Staatsrecht I Staatsorganisationsrecht WS 2004/2005 WIKI zur Vorlesung Was ist ein WIKI? Privatdozent Dr. Jürgen Bröhmer Das WIKI zur Vorlesung Staatsorganisationsrecht Email: [email protected] Internet: www.jbroehmer.de Wie funktioniert das? WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Lehrbücher Zur Sache: Gliederung der Vorlesung Schwabe, Entscheidungen des BVerfG WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Gegenstand der Vorlesung Wichtige und/oder interessante Links: Strafrecht Öffentliches Recht Privatrecht Das Bundesverfassungsgericht Verwaltungsrecht Staatsrecht BVerfG-Entscheidungen Würzburg Staatsorganisationsrecht (StR I) Grundrechte (StR II) allgemeines Verwaltungsrecht besondere(s) Verwaltungsrecht(e) Dokumentarchiv Verfassungstexte (international und historisch) WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Beziehungen zum Völkerrecht und Europarecht (StR III) WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 1 Staatssymbole Nationalhymne • keine Regelung im GG • keine Regelung durch Gesetz • Briefwechsel Adenauer-Heuss 1952 • Briefwechsel BuPrä v. Weizsäcker-BK Kohl 1991 (BGBl. I S. 2135 vom 19.11.1991) Art. 22 GG: Die Bundesflagge ist Schwarz-Rot-Gold Bundeswappen/Bundesadler Hauptstadt und Nationalfeiertag - Art. 2 Einigungsvertrag WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Art. 2 der französischen Verfassung von 1958 Art. 2 La langue de la République est le français L'emblème national est le drapeau tricolore, bleu, blanc, rouge. L'hymne national est la Marseillaise. La devise de la République est Liberté, Egalité, Fraternité. Son principe est : gouvernement du peuple, par le peuple et pour le peuple. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Bundesstaatliche Ordnung WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Bundes-Republik Deutschland • res publica – Sache des Volkes • Gegenbegriff zur absolutistischen Willkürherrschaft • Im GG: Republikbegriff nur als Abgrenzung der Staatsform, keine Monarchie mit vererbbarer Position des Staatsoberhaupts WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer DeutschlandsL änder 2 Begriffliches zum Bundesstaat • • • • Zentralstaat – Bundesstaat – Staatenbund Zweigliedriger Bundesstaat - Dreigliedriger Bundesstaat föderaler Bundesstaat – unitarischer Bundesstaat kooperativer Bundesstaat - kompetitiver Bundesstaat GrundgesetzundL änderverfassungen WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Art. 71 GG Im Bereiche der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierzu in einem Bundesgesetze ausdrücklich ermächtigt werden. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 2 BvF 1/01 vom 24.10.2002 Leitsatz 2a Ein von verfassungsgerichtlicher Kontrolle freier gesetzgeberischer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG besteht nicht. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Art. 72 GG (1) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. (2) Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverh ältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 2 BvF 1/01 vom 24.10.2002 Leitsatz 2b aa [...] Das bundesstaatliche Rechtsgut gleichwertiger Lebensverhältnisse ist vielmehr erst dann bedroht und der Bund erst dann zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeintr ächtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 3 2 BvF 1/01 vom 24.10.2002 Leitsatz 2b bb Die "Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit" betrifft unmittelbar institutionelle Voraussetzungen des Bundesstaats und erst mittelbar die Lebensverhältnisse der Bürger. Eine Gesetzesvielfalt auf Länderebene erfüllt die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erst dann, wenn sie eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen darstellt, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Art. 75 GG (1) Der Bund hat das Recht, unter den Voraussetzungen des Artikels 72 Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zu erlassen [...] (2) Rahmenvorschriften dürfen nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten. (3) Erläßt der Bund Rahmenvorschriften, so sind die Länder verpflichtet, innerhalb einer durch das Gesetz bestimmten angemessenen Frist die erforderlichen Landesgesetze zu erlassen. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Grundsatzgesetzgebung • Art. 109 III: Haushaltswirtschaft – Haushaltsgrundsätzegesetz, Stabilitätsgesetz • Art. 91a II: Gemeinschaftsaufgaben – Bund beschließt, was GemAufgaben sind (ausschließliche Kompetenz) und bestimmt sodann „allgemeine Grundsätze für ihre Erfüllung“ • Sonderfall Art. 140 GG iVm. 138 WRV: Bund stellt Grundsätze für Ablösung der Staatsleistungen an Kirchen auf è Die Grundsätze müssen ausfüllungsfähig und –bedürftig sein (wie Rahmengesetzgebung) è Die Grundsätze binden aber auch den Bund und nicht nur die Länder (z.B. Haushaltsgrundsätze) WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 2 BvF 1/01 vom 24.10.2002 Leitsatz 2b cc Die "Wahrung der Wirtschaftseinheit" liegt im gesamtstaatlichen Interesse, wenn es um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik durch bundeseinheitliche Rechtssetzung geht. Der Erlass von Bundesgesetzen zur Wahrung der Wirtschaftseinheit steht dann im gesamtstaatlichen, also im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern, wenn Landesregelungen oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich bringen. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Gegenstände der Rahmengesetzgebung 1. die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienste der Länder [...] stehenden Personen, soweit Artikel 74a nichts anderes bestimmt; 1a. die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens; 2. die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse; 3. das Jagdwesen, den Naturschutz und die Landschaftspflege; 4. die Bodenverteilung, die Raumordnung und den Wasserhaushalt; 5. das Melde- und Ausweiswesen; 6. den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Ungeschriebene Kompetenzen • Kompetenz kraft Sachzusammenhangs è wenn eine wenn eine Materie nicht sinnvoll geregelt werden kann, ohne dass eine nicht zugewiesene Materie mitgeregelt wird = Ausdehnung der Kompetenz „in die Breite“; BSP: è Kultur im Ausland als Teil der ausw ärtigen Beziehungen è Rundfunkwahlwerbung im Zusammenhang mit Wahl (statt Rundfunk) è ärztliches Beratungskonzept bei der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs als Teil der Strafrechtskompetenz WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 4 Ungeschriebene Kompetenzen • Annexkompetenz Soll nicht, wie Sachzusammenhang, in die Breite, sondern „in die Tiefe“ gehen; im Rahmen der zugewiesenen Materie werden Aspekte mitgeregelt, die fü r sich betrachtet nicht in den kompetenzbereich des Bundes fallen BSP: – Gefahrenabwehraspekte in einem zugewiesenen Bereich (etwa Gewerberecht – bauliche Anlagen an Straßen nicht als Baurecht, sondern Straßenrecht; • Kompetenz aus der Natur der Sache ausschließliche Bundeskompetenz, weil nur der Bund regeln kann; BSP: Bundesfeiertag, -symbole, -hauptstadt; Nein: Bundesrundfunk zur Selbstdarstellung der Nation, vgl. BVerfGE 12, 20 è Vorsicht! Keine Aush öhlung der Kompetenzordnung durch Ausdehnung der ungeschriebenen Kompetenzen Fallstudie I 2 BvF 1/01 vom 24.10.2002 = BVerfGE 106, 62-166 Bundeskompetenz für Altenpflegegesetz Lies dazu: Jochum, NJW 2003, 28 Stelkens, Ulrich, GewArch 2003, 187 WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Fallstudie II Fallstudie III BVerfG, 2 BvF 2/02 vom 27.7.2004 das Fünfte Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und anderer Vorschriften 1 BvR 636/02 vom 9.6.2004 Ladenschlußgesetz und Art. 125 GG Die Wahl in den USA Kompetenzen des Bundes zur Gesetzgebung ungeschriebene Kompetenzen: Sachzusammenhang Annexkompetenz Natur der Sache Gemeinschaftsaufgaben „Grundsatzgesetzgebung“ Art. 91 a II 2, 109 III ausschließliche Bundesgesetzgebung, Art. 71, 73, „durch Bundesgesetz“ konkurrierende Bundesgesetzgebung, Art. 72, 74, 74a Rahmengesetze Art. 72, 75 • Mehrheitswahlsystem – „first past the pole“/winner -take-all • Indirekte Wahl des Präsidenten/VP – „electoral college“ • Präsidialsystem – keine unmittelbare Verbindung zwischen Wahl der Legislative (U.S. Congress: House of Representatives und Senat) Article II – US-Constitution Section. 1. The executive Power shall be vested in a President of the United States of America. He shall hold his Office during the Term of four Years, and, together with the Vice President, chosen for the same Term, be elected, as follows: Each State shall appoint, in such Manner as the Legislature thereof may direct, a Number of Electors, equal to the whole Number of Senators and Representatives to which the State may be entitled in the Congress: but no Senator or Representative, or Person holding an Office of Trust or Profit under the United States, shall be appointed an Elector WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 5 Electoral College Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder als eigene Angelegenheit, Art. 83, 84 durch die Länder im Auftrage des Bundes, Art. 85 durch den Bund selbst, bundeseigene Verwaltung, Art. 86 ff. Die Ausf ührung der Bundesgesetze WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Grundsatz, Art. 83, 84 Abs. 1 GG Organisationsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht ist Ländersache! D.h. è die Errichtung von Behörden, è die Zuweisung von Aufgaben an schon bestehende Behörden(Zuständigkeitsverteilungen) è Verfahrensrechtliche Regelungen sind von den Ländern zu regeln, obwohl es um Bundesgesetze geht. Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder: è Rechtsaufsicht des Bundes = Bundesaufsicht - über die Ausführung der Bundesgesetze! (keine generelle Rechtsaufsicht, sondern nur gesetzesakzessorisch) - nur Rechtsaufsicht, keine Fachaufsicht! - maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist die höchstrichterliche Rechtsprechung und die ständige Verwaltungspraxis Anders z.B. USA: Gesetzgebungskompetenz und Verwaltungskompetenez gehen Hand in Hand. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Aufsichtsmaßnahmen, Art. 84 Abs. 3 und 4 - Berichtspflicht, Art. 84 III Entsendung eines Beauftragten, Art. 84 III Mängelrüge, Art. 84 Abs. 4 S. 1 Feststellung der Rechtsverletzung, 84 IV 1 Bundeszwang, Art. 37 Einzelweisungen nur nach Maßgabe des Art. 84 Abs. 5!!! WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfGE 77, 288 (298 f.) Bund hat Kompetenz zur Regelung des Verwaltungsverfahrens, wenn er die Gesetzgebungskompetenz in der Sache hat. ABER: Art. 84 Abs. 1: Zustimmung des Bundesrates!!! WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 6 § 1 Abs. 2 Satz 2 BVwVfG als Beispiel für die Kompetenz des Bundes zur Regelung des Verwaltungsverfahrens „Für die Ausführung von Bundesgesetzen, die nach Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen werden, gilt dies nur, soweit die Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates dieses Gesetz für anwendbar erkl ären.“ WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfGE 81, 310 – Leits. 2b – Kalkar II Das Land hat dem Bund gegenü ber kein einforderbares Recht, dass dieser seine im Einklang mit der Verfassung in Anspruch genommene Weisungsbefugnis inhaltlich rechtmäßi g ausübt oder gar einen Verfassungsversto ß, insbesondere eine Grundrechtsverletzung, unterlässt. Eine Grenze ergibt sich in dem äußersten Fall, dass eine zuständige oberste Bundesbehörde unter grober Missachtung der ihr obliegenden Obhutspflicht zu einem Tun oder Unterlassen anweist, welches im Hinblick auf die damit einhergehende allgemeine Gefährdung oder Verletzung bedeutender Rechtsgüter schlechterdings nicht verantwortet werden kann. Auftragsverwaltung, Art. 85 Grundsatz Art. 85 Abs. 1: auch hier geht es um Verwaltung/Vollzug durch die LÄNDER (nach außen handeln nur die Länder! = Wahrnehmungskompetenz), aber mit eingeschränkter Autonomie: è nicht nur Rechtmäßigkeitskontrolle, sondern auch Zweckmäßigkeit!, Art. 85 Abs. 4 S. 1 è Weisungsbefugnisse gem. Art. 85 Abs. 3 WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Bundeseigene Verwaltung • bundesunmittelbare Vw = Tätigwerden durch Behörden des Bundes – mit eigenem Verwaltungsunterbau – durch Bundesoberbehörden • mittelbare Bundesverwaltung = Tätigwerden durch bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Verbot der Mischverwaltung BVerfGE 63, 1 ff. LS 4.a) Grundsätzlich gilt, dass der Verwaltungsträ ger, dem durch eine Kompetenznorm des Grundgesetzes Verwaltungsaufgaben zugewiesen sind, diese Aufgaben durch eigene Verwaltungseinrichtungen - mit eigenen personellen und sächlichen Mitteln - wahrnimmt. Dem Grundgedanken einer Kompetenznorm (wie auch der finanziellen Lastenaufteilung zwischen Bund und Ländern), die für eine Materie dem Bund die Verwaltungskompetenz zuordnet, widerspr äche es, w ürden in weitem Umfang Einrichtungen der Landesverwaltung fü r Zwecke der Bundesverwaltung herangezogen. Dies gälte auch dann, wenn eine förmliche Übertragung von Zuständigkeiten nicht erfolgte. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Nochmal: Bundesfernsehen - BVerfGE 12, 205 Problem: Auslandseinsätze der Bundeswehr BVerfGE 90, 286 - Auslandseinsätze Problem: Staatliche Warnungen BVerfGE 105, 279 - Osho BVerfGE 105, 252 - Glykol WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 7 Bundesfreundliches Verhalten BVerfGE 104, 238 Rn. 35 des Urteils: Der Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens ist nach st Rspr des BVerfG akzessorischer Natur, er konstituiert oder begrenzt Rechte innerhalb eines bestehenden Rechtsverhältnisses, begründet aber nicht selbständig ein Rechtsverhältnis zwischen Bund und Ländern. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Bundesrecht bricht Landesrecht BVerfGE 96, 345 Leits ätze nur zum Urteil in der juris Datenbank nicht in der Version auf www. bverfg.de 1. Ein nach Art 142 GG prinzipiell geltendes Landesgrundrecht wird gemä ß Art 31 GG von einfachem Bundesrecht jedenfalls insoweit nicht verdrängt, als Bundes- und Landesgrundrecht einen bestimmten Gegenstand in gleichem Sinn und mit gleichem Inhalt regeln und in diesem Sinne inhaltsgleich sind." 4. a) Inhaltsgleich - und damit zulässiger Prüfungsma ßstab für das Landesverfassungsgericht - ist das entsprechende Landesgrundrecht nur, wenn es in dem zu entscheidenden Fall zu demselben Ergebnis wie das Grundgesetz führt. Art. 31, 142 GG Artikel 31 - Vorrang des Bundesrechtes Bundesrecht bricht Landesrecht. Artikel 142 - Grundrechte in Landesverfassungen Ungeachtet der Vorschrift des Artikels 31 bleiben Bestimmungen der Landesverfassungen auch insoweit in Kraft, als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 dieses Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Die kommunale Selbstverwaltung Art. 28 Abs. 2 GG (2) Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfGE 79, 127 – Rastede 2. Zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung gehört kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog, wohl aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Kommunale Selbstverwaltungsgarantie, Art. 28 II GG BVerfG, 2 BvR 1176/99 v. 18.7.2001, Rn. 4 Nach Art. 28 Abs. 2 GG sind alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft geschützt. Das sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben (BVerfGE 79, 127 <151>). Garantiert ist dabei nicht nur der Aufgabenbereich, sondern auch die Befugnis, in diesem Bereich die Geschäfte eigenverantwortlich zu führen. Die Selbstverwaltungsgarantie bedarf der Ausgestaltung und Formung durch den Gesetzgeber. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 8 Kommunale Selbstverwaltungsgarantie, Art. 28 II GG BVerfG, 2 BvR 1176/99 v. 18.7.2001, Rn. 8 Zur Selbstverwaltungsgarantie zählt „das Recht der Gemeinde auf die Führung ihres einmal bestimmten Namens, die Gebietshoheit, die Organisationshoheit, nämlich die Kompetenz, für die Wahrnehmung der Aufgaben Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten im einzelnen zu regeln, ferner die Personal- und die Finanzhoheit. Auch eine Beeinträchtigung der Planungshoheit, nämlich der Befugnis, voraussehbare Entwicklungen längerfristig zu steuern, insbesondere für das eigene Gebiet die Bodennutzung festzulegen, die Förderung der Wirtschaft und der Umwelt, sowie der Energieversorgung ist nicht ersichtlich.“ WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Kommunale Selbstverwaltung Arten von Selbstverwaltungsaufgaben Freiwillige Aufgaben = Aufgaben, die eine Gemeinde eigeninitiativ durchführt, Rechtsaufsicht durch das Land z.B. Kultur, soziale Angelegenheiten, Sportanlagen, Erholungseinrichtungen, Verkehrseinrichtungen, kommunale Wirtschaftsförderung Pflichtaufgaben ohne Weisung = gesetzlich zugewiesenen Aufgaben, die die Gemeinde selbstständig erbringt; Rechtaufsicht durch das Land z.B. Bauplanung, Einrichtung von Schulen, Asylantenunterbringung, Abfall-/Abwassenbeseitigung Auftragsangelegenheiten: Gemeinde handelt als untere staatliche Verwaltungsbehörde; Aufgabe und Verwaltungsverfahren sind vorgegeben z.B.: allg. u. bes. Polizeirecht, Einwohnermeldewesen, Vorbereitung und Durchführung von Wahlen, Zivil- und Katastrophenschutz WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Art. 23 Abs. 5 GG (5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Komm. Selbstverwaltung è Gewährleistung der Institution Gemeinde (ABER: kein absoluter Schutz gegen Gebietsreformen) è Gew ährleistung des Rechtsinstituts der kommunalen SelbstVw , grds. Allzuständigkeit, Eigenverantwortlichkeit (ABER: nur im Rahmen der Gesetze, nicht schrankenlos; Aufgabenü bertragung durch Bundes - und Landesgesetzgeber (pflichtige SelbstVwAufgaben , Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung, Auftragsangelegenheiten) à wie viel finanzielle Ausstattung braucht es dafür? è subjektive Rechtsstellungsgarantie, d.h. gerichtliche Durchsetzbarkeit, vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b, § 91 BVerfGG è è è è Personalhoheit Finanzhoheit Organisationshoheit Planungshoheit WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Exkurs: Vollzug des Gemeinschaftsrechts • Grundsatz: mittelbarer Vollzug, d.h. durch die MS (= landeseigene Vw) • Ausnahme: insb. Wettbewerbs- und Beihilferecht (= gemeinschaftsunmittelbarer Vollzug) • Keine unmittelbaren Durchsetzungsmöglichkeiten à bei Rechtsverletzungen durch MS „nur“ Vertragsverletzungsverfahren zum EuGH (ggf. Geldbuße), Art. 228 EGV WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer § 5 Abs. 2 EUZBLG è Dazu § 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 9 Art. 23 Abs. 6 GG (6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, soll die Wahrnehmung der Rechte, die der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder übertragen werden. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer § 6 EUZBLG èDazu § 6, insbes. Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union èProblem: Demokratische Legitimation WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Beteiligung der Länder in EUAngelegenheiten Mitwirkung der Länder in der Europapolitik WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Art. 20 Abs. 1 und 2 GG Demokratieprinzip WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Abraham Lincoln – Gettysburg Address, 19.11.1863 (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 10 Abraham Lincoln's Gettysburg Address, 19 November 1863, Gettysburg, Pennsylvania, USA – EN/DE It is rather for us, the living, we h e r e be dedicated to the great task remaining before us -- that, from these honored dead we takeincreased devotion to that cause for which they here, gave the last full measureof devotion -- that we herehighly resolve these dead shall not h a v e died in vain; that the nation, shall have a new birth of freedom, and that government of the people by the people for the people , shall not perish from the earth. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Demokratische Legitimation BVerfGE 47, 253 – Leits. 1 und 2 1. Das Grundgesetz schreibt für die Gemeinden die demokratische Organisation der Staatsgewalt vor. Auch ihre Organe und Vertretungen bedürfen, soweit sie Staatsgewalt ausüben, einer Legitimation, die sich auf die Gesamtheit der Bürger als dem Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, zurückführen läßt. 2. Die verfassungsrechtlich notwendige demokratische Legitimation erfordert eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Struktur Demokratieprinzip Prinzip der Volkssouveränität Art. 20 II 1 GG "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" unmittelbar durch das Volk durch Wahlen und Abstimmungen institutionelle demokratische Legitimation durch Errichtung Struktur Demokratieprinzip Französische Verfassung von 1958 Titre I - De la Souveraineté Article 2 : La langue de la République est le français L'emblème national est le drapeau tricolore, bleu, blanc, rouge. L'hymne national est la Marseillaise. La devise de la République est Liberté, Egalité, Fraternité. Son principe est : gouvernement du peuple, par le peuple et pour le peuple. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfGE 93, 37 Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein vgl. Rn. 132 ff., 134: „[...] dies setzt voraus, dass die Amtsträger im Auftrag und nach Weisung der Regierung ohne Bindung an die Willensentschließung einer außerhalb parlamentarischer Verantwortung stehenden Stelle- handeln können und die Regierung damit in die Lage versetzen, die Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament zu übernehmen.“ WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Haben Sie den Stoff schon nachgearbeitet? Nein? Dann wird es aber HÖCHSTE Eisenbahn!!!! mittelbar/repräsentativ durch Legislative, Judikative und Exekutive personelle sachlich/inhaltliche demokratische demokratische Legitimation Legitimation durch Bestellung durch Gesetze WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Schwabe, Entscheidungen des BVerfG WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 11 Demokratische Legitimation Anbindung an die Eigenschaft als Staatsbürger Konsequenz für das Wahlrecht BVerfGE 83, 60 – Ausländerwahlrecht „2. Die Einbeziehung von Ausl ändern in den Kreis der zu den Bezirksversammlungen Wahlberechtigten verletzt indes das gemä ß Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG auch für die Länder verbindliche demokratische Prinzip des Art. 20 Abs. 2 GG. Die Bezirksversammlungen üben Staatsgewalt aus und bedürfen demgemäss demokratischer Legitimation. Sie kann durch die Wahlen zu den Bezirksversammlungen nicht vermittelt werden, wenn Ausl änder zu den Wahlberechtigten gehören.“ (Rn. 49) „Wahlen, bei denen auch Ausländer wahlberechtigt sind, können demokratische Legitimation nicht vermitteln“ (aaO. Rn. 59) WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Demokratische Legitimation in der EU BVerfGE 89, 155 – Maastricht Konsequenz: 4. Vermitteln - wie gegenwärtig - die Staatsvölker über die nationalen Parlamente demokratische Legitimation, sind der Ausdehnung der Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Gemeinschaften vom demokratischen Prinzip her Grenzen gesetzt. Dem Deutschen Bundestag müssen Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Volksinitiative Gesetzentw. SPD u. Grüne, Drs. 14/8503, 13.3.2002 Zum Gesetzgebungsverfahren Art. 82 a (Volksinitiative) (1) Vierhunderttausend Stimmberechtigte können den Bundestag mit einer mit Gründen versehenen Gesetzesvorlage befassen. Die Vertrauensleute der Volksinitiative haben das Recht auf Anhörung. 2) Finanzwirksame Volksinitiativen sind zulässig. Ausgeschlossen sind Volksinitiativen über das Haushaltsgesetz, über Abgabengesetze, Dienst- und Versorgungsbezüge sowie die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages sowie über eine Wiedereinführung der Todesstrafe. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Demokratische Legitimation in der EU BVerfGE 89, 155 – Maastricht 3. a) Nimmt ein Verbund demokratischer Staaten hoheitliche Aufgaben wahr und übt dazu hoheitliche Befugnisse aus, sind es zuvörderst die Staatsv ölker der Mitgliedstaaten, die dies über die nationalen Parlamente demokratisch zu legitimieren haben. Mithin erfolgt demokratische Legitimation durch die Rückkopplung des Handelns europ äischer Organe an die Parlamente der Mitgliedstaaten; hinzu tritt - im Maße des Zusammen-wachsens der europäischen Nationen zunehmend innerhalb des institutionellen Gefüges der Europ äischen Union die Vermittlung demokratischer Legitimation durch das von den Bürgern der Mitgliedstaaten gewählte Europ äische Parlament.“ WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Art. 20 Abs. 2 GG Wahlen und Abstimmungen (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. è WAHLEN sind Entscheidungen über Personen è durch Wahlen werden Repräsentativorgane bestimmt è ABSTIMMUNGEN sind Sachentscheidungen WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Volksinitiative Gesetzentw. SPD u. Grüne, Drs. 14/8503, 13.3.2002 Zum Gesetzgebungsverfahren Art. 82 b (Volksbegehren) (1) Kommt innerhalb von acht Monaten das beantragte Gesetz nicht zustande, können die Vertrauensleute der Volksinitiative die Durchführung eines Volksbegehren einleiten. 2) Hält die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Bundestages das beantragte Gesetz für verfassungswidrig, ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. (3) Das Volksbegehren ist zustande gekommen, wenn ihm fünf vom Hundert der Stimmberechtigten innerhalb von sechs Monaten zugestimmt haben. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 12 Volksinitiative Gesetzentw. SPD u. Grüne, Drs. 14/8503, 13.3.2002 Zum Gesetzgebungsverfahren Art. 82 c (Volksentscheid) (1) Ist ein Volksbegehren zustande gekommen, findet innerhalb von sechs Monaten ein Volksentscheid statt, es sei denn, das begehrte Gesetz wurde zuvor angenommen. (2)[...] (3) Ein Gesetzentwurf ist angenommen, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zugestimmt hat und mindestens zwanzig vom Hundert der Stimmberechtigten sich an der Abstimmung beteiligt haben. (4) Ein verfassungsändernder Gesetzentwurf ist angenommen, wenn zwei Drittel der Abstimmenden zugestimmt und mindestens vierzig vom Hundert der Stimmberechtigten sich an der Abstimmung beteiligt haben. (5) Bei Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen und bei verfassungsändernden Gesetzen gilt das Ergebnis der Abstimmung in einem Land als Abgabe seiner Bundesratsstimme. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Pro und Contra Volksabstimmung Pro und Contra Argumente „Direkte Demokratie“ WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BEACHTE: Argumente pro oder contra mehr direkte Demokratie auf Bundesebene sind (rechts)politische Argumente, KEINE verfassungsrechtlichen Argumente! Es wären verfassungsrechtliche Argumente nur, wenn eine Änderung des GG hin zu mehr direkter Bürgerbeteiligung gegen den unabänderlichen Kern des Demokratieprinzips aus Art. 79 Abs. 3 GG verstoßen würde. è Das ist grundsätzlich nicht der Fall (hängt von der Ausgestaltung im Einzelnen ab). WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Bis heute können die Bürgerinnen und Bürger in rund 50 Staaten direkt über Gesetze abstimmen. Oft betrifft dieses Recht aber nu r Verfassungsänderungen, die - nachdem sie vom Parlament angenommen wurden - dem Volk vorgelegt werden müssen (obligatorisches Referendum). Oder Volksentscheide können nur "von oben" eingeleitet werden. Die klassische Volksgesetzgebung, in der Vorschläge aus der Mitte der Bürgerschaft per Volksbegehren zur Abstimmung gebracht werden können, ist bisher nur in wenigen Staaten verankert. Dazu zählen u.a. die Schweiz, die Bundesstaaten der USA (ABER NICHT AUF BUNDESEBENE!), die deutschen Bundesländer und Liechtenstein. Quelle: Mehr Demokratie e.V.; dort gibt weitere Länderinfos WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Volksabstimmung als Problemlöser? èHandelt es sich wirklich um DIREKTE Demokratie? Oder geht es um die intransparente Machtausübung einer oder mehrerer Gruppen? èDirekte Beteiligungsverfahren systemimmanent weit weniger strukturiert und weit weniger Regeln unterworfen als die verfahrensgelenkte, institutionalisierte Entscheidungsfindung im repräsentativen System (Gesetzgebungsverfahren nebst Begleitregeln, z.B. Status der Abgeordneten, Regeln über die Finanzierung von Parteien und Wahlkampf) èAuch bei direkter Demokratie geht es um Repräsentation, denn die (u.U. sehr kleine) Mehrheit handelt fü r das gesamte Staatsvolk! èGefahr struktureller Mehr-/Minder-)heiten? èWer ist verantwortlich? WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Das Mehrheitsprinzip BVerfGE 29, 154 ff. Die Parlamentswahl stellt den für die Willensbildung im demokratischen Staat entscheidenden Akt dar, durch den das Volk, von dem die Staatsgewalt ausgeht, das es vertretende Verfassungsorgan bestimmt (BVerfGE 20, 56 (113)). Zu den fundamentalen Prinzipien der Demokratie gehört das Mehrheitsprinzip (BVerfGE 1, 299 (315)), in dem der für das Wahlprüfungsverfahren anerkannte Erheblichkeitsgrundsatz letztlich seine Rechtfertigung findet: Ein Wahlfehler kann den in einer Wahl zum Ausdruck gebrachten Volkswillen nur dann verletzen, wenn sich ohne ihn eine andere, über die Mandatsverteilung entscheidende Mehrheit ergeben würde. Erst die Möglichkeit der Auswirkung eines Wahlfehlers auf die Sitzverteilung kann daher relevant sein. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 13 Das Mehrheitsprinzip • • • • • • • • • Art. 29 Abs. 3, 5-8 (Volksentscheide und Volksbefragungen zur Neugliederung des Bundesgebiets) Art. 42 Abs. 1 (Ausschluss der Öffentlichkeit im Bundestag) Art. 52 Abs. 3 (Bundesrat) Art. 54 Abs. 6 (Wahl des Bundespr äsidenten) Art. 61 Abs. 1 (Präsidentenanklage) Art. 63 Abs. 2-4 (Wahl und Ernennung des Bundeskanzlers) Art. 67 Abs. 1 (konstruktives Misstrauensvotum) Art. 68 Abs. 1 (Vertrauensfrage) Art. 77 Abs. 4 (Einspruch des Bundesrats und Reaktion des Bundestags) • Art. 80a Abs. 1 und 3 (Feststellung des Spannungsfalls) • Art. 87 Abs. 3 (Einrichtung von Bundesbeh örden) Art. 98 Abs. 2 (Versetzung eines Bundesrichters) Art. 115a Abs. 1 und 2 (Feststellung des Verteidigungsfalls) Art. 115d Abs. 2 (verkürztes Gesetzgebungsverfahren) Art. 115e Abs. 1 (Gemeinsamer Ausschuss) • • • • • • Art. 115g (Verhältnis BVerfG zum Gemeinsamen Ausschuss) Art. 115h (Wahl des Bundeskanzlers durch Gemeinsamen Ausschuss) Begriff der Mehrheit, Art. 121 GG • Die einfache Mehrheit • Die absolute Mehhrheit („Kanzlermehrheit“) • Die qualifizierte Mehrheit • Kombinationsmehrheit § 1 Satz 1 BWahlG: (1) Der Deutsche Bundestag besteht vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen aus 598 Abgeordneten. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Funktionen und Voraussetzungen des Mehrheitsprinzips • MP stellt sicher, dass die notwendigen Entscheidungen getroffen werden können • Kommt dem Ideal der gleichen Teilhabe an der Machtausübung am nächsten • WICHTIG: Minderheit von heute muß Mehrheit von morgen sein können • Minderheitenschutz • Herrschaft auf Zeit • Notwendig ist daher die Herstellung von Transparenz bei der Mehrheitsbildung • Unabdingbar ist der freie Wettbewerb der Ideen und damit all das, was im weitesten Sinne unter Meinungs oder Kommunikationsfreiheit gefaßt werden kann (Presse- und Rundfunkfreiheit; Pluralismus, Meinungs vielfalt umschrieben wird) • Reduktion von Komplexität WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Artikel 121 [Begriff "Mehrheit der Mitglieder"] Mehrheit der Mitglieder des Bundestages und der Bundesversammlung im Sinne dieses Grundgesetzes ist die Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitgliederzahl. Struktur Demokratieprinzip Prinzip der Volkssouveränität Art. 20 II 1 GG "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" mittelbar/repräsentativ unmittelbar durch das Volk durch durch Legislative, Wahlen und Judikative und Abstimmungen Exekutive institutionelle personelle sachlich/inhaltliche demokratische demokratische demokratische Legitimation Legitimation Legitimation durch Errichtung durch Bestellung durch Gesetze Lesen: BVerfGE 107, 59 (= DVBl. 2003, 923; DÖV 2003, 678) und dazu Jestaedt, JuS 2004, 649 Struktur Demokratieprinzip WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfGE 44, 125 (142), Rn. 52 Und nur wenn die Mehrheit aus einem freien, offenen, regelmäßig zu erneuernden Meinungsbildungsprozeß und Willensbildungsprozeß, an dem grundsätzlich alle wahlmündigen Bürger zu gleichen Rechten teilhaben können, hervorgegangen ist, wenn sie bei ihren Entscheidungen das - je und je zu bestimmende Gemeinwohl im Auge hat, insbesondere auch die Rechte der Minderheit beachtet und ihre Interessen mitberücksichtigt, ihr zumal nicht die rechtliche Chance nimmt oder verkürzt, zur Mehrheit von morgen zu werden, kann die Entscheidung der Mehrheit bei Ausübung von Staatsgewalt als Wille der Gesamtheit gelten und nach der Idee der freien Selbstbestimmung aller B ürger Verpflichtungskraft für alle entfalten.“ Mehrheitsprinzip und Spiegelbildlichkeit: BVerfG, 2 BvE 3/02 vom 3.12.2002, Absatz-Nr. 65 WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 14 Artikel 33 Abs. 2 GG (2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte. èPrinzip der Bestenauslese für den öffentlichen Dienst èsubjektives öffentliches Recht, d.h. vor Gericht, ggf. mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar (vgl. § 90 BVerfGG) Voraussetzungen von Demokratie als Staatsform relative Homogenität des Staatsvolkes bzw. Abwesenheit von Bindungen, die die zu treffenden Personal- und Sachentscheidungen regelmäßig überlagern (z.B. religi öse, ethnische Bindungen) Schul- und Bildungssystem das Kommunikationseigenschaften vermittelt und zu rationaler Entscheidungsfindung erzieht (gerade auch mit Blick auf die Tatsache der immer größer werdenden Spezialisierung und des Auseinanderfallens von Sachwissen und Entscheidungskompetenz Demokratischer Grundkonsens/dem. Ethos: Achtung des anderen; Offenheit für Argumente und Ideen; Anerkennung der demokratischen Spielregeln; Grundorientierung auch am Gemeinwohl WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Sir Winston Churchill „Many forms of Government have been tried, and will be tried in this world of sin and woe. No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that democracy is the worst form of Government except all those others that have been tried from time to time.“ Art. 20 Abs. 2 GG (1) [...]. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Die Teilung der Staatsgewalt Das Rechtsstaatsprinzip 1. Gewaltenteilung/Gewaltenverschränkung, Art. 20 Abs. 2 u. 3, Art. 1 Abs. 3 GG 2. Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns (Vorrang der Verfassung, Vorrang des Gesetzes, Vorbehalt des Gesetzes 3. Gewährleistung von Grundrechten vor allem als Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat 4. Rechtssicherheit, Rechtsklarheit, Vertrauensschutz, Rückwirkungsverbot 5. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit 6. Garantie des Rechtsschutzes durch unabhängige Gerichte, Art. 19 Abs. 4 GG WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 15 Zwecke/Funktionen des Gewaltenteilungsprinzips • Mäßigungsfunktion (der Macht) • Kontrollfunktion – gegenseitige Kontrolle • Schutzfunktion – Schutz der Freiheit des Einzelnen • Rationalisierungsfunktion – sachgerechte Organisation des Staates (Organadäquanz) Gewaltenverschränkung im parlamentarischen System der Bundesrepu blik WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Inkompatibilitäten Art. 55 GG (1) Der Bundespräsident darf weder der Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören. (2) Der Bundespräsident darf kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrate eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Inkompatibilitäten Art. 94 Abs. 1 GG (1) Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern. Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt. Sie dürfen weder dem Bundestage, dem Bundesrate, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Inkompatibilitäten Art. 53a Abs. 1, Satz 2 GG Inkompatibilitäten § 2 GO BRat (1) Der Gemeinsame Ausschuß besteht zu zwei Dritteln aus Abgeordneten des Bundestages, zu einem Drittel aus Mitgliedern des Bundesrates. Die Abgeordneten werden vom Bundestage entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bestimmt; sie dürfen nicht der Bundesregierung angehören. èUmkehrschluss: Sonst dürfen sie das sehr wohl!!! § 2 Inkompatibilität Die Mitglieder des Bundesrates dürfen nicht gleichzeitig dem Bundestag angehören. Wird ein Mitglied des Bundesrates in den Bundestag gewählt, so muss es dem Präsidenten des Bundesrates in angemessener Frist mitteilen, welches der beiden Ämter es niederlegt WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 16 Inkompatibilitäten Art. 66 GG, § 4 BMinG Inkompatibilitäten Art. 137 Abs. 1 GG Art. 66 GG: Der Bundeskanzler und die Bundesminister dürfen kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch ohne Zustimmung des Bundestages dem Aufsichtsrate eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören. § 4 BMinG: Ein Mitglied der Bundesregierung kann nicht zugleich Mitglied einer Landesregierung sein. (1) Die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern im Bund, in den Ländern und den Gemeinden kann gesetzlich beschränkt werden. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Inkompatibilitäten § 5 AbgG § 5 AgbG Ruhen der Rechte und Pflichten aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis (1) Die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis eines in den Bundestag gewählten Beamten mit Dienstbezügen ruhen vom Tage der Annahme der Wahl für die Dauer der Mitgliedschaft mit Ausnahme der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit und des Verbots der Annahme von Belohnun- gen und Geschenken. [...] WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Zwecke/Funktionen des Gewaltenteilungsprinzips • Mäßigungsfunktion (der Macht) • Kontrollfunktion – gegenseitige Kontrolle • Schutzfunktion – Schutz der Freiheit des Einzelnen • Rationalisierungsfunktion – sachgerechte Organisation des Staates (Organadäquanz) WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer vgl. §§ 5 ff. AbgG; §§ 7a, 33 Abs. 2, 3 BRRG; §§ 4 Abs. 1, 17a, 21 Abs. 2 Nr. 2, 36 Abs. 2, 121 DRiG WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Inkompatibilitäten § 8 AbgG (1) Die §§ 5 bis 7 gelten für Richter, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit entsprechend. (2) [...] (3) Absatz 2 und die Vorschriften der §§ 5, 6 und 7 Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für Angestellte des öffentlichen Dienstes. Öffentlicher Dienst im Sinne dieser Vorschrift ist die Tätigkeit im Dienste des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde oder anderer Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder ihrer Verbände mit Ausnahme der öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften und ihrer Verbände. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfG, 2 BvE 2/00 vom 17.12.2001, Abs.-Nr. 80 Bei der Entscheidung über die Genehmigung der Strafverfolgung sind die Interessen des Parlaments und die des betroffenen Abgeordneten gegenüber den anderen Staatsgewalten nicht in jedem Falle gleichgerichtet. Der Abgeordnete kann je nach dem parlamentarischen Kräfteverhältnis auch gegenüber dem Parlament schutzbedürftig sein. Parlament und Regierung stehen heute nicht in Frontstellung einander gegenüber. Vielmehr verläuft die Grenze quer durch das Plenum: Regierung und die sie unterstützende Parlamentsmehrheit bilden gegenüber der Opposition politisch eine Einheit (BVerfGE 102, 224 (236)). Es kann deshalb nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Parlamentsmehrheit sich bei der Entscheidung über die Genehmigung des Strafverfahrens sachfremde Erwägungen der Strafverfolgungs -organe zu Eigen macht. In einem solchen Fall bedarf der Abgeord-nete eines verfassungsgerichtlich durchsetzbaren Schutzes. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 17 BVerfGE 95, 1 – Leits. 1-3, Südumfahrung Stendal 1. Staatliche Planung ist weder eindeutig der Legislative noch eindeutig der Exekutive zugeordnet. 2. Auch Detailpläne im Bereich der anlagenbezogenen Fachplanung sind einer gesetzlichen Regelung zugänglich. Das Parlament darf durch Gesetz eine solche Entscheidung freilich nur dann an sich ziehen, wenn hierfür im Einzelfall gute Gründe bestehen. 3. Entfaltet eine Legalplanung enteignungsrechtliche Vorwirkungen, hat sie vor der Verfassung jedenfalls dann Bestand, wenn sie nicht nur - wie jede Enteignung - im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zum Wohle der Allgemeinheit erforderlich ist, sondern auch triftige Gründe fü r die Annahme bestehen, daß die Durchführung einer behördlichen Planfeststellung mit erheblichen Nachteilen fü r das Gemeinwohl verbunden w äre, denen nur durch eine gesetzliche Regelung begegnet werden kann. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfG, 2 BvE 6/99 vom 22.11.2001, Abs.-Nr. 114) = BVerfGE 104, 151 ff. Prozessuale Absicherung der Gewaltenteilung durch Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG)! „Das Organstreitverfahren eröffnet den Verfassungsorganen die Möglichkeit, für einen bestimmten Sachzusammenhang über die Zuordnung der in Betracht kommenden Kompetenzen im System der Gewaltenteilung zu streiten. Im Verhältnis zwischen Bundestag und Bundesregierung sind daher vor allem die Gesetzgebungsbefugnisse und sonstigen Mitwirkungsrechte des Bundestags rügefähig. Ein Eingriff in eine Gesetzgebungskompetenz des Bundestags ist nicht nur bei Anmaßung der Regelungskompetenz möglich, sondern auch bei einem rechtserheblichen Handeln ohne gesetzliche Ermächtigung, wenn diese von Verfassungs wegen erforderlich ist. Das Parlament kann im Wege des Organstreits eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit eines solchen Handelns herbeifü hren. “ WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfGE 68, 1 (86 f.) - Atomwaffenstationierung Die konkrete Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht, die das Grundgesetz gewahrt wissen will, darf nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden (BVerfGE 49, 89 [124 ff.]). Auch der Grundsatz der parlamentarischen Verantwortung der Regierung setzt notwendigerweise einen Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung voraus (BVerfGE 67, 100 [139]). Die Demokratie, die das Grundgesetz verfa ßt hat, ist eine rechtsstaatliche Demokratie, und das bedeutet im Verhältnis der Staatsorgane zueinander vor allem eine gewaltenteilende Demokratie. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Art. 20 Abs. 3 GG (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung BVerfG, 1 BvR 279/02 vom 16.4.2002, Abs.-Nr. 26 f. Bindet die Verwaltung an die Regelungen des Gesetzgebers (2) Die Einführung dieses Schulkonzepts genügt auch den Anfor derungen des Vorbehalts des Gesetzes. (a) Dieser verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen Normgebern überlassen (vgl. BVerfGE 98, 218 (251)). Das gilt auch und gerade auf dem Gebiet des Schulwesens. Ob und inwieweit Regelungen des parlamentarischen Gesetzgebers erforderlich sind, richtet sich dabei allgemein nach der Intensität, mit der die Grundrechte der Beteiligten durch die jeweilige Maßnahme betroffen sind. Speziell in Bezug auf Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist von Bedeutung, ob die Grenzen im Spannungsfeld zwischen dem Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates und dem elterlichen Erziehungsrecht in substantieller Hinsicht zu Lasten des Elternrechts verschoben werden (vgl. BVerfGE 98, 218 (252)). durch den Vorrang des Gesetzes , d.h. Vw darf nicht gegen bestehende Gesetze verstoßen Dieser Grundsatz gilt uneingeschränkt für alles Verwaltungshandeln è kein willkürliches Staatshandeln durch den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, d.h Vw darf nur tätig werden, wenn sie durch ein Gesetz dazu ermächtigt wurde gilt uneingeschränkt nur für Eingriffsverwaltung, d.h. wenn der Bürger belastet wird à nur dann liegt ein Eingriff in die Freiheit der Bü rger vor! gilt in der Leistungsverwaltung nur eingeschränkt, wenn Leistung einem Eingriff gleichkommt oder wenn Parlamentsvorbehalt greift WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 18 Vorbehalt des Gesetzes Strafgefangenen-Entscheidung des BVerfG BVerfGE 33, 1 vgl. Rn. 17 a.E. und 18 Sicherung und Schutz der Grundrechte im Rechtsstaat des Grundgesetzes WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit als rechtsstaatliches Gebot besagt, dass nur in dem Ma ße in die Rechte der Bürger eingegriffen werden darf, in dem dies erforderlich ist, um einen legitimen Zweck mit geeigneten Mitteln zu erreichen. è legitimer Zweck è Geeignetheit des Mittels è Erforderlichkeit = Grds des geringsten Mittels = Übermaßverbot è Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne = Angemessenheit („nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“) WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfG, 2 BvR 1881/99 vom 26.4.2000, Rn. 2 Das Bestimmtheitsgebot [...] verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Der einzelne Normadressat soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Das Gebot der Bestimmtheit des Gesetzes berücksichtigt jedoch auch die Auslegungsfähigkeit und bedürftigkeit des Rechtsaktes. Gesetze können nicht alle zukünftigen Fälle im Detail voraussehen; sie müssen den Wandel der Verhältnisse aufnehmen und der Besonderheit des Einzelfalles gerecht werden. Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungs bedürftige Begriffe sind daher im Strafrecht verfassungsrechtlich dann nicht zu beanstanden, wenn die Norm mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden eine zuverlässige Grundlage für ihre Auslegung und Anwendung bietet oder wenn sie eine gefestigte Rechtsprechung übernimmt und daraus hinreichende Bestimmtheit gewinnt (st. Rspr; vgl. BVerfGE 96, 68 <97 f.>). WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Francis Bacon Engl. Philosoph, 1561-1626 “Für das Gesetz ist es von so großer Bedeutung, eindeutig zu sein, dass es ohne diese Voraussetzung auch nicht gerecht sein kann.“ "Certainty is so essential to law, that law cannot even be just without it. For if the trumpet give an uncertain sound, who shall prepare himself to battle? So if the law give an uncertain sound, who shall prepare to obey it? It ought therefore to warn before it strikes. It is well said also, that that is the best law which leaves least to the discretion of the judge; and this comes from the certainty of it." ABER: der heutige Präsident desBVerfG Papier hat in einer Studie zum Bestimmtheitsgebot gefordert, das BVerfG m üsse seiner "Bestimmtheitsrechtsprechung selbst schärfere Konturen geben" und dieses Prinzip "bestimmter" handhaben. (Papier/Mö ller: Das Bestimmtheitsgebot und seine Durchsetzung, in: AöR 122 (1997), S. 177 (198 f.) WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfG NJW 2002, S. 1779 BVerfG, 2 BvR 794/95 vom 20.3.2002 "Bei der Frage, welche Anforderungen an die Bestimmtheit von Rechtsfolgenregeln zu stellen sind, geraten also zwei Verfassungs-prinzipien in ein Spannungsverhältnis, das weder durch einen allgemeinen Verzicht auf Strafrahmen noch durch eine grundsätzliche Entscheidung für möglichst weite richterliche Strafzumessungsspiel-räume aufgelöst werden kann. Schuldprinzip und Einzelfallgerechtigkeit auf der einen Seite sowie Rechtsfolgenbestimmtheit und Rechtssicherheit auf der anderen Seite müssen abge -wogen und in einen verfassungsrechtlich tragfähigen Ausgleich gebracht werden, der beiden f ür das Strafrecht unverzichtbaren Prinzipien m öglichst viel an Substanz bel ässt. Der Strafgesetzgeber erfüllt seine Pflicht, wenn er durch die Wahl der Strafandrohung sowohl den Strafrichter als auch die betroffenen Bürger so genau orientiert, dass seine Bewertung der tatbestandlich beschriebenen Delikte deutlich wird, der Betroffene das Maß der drohenden Strafe abschätzen kann und dem Strafrichter die Bemessung einer schuldangemessenen Reaktion möglich ist." WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 19 Bestimmtheitsgebot - Beispiele • BVerfG , 2 BvR 86/03 vom 8.9.2004, Absatz-Nr. (1 - 9), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040908_2bvr008603.html • BVerfG , 1 BvR 1778/01 vom 16.3.2004, Absatz-Nr. (1 - 123), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20040316_1bvr177801.html • BVerfG, 1 BvF 3/92 vom 3.3.2004, Absatz-Nr. (102 ff.), http://www.bverfg.de/entscheidungen/fs20040303_1bvf000392.html Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit als rechtsstaatliches Gebot besagt, dass nur in dem Ma ße in die Rechte der Bürger eingegriffen werden darf, in dem dies erforderlich ist, um einen legitimen Zweck mit geeigneten Mitteln zu erreichen. • BVerfG, 2 BvR 2029/01 vom 5.2.2004, Absatz-Nr. (195 ff.), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20040205_2bvr202901.html Aus alledem lässt sich der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber den Konflikt zwischen dem faktischen Zwang der Benutzung unbestimmter Rechtsbegriffe und der dadurch zwangsläufig entstehende Unsicherheit und der Bestimmtheit der Norm im Sinne größtmöglicher Bestimmtheit lösen muss und das Maß der hinzunehmenden Unbestimmtheit ausschließlich durch gesetzgebungstechnische Notwendigkeiten bedingt sein darf. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Grundsatz der Verhältnismäßigkeit • • • • Legitimer Zweck (BSP: Gesetz zum Schutz vor Konkurrenz) Geeignetheit des vom Gesetzgeber gewählten Mittels zur Erreichung des legitimen Zwecks (Ungeeignetheit z.B. bei fehlender Kausalbeziehung, z.B. Personen- oder produktbezogene Anforderungen; wirtschaftslenkende Maßnahmen, ABER: Prognosespielraum des Gesetzgebers è ex ante Betrachtung! Erforderlichkeit des Mittels = Grundsatz des geringsmöglichen Eingriffs è Suche nach Alternativen è WICHTIG: nur grds. gleich geeignete/effektive Alternativen kommen in Betracht! Z.B. Vollstreckungsmaßnahmen bei Rechtsverletzungen (Abschleppen von verkehrswidrig geparkten KfZ etc.); Verkehrsverbot für Waren oder Etikettierung); Abriss nur formell rechtswidriger Bauten?; berufsregelnde Gesetze (z.B. BVerfGE 7, 377 – Apotheker) Angemessenheit = Verhältnism ä ßigkeit im engeren Sinne („Kanonen auf Spatzen“ ), dazu BVerfGE 16, 194 (Rn. 1, 2 - SV und 20, 21 - Grü nde) WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfGE 97, 67 BVerfG, 2 BvR 882/97 vom 3.12.1997 (Rn. 34 ff.) Eine Rechtsnorm entfaltet Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist. [...] Grundsätzlich erlaubt die Verfassung nur ein belastendes Gesetz, dessen Rechtsfolgen für einen frühestens mit der Verkündung beginnenden Zeitraum eintreten. Die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten (Rückbewirkung von Rechtsfolgen, "echte" Rückwirkung), ist grundsätzlich unzulässig. Der von einem Gesetz Betroffene muß grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der Verkündung einer Neuregelung darauf vertrauen können, daß er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen wird. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer è legitimer Zweck è Geeignetheit des Mittels è Erforderlichkeit = Grds des geringsten Mittels = Übermaßverbot è Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne = Angemessenheit („nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“) WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weitere Beispiele • http://www.bverfg.de/entscheidungen/lk20040629_2bvl00080 2.html – Cannabis: èRn. 45: „Die Entscheidung des Strafgesetzgebers kann vom Bundesverfassungsgericht nicht darauf geprüft werden, ob er die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat“ s. dazu auch BVerfGE 90, 145 (173 ) (DFR-Bern. Rn. 124 ff.) • 2 BvR 1523/01 vom 9.10.2001 – Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus • BVerfG, 1 BvR 2014/95 vom 3.4.2001, Rn. 86 ff.., Pflegeversicherung • BVerfG, 1 BvR 1510/99, Rn. 19 ff. - Semesterticket WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfGE 97, 67 BVerfG, 2 BvR 882/97 vom 3.12.1997 (Rn. 34 ff.) Demgegenüber betrifft die tatbestandliche Rückanknüpfung ("unechte" Rückwirkung) nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfaßt aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 20 Rechtstaatsprinzip – Rechtsschutz Der Begriff der öffentlichen Gewalt im Art. 19 Abs. 4 GG Judikative: wenn Art. 19 IV auch Rechtsschutz gegen alle Akte der Judikative verlangte, dann müsste es einen nie endenden Instanzenzug geben, weil gegen jedes Urteil immer Rechtsschutz möglich sein müsste è Judikative ist NICHT öff. Gewalt iSd 19 Abs. 4 GG: Es geht um Rechtsschutz DURCH Richter, nicht GEGEN Richter! Legislative: str. – hängt von der Konstruktion ab; BVerfG rechnet Legislative nicht dazu, da kein Letztentscheidungsrecht der Fachrichter (Art. 100 GG!) und weil das BVerfG die VB, die abstrakte NK und die konkrete NK nicht zu den Rechtswegen iSd Art. 19 Abs. 4 GG zählt. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerfGE 102, 254 – Leits. 2b. = 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 2460/95 u.a. vom 22.11.2000 "Das Sozialstaatsprinzip des GG Art 20 Abs 1 verlangt, dass die staatliche Gemeinschaft in der Regel Lasten mitträ gt, die aus einem von der Gesamtheit zu tragenden Schicksal entstanden sind und mehr oder weniger zufällig nur einzelne Bürger oder bestimmte Gruppen von ihnen getroffen haben. Bei der Ausgestaltung des Ausgleichs hat der Gesetzgeber einen besonders weiten Regelungs- und Gestaltungsspielraum sowohl für die Art der Wiedergutmachung als auch für deren Umfang. Er darf den Schadensausgleich nach Maßgabe dessen bestimmen, was unter Berücksichtigung der übrigen Lasten und der finanziellen Bedürfnisse für bevorstehende Aufgaben möglich ist (vgl. BVerfGE 84, 90 <125>)." WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 6. Abschnitt Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Artikel 59a saarl. LVerf. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist der besonderen Fürsorge des Staates und jedes einzelnen anvertraut. Es gehört deshalb zu den erstrangigen Aufgaben des Staates - Boden, Wasser und Luft als natürliche Lebensgrundlagen zu schützen, eingetretene Schäden zu beheben oder auszugleichen, - mit Energie sparsam umzugehen, - die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes zu erhalten und dauerhaft zu verbessern, - den Wald zu schützen und eingetretene Schäden zu beheben und auszugleichen, - die heimischen Tier- und Pflanzenarten zu schonen und zu erhalten. Das Gesetz bestimmt die notwendigen Bindungen und Pflichten, es ordnet den Ausgleich der betroffenen öffentlichen und privaten Belange und regelt die staatlichen und kommunalen Aufgaben. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Sozialstaatsprinzip è Garantie eines Mindestbestandes an sozialer Sicherheit Problem der Ressourcenabhängigkeit vieler sozialer Errungenschaften; es kann kein konjunkturunabhängiger Bestand rechtlich festgeschrieben werden (als subj. Recht), weil es rechtlich nicht durchsetzbar ist. è BSHG: § 1, § 2 è Legitimation für Bestrebungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit Spielraum für den Gesetzgeber zur – reversiblen – Festlegung des jeweils politisch gewollten Standards è Sozialstaatsprinzip als Auslegungsma ßstab im Bereich der Grundrechte und der grundrechtseinschränkenden Gesetze Konkretes BSP im GG: die Sozialbindung des Eigentums in Art. 14 GG! Bundeshaushalt 2004 : 122,5 Milliarden von 257,3 Milliarden EUR WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Artikel 20a (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer BVerwG 11. Senat, Beschluß vom 10. September 1999, Az: 11 B 22/99 Es ist - im Einklang mit dem Wortlaut des Art. 20 a GG und den Motiven zur Einfügung dieser Vorschrift ins Grundgesetz [...] - in der höchstrichterlichen Rechtsprechung gekl ärt, daß Art. 20 a GG eine Staatszielbestimmung enth ält, die dem Normgeber, an den sie sich in erster Linie richtet, zur Konkretisierung einen weiten Gestaltungsspielraum beläßt, ohne ihn auf bestimmte zur Erreichung des Staatsziels heranzuziehende Mittel festzulegen [...] Wird dennoch [...] geltend gemacht, Art. 20 a GG gebiete ein bestimmtes Handeln des Normgebers, bedarf es einer vertieften Darlegung, woraus sich eine solche Verpflichtung des Normgebers gerade zu dieser Regelung im einzelnen ergeben und wie der Normgeber ihr auch unter Beachtung der darüber hinaus einzuhaltenden Maßstäbe nachkommen kann. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 21 VGH Ba-Wü, 10. Senat, Beschluß vom 3. September 2002, Az: 10 S 957/02 Die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen ist ein Gemeinwohlbelang von hohem Rang [...]. Der Staat ist von Verfassungs wegen verpflichtet, den Boden und das Grundwasser als Bestandteile der natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen (Art. 20a GG). Mit Blick auf diese Verpflichtung hat der Gesetzgeber mit Einführung des Bundes -Bodenschutzgesetzes Regelungen geschaffen [...]. Die Verwaltung und die Gerichte haben Art. 20a GG als verfassungsrechtliche Wertentscheidung sowohl bei der Auslegung als auch bei der Anwendung der Bestimmungen des einfachen Rechts zu beachten. Dies gilt insbesondere für die Durchführung rechtlich gebotener Abwägungen und die Nutzung von Ermessensspielräumen [...]. Auch bei der durch das Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung entfaltet Art. 20a GG seine lenkende Wirkung. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Grundgesetz änderung und Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 1-3 GG) Das Grundgesetz kann nur durch Gesetze ge ändert werden, die die in Art. 79 GG enthaltenen formellen und materiellen Anforderungen erfüllen: besondere Mehrheiten: 2/3-Mehrheit der Mitglieder sowohl im BTag als auch im BRat Art. 79 I 1 GG Wortlaut des Grundgesetzes muss ausdrücklich ge ändert oder ergänzt werden è keine Verfassungsänderung durch die Hintertü r des Erlasses bzw. der Auslegung einfacher Gesetze Art. 79 III GG entzieht dem Zugriff auch des verfassungs ändernden Gesetzgebers materielle Verfassungsinhalte (sog. "Ewigkeitsgarantie") WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Widerstandsrecht, Art. 20 Abs. 4 GG • „diese Ordnung“ à Verweis auf Art. 20 I-III GG, d.h. nicht jede Vorschrift des GG, sondern nur die „f.d.G.O. “ • Jemand muss die Beseitigung unternehmen à mehr als nur einzelne Rechtsverstöße • Unternehmen à es muss eine konkrete Gefährdung des widerstandsfähigen Rechtsguts vorliegen • Jemand = Jeder à Staatsstreich von unten oder von oben • BEACHTE: Mehrheitsverh ältnisse spielen keine Rolle • Keine andere Abhilfe: Widerstandsrecht als ultima ratio des verfassungstreuen Bürgers (Volkssouveränität) à die Abhilfemöglichkeiten müssen noch tatsächlich existieren • VorS außerdem ein subjektiver Widerstandswille • Widerstandsberechtigt sind alle Deutschen • Erlaubt Ungehorsam und Gewalt in Formen, die sonst rechtswidrig w ären à Rechtfertigungsgrund. Eingesetzte Mittel müssen geeignet sein WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Verfassung der Weimarer Republik WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 22 Die Staatsorgane der USA Die Staatsorgane des Dritten Reiches WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Die Verfassung der V. Französischen Republik WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Die Staatsorgane Großbritanniens WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Der Deutsche Bundestag § Erster Dt. BT tritt am 14.8.1949 zusammen § 17.10.2002: Konstituierung des 15. Dt. BTs § Unterschied zur WRV: BT wählt BK § Anfängliche Zahl der Parteien im BT reduziert sich auf CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne Die Verfassung der Schweiz WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 23 Deutscher Bundestag Die Wahlen zum Deutschen Bundestag Hauptfunktionen: Dieses Schaubild enthält einen Fehler! Können Sie ihn finden und den Irrtum begründen? • Regierungsbildung • Kontrolle die Regierung und deren Politik • Repräsentation des Deutschen Volkes • Teilnahme an der politischen Willensbildung • Gesetzgebung (Gesetzgebungsfunktion) WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Keine Festlegung im GG auf ein best. Wahlsystem BVerfGE 95, 335 „Der Gesetzgeber darf in Ausführung dieses Regelungsauftrags das Verfahren der Wahl zum Deutschen Bundestag als Mehrheitswahl oder als Verhältniswahl gestalten; er darf auch beide Wahlsysteme miteinander verbinden [...]. Doch verlangt Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG stets, daß "die Abgeordneten" gewählt werden. Damit schließt die Verfassung eine bloße Parteienwahl aus. In dem besonderen Spannungsverhältnis zwischen Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG, der die Personenwahl im Parteienstaat garantiert und die Konsequenzen des Parteienstaates durch ein Bekenntnis zum reprä sentativen Status des Abgeordneten mäßigt, und Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, der die Mitwirkung der Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes anerkennt und damit den Parteien eine herausragende Stellung im Wahlrecht zuweist, hat der Gesetzgeber bei der Regelung des Wahlverfahrens einen Entscheidungsspielraum zwischen dem Modell der Mehrheitswahl (Wahlkreisbewerber) und dem der Verh ältniswahl (Listenbewerber).“ WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer § 1 BWahlG Zusammensetzung des Deutschen Bundestages und Wahlrechtsgrundsätze (1) Der Deutsche Bundestag besteht vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen aus 598 Abgeordneten. Sie werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl von den wahlberechtigten Deutschen nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt. (2) Von den Abgeordneten werden 299 nach Kreiswahlvorschlägen in den Wahlkreisen und die Übrigen nach Landeswahlvorschlägen (Landeslisten) gewählt. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer § 6 Abs. 4 BWahlG § 4 BWahlG Jeder Wähler hat zwei Stimmen, eine Erststimme für die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten, eine Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste. § 5 BWahlG In jedem Wahlkreis wird ein Abgeordneter gewählt. Gewählt ist der Bewerber, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt. Bei Stimmengleichheit entscheidet das vom Kreiswahlleiter zu ziehende Los. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer (4) Von der für jede Landesliste so ermittelten Abgeordnetenzahl wird die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Sitze abgerechnet. Die restlichen Sitze werden aus der Landesliste in der dort festgelegten Reihenfolge besetzt. Bewerber, die in einem Wahlkreis gewählt sind, bleiben auf der Landesliste unberücksichtigt. Entfallen auf eine Landesliste mehr Sitze als Bewerber benannt sind, so bleiben diese Sitze unbesetzt. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 24 BSP für d‘Hondt, 10.000 abgegebene Stimmen im Wahlgebiet Partei A Partei B Partei C :1 4160 (1) 3380 (2) 2460 (3) :2 2080 (4) 1690 (5) :3 1386 (6) BSP Hare/Niemeyer Partei Zweitstimmen je Partei Zweitstim men gesamt Sitzzahl 1230 (7) Partei B 43.000 : 103.000 * 598 1126 (8) 820 Partei C 39.000 226,43 :4 1040 (9) 845 615 Partei D 21.000 121,92 :5 832 676 492 249 + 226 + 121 = 596 è noch 2 Sitze fehlen èzu vergeben an die beiden höchsten Restzahlen Sitze je Partei 249,65 BSP Hare/ Niemeyer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer § 6 Abs. 6 BWahlG 5%-Klausel und Grundmandatsklausel (6) Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben . Satz 1 findet auf die von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Allgemeinheit der Wahl Die Allgemeinheit der Wahl bedeutet, dass grds. alle Staatsbürger (aber grds. auch nur diese!) unabhängig von Rasse, Religion, Geschlecht, Bildungsstand oder Einkommen aktiv und passiv wahlberechtigt sind. è Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz, vgl. Art. 3 Abs. 3 GG - Diskriminierungsverbot è Festlegung des Wahlalters in Art. 38 Abs. 2 GG und damit immanente Schranke der Allgemeinheit è Einschränkungen aus zwingenden Gründen zulässig, z.B. Inkompatibilitäten in Art. 55 Abs. 1, 94 Abs. 1, 137 Abs. 1 GG) è Umsetzung verfassungsgeschichtlich erst mit Einführung des Frauenwahlrechts durch Art. 22 WRV (1918) Probleme: • Briefwahl – verbessert die Allgemeinheit, Gefahren für Freiheit und Geheimheit • Wahlrecht für im Ausland befindliche Angehörige des öff. Dienstes, 12 Abs. 2 Nr. 1 BWahlG • Wahlrecht der „ Auslandsdeutschen“, vgl. 12 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BWahlG WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Wahlkreise im Saarland WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Unmittelbarkeit der Wahl BVerfG 47, 253 (279f.) „Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verlangt, daß die Mitglieder einer Volksvertretung direkt ohne die Einschaltung von Wahlmännern gewählt werden. Er schließt jedes Wahlverfahren aus, bei denen zwischen Wähler und Wahlbewerber nach der Wahlhandlung eine Instanz eingeschaltet ist, die nach ihrem Ermessen den Vertreter ausw ählt und damit dem einzelnen Wähler die Möglichkeit nimmt, die zukü nftigen Mitglieder der Volksvertretung durch die Stimmabgabe selbständig zu bestimmen. “ BSP: Wahlmänner, z.B. Wahl des Präsidenten der USA è Listenwahl nur zulässig, weil die Listenreihenfolge unabänderlich ist (§ 6 Abs. 4 BWahlG) WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 25 Unmittelbarkeit - BVerfGE 95, 335 (350) Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verbietet nicht nur die indirekte Wahl; er fordert auch ein Wahlverfahren, in dem der Wähler vor dem Wahlakt erkennen kann, welche Personen sich um ein Abgeordnetenmandat bewerben und wie sich die eigene Stimmabgabe auf Erfolg oder Mißerfolg der Wahlbewerber auswirken kann (vgl. dazu auch BVerfGE 47, 253 [279 ff.]). In diesem Gew ährleistungsinhalt berü hrt sich die Unmittelbarkeit der Wahl mit dem Grundsatz der Wahlfreiheit, der nicht nur eine Ausübung des Wahlrechts ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen sichert (vgl. BVerfGE 7, 63 [69]; 47, 253 [282]), sondern auch eine Gestaltung des Wahlverfahrens verbietet, das die Entschließungsfreiheit des Wählers in einer innerhalb des gewählten Wahlsystems vermeidbaren Weise verengt (vgl. BVerfGE 47, 253 [283]). WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Freie Wahl – BVerfGE 44, 125 (139) Wahlen vermögen demokratische Legitimation iS des Art. 20 Abs. 2 GG nur zu verleihen, wenn sie frei sind. Dies erfordert nicht nur, daß der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, wie es Art. 38 Abs. 1 GG gebietet, sondern ebensosehr, daß die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozeß der Meinungsbildung gewinnen und fällen können (vgl. BVerfGE 20, 56 [97]). Die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes gew ährleistet die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen dieses freien und offenen Prozesses der Meinungsbildung und Willensbildung des Volkes, insbesondere durch die zahlreichen grundrechtlichen Verbü rgungen der Freiheit und Gleichheit und durch institutionelle und verfahrensrechtliche Vorkehrungen, wie zB die grundsätzliche Öffentlichkeit der Verhandlungen von Bundestag und Bundesrat (Art. 42 Abs. 1, 52 Abs. 3 Satz 3 GG) oder die Publizität der Rechtsetzung (Art. 76, 77, 82 Abs. 1 GG). WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Wahlrechtsgleichheit Alle abgegebenen Stimmen werden in der Auszählung gleich bewertet; es gibt keine Stimmen, die - etwa auf Grund des sozialen Standes oder Geschlechts - mehr Einfluss auf die Gewichtung der Volksvertretung haben als andere Stimmen. Erfasst ist aber nicht nur die abgegebene Stimme, sondern das gesamte Wahlverfahren (Wahlwerbung, Wahlkampsfinanzierung etc.) Wichtigster Einzelaspekt: Zählwertgleichheit (zwingendes Element der Mehrheitswahl) = alle Stimmen werden gleich gezählt = eine Person, eine Stimme Erfolgswertgleichheit (zwingendes Element der Verhältniswahl) = alle Stimmen haben den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung des zu w ählenden Gremiums WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Freie Wahl Freiheit bei der Wahl bedeutet, dass jeder Wahlberechtigte frei entscheiden kann, welchem Kandidaten und welcher Partei er seine Stimme gibt. Es darf kein staatlicher Druck oder sonst unzul ässige Einflussnahme ausgeübt werden. ==> Verbot der unzulässigen staatlichen Einflussnahme auf die konkrete Stimmabgabe, vgl. auch §§ 108-108b StGB WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Geheime Wahl Das Wahlgeheimnis schützt die Freiheit der Wahl , weil sichergestellt wird, dass nur der Wähler selbst Kenntnis vom Inhalt seiner Wahlentscheidung hat und damit eine Kontrolle bei der Stimmabgabe ausgeschlossen wird und die Wahlentscheidung auch später anonym bleibt. • Das Bundeswahlgesetz verlangt Stimmzettel ohne Namensangabe, Umschläge für die Stimmzettel, Wahlkabinen und Wahlurnen. • Auch bei Wahlgeräten muss gew ährleistet sein, dass die Entscheidung des Wählers geheim bleibt. • Einschränkungen aus zwingenden Gründen erforderlich, z.B. Briefwahl oder Stimmabgabe mit Hilfe einer Vertrauensperson Freiwillige Offenbarung der Wahlentscheidung möglich (Wahlforschung!), sofern ohne Druck, jedoch nicht beim Wahlvorgang selbst. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 5%-Klausel und Grundmandatsklausel, § 6 Abs. 6 BWahlG (6) Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Satz 1 findet auf die von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 26 5%-Klausel, § 6 Abs. 6 BWahlG BVerfGE 95, 408, Rn. 46 Das Ziel der Verhältniswahl, den politischen Willen der Wählerschaft in der zu wählenden K örperschaft möglichst wirklichkeitsnah abzubilden, kann dazu führen, daß im Parlament viele kleine Gruppen vertreten sind und hier-durch die Bildung einer stabilen Mehrheit erschwert oder verhindert wird . Soweit es zur Sicherung der Handlungs- und Entscheidungsf ähig-keit des Parlaments geboten ist, darf der Gesetzgeber deshalb bei der Verhältniswahl den Erfolgswert der Stimmen durch eine Sperrklauselregelung unterschiedlich gewichten. Dabei muß der Gesetzgeber jedoch auch die Funktion der Wahl als eines Vorgangs der Integration politischer Kräfte sicherstellen und zu verhindern suchen, daß gewichtige Anliegen im Volke von der Volksvertretung ausgeschlossen bleiben. [...] Entschließt der Gesetzgeber sich zur Einführung einer Sperrklausel, darf er daher in aller Regel kein hö heres als ein F ünfprozentquorum - bezogen auf das Wahlgebiet - begründen (st Rspr [...] Innerhalb dieser Grenze unterliegt es seiner Entscheidung, wie weit er diese M öglichkeit zur Differenzierung ausschöpft [...]. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Überhangmandate – BVerfGE 95, 335 Wie entstehen Überhangmandate? (vgl. Rn. 116) • Zweitstimmenanteil unter 50%, je deutlicher je „besser“ • eine größere Anzahl erfolgreicher Parteien (weil dadurch Direktmandate mit weniger Stimmen gewonnen werden können, gleichzeitig aber Zweitstimmenpotential sich verkleinert und damit die Möglichkeit der proportionalen Absicherung der Mehrheitsmandate geringer wird. • die ungleiche Einteilung der Wahlkreise in Verbindung mit deren Verteilung auf die Länder (weil dadurch Direktmandate mit weniger Stimmen gewonnen werden können) • die Wahl nach Landeslisten (weil Kumulationseffekte auftreten, dafür aber ein föderaler Proporz gesichert wird) • und die Zuteilung zweier - voneinander unabhängig abzugebender - Stimmen für einen Wahlkreiskandidaten und eine Liste und die daraus folgende Möglichkeit des Stimmensplittings WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Kleines Lexikon der Wahlmanipulation Grundmandatsklausel, § 6 Abs. 6 BWahlG BVerfGE 95, 408 • setzt 5%-Klausel außer Kraft, d.h. ist Gegenausnahme zu einer an sich im Verhältniswahlrecht systemwidrigen Einschränkung (der 5%-Klausel) • bringt neue Ungleichheit zwischen Parteien unter 5%, die beim Proporzausgleich nicht berücksichtigt werden und solchen „unter 5%-Parteien“, die Grundmandate erringen ABER: Das eigentliche Problem liegt in der ungeheueren Erfolgswertvermehrung der Erststimme! è Systembruch! WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Nachrücker für Überhänger BVerfG, 2 BvC 28/96 vom 26.2.1998 gewählter Direktkandidat scheidet aus: § 48 Abs. 1 BWahlG – ein Listenkandidat rückt nach à demokratische Legitimation über Zweitstimme, soweit die Mandatszahl innerhalb des Proporzes liegt (Verhältniswahl). è Das Personen- bzw. Mehrheitswahlelement wirkt nur solange, wie der entsprechend Gew ählte sein Amt behält 4. Verfü gt eine Partei in einem Land über mehr Direktmandate als ihr Listensitze zustehen, so wird diese Unterschiedszahl von Sitzen nicht auch von dem Zweitstimmenergebnis getragen. Solche Überhangmandate haben nicht im Wege der Anrechnung auf das Sitzkontingent der Liste einen Listensitz verdrängt. In diesen F ällen gibt es daher auf der Liste keine Reservesitze, die durch Rü ckabwicklung der Anrechnung der Direktmandate wieder aufleben könnten, um einen Listenbewerber nachrücken zu lassen. F ür solche F älle hält die Landesliste daher mitgew ählte Ersatzleute nicht vor. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Art. 21 Abs. 1 GG Annahme: 200 Abgeordnete/100 Wahlkreise, 4 Parteien, jeweils eine große (40%) und eine kleine (10%) „Lagerpartei“ BÖSE: GUT: grP fordert alle ihre Wähler auf, grP bekommt 40% der Listenmandate, Zweitstimme der klP zu geben, = 80 Mandate (einschl. 50 Direkt -Mand). klP fordert ihre Wähler auf, klP bekommt 10% der Listenmandate, alle Erststimmen der grP keine Direktmandate = 20 Mandate zu geben. Insgesamt: 100 Mandate Ergebnis (Erst- /Zweitstimmen): grP: 50% zu 0% Gesamtergebnis: klP: 0% zu 50% 200 Mandate + 100 Überhangmandate = è 300 Mandate insgesamt, grP gewinnt alle Direktmandate davon 200 für das Lager BÖSE (100) als Überhangmandate 100 für das Lager GUT klP gewinnt 100 Listenmandate „Regulärer“ Wahlausgang: 100:100 Insgesamt: 200 Mandate Beispiel für Wahlmanipulation WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer (1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben. WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 27 Der Begriff der Partei § 2 Abs. 1 PartG (1) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Mitglieder einer Partei können nur natürliche Personen sein. Innerparteiliche Strukturanforderungen, Transparenz • Gebot innerparteilicher Demokratie, Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG, §§ 6 ff. PartG („innere Ordnung“) • insbes. Willensbildung „von unten nach oben“ • Rechenschaftspflicht Art. 21 Abs. 4 GG à §§ 23 ff. PartG vgl. insbesondere die §§ 31a – d PartG WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Verfassungsrechtliche Stellung Chancengleichheit der Parteien • Gründungsfreiheit, Art. 21 Abs. 2 GG, umfasst Programm- und Beteiligungsfreiheit • Chancengleichheit der Parteien (Grundlage: Art. 21 GG) • Parteienprivileg (Art. 21 II): • Verbot nur durch BVerfG, • keine Nachteile für Partei vor ihrem Verbot • Herleitung: Art. 21 I GG (Art. 3 I, 38 I GG) • formale Gleichbehandlung, d.h. grds. keine Ausnahme möglich (im Unterschied zum materialen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG); • ABER : Ungleichbehandlung bei Vorliegen zwingender Gründe ausnahmsweise zulässig • § 5 I 1 PartG: Prinzip der abgestuften Gleichbehandlung nach der Bedeutung der Parteien WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Parteiverbot • Nur durch BVerfG, Art. 21 II 2 GG, §§ 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG • Antragsrecht: Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, § 43 I BVerfGG; u. U. Landesregierung, § 43 II BVerfGG • Entscheidung: Mit der Feststellung der Begründetheit des Antrags durch das BVerfG muss die Auflösung der Partei und das Verbot, eine Ersatzorganisation zu gründen, verbunden werden, § 46 I, III BVerfGG • die Entscheidung hat konstitutiven Charakter (Parteienprivileg) • Verfassungswidrigkeit bei - Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele, „darauf ausgehen“ à aggressiv-kämpferische Grundhaltung NPD-Parteiverbotsverfahren: BVerfGE 107, 339-395 Dazu: Volkmann, Uwe: Zur Einstellung des NPD-Verbotsverfahrens, DVBl. 2003, 605 WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Parteienfinanzierung • seit BVerfGE 85, 264: staatliche Teilfinanzierung! • Wählerstimmenanteil (BTwahl, LTwahlen, EP-Wahlen) • Zuwendungsanteil (Mitgliedsbeiträge, Mandatsträgerbeiträge, Spenden) • absolute Obergrenze, § 18 II PartG • relative Obergrenze, § 18 Abs. 5 S. 1 (iVm Abs. 2) PartG Mittelbare Finanzierung • Steuerliche Begünstigung von Beiträgen oder Spenden Privater (vgl. § 25 PartG) • ABER: Begrenzung des Höchstbetrages der Steuerbegünstigung (vgl. § 34g EStG/50%, 10b Abs. 2 EStG/“normale“ Abzugsfähigkeit) Lies: BVerfG v. 26.10.2004 Drei-Länder-Quorum verfassungswidrig 28 Politikfinanzierung Parteien-/Wahlkampffinazierung Fraktionsfinanzierung Stiftungsfinanzierung 2004 insgesamt ca. 262.000.000 Euro WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Die Parteienfinanzierung in Zahlen Festsetzung der staatlichen Teilfinanzierung für das Jahr 2003 sowie Berechnung der Abschlagszahlungen 2004 gemäß §§ 18 ff. PartG (Stand: 2. Februar 2004) Fraktionsfinanzierung 2004 60.546.000 Euro Stiftungsfinanzierung 2004 87.000.000 Euro WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer Hauptaufgaben/-funktionen des Bundestages • Repräsentation – Vertretung des Volkes • Wahl anderer Staatsorgane: vor allem BK (Art. 63), Wehrbeauftragter (Art. 45b), die Hälfte der Richter des BVerfG • "Ab- und Neuwahl" des BK durch konstruktives Misstrauensvotum (Art. 67, Art. 68 Abs. 1 S.2 GG) • Gesetzgebung • Meinungsäußerung durch schlichte Parlamentsbeschlüsse ohne Bindungswirkung • Zitier- und Interpellationsrecht, Art. 43 GG • Einsetzung von Untersuchungsausschüsse, Art. 44 GG • Mitwirkung bei EU und NATO WS 2004/2005 - Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer 29