Lass mich erfüllt sein lass mich leer sein SZ 29.1.17

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Bezirk Winterthur
Gottesdienst vom 29. Jan. 2017
Stefan Zolliker
„Lass mich erfüllt sein – lass mich leer sein“ Phil. 3,11ff und Mk. 12,41ff
Lass mich erfüllt sein, lass mich leer sein.
Liebe Gemeinde,
Diese beiden Bitten haben einen bestimmten Ort. Die Bitten stammen aus einem
Hingabegebet an Gott, dessen Anfang alles sagt: Ich gehöre nicht mehr mir, sondern dir
…Das Gebet als Ganzes entstammt aus der Feier einer Erneuerung des Bundes mit Gott.
Einmal im Jahr feierten die ersten Methodisten die Erneuerung ihres Bundes mit Gott.
Dies nicht etwa weil Gott ein unzuverlässiger Bundespartner war! Vielmehr weil es uns
Menschen hilft, uns immer wieder auf das zu besinnen, was uns Gott in diesem Bund
schon lange versprochen hat.
Lass mich erfüllt sein, lass mich leer sein. Es geht bei diesen zwei Sätzen um die Hingabe
unseres Lebens. Nicht um mehr und nicht um weniger. Genauer: Es geht um die
Selbsthingabe. Auf den ersten Moment zögern wir vielleicht bei diesem Wort:
Selbsthingabe, was meint das? Selbsthingabe meint: Ich lasse mich selbst mit all meinen
Plänen, Erfolgen, Zweifeln und Zielen los. Ich überlasse Gott, was er mit meinen Plänen,
Erfolgen, Zielen vorhat und machen will.
Immer wieder hören wir von der Botschaft des halbleeren Glases: Was wir sehen,
gewichten, fokussieren würden? Das halb gefüllte Glas, die Ressource, die da ist? oder
eher das halb leere Glas, das was fehlt zu 100%?
John Wesley geht die Sache noch ganz anders an. Er meint: Ob das Glas nun ganz gefüllt
ist, oder ob es ganz leer ist - Lehre mich, Gott, in beidem deine Ressourcen, deinen guten
Willen, deine Liebe zu entdecken – lehre mich beide Zustände als einen Zustand der Fülle
der göttlichen Gegenwart und Möglichkeiten zu sehen.
Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich viel Kraft darauf ausrichte, alles recht zu
machen: Was ist das richtige? Was nur muss ich als nächstes tun? Lass mich erfüllt sein,
lass mich leer sein. Diese Bitte mahnt mich daran, dass es nicht so sehr darum gehen
kann, immer nur daran zu denken, ob ich nun genau das Richtige tue, denn das kann
sowieso niemand!
Wenn ich mich derart darauf konzentriere, stets das Richtige zu tun, kann ich das Ziel
schnell aus den Augen verlieren. Es geht vielmehr darum, wie wir etwas tun – ob wir es
aus uns selbst heraus tun, zur Sicherung des Egos, zum Aufbau eines guten Rufes
– oder aus der Hingabe an Gott heraus.
Lass mich erfüllt sein: Natürlich ist es gut, wenn ich mich bei meinem Tun auf die Fülle
Gottes konzentriere, wenn ich aus der Kraft Gottes heraus die Dinge anpacke.
Doch werde ich dabei immer wieder Erfahrungen machen, wo etwas gut Gefülltes plötzlich
ausgeleert wird; wo ein anvisiertes Ziel aus meinen Augen entschwindet;
wo ich mich neu orientieren muss, wo ich plötzlich mit leeren Händen dastehe.
Wohl dem, der gelernt hat, sowohl mit Fülle wie auch mit Leere umzugehen!
Paulus sagt in Phil. 3, 11ff von sich:
Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie's mir auch geht. Ich kann niedrig sein und
kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides,
Überfluss haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.
Oder in einer Übertragung: Ich kann leben wie ein Bettler oder wie ein König. Ich kann
mit beidem umgehen, mit Mangel und mit Fülle, mit Leere und mit Überfluss.
Diese beiden Bitten sind nicht einfach melancholisch zu lesen: Es gibt halt Fülle und
Leere, Plus und Minus, Hochs und Tiefs. Das Thema der Fülle und Leere will nicht nur im
Sinne eines Wellentales oder Naturgesetzes verstanden werden: Nach jeder Leere kommt
irgendwann eine neue Fülle.
Nein, es will uns vielmehr herausfordern, beides, meine Erfahrungen der Fülle und der
Leere Gott hinzuhalten, beides als Gnaden-zeiten zu sehen, aus denen Gott etwas
machen kann. Wohlverstanden auf ganz verschiedene Art und Weise etwas daraus
machen kann.
So wie es Paulus sagt: Ich kann leben wie ein Bettler oder wie ein König. Ich kann mit
beiden umgehen, mit Mangel und mit Fülle, mit Leere und mit Überfluss. Ich vermag alles
durch den, der mich mächtig macht, Christus.
Ich weiss nicht, ob Du das auch schon erlebt hast: Du lernst eine reiche oder vornehme
Person oder einen hohen Amtsträger kennen, die es zu etwas gebracht hat. Du bist ganz
erregt, dieser hochstehenden Person zu begegnen. Doch in der Begegnung spürst du es
von Herzen: Die Person selbst ist bescheiden und demütig geblieben. Das stellt dich dann
sehr auf.
Oder ich denke an das Umgekehrte: Wenn dir ein einfacher, armer Mensch begegnet, der
vielleicht nie eine Lehre machen konnte, es nie sichtbar zu was gebracht hat. Bei dem du
aber spürst: er besitzt einen gewissen Stolz, ja er lebt so selbstbewusst, er strahlt eine
königliche Würde aus.
Ich möchte Dich nun fragen: Wenn Du fünf Millionen erhalten würdest, oder wenn du
morgen in ein hohes Regierungsamt berufen würdest, oder meinetwegen auch: wenn du
morgen zum CEO einer aufstrebenden Firma berufen würdest – was würde mit dir
geschehen?
Würdest du deinem Glauben, deinen Freunden treu bleiben – würdest du deinen Glauben
noch auf dieselbe Weise ausleben? Oder würdest du diesen Glauben diskret auf die Seite
schieben, um die neuen Möglichkeiten voll auszukosten?
Und andererseits: wenn dir wie Hiob ganz viel von dem genommen würde, was dir lieb
ist. Wenn du deine Arbeit verlieren würdest, einen lieben Mitmenschen dazu, und wenn
du gar in Existenznöte kommen würdest – würdest Du Christus treu bleiben? Würdest Du
diese Leere mit Christus aushalten?
Lass mich erfüllt sein. Hilf du mir, Gott, dass Reichtum, Prestige, Erfolg, oder eben Fülle
mich nicht undankbar, überheblich oder gar korrupt machen.
Lass mich leer sein! Hilf du Gott, dass auch Armut und Verlust mich nie verbittert,
minderwertig oder hoffnungslos machen!
Paulus sagt: Mir gelingt das durch Christus. In ihm und durch ihn kann ich wie ein König
leben und dann wieder wie ein Bettler – in beidem bin ich ganz tief mit Gott verbunden.
Keiner kennt beides so gut: Die himmlischen Reichtümer, die Fülle der Gaben Gottes,
aber auch den Staub, die Schmerzen und die Sünde dieser Welt.
Lasst uns mit beidem, mit der Fülle wie der Leere zu Christus gehen, denn keiner kennt
die Fülle und die Leere so gut wie er.
Ich möchte das noch mit einer anderen biblischen Begebenheit erläutern: Mk 12,41-44
Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den
Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und
warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage
euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern.
Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hergegeben; diese Frau aber, die
kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie besaß, ihren ganzen
Lebensunterhalt.
Dieser Witwe muss Gott im Tempel auf eine tief durchdringende Weise begegnet sein.
Sie ist nun so erfüllt, dass sie bereit ist, ihm alles zu geben, was sie hat. Sie braucht
nichts mehr als Sicherung. Ihre Hingabe an Gott ist ganz. Schon so oft hatte sie in ihrem
Leben nichts mehr in der Hand gehabt: in der Trauer um ihren Mann, im täglichen
Existenzkampf. Für sie hatte diese Leere nichts Bedrohliches mehr an sich. Sie war ein
Ort, wo sie Gottes Grösse neu erleben konnte.
Die Reichen sind sich gewohnt, nur wenig von ihrem Überfluss einzulegen. Sie kennen
jene Lebenshingabe, jenes Gefühl, die ganze Existenz in Gottes Hand zu legen, nicht.
Sie kennen den wahren Reichtum Gottes noch nicht. Sie kennen den noch nicht wirklich,
der sein Schöpfungswerk begonnen hat „als die Erde wüst und leer war“ (Gen. 1,2) und
der weiterhin schöpferisch all das ausfüllen möchte, was wüst und leer ist.
In den Berichten der Evangelien nehmen Jesu Worte zu Reichtum und Armut eine recht
grosse Bedeutung ein. Wir tun uns jedoch oft schwer mit diesen Worten. Wir beginnen
mit moralisierenden Diskussionen: Wieviel darf nun ein Mensch konkret besitzen? Wo ist
das Limit in welchem kulturellen Kontext? Doch diese Diskussionen führen nicht weiter.
Jesus führt uns an jenen Punkt, wo er uns schlicht fragt: Was bringst du zu Gott? Dies ist
eine existentielle Frage, die du nicht mit Zahlen beantworten kannst. Deine ganze Fülle
und deine ganze Leere - damit er daraus macht, was er will? Oder speisest du ihn ab nach
einem bestimmten Verteilschlüssel? Wage es, Gott einmal soviel zu geben, dass du ihm
nachher auch deine Leere hinhalten kannst. Hab keine Angst vor dieser Leere!
Im Gebet John Wesleys geht es um eine ganze Lebenshingabe. Diese Hingabe darf nicht
mit Druck erzeugt werden „Du musst alles geben“, sondern sie ist eine tiefe geistliche
Frucht.
Mich Gott hingeben heisst: Ich überwinde die Angst vor der Leere. Ich kann meine
Leerstellen getrost Gott hinhalten, ich muss sie nicht mehr festhalten.
Lass mich leer sein: Diese Bitte bedeutet also, wie das Beispiel der armen Witwe zeigt,
dass ich keine Angst mehr habe vor der Leere. So viele unserer Handlungen sind geprägt
von der Angst vor der Leere: Und was denken die anderen, wenn ich so handle? Wie oft
gehe ich im gewohnten Tramp weiter, nur weil sonst die anderen über mich lachen
könnten.
Manchmal spüre ich, dass ich mich in einer Sache verirrt habe. Ich merke, dass ich einem
unguten Muster verfallen bin – doch ich sehe noch nicht das Neue, wie ich nachher leben
könnte. Ich möchte es zwar ändern, das negative Muster ablegen, doch ich schaffe es
nicht, weil ich Angst habe vor dem, was nachher kommt. Und dann trample ich weiter auf
dem fehlerhaften Pfad, aus Angst vor dem Nichts. Die Witwe hat uns eines voraus: Sie
hat diese Angst vor der Leere überwunden.
Jesus lädt dich ein, heute einen Schritt der Hingabe zu wagen. Gerade dort, wo du
denkst: „Aber das geht doch nicht so einfach!“, dort liegt vermutlich dein Lernfeld,
Hingabe zu üben.
Lebenshingabe kann vielleicht für den einen heissen, dass er tatsächlich nach Hause geht,
ein paar Bankkontos aufhebt und sein Geld für das Reich Gottes einsetzt. Wie beim
reichen Jüngling. Diesen musste Jesus auf seinen Schwachpunkt hinweisen. Doch bei
anderen liegt der Punkt an einer anderen Stelle. Bei Lebensgewohnheiten, an die sie sich
klammern, obwohl sie ihnen nicht gut tun. Bei allem aber geht es um das eine: Es geht
darum, diesen Punkt der Angst vor der Leere zu überwinden.
Wir tun so viele Dinge nur aus Angst davor, sonst mit leeren Händen dazustehen – doch
gerade dieser Punkt könnte ein heilsamer Neuanfang werden, Gott gerade diese ganz
leeren Hände hinzuhalten. Wer weiss, was Gott dir alles an Neuem, an Schöpferischem in
deine leeren Hände legen könnte!!
Lass mich erfüllt sein – lass mich leer sein. Ich weiss nicht, welche der beiden Bitten
heute Morgen dein Thema ist. Wo du gerade mehr dran bist.
Bist du am Lernen, mit der Fülle des Lebens bewusster umzugehen? Dich mehr
beschenken zu lassen von wichtigem? Dich mehr tragen zu lassen von dem, was dich
umgibt und dein Leben ausfüllt?
Bist du am Lernen, deine Hände und Taschen zu leeren? Bist du auf der Suche nach
spirituellen Wegen, Übungen, dein Leben zu ordnen, zu vereinfachen, zu entrümpeln,
deinen Geist zu reinigen? Ich kann dir sagen: Es gibt sie, diese Übungen. Sie bringen
etwas.
Herr, lerne mich erfüllt zu sein,
lerne mich leer sein.
Lass mich in beidem dir nahe sein.
Amen.
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