicht durch Überzeugung, sondern durch Entzückung79. Und es ist weiterhin klar, dass in der Tat mit dem Konzept des ‘Heilig Erhabenen’ wohl eine anthropologische Konstante greifbar ist, die durchaus auch zusätzliche biologisch und politisch funktional argumentierende Erweiterungen und Begründungen verträgt80. Mit einer gewissen Vorsicht darf daher angenommen werden, dass das Erhabene im Zusammenhang mit dem Heiligen das ‘Schema’ einer Erfahrungskonstante abgibt, die sich in allen menschlichen Kulturbereichen greifen lässt81. IV. Der katholische Schweizer Theologe und Kardinal Hans Urs von Balthasar (1905-1988), gehörte zweifellos zu den gebildetsten und literarisch produktivsten Menschen des 20. Jahrhunderts. Er hat ein gewaltiges schriftstellerisches Werk hinterlassen, dessen Wichtigkeit allmählich weltweit sichtbar wird. Tieferer Grund seiner gelehrten Beschäftigung mit Werken aus Philosophie, Kunst und Theologie aller Zeiten war ein im Wortsinn theologischer: Er beschränkte sich nicht darauf, die christliche Heilsbotschaft in ihrer ganzen Fülle angesichts einer ihr gegenüber reservierten ‘Welt’ zu verkünden, sondern er befasste sich mit allen ihm begegnenden kulturellen Positionen in Kunst, Literatur und Philosophie aufs intensivste aus dem Strahlungsbereich der Einzigartigkeit und universalen Geltung Jesu Christi 76 Otto 1997, S. 61. Colpe 1990, Ss. 50 f. Um einen Einblick in den breiten Einflussbereich von des Ps. Longinos Schrift im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts zu gewinnen siehe man die Einträge bei Fumaroli 1994, S. 845, s.v. Longin (pseudo-)! 79 Colpe 1990, S. 51. 80 Burkert 1981, Ss. 101-104. 81 Zum Kontext cfr. oben Nn. 69ff. und die folgende Literatur: Hessen 1938; Hohler 1954; Schade 1963; Reinhardt 1973; Eliade 1990; Frank 1995; Eliade 1998; Rauh 1998; Esterbauer 2002. – Zu Rudolf Otto cfr. Paus 1960; Holm 1960, Ss. 63-68; Greisch 20. 77 78 378 ALOIS M. HAAS heraus. Sein reiches Werk legt davon Zeugnis ab. Für ihn war der Gründer der christlichen Religion die alles in sich zusammenfassende gestalthafte Figur, in der sich die Heilsgeschichte des Alten und Neuen Äon als unüberblickbare Fülle Gottes leibhaft mitten in der menschlichen Geschichte ein für allemal dokumentierte. Auch die sich auf Jesus Christus berufende Theologie kann wesentlich über die Geschichtlichkeit ihres Begründers, der das Wort Gottes selber ist, nicht hinaus. Sie muss also die gewohnten Wege einer nur auf Satzaussagen eingeschworenen orthodoxen Systematik verlassen und hat sich dem Wagnis der Endlichkeit und Geschichtlichkeit auszusetzen, ohne doch die universalen Gesichtspunkte des christlichen Glaubens aus dem Gesichtsfeld verlieren. Darin besteht denn auch die beharrliche und stille Provokation dieses theologischen Denkers, dass er diesen induktiven Ansatz bei den ‘Dingen’ und Gedanken des faktischen Menschen nie verlassen hat82, auch wenn ihn seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts der Blick auf die trostlose Situation eines tief verunsicherten Katholizismus zu orthopraktischen und orthodoxen Ordnungsrufen führte, die ihm den Ruf eines Konservativen eintrugen. Für Balthasar ist das denkerisch uneinholbar Größte und Erhabenste83 und das die ganze menschliche Existenz Umfassende in dem Heilsereignis Jesu Christi zu sehen, weil es als offenbarte Gnade das theologische Apriori der ‘ganzen’ menschlichen Natur darstellt. Gottes Menschwerdung in Jesus Christus ist dem Christen jene Wirklichkeit, in der sich Gott selber in der Gestalt seines Sohnes in eine feindliche Welt begibt und damit die Christen auf eine Sendung verpflichtet, in der menschliches Reden und Handeln vorab eine Einheit mit göttlichem Reden und Handeln eingegangen sind: «Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch» (Joh 20,21). Wer also Christ ist, der hat seine ganze – auch seine kulturelle – Existenz und nicht nur Teile von ihr unter den Gesichtswinkel seines Glaubens zu stellen. Für ihn ist der ganze Bereich dessen, was Kultur genannt werden kann, einbezogen in den Spannungsbereich einer Gläubigkeit, die sich nicht als abgetrennte Disziplin gegenüber weltlichem Reden und Denken versteht, sondern als ein Teil davon. Leitfigur dieses Denkens ist die biblische Parabel vom Sauerteig (Mt 13,33). Es charakterisiert heute die säkularisierte Gegenwart der Postmoderne, dass sie nicht mehr ohne weiteres den christlichen Versuch, alle kulturellen 82 Cfr. Haas 2005 und 2006ab. In seiner immer wieder präsenten Relecture (H II, Ss. 217-63, besonders Ss. 236 ff. [cfr. oben N. 53]) der Gottesdefinition Anselms von Canterbury (1033/34-1109): Gott ist id quo maius cogitari nequit (Proslogion, c. II und öfter) wird die theologische Prämisse von Kants Mathematisch Erhabenem deutlich! 83 VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 379 Gehalte der Geschichte in einer christlichen Perspektive zu sehen, zu tolerieren fähig ist84. Man kritisiert christliche Haltungen als «Reduktion (der Welt) auf das Christliche» (Kuno Raeber) oder als «Christianisierung alles Geistigen» (Hanno Helbling) und behauptet: Die Welt ist grösser als was von Gott gedacht und behauptet werden kann. Wenn überhaupt Glauben, dann in Form eines ‘schwachen Denkens’, das – allenfalls – «zu glauben glaubt» (Gianni Vattimo). Selbst Theologen geben triumphalistisch ihre schnell zustimmende Einsicht in die Diastase zwischen Kultur (Kunst) und Theologie bekannt, um «die freche Behauptung einer Unmittelbarkeit der Transzendenz auf Abstand»85 zu halten. So tönt der Zungenschlag von herrschenden Meisterdenkern (die zwar lauthals den ‘grossen Erzählungen’ abgeschworen haben, dies aber nur, um ihre eigenen in die Welt zu setzen)! Demgegenüber hat Hans Urs von Balthasar auf einer kenntnisreichen, aber kritischen Deutungshoheit der Christen über alle kulturellen Produkte selbstverständlich beharrt und seine «Katholizität» eines auf die Kulturdaten offenen Blicks in Form einer theologischen Methodik vertreten, deren Neuartigkeit inhaltlich in seinen unternehmerischen Deutungszugriffen und methodologisch in der von aller theologischen Systematik Abstand nehmenden Geschichtlichkeit des sichtenden Standpunkts zum Ausdruck kommt. Seine theologischen Einsichten wurden von einer hermeneutischen Gewissheit getragen, die von einem durch die Lehre des Neuen Testaments vorgegebenen evangelischen Pluralismus her dem Organismus der christlichen Gemeinschaft zubilligte, viele Glieder mit gegensätzlichen Funktionen umfassen zu können (Die Wahrheit ist symphonisch, 1972), und die es erlaubte, die Frage nach den geschichtlich gewachsenen Gegensätzen zwischen den Christen in aller Schärfe zu stellen. Tiefer begründet aber war diese Gewissheit noch in einem den enger christlichen Glaubensbereich überschreitenden Rahmen, der alle denkbaren Daten der Weltkultur einem engagierten «katholischen Universalismus» (Joseph Ratzinger) unterstellte, der sich zwar – gemäss 1 Thess 5,21: «Prüfet alles, das Gute behaltet» – ein Richteramt zugestand, aber dessen Erfolg von einer tauglichen Hermeneutik abhängig sein liess. 84 Cfr. den Überblick bei Vanhoozer 2003. Wils 2005, S. 306. Zu Hans Urs von Balthasars Herrlichkeit bemerkt derselbe Autor, der sich offenbar mit langen Lektüren nicht aufhalten mag, folgendes Bemerkenswertes: «Dass religiöse Offenbarung eine ‘objektive Evidenz’ besässe, die sich in der Kunst darstellen liesse, erscheint vor diesem Hintergrund [Aufhebung der erfahrbaren Affinität zwischen Kunst und religiöser Kultur] als eine waghalsige, nostalgieanfällige Behauptung. Viel schlimmer jedoch ist die Klage über einen ‘Verlust der Mitte’ (Hans Sedlmayr), die eine religiöse Wertung der Moderne als ‘Krankheit’ impliziert. Die Heimatlosigkeit des Ästhetischen im Religiösen (und umgekehrt) mutet vielmehr wie eine Selbstverständlichkeit an» (ibid. 277 f.). Wenn die säkularisierte Kultur sich in einer Hinsicht mimetisch zur Ecclesia catholica und ihrer Souveränität verhält, dann ist es der auch hier hörbare Lakonismus performativ verkündeter Dogmen! 85 380 ALOIS M. HAAS Seine ursprüngliche Intuition und Ansicht von verantwortlichem, im Konkret-Historischen begründetem Reden über Gott und Mensch hat Balthasar nie preisgegeben. Er hat seine Theologie immer in geschichtlichen Konfigurationen der Menschheitsgeschichte grundgelegt und sieht sie getragen von deren Mitte in Jesus Christus – als dem Inbegriff des universale concretum et personale –; seine Theologie ist Rede, die auf Gottes Heilswirken ex eventu – d.h. aus einer unendlichen Reihung lebensweltlicher Zu-fälle antwortet und so – nur so – den lebendigen Bezug zu Jesus Christus herstellt, der «früher ein verzeitlichter Ewiger war», und der «jetzt ein ewiger Zeitlicher» ist. Mit diesen Worten ist die kontingent-endliche Existenzweise der Menschheit durch jene des Gottessohns selber geadelt, ja als die einzig denkbar positive Weise, Mensch zu sein, festgeschrieben. Man würde Balthasars Haltung falsch einschätzen, wenn man sie allzu sehr in den Rahmen einer in den dreißiger Jahren noch vorherrschenden Apologetik zwängen wollte. So als ob er sich genötigt gesehen hätte, den christlichen Glauben angesichts der Kulturleistungen der Menschheit als deren Korrektur und Ergänzung auszuweisen und zu verteidigen. Das Gegenteil ist richtig: Balthasar kommt von Studium und Ausbildung her aus den Bereichen von Musik, Philosophie und Germanistik. Schon die dreibändige Apokalypse der deutschen Seele (1937/39) lebte aus dieser Methode (einer ‘mythischen’ Schilderung der geistesgeschichtlichen Daten) und beweist in ihren zahlreichen monographischen Enthüllungen dichterisch-denkerischer ‘Letzthaltungen’ in Deutschland seit der Barockzeit bis in Balthasars Vorkriegsgegenwart seine Wertschätzung der menschlichen Endlichkeit. Was Balthasar in seiner Befragung der Grossen der deutschen Geistes- und Literaturgeschichte unternommen und auch konsequent durchgeführt hat, ist methodologisch interessant. Er wechselt die übliche Perspektive einer nach zweitausend Jahren Christentum auf ihre orthodoxe Systematik eingeschworenen Theologie, indem er nicht deduktiv vom theologiegeschichtlich vorgegebenen komplexen Systemzusammenhang des Glaubensdiktats her auf vorab als historische Quisquilien entwertete Ereignisse der Geistesgeschichte eingeht und sie im Lichte dieses systemisch konstruierten theologisch-orthodoxen Gnaden- und Ideenhimmels auf ihre Glaubens- und Diskursfähigkeit hin testet. Ganz im Gegenteil dazu geht es ihm in seiner Apokalypse der deutschen Seele hinsichtlich «Philosophie, Dichtung und Theologie» um ein «Hindurchführen zur allerkonkretesten Wirklichkeit», welche die ‘Seele’ als unrückführbar einzige je ist. «Apokalypse» heißt «Enthüllung», «Seele» ist der Name für dieses Einzigartige, «das sich etwa in der Rede ‘Seelen retten’... ausspricht». Die hier zur Diskussion stehende Kategorie ‘Eschatologie’ muß sich – «gerade als konkreter Vorgang» – «durchaus nicht im abstrakten Raum der Ideen, sondern im geschichtlichen Raum der Existenz bewegen: Es gibt letztlich nur die VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 381 Situation dieses einzelnen, zeitlichen Menschen vor dem Geheimnis seines Schicksals». Dies gesehen und gedeutet zu haben, erlaubt die Ausweitung des Gedankens vom Geschichtlichen auf das Allgemeine des Menschseins. Das 1952 erschienene Büchlein Schleifung der Bastionen präsentierte für diese gleichzeitig theo- und anthropozentrische Denkform das gemässe Programm: Die Laien in der katholischen Kirche wurden aufgefordert, «ein stetes, unablässiges Neuwerden im Gang» zu halten und «die unmittelbare Beziehung zum Ereignis (des christlichen Heils) zu übernehmen». Im Blick auf die christlich geforderte Zeugenschaft «des auf jeden Fall Grösserseins Gottes» sichtet Balthasar dieses Neuwerden geschichtlich: «Wenn im Alten Bund – weil er Buchstabe war – überall Anschlüsse möglich schienen, so müssen im Neuen Bund, da er Geist ist, überall Öffnungen, Anfänge, Inchoationen sich zeigen. Jede Wahrheit ist jetzt explosiv: Sie zerlegt sich in tausende, deren jede die Kraft des Ausgangspunktes hat». Die Interessenlage für den jungen Jesuiten in den vierziger und fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts richtete sich auf «die Werttafeln der modernen Kultur in ihrer Beziehung zu den zentralen christlichen Wahrheiten». Denn radikales Christsein ist Berufung zur Endlichkeit im Horizont der Ewigkeit; das gilt auch für die kulturelle Existenz des Christen. Schon 1938 sieht er das christliche Dasein als eine Fortsetzung der Sendung des Sohnes Gottes in die Welt. Dem Christen steht alles offen. Form und Inhalt alles christlichen Redens und Denkens sollen «ein- und untergehen in weltliches Reden und Denken»; der Christ hat im Nachvollzug von Mt 28,19: «Gehet hin und lehret alle Völker» Sauerteig, Salz (Mt 5,13) und Samenkorn zu werden, das aus seinem Tod erst die Frucht sich erwirken lässt. Oder – und damit stehen wir schon nahe bei den Kirchenvätern: «Alles gehört euch – und ihr gehört Christus, und Christus Gott» (1 Kor 3,23). V. Den ganzen, tendenziell unabschliessbaren und immer weiter führenden Ausgriff in die Fülle der geistigen Hervorbringungen in Kunst, Philosophie und Theologie versuchte von Balthasar in den letzten Jahrzehnten seines Lebens in ein Ordnungsmuster einzufangen, das ihm aus der Ontologie als Konzept der koextensiven Eigenschaften des Seins, der sog. Transzendentalien86, bekannt war87. Es ging ihm darum, in einem wagemutigen Entwurf die Offenbarung des Seins im Spiegel des seienden Wahren, Guten und Schönen diaphan zu machen auf die Wahrheit, Gutheit und Schönheit des Seins selbst 86 Schon der Begriff ‘Transzendentale’ scheint rein sprachlich postmodernen Theoretikern Probleme zu machen. Cfr. Eco 2000, wo über fünf Auflagen hin das dritte Kapitel immer noch überschrieben ist: «Das Schöne als Transzendentalium» (Ss. 34-48). Wenn schon die Sache falsch bezeichnet wird, wie soll da deren Inhalt wahrgenommen werden? 87 Honnefelder 2001; Viladesau 1999, Ss. 124 ff.; van Erp 2004, Ss. 98 ff. 382 ALOIS M. HAAS hin, so dass alles Wahre, Gute und Schöne in der Welt konkret analogisch in die nicht kategorialen, transzendentalen Eigenschaften des Seins zurückverfügt werden kann. Bei solchem Verfahren wendet er nicht nur ein auf die Scholastik zurückgehendes Denkmuster an, sondern weit eher greift er auf die neu-alten Denk- und Diskursformen zurück, die er sich in den vierziger und fünfziger Jahren in seinen Studien über die Patristik (Origenes, Gregor von Nyssa, Maximos Confessor), den französischen Renouveau Catholique (Bernanos, Claudel, Péguy) und Karl Barth, Romano Guardini und Martin Buber erarbeitet hatte. Eine in diesen Studien hoch entwickelte Sensibilität für die Imponderabilien einzelner Gestalten der Geistesgeschichte und deren Relevanz für weltkirchliche Dimensionen befähigte ihn, seine grosse (5150 Seiten umfassende) Trilogie einer Theo-Ästhetik, Theo-Dramatik und TheoLogik nehmen. Es geht bei diesem Werk um nichts weniger als um die im Blick auf die menschheitliche Denktradition gewonnene Einsicht in die Begrenztheit und Endlichkeit der menschlichen Existenz und deren gleichzeitige Offenheit auf das Unbegrenzte, deren Grund Balthasar in der den Menschen vorab begünstigenden göttlichen Gnade erblickt. Die konkret erscheinenden Dinge tragen so in sich eine natur- und gnadenhafte Seite, ein Auseinanderklaffen, das nach Thomas von Aquin die ‘Realdistinktion’ zwischen Wesen und Sein, zwischen Endlichem und Unendlichem meint. Soll diese Diastase überwunden werden, sieht sich das konkret Erscheinende, allem voran der Mensch, verwiesen auf die Selbstoffenbarung Gottes, die eine inkarnatorische Solidarität Gottes mit dem Menschen offeriert. Der Gott der Bibel ist nach Balthasar jene Instanz, die diesem existentiellen Bedürfnis des Menschen in seiner Offenbarung entgegenkommt und dessen Forschen nach dem absoluten Sein aufs lebendigste in seinen geschöpflichen, d.h. endlichen ‘Gestalten’ zu erfüllen in der Lage ist. Die Analogie zwischen diesen geschöpflichen Seinsverwirklichungen und dem absoluten Sein führt Balthasar zur Ausfaltung einer philosophischen Theologie, in der die anthropologischen und kosmologischen Wissenschaften auf die Seins- und Wesensfrage des Menschen hin überstiegen werden. Gleichzeitig wird dadurch alles Endliche im Unendlichen verfügt und gerettet. Balthasars theologische Ästhetik (Herrlichkeit) setzt bei den biblischen Berichten der Theophanie an: Gott erscheint den Propheten im Alten Testament, Gott zeigt sich in Jesus Christus. Eine Fülle von Zeugnissen durch die Jahrhunderte hindurch befasst sich auf mannigfaltigste Weise mit dem Aufweis einer die Jahrhunderte hindurch entwickelten christlichen ‘Wahrnehmungs-’ und ‘Erfahrungslehre’. Zwölf Monographien entwickeln Modellfälle christlich inspirierter Ästhetik (von der griechisch-lateinischen Väterzeit übers Mittelalter bis zu Pascal, Hamann und Hopkins); die Geschichte der Metaphysik wird von der Antike bis zu Marx durchschritten; eine aufs Ästhetische hin orientierte Theologie des Neuen und Alten Bundes rundet das monumentale Werk ab. VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 383 Die fünfbändige Theodramatik darf zunächst als eine gewaltige Revision der platonischen und dann auch christlichen Verurteilung der Schauspieler und des Theaters im Mittelalter verstanden werden. Es wird philosophisch und theologisch rehabilitert darin, dass die Metapher der Welt als Schauspiel als Instrumentarium einer theologischen Handlungslehre konzipiert werden kann. Es geht darin um die dramatische Beziehungs- und Handlungsfigur, in die Mensch und Gott aufeinander hin sich dynamisch bewegt sehen, als Handelnde, denen es beidseitig um Freiheit geht. Der Zusammenstoss von absoluter Freiheit Gottes und relativer Freiheit des Menschen führt zum Drama der Soteriologie und Christologie und schliesslich in ein Endspiel, das als bloße Eschatologie zu bezeichnen angesichts der bewegten Schlacht um das Gute hier zu billig wäre. Zuletzt thematisiert die Theologik die Frage nach der worthaft organisierten Selbstmitteilung Gottes an die Welt in seinem Sohn: Wie vermag sich ein ‘unendliches Wort’ im Spiegel der endlichen Wortfindungen zu reflektieren, ohne dass es seinen Sinn verliert? Von der Struktur der Weltwahrheit (als Natur, Freiheit, Geheimnis und Teilnahme) her wird hier die Problematik von göttlicher und menschlicher Logik (im Blick auf die Zweinaturenlehre der Christologie) diskutiert, vor allem aber das Problem des Heiligen Geistes, da es dieser ist, der die unendliche Sinndimension des göttlichen Wahrheitswortes vor den Menschen auszulegen hat. Der Schlußband der ganzen Trilogie (in 15 Teilbänden) mit dem Titel Epilog bietet einen der hermetischsten und schönsten Texte der literarischtheologischen Produktion Balthasars. Dieser Epilog versucht einen Schlüssel des ganzen Werks zu geben, indem er die fundamentalen Innervationen der endlich-geschichtlichen und theologischen Wahrnehmung offen legt. Für Balthasar faltet sich die göttliche Fruchtbarkeit phänomenologisch aus in den drei grundlegenden Momenten des ‘Sich-Zeigens’ (als attraktive Schönheit), des ‘Sich-Gebens’ (als das Gute in Schöpfung und Erlösung) und des ‘SichSagens’ (als Wahrheit) und dokumentiert sich in einer schwer wägbaren, aber nicht bestreitbaren Differenz von Erscheinung und Erscheinendem, deren Verhältnis als Analogie des Seins zu fassen ist. Beachtenswert ist, dass alle drei Momente Vorgänge benennen, die inchoativ im Sinnlichen beheimatet, sich ins Geistig-Allgemeine erstrecken: das Sich-Zeigen vom einzelnen Reiz in die Ganzheit der Gestalt, das Sich-Geben vom einzelnen Geschenk in die totale Fülle der liebenden Selbstverströmung des Guten schlechthin (bonum est diffusivum sui) und das Sich-Sagen vom Wort zum umgreifenden Überwort. Die sich in solcher Dehnung der sinnlichen Wahrnehmung zum Geistigen abzeichnende Endlichkeitsdimension aller Grundgesten des Menschen mit ihrer Spitze im Geistigen markiert nochmals nachhaltig die schon festgestellte ‘induktive’ Vorgehensweise vom Besonderen hin zum Allgemeinen, vom Seienden zum Sein. Das besondere und einzelne Seiende 384 ALOIS M. HAAS ist gerade in seiner Endlichkeit geadelt; es ist in seinem Verweischarakter immer mehr als es ist. Denn da «das Ganze der Wirklichkeit... nur je im Fragment eines endlichen Wesens» existiert, kann das Fragment nur «durch das Ganze des Wirklichseins» existieren. Ein Weiteres kommt hinzu. Für Balthasars lebenslange Bemühung um die religiösen Philosophien der Welt sind die beiden christlichen Grunddogmen – Trinität und Menschwerdung Gottes – die alle Fragen je schon überholende, unvordenkliche Antwort – zwar eine Glaubensoption, die aber – einmal akzeptiert – das theologische Apriori allen christlichen Redens für eine den Menschen im «konkreten SichEreignen [des je-vorgängigen göttlichen Wortes] sich einstellende AnrufAntwort-Situation» abgibt. «Das Ganze ist immer nur im Fragment zu haben». Und genau darin besteht die beharrliche und stille Provokation dieses theologischen Denkers, dass er diesen induktiven Ansatz bei den ‘Dingen’ und Gedanken des faktischen Menschen nie verlassen hat. Wenn die balthasarsche Theologie eine ‘Theologie der Endlichkeit’ ist, so ist sie doch keine von unten, sondern eine, die unter dem unvordenklichen Apriori der Menschwerdung Gottes ‘von oben’ steht. Sie vereinigt, faltet ein (Einfaltungen, 1969), was auf den ersten Blick disparat sein könnte; die Theologie ist ein Haupt in drei sich artikulierenden Gesichtern: Als kontemplative, kerygmatische und dialogische Theologie. Und einzig der Glaube – das theologische Apriori, das auch ein ekklesiales ist – erwirkt für Balthasar die Wiedergeburt in die Endlichkeit menschlicher Existenz mit all ihrem dramatischen, ästhetischen und ethischen Aufgeschlagensein der inneren und äußeren Augen! Ganz gegen lang gehegte und gepflegte Vorlieben einer christlichen Vergangenheit für das denkerisch Allgemeine und eine sowohl asketisch wie spekulativ wirksame Abstraktion ist für Balthasar christliche Existenz Einübung in deren konkrete und endliche Verfasstheit! VI. Für unseren Zusammenhang der Erhabenheitsproblematik bedeutet all das Gesagte einen Sprung zurück in vorkantisches und damit authentisch metaphysisches Denken, in dem das theologische Apriori aller Endlichkeit menschlichen Denkens, mithin auch dem philosophischen, vorangeht. Mit diesem Wagnis hat sich Balthasar von allem Anfang an ausserhalb der rational bemühten Scholastik um das Erhabene ins Zentrum einer Aisthesis gestellt, die mit objektiven und subjektiven Evidenzen in religiös menschlicher Wahrnehmung rechnet und damit alle möglichen komplexen Differenzierungen und Idealisierungen des Erhabenheitsbegriffs aus dem «Vorstellungshorizont aufgeklärter Rationalität»88, die oft auf geradezu absurde Weise ‘thetischen’ Charakter haben, aus ganzheitlicher Sicht ausschaltet. 88 Hoeps 1989, S. 246. VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 385 Man hat Balthasar dies als Missachtung und als ‘Fehldeutung’89 der philosophischen Leistungen der Vergangenheit (insbesondere Kants)90 angekreidet. Aber Balthasar kann aus seiner ganzheitlichen Sicht auf menschliche Wahrnehmung Kants «grundsätzliche Selbstbegrenzung der reinen theoretischen Vernunft auf die Menschenwelt» und eine damit gegebene ‘Begrenzung des Schönen’91 schlechterdings nicht akzeptieren: Denn – und das hält Hans Urs von Balthasar, der «bedeutendste Thymotiker unter den Theologen des 20. Jahrhunderts»92, Kant entgegen: «Der ‘kritische Idealismus’ lässt keinen Raum mehr für eine Erfahrung des Weltseins als erscheinender Herrlichkeit Gottes»93. «’Herrlichkeit’ wird ersetzt durch die sittliche Erhabenheit, die in der ästhetischen Erhabenheit einen Ausdruck gewinnt, und in der sich die intensive Herrlichkeitserfahrung des jüngeren Kant durchaus positiv aufgehoben findet»94. Die Wirklichkeit der ‘Aussenwelt’ wird zugunsten der Tragweite der Objektivität des Begriffs vernachlässigt; als «gedanklich unaufgelöste[r] Rest im Sein» bleibt daher «ein unerkennbares Ding an sich» «als irreduzibles Urphänomen der Erkenntnis stehen»95. Insgesamt kommt bei Kant der Moral die Qualität eines Kriteriums der Religion zu96, und diese wird «vor den Richterstuhl der Philosophie gezogen»97. Klar, dass im Fall, «da das ‘Menschheitliche’ an ihm [dem Menschen], über diesem Punkt balanciert, wo das Autonom-Moralische sich ins Geheimnis des Gott89 Hoeps 1989, S. 247, mit dem erwägenswerten Zusatz: «Für die Konstitution einer theologischen Ästhetik aus der Opposition zur philosophischen sind diese Fehldeutungen als fruchtbare Missverständnisse anzusehen, die einen Neuansatz hervorbringen, ohne dass doch die Kritik, aus der er hervorgeht, das Kritisierte wirklich trifft». Sofern Hoeps’ sicherlich ernst zu nehmende kritische Überlegungen vor allem wissenschaftstheoretische Fragen betreffen (z.B. nach Geltungsbereich und ‘Ort’ von Balthasars theologischer Ästhetik im Rahmen einer ‘wissenschaftlichen Theologie’, die nur mit Einschränkungen Balthasars Intentionen entspricht: Seine Theologie ist vor allem immer spirituelle, d.h. ‘kniende’ Theologie!), muss man allerdings darauf bestehen, dass es in Balthasars theologischer Ästhetik zunächst um die prinzipiellen Fragen menschlicher Wahrnehmung geht, deren Lokalisation im Leben wichtiger als in der Dogmatik sein dürfte! 90 Solche Behauptungen wären natürlich auszuweisen im Blick auf die 998 Seiten, die Balthasar über den Bezug der Metaphysik zur Herrlichkeitstheologie (in H III/1) geschrieben hat! 91 H III/1, S. 818. 92 Sloterdijk 2006, S. 53. Den Ausdruck ‘Thymotiker’ nehme ich allerdings nicht im engen Sinn Sloterdijks, der damit nur einen Theologen des Zornes Gottes meint! Thymós ist auch ‘Gemüt, Lebenskraft’ usw. 93 H III/1, S. 818. 94 H III/1, S. 819. Ss. 819-25 bringen die Stellen, in denen Kant auf ergreifende Weise seine Erhabenheitserfahrung in der Anschauung und im Schöpfungsprozess schildert (cfr. S. 819: «Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir!»). Cfr. Jay 2005, Ss. 139-48: Die Entdeckung der emanzipierten ästhetischen Erfahrung – ausserhalb aller religiösen Kontexte – wird als positiver Entwicklungsschritt behandelt. Aber wie meistens ist jeder Fortschritt mit einer Einengung der Sichtweise bezahlt. Vgl. Zima 2002 (über die beschränkten Möglichkeiten, ‘Neues’ zu schaffen). Interessant ist die Entwicklung der theologischen Denkfigur des Neuen durch Bader 2002. 95 H III/1, S. 824 f. 96 Ibid., S. 838. 97 Ibid., S. 839. 386 ALOIS M. HAAS Menschlichen öffnet, so wird auch seine Ästhetik, wie er sie in der abschliessenden dritten Kritik, der der Urteilskraft, entwirft, auf den Begriff des (ästhetisch) Erhabenen hin ponderieren»98. Von Balthasar vermerkt in seiner theologischen Ästhetik99 diesen Punkt eher mit Missbehagen, da er – mit Recht – dahinter eine unangemessene Einschränkung des ÄsthetischErhabenen ‘auf das Sittliche’ vermutet. Kants Theorie des Erhabenen steht unter dem Einfluss von Burke und seiner Theorie der Entgegensetzung zwischen der Proportion (Harmonie zwischen dem Verstand und der Einbildungkraft) und der Disproportion (zwischen Sinnlichkeit und Vernunftidee), die sich wieder als Harmonie auflöst. Aber diese Harmonie ist nicht mehr eine ruhende und kontemplative, sondern eine Bewegung des Gemüts. Im Kontext des Erhabenen spricht Kant von Gott, aber negativ. Wenn wir uns Gott im Sturm oder Gewitter vorstellen, dann ist unsere Gemütsstimmung die Unterwerfung, Niedergeschlagenheit und das Gefühl der Ohnmacht. Kant weist nach Balthasar diese Haltungen als nichtreligiös ab, weil sie gegen sein Verständnis der Ethik als Selbstverantwortung des menschlichen Geistes verstossen. Aber er stellt sich das Gute lieber erhaben als schön vor, weil er weiss, dass die menschliche Natur nur durch die Gewalt Gutes tun kann. So erweist sich Kant nochmals als Denker der Dialektik und der Aporien, der um das Kreuz weiss100. So steht Kant mit seinem Gefühl des Erhabenen «stets in der Dialektik des Angezogen- und Abgestossenseins vom übersinnlichen, zwischen der Lust und der Unlust. Das Gefühl des Erhabenen verweist auf die tragische Zwiespältigkeit des Menschen und des Seins»101. Gerade aber auf diesem Entwicklungsweg kann sich die Theorie des Erhabenen bis zu Lyotard102 als eine avantgardistische Haltung fundamentalen ‘Widerstreits’, ja des ästhetisch schlechterdings Undarstellbaren ausformen und wird so zu einem Schibboleth (post-)moderner Widersprüchlichkeiten schlechthin, auch wenn ihr Momente der «Präsenz an Mystischem und Heiligem»103 eingeschrieben sein sollten. Für Balthasar, der sich ausführlich um die Skizzierung einer Geschichte des Erhabenen104 bemüht – und auch auf Pseudo-Longinos eingeht105 –, Ibid., S. 839. Zu Balthasars Ästhetik cfr. die folgende (ausgewählte) Literatur: Pöltner/Vetter 1985; Hoeps 1989; Stock 1990; Bolz 1991; Tyler 1991; Lesch 1994; Murphy 1995; Disse 1996; Held 1997; Richard Faber/Krech 1999; Viladesau 1999; Wisser 2001; van Erp 2004; Blume 2005. Weitere Literatur siehe in den Literaturangaben der genannten Werke und bei Lochbrunner 1981, Ss. 148 ff. 100 Raguz 2003, S. 347; cfr. dazu H III/1, 848. 101 Raguz 2003, Ss. 500 f. zu H III/2, 954 f. 102 Peña 1994. 103 Peña 1994, S. 115. 104 H III/1, 817-44, 846-48 (Kant), 845f. (Burke), 848-79 (Schiller) usw. 105 H III/1, 844f. 98 99 VON BALTHASARS HERRLICHKEIT IM KONTEXT DES ERHABENEN 387 kann es bei dieser restriktiven Haltung, die ihren Endpunkt in einer ‘negativen Lust’ findet, sein Bewenden nicht haben. Im Blick auf die christliche Offenbarung, die sich in farbigen und bildfreudigen Bibeltexten niederschlug, hat er nie sehr viel gehalten von einer total negativen Theologie der radikalen Bilderverbote. Er hielt es mit Johann Georg Hamann, der sicher war, die göttliche «Leutseeligkeit in den Geschöpfen zu sehen und zu schmecken, zu beschauen und mit Händen zu greifen» und der aus jeder «Gegenwürkung des Menschen in die Kreatur» unseren «Antheil an der Göttlichen Natur, und dass wir Seines Geschlechts sind» zu erkennen wusste106. So hielt er sich an die überlieferte Transzendentalienlehre107 als an sein Ordnungsprinzip, welches in Wahr, Gut und Schön transzendentale Eigenschaften des Seins erblickt; die Kategorie ‘Erhabenes’ konnte in dieser Sicht innerhalb der Theophanien des Alten Testaments zu machtvollem Zug kommen; aber als ‘ästhetisches’ Wahrnehmungsprinzip war es dem an der Objektivität christlicher Offenbarung festhaltenden Theologen von eher geschmäklerischer Subjektivität, die aufzugeben bei dem Widerfahrnis des Schönen schlechthin, der doxa theou, für ihn ein Gebot war. Hier war für ihn Staunen am Platz. Worüber? Darüber, dass das Unbekannt-Wirkliche sich in einer vollendeten, schönen Gestalt zu zeigen vermag, und dass es dadurch andeutend auf sich hindeutend selbst sichtbar wird. Ein Licht durchstrahlt die Form selbst, und das gleiche Licht verweist auf die in ihr erscheinende und sie zugleich übergreifende Wirklichkeit. In dieser Doppelheit von in sich ruhender lichter Form und von Über-sich-Hinausweisen der Form auf ein sich in ihr lichtendes (wirkliches) Wesen liegt die innere Polarität der transzendenten Seinseigenschaft Schönheit108. BIBLIOGRAPHIE Adorno 1997 = T.W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt a.M. 1997 (= Adorno, Gesammelte Schriften, VII) Aertsen 1996 = J. Aertsen, Medieval Philosophy and the Transcendentals. The Case of Thomas Aquinas, Leiden 1996 Albert 1989 = K. Albert, Die Lehre vom Erhabenen in der Ästhetik des Deutschen Idealismus, in K. Albert, Philosophie der Kunst (= Karl Albert, Philosophische Studien, Band II), Sankt Augustin 1989, Ss. 13-137 Albert 1996 = K. 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