G9861 I N T E R N AT I O N A L E PRESSEKORRESPONDENZ Ökologie Klimaschutz und Antikapitalismus Außerdem: Pakistan Italien Philippinen Nr. 428/429 Juli/August 2007 € 4,– IMPRESSUM Inprekorr ist das Organ der IV. Internationale in deutscher Sprache. Inprekorr wird herausgegeben von der deutschen Sektion der IV. Internationale, von RSB und isl. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit GenossInnen aus Österreich und der Schweiz und unter der politischen Verantwortung des Exekutivbüros der IV. Internationale. Inprekorr erscheint zweimonatlich (6 Doppelhefte im Jahr). Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung des herausgebenden Gremiums wieder. Konto: Neuer Kurs GmbH, Postbank Frankfurt/M. (BLZ: 500 100 60), KtNr.: 365 84-604 Abonnements: Einzelpreis: € 4,– Jahresabo (6 Doppelhefte): € 20,– Solidarabo: ab € 30,– Sozialabo: € 12,– Probeabo (3 Doppelhefte): € 10,– Auslandsabo: € 40,– Website: http://inprekorr.de Pakistan Repressionswelle in Pakistan, Pierre Rousset ....................................................3 Ökologie Klimaschutz und Antikapitalismus, Daniel Tanuro ............................................4 Nach Kyoto: Droht die neoliberale Klimaoffensive? Daniel Tanuro ...............17 Dringende Forderungen, Vincent Gay ..............................................................38 Italien Neue Phase für die Linke, Salvatore Cannavò .................................................41 Partei der kommunistischen Erneuerung – Rifondazione: Chronologischer Überblick....................................................45 Der Rahmen, in dem wir handeln müssen, Gigi Malabarba ............................47 Philippinen Eine revolutionär-marxistische Partei in Mindanao, Clara Maria Sanchez ....48 Sommercamp der IV. Internationale International gegen den Kapitalismus! .............................................................52 die internationale Die neue Partei Die Linke, Politisches Sekretariat des RSB ............................19 Die radikale Linke in Westeuropa, Murray Smith ............................................24 Redaktion: Michael Weis (verantw.), Birgit Althaler, Daniel Berger, Wilfried Dubois, Thies Gleiss, Jochen Herzog, Paul Kleiser, Oskar Kuhn, Björn Mertens, Lex Schmidt. E-Mail Redaktion: [email protected] Satz: Grafikkollektiv Sputnik Verlag, Verwaltung & Vertrieb: Neuer Kurs GmbH, Dasselstr. 75-77, D-50674 Köln. Kontaktadressen: RSB, Revolutionär Sozialistischer Bund Landzungenstraße 8, D-68519 Mannheim isl, internationale sozialistische linke Dasselstr. 75-77, D-50674 Köln Soal, Postfach 395, A-1070 Wien Inprekorr, Güterstr. 122, CH-4053 Basel Eigentumsvorbehalt: Die Zeitung bleibt Eigentum des Verlags Neuer Kurs GmbH, bis sie dem/der Gefangenen persönlich ausgehändigt ist. „Zur-Habe-Nahme“ ist keine persönliche Aushändigung im Sinne des Eigentumsvorbehalts. Wird die Zeitschrift dem/der Gefangenen nicht persönlich ausgehändigt, ist sie dem Absender unter Angabe der Gründe der Nichtaushändigung umgehend zurückzusenden. 2 Liebe Leserinnen, liebe Leser, mit Freude und Erleichterung haben wir erfahren, dass Farooq Tariq am 19. Juni aus der Haft entlassen wurde – den massiven Solidaritätsbekundungen und Protesten aus dem In- und Ausland sei Dank. Der Beitrag über die Welle der Repression in Pakistan ist deshalb aber nicht weniger lesenswert geworden. Nach dem lächerlichen „Durchbruch“ bei der Klimafrage in Heiligendamm halten Eon, Vattenfall & Co. der Koalition immer noch „Naivität und übertriebenen Klimaschutz“ vor (FR vom 3.7.07) und winken mit ihrem üblichen Arsenal an Drohungen. Wo die Gefahren für das Weltklima wirklich liegen und wie groß die Bedrohung durch die herrschende Wirtschafts(un)ordnung mittlerweile geworden ist, das zeigen die Beiträge über unseren Schwerpunkt „Klimaschutz und Antikapitalismus“, die Euch eine brauchbare Argumentationshilfe auch gegen falsche Alternativen – Treibhaus oder radioaktive Verseuchung – sein mögen. Eure Redaktion Thies Gleiss Sonderkonto; Kto.Nr. 478 106-507 Postbank Köln (BLZ 370 100 50) INPREKORR 424/425 PAKISTAN Repressionswelle in Pakistan Pierre Rousset Am 5. Juni wurde Farooq Tariq, Generalsekretär der LPP, verhaftet und der Innenminister hat eine dreimonatige Haftdauer für ihn erlassen. Etliche hundert weitere Verhaftungen wurden in den letzten Tagen vorgenommen. Das Militärregime will um jeden Preis die demokratischen Proteste beenden, die durch die Amtsenthebung des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes im vergangenen März ausgelöst worden waren. Die aktuelle Lage ist sehr brisant und verlangt unsere Solidarität. Der Sekretär der Arbeiterpartei Pakistans LPP wurde am 5. Juni 2007 ohne richterlichen Haftbefehl an seinem Wohnort in Lahore festgenommen. Dies ist bereits das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, dass er von der Polizei des pakistanischen Staates Punjab, dessen Hauptstadt Lahore ist, in Gewahrsam genommen wurde. Vor einem Monat setzte man ihn rasch wieder auf freien Fuß, nachdem der Protest gegen diese Willkürmaßnahme unüberhörbar geworden war. Diesmal aber wurde aus dem Innenministerium eine dreimonatige Haftverfügung gegen Farooq Tariq nachgereicht. Er wurde in das Gefängnis von Bahawalpur, acht Fahrstunden von Lahore entfernt, verlegt und unterlag einem völligen Besuchsverbot – vorbehaltlich einer vorherigen Erlaubnis durch das Ministerium. Damit versuchten die Machthaber ihn – unter Verstoß gegen seine verfassungsmäßigen Rechte – zu isolieren. Farooq Tariq hat in Pakistan die Unterstützung zahlreicher fortschrittlicher Persönlichkeiten, engagierter Anwälte und linker Organisationen erhalten. Die vielfältigen Proteste auch aus dem Ausland haben auch dieses Mal die Freilassung bewirkt, denn nach 15 Tagen Haft wurde Farooq ohne Begründung wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Verhaftung des Generalsekretärs der LPP erfolgte in einem Klima äußerster politischer Anspannung. Das Militärregime von Pervez Musharraf hat dieINPREKORR 428/429 Auf dem WSF in Pakistan se Krise selbst provoziert, indem es am 9. März Iftikhar Mohammed Chaudry, den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, wegen „ungebührlichen Verhaltens und Machtmissbrauchs“ seines Amtes enthoben hat. Dieser war zwar linker Neigungen völlig unverdächtig, aber hatte damit begonnen, einige der besonders unhaltbaren Beschlüsse des Regimes zu blockieren. Eigentlich nichts Besonderes aber zuviel für General Musharraf, der seine Kritiker mundtot machen möchte. Chaudry weigerte sich, seine Entlassung hinzunehmen und geriet somit zur Symbolfigur einer breiten demokratischen Protestbewegung gegen das Militärregime. Die Rechtsanwälte traten in einen mehrtägigen Generalstreik und erhielten dabei zunehmende Unterstützung und Zustimmung. Hunderttausende demonstrierten in zahlreichen Städten des Landes für Chaudry oder gegen den mit seiner Strafverfolgung betrauten Hohen Justizrat. Am 12. und 13. Mai wollte das Regime die Proteste in einem Blutbad ersticken, indem es unter Mithilfe der Handlanger der Kommunitaristischen Partei MQM1 die Menge 1 Die MQM wurde von reichen Moslems gegründet, die während der Teilung 1947 aus Indien geflüchtet waren. Gegen den Willen der dortigen, ebenfalls muslimischen Bevölkerung hat sie in der Hafenstadt Karatschi (15 Mio. Einw.) die politische Kontrolle an sich gezogen. Momentan steht sie im Bündnis mit General Musharraf und seiner Moslemliga (PML-Q). Sie ist angriff, die zur Begrüßung Chaudrys in Karachi, der Wirtschaftshauptstadt des Landes, zusammengeströmt war. Es gab 41 Tote und ca. 150 Verletzte.2 Den Erwartungen des Regimes zum Trotz gingen die Mobilisierungen auch nach dem Massaker weiter. Daher wurde die Repression verschärft, Versammlungen mit mehr als fünf Teilnehmern verboten und die Pressefreiheit beschnitten. Etwa 200 Journalisten gerieten ins Visier der Justiz, weil sie gegen diese Maßnahme protestierten. Auch die Medien stehen unter Beschuss der Regierung, die ihnen androht, umstandslos die Räumlichkeiten zu konfiszieren und die Verbreitung zu stoppen. Der Informationsminister Mohammed Ali Durrani bekannte sich freimütig zu den Zielen dieser Zensurmaßnahmen: „Wir werden es nicht erlauben, dass Armee und Justiz in den Schmutz gezogen werden. Das werden wir nicht mehr tolerieren.” Seit dem 5. und 6. Juni haben die Fälle von Vorbeugehaft vor neuerlichen Demonstrationen sprunghaft zugenommen. Mehr als 350 Menschen wurden verhaftet, vorwiegend in Lahore, aber auch andernorts wie in Rawalpindi nahe der Hauptstadt Islamabad. Gegen zahlreiche andere wiederum wird juristisch ermittelt. Davon betroffen sind Gewerkberüchtigt für ihr mafiöses Verhalten und die Gewalttätigkeit ihrer Handlanger. 2 S. dazu Tariq Ali „Pakistan: Law and Order“ The Guardian, 16. Mai 2007 3 ÖKOLOGIE schafter und engagierte Demokraten oder Mitglieder der Oppositionsparteien, einschließlich der Volkspartei von Benazir Bhutto und der Moslemischen Liga von Nawaz Sharif. Unter den Linken hat die LPP – und besonders ihr Generalsekretär – in den letzten Monaten alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Mobilisierung der Rechtsanwälte zu unterstützen und gegen die Absetzung von Chaudry zu protestieren. Namentlich auf ihre Initiative hin wurde gemeinsam mit der Stiftung für Arbeiterbildung (LEF) am 23. Mai im Presseclub von Lahore eine Solidaritätskonferenz mit den Anwälten organisiert, um die soziale Basis des demokratischen Widerstands unter der Bevölkerung zu verbreiten. Über 60 Organisationen nahmen an dieser von der Anwaltskammer unterstützten Konferenz teil, darunter einflussreiche Gewerkschaften, Bauernverbände, feministische Gruppierungen und verschiedene politische Parteien. In den Redebeiträgen wurde bei dieser Gelegenheit der Zusammenhang zwischen dem demokratischen Widerstand gegen die diktatorischen Maßnahmen des Regimes und dem sozialen Widerstand gegen dessen neoliberale Politik hervorgehoben. Niemand kann vorhersagen, wie sich die politische Krise entwickeln wird und wieweit die Machthaber gehen werden, um die Demokratiebestrebungen der Bevölkerung zu brechen. Die LPP ist eine der Organisationen, die sich am meisten für die Durchführung des pakistanischen Sozialforums engagiert hat, ebenso wie für das Weltsozialforum und in der internationalen Antikriegsbewegung sowie in der Antiglobalisierungsbewegung. Auch hat sie viel dazu beigetragen, die internationalistischen Beziehungen in Asien – besonders mit Indien – wiederzubeleben, aber auch die nach Europa (Teilnahme am ESF in Athen) und Afrika (Teilnahme am WSF in Nairobi). Die anderen Gefangenen, die noch nicht freigelassen wurden, und die von der Repression betroffenen Organisationen müssen sich auf unsere Solidarität verlassen können! Klimaschutz und Antikapitalismus Die Auswirkungen des Films von Al Gore, das Interesse am Stern-Report, das Echo auf die Berichte des UN-Klimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC) und der wachsende Erfolg der Demonstrationen der Climate Action Campaign zeigen das wachsende öffentliche Interesse an den Fragen des Klimawandels. Die Linke, die auf diesem Gebiet immer noch viel zu wenig aktiv ist, sollte sich an der Bewegung beteiligen, für die die Rettung des Klimas – im Geiste sozialer Gerechtigkeit – Vorrang vor den Profiten haben muss und eine signifikante Umverteilung des Reichtums erfordert. Eine solche Bewegung ist unerlässlich. Die Einbeziehung der Arbeiterbewegung ist eins der strategischen Ziele, denen die Linke besondere Aufmerksamkeit schenken sollte. Daniel Tanuro Die Menge der von der Weltökonomie jährlich ausgestoßenen Kohlenstoffe beträgt ungefähr das Doppelte dessen, was die Ökosysteme (Meere, Boden, Vegetation) aufnehmen können. Der Überschuss sammelt sich in der Atmosphäre, verstärkt den natürlichen Treibhauseffekt und verursacht damit eine Erwärmung der Oberfläche des Planeten. Das Phänomen begann mit der industriellen Revolution und dem Aufstieg des Kapitalismus. Hauptursachen sind die Verbrennung fossiler Energieträger (Kohle, Öl, Erdgas) und die Veränderungen in der Bodennutzung (Abholzungen, Pflugbearbeitung und so weiter). Die erste dieser Ursachen ist mit der Explosion der Zahl der PKWs seit den 50er Jahren die wichtigste geworden. Zu mehr als 75% liegt die historische Verantwortung für den Klimawandel bei den entwickelten Ländern, aber die Emissionen der Entwicklungsländer steigen rapid (vor allem in den größeren Ländern wie Indien, China, Brasilien) (siehe Abb. 1). Spezialisten zufolge sollten wir den Anstieg der Temperatur der Erdoberfläche verglichen mit der vorindustriellen Zeit auf 2°C begrenzen1, da es sonst zu ernsten Folgen für die Ökosysteme und Übersetzung: MiWe 1 Einige Studien in letzter Zeit sagen, dass der maximale Anstieg sogar niedriger als 2°C bleiben sollte. James Hansen, Chef-Klimatologe der NASA, meint, dass der Temperaturanstieg nicht höher als 1°C gegenüber heute sein dürfe, was einen Anstieg von 1,6°C gegenüber 1780 bedeutet. 4 die Menschheit (vor allem die Länder des Südens und die Armen allgemein, so das IPCC2). Um das volle Ausmaß der Aufgabe zu verstehen, sollte uns klar sein, dass diese Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 2°C derzeit nicht mehr durch Aktivitäten der entwickelten Länder allein erreicht werden kann: Selbst im hypothetischen Fall, dass sie ihre gesamten Emissionen augenblicklich auf Null bringen, die Entwicklungsländer aber keine Maßnahmen ergreifen würden, könnte der Anstieg trotzdem 4° bis 5°C in einem Jahrhundert erreichen, eine Temperaturdifferenz, die dem Abstand unserer Epoche von der letzten Eiszeit entspricht. In einer gigantischen Umkehr des kapitalistischen „Fortschritts“ droht die menschliche Rasse in eine Situation zu kommen, die sie nie zuvor gesehen hat und deren Konsequenzen man zumindest als ungeheuerlich bezeichnen müsste. PHYSIKALISCHE GRENZEN UND SOZIALE GESETZE Mehr als 20 Jahre wurden die Warnungen überhört. Heute ist es zu spät, um den Klimawandel zu verhindern: Er hat bereits begonnen, und seine Auswirkungen werden noch auf Jahrhunderte hinaus zu spüren sein. Die Frage lautet lediglich: Wie kann man den 2 Das IPCC will seinen vierten Untersuchungsbericht Anfang 2007 veröffentlichen (http:// www.ipcc.ch/). INPREKORR 428/429 ÖKOLOGIE insbesondere der thermischen Trägheit der Ozeane5 wird es nicht ausreichen, die Emissionen nur zu stabilisieren; sie müssen vielmehr reduziert werden, und zwar drastisch und sehr schnell. Die Abbildungen unten zeigen diesen Zusammenhang zwischen der zeitlichen Entwicklung von Temperatur, Konzentration und Emission für eine Stabilisierung nur des CO2-Gehalts bei 550 ppmv. Wegen des Vorsorgeprinzips und bei Berücksichtigung aller Treibhausgase sollte als Ziel die Stabilisation bei 450 ppmv CO2eq angestrebt werden, um Ungewissheiten des Klimasystems zu berücksichtigen. Nach dem Stern-Report6 erfordert dieses Ziel, dass die Emissionen von derzeit 42 Gigatonnen weltweit pro Jahr in zehn Jahren ihr Maximum erreichen und dann um mindestens 5% jährlich fallen müssen, was bis 2050 eine Reduktion um 75% gegenüber 1990 bedeuten würde. Eine Stabilisierung bei 550 ppmv (der oberen der beiden Grenzen) würde ein Maximum in 20 Jahren und dann einen Rückgang von 1 bis 3 Prozent jährlich erfordern – es gäbe dann aber schon ein 50%iges Risiko, die angestrebte Grenze des Temperaturanstiegs von 2°C zu überschreiten. In jedem Fall müssen die jährlichen Emissionen im Laufe des Jahrhunderts auf 5 Gigatonnen CO2eq, also auf ein Achtel, gesenkt werden. Das bedeutendste Treibhausgas ist Kohlenstoffdioxid (CO2). Da dieses Gas unvermeidliches Produkt jeder Verbrennung ist, lassen sich die Emissionen nicht so leicht wie bei anderen Schadstoffen senken, die wie Schwefel aus dem Rauch herausgefiltert werden 5 Da die Erwärmung der großen Wassermasse der Ozeane sehr langsam erfolgt, wird die derzeitige Erwärmung auf jeden Fall Auswirkungen in den nächsten tausend Jahren haben. 6 Stern-Review „The Economics of Climate Change“ (http://www.hm-treasury.gov.uk/independent_reviews/stern_review_economics_ climate_change/sternreview_index.cfm). Abbildung 1: Historische Verantwortung der verschiedenen Ländergruppen für den Klimawandel. Berechnung der zwischen 1870 und 2000 emittierten Kohlenstoffvolumina nach Weltregionen. Von unten nach oben : Europa, Nordamerika, Ozeanien (inkl. Japan, Australien, Neuseeland), Osteuropa, Mittel- und Südamerika, „zentralgeplantes“ Asien (inkl. China), Fernost (inkl. Indien und Südkorea), Nahost und Afrika. Das aktuelle Emissionsvolumen liegt bei 8 Gigatonnen Kohlenstoff (28,8 Gigatonnen CO2) pro Jahr. Quelle: Oakridge National Laboratory Schaden begrenzen? Eine Antwort ist nur im Rahmen unabänderlicher physikalischer Gesetzmäßigkeiten möglich. Klimamodelle zeigen, dass der einem Temperaturanstieg von 2°C entsprechende Anteil von Treibhausgasen in der Atmosphäre etwa 450 bis 500 „Millionstel Volumenteilen CO2Äquivalenten – ppmv CO2eq”3 betragen würde. Die obere Grenze wäre etwa das Doppelte der Konzentration vor 1780. Die heutige Konzentration aller Gase zusammengerechnet bringt uns mit 465 ppmv CO2eq (davon 370 ppmv für CO2 alleine) bereits in die Gefahrenzone. Und der Anstieg scheint sogar noch dramatisch zuzunehmen.4 Um die Temperatur des Globus wieder zu stabilisieren, muss der Anteil der betreffenden Gase in der Atmosphäre so schnell wie möglich stabilisiert werden. Angesichts ihrer Lebensdauer und Abbildung 2: Konstante CO2-Emissionen bedeuten keine konstante CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Beziehungen zwischen den zeitlichen Verläufen von Emission, Konzentration und Temperatur. Die Stabilisierung der Emissionen auf heutigem Niveau (horizontale Linie in der linken Grafik) führt zu einem weiteren Anstieg der CO2-Konzentration bis auf 800 ppmv im Jahre 2300 (rote Linie in der mittleren Grafik) und einem ungebremsten Temperaturanstieg um 3°C gegenüber heute (rechte Grafik). Selbst die schnelle Reduktion der Emissionen nach einer Spitze von 11 GtC/a erlaubt nur eine Stabilisierung der Konzentration bei 550 ppmv (dem Doppelten des vorindustriellen Niveaus) und damit einen Wendepunkt des Temperaturanstiegs (schwarze Linien). 3 Außer Wasserdampf, dessen Menge in der Atmospäre kaum von menschlicher Aktivität beeinflusst ist, sind die wichtigsten Treibhausgase Kohendioxid (CO2), Methan (CH4), Stickstoffdioxid (Lachgas, N2O) und verschiedene fluorierte Gase. „Parts per million, in volume (ppmv)“ ist ein Maß der Konzentration (Volumenteile auf 1 Million), 450 ppmv CO2 bedeutet, dass 450 von 1 Million Atmosphärenteilen CO2-Moleküle sind. Zur Vereinfachung werden Treibhausgasemissionen in CO2-Äquivalenten angegeben (ppmvCO2eq), was bedeutet, dass die Menge jedes Gases in die Menge CO2 umgerechnet wird, die denselben Effekt auf das Einfangen von Infrarotstrahlung hätte. 4 2000–2001: +1,5 ppmvCO2; 2001–2002: +2 ppmvCO2; 2002–2003: + 2,5 ppmvCO2; 2003–2004: +3 ppmvCO2. INPREKORR 428/429 5 ÖKOLOGIE können.7 Ist es trotzdem möglich, solche drakonischen physikalischen Grenzen einzuhalten, ohne die Menschheit um Jahrhunderte zurückzuwerfen? Um Panikreaktionen, Vogel-Strauß-Reflexe und andere Formen irrationalen Verhaltens (aus denen reaktionäre Kräfte nutzen ziehen könnten) zu vermeiden, ist es extrem wichtig, einzuhämmern, dass die Antwort auf technischwissenschaftlicher Ebene lautet: Ja. Ja, der Kampf gegen Energieverschwendung, für Steigerung der Energieeffizienz, für Ersetzung fossiler Energiequellen durch erneuerbare Quellen sowie der Schutz der Böden und der Wälder erlaubt es, die Herausforderung zu meistern.8Wegen der Wichtigkeit der Verbrennungsvorgänge steht die Energiefrage im Mittelpunkt der Debatte. Tatsächlich beträgt der auf die Erdoberfläche auftreffende Energiefluss der Sonne das 7000- bis 8000-fache des Weltenergieverbrauchs – und das noch für mindestens 5 Milliarden Jahre. Ein Tausendstel dieses Energieflusses könnte mit der heutigen Technik in nutzbare Energie umgewandelt werden. Dieses technische Potenzial wird mit dem wissenschaftlichen Fortschritt (entsprechende Ressourcen vorausgesetzt) noch zunehmen. Das bedeutet nicht, dass es keine Probleme gäbe, dass es „genügen“ würde, einfach 7 Schwefeloxide waren verantwortlich für den sauren Regen. 8 vgl. Tanuro: „Mythes et réalités technologiques, défis sociaux“. In: Inprecor 525, Februar 2007, S.21ff. Kohlenstofffreie Wirtschaft und Energieeinsparung Eine kohlenstofffreie Wirtschaft setzt voraus, sich von fossilen Brennstoffen zu trennen (insbesondere vom Erdöl), nicht nur als Energiequellen, sondern auch als Rohstoff in der petrochemischen Industrie. Ersatzrohstoffe gibt es, denn Kunststoffe können auch aus organischen Materialien hergestellt werden. Aber die Biomasse kann nicht alle Aufgaben auf einmal erfüllen: die Menschen ernähren, den in der Atomsphäre überschüssigen Kohlenstoff binden, als Energiequelle dienen und die Grundstoffe zur Herstellung biologischer Polymere liefern. Das Problem der verfügbaren Flächen und der ökologischen wie auch der sozialen Folgen ist offensichtlich. Der Europäischen Umweltagentur zufolge könnte die Biomasse nicht mehr als 15% bis 16% des Energiebedarfs der EU im Jahre 2030 decken, ohne sich schädlich auf die Umwelt auszuwirken (unter der Bedingung, dass genaue Normen eingehalten werden, ohne die selbst eine geringe Produktion bereits ökologisch negativ wäre). [EEA-Report] Das Problem könnte in mehreren Ländern der Dritten Welt ernster werden, die davon träumen, in die Äthanolproduktion für den Export einzusteigen. Eine Studie der Internationalen Energieagentur schätzt auch, dass die Äthanolproduktion zunächst aus Zuckerrohr nur 10% des Weltverbrauchs an Ben6 zin und 3% an Diesel im Jahre 2020 decken könnte. [IEA EET Working Paper] Und hier sind keine Umweltgesichtspunkte erwähnt. Wenn jede Bereitschaft fehlt, den Primärenergieverbrauch, vor allem im Verkehrsbereich, ernsthaft zu verringern, drohen diese Projekte zu einem neuen Schritt der Ausweitung von industriellen Monokulturen zum Export zu werden, mit allen daraus folgenden ökologischen und sozialen Konsequenzen. Selbst wenn ein bedeutender Teil der Solarenergie direkt genutzt werden kann (durch solarthermische Kollektoren oder photovoltaische Sonnenzellen, ohne durch „Energiekonverter“ zu laufen), zeigt dieses Beispiel trotzdem, dass es nicht reichen wird, einfach fossile durch erneuerbare Energiequellen zu ersetzen, und ansonsten weiterzumachen wie bisher. Der Übergang zu den erneuerbaren Energien muss mit einer Senkung der Primärnachfrage in den entwickelten Ländern einhergehen, dem Kampf gegen Verschwendung und einer Steigerung der Energieeffizienz. Der Wahnsinn des kapitalistischen Wachstums und die Energiegier müssen in Frage gestellt werden. Quellen: EEA-Report Nr.°7/2006; IEA EET Working Paper, „Reducing Oil Consumption in Transport“, L. Fulton, April 2004. alle fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Quellen zu ersetzen. Mit einem kurzfristigen Übergang wären zahllose Schwierigkeiten verbunden. Auf längere Sicht würde die Nutzung der Solarenergie, da sie eine verteilte Energiequelle ist, einen hohen Grad von Dezentralisierung, also sozialer Beteiligung und kollektiver Verantwortung erfordern. Veränderungen sind vor allem beim individuellen Lebensstil der wohlhabenderen Teile der Gesellschaft, vor allem in den entwickelten Ländern, erforderlich, die ökologisch nicht tragfähige Technologien in einem Ausmaß benutzen, das nicht auf die gesamte Menschheit verallgemeinert werden kann. Aber diese erforderlichen Veränderungen sind nicht gleichbedeutend mit einer „Regression“ [einem historischen Rückschritt – d.Üb.]. Wenn das Klima in sozialer Gerechtigkeit gerettet wird, kann dies eine bessere Lebensqualität für die breite Mehrheit der Bevölkerung bedeuten, sogar in den „reichen Ländern“. Der beängstigende Charakter des Klimawandels beruht auf der Tatsache, dass die bisher durchgeführten Maßnahmen viel zu kärglich sind. Warum das? Weil solche Maßnahmen die Profitabilität des Kapitals verringern, profitable Tätigkeiten unterbinden und die mit der Energiezentralisierung verbundene Rente9 und Macht bedrohen, Planung und öffentliche Initiative erfordern, eine Verlagerung von Aktivitäten bedingen, die Überproduktions-/Überkonsumtionsspirale der einen und Unterkonsumtion der anderen durchbrechen und so weiter. Dies sind ökonomische Gründe, und damit soziale. Sie beruhen nicht auf unausweichlichen Naturgesetzen, sondern auf sozialen Gesetzen, die die Menschheit ändern kann. Die Fachliteratur charakterisiert den Klimawandel als „anthropischen“ Ursprungs [menschengemacht – d.Üb.]. Dieser Ausdruck ist allerdings nicht ganz korrekt. Die Erwärmung ist nicht die vergiftetet Frucht „menschlicher Aktivität“ im Allgemeinen oder der „Technologie“ im Allgemeinen, sondern der kapitalistischen Aktivität und kapitalistischen Technologie (die die bürokratischen Regimes im früheren Sowjetblock im Wesentlichen nur 9 „Rente“ im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne als „Zahlung ohne Gegenleistung“, z.B. Monopolrente – d.Üb. INPREKORR 428/429 ÖKOLOGIE nachahmten). Sie ist Produkt „eines Systems, das immer mehr seinem Konzept ähnelt“, wie es Michel Husson so wunderbar ausgedrückt hat.10 Der Philosoph Hans Jonas benannte in seinem vielgerühmten „Prinzip Verantwortung“ als einer der ersten die Bedeutung der klimatischen Grenzen für die Entwicklung menschlicher Gesellschaften. Doch verhallten seine im Jahre 1979 geschriebenen Warnungen in diesem konkreten Punkt weitgehend ungehört, obwohl seine Thesen im Allgemeinen großen Einfluss hatten.11 Aber seine Ideologie führte Jonas dazu, das Problem auf den Kopf zu stellen. Statt den Treibhauseffekt als Folge des wahnsinnigen kapitalistischen Wachstums zu sehen, meint er ein hochwissenschaftliches und unwiderlegbares Argument gegen die „marxistische Utopie“ gefunden zu haben. Das „Prinzip Verantwortung“ beschuldigt die „Utopie“, sie wolle der „Technologie“ alle Fesseln lösen, was aus sich heraus die Umwelt zerstören würde.12 Entgegen dieser These betrachtet die marxistische Analyse den Klimawandel als Ergebnis der Produktionsweise, die wegen ihres rein quantitativen Ziels, der Akkumulation von Wert, nicht nachhaltig ist. Marx weist darauf schon zu Beginn des Kapitals hin: Das ist das Charakeristikum des Werts als historisch spezifischer Form des Vermögens, dass er die Illusion nährt, ein Prozess unbeschränkter materieller Akkumulation sei möglich. Konsequenterweise führt in dieser verallgemeinerten Warenproduktion die „Produktion um der Produktion wegen“ zur „Konsumtion um der Konsumtion wegen“.13 10 „Comprendre le capitalisme actuel“. Text für das Seminar „ Marx au XXIème siècle – http:// hussonet.free.fr/mhsorbon.pdf. 11 Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt/M., 1979. Neuauflage als Suhrkamp Taschenbuch, 1984 [u.ö.], ISBN 3518-39992-6 12 Es ist nicht unwichtig, darauf hinzuweisen, dass dieser Ansatz zu äußerst reaktionären Schlussfolgerungen führt: einem Lobgesang auf die „Mystifikation der Massen“ und damit die Berechtigung der Eliten, „mit einem Maximum an Disziplin“ die zur Klimarettung erforderlichen „unpopulären Maßnahmen“ „politisch durchzusetzen“. Und Jonas betont, dass diese Maßnahmen sich aus dem „Gesetz der Ökologie ergeben, das Malthus als erster erkannt hat“. 13 Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.1, S. xx. INPREKORR 428/429 Die Energie-Bulimie ist eine spezifische Manifestierung dieser Dynamik, und die Technologien, die sie zum Einsatz bringt, sind anders als Hans Jonas und viele andere gesagt haben, nicht neutral: Sie wurden geschaffen, um die Gier nach Mehrwert zu befriedigen. Der Griff zu fossilen Brennstoffen und Nuklearenergie ist in diesem Zusammenhang beispielhaft. Ihre Verwendung ist nicht Ergebnis eines technologischen Automatismus, sondern eine Entscheidung zugunsten von Energiequellen, die man sich aneignen kann, weil diese eine Rente, das heißt einen Superprofit abwerfen. Wenn der von Edmond Becquerel 1839 entdeckte photovoltaische Effekt (die Erzeugung eines elektrischen Stroms in bestimmten Halbleitermaterialien beim Auftreffen von Licht) nie Gegenstand systematischer Entwicklung war, dann hauptsächlich, weil man sich Solarenergie nicht so einfach aneignen kann wie Kohle oder Ölfelder. Heute, nach zweieinhalb Jahrhunderten eines auf fossile Energiequellen gestützten Kapitalismus, ist deren Verwendung völlig antagonistisch zur rationalen Regulierung des Materialaustauschs zwischen Mensch und Natur (die Marx als „die einzig mögliche Freiheit“ bezeichnet) geworden. Durch den Klimawandel scheint die Natur selbst uns klar machen zu wollen, dass die zwingende Notwendigkeit dieser rationalen Regulierung ein Hauptgrund zum Aufgeben dieser Produktionsweise geworden ist. Wir wollen feststellen, dass die seit zwei Jahrhunderten beobachtete relative Verringerung der Energie- und Kohlenstoffintensität der Ökonomie (d.h. die zur Produktion einer Einheit des BSP erforderlichen Menge an Energie oder Kohlenstoff) nichts an dieser Notwendigkeit ändert: Sie ist mehr als ausgeglichen worden durch die absolute Ausweitung der Produktion. Das dahinter stehende Gesetz ist wohlbekannt: Um den tendenziellen Fall der Profitrate auszugleichen, muss der Kapitalismus ständig neue Regionen erobern, neue Bedürfnisse schaffen, neue Märkte öffnen. Der Wahnsinn des Wachstums wird, wenn man ihm freie Bahn lässt, das letzte Barrel Öl und die letzte Tonne Kohle verfeuern. Zu hoffen, die Schädigung der Umwelt könnte aufhören, wenn diese Ressourcen „erschöpft“ sind, würde sich als Fehler erweisen: Die kapita- listische Akkumulationsdynamik würde, wenn sie gezwungen ist, auf fossile Energiequellen zu verzichten14, ganze Regionen der Welt in ökologische Wüsten verwandeln, um in gewaltigen Monokulturen Biotreibstoffe zu produzieren oder wo immer möglich Atomkraftwerke zu errichten. Das ITERProjekt15 stellt nur, wie Jean-Paul Deleage et al.16 es beschreiben, die letzte Formwandlung des Wahnsinns dar: 14 Die These von einem unmittelbar bevorstehenden Gipfelpunkt der Produktion vor der Erschöpfung der Öl- und Gasvorräte wird vor allem von ASPO (http://www.peakoil.net/) vertreten. In Wirklichkeit ist es falsch, diese Frage in die Klimadebatte einzuführen; denn erstens ist der Gipfelpunkt ein ökonomischer, kein physikalischer Begriff, zweitens reicht das ausbeutbare Öl völlig aus, das Klima aus dem Ruder laufen zu lassen, drittens reichen die bekannten Kohlevorräte noch für mindestens 300 Jahre und viertens stecken noch erhebliche Vorräte in den Ölschiefern, deren Ausbeutung sehr umweltgefährdend ist. 15 ITER ist das Akronym für „International Thermonuclear Experimental Reactor“ in Cadarache (Frankreich). Dieses gemeinsame Forschungsprojekt soll zu einem Prototypen für die Stromerzeugung aus kontrollierter Kernfusion führen – „Wie die Sonne“ wurde das in den Medien genannt. Der Vergleich ist jedoch nicht ganz exakt, denn die Fusion au der Sonne arbeitet sehr langsam und recycelt ihren Abfall. Siehe insbesondere: Sylvie Vauclair, „La naissance des éléments. Du big bang à la terre“, Odile Jacob 2006. 16 Jean-Claude Debeir, Jean-Paul Deleage and Daniel Hemery, „Les servitudes de la puissance. Une histoire de l’énergie“. Flammarion, Paris, 1986. 7 ÖKOLOGIE Ein System das völlig inkompatibel mit dem Funktionsrhythmus der Biosphäre ist. DREI MITEINANDER VERBUNDENE SCHWIERIGKEITEN Kann der Kapitalismus trotz seiner Akkumulationslogik rechtzeitig die zu einer Stabilisierung des Klimas erforderlichen physikalischen Grenzen soweit respektieren, um eine menschliche und ökologische Katastrophe zu vermeiden? Angesichts des bereits erreichten hohen Gehalts an Treibhausgasen und der Trägheit des Klimasystems scheint dies leider sehr unwahrscheinlich, wenn nicht unmöglich zu sein. Die Katastrophe hat tatsächlich bereits begonnen, wie man an einer Reihe von offensichtlich miteinander verbundenen Ereignissen erkennen kann. Angesichts der offensichtlichen Beschleunigung der Erwärmung ist die Frage eher, ob das System in der Lage ist, den Schaden zu begrenzen und die Lage zu stabilisieren – und zu welchen sozialen Bedingungen. Um eine konkrete Antwort darauf zu geben, müssen wir drei miteinander verbundene Schwierigkeiten bewerten: Der Umfang der in sehr kurzer Zeit zu bewältigenden Aufgaben, die Starrheit des Energiesystems und der Wettbewerb, der sich im Verhältnis zwischen Staaten ausdrückt (vor allem die Nord-Süd-Beziehungen). Erste Schwierigkeit: das Zusammentreffen sehr starker Ziele mit sehr kurzen Fristen. Der Umfang der in nur wenigen Jahrzehnten zu bewältigenden Aufgaben ist atemberaubend: Es geht um die fast völlige Ablösung der „Kohlenstoffwirtschaft“. Das bedeutet eine Abwicklung aller fossilen Energiequellen im Allgemeinen als auch von Öl als Rohstoff der petrochemischen Industrie im Besonderen (siehe Kasten S.XX „Kohlenstofffreie Wirtschaft und Energieeinsparung“). Erneuerbare Quellen Wissenschaft, Technologie, Gott und die sozialen Verhältnisse Sir John Houghton ist ein bedeutender Klimatologe und ein eifriger Katholik. Außerdem war er Vizepräsident der Zwischenstaatlichen Sachverständigengruppe über Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC), dem Weltklimarat der UNO, als er einmal gefragt wurde, ob er Optimist oder Pessimist sei. Er sei Optimist, antwortete er zusammengefasst, und dies aus drei Gründen: • Der Einsatz und die Zusammenarbeit vieler Wissenschaftler der ganzen Welt • Die erforderlichen Technologien sind verfügbar • Gott wird sich um seine Schöpfung kümmern. Diese Antwort ist typisch für die Herangehensweise vieler Wissenschaftler, gläubig oder nicht, die vom Abstraktionsniveau ihres Spezialgebiets geradezu hinaufspringen zur menschlichen Natur (oder zu Gott), ohne das dazwischen liegende Generalisierungsniveau zu berücksichtigen, das von der sozialen Struktur gebildet wird, in der die Phänomene, die sie 8 untersuchen, hervortreten. Das wirft eine wichtige Frage der wissenschaftlichen Methodik auf. Wie Bertell Ollman bemerkt, „ist es wesentlich, um jedes einzelne Problem zu verstehen, auf ein allgemeines Niveau zu abstrahieren, das die charakteristischen Züge hervortreten lässt, die die Hauptursachen sind“, anderenfalls man unfähig sei, ein Phänomen zu erklären und daraus globale Lösungen herauszuarbeiten. [Bertell Ollman, „La dialectique mise en œuvre“, Éd. Syllepse, 2005] Es ist offensichtlich genau das, was mit obigem Zitat passiert. Bei allem Respekt, den wir für die Kompetenz dieses Gelehrten und für seine Gläubigkeit haben, fürchten wir, dass Sir John Houghton sich irrt. Der Schlüssel zur Lösung des Klimawandels liegt weder in der Technologie noch im Eingreifen höherer Mächte, sondern in einer Änderung der sozialen Verhältnisse. Quelle: John Houghton, „Overview of the Climate Change Issue“, http://www.jri. org.uk/resource/climatechangeoverview. htm#optimist können die Lücke füllen, aber nicht unter allen Bedingungen. Nicht unter den Bedingungen einer fortgesetzten Energie-Bulimie im Transportbereich oder einer aufgeblähten Kunststoffproduktion beispielsweise. Angesichts ihrer gegenüber den fossilen Energieträgern höheren Preise und der Kürze der Zeit zur Umstellung wird der Übergang unter allen Umständen mit einem deutlichen Rückgang der Primärnachfrage in den entwickelten Ländern einhergehen (in der Größenordnung von 50%, und sogar noch mehr in den Ländern mit höherem Energieverbrauch); also mit einem Kampf gegen die Verschwendung und für eine Steigerung der Energieeffizienz. Doch dieser Kampf gegen Verschwendungen und für Effizienzsteigerung betrifft nicht nur einzelne Anlagen, Privatgeräte und persönliche Verhaltensänderungen, sondern auch und vor allem das globale Energiesystem, das alles determiniert. Vom Standpunkt der Vernunft aus müssten ganze Bereiche der Wirtschaft schlicht und einfach stillgelegt werden, weil sie nutzlos oder sogar schädlich sind (Waffenproduktion, Werbung usw.), während andere rationeller gestaltet werden könnten, um Dopplungen durch den Wettbewerb zu vermeiden. Der Kapitalismus kann dies nicht einmal in Betracht ziehen, weil es seiner Logik völlig zuwider laufen würde. Aber er kann trotzdem der Tatsache nicht entgehen, dass beträchtliche Änderungen auf verschiedenen Gebieten wie Raumordnung, Transport, Landwirtschaft, Unterkunft, Freizeit und Tourismus erforderlich sein werden. All diese Veränderungen in der erforderlichen Zeit vorzunehmen, würde eine starke Zentralisierung und demokratische Ausarbeitung eines gut durchdachten Plans erfordern. All diese Elemente sind kaum vereinbar mit dem neoliberalen Management einer hektischen Produktionsweise, in der Konkurrenz der Motor und politische Ausgrenzung der Bevölkerung ihre Folge ist. Zweite Schwierigkeit: Das kapitalistische Energiesystem ist von großer Starrheit und starker Zentralisierung geprägt. Sie sind nicht nur Folge der Lebensdauer der Investitionen (30–40 Jahre für ein Elektrizitätswerk), sondern auch und vor allem der Tatsache, dass eine mächtige Lobby an der INPREKORR 428/429 ÖKOLOGIE Gans hängt, die goldene Eier legt, … und ständig neue Bedürfnisse erzeugt, die die Tatsache „rechtfertigen“, dass die Gans in der Batterie bleiben muss, um noch mehr zu legen. Der weltweite Umsatz mit Raffinerieprodukten der Ölindustrie wird auf 2000 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt; die Summe aller Kosten, von der Lagerstättensuche über die Förderung bis zur Raffinierung, wird auf 500 Milliarden geschätzt. Die Differenz dieser beiden Zahlen (immerhin 1500 Milliarden Euro pro Jahr!) bildet den Profit, und vor allem den Superprofit in Form einer Rente aufgrund der privaten Aneignung der Ressourcen.17 Zu dieser kolossalen Macht muss jene der mit Öl verbundenen Bereiche addiert werden: Autos, Chemie, Petrochemie, Luftfahrt, Schiffbau usw.: All diese Branchen basieren auf einer ständigen Expansion des Weltmarkts und damit des materiellen Verbrauchs und Handels. Unter diesen Umständen könnten – auch schnelle – Investitionen in Wind- und Sonnenergie (wo die Renditeentwicklung noch gar nicht absehbar ist) die Umsetzung einer Lösung nur hinauszögern. Der weitgehend von Großkonzernen wie Shell, BP usw. kontrollierte Sektor der erneuerbaren Energien könnte die fossilen Brennstoffe nur ergänzen, statt sie zu ersetzen. Zusammen mit der des PKWVerkehrs zeigt die Explosion des Lufttransports und der sich daraus ergebenden Verbrauchsgewohnheiten aufs Beste die Art, wie sich diese Zauberlehrlings-Logik gegen die Bedürfnisse legitimiert, die sie schafft, und uns immer schneller gegen die Wand laufen lässt, während wir die Augen vor der Realität verschließen. Dritte Schwierigkeit: die Konkurrenz, die sich in den Beziehungen zwischen den Staaten ausdrückt. Das CO2, das an irgendeinem Punkt der Erde produziert wird, trägt zur Erwärmung des Planeten bei. Angesichts des globalen Charakters dieser Bedrohung sollte auch die Antwort auf Weltebene gedacht, geplant und formuliert werden und dabei die langfristige Zusammenarbeit im Interesse aller im Mittelpunkt stehen. Ziel dieser Bemühungen muss es vor allem sein, eine gemeinsame Antwort auf die Kernfrage zu formulieren: Wie kann 17 Jean-Marie Chevalier, „Les grandes batailles de l’énergie“, Gallimard 2004. INPREKORR 428/429 Hurrikan Rita (2005) man die Ressourcen teilen, um sowohl den drastischen und schnellen Rückgang der Emissionen im Weltmaßstab als auch das Recht auf Entwicklung für die Länder des Südens, in denen die allergrößte Mehrheit der Menschen lebt, zu ermöglichen? Trotz aller Bemühungen zahlloser Wissenschaftler haben Beherrschung und Wettbewerb immer noch Vorrang vor Zusammenarbeit und das Aneignen von Ressourcen (auch mit militärischen Mitteln) vor dem gerechten Teilen. Die Haltung der wichtigsten imperialistischen Protagonisten (USA, Europäische Union, Japan) bei den Klimaverhandlungen ist deutlich bestimmt von den Interessen ihrer Unternehmen und den geostrategischen Interessen der verschiedenen Bourgeoisien auf dem Weltmarkt, vor allem dem Energiemarkt. Dasselbe gilt für Russland, für jeden EU-Mitgliedsstaat einzeln und für die großen Entwicklungsländer (ganz zu schweigen von den Ölmonarchien). Die grenzenlosen Schwierigkeiten, die Langsamkeit und die Rückschläge der Klimaverhandlungen sind daher Ausdruck dieses unter dem Kapitalismus unauflösbaren Widerspruchs zwischen dem zunehmend globalisierten Charakter der Ökonomie und dem Fortbestehen rivalisierender Staaten (oder Staatengruppen), die alle nur der Verteidigung der Interessen ihrer Bourgeoisie verpflichtet sind, von denen einige die anderen beherrschen. Dieser Wirrwarr, in dem das Schicksal der Opfer des Klimawandels keine Rolle spielt, könnte irreversible Konsequenzen haben. Beispielsweise wenn der Interessenkonflikt zwischen den imperialistischen Mächten und den herr- schenden Klassen der großen Entwicklungsländer zu einer langfristigen Blockade der Verhandlungen über ein Kyoto-Folgeabkommen führt. Oder wenn, entgegen allen Erwartungen, die künftige US-Regierung an der Bush-Linie noch jahrelang festhalten würde. VON KYOTO NACH NAIROBI UND DARÜBER HINAUS: DIE KAPITALISTISCHE ANTWORT Aus all dem sollte nun aber nicht gefolgert werden, der kapitalistische Moloch werde einem Phänomen tatenlos zusehen, das, selbst wenn es in erster Linie die Ausgebeuteten betrifft, doch auch die Gefahr einer massiven Kapitalentwertung und wachsender Instabilität beinhaltet. Aber sein Kampf gegen den Klimawandel wird, seit vierzehn Jahren,18 nach dem vom Kapital diktierten Rhythmus geführt, also zu langsam, und nach den Regeln des Neoliberalismus, was die sozialen Ungleichheiten, die Nord-Süd-Spannungen wie auch die Aneignung und Vergeudung von Naturressourcen steigert. Langsamkeit und perverse Effekte: Trotz einiger positiver Züge verkörpert Kyoto beide Charakteristika (vgl. dazu in diesem Heft: „Nach Kyoto: Droht die neoliberale Klimaoffensive?“). So ist nicht nur das Emissionsminderungsziel von 5,2% für die entwickelten Länder sehr bescheiden und erst bis zum Jahre 2012 zu erfüllen, sondern das Protokoll enthält auch „flexiblen Mechanismen“, die negative soziale und ökologische Konsequenzen haben werden. Die Verhand18 Das UN-Rahmenabkommen zum Klimawandel wurde auf dem Erdgipfel in Rio 1992 beschlossen. 9 ÖKOLOGIE Abholzung der Regenwälder lungen über die Zeit nach 2012 werden daran wahrscheinlich nichts ändern. Wenn George W. Bush das Weiße Haus geräumt hat, werden die USA und die EU wohl schnell einen Kompromiss finden. Dies entspricht den immer drängenderen Forderungen zahlloser multinationaler Konzerne, die im Bewusstsein der Unvermeidlichkeit von Maßnahmen so schnell wie möglich ein einheitliches und stabiles Regelwerk auf Weltebene wollen. Aber diese Wiederannäherung der KlimaErbfeinde könnte gut den neoliberalen Charakter des Kyoto-Protokolls verstärken, seine begrenzten Regulationskräfte (Quoten, Fristen, Sanktionen bei Nichteinhaltung) schwächen und die anderen positiven Aspekte gefährden. Diese Tendenz ist deutlich erkennbar in der intensiven diplomatischen Aktivität von Tony Blair und seinem designierten Nachfolger, Gordon Brown. Auf dem von ihm geleiteten G8-Gipfel ließ der Bewohner von Downing Street 10 seine Ambitionen erkennbar werden: Großbritannien zum Dreh- und Angelpunkt eines neuen Klimaabkommens zu machen, was die Position seines Landes als Kandidat für die Führung einer vergrößerten Europäischen Union stärken würde.19 Der am 31.10.2006, unmittelbar vor der UN-Klimakonferenz in Nairobi (Kenia) veröffentlichte Stern-Report über die Ökonomie des Klimawandels 19 Der G8-Beschluss „Climate Clean Energy and Sustainable Development“ ist online verfügbar unter http://www.fco.gov.uk/Files/kfile/ PostG8_Gleneagles_CCChapeau.pdf. 10 kann in diesem Zusammenhang gesehen werden.20 Das Besondere an diesem Report ist, dass zum ersten Mal ein von einer Regierung eingesetztes Team von Ökonomen die Warnungen der Wissenschaft ernst nimmt und versucht, eine globale Antwort zu geben. Sir Nicholas Stern kommt zweifellos das Verdienst zu, den Klimawandel mit einer schockierenden Zahl auf die Titelseiten der Medien gebracht zu haben: Wenn nichts passiert, könnten die Folgen der Erwärmung so schlimm sein wie zwei Welkriege und die große Weltwirtschaftskrise zusammen, entsprechend einem Fall des Bruttosozialprodukts von bis zu 20%. „Es ist besser, sofort zu handeln und gemeinsam mit allen, das käme weniger teuer und würde den Unternehmen mehr Absatzmöglichkeiten öffnen.“ – das ist die Logik seines Berichts. Aber unter dem Deckmantel einer ehrgeizigen, langfristigen Strategie tendiert Stern dazu, die positiven Aspekte von Kyoto zugunsten einer 100% neoliberalen Politik21 auszuhöhlen. Paradoxerweise charakterisiert er zwar den Klimawandel als das „größte und breiteste Marktversagen aller Zeiten“, doch lässt die von ihm selbst vorgeschlagene Lösung in der abgedroschenen Formel zusammenfassen: mehr Markt, mehr Wachstum, mehr Kernenergie, mehr Handelsliberalisierung, weniger soziale Sicherung und Demokratie – kurz: noch mehr von dieser Politik, die die Umwelt zerstört 20 Stern Review, op. cit. 21 Vgl. in diesem Heft unten S.17ff „Nach Kyoto: Droht die neoliberale Klimaoffensive?“. und für die die Länder des Südens, die Armen und die Arbeiterinnen und Arbeiter die Kosten zahlen. Die Nord-Süd-Frage ist entscheidend, wie wir gesehen haben. Indem er sich von dem engen Rahmen des Kyoto-Zeitplans löst, entgeht der SternReport dem Grabenkrieg zwischen den großen Entwicklungsländern und den imperialistischen Metropolen, wo die ersten zu den zweiten sagen: „Ihr seid verantwortlich, ihr müsst handeln!“ und die zweiten antworten: „Ihr werdet bald mehr Treibhausgase emittieren als wir, also handelt ihr auch!“ Aber das Kräfteverhältnis ist für die beherrschten Länder außerhalb der Schützengräben nicht wesentlich besser als in den Gräben … Zumindest für die nächsten Jahrzehnte beinhaltet der vom früheren Chefökonomen der Weltbank vorgelegte Plan, dass der Großteil der durch einen Kohlenstoff-Weltpreis erzwungenen Reduktionsbemühungen im Süden durch Investitionen des Nordens realisiert wird, über die Schaffung von Emissionsrechten für den Norden. 22 Also soll die bislang noch als „ergänzend“ zu den sogenannten „innenpolitischen“ Maßnahmen bezeichnete „Flexibilität“ von Kyoto total werden. Tatsächlich würde die Emissionsminderung, sobald sie ihre Ortsgebundenheit verliert, für die Unternehmen des Nordens von einem Kostenfaktor zu einem gigantischen Exportmarkt für Anlagen und Dienstleistungen.23 Ein Markt unter den Bedingungen des ungleichen Tauschs, auf dem sich die Entwicklungsländer dazu „gedrängt“ sehen würden, sich zu CO2-Steuern oder zu Quoten zu verpflichten, und der die imperialistische Beherrschung ihrer Ökonomien verschärfen würde. Einige Entscheidungen der letzten UNKlimakonferenz (Nairobi, November 2006) versteht man besser im Lichte dieser Analyse. In Nairobi akzeptierten 22 Das Tempo würde von den Kosten bestimmt: Der Markt würde sich erst auf die Maßnahmen orientieren, die die geringsten Investitionen erfordern, wie Verbesserung der Energieeffizienz in den Entwicklungsländern, Ende der Abholzungen, Entwicklung von Bio-Treibstoffen und dann Wind- und Solarenergie. 23 Der Weltmarkt der Ökoindustrie wird auf 550 Mrd. Euro geschätzt. Die Experten erwaten in den nächsten fünf Jahren, vor allem in den Enzwicklungsländern, Wachstumsraten von 5 bis 8%. Quelle: Analysis of the EU ecoindustries, their employment and export potential. http//www.europa.eu.int/comm/environment/enveco/industry_employment/ecotec_ exec_sum.pdf INPREKORR 428/429 ÖKOLOGIE die entwickelten Länder das Ziel einer Reduktion von „deutlich mehr als 50% bis zum Jahre 2050, aber sie präzisierten, dass sie den Weg „nicht ganz allein“ gehen würden. Diese drei kleinen Worte sind eine offensichtliche Anspielung auf eine Erweiterung des „Clean Development Mechanism“ (CDM, eine der flexiblen Vereinbarungen von Kyoto).24 Andererseits wurde beschlossen, einen aus einer Investitionssteuer im Rahmen des CDM finanzierten Anpassungsfonds bereitzustellen.25 Kurz: Die Finanzierung der Schutzprojekte richtet sich nicht nach den Bedürfnissen der am meisten betroffenen Bevölkerungen, sondern nach den Erfolgen der multinationalen Konzerne im Wettlauf um den großen Markt der „kohlenstoffarmen“ Technologien. Kann eine Politik, wie sie von Stern vorgeschlagen wird, das Klima retten? Zunächst würde es erforderlich sein, ein Reduktionsziel festzulegen, das mit den physikalischen Grenzen vereinbar ist. In dem Bericht, der der britischen Regierung vorgelegt wurde, ist dies nicht der Fall, und es wird immer zweifelhafter, ob ein solches Ziel künftig aufgenommen werden wird. Es wäre auch nötig, dass eine starke „Gouvernance“ [etwa: „Lenkungsstruktur“ – d.Üb.] auf Weltebene in der Lage ist, einen Weltpreis für Kohlenstoff festzulegen, der auf der Ermittlung der Schäden durch die langfristige Erwärmung und nicht durch die kurzfristigen Gesetze des Marktes bestimmt ist. Auch das ist nicht offensichtlich. Wie auch immer sich der post-Kyoto-Prozess entwickelt, so ist durchaus wahrscheinlich, dass die neoliberale Klimapolitik der nächsten 20 bis 30 Jahre in einer Niederlage enden wird. Was könnte dann geschehen? Die Antwort hat viel von politischer Spekulation. Angesichts der Fristen, die doch sehr drängend geworden sind, ist es nicht ausgeschlossen, dass beispielsweise die herrschenden Mächte plötzlich den Kurs ändern, ihre Staatsapparate mobilisieren und alle Ressourcen zentralisieren bis hin zur Rationierung wie in Kriegszeiten. Dieser Vergleich ist gar nicht mal hergesucht: Der Wendepunkt könnte tatsächlich von impe24 Die flexiblen Mechanismen von Kyoto sind in unserem Artikel „Petit pas compromis, effets pervers garantis“ beschrieben (http://www.europe-solidaire.org/spip.php?article648). 25 Siehe unten S.17ff „Nach Kyoto: Droht die neoliberale Klimaoffensive?“. INPREKORR 428/429 Abbildung 3: Verteilung der Emissionsrechte auf die verschiedenen Ländergruppen Das „Contraction and Convergence”-Modell sieht vor, die Gesamtemission fossiler Brennstoffe (auf 1 Milliarde Tonnen Kohlenstoff) zu reduzieren und nach Pro-Kopf-Quoten aufzuteilen. Damit soll der CO2-Gehalt bei 450 ppmv im Jahre 2100 stabilisiert werden. Quelle: Global Commons Institute und J. Houghton. rialistischen Militärabenteuern begleitet sein, inner-imperialistischen Konfrontationen oder anderen Arten mörderischer Konflikte. Doch das ist spekulativ. Während Kriege für Energieressourcen heute schon Realität sind, deutet nichts auf ein Fallenlassen des Neoliberalismus zugunsten einer mehr staat-zentrierten Politik hin. Wie dem auch sei, eine solche Mobilisierung würde offensichtlich nicht das Ziel haben, das Klima für alle zu retten, sondern es soweit möglich zu retten, ohne die sozialen Privilegien der Ausbeuter zu gefährden. Das würde zu nicht absehbarem menschlichem Leid, zu einem Anwachsen der Ausbeutung, einer Zunahme der Ausplünderung der beherrschten Länder und einem Angriff auf die demokratischen Rechte führen. GLOBALE RATIONALITÄT ODER RATIONALITÄT DES KAPITALS Wegen des Fehlens einer glaubwürdigen Alternative zur neoliberalen Politik fühlen sich bestimmte Szenen und Personen gedrängt, Vorschläge zu entwickeln, um den Schutz des Klimas auf gerechte Weise zu beschleunigen, doch ohne mit den Marktmechanismen zu brechen, die sie als unbestrittenen Konsens betrachten. Auch wenn sie versuchen realistisch zu sein, setzen ihre Vorschläge die Erfüllung einer Reihe von Bedingung voraus, die bei genauerer Betrachtung höchst utopisch erscheinen. In den Augen des Systems haben sie den Fehler, auf die Kraft der Überzeugung einer übergeordneten Rationalität zu vertrauen. Doch das Kapital – eigentlich viele miteinander konkurrierende „Kapitale“ – ist durch den Widerspruch zwischen seinen zahllosen Teil-Rationalitäten und seine wachsende Irrationalität als System gekennzeichnet. Von einer globalen Rationalität lässt es sich nur zeitweise überzeugen, und nur im allerletzten Extremfall, wenn sein eigenes Überleben gefährdet ist (aber in dem Moment ist es im Allgemeinen schon zu spät für das Überleben vieler Mitglieder der weniger begünstigten Klassen und Schichten). Dieses quid pro quo [etwa: Geben und Nehmen – d.Üb.] zwischen globaler Vernunft und der Vernunft des Kapitals charakterisiert vor allem den als „Contraction and Convergence“ (C&C – „Verringerung und Angleichung“) bekannt gewordenen Vorschlag. Er wurde vom indischen Ökologen Anil Agarwal26 formuliert, vom Global Commons Institute von Aubrey Meyer27 aufgegriffen und von bedeu26 Anil Agarwal & Sunita Nairin, „The Atmospheric Rights of All People on Earth“, http://www. cseindia.org/. 27 Siehe: http://www.gci.org.uk/; C&C-Erklärung auf deutsch unter http://www.gci.org.uk/translations/CandC_Statement(German).pdf 11 ÖKOLOGIE tenden Wissenschaftlern wie Sir John Houghton28 oder Jean-Pascal van Ypersele29 verbreitet. Diesem Vorschlag kommt das Verdienst zu, das Dilemma der Entwicklungsländer zu deren Vorteil zu lösen. Wir wollen uns mit dem Problem etwas genauer beschäftigen: Würden die Entwicklungsländer ihr Wachstum auf fossile Energieträger stützen, würden sie, selbst wenn der kombinierte Charakter der Entwicklung nicht exakt dem Weg entsprechen würde, den die imperialistischen Länder seit 1780 gegangen sind, den Klimawandel verschärfen, dessen Hauptopfer ihre eigenen Völker sein werden (und bereits sind!). Die Armen haben recht, dass sie nicht arm bleiben wollen, um das Klima zu retten, das die Reichen ruiniert haben. C&C will daher eine radikale Reduktion der globalen Emissionen („Contraction“) mit einer Angleichung der Emissionen pro Einwohner („Convergence“) und einem Aufholen der Entwicklung des Nordens durch den Süden dank sauberer Technologien kombinieren (s. Abb. 3). Wir teilen diese egalitäre Perspektive, aber wie soll sie in die Praxis umgesetzt werden? Als Antwort wird vorgeschlagen, dass die handelbaren Emissionsrechte an die Entwicklungsländer in dem Maße ausgegeben werden, in dem sie unterhalb der [weltweiten] Pro-Kopf-Quote liegen. Die Länder des Nordens, die ihre Emissionen nicht reduzieren, müssten diese Rechte dann kaufen. Der entsprechende Verdienst würde es den Ländern des Südens erlauben, die für eine kohlenstofffreie Entwicklung erforderlichen Technologien zu erwerben. Doch dieses Szenario wirft mehrere praktische Fragen auf: An wen sollen die Rechte verteilt werden? Wer sollte garantieren, dass ihr Verkauf tatsächlich den Menschen zugute kommen würde (und nicht der Schuldentilgung oder der Mästung der Reichen)? Das sind entscheidende Fragen. Aber auch der Mechanismus selbst hat eine entscheidende Schwachstelle. In seiner Darstellung des C&C-Szenarios schreibt der Klimatologe JeanPascal van Ypersele, dem niemand seine 28 John Houghton, „Overview of the Climate Change Issue“, http://www.jri.org.uk/resource/ climatechangeoverview.htm#carbon. 29 Jean-Pascal van Ypersele, „L’injustice fondamentale des changements climatiques“, in Alternatives Sud, Bd. 13,-2006 12 Abbildung 4: CO2-Emissionen aufgrund der Verbrennung fossiler Energieträger (in Tonnen Kohlenstoff) pro Person und Land (sonstige Treibhausgase nicht berücksichtigt) und die Stabilisierungsgrenze bei einer Erdbevölkerung von 6 Milliarden Menschen (0,5 Tonnen Kohlenstoff pro Person and Jahr). Quelle: A. Berger, 2005. Wohnung und Klima Ein systematisches Programm der Wärmedämmung aller Gebäude könnte die Emissionen in diesem Bereich beträchtlich senken (40% und mehr); zugleich würde es das Wohlbefinden und die Kaufkraft steigern, Arbeitsplätze schaffen und es unter sozialen Aspekten betrachtet durchaus mit der Erdölförderung aufnehmen können. Aber diese Argumente des gesunden Menschenverstands überzeugen nicht die Unternehmer, weil sie auf sozialem Nutzen und auf Bedürfnissen basieren und nicht auf Profit und kaufkräftiger Nachfrage. Um die Unternehmen mit Marktmechanismen anzulocken, und im Namen des Realismus, werden wieder neue Fördermittel zur Steigerung der Energieeffizienz vorgeschlagen. Zusammen mit entsprechenden Baunormen könnten solche Maßnahmen eventuell eine Wirkung in einigen Bereichen haben, aber es ist doch zweifelhaft, ob ihre Wirkung auf die globalen Emissionen ausreichend wäre. In den entwickelten Ländern hat es an Prämien und Steuervorteilen in den letzten dreißig Jahren nicht gemangelt (ganz abgesehen von dem Anreiz, den die gestiegenen Erdölpreise ausmachen), aber die Nachfrage nach fossilen Energieträgern hat sich trotzdem nicht verringert. Mehr noch stellt sich das soziale Problem der Auswirkungen auf die Wohnkosten, vor allem für die Mieter. Im Wohnbereich setzt wie anderswo eine wirklich wirksame Energiepolitik drei Dinge voraus: 1. Eine globale Planung unter Einschluss von Ressourcen, Aktivitäten und Raumordnung 2. Abschied von Marktmechanismen und ihrer neoliberalen Konsequenz, der „totalen Privatisierung” 3. Radikale Umorientierung und Ausweitung der öffentlichen Investitionen Öffentliche Initiativen auf Grundlage dieser Prinzipien könnten auf allen Ebenen ergriffen werden, auch auf lokaler, und erheblich dazu beitragen, Befriedigung von Bedürfnissen und Kampf für das Klima einander näher zu bringen. Nur sie erlauben es, das Konzept vom „Positiv-Energie-Haus“ [das Energie sogar noch liefert, statt sie zu verbrauchen – d.Üb.] schnell und in großem Maßstab zu konkretisieren. INPREKORR 428/429 ÖKOLOGIE solidarische Perspektive zur Rettung des Klimas abspricht: „Wenn die ursprüngliche Aufteilung der [Emissions-] Rechte nach dem Prinzip der Gleichheit erfolgt, könnten diese Rechte unter bestimmten Bedingungen einen enormen Strom der Hilfe für die Entwicklungsländer bilden. Und unter der Voraussetzung, dass die Gesamtmenge der ausgestellten Erlaubnisse nur unter dem Gesichtspunkt bemessen wird, das Klima der kommenden Jahrhunderte zu schützen, könnte ein solches System erlauben, die erforderlichen Reduktionen zu geringsten Kosten zu bewirken.”30 Das Problem steckt ganz offensichtlich in dem kleinen Wörtchen „wenn“ und dem Ausdruck „unter der Voraussetzung, dass“. Der Kapitalismus ist historisch aus der Aneignung von Naturressourcen entstanden. Verfügungsrechte über Ressourcen jetzt einfach frei zu verteilen, widerspricht völlig seiner Natur (deshalb ist auch in der Praxis die Verteilung von Emissionsrechten weder gerecht noch ethisch, wie die Erfahrung mit dem europäischen Rechtehandel zeigt.31 Das allein wäre kein Grund, die Forderung zu verwerfen (ganz im Gegenteil). Aber die Frage, die gestellt werden muss, lautet: Wer soll die Anerkennung der Vorbedingungen hinsichtlich Gerechtigkeit und Menge an Emissionsberechtigungen durchsetzen? Die politischen Vertreter der großen Entwicklungsländer? Würden sie sich um Ethik und das Klima mehr sorgen als ihre imperialistischen Herren? Angenommen sie hätten tatsächlich den Willen zu einer solchen Lösung, so müssten sie sich auf eine sehr breite Volksbewegung stützen können. Ist es realistisch zuglauben, dass die armen Massen des Südens sich für so esoterische Forderungen wie die Verteilung handelbarer Rechte für die Emission von Kohlendioxid in die Atomsphäre mobilisieren würden? Wenn sie so etwas aufgreifen würden, dann sicher nur im Rahmen allgemeinerer Forderungen, die viel einfacher und direkter wären: Schuldenstreichung, Bodenreform, Nationalisierung der Energieressourcen (wie in Venezuela und Bolivien), kommunale Rechte an Wasser und anderen Ressourcen und so weiter. Tatsächlich brechen die meisten dieser Forderungen mit dem Markt – also dem Rahmen, an 30 J. P van Ypersele, op. cit. 31 Siehe unten S.17ff „Nach Kyoto: Droht die neoliberale Klimaoffensive?“. INPREKORR 428/429 Wasserstoff ist kein Allheilmittel Die Medien schäumen mehr und mehr über von optimistischen Worten über die Möglichkeiten, Wachstum und Klima gleichzeitig zu retten durch Übergang zu einer Ökonomie auf Basis von Wasserstoff und Brennstoffzellen zur Produktion von Elektrizität. Diese Technologien sind tatsächlich vielversprechend: Einerseits erreicht der Wirkungsgrad der Zellen leicht 60% und könnte die 80%-Grenze in den nächsten Jahren durchbrechen; andererseits fallen nur Wärme (verwertbar) und Wasser an – keine CO2-Emissionen, keine oder nur sehr wenige Abgase, kein Lärm. Das Problem ist nur, dass Wasserstoff als solcher in der Natur nicht vorkommt. Man muss ihn extrahieren – aus Wasser, aus fossilen Brennstoffen oder aus Biomasse. (Auch gewisse Algen und Bakterien können Wasserstoff produzieren, aber die Forschung zu diesem Thema ist noch weit davon entfernt, dies als Energietechnologie nutzen zu können.) Wasserstoff ist keine Energiequelle, sondern ein Energieträger, wie Elektrizität. Er kann gelagert und transportiert und in Strom (und wieder zurück) umgewandelt werden, er bietet die Möglichkeit, die Effizienz von Energiesystemen zu steigern. Er könnte insbesondere zur Stabilität des Versorgungsnetzes bei Verwendung nicht ständig zur Verfügung stehender Energiequellen (Wind, Sonne, …) beitragen. Darüber hinaus eröffnet die Kombination Brennstoffzelle/Wasserstoff die Perspektive einer dezentralisierten und modularisierten Energieproduktion, d. h. einer Verringerung der Verluste bei der Verteilung des Stroms. Es bleibt nur das Problem, dass Elektrizität wie Wasserstoff die Ausbeu- tung einer Energiequelle erfordern. Welche Quellen zur Deckung welcher Bedürfnisse? Das ist nach wie vor die entscheidende Frage. Von ihr kann man nicht ablenken, indem man den Wasserstoff als ein Wundermittel präsentiert. Man erwartet vor allem, dass Wasserstoff eine Alternative zum Erdöl im Transportsektor darstellen könnte, wo das Potenzial der Biotreibstoffe nicht ausreicht (siehe siehe oben S. 6 „Kohlenstofffreie Wirtschaft und Energieeinsparung“). Der Transportsektor verbraucht 25% der Energie im Weltmaßstab und ist verantwortlich für ein Fünftel aller durch Verbrennen fossiler Energieträger entstehenden CO2-Emissionen. Die Wachstumsperspektiven sind aberwitzig, besonders für den Straßenverkehr (80% der Emissionen). Wenn sich nichts ändert, werden die Emissionen zusammengerechnet 1,4 bis 2,7 Gigatonnen im Jahr 2020 und 1,8 bis 5,7 Gigatonnen im Jahr 2050 erreichen. (Bahn und Binnenwasserstraßen erreichen maximal 0,078 bis 0,087 Gt [GIEC, Mitigation 12001]). Angesichts solcher Zahlen ist es illusorisch, sich mit der Perspektive zu beruhigen, alle Autos, Flugzeuge und Lastwagen könnten ab sofort mit Wasserstoff bewegt werden, denn die erforderlichen Mengen können nur produziert werden, wenn man weiter riesige Mengen fossiler Energieträger verbrennt – oder durch Kernenergie. Es ist die Art des Transportes selbst, die in Frage gestellt werden muss, und damit nicht nur die Just-in-time-Produktion, sondern auch die ganze Raumordnung, die Trennung zwischen Stadt und Land und die daraus entstehenden entfremdeten Bedürfnisse. dem C&C fern jeder Realität unbedingt festhalten will. Damit sind wir wieder am Ausgangspunkt angekommen. Was diese Diskussion zeigt, ist, dass das Ziel und die subjektiven Schwierigkeiten bei der Rettung des Klimas unauflöslich miteinander verbunden sind: Wir können das eine nicht ohne das andere lösen. Um das Klima mit einer Weltbevölkerung von 6 Milliarden Menschen in sozialer Gerechtigkeit zu retten, müssen die durchschnittlichen Emissionen auf 0,4 bis 0,5 Tonnen Kohlenstoff pro Person und Jahr [entspricht 1,4 bis 1,8 Tonnen CO2 – d.Üb.] gesenkt werden. Auf einen Menschen in Amerika oder Australien kommen derzeit fast 6 Tonnen, in Belgien oder Dänemark 3 Tonnen, in Mexiko 1 Tonne, in China etwas weniger – und in Indien 0,4 Tonnen (siehe Abb. 4).32 Die 32 Für eine umfassende Übersicht –jetzt wieder für Tonnen CO2 – siehe http://en.wikipedia. org/wiki/List_of_countries_by_carbon_dioxi- 13 ÖKOLOGIE e Ozean tion d. Absorp Atmung, Oxydation C in organischem Material Pflanzen und Tieren ( = 610 Gt) Vulkanismus Atmung, Oxydation Verwitterung HYDROSPHÄRE Absinken des Kohlenstoffs alien C in CO2 Gelöst in den Ozeanen ( = 39 000 Gt ) Materi 14 BIOSPHÄRE ische. de_emissions_per_capita -d.Üb. 33 Der Stern-Report relativiert die Idee, die erneuerbaren Energien könnten sich spontan durchsetzen, wenn ihre Kosten äquivalent zu denen des Öls werden. Dem Bericht zufolge könnten in dem Fall die Ölpreise fallen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Existenz einer ernormen Rente, zusätzlich zu den Profiten, macht dieses Szenario möglich. C in CO2 ( = 760 Gt ) C in CO4 (= 10 Gt ) Organ Wenn wir wollen, dass diese vier Aspekte in der nötigen Breite und erforderlichen Zeit in sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit umgesetzt werden, dann kann die Lösung nicht einfach Ergebnis von Marktmechanismen wie dem Handel mit Emissionsrechten oder der allmählichen Kostensenkung erneuerbarer Energien im Wettbewerb sein.33 Diese vier Aspekte müssen öffentliche Aufgaben sein, die an öffentliche Unternehmen vergeben und unabhängig von den Kosten realisiert werden. Gemäß Spezifikationen, die aus den realen Bedürfnissen abgeleitet werden und die die Naturressourcen als gemeinsamen Besitz der Menschheit betrachten. Eine radikale Vermögensumverteilung (Schuldenstreichung für die Länder des Südens, Vermögenssondersteuer auf Weltebene, Abschöpfung der Profite der Ölkonzerne, Verbot von Waffenkäufen) und eine Ausweitung demokratischer Rechte sind dann unerlässlich. Globale Rationalität erfor- ATMOSPHÄRE se ynthe Fotos einzig „nachhaltige“ Logik, die ihren Namen wert wäre, würde bedeuten, die halbe Tonne Kohlenstoff pro Person und Jahr zu einem Ziel zu machen, das in jedem Land zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht sein muss. Eine rationale Strategie auf Weltebene müsste vier Aspekte miteinander verbinden: 1. die Primärnachfrage nach fossilen Energiequellen in den entwickelten Ländern drastisch zu reduzieren (je nach Land auf ein Viertel, Sechstel oder Achtel), 2. beginnend in diesen Ländern fossile Energiequellen systematisch durch erneuerbare Energiequellen zu ersetzen, 3. einen Weltfonds für die Umsetzung einrichten, der ausschließlich zugunsten der am meisten bedrohten Länder finanziert wird, 4. ein massiver Transfer von sauberen Technologien in die Länder des Südens, so dass deren Entwicklung nicht zu einer erneuten Destabilisierung des Klimas führt. LITHOSPHÄRE (Ablagerungs– und Felsgestein) C in Sedimentgestein ( = 50 000 000 Gt ) C in fossilen Brennstoffen ( = 5000 Gt) dert eine antikapitalistische Perspektive. FÜR EINE WELTBEWEGUNG ZUR RETTUNG DES KLIMAS Nun wird der Einwand kommen, dass eine solche Perspektive nicht realistisch sei, schon gar nicht in der gegenwärtigen Konjunktur. Die Entwicklung einer antikapitalistischen Strategie für das Klima wird durch die historische Krise der Legitimität des sozialistischen Projekts behindert. Vorschläge wie Planung für die Befriedigung von Bedürfnissen, Industriebetriebe in öffentlicher Hand und die Nationa- lisierung des Energiesektors (oder irgendeine andere Form der öffentlichen Kontrolle auf globaler Ebene) sind diskreditiert. Diese Antworten werden weitgehend zusammengeworfen mit dem Schlamassel einer ineffizienten, verschwenderischen, produktivistischen und ultrazentralisierten Kommandowirtschaft34 wie auch mit den materiellen Privilegien der Bürokratie und ihrem politischen Alleinentscheidungsanspruch. Revolutionäre Marxistinnen und Marxisten können sicher 34 Ein besonders schlimmer Schlamassel gerade beim Klimawandel, hatten diese Ökonomien doch einen extrem hohen Verbrauch an Energie und Kohlenstoff. INPREKORR 428/429 ÖKOLOGIE Warum man aufhören muss, fossilen Kohlenstoff zu emittieren Kohlenstoff ist auf der Erde vorhanden in der Luft (Atmosphäre), in organischen Materialien (Biosphäre), in den Ozeanen (Hydrosphäre) und im Gestein (Lithosphäre). Diese verschiedenen Speicher sind miteinander über Austauschmechanismen verknüpft, die Zyklen bilden, und diese Zyklen sind miteinander verbunden. Das ganze ist bekannt unter dem Namen „Kohlenstoffzyklus“ oder „kreislauf“. Der kürzeste Zyklus ist der Austausch zwischen Biosphäre und Atmosphäre: Die grünen Pflanzen absorbieren CO2 aus der Luft und erzeugen daraus mit ihrem Chlorophyll große Moleküle auf Kohlenstoff-Basis (organische Moleküle). Diese Moleküle dienen als Grundlage aller Stufen des Lebens. Im Übrigen atmen die Pflanzen und alle anderen lebenden Organismen und geben dabei CO2 in die Atmosphäre zurück. Der längste Zyklus ist der Austausch Atmosphäre-Biosphäre-Hydrosphäre-Lithosphäre. Ein großer Teil des im Boden gebundenen Kohlenstoffs beispielsweise wird zu Gestein. Dieser Kohlenstoff kehrt erst Millionen Jahre später bei Vulkanausbrüchen in die Atmosphäre zurück. Erdöl, Kohle und Erdgas werden als „fossile“ Brennstoffe bezeichnet, weil sie aus organischem Kohlenstoff gebildet wurden, der sich in großen Mengen in der Lithosphäre angesammelt hat. Man kann die Kohlenstoffmengen berechnen, die sich an den verschiedenen Stationen eines Zyklus befinden. Bei dem obigen Schema sieht man beispielsweise, dass Kohlenstoff in der Form von CO2 oder CH4, die den Treibhauseffekt verursachen, der die Erde erst bewohnbar macht, nur in sehr kleinen Mengen (in Spuren) in der Atmosphäre vorkommt. Man sieht ferner, dass fossiler Kohlenstoff in der Lithosphäre in Form von Erdöl und anderen Brennstoffen einen Vorrat ausmacht, der siebenmal größer ist als der Kohlenstoff in der Atmosphäre (5000 Gigatonnen). Weiter sieht man, dass die Menge in der Biosphäre der Menge in der Atmosphäre ähnlich ist. Das Verfeuern fossiler Brennstoffe bedeutet also, den langen Kohlenstoffzyklus (den mit der Lithosphäre) brutal abzukürzen und künstlich Massen von CO2 in den kurzen Zyklus (der über die Biosphäre läuft) zu bringen. Da dieser Zyklus bereits gesättigt ist, gibt es keine andere strukturelle Lösung, als das Verfeuern fossiler Brennstoffe zu beenden. erklären, dass man dies nicht gleichsetzen darf, aber ihre Erklärungen werden nur dann Gehör finden, wenn sie ihren Bruch mit dem Produktivismus deutlich machen und die Flagge des „Ökosozialismus“ erheben, wo Ressourcen – und namentlich die Energieressourcen – von einem flexiblen Netzwerk lokaler Gemeinschaften selbstverwaltet werden in Verbindung mit einer „Planung auf lokaler, nationaler, regionaler und weltweiter Ebene“.35 Doch auch unter dieser Fahne werden diese Erklärungen nur begrenztes Gehör finden. Trügerische Marktlösungen auf der einen, diskreditierte antikapitalistische Lösungen auf der anderen Seite – wo ist der Ausweg? In der sozialen Mobilisierung. Statt das Gewicht auf Lobbyarbeit zu legen (wie es viele Umweltorganisationen tun, die sich im Regierungsapparat verfangen haben), geht es darum, das Kräfteverhältnis aufzubauen. Statt Mühe darauf zu verschwenden, Unternehmer und Regierungen überzeugen zu wollen, sollten wir unsere Energie lieber in die Hebung des Basisbewusstseins stecken. Statt vergebens nach fantastischen Rezepten zur Klimarettung wie dem Handel mit Emissionsrechten und anderen komplizieren Marktmechanismen zu suchen, bedeutet das, nur die einfache Idee zu verbreiten, dass das Klima in Gleichheit und Gerechtigkeit gerettet werden sollte, unabhängig von den Kosten, und dass das Geld dort geholt werden sollte, wo es ist. Anstatt jede und jeden auf die individuelle Verantwortung zu 35 Michaël Löwy, „Qu’est-ce que ‘l’écosocialisme?” (http://www.iire.org/lowyeco.html). [Auf deutsch siehe auch: „Überleben statt Profit“ in SoZ, Januar 2003, Seite 19, http://vsp-vernetzt. de/soz/030119.htm – d.Üb.] INPREKORR 428/429 verweisen, geht es darum, in Aktionen soziale emanzipatorische Bindungen zu schaffen, die allein eine neue individuelle und kollektive Verantwortlichkeit für die Menschheit und ihren Austausch mit der Natur schaffen können. Als größeres globales Problem (wie die Bedrohung durch einen vernichtenden Atomkrieg) kann die Klimafrage Millionen Menschen auf die Straße bringen. Wie wir schon auf diesen Seiten sehen können, ist die Liste der aufgeworfenen sozialen Probleme lang: Zugang zu Ressourcen, Recht auf Arbeit, Rechte von Frauen, Ablehnung des Rassismus, Kampf gegen die Deregulierung öffentlicher Dienste, Verteidigung von Flüchtlingen, Unterstützung der bäuerlichen Landwirtschaft, Förderung des öffentliches Verkehrs, Rechte der indigenen Völker, Stadtentwicklung, Ablehnung von gentechnisch veränderten Organismen, Kampf gegen Flexibilisierung und „just in time“, Verteidigung der Biovielfalt, Erhaltung der sozialen Sicherungssysteme – und nicht zu vergessen: der Krieg gegen den Krieg und die Streichung der Schulden der Dritten Welt. Diese Vielfalt ist eine Stärke. Ziel muss es sein, all diese Widerstandsbewegungen zu gemeinsamen Aktionen zusammenzuschließen, konkretisiert in weltweiten Aktionstagen und Demonstrationen. Die spezifische Mobilisierung der Jugend dafür, dass dieser Planet bewohnbar und schön für alle bleibt, könnte als Katalysator für eine Artikulation der sozialen Bewegungen auf Weltebene wirken. Die Initiativen des Climate Action Network können ein Ausgangspunkt sein. Die Demonstration, die in London am 4. November auf Initiative der Campaign against Climate Change stattfand, ist ein Beispiel, dem die ganze Linke folgen sollte.36 Diese Strategie hat ihre Forderungen. In einem System, das auf dem individuellen Kampf Jede und Jeder gegen Jede und Jeden basiert, wird 36 Die Campaign against Climate Change (http:// www.campaigncc.org/) ist eine britische Klimaschutzorganisation, die sich 2001 aus Anlass der Ablehnung des Kyoto-Protokolls durch Präsident Bush gegründet hat. Ihre Demonstration in London am 4.11.2006 mit 25 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war die bislang größte Klimaschutzdemonstration des Landes. Das Climate Action Network (http://www.climatenetwork.org/) ist ein weltweiter Zusammenschluss von 365 Klimaschutzorganisationen. Mitglied in Deutschland sind beispielsweise BUND, Nabu, WWF, und Öko-Institut. 15 ÖKOLOGIE der legitime Wunsch der Ausgebeuteten, ihre unmittelbaren Lebensbedingungen und die ihrer Kinder zu verbessern, wichtiger als die Gefahren von morgen und übermorgen sein – selbst wenn deren Eintreten wissenschaftlich bewiesen ist. Aus diesem Grund müssen die Mobilisierungen für das Klima mit der Befriedigung der Grundbedürfnisse der sozialen Mehrheit verknüpft werden. Beschäftigung, Boden, Unterkunft, menschenwürdiges Einkommen, Wärme, Trinkwasser, Arbeitsbedingungen, Existenzsicherheit, … Die Breite der Klimabedrohungen schafft viele Möglichkeiten, hier organische Verbindungen zu schaffen, ausgehend von den elementaren Kämpfen. Unter einer Bedingung: Man muss aufhören, Aktionen einer Strategie zur Begleitung des kapitalistischen Wachstums zu unterstützen, wie es die traditionellen Führungen der Parteien und Gewerkschaften der Arbeiterbewegung machen. Wir sollten im Gegenteil unsere Augen für die Tatsache öffnen, dass dieses Wachstum, das keine Arbeitsplätze schafft und Ausgrenzung verursacht, uns direkt in die ökologische Katastrophe führt, deren Hauptopfer die Arbeiterinnen und Arbeiter und die Armen sein werden. Daraus folgt, dass die Linke im Allgemeinen und die revolutionären Marxisten im Besonderen versuchen sollten, die Arbeiterbewegung für Klimafragen zu interessieren. Das ist nicht leicht, aber es ist möglich, wie es insbesondere die Kampagne der Quebecer Gewerkschafter für die Nationalisierung der Windenergie37 gezeigt hat. Andere Wege sind begehbar: Arbeiterkontrolle als Mittel gegen die kapitalistische Misswirtschaft auf der einen und die Forderung, dass öffentliche Unternehmen Arbeitsplätze in den Bereichen Energieeffizienz und er37 S. Inprecor 525, S. 28 (franz.). neuerbare Energien schaffen sollen, auf der anderen Seite.38 Angesichts der gigantischen Interessenkoalition, die die Menschheit in die Katastrophe führt und bestimmte Schichten der Bevölkerung mit den illusionären Wonnen einer nachgeahmten kleinbürgerlichen Glückseligkeit korrumpiert, kann die Mobilisierung für das Klima dazu beitragen, wieder eine Brücke zum Antikapitalismus zu schlagen. Stattdessen geht es darum, den Wunsch nach einer konkreten Utopie wiederzubeleben und zu zeigen, wie ein besseres Leben für alle sehr schnell erreicht werden kann, wenn man die kapitalistische Energiesackgasse verlässt. Klima oder Entwicklung? Klima oder gutes Leben? Es ist nicht das erste Mal, dass der Kapitalismus vor die Wahl zwischen Pest und Cholera stellt. Aber der Wahnsinn der Akkumulation hebt dieses Dilemma auf ein beispielloses globales Niveau. Es drohen barbarische Lösungen von schrecklicher Tragweite, die Dutzende wenn nicht Hunderte Millionen Menschen berühren. „Il diavolo fa le pentole ma no i coperchi“ – „Der Teufel macht die Pfannen, aber nicht die Deckel“, sagt ein italienisches Sprichwort. Es wird Zeit, das Höllenfeuer der Akkumulation auszulöschen: Der Kapitalismus hat keinen Deckel, und die Menschheit droht zu verbrennen. Daniel Tanuro ist Agraringenieur, Umweltschützer und Ökosozialist. Er ist Ökologie-Redakteur von La Gauche, der Monatszeitung der belgischen Sektion der Vierten Internationale. Für unsere französische Schwesterzeitung Inprecor hat er ein Sonderheft „Ökologie“ zusammengestellt, aus dem wir hier Auszüge wiedergeben. Ein besonderer Dank des Autors geht an Marijke Colle, Jane Kelly, Manolo Gari, Michel Husson und Michaël Löwy, die wertvolle Kommentare zur ersten Version dieses Artikels gegeben haben. Die Endfassung wird jedoch vom Autor alleine verantwortet. Übersetzung: Björn Mertens Autoverkehr in Peking: Auch in China will jeder ein Auto 16 38 Eine solche Forderung wurde Anfang der 80er Jahre von entlassungsbedrohten Arbeiterinnen und Arbeitern des Glaverbel-Konzerns in der belgischen Region Charleroi aufgestellt. Eine öffentliche Gesellschaft für die Wärmedämmung und Renovierung von Gebäuden war sogar gegründet worden, aber die Regierung hat das Projekt dann versenkt. INPREKORR 428/429 ÖKOLOGIE Nach Kyoto: Droht die neoliberale Klimaoffensive? Daniel Tanuro In der imperialistischen Welt zeichnet sich schrittweise eine Annäherung zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen des Kyoto-Protokolls ab. Einerseits hat die Europäische Union (EU) die meisten der neoliberalen Maßnahmen, die ursprünglich von Washington vorgeschlagen wurden, übernommen. Andrerseits deutet Einiges darauf hin, dass die Vereinigten Staaten sich am Ende dem Ziel anschließen werden, bezifferbare Reduktionsziele mit Fristen für deren Umsetzung festzulegen. ZWIESPÄLTIGE KYOTO-ERGEBNISSE Das 1997 unterzeichnete Kyoto-Protokoll ist ausgesprochen unvollständig und enthält zahlreiche problematische, aber auch ein paar positive Aspekte. Diese Zwiespältigkeit muss erkannt werden, wenn man die laufende Entwicklung verstehen will. Die Unzulänglichkeiten sind bekannt: • Die Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen um 5,2 Prozent unter das Niveau von 1990, auf die sich die Industriestaaten für die Periode 2008 bis 2012 verpflichtet haben, sind allenfalls ein minimaler erster Schritt. • Selbst wenn das Protokoll von allen Staaten, die es ratifiziert haben, vollständig umgesetzt würde, läge die tatsächliche Reduktion für die Gesamtheit der Industriestaaten angesichts der Nichtratifizierung durch die USA und Australien bei knapp 1,7 Prozent.1 • Kyoto strotzt vor Manipulationen, um die Anstrengungen, die unternommen werden müssten, abzuschwächen. Die drei „flexiblen Mechanismen“ erlauben Großunternehmen in den Industriestaaten und in Ländern, in denen sie ihre Niederlassungen haben, einen Teil ihrer eigenen Anstrengungen durch Investitionen in Ländern des Südens oder 1 EEA Report Nr. 8/2005, S. 9. INPREKORR 428/429 Ostens zu kompensieren oder Emissionsrechte auf dem Weltmarkt zu erwerben.2 Manche dieser Rechte – insbesondere die berüchtigten Massen „heißer russischer Luft”3 oder die „Kohlenstoffsenken“ (siehe weiter unten) – gehen mit keinerlei strukturellen Reduktionsanstrengungen einher. • Angesichts des Einverständnisses zwischen Regierungen bzw. Behörden und Unternehmerschaft (im Namen der Wettbewerbsfähigkeit) öffnet insbesondere die Gratisverteilung von Emissionsrechten für die in den Reduktionsplänen berücksichtigten Großunternehmen den Weg für Sonderregelungen aller Art. Das als Modell präsentierte europäische System des Handels mit Emissionsrechten liefert ein Beispiel für die möglichen Betrügereien und ihre Folgen: Im ersten Jahr nach Einführung des Systems verteilten die Behörden Rechte auf 1848,6 Millionen Tonnen CO2, obwohl die Emissionen der 11 500 betroffenen Unternehmen nur 1785 Millionen Tonnen betrugen. Der britische Elektrizitätssektor allein erzielte damit einen Gewinn von 800 Millionen Pfund.4 Die problematischsten Folgen von Kyoto sind: • Kyoto betrachtet die Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgas einerseits und die Kohlenstoffbindung (CO2-Sequestration) andererseits als gleichwertig. Dabei liefert aber 2 Die drei Mechanismen sind „Sauberer Entwicklungsmechanismus (Clean development mechanism, CDM)“, „Gemeinsame Umsetzung (Joint Implementation, JI)“ und „Emissionshandel (Emision trading)“. 3 Der Begriff „heiße russische Luft“ spielt auf die Höhe der Russland und der Ukraine zugestandenen Emissionswerte an, da als Bezugsjahr für Kyoto 1990 festgelegt wurde, also genau ein Jahr vor Zusammenbruch der Wirtschaft der ehemaligen UdSSR. Siehe dazu Daniel Tanuro, „Kyoto-Protokoll: Kleiner Kompromiss mit perversen Auswirkungen“, Inprekorr 394/395, September/Oktober 2004. 4 Europäische Kommission und The Economist vom 9. September 2006. nur die Senkung der Emissionen eine strukturelle Antwort auf den verstärkten Treibhauseffekt. Die meisten Sequestrationsformen wie Absorption durch die Ökosysteme (so genannte „Kohlenstoffsenken“ wie Wälder, Böden und Ozeane) und die Abscheidung von Kohlendioxid in Elektrizitätswerken (mit der späteren Speicherung des Gases, beispielsweise in gewissen Gesteinsschichten) sind dagegen bestenfalls vorübergehende Gegenmittel, um Zeit zu gewinnen.5 • Der Saubere Entwicklungsmechanismus (CDM) und die Gemeinsame Umsetzung (JI) haben einen stark neokolonialen Einschlag, denn sie erlauben dem Norden, die einfachsten, billigsten Mittel der Emissionsreduktion für sich zu beanspruchen. Diese Regelungen haben zur Folge, dass erstens die Kosten von Kohlenstoff auf dem Markt gesenkt und damit die Industriestaaten eher zum Kauf von Rechten als zum Abbau ihrer Emissionen bewogen werden, und dass zweitens die zukünftige Fähigkeit von Entwicklungsländern, ihren Ausstoß zu reduzieren, wenn sie im Zuge internationaler Verhandlungen dazu gezwungen sein werden, untergraben wird. • Die Verteilung von Emissionsquoten auf die Staaten gemäß dem Volumen der 1990 ausgestoßenen Treibhausgase (abzüglich der vereinbarten Reduktionsbemühungen) kommt de facto einer Verteilung von halbpermanenten Eigentumsrechten auf Teile der Atmosphäre gleich. Diese Verteilung sanktioniert das Entwicklungsgefälle zwischen Nord und Süd und widerspricht der Definition der Luft als Gemeingut. 5 Schätzungen über die Dauer der geologischen CO2-Speicherung variieren stark. Eine Speicherung über mehrere Jahrhunderte scheint möglich, wenn die Standorte bezüglich Undurchlässigkeit gut gewählt sind. Die Speicherung unterhalb des Meeresbodens sollte aus ökologischen Gründen ausgeschlossen werden (Acidifizierung). 17 ÖKOLOGIE Schwarzenegger bereitet sich auf die Zeit nach Kyoto vor Am 31. August 2006 haben Vertreter des US-Bundesstaates Kalifornien ein Gesetz zur Klimaerwärmung (Global Warming Solutions Act, GWSA) verabschiedet. Während Präsident Bush jede bindende Vereinbarung über die Reduktion der Emissionen ablehnt und konkrete Schritte ausschließt, solange die Entwicklungsländer nicht auch zu Maßnahmen verpflichtet werden, hebt sich der GWSA doppelt davon ab: Kalifornien beschließt, die eigenen Emissionen bis 2020 um 25 Prozent zu reduzieren, und das unabhängig von den Beschlüssen anderer Länder. Kalifornien ist nicht der erste Bundesstaat, der solche Beschlüsse fasst. Neun Staaten im Nordosten der USA haben bereits verbindliche Abbauziele und eine analoges Handelssystem wie Europa beschlossen. Seither wird die Auseinandersetzung über den Klimawandel immer heftiger geführt, insbesondere seit Katrina. Auf Bundesebene sind Gesetzesentwürfe weiter- • Im Kyoto-Protokoll gibt es keinerlei Vorkehrungen, die Bemühungen großer Entwicklungsländer zu berücksichtigen, schon heute ihre Verantwortung aus Verpflichtungen wahrzunehmen, die zukünftig auf sie zukommen werden. Diese Schwäche des Protokolls liefert den herrschenden Klassen dieser Länder einen bequemen Vorwand, so lange wie möglich fossile Brennstoffe zu verbrennen. • Die Emissionen aus dem See- und Lufttransport werden nicht berücksichtigt. hin blockiert, doch 279 Städte haben beschlossen, die Kyoto-Ziele zu erfüllen. George W. Bush steht in dieser Frage immer stärker unter Druck. Die beiden Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahlen, Hillary Clinton und John McCain, sind beide für verbindliche Reduktionsziele. Ist damit bereits eine Lösung der Klimaproblematik in Sicht? Nein. Die Verpflichtungen Kaliforniens sind in Wirklichkeit äußerst zurückhaltend. Die 25 Prozent werden anhand des Wertes an Treibhausgasemissionen bemessen, die Kalifornien ohne diese Maßnahmen im Jahr 2020 ausstoßen würde. Was so radikal klingt, hat nur zum Ziel, die Emissionen auf den Stand von 1990 zurückzuführen … und das acht Jahre nach Ablauf der im Kyoto-Protokoll festgelegten ersten Phase. Zur Verdeutlichung: Den Vereinigten Staaten wurde in Kyoto ein Reduktionsziel von 7 Prozent zugewiesen, das bis 2012 erreicht werden sollte. POSITIVE ASPEKTE Dennoch dürfen auch einige positive Aspekte des Protokolls nicht übersehen werden: • Das Protokoll stützt sich auf den Begriff der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“. Alle Nationen sind betroffen, doch die Industriestaaten, die ja zu 75 Prozent für das Problem verantwortlich sind, müssen die Hauptanstrengungen tragen und den Entwicklungsländern ihre Technologien übertragen. • Die Reduktion des Ausstoßes wird beziffert und an Fristen gebunden; „Eine unbequeme Wahrheit“ … der Kapitalismus! Im Gegensatz zum Filmspektakel „Der Tag danach“ von Regisseur Roland Emmerich ist der Klimawandel im Film „Eine unbequeme Wahrheit“ gut dargestellt. Die Bilder sind verblüffend ausdrucksstark, die Kommentare auf hohem wissenschaftlichem Niveau. Es wäre falsch, den Film zu übergehen, nur weil er das Werk eines ehemaligen US-Präsidentschaftskandidaten (gegen G.W. Bush) 18 ist oder der Medienrummel ihn ideologisch verdächtig scheinen lässt. Dass Al Gore nicht für antikapitalistische Lösungen eintritt, versteht sich von selbst. Doch jenseits dieser offenkundigen Grenzen hat der Film das Verdienst, einer breiten Öffentlichkeit das Problem der globalen Erwärmung bewusst zu machen, was den Druck auf die politischen Entscheidungsträger nur erhöhen kann. jedem Land wird ein Ziel gesetzt, das innerhalb eines gewissen Zeitraums zu erfüllen ist. • Die Flexiblen Mechanismen können nur in „Ergänzung“ zu im eigenen Land ergriffenen Maßnahmen erfolgen.6 Investitionen in Atomkraft sind zudem im Rahmen des Sauberen Entwicklungsmechanismus nicht anerkannt, und waldwirtschaftliche CDM dürfen von den Industriestaaten nur begrenzt eingesetzt werden. • Das Protokoll sieht Sanktionen vor. Erfüllt ein Land seine Reduktionsziele nicht, werden diese mit einem Strafaufschlag von 30 Prozent in die folgende Periode übernommen. Die betreffenden Länder dürfen zudem keine Emissionsrechte kaufen. EIN ABGESCHWÄCHTES ABKOMMEN BAHNT SICH AN Die Verfechter des Protokolls hoffen, dass mit diesem nur eine Bewegung eingeleitet ist, die es auszuweiten gilt. Tatsächlich ist einiges in Bewegung. Mehrere europäische Länder haben angekündigt, ihre Emissionen auf Dauer drastisch reduzieren zu wollen. Dennoch muss zwischen feierlichen Erklärungen und tatsächlich umgesetzter Politik unterschieden werden. Die EU hat beispielsweise verkündet, die Erwärmung auf unter 2° C halten zu wollen. Doch an der Ratssitzung der 25 Staats- und Regierungschefs im März 2005 wurde die entsprechende Zielvorgabe, die eine Emissionsreduktion von 60 bis 80 Prozent bis 2050 bedeutet hätte (wie dies von den UmweltministerInnen vorgeschlagen wurde), nicht angenommen. In der Presseerklärung wurde jede bindende Verpflichtung ausgeschlossen. Statt dessen hieß es, es sei eine Reduktion von 15 bis 30 Prozent bis 2020 anzustreben. Selbst für diese Spannweite müsse noch geprüft werden, „unter welchen Bedingungen einschließlich der Kosten-Nutzen-Frage das Ziel erreichbar ist“. Tatsächlich gelingt es den Indus6 Dieser Begriff „Ergänzung“ wird unterschiedlich ausgelegt: die amerikanischen Unterhändler gehen davon aus, dass 90 Prozent als „Ergänzung“ zu 10 Prozent betrachtet werden können. Fortsetzung Seite 35 INPREKORR 428/429 die internationale 3 2007 Die neue Partei Die Linke Die neue Partei Die Linke existiert. Neben Linkspartei.PDS und WASG wird sie auch einige Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und eine Mehrheit der etwa 600 aktiven verschiedener Organisationen umfassen. Die neue Partei Die Linke hat gute Chancen, sich in der Parteienlandschaft der BRD zu etablieren. Dadurch, dass alle großen Parteien in den letzten 15 Jahren nach rechts gegangen sind und in den verschiedenen Schattierungen neoliberal wurden, ist links von ihnen der Platz für eine antineoliberale oder sogar für eine antikapitalistische Partei frei geworden. Dieser Platz wird erfolgreich von der neuen Partei Die Linke besetzt werden. Sie stellt eine starke Fraktion im Bundestag, verfügt über einen beachtlichen Apparat mit entsprechenden Finanzen (fast 500 Millionen Euro für parteinahe Stiftungen!) und umfasst 73 000 Mitglieder (57 000 in Ost- und 16 000 in Westdeutschland). Wie die Wahl im Land Bremen bestätigt, wo sie 8,4% der Stimmen erreichte, hat sie Aussichten auf weitere Mitgliedergewinne und Wahlerfolge. Obwohl Die Linke über eine gewisse Anziehungskraft verfügt und die Kräfteverhältnisse innerhalb der Gesamtlinken zu ihren Gunsten ändern kann, ist sie kein „Einheitsprojekt“. Die Linke umfasst nicht einmal das ganze reformistische Spektrum, weil die DKP größtenteils außerhalb bleibt. Mit dem Austritt der Mitglieder des Netzwerks Linke Opposition (NLO) aus der WASG ist auch der Anspruch gescheitert, eine „neue Linke“ zu gründen. INPREKORR 428/429 ZUM CHARAKTER DER PARTEI, IHREN ENTWICKLUNGSMÖGLICHKEITEN UND DEN ERWARTUNGSHALTUNGEN Vor dem Hintergrund der relativen Klassenruhe in der BRD und der allgemeinen Rechtsentwicklung der politischen Landschaft (vor allem der SPD) haben die Bildung der WASG und ihr Zusammengehen mit der L.PDS bei vielen Linken den Eindruck erweckt, hier entsteht was vollkommen Neues, das die politische Landschaft umkrempeln wird. Die Illusion, hier komme politisch so viel in Bewegung, dass sich mit der Förderung dieser Partei und der Mitarbeit in Die Linke die Wirkungsmöglichkeiten der Linken qualitativ verbessern werden, ist Ausdruck eigener Perspektivlosigkeit. Vieler dieser Linken unterschätzen auch das Gewicht der vorherrschenden Apparate und der parlamentarischer Fixierung. Letztlich wird auch der grundlegende Unterschied zwischen reformistischer Orientierung und revolutionärer Praxis entweder bewusst ausgeblendet oder schon gar nicht mehr verstanden. Es muss deswegen folgendes festgehalten werden: 1. Die Bildung der neuen Partei ist keine „absolute Zäsur im politischen Koordinatensystem Deutschlands“ (isl). Sie füllt im wesentlichen den Platz aus, den die deutsche Sozialdemokratie noch vor einigen Jahrzehnten eingenommen hat, obwohl die SPD genau genommen schon zu Zeiten der Großen Koalition 196669 und in der Ära Brandt keine ArbeiterInnenpartei mehr war. Aber sie hatte damals wenigstens noch einen sozialliberalen Anspruch („sozialliberal“ im deutschen Wortsinn, im Gegensatz zu neoliberal). 2. Diejenigen, die wegen der Rechtsentwicklung der SPD die Initiative zur Bildung der WASG ergriffen haben, sind langjährige „waschechte“ SozialdemokratInnen. Sie haben sich nicht aufgrund einer starken Belebung der Klassenkämpfe radikalisiert, sondern sind linke GewerkschaftsbürokratInnen, die vor allem die beispiellose neoliberale Politik der SPD unter Schröder nicht mehr tatenlos hinnehmen wollten. Die Agenda 2010 der Schröderregierung ist schließlich der bislang schärfste Angriff einer bundesdeutschen Regierung auf die Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung seit dem II. Weltkrieg. Selbst diejenigen der InitiatorInnen, die keine BürokratInnen im engeren Sinn sein mögen, sind zumindest FunktionärInnen im Hauptamtlichenapparat der Gewerkschaften, ohne mit dem ebenfalls nach rechts gegangenen Gewerkschaftsapparat in offenem Konflikt zu stehen. 3. Schon die Namensgebung machte mehr als deutlich, worum es ihnen vorrangig ging: Um die Schaffung einer „Wahl”alternative. die Grenzen dieser Formation erkennen: • Sie ist weder von der Motivation ihrer InitiatorInnen noch von der Grundeinstellung der Mehrzahl ihrer WählerInnen eine antikapitalistische Partei. • Die Partei Die Linke wendet sich nur in ihren Sonntagsreden gegen den Neoliberalismus. Ihre Praxis, da wo sie in den Kommunen eine Stadtverwaltung beherrscht oder in dem Land Mecklenburg-Vorpommern Regierungspolitik betrieb bzw. heute noch in Berlin real Regierungspolitik betreibt, unterscheidet sie sich rein gar nicht von der anderer neoliberaler Parteien. Das geht so weit, dass bürgerliche PolitikerInnen eingestehen, dass sie den entsprechenden Sparkurs nicht so einfach (mit so wenig Widerstand) hätten durchdrücken können. Vergessen wir nicht: Bei der Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes waren SPD und PDS in Berlin der Vorreiter, nämlich das erste Bundesland, das die Ladenöffnungszeiten rund um die Uhr frei gegeben hat (dazu noch 10 Sonntage usw.). Die Liste der neoliberalen Maßnahmen unter Beteiligung der L.PDS bzw. Die Linke ist so lang, dass sich die gesamte radikale Linke darin einig ist, dass die PDS in Berlin eine neoliberale Politik betreibt. Dass Lohnabhängige auf Massenebene froh sind, endlich wenigstens mal eine nichtneoliberale Partei wählen zu können, ist vielleicht ganz erfreulich, aber wir müssen klar Am schlimmsten an dieser Konstellation sind folgende Verheerungen: 1. Die Politik der PDS ist gegen ihre eigene Basis gerichtet. Diese Mitglieder 19 die internationale Niederlage der außerparlamentarischen Bewegung viele Beteiligte demoralisiert und nach einem gemäßigten, parlamentarischen Ersatz für ihr Anliegen suchen lassen: Sie fanden die „Wahl”alternative. Wenn wir die Macht der Apparate in Rechnung stellen und wenn wir die Motivation und die fehlende Klassenkampforientierung der MacherInnen kennen, dann ist es unerheblich, ob es viele Menschen gab, die ein „offenes Projekt“ wollten. Diejenigen, die den Prozess zu jedem Zeitpunkt kontrolliert haben, wollten gerade kein „offenes Projekt“. Die WASG ist von Anfang an genauso wenig ein „offenes Projekt“ für antikapitalistische Kräfte gewesen, wie Die Linke dafür heute ein „offenes Projekt“ ist. oder WählerInnen wenden sich zunehmend von der Partei ab oder werden zumindest passiv. Die Einbindung dieser Partei in die Regierung hat den Widerstand der Lohnabhängigen, vor allem der PDS-nahen GewerkschaftsaktivistInnen gegen die neoliberale Politik insgesamt behindert und gelähmt. 2. Einige linke GewerkschaftsaktivistInnen sind ebenfalls der Illusion des „Neuen“ erlegen und haben mindestens 1-2 Jahre lang ihre Arbeit von der oppositionellen, linken Gewerkschaftsarbeit wegverlagert, rein in das innerparteiliche Gerangel in der WASG, in Gremienarbeit usw. Das Ergebnis ist niederschmetternd: Mit der WASG ist keine Klassenkampfpartei entstanden, aber diese wichtigen Kräfte haben woanders gefehlt. Sie werden auch nicht einfach folgenlos ihre Enttäuschungen wegstecken. So manche sind demoralisiert und wer- 20 den mindestens auf absehbare Zeit für eine andere politische Arbeit (oder gar politische Organisierung) kaum ansprechbar sein. 3. Die WASG hat nicht die PDS nach links (in Richtung klassenkämpferischer Politik statt Fixierung auf Regierungsbeteiligung) gedrückt und die PDS hat der WASG kein sozialistisches Programm vermittelt. Alles andere wäre auch vor dem Hintergrund der konkreten Biographien der MacherInnen aus beiden Parteien, des starken Gewichts beider Apparate (vor allem desjenigen der PDS) sowie der Gesamtausrichtung dieser beiden Teile der neuen Partei vollkommen verwunderlich gewesen. Die WASG ist ja selbst durch die Niederlage der Montagsdemonstrationen, die Hartz IV nicht verhindern konnten, gefördert worden. Während ein Sieg der Bewegung die Forderung nach einer antikapitalistischen Kraft gestärkt hätte, hat die ZWEI GRUNDFEHLER MANCHER LINKER Bei einigen der in die WASG (bzw. L.PDS) eingetretenen Linken (d. h. EntristInnen aus dem trotzkistischen Lager) herrscht die Illusion vor, mensch könne alles, was links ist, in einer Partei zusammenfassen. Hier wird nicht nur übersehen, wie groß die strategischen und taktischen Differenzen (manchmal auch Gegensätze) zwischen den verschiedenen linken Organisationen sind. Diese Organisationen verkennen auch die Bedeutung der Praxis. Gemeinsame papierene Absichtserklärungen werden als ausreichende Grundlage für den Aufbau einer gemeinsamen Partei verstanden. Da sind die ReformistInnen und selbst die Apparatschiks aus den Gewerkschaftsapparaten schon viel realistischer und wissen, wie mit „Papieren“ umgegangen werden kann. Die auseinanderstrebenden entristischen Projekte der trotzkistischen Linken müssten eigentlich spätestens im Jahr 2007 allen klar vor Augen geführt haben, wie wenig bedeutsam der eine oder andere Parteitagsbeschluss der WASG war, wenn dieser Beschluss nicht Ausdruck einer breiten gemeinsamen außerparlamentarischen Praxis ist. Zweitens wird mit dem Begriff „plural“ ein beispielloses Verwirrspiel betrieben. Die WASG war nur anfangs „plural“ solange die InitiatorInnen damit eine gewisse Mitgliederbasis gewinnen wollten, mit der klaren Absicht, die unterschiedlichen Kräfte mit der Zeit zu assimilieren. Dies ist dem Apparat bei so manchen Einzelmitgliedern gelungen und mindestens im Ansatz sogar bei einer der entristischen trotzkistischen Organisationen, nämlich dem Linksruck und tendenziell auch bei der isl (s. die neue Erklärung der isl „Unsere Arbeit in der neuen Partei Die Linke“ vom 10.6.2007). Dort wo die Assimilation nicht gelingt, wird klar auf Ausgrenzung gesetzt, denn der Formierungsprozess als sozialdemokratische Wahlpartei ist inzwischen weitgehend abgeschlossen. Der Rest des Eingliederns in diese Politikrichtung oder notfalls des Rausdrängens wird nach der offiziellen Parteigründung Mitte Juni forciert werden. Dazu sind auch die Kräfteverhältnisse inzwischen ausreichend klargestellt. Wer dies als Linker bis heute nicht begriffen hat oder begreifen will, verdrängt einfach nur die Realität. Die Faktenlage ist zu eindeutig Hinter dem Begriff „plural“ steckt letztlich auch die Vorstellung, eine solche „breite“ Partei könne einen reformistischen Ansatz mit einem revolutionären Ansatz versöhnen. Ob als Etappenmodell der Annäherung verstanden (die ReformistInnen werden darüber zu RevolutionärInnen), oder weil mensch die Unterschiede nicht als erheblich ansieht (letztlich eine programmatische Beliebigkeit, gegen die revolutionäre MarxistInnen seit je her gegenzuhalten INPREKORR 428/429 die internationale haben): Beides zeugt von ausgesprochenen Illusionen, denn in aller Regel passen sich in solchen Konstellationen die RevolutionärInnen den ReformistInnen an und zweitens ist eine Linksentwicklung von ReformistInnen grundsätzlich von der Entwicklung des Klassenkampfes (also einem deutlichen Aufschwung) abhängig und nicht von der Gremienarbeit einige Linker in einer sozialdemokratischen Parteiformation während einer Phase relativer Klassenruhe. Es kommt auf zwei Dinge an: • Die eigenständige revolutionäre Praxis entfalten, ohne die Fessel der Rücksichtnahme auf reformistische parteimäßige Formierungsprozesse. • Eine konsequente Aktionseinheitspolitik zum Aufbau einer außerparlamentarischen Opposition. Die Vorstellung (besser: die Behauptung) einiger trotzkistischer EntristInnen in der WASG (und jetzt in der neuen Partei „Die Linke“), alle Ansätze linker Politik müssen sich „gewollt oder ungewollt“ zur Politik der neuen Linkspartei in Beziehung setzen“ (isl) ist nichts anderes als eine Rechtfertigungsrede. Diese GenossInnen geben schließlich zu, dass die neue Partei letztlich hinter der neoliberalen Politik ihres Landesverbandes in Berlin und in den Kommunen steht, dass sie in keinem Fall eine antikapitalistische Partei ist, dass der Apparat undemokratisch vorgeht usw. Aber diese EntristInnen meinen, die Größe dieser Partei und ihre angebliche „Offenheit“ seien ausreichende Argumente, um in ihr zu wirken. Die Behauptung, alle müssten sich dazu in „Beziehung setzen“ impliziert: Wer außerhalb steht (und dies begründet) hat sich zwar auch in Beziehung gesetzt, sich aber auf sektiererische Weise ins Abseits gestellt. Und die Behauptung impliziert weiterhin: Au- INPREKORR 428/429 ßerhalb gibt es keine großen Möglichkeiten, wirkungsvoll Politik zu machen. Wer etwas erreichen will, muss dort drinnen aktiv sein, weil sich alle darauf beziehen, weil die Entstehung dieser Partei eine Zäsur darstellt, weil sie die erste Abspaltung von der SPD1 darstellt usw. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Die sozialen Bewegungen sind sehr wohl aktiv, ohne sich ständig auf Die Linke zu beziehen. Dies haben zuletzt die Ereignisse in Rostock bewiesen, die sichtbar von überwiegend jungen AktivistInnen geprägt wurden. Die gewerkschaftlich Aktiven werden weiterhin entweder in der Gewerkschaftslinken, in linken Gruppen und Koordinationen oder ganz einfach als Individuen in Betrieb und Gewerkschaft aktiv sein und die gewerkschaftlichen AktivistInnen, die sich in der WASG engagiert haben, werden sich dort zunehmend zurückziehen. Das ist die konkrete Beobachtung, die wir machen. Es ist gerade nicht der Effekt des sich ausbreitenden Tintenflecks entstanden. Hierzu hat schließlich vor allem die Politik der L.PDS in Berlin bei der Durchsetzung des Sparkurses gegenüber den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst beigetragen. Und wo ist die Die Linke engagiert beim gegenwärtigen Kampf der TelekomBeschäftigten? Wir meinen sehr wohl, dass eine Politik auch ohne Die Linke möglich ist, ja dringend geboten ist, denn ein Engagement in dieser sozialdemokratischen Partei wird nur noch mehr derjenigen Kräfte ver1 In Wirklichkeit kann man kaum von einer Spaltung der SPD sprechen. Es ist eher ein Erosionsprozess, bei dem zum ersten Mal seit 1982 (Austritt der Demokratischen Sozialisten) eine größere Zahl von Mitgliedern die SPD verlassen hat, um sich einer anderen Formation anzuschließen. Die Zahl ist zwar nennenswert aber dennoch beschränkt. schleißen, die für eine klassenkämpferische Politik ansprechbar sind. Wer sind z. B. die Zehntausende, die in Rostock demonstriert und blockiert haben? Beziehen sich die meisten von ihnen auf Die Linke? Mit Sicherheit nicht. EINE GEWÖHNLICHE SOZIALDEMOKRATISCHE PARTEI Die neue Partei Die Linke ist eine ganz gewöhnliche sozialdemokratische Partei. In der WASG gab es erhebliche Vorbehalte gegenüber Regierungsbeteiligungen. Ihr fehlte aber die sozialistische Perspektive. Die PDS proklamierte die sozialistische Perspektive, sitzt aber in der neoliberalen Regierung des Bundeslandes Berlin. Aus der Vereinigung ergibt sich also nicht der Ausstieg aus der bürgerlichen Regierungsbeteiligung im Namen des Sozialismus, sondern die Aufrechterhaltung der Berliner Regierungskoalition SPD-PDS bei Abschwächung des sozialistischen Ziels. Aktuelle und zukünftige Regierungsbeteiligungen sind in den „programmatischen Eckpunkten“, der inhaltlichen Grundlage der Vereinigung, d.h. sogar im Programm festgeschrieben. Damit wird der eigene neoliberale Regierungsflügel in der Partei Die Linke nicht nur geduldet, sondern sein Weg zur „Gesellschaftsveränderung“ wird parteioffiziell anerkannt. Ihre wichtigste und zurzeit einzige Regierungsbeteiligung ist die in der Bundeshauptstadt Berlin d.h. auf der provinzialen Ebene der Bundesländer. Dort stellen SPD und Die Linke die Landesregierung. Sie ist an der Umsetzung der neoliberalen Sparpolitik zur Sanierung des Haushaltes beteiligt. Die Ladenöffnungszeiten wurden verlängert, die Grundsteuer erhöht, öffentliche Dienstleistungen privatisiert, die städtische Sparkasse soll ebenso privati- siert wie weitere 6.000 kommunale Wohnungen verkauft werden. Das führte zu massiven Protesten, zu einem eigenen Wahlkampf der WASGBerlin bei den letzten Berliner Landtagswahlen und zur Gründung der BASG. Im Bundestag verzichtete die Fraktion um Lafontaine und Gysi auf eine Debatte über die Verlängerung des Bundeswehrmandats der UNO-Mission im Sudan. Damit gilt offiziell ihre Zustimmung als erteilt. Als in Rostock-Heiligendamm gegen die G 8 protestiert wurde, dann war die Video-Überwachung der DemonstrantInnen, die automatische Scannung ihrer Autos, das Abhören ihrer Handys usw. dem Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) der vorherigen Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern zu verdanken, in der bis zu ihrer Abwahl auch die Linkspartei.PDS saß. Nach der Demonstration vom 2. Juni distanzierte sich Lothar Bisky „von den gewalttätigen Auseinandersetzungen und zwar eindeutig“. Auf örtlicher Ebene ermöglichte die L.PDS in Dresden den Verkauf sämtlicher städtischer Wohnungen. In Cottbus stellte ein Wahlbündnis von CDU, FDP und PDS einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl des Oberbürgermeisters auf. Die neoliberale Politik auf Landesebene findet ihre Entsprechung in der Kommunalpolitik und umgekehrt. Die Sozialdemokratisierung der neuen Partei Die Linke wird weitergehen. 2009 stehen die Landtagswahlen im Saarland an. Dort war früher Oskar Lafontaine Chef der SPD-Landesregierung. Die Linkspartei erzielte bei der letzten Bundestagswahl im Saarland 18,5%. Wenn Lafontaine und Die Linke bei der kommenden Landtagswahl ein ähnlich gutes Ergebnis erreicht wie 2005, steht auch in Westdeutschland zum ersten Mal Die Linke vor der Frage einer Regierungsbeteiligung. 21 die internationale kretärInnen nicht einmal eine Gefahr gesehen, sondern dies für den Beweis gehalten, dass die Gewerkschaften selbst im Umbruch steckten und dort die Klassenzusammenarbeit zunehmend in Frage gestellt würde. DIE „LINKE DER LINKEN” Lafontaine hat sich bereits entsprechend zustimmend geäußert. Der Prozess der Sozialdemokratisierung der PDS ist schon seit langem bekannt. Er wurde durch die Vereinigung mit der WASG nicht gebremst, sondern beschleunigt. Zwar opponierten der linke Flügel der WASG und die WASGBerlin. Aber weder konnten sie die Vereinigung aufhalten noch deren politische Grundlage nach links drücken. Es vereinigten sich der alte, relativ große und gefestigte Parteiapparat der PDS mit der kleinen, aber taktisch versierten Parteispitze der WASG, die von einem Teil des linken Flügels der Gewerkschaftsbürokratie gestellt wird. Um sich gegen die Kritik von links abzugrenzen, zogen die GewerkschaftssekretärInnen eine anti-trotzkistische Apparatfrakti- 22 on auf, die sich „Sozialistische Linke“ nennt. Ihr gehört die Mehrheit der Mitglieder des Bundesvorstandes der WASG an. Die linken GewerkschaftsbürokratInnen haben sich nicht etwa erst in der letzten Zeit in den Vordergrund gedrängt und dann die radikale Linke in der WASG marginalisiert, sondern die GewerkschaftssekretärInnen hatten die Gründung der WASG und ihrer beiden Vorläufer initiiert. Sie kontrollierten den Parteibildungsprozess von Anfang an bis zur Vereinigung. Weder die Bastionen der radikalen Linken in der WASG-Berlin noch in Nordrhein-Westfalen konnten die Dominanz der linken Gewerkschaftsbürokratie über die WASG gefährden. Von der radikalen Linken wurde in der führenden Rolle „linker“ Gewerkschaftsse- Der größte Teil der trotzkistischen Linken und einige hundert linke Einzelpersonen stürzten sich von Anfang an auf die Wahlalternative und arbeiteten darin mit, weil sie darin die Chance zum Aufbau einer antikapitalistischen Partei bzw. einer neuen Arbeiterpartei erblickten. Mittlerweile ist Ernüchterung eingekehrt. Ein Teil dieser Linken hat die Wahlalternative vor der Fusion verlassen und das Netzwerk Linke Opposition (NLO) gebildet. Sie rechnen mit 250 UnterstützerInnen, die sich auf 500 verdoppeln sollen. Das NLO will mittelfristig eine antikapitalistische Partei als Alternative zur Partei Die Linke gründen, was aber bei dem geringen Stand der klassenpolitischen Bewegung keine großen Aussichten auf Erfolg hat. Immerhin ist es möglich, dass das NLO als Kristallisationspunkt für die Austretenden dient und sie in einer antikapitalistischen Organisation sammelt. Die entristischen trotzkistischen Organisationen sind größtenteils in der WASG bzw. Nachfolgeprojekten geblieben und unterstützen teilweise sogar die Bildung der Partei Die Linke. Dabei vertreten sie jedoch völlig unterschiedliche und widersprüchliche Projekte. Es gibt nicht den geringsten Ansatz zur Vereinheitlichung des linken Flügels in der Partei Die Linke. Im Gegenteil: Sobald sie in die WASG eintauchte, zerfiel die trotzkistische bzw. radikale Linke in eine Vielzahl taktischer Optionen, Manöver und Projekte. Sicherlich können einzelne linke Personen über eine Mit- arbeit in WASG, PDS und Die Linke ein größeres „Echo“ erzielen, in den Medien bekannt werden, auf Kongressen reden usw. Manche mögen im Bundestag, Landtag oder Kommunalparlament Mandate erlangen. Auf den Aufbau revolutionär-marxistischer Organisationen wirkt sich die Mitarbeit in Die Linke negativ und zersetzend aus. In diesem Zusammenhang ist der Begriff „Entrismus“ in den allgemeinen Sprachgebrauch der gesamten Linken und darüber hinaus von Teilen der bürgerlichen Öffentlichkeit eingegangen. Das Wort „Entrismus“ ist heute in der linken Öffentlichkeit absolut negativ besetzt. Während die trotzkistischen Organisationen „entristische“ Operationen ableugnen, werden ihnen gerade diese von der Mehrheit der Linken unterstellt und der Entrismus als manipulativ, parasitär oder „politischer Vampirismus“ kritisiert. Die „Linke der Linken“ in der Partei Die Linke ist zersplittert und in der WASG gescheitert. Es ist ihr nicht gelungen, einen linken Flügel aufzubauen, der die Partei politisch prägt. Die „Linke der Linken“ war auf dem Doppelparteitag von Dortmund weder willens noch in der Lage, einen alternativen Programmentwurf zu formulieren und einzureichen. Die Parteiführungen der PDS und der WASG haben sich mit ihren Inhalten und Konzeptionen voll durchgesetzt. Eine Folge des Scheiterns der Linken innerhalb der WASG ist die Abspaltung des NLO. Eine Bilanz ihres Wirkens hat die „Linke der Linken“ bisher nicht vorgelegt. TAKTIK UND SCHWERPUNKT DES RSB Der RSB arbeitet schwerpunktmäßig in Betrieb und Gewerkschaft und deshalb in der Gewerkschaftslinken, auf dem linken Flügel der sozialen Bewegung (Bündnis 3. Juni) und in Strukturen gegen die G8. INPREKORR 428/429 die internationale Die Entstehung der WASG war auch für den RSB eine neue politische Herausforderung, die nicht einfach durch eine Fortschreibung der bisherigen Sichtweisen und Analysen abzuhaken war. Aber gerade weil der RSB in der sozialen Bewegung gegen Hartz IV und in der Gewerkschaftslinken kontinuierlich tätig war und ist, konnte er die Unterstützung der Wahlalternative aus der Bewegung der Montagsdemonstrationen wie auch das besondere Interesse der „linken“ Gewerkschaftsbürokratie an einer neuen Partei besser einschätzen. Nicht nur wollte sich die L.PDS zu einer wirklich bundesweiten Partei aufbauen und dafür ihre Kontakte zum Gewerkschaftsapparat für die Gründung der WASG nutzen. Auch Teile der Gewerkschaftsbürokratie selbst verfolgten mit der Gründung der WASG Eigeninteressen. Weil die zentralen Apparate der IG Metall und von Verdi nicht den Angriffen der neoliberalen Offensive gewachsen sind und ihren wichtigsten politischen „Ansprechpartner“, die SPD, an den Neoliberalismus verloren hatten, versuchten sie, die SPD nach links zu drücken – nicht etwa durch die eigenen gewerkschaftlichen Kampfmittel, sondern durch die Gründung einer neuen Partei links von ihr. Das deutet auf eine tiefgehende Demoralisierung im gewerkschaftlichen Apparat hin. Ohne das „grüne Licht“ und die Duldung der zentralen Gewerkschaftsapparate von IGM und Verdi hätten die „linken“ GewerkschaftssekretärInnen niemals die Initiative zur Gründung der Wahlalternative unternehmen können – oder sie hätten ihre Stellen als Hauptamtliche im Gewerkschaftsapparat riskiert. Außerdem ermöglicht die Bildung der WASG bzw. Die Linke die Kanalisierung von Kritik, die sich an der sozialpartnerschaftlichen Politik der Gewerkschaftsführung entzündet. Sie soll auf eine außergewerkschaftliche, parteipolitische Schiene gelenkt werden. Der RSB arbeitet nicht in der WASG und in der Partei Die Linke mit. Er sieht keine Möglichkeit, in einer neu aufgelegten sozialdemokratischen Partei antikapitalistische bzw. revolutionäre Politik zu machen. Er lehnt den Aufbau einer „pluralistischen“, „antineoliberalen“ Partei Die Linke ab, zu deren „Pluralismus“ die Beteiligung an bürgerlichen Landesregierungen gehört und die dort Tag für Tag neoliberale Politik durchsetzt. Er hält es für grundsätzlich falsch, „Entrismus“ in einer sozialdemokratischen Partei zu machen. Der RSB ist zu den Diskussionen und zur Mitarbeit beim Netzwerk Linke Opposition eingeladen und beteiligt sich an seinen Debatten. Er schlägt dem NLO eine enge praktische Zusammenarbeit bei der Aufrechterhaltung der AntiG 8-Strukturen, beim Aufbau der Gewerkschaftslinken und beim Aufbau des Bündnis 3. Juni vor, das im Sommer 2006 rd. 25 000 Menschen gegen die Politik des sozialen Kahlschlags mobilisierte. Der RSB möchte mit dem NLO eine ge- meinsame Perspektive für den Aufbau einer Außerparlamentarischen Opposition erarbeiten. Dazu schlägt er weder die Taktik des Entrismus noch die der Vereinigung mit dem NLO ein, sondern die eines gemeinsamen Blocks von Organisation zu Organisation. Eine auf die Stärkung der Gewerkschaftslinken, der Mitarbeit in der sozialen Bewegung und auf den Aufbau einer Außerparlamentarischen Opposition konzentrierte Politik ist um so nötiger, als durch die Gründung der WASG und der Partei Die Linke ein sehr großer Teil aller aktiven Linken auf gesellschaftspolitische Veränderungen über Parlamente und Wahlen hofft. Umso wichtiger war die große Mobilisierung in Rostock-Heiligendamm, die zum neuen Anstoß für die außerparlamentarische Bewegung und zur außerparlamentarischen Orientierung der Linken werden kann. Politisches Sekretariat des RSB, Mannheim, 10.6.2007 G8-Blokade bei Heiligendamm: Der RSB arbeitet in Strukturen gegen die G8 INPREKORR 428/429 23 die internationale Die radikale Linke in Westeuropa Murray Smith, 6.4.2007 Seit einigen Jahren ist nun klar, dass auf europäischer oder zumindest westeuropäischer Ebene eine Reihe neuer politischer Formationen auf der Linken auftaucht. Der Prozess ist aus zwei Gesichtspunkten betrachtet ungleichmäßig. Erstens zwischen den Ländern: Einige Länder verfügen über neue politische Formationen mit verschiedenem Entwicklungsgrad, andere haben sich kaum bewegt, und es gab einige missglückte Ansätze. Aber der Prozess, der in den 90er Jahren begonnen und sich zur Jahrhundertwende beschleunigt hatte, entwickelte sich in den letzten Jahren weiter. Die Ungleichmäßigkeit ist auch eine politische: Einige der neuen Parteien sind radikaler und ausdrücklicher antikapitalistisch als andere. Dies unterstreicht nur, dass wir es mit realen politischen Bewegungen zu tun haben, die nicht vorgefassten Schemata entsprechen. Aber klar ist, dass wir es mit einer Tendenz zum Auftauchen einer neuen radikalen Linken in europäischem Maßstab zu tun haben. So unterschiedlich diese Tendenz in 24 den einzelnen Ländern auch zum Ausdruck kommt, die grundlegenden Ursachen, die diese neuen politischen Kräfte hervorbringen, sind dieselben. Wie können wir diese „radikale Linke“ definieren? Warum erscheint sie jetzt und nicht vor 20 oder 25 Jahren? Und, radikale Linke, antikapitalistische Linke, antiliberale Linke, revolutionäre Linke, ist das alles dasselbe? Eine der Debatten in Frankreich, die von außen betrachtet vielleicht etwas esoterisch scheint, aber nicht ohne Interesse ist, handelt davon, ob es eine Linke gibt oder zwei, drei oder mehr. Es gibt natürlich mehrere Linken. Es gibt Organisationen und Strömungen, die ausdrücklich revolutionär sind, es gibt Parteien und andere Kräfte, die mehr oder weniger klar antikapitalistisch sind. Es gibt eine traditionelle sozialdemokratische Linke, die nicht antikapitalistisch, aber antiliberal ist und wirklich an Reformen glaubt. Und es gibt offensichtlich die sozialliberale „Linke“. Die Grenzen zwischen diesen verschiedenen Linken sind offensichtlich nicht undurch- dringlich, Menschen bewegen sich in die eine oder andere Richtung. Das ist tatsächlich die einzige Ebene, auf der es Sinn macht, von einer einzigen Linken zu sprechen. Dennoch scheint es mir zwei Hauptscheidelinien zu geben. Die erste verläuft zwischen Strömungen, die antikapitalistisch sind – das heißt, dass sie sich klar darüber sind, dass es keinen dauerhaften Ausweg aus den Verheerungen des neoliberalen Kapitalismus gibt, ohne mit dem Kapitalismus als System zu brechen – , und denjenigen, die es nicht sind. Letztere reichen natürlich von Strömungen, die bloß die Auswirkungen der neoliberalen Politik abschwächen wollen, zu denjenigen, die sich konsequent der neoliberalen Politik widersetzen, ohne dass sie überzeugt sind, dass es eine Alternative zum Kapitalismus gibt, zumindest nicht in unmittelbarer Zukunft. Innerhalb der antikapitalistischen Linken gibt es eine Differenz zwischen denjenigen, die sich selbst revolutionär nennen, und denjenigen, die es nicht tun. Ich werde später erklären, warum ich glaube, dass diese Differenz in der Praxis weniger entscheidend ist, als viele denken. Wenn es an die Praxis geht, gibt es eine zweite und viel unmittelbarere Scheidelinie. Sie verläuft einerseits zwischen der Linken, die die Linke verlassen hat, den Parteien, die immer noch behaupten, links zu sein, und noch als solche betrachtet werden, aber konsequent neoliberale Politik machen – die britische Labour Party, die SPD, die französische Sozialistische Partei [PS] und ihre Gesinnungsgenossen in anderen Ländern – , und andererseits der Linken, die sich dem neoliberalen Konsens verweigert und von Revolutionären bis zu ehrlichen Reformisten reicht, die denken, dass es möglich sei, auf einen humaneren Kapitalismus vom Typ des Wohlfahrtstaats zurückzugehen, ohne die Grundlagen des Systems in Frage zu stellen, d.h. sie umfasst sowohl Antikapitalisten als auch Antiliberale sowie Schattierungen zwischen den beiden. Von dieser gemeinsamen Verweigerung, von diesem Widerstand, der seinen Ausdruck sowohl bei Wahlen wie auf der Straße finden kann, müssen wir ausgehen, um Kräfte für den Aufbau von Parteien umzugruppieren, die den Kapitalismus in Frage stellen werden. Dies löst nicht alle Probleme, aber es schafft einen Rahmen, worin sie im Verlauf der Aktion gelöst werden können. In den letzten Jahren haben wir Wahlerfolge von Parteien der radikalen Linken in einer Anzahl von Ländern erlebt – Dänemark, Portugal, Großbritannien, Italien, Niederlande, Deutschland. Aber die bemerkenswertesten Ereignisse auf INPREKORR 428/429 die internationale Wahlebene fanden in zwei der wichtigsten Länder Europas statt. Am 29. Mai 2005 wurde beim Referendum in Frankreich der Entwurf der Europäischen Verfassung, mit der die neoliberale Politik in Stein gemeißelt werden sollte, abgelehnt. Wenngleich der aktuelle Sieg in den Wahllokalen stattfand, war er tatsächlich vor allem die Folge einer energischen und breiten Kampagne für ein „Nein von links“, einer politischen Massenkampagne über mehr als sechs Monate. Dem französischen „Nein“ folgte einige Tage später das niederländische „Nein“, nach einer Kampagne, in der die radikale Linke ebenfalls eine bedeutende Rolle spielte. Am 18. September 2005 erreichte die Allianz aus WASG und PDS 8,7 Prozent bei der Bundestagswahl und 53 Abgeordnete, womit das ein halbes Jahrhundert währende Monopol der SPD auf die politische Repräsentanz der Arbeiterklasse im früheren Westdeutschland aufgebrochen wurde. Diese Resultate lösten eine beträchtliche Beunruhigung unter den herrschenden Klassen Europas aus, und dies sollten sie auch: Auf verschiedene Weise waren die beiden Abstimmungsergebnisse Ausdruck einer beträchtlichen, den Neoliberalismus ablehnenden Strömung in der Arbeiterklasse. Sie wurden korrekt als potenzielle Hindernisse für die „Reformen“ oder vielmehr Konterreformen betrachtet, die die herrschende Klasse für notwendig hält. Unsere Herrschenden beunruhigt, dass beide Ereignisse politischer Natur waren. Denn entgegen der ultralinken Rhetorik, die Teile der revolutionären Linken kennzeichnet, beunruhigt den Feind nicht nur oder besonders der Widerstand auf sozialer Ebene. Streiks und Demonstrationen, die gegen die eine oder andere Maßnahme protestieren, sind sie gewohnt. Außer in Ausnahmefällen machen sie dessen ungeachtet weiter. Wir gewinnen gelegentlich Schlach- INPREKORR 428/429 ten, aber bislang haben sie den Krieg gewonnen. Wir können uns jedes einzelne Land anschauen, die Bilanz der sozialen Bewegungen überprüfen und sehen, wie viele von ihnen wirklich Maßnahmen gestoppt haben. Frankreich ist zweifellos die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Der Grad des sozialen Widerstands ist wahrscheinlich der höchste in Europa gewesen. Doch er hat bestenfalls die neoliberale Agenda verlangsamt, aber nicht gestoppt. Privatisierung und Konterreformen bei Renten, Krankenversicherung usw. sind unausweichlich vorangeschritten. Ausnahmen gibt es wenige, wie die Niederlage des geplanten CIP (reduzierter Mindestlohn für junge Leute) 1994 – sogar die Streikbewegung von November/Dezember 1995 errang nur einen Teilsieg. Natürlich gab es Anfang 2006 den Sieg über den CPE – ein beträchtlicher Sieg für die Massenbewegung, aber er sollte nicht die Tatsache verbergen, dass der CPE nur ein Element in einem Arsenal von Maßnahmen zum Abbau der Arbeitsplatzsicherheit war. Natürlich, wenn es einen neuen Mai 1968 gäbe… aber das ist unwahrscheinlich und kann sicherlich nicht als eine Basis für politische Perspektiven herhalten. Und es wird oft vergessen, dass es 1968 keine glaubwürdige linke Alternative gab. Natürlich geht es nicht darum, die Bedeutung sozialer Bewegungen zu leugnen. Tatsächlich ist es für die neuen Formationen umso wichtiger, den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten außerhalb des Parlaments zu halten, je mehr Positionen sie bei Wahlen gewinnen. Aber wir brauchen Parteien, die die beiden Formen des Kampfes kombinieren. Denn ohne Politik geht den sozialen Bewegungen der Dampf aus. Deshalb ist es vollkommen steril, wenn einige Strömungen der extremen Linken unaufhörlich Appelle an die Arbei- terinnen und Arbeiter richten, „den Kampf auszudehnen und zu stärken“, ohne ihnen eine politische Perspektive zu bieten. Wenn es eine starke soziale Bewegung gibt, sollten wir bestrebt sein, ihr eine politische Perspektive zu bieten. Angesichts von Strömungen, die die Politik auf den institutionellen Rahmen reduzieren wollen, sollten wir die Bedeutung sozialer Mobilisierung betonen. Wir müssen auf beiden Füßen gehen. Große soziale Bewegungen können Auswirkungen auf der Ebene von Wahlen haben, auch wenn sie besiegt werden. Die französischen Wähler nahmen 2004 an den Wahlurnen Rache für die Niederlage der Streikbewegung von 2003. Aber das Fehlen politischer Perspektiven wird sogar siegreiche soziale Bewegungen ohne Perspektiven lassen. Trotz der Siege über die Europäische Verfassung und den CPE stehen wir bei der Präsidentschaftswahl vor einem düsteren Szenario: Sarkozy führt eine aggressive rechte Kampagne, während Royals Kandidatur die wohl rechteste der PS in der Geschichte der Fünf- ten Republik ist. So etwas wie eine französische Version von Thatcher gegen Blair. Und keine glaubwürdige Alternative auf der Linken. Ob Sarkozy oder Royal gewinnt, es wird eine neue Welle neoliberaler Angriffe geben. In dieser Situation bieten die Kräfte links von der PS das traurige Schauspiel von drei Kandidaturen, die aus der vereinten Kampagne gegen die Europäische Verfassung hervorgegangen sind, plus die unvermeidliche Kandidatur von Arlette Laguiller von LO. Die französische radikale Linke hat die wohl bislang beste Chance ausgelassen, die Grundlagen für eine neue politische Kraft zu legen. Was auch immer das Resultat der Wahlen ist und wie die verschiedenen Kandidatinnen und Kandidaten links von der PS auch abschneiden, so haben wir noch nicht alle Auswirkungen dieses Scheiterns gesehen. Natürlich kann der notwendige Wiederaufbau der Arbeiterbewegung nicht auf den Aufbau neuer Parteien reduziert werden. Ein Schlüsselfaktor und sehr oft der Schlüs- 25 die internationale selfaktor bei der Niederlage sozialer Mobilisierungen ist die fehlende Bereitschaft der Gewerkschaftsführungen, voll zu mobilisieren, sei es weil sie grundsätzlich die neoliberale Politik der sozialdemokratischen Parteien teilen, sei es weil sich ihre Vision auf den bloßen Versuch beschränkt, die Schläge zu mildern. Es ist also auch nötig, die Gewerkschaften auf einer klassenkämpferischen Basis wiederaufzubauen, in Verbindung mit neuen sozialen Bewegungen, Nachbarschaftsvereinigungen usw. Aber dies kann nicht isoliert vom Aufbau einer politischen Alternative gesehen werden. Aktivistinnen und Aktivisten, die mit einer politischen Perspektive bewaffnet sind, werden auf der sozialen Ebene effektiver sein, und Parteien mit Wurzeln in den Betrieben und sozialen Bewegungen werden besser in der Lage sein, dem Druck der Institutionalisierung zu widerstehen. Die ersten Formationen der neuen Linken entstanden um 1990. 1989 kamen mehrere Formationen zusammen, um die Rot-Grüne Allianz [Enhedslisten/De Rød-Grønne] in Dänemark zu bilden. Einige Jahre später folgte die PRC [Partito della Rifondazione Comunista], die natürlich eine substanziellere Organisation war, hervorgegangen aus einer Spaltung in der Italienischen Kommunistischen Partei [PCI]. Auf dem Höhepunkt des Tsunami des kapitalistischen Triumphalismus und des „Endes des Sozialismus“ repräsentierten diese Organisationen Punkte des Widerstands. Aber erst gegen Ende des Jahrzehnts entwickelte sich die Linke weiter. Tatsächlich waren es die Europawahlen 1999 und eine Reihe nationaler Wahlen zu ungefähr derselben Zeit, bei denen die neue Linke in einer Reihe von Ländern wirklich sichtbar wurde – in Schottland, Portugal, den Niederlanden und anderswo. Das Ergebnis der 26 LCR-LO-Kampagne in Frankreich wurde als Teil dieses Prozesses betrachtet, wenngleich sie tatsächlich ein etwas anderes Phänomen darstellte, nämlich einen Block von zwei Organisationen der extremen Linken. Seitdem sind Parteien und Bündnisse der radikalen Linken zu ernsthaften Kräften im nationalen politischen Leben mehrerer Länder geworden. Dies bringt uns auf die Frage zurück, wo die grundlegenden Scheidelinien liegen. Manche meinen, dass die grundlegende Scheidelinie heute, ebenso wie gestern und morgen, die zwischen Revolutionären und Reformisten ist. Nun ja, in letzter Instanz … Aber das Wesen des Leninismus ist die konkrete Analyse einer konkreten Situation. Und konkret haben wir heute in Europa keine revolutionäre Situation, sondern einen Abwehrkampf gegen die neoliberale Offensive mit ihren militaristischen und repressiven Aspekten als Begleiterscheinungen. Es ist eine Situation, wo die Masse der politischen Apparate diese Offensive anwendet oder begleitet, begleitet von einer ideologischen Offensive, deren Ziel es ist, nicht nur zu demonstrieren, dass der Kapitalismus der Horizont ist, über den man nicht hinausgehen kann, sondern auch, dass die neoliberale Politik die einzige ist, die innerhalb dieses Kapitalismus möglich ist. Die Aufgabe des Neuaufbaus der Arbeiterbewegung stellt sich in dieser konkreten Situation. Die wesentliche Aufgabe besteht darin, die Kräfte zusammenzubringen, die sich der neoliberalen Agenda verweigern. Einige dieser neuen Parteien sind eindeutig antikapitalistisch, nicht revolutionär nach der traditionellen Definition (der extremen Linken), aber es sind Parteien, die in den heutigen Kämpfen verwurzelt sind und eine Perspektive haben, die über den Kapitalismus hinausgeht, zum Sozialismus. Bei- spiele sind die SSP [Scottish Socialist Party] und der portugiesische Linksblock. Aber es gibt andere Parteien, die politisch weniger eindeutig sind, aber deren Schaffung einen Schritt nach vorn darstellt und in denen die revolutionären Sozialistinnen und Sozialisten intervenieren sollten, um sie weiter zu bringen. Ein Beispiel ist die neue Linkspartei in Deutschland, die antiliberal, aber weit davon entfernt ist, eindeutig antikapitalistisch zu sein, und in der radikal unterschiedliche Herangehensweisen zur Frage der Regierungsbeteiligung mit der SPD koexistieren. Die genaue Natur dieser neuen Parteien, ihr Grad der politischen Klarheit, hängt von einer Reihe von Faktoren ab – von der Geschichte und den Traditionen der Arbeiterbewegung in ihrem Land, vom Grad des Klassenkampfs und von der politischen Landschaft, von der Natur der beteiligten politischen Kräfte. Aber diese müssen wir als unseren Ausgangspunkt nehmen. Kurz- und mittelfristig steht nicht die sozialistische Revolution auf der Tagesordnung, sondern der Wiederaufbau einer politischen Vertretung der Arbeiterinnen und Arbeiter, die von den Antworten auf die Probleme ausgeht, mit denen sie konfrontiert sind. Da der Neoliberalismus die Form des real existierenden Kapitalismus ist, kann die Notwendigkeit, den Neoliberalismus zu bekämpfen, der Ausgangspunkt für neue Parteien sein. Somit kann es darum gehen, Parteien zur Verteidigung des öffentlichen Dienstes, gegen Privatisierungen, gegen Krieg usw. aufzubauen. Dennoch müssen die Parteien, da es unmöglich ist, den Neoliberalismus ernsthaft zu bekämpfen, ohne antikapitalistische Maßnahmen zu ergreifen, eindeutig antikapitalistisch werden. Wir können es so formulieren: Die Opposition gegen den Neoliberalismus kann die Grundlage für Aktionen, Al- lianzen und Fronten sein und sogar für neue Parteien – es hängt von der konkreten Situation ab. Aber tatsächlich eine antiliberale Politik anzustreben und anzuwenden, die vor Angriffen auf die Grundlagen des Kapitalismus zurückschreckt, wäre eine Sackgasse. Es macht keinen Sinn, zu vertreten, dass es möglich sei, zu einem humaneren, sozialeren Kapitalismus zurückzukehren. Noch schlimmer wäre eine Allianz mit Sozialliberalen mit der Vorstellung, sie nach links zu beeinflussen. Die Französische Kommunistische Partei [PCF] demonstrierte die Sinnlosigkeit einer solchen Perspektive von 1997 bis 2002, was die PRC in Italien nicht hinderte, in die Regierung Prodi einzutreten. Parteien, die in Bezug auf Antikapitalismus und Klassenunabhängigkeit nicht klar sind, mögen notwendige Stadien in einigen Ländern sein. Aber sie werden unstabil bleiben, solange diese Fragen nicht geklärt sind. Eine der machtvollsten Waffen im Arsenal der herrschenden Klasse ist natürlich die Litanei, der Margaret Thatcher den Weg gebahnt hat: „Es gibt keine Alternative.“ Sie sollte nicht unterschätzt werden, wenn sie von einem Chor erschallt, der das gesamte politische Establishment – einschließlich der Sozialdemokratie – und die Medien umfasst. Sie kann zur Resignation führen, zu der Vorstellung, dass alles, was getan werden kann, die Abschwächung des Laufs der Dinge ist, nicht aber seine Umkehrung. Sogar wenn er siegreich ist, bleibt sozialer Widerstand in der Defensive. Zur politischen Opposition gehört, eine Alternative vorzuschlagen. Es geht nicht nur darum zu sagen: „Wir mögen nicht, was uns geschieht“, sondern man muss auch sagen, dass etwas anderes möglich ist. Auf der Basis der Verweigerung, des Negativen können Parteien nicht in dauerhafter Weise aufgebaut INPREKORR 428/429 die internationale werden. Wenngleich wir damit beginnen können, dass wir sagen: „Ein anderes Europa/ eine andere Welt ist möglich“, müssen wir dem einen Inhalt geben. Es ist erforderlich, die Perspektive einer Alternative zum Kapitalismus, des Sozialismus, vorzuschlagen – selbstverständlich indem wir sie von der Tragödie des Stalinismus und dem Debakel der Sozialdemokratie abgrenzen. Das bringt uns zu der Frage, welche Arten von Parteien zu verschiedenen Stadien in der Geschichte der Arbeiterbewegung entstanden sind. Zu sagen, dass der Typ von Organisation oder Partei, der erforderlich ist, nicht stets derselbe ist, dass es keine ahistorischen Modelle gibt, die unabhängig von Zeit und Raum sind, ist eine Plattitüde. Die meisten Menschen stimmen dem gewöhnlich zu. Dennoch haben weite Teile der extremen Linken jahrzehntelang versucht, dass Modell der bolschewistischen Partei mechanisch zu reproduzieren, oftmals mit ganz winzigen Gruppen und unter sehr verschiedenen Umständen. Es ist möglich und meiner Meinung nach korrekt, eine Weiterentwicklung von der I. über die II. zur III. Internationale zu sehen. Es gibt eine Weiterentwicklung von recht elementaren Formen proletarischer Organisation – Gewerkschaften, politische Vereinigungen usw. – zu Arbeitermassenparteien. Und schließlich, mit der Spaltung im internationalen Sozialismus während und in der Folge des Ersten Weltkriegs, zu kommunistischen Parteien, die in einer Reihe von Ländern einen Massencharakter annahmen. Da endet dann die Weiterentwicklung. Die verhärtete reformistische Degeneration der sozialdemokratischen Parteien und der Sieg des Stalinismus warfen die Frage der Schaffung neuer Massenparteien auf. Die Frage wurde gestellt, aber nicht beantwortet. Die ungünstigen Bedingungen INPREKORR 428/429 der 30er Jahre ließen es nicht zu, und als die IV. Internationale gegründet wurde, brachte sie nur kleine Gruppen zusammen. Die Entfaltung und das Resultat des Zweiten Weltkriegs sowie der lange Nachkriegsboom schufen, auf verschiedene Weise, gleichermaßen ungünstige Bedingungen. Die trotzkistische Bewegung lebte jahrzehntelang mit der Perspektive einer Art Rückkehr des Goldenen Zeitalters, wo die berühmten „ganzen Schichten“ der Arbeiterklasse mit ihren verräterischen Führungen brechen und sich mit dem revolutionären Kern verbinden würden, um revolutionäre Massenparteien zu schaffen. Diese Haltung koexistierte oder kam in Konflikt mit periodischen Illusionen (nach 1945, nach 1968) in die Möglichkeit, dass Gruppen von einigen hundert oder bestenfalls einigen tausend Mitgliedern auf lineare Weise zu Massenparteien wachsen können. Außerdem gab es noch eine Reihe von Theorien über die erforderliche oder mögliche Vermittlung unterwegs durch „zentristische“ Parteien. Aber der Durchbruch kam nie, weder in den 30er Jahren, noch nach 1945 oder nach 1968. Die Geschichte hatte eine Ga- belung genommen und war rückwärts und seitwärts gegangen. Der vielfach benutzte Ausdruck „Umweg“ ist unbefriedigend. Er impliziert, dass es einen Hauptweg gibt, und alles, was davon abweicht, ist eben ein Umweg. Aber es gibt natürlich keinen vorherbestimmten Königsweg zum Sozialismus. Alle diesbezüglichen Illusionen sollten durch die Erfahrung der letzten zwanzig Jahre zerstreut worden sein. Als die so erwartete Scheidung zwischen den Massen und den Führungen stattzufinden begann, geschah das auf eine Weise, die niemand erwartet hatte. Um auf unseren Ausgangspunkt zurückzukehren, warum sind in den letzten 10–15 Jahren Kräfte der radikalen Linken aufgetaucht? Und warum in Europa – oder zumindest in einem Teil Europas? Wir sollten beiläufig eines klarstellen. Die Umgruppierung der Arbeiterbewegung und der Linken ist kein rein europäisches Phänomen, bei weitem nicht. Sie geschieht im Weltmaßstab – unter dem Einfluss der Globalisierung und des Zusammenbruchs der stalinistischen Staaten sowie deren Auswirkungen auf eine ganze Reihe politischer Strö- mungen: reformistischer, nationalistischer, populistischer, stalinistischer usw. Aber diese Umgruppierung geschieht nicht in jedem Teil der Welt – in Lateinamerika, Asien, Afrika oder Europa – in derselben Weise und produziert nicht dieselbe Sorte von Parteien. Es geht nicht darum zu sagen, dass das, was in Westeuropa geschieht, wichtiger oder interessanter ist als anderswo. Man braucht nur heute auf Lateinamerika zu schauen, um eine solche Vorstellung zu zerstreuen. Aber Westeuropa ist wichtig, und vor allem ist dies der Ort, wo wir uns befinden. Und es bringt Parteien hervor, die mit der spezifischen Geschichte unserer Gesellschaft verbunden sind. Wir erleben das Auftauchen einer neuen Linken in Europa aufgrund der Entwicklung der alten Linken, die mit der Wende des Kapitalismus zur neoliberalen Globalisierung und mit den Umwälzungen in den internationalen Beziehungen konfrontiert ist. Nach 1945, im Rahmen dessen, was als sozialer Kompromiss oder Nachkriegskonsens bezeichnet werden kann, wurden in einer Reihe westeuropäischer Länder Modelle des Sozial- oder Wohlfahrtsstaats 27 die internationale errichtet. Manche waren weiter vorangeschritten als andere. Aber insgesamt war das Resultat, dass Ökonomien geschaffen wurden mit einem beträchtlichen verstaatlichten Sektor, staatlicher Intervention in die Wirtschaft, freiem oder fast freiem Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung, Erwerbslosen- und Krankenversicherung, staatlicher Altersversorgung, faktischer Vollbeschäftigung und steigenden Reallöhnen. Es war ein Kompromiss, genaugenommen nicht zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie, aber zwischen den politischen und Gewerkschaftsbürokratien der Arbeiterbewegung und der Bourgeoisie. Aber dieser Kompromiss brachte der Arbeiterklasse reale Vorteile. Es war strenggenommen kein westeuropäisches Phänomen, sondern betraf auch andere fortgeschrittene kapitalistische Länder wie Australien, Neuseeland und Kanada. Somit war dieses Modell den meisten fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern eigen, in verschiedenem Ausmaß, aber mit einer gemeinsamen Grundlage, und es war möglich aufgrund ihres Wohlstands und der langen Periode kapitalistischer Expansion. Das Modell wurde von Regierungen der Rechten wie der Linken in die Praxis umgesetzt, ein Beweis dafür, dass es eine generelle Orientierung der herrschenden Klassen war. Tatsächlich war das neue Modell, wie es bei Reformen oft der Fall ist, ein Produkt sowohl des Kampfes von unten als auch von Konzessionen von oben. Jedoch betrachtete die Arbeiterklasse ihre eigenen Organisationen als die sicherste Garantie für die Bewahrung dessen, was erreicht worden war, und für die Ausweitung der gemachten Errungenschaften. Somit gab es eine Stärkung der Gewerkschaften und Parteien. Die Hauptausnahme waren natürlich die USA, wo gewiss Zu- 28 geständnisse gemacht wurden, aber wo es weder einen Wohlfahrtsstaat europäischen Zuschnitts gab, noch überhaupt eine Arbeitermassenpartei. Was nach 1945 geschah, dauerte so lange wie die beispiellose Periode kapitalistischer Expansion, bis zur Krise von 1973/74. Diese ökonomische und soziale Stabilität bildete die Basis für die politische Stabilität in der Arbeiterbewegung. Revolutionäre wurden an den Rand verbannt, als sehr kleine Minderheit. Der Nachsommer des Kapitalismus war auch das Goldene Zeitalter des Reformismus. Die traditionellen Parteien behielten die Unterstützung der Arbeiterklasse, weil sie in der Lage waren, Wort zu halten. Reformistisches Bewusstsein ist für die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht „natürlich“. Der Reformismus entstand zu allererst in Großbritannien, dann in den anderen imperialistischen Ländern gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus exakten Gründen, die darzulegen hier nicht der Raum ist. Im Zeitraum 1914–1945 wurde sein Griff ernstlich erschüttert, als es eine ganze Reihe von Revolutionen und revolutionären und vorrevolutionären Krisen in Europa gab. Aber nach 1945 wurde sein Griff so stabil, dass er sogar die Welle des Klassenkampfs in mehreren Schlüsselländern während des Zeitraums 1968–1975 überlebte. Die Arbeiterinnen und Arbeiter führten häufig Kämpfe und zeigten bisweilen revolutionäre Bestrebungen, aber sie fuhren fort, nichtrevolutionären Parteien zu folgen, welche – während sie Revolutionen blockierten (auf sehr effiziente Weise von 1968 bis 1975 in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal) – weiterhin ihre Errungenschaften verteidigten. Dies setzte dem Wachstum der revolutionären Linken objektive Grenzen. Sie wuchs tatsächlich qualitativ nach 1968, zuerst durch den Zustrom seitens der Jugend und dann seitens einer Schicht von Lohnabhängigen. Aber sie errang nie eine Massenbasis, trotz der Vielfalt angewandter Taktiken. Es ist heute zweifellos deutlicher als damals, dass es dafür im Wesentlichen objektive Gründe gab. Die Krise der 70er Jahre brachte einen Wandel in der Orientierung des Großkapitals mit sich. Die durch den Nachkriegskonsens entstandene relative soziale Stabilität wurde zu kostspielig. Angefangen mit den Angriffen von Reagan und Thatcher bis zur verallgemeinerten Offensive der letzten zwanzig Jahre im Rahmen der Europäischen Union, begann der Abbau des gesamten Nachkriegsmodells, natürlich nicht ohne Widerstand und, wenigstens bislang, nicht vollständig. Was uns hier beschäftigt, ist die von den traditionellen Parteien der Arbeiterklasse gespielte Rolle. Ohne Ausnahme traten die sozialdemokratischen Parteien der neoliberalen Offensive bei. Sie „begleiteten“ sie nicht bloß, sie wandten diese Politik an, oftmals mit Eifer. Es ist schwer, zwischen Aznar und González, Major und Blair, Jospin und Juppé einen grundlegenden Unterschied zu finden. Manchmal waren die Sozialdemokraten, wie Schröder in Deutschland, sogar mutiger als die Rechte bei der Verteidigung der Interessen der Bourgeoisie. Somit begannen die objektiven Grundlagen für die Loslösung der Massen von den reformistischen Apparaten zu existieren. Aber da das wirkliche Leben stets reichhaltiger ist als die besten theoretischen Projektionen, war dies nicht der Fall, weil die Massen nach links gegangen waren und mit den Reformisten gebrochen hatten, sondern weil die Reformisten nach rechts gegangen waren und die Arbeitenden preisgaben. Somit ist zuerst, und noch in einem großen Ausmaß heute, ein gewisser Raum geschaffen worden, der nicht unmittelbar besetzt worden ist. Wie John Rees von der britischen SWP schrieb, „fühlen Millionen von Arbeitern, dass ihnen ihre traditionelle Heimat weggenommen wurde, und sind sich über die Alternative nicht im Klaren“. Die „traditionelle Heimat“ ist in Großbritannien natürlich die Labour Party, aber was damit zum Ausdruck kommt, gilt gleichermaßen für andere Länder. Was könnte den so frei gewordenen Raum besetzen? Hier ist das Vokabular von Bedeutung: Es geht darum, einen Raum zu besetzen, was politische Initiative verlangt, und nicht bloß ein Vakuum zu füllen, was ein automatischer Prozess ist. Eine Reaktion, die eine Zeit lang in Frankreich offensichtlich war, bestand darin, vor der Politik zu fliehen und sich auf soziale Bewegungen und gewerkschaftliche Aktionen zu beschränken. Aber die Erfahrung betont nur die Notwendigkeit der Politik. Welche politischen Kräfte könnten nun diesen Raum füllen? Schauen wir auf die Möglichkeiten. Erstens, linke Abspaltungen von der Sozialdemokratie. Nun, was insgesamt auffällt ist das Fehlen oder die extreme Schwäche strukturierter linker Oppositionen in den sozialdemokratischen Parteien als Reaktion auf ihre sozialliberale Entwicklung. Es gibt zumindest zwei Ausnahmen. Erstens gab es in den 80er Jahren eine wirkliche Linke in der Labour Party, die gebrochen werden musste, damit die Partei wieder zu einem verlässlichen Instrument für die herrschende Klasse werden konnte. Dies wurde von Kinnock erledigt, vor dem Hintergrund der von Thatcher auferlegten Niederlagen. Dies hat den Blairismus ermöglicht. Eine linke Abspaltung von Labour und die Schaffung einer neuen Partei wären in den 80er Jahren vielleicht möglich gewesen. Der einzige, späte, Versuch, die Lancierung der SLP [Socialist Labour Party] 1995, traf auf ein reales Echo und wurde INPREKORR 428/429 die internationale durch Scargills Sektierertum und Stalinismus ruiniert. Zweitens haben in Frankreich linke Strömungen weiter in der PS existiert. Dies hat gewiss zu tun mit dm relativ hohen Grad des sozialen Widerstands gegen den Neoliberalismus in diesem Land. Einige dieser Strömungen, insbesondere die PRS-Strömung („Für eine soziale Republik“) von Jean-Luc Mélenchon, demonstrierten während der Kampagne zum Referendum über die Europäische Verfassung ihre Fähigkeit, konkret gegen den Neoliberalismus zu agieren. Sie können potenzielle Komponenten beim Entstehen einer neuen politischen Kraft sein, wenn eine solche entsteht. Aber es ist unwahrscheinlich, dass sie die Initiative ergreifen. Angesichts des Scheiterns, eine solche Kraft aus der Kampagne zum Referendum hervorgehen zu lassen, haben sie, zumindest für den Moment, den Rückzug in die PS angetreten. Entscheidend ist, dass nirgendwo der durch die Sozialliberalisierung der Sozialdemokratie geschaffene Raum einfach von linken Abspaltungen dieser Parteien besetzt worden ist. Es ist wichtig, präzise zu sein. Es gibt einen Unterschied zwischen organisierten Strömungen dieser Parteien (wie in Frankreich) und Individuen und kleinen Gruppen, die in ihnen bleiben oder nirgendwo speziell hingehen, aber womöglich für eine neue politische Kraft verfügbar bleiben, bspw. in Deutschland und in einem weit geringerem Ausmaß in England. Es ist sicher, dass es noch ehrliche Aktive in den sozialdemokratischen Parteien Europas gibt. Von dem Moment an, in dem diese Parteien eine neoliberale Politik machen, stehen sie vor einer Entscheidung. Den neuen Kurs mitmachen; sich von Politik zurückziehen oder nur noch gewerkschaftlich aktiv sein; anderswo hingehen, aber wohin? Die Kommunistischen Parteien INPREKORR 428/429 sind in der Krise. Die extreme Linke ist zu oft gekennzeichnet durch Minderheitenaktivismus und ein ideologisches Herangehen an Politik. So entscheiden sich manche zu bleiben. Aber sie stellen im Allgemeinen keine organisierten linken Strömungen dar. In Deutschland wurde die WASG von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern geschaffen, die auch Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der SPD waren, aber sie tauchten in der Partei nicht als organisierte Strömung auf. Lafontaines Beitritt half, die neue Partei zu einem Anziehungspol für enttäuschte SPD-Anhänger zu machen. Aber auch er führte keine organisierte Strömung aus dieser Partei heraus. Dann gibt es die Kommunistischen Parteien. Bereits geschwächt durch den Misskredit des sowjetischen Modells und durch ihre jeweilige nationale Politik, wurden sie durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks frontal geschlagen. Es hat in der extremen Linken eine Tendenz gegeben, dass die KPs unausweichlich verurteilt sind zu verschwinden oder zu Satelliten der Sozialdemokratie zu werden. Fünfzehn Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Verschwinden der UdSSR scheint es, dass dieser Prozess länger und komplizierter ist. Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren sie die Mehrheitsparteien der Arbeiterklasse in mehreren Ländern. In den 80er Jahren war nur die PCI in dieser Situation. Die PCF wurde durch die PS unter Mitterrand zu einer sekundären Rolle reduziert, und in Griechenland, Portugal und Spanien war nach dem Sturz der Diktaturen die Sozialdemokratie als dominant hervorgegangen, trotz der antifaschistischen Bilanz der KPs. Es waren somit bereits geschwächte oder sich in der Krise befindliche Parteien, die vom Zusammenbruch der Sowjetunion betroffen waren. Die kleinsten wurden wirklich randständig und manche befanden sich dicht vor dem Untergang. Aber diejenigen mit Massencharakter überlebten, und eine gründliche Analyse ihrer Entwicklung ist erforderlich. Die Mehrheit der PCI, die wichtigste Arbeiterpartei in einem Land, in dem die Sozialdemokratie schwach war, wurde in die Linksdemokraten [DS], eine Mitte-LinksFormation, verwandelt. Es ist der einzige Fall, wo die Tendenzen der Sozialdemokratisierung der KPs, die überall am Werk waren (und es noch sind), sich vollständig durchsetzten. Anderswo bewahrten Parteien wie die PCF und die KPs in Griechenland und Portugal einen Massencharakter. Man kann nicht sagen, dass diese Parteien auf konsequente Weise die Interessen der Arbeiterklasse verteidigen, aber sie sind auch nicht einfach zum Neoliberalismus übergegangen. Die PCF beteiligte sich an der sozialliberalen Regierung Jospin und wurde dafür bei den Wahlen von 2002 hart bestraft. Aber sie kam mit einer Linkswende und einer Einheitstaktik zurück, was sie befähigte, bei der Kam- pagne zum Referendum eine zentrale Rolle zu spielen und ein Element zu werden, das bei den Debatten darüber, was nach diesem Sieg [beim Referendum] zu tun sei, nicht umgangen werden konnte. Die KPs in Portugal und Griechenland kombinieren ein skandalöses Sektierertum mit einem Opportunismus, der bisweilen peinlich ist, aber es sind keine neoliberalen Parteien. Es muss daran erinnert werden, dass die KPs stets eine aktivere und militantere Basis hatten als die sozialdemokratischen Parteien. Heute ist die PCF von der PS bezüglich der Wahlen marginalisiert worden und steht auf diesem Terrain in Konkurrenz zur extremen Linken. Aber ihr Einfluss an der Basis ist noch bedeutend und steht in keinem Verhältnis zu ihren landesweiten Wahlergebnissen. Wesentlich ist, dass die KPs mit Masseneinfluss nicht zusammengebrochen oder einfach der Sozialdemokratie beigetreten sind. Wir können mit der Hypothese arbeiten, dass sie nicht einfach verschwinden werden, nicht einmal automatisch mit dem 29 die internationale Auftauchen einer neuen radikalen linken Kraft. Je nach der Situation werden sie einen Teil von ihr bilden oder sie werden sich spalten und ein Teil von ihnen wird sich so verhalten, oder sie werden eine sektiererische Haltung bewahren und wahrscheinlich nach und nach marginalisiert werden. Aber nirgendwo, wo diese Parteien eine Kraft repräsentieren, werden wir neue Parteien aufbauen, ohne uns mit ihnen und ihren Aktiven auseinanderzusetzen. Kehren wir zurück zur Art der Distanz zwischen den sozialdemokratischen Parteien und ihrer traditionellen sozialen Basis. Wir haben gesagt, dass es anfänglich nicht die Massen waren, die sich bewegt haben, sondern die Parteien, die ihre soziale Basis auf dem Trockenen gelassen haben. Somit entwickelte sich am Anfang die Ablehnung des Neoliberalismus ohne politische Vertretung. Sie wurde von den fortgeschrittenen Schichten durch sozialen Widerstand ausgedrückt, manchmal durch das Auftauchen neuer sozialer Bewegungen und durch eine Ablehnung oder Vermeidung von Politik. Diese Ablehnung wurde auf einer Massenebene ausgedrückt, durch den Anstieg der Wahlenthaltung in Arbeitervierteln und dadurch, dass viele andere Lohnabhängige 30 einfach für die Sozialdemokratie als ein kleineres Übel stimmten. Erst später und allmählich wurde das Fehlen einer politischen Alternative empfunden. Für diejenigen, die eine politische Alternative zum Neoliberalismus vorschlagen wollen, geht es darum, die Menschen aufzusuchen, wo sie sich befinden, das heißt von ihrer Ablehnung des Neoliberalismus auszugehen und ihnen eine politische Perspektive zu weisen. Neben Kräften, die aus der Sozialdemokratie oder den KPs kommen, gibt es andere Kräfte, die Bestandteil von neuen Parteien sein werden – Ökoaktivisten, Gewerkschafter, Aktivisten für globale Gerechtigkeit usw., und es gibt auch die Strömungen der extremen Linken. Die „traditionellen“ Gruppen der extremen Linken können wegen einer Anzahl von Gründen als solche keine Alternative bilden. Die Zehnund Hunderttausende von Menschen, die auf der Suche nach einer politischen Alternative sind, werden nicht direkt für ein revolutionäres Programm gewonnen werden. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass viele Gruppen der extremen Linken Funktionsweisen bewahren, die Aktiven aus anderen Traditionen und gewöhnlichen Werktäti- gen zuwider sind. Sie müssen deshalb mit anderen antikapitalistischen und antiliberalen Kräften zusammenarbeiten, um Koalitionen, Fronten, Parteien zu bilden. Manche Revolutionäre argumentieren, dass es unmöglich sei, Reformisten und Revolutionäre in einer Partei zu vereinigen, und dass es „strategische Differenzen“ gebe. Aber was trennt jene, die sich als Revolutionäre definieren, tatsächlich von anderen Sozialisten? Zwei Dinge. Erstens verstehen sie, dass man nicht einfach den Apparat des kapitalistischen Staates übernehmen und für den Übergang zum Sozialismus benutzen kann. Zweitens weisen insbesondere die trotzkistischen Gruppen ein solides theoretisches Erbe auf, das, in einer nichtdogmatischen Weise angewandt, noch immer weitgehend relevant ist. Nichts davon hindert sie daran, mit anderen, die diese Charakteristika nicht aufweisen, in Parteien zusammenzuarbeiten. Es ist für viele Aktive, die sich nicht als Revolutionäre verstehen und nicht Mitglieder einer Gruppe sind, vollkommen möglich, und kann in der Praxis verifiziert werden, ein klassenkämpferisches Herangehen zu haben, das sich bspw. oft auf ein Verständnis erstreckt, dass es falsch sei, in sozialliberale Regierungen einzutreten. Der Ausdruck „strategische Differenzen“ zwischen Reformisten und Revolutionären könnte implizieren, dass sowohl Revolutionäre als auch Reformisten eine Strategie haben. Das ist sehr fraglich. Von welchen Reformisten sprechen wir? Wenn es die Sozialliberalen sind, so haben sie keine Strategie für den Übergang zum Sozialismus, sie teilen die Strategie der Kapitalisten, der sie bestenfalls einen sozialen Anstrich verleihen. Wenn es die Antiliberalen sind, so meine ich, dass es sehr fraglich ist, ob bspw. die PCF eine Strategie hat. Das Schwanken zwischen der Mobilisierung gegen neoliberale Politik und der Zusammenarbeit mit der PS ist kaum eine Strategie. Was die Revolutionäre betrifft, so machen Klarheit über den Charakter des bürgerlichen Staates, ein Verständnis für die Notwendigkeit außerparlamentarischer Mobilisierungen und Selbstorganisation sowie ihr theoretisches Erbe noch keine Strategie. Keine revolutionäre Organisation in Westeuropa hat eine, und zwar aus einem sehr guten Grund. Wir arbeiten in fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern mit einer langen Tradition bürgerlicher Demokratie, und keine sozialistische Revolution hat jemals in einem solchen Land stattgefunden. Für den Erfolg einer solchen ist es vernünftig anzunehmen, dass eine Massenpartei aufgebaut werden muss und dass diese Partei parlamentarische und außerparlamentarische Arbeit zu kombinieren und eine Reihe taktischer Probleme im Verlauf dieser Erfahrung zu lösen hat, Probleme, die in einigen Fällen erst sich zu stellen begonnen haben. Die Debatte, die in der LCR auf den Seiten von Critique Communiste und anderswo begonnen hat, unterstreicht dies. Sie wirft viele Fragen auf und kann fruchtbar sein. Aber das Resultat wird nicht darin bestehen, dass die LCR eine Strategie haben wird, um uns INPREKORR 428/429 die internationale vom Heute zur sozialistischen Revolution zu bringen. Es ist zu hoffen, dass sie eine bessere Vorstellung haben wird von der Art der Partei und der Art der Taktik, die kombiniert werden müssen, um eine solche Strategie mit Hilfe der Praxis auszuarbeiten. Es gibt deshalb keinen Grund, warum revolutionäre Marxistinnen und Marxisten nicht mit anderen Aktiven in einer Partei arbeiten können, die den real existierenden Kapitalismus bekämpft und versucht, eine sozialistische Alternative zu skizzieren, um diese Probleme zusammen zu lösen. Insbesondere da wir uns in einer Phase des Widerstands gegen eine kapitalistische Offensive und des Kampfes für Reformen befinden. Reformismus und revolutionäre Politik mögen Gegensätze sein, aber Reform und Revolution sind es nicht – sie sind, wie Rosa Luxemburg vor langer Zeit hervorgehoben hat und wie Claudio Katz kürzlich betont hat, zwei Phasen des Klassenkampfs. Bestehende revolutionäre Organisationen können einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau neuer Parteien leisten, aber es gibt keine Garantie dafür, dass sie es tun werden. Die Erfahrung hat sowohl Beispiele gezeigt, wo die extreme Linke den entscheidenden oder einen bedeutenden Beitrag zum Aufbau neuer Parteien geleistet hat (Schottland, Portugal, Dänemark), als auch andere, wo sie durchweg dabei versagt hat (Frankreich…), sowie den Fall England, der zwischen diesen beiden Polen steht. Das Problem ist, dass, um solch einen Beitrag zu leisten, diese Organisationen sich in mehrerer Hinsicht ändern müssen. Sie müssen eine Mentalität hinter sich lassen, die entstanden war, als sie revolutionäre Minderheiten waren, die mit bürokratischen Apparaten konfrontiert waren, wobei sie sich als den Kern künftiger Massenparteien betrachteten, mit der INPREKORR 428/429 Vorstellung, dass jeder und jede für ihre Politik gewonnen werden musste. Dieses Herangehen war immer mangelhaft; es ist ganz und gar unpassend für eine Periode, in der es darum geht, dass neue Massenparteien mit anderen Kräften auf einer Basis der Gleichberechtigung aufgebaut werden und dass die Revolutionäre die Tatsache berücksichtigen, dass sie womöglich von diesen anderen Kräften wirklich etwas lernen können. Es gibt auch eine grundlegende Frage, die die größeren revolutionären Organisationen betrifft. Wenn sie zum Aufbau neuer Parteien beitragen, müssen sie aufhören, als unabhängige Gebilde zu existieren, und stattdessen Strömungen innerhalb dieser Parteien werden. Das ist ein großer Schritt, wenn man eine beträchtliche Organisation und einen Apparat (Presse, Druckerei, Büro usw.) aufgebaut hat, und es gibt einen gewissen Konservatismus, eine gewisse Zurückhaltung, Risiken einzugehen. Das ist vollständig verständlich, aber spielt eine negative Rolle. Bei dem gegenwärtigen Stand sind die fortgeschrittensten Parteien der radikalen Linken in Europa wahrscheinlich die SSP in Schottland, der portugiesische Linksblock und die dänische Rot-Grüne Allianz. Diese Parteien sind klar antikapitalistisch, für den Sozialismus. Es sind Parteien, die sich erfolgreich in den sozialen und politischen Kämpfen ihrer Länder verankert haben, indem sie ein Bild und eine Vision von Sozialismus dargeboten haben, das mit Stalinismus und Sozialdemokratie bricht. Und sie haben erfolgreich Parteien aufgebaut, die, wenngleich sie noch keine Massenparteien sind, doch ein Massenpublikum haben, und es ist ihnen gelungen, bei Wahlen Positionen in Parlamenten und kommunalen Räten zu gewinnen. In Schottland und Portugal wurde die Initiative für neue Parteien von re- volutionär-marxistischen Organisationen ergriffen – SML in Schottland, UDP und PSR in Portugal –, die erstens den Willen und dann genug Gewicht hatten, um diese Rolle zu spielen und andere Bestandteile (in Portugal aus der KP, in Schottland aus verschiedenen Ursprüngen) anzuziehen, die allein diese Initiative nicht hätten ergreifen können und deren Kräfte andernfalls zweifellos zerstreut worden wären. Diese Organisationen sind ganz ausdrücklich antikapitalistisch und sie haben das Potenzial zum Wachstum, was zukünftige Umgruppierungen nicht ausschließt. Aber es gibt andere Fälle, wo der Bogen der Organisationen weiter ist und die Politik weniger in einem antikapitalistischen Sinn definiert ist. Das ist am deutlichsten in Deutschland der Fall. Wenn diese Parteien breite Kräfte umfassen, kann es sein, dass nicht nur die Revolutionäre, sondern auch konsequente Antikapitalisten in der Minderheit sein werden und scharfe Auseinandersetzungen zu führen sind. Es geht hier nicht darum, eine erschöpfende Liste der gesamten europäischen radikalen Linken aufzustellen, sondern einige spezifische Fälle zu betrachten. Wir haben gesagt, dass die fortgeschrittensten Fälle jene sind, bei deren Entstehung die revolutionären Marxistinnen und Marxisten eine führende Rolle spielten. Dies sind keine Modelle, denen unabhängig von den nationalen Bedingungen sklavisch zu folgen wäre, sondern Beispiele erfolgreicher Initiativen. Es gibt offensichtlich andere Fälle, andere Typen von Parteien, Fehlschläge und halbe Erfolge. Schauen wir uns einige davon an. In England hat der Aufbau einer Kraft der radikalen Linken Fehlschläge und halbe Erfolge erfahren – das Scheitern der SLP, die Erfahrung der Socialist Alliance, die nicht ihr gesamtes Potenzial erfüllte. Die Schaffung von Respect kennzeichnete ein neues Stadium. Respect ist das Produkt der Antikriegsbewegung, nicht in dem Sinne, dass es alle Kräfte dieser Bewegung einbezog, sondern in dem Sinne, dass die Kräfte, aus denen Respect besteht, in dieser Bewegung anfingen zusammenzuarbeiten. Wenngleich die politische Hauptkraft die SWP ist (die Sektion der IV. Internationale ist ebenfalls darin präsent), ist das Element, das Respect von der Socialist Alliance qualitativ unterscheidet, die Beteiligung bedeutender Kräfte, die aus der muslimischen Bevölkerung kommen. Dies hat zu mancher Kritik in England und zu viel Kritik in der französischen Linken geführt, deren Bilanz ihrer Beziehung zur muslimischen Bevölkerung sie kaum dazu berechtigt, jeman- 31 die internationale dem diesbezüglich irgendwelche Lehren zu erteilen. Es ist wahr, dass die meisten der Regionen, in denen Respect seine besten Resultate erzielte, bedeutende muslimische Bevölkerungen aufweisen, die stark in der Antikriegsbewegung engagiert waren. Doch ist klar, dass das Programm von Respect sich nicht nur an Muslime richtet und nicht nur über den Krieg spricht, sondern auch über soziale Fragen (die auch Muslime betreffen…). Die Bezugnahmen von Respect auf den Sozialismus sind mehr als vage (dies scheint seitens der SWP beabsichtigt zu sein), aber Respect ist eindeutig gegen den real existierenden neoliberalen Kapitalismus, und dies ist ein guter Ausgangspunkt. Das wirkliche Problem liegt anderswo. Es scheint, dass es die Politik der SWP ist, Respect als lockeres Bündnis zu bewahren, trotz solcher Äußerungen wie der von John Rees am Ende der Veranstaltung „Marxism 2005“, wonach „Respect eine Massenpartei der Arbeiterklasse werden muss“. Als Resultat hat sich das Programm von Respect nicht sehr entwickelt und die interne Demokratie lässt eine Menge zu wünschen übrig. Respect scheint nicht zu wachsen und insbesondere keine ernsthafte gewerkschaftliche Unterstützung anzuziehen. Es muss eine wirkliche Partei werden, mit einem Programm und mit demokratischen Strukturen und einem Respekt für den Pluralismus. Die von der „Respect Party Platform“ und von Socialist Resistance diesbezüglich geleistete Kritik ist richtig. Die PRC in Italien ist eine Partei von Zehntausenden Mitgliedern mit einer bedeutenden Gruppe von Abgeordneten. Sie bleibt stark durch ihren Ursprung in der PCI gekennzeichnet, aber war fähig, bedeutende Kräfte aus der extremen Linken wie auch viele neue Mitglieder zu integrieren und sich mit der Bewegung für 32 globale Gerechtigkeit zu verbinden. Ihre nahe bevorstehende Degeneration wurde oft von denjenigen angekündigt, die auf solche Vorhersagen spezialisiert sind. Aber bis 2004 ging ihre Entwicklung generell nach links und zu einem – nicht kompletten, aber realen – Bruch mit der stalinistischen Kultur. Doch in der Folge hat sie sich nach rechts entwickelt und ist der Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi beigetreten. Dies hat zu starken Spannungen und einer Krise in der Partei geführt, was ihrem linken Flügel eine große Verantwortung auferlegt. Ein besonderer Fall ist der der Sozialistischen Partei [SP] in den Niederlanden. Sie ist, was ihr Name nicht notwendigerweise nahelegt, eine Formation der radikalen Linken. Sie war ursprünglich eine maoistische Gruppe, die in den 80er Jahren die Entscheidung traf, eine breite sozialistische Partei aufzubauen. Sie spielte eine führende Rolle beim Sieg des „Nein“ beim Referendum über die Europäische Verfassung. Die SP behauptet heute, dass sie 50000 Mitglieder hat. Sie hat im letzten Jahr große Gewinne bei lokalen und nationalen Wahlen erzielt und verfügt über 25 Abgeordnete in einem Parlament von 150 Abgeordneten. Mit einer solchen Entwicklung des Kräfteverhältnisses beginnt sich das Problem des Übergangs von einer radikalen Opposition gegen den Neoliberalismus zu der Notwendigkeit, eine Alternative dazu zu repräsentieren, zu stellen, ohne es zu lösen. Die SP hat sich entschieden, ihre Bereitschaft zu regieren zu verkünden, vorzugsweise in einer Koalition mit den Sozialdemokraten, möglicherweise aber auch mit den Christdemokraten, wenngleich nicht zu allen Bedingungen. Sie ist deshalb außerhalb der sozialdemokratisch-christdemokratischen Regierungskoalition geblieben. Aber welche Kritik man auch immer gegen die SP vorbringen kann, ihr Erfolg unterstreicht eines: Wenn man die Sozialdemokraten ernsthaft als die erste Partei der Linken (wie es der Fall ist) herausfordert, ist es ganz unmöglich die Frage der Regierungsbeteiligung zu umgehen, und man muss klar sagen, warum man nicht in die Regierung gehen wird und unter welchen Bedingungen man es tun würde. Bedeutende Entwicklungen finden nun in einem Schlüsselland statt, in Deutschland. Seit der Vereinigung des Landes hat die PDS den Widerstand eines großen Teils der Bevölkerung der ehemaligen DDR gegen die Folgen der Restauration des Kapitalismus verkörpert. Diese Partei hat viele Mängel – sie nimmt an regionalen Koalitionsregierungen mit der SPD teil; ihre Kader bleiben im Wesentlichen jene der alten Einheitspartei SED. Sie erhält jedoch weiterhin eine bedeutende Unterstützung in der Ex-DDR. Aber ihre besondere Geschichte bedeutet, dass die PDS nie in bedeutender Weise im Westen Fuß gefasst hat, worin die Bedeutung des Auftauchens der WASG liegt: Das Bündnis erhielt 8,7 Prozent der Stimmen und 53 Abgeordnete bei der Bundestagswahl im September 2005. Die endgültige Fusion von WASG und PDS steht für Juni an. Es handelt sich keinesfalls um eine antikapitalistische Kraft, aber sie ist eindeutig antiliberal. Und so wie die SSP und der Linksblock fortgeschrittene Beispiele sind, so bestimmen auch die Kräfte, die die neue Partei lanciert haben, ihren politischen Inhalt, aber in Richtung auf seine Beschränkung auf einen linkskeynesianischen Reformismus. Wesentlich ist jedoch, dass sich etwas in einem Raum bewegt, der zuvor eine politische Wüste war, und dass diese Partei auf ein wirkliches Echo bei Arbeiterinnen und Arbeitern stößt. Die Bestandteile der extremen Linken in Deutschland, die sich daran beteiligen, tun dies zu Recht. Gewiss ist Frankreich das Land, wo der Widerspruch zwischen dem hohen Grad sozialen Widerstands – aber auch politischen Widerstands, wie sich bei der Kampagne zum Referendum zeigte – gegen den Neoliberalismus und dem Fehlen einer breiten antikapitalistischen Kraft am offensichtlichsten ist. Die NeinKampagne wurde von einer breiten Koalition durchgeführt, mit einer Bewegung aus Hunderten von Einheitskollektiven, die bis zu 15000 Menschen umfassten. Im Vorfeld der Wahlen von 2007 erwachten sie zu neuem Leben und dehnten sich aus, wobei sie programmatische Dokumente verabschiedeten und Kandidaten bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen aufstellen wollten. Aber zuerst zog sich die LCR zurück, um ihren eigenen Kandidaten zu präsentieren, und anschließend machte die PCF einen plumpen Versuch, ihre Generalsekretärin zur Präsidentschaftskandidatin küren zu lassen, was die Bewegung verweigerte. Das führte zu scharfen Konflikten und Krisensituationen in LCR wie PCF und warf die Bewegung ernsthaft aus der Bahn. Der Versuch, diese Situation durch die Kandidatur von José Bové zu überwinden, ist löblich, aber vielleicht zu beschränkt und zu spät. Doch ist die Bewegung für die Einheit der antiliberalen Linken nicht tot und wird in der kommenden Periode wieder auftauchen. Und welche Resultate ihre Kandidaturen auch immer erzielen, die Konflikte in LCR und PCF sind nicht vorbei. Es besteht kein Zweifel, dass die LCR für diese Situation einen Teil der Verantwortung trägt. Prinzipiell ist sie auf die Perspektive des Aufbaus einer neuen antikapitalistischen Kraft orientiert. Doch schon vor den Wahlen hatte sie nie Erfolg, weder bei der Konkretisierung dieser Perspektive, noch beim Ergreifen einer Initiative, die auch nur ein we- INPREKORR 428/429 die internationale nig ernsthaft ist. Die Gründe, die dafür vorgebracht werden – die objektive Situation und politische Hindernisse –, sind sehr fraglich. Es gibt eine Koordination antikapitalistischer Parteien, die Europäische Antikapitalistische Linke (EAL), deren Koordinationsgruppe aus der SSP, dem Linksblock, der RotGrünen Allianz und der LCR besteht. Es gibt auch die Europäische Linkspartei (ELP), die einige der ehemaligen KPs (und einige, die es immer noch sind) und linksreformistische Parteien zusammenbringt, die nicht notwendigerweise sehr radikal sind – nicht neoliberal, aber nicht wirklich unabhängig von der Sozialdemokratie. Aber die Grenzen zwischen diesen beiden internationalen Strömungen sind nicht undurchlässig. Die PRC und das griechische Bündnis Synaspismos sind Teil der ELP, aber haben manchmal als Beobachter an Versammlungen INPREKORR 428/429 der EAL teilgenommen. Der Linksblock ist jetzt auch Mitglied der ELP, ebenso Respect. Wenngleich es gewiss die EAL ist, dass die aufzubauen ist, ist es auch erforderlich, eine flexible Beziehung zu Bestandteilen der ELP zu bewahren. Und es gibt jetzt eine Initiative der niederländischen SP, welche weder der EAL noch der ELP angeschlossen ist, im Sommer eine internationale Versammlung einzuberufen. Was radikale Linke genannt wird, umfasst also sehr unterschiedliche Realitäten. Wir können sie so definieren, dass sie aus allen Kräften und Strömungen besteht, die sich dem Neoliberalismus verweigern. Zu ihr gehören Parteien, die explizit antikapitalistisch sind, aber es gibt nicht immer eine klare Trennlinie zwischen antikapitalistisch und antiliberal. Zwischen eher allgemeinen antikapitalistischen und sozialistischen Bezugnahmen und der Integration der antikapi- talistischen Dimension in das Alltagsleben der Parteien kann ein gewisser Abstand und sogar eine Reihe von Situationen liegen. Das Endziel ist nicht der Aufbau breiter Parteien um ihrer selbst willen, sondern der Aufbau von Parteien, die bedeutende Kräfte umfassen und langfristig, zweifellos nach vielen Differenzierungen und Konflikten, in der Lage sein werden, Prozesse sozialistischer Transformation zu führen, also revolutionäre Parteien zu werden. Aber diese Entwicklung kann nicht gegen den Rhythmus der Entwicklung des Klassenkampfs und des politischen Bewusstseins erzwungen werden. Es geht darum, zu solchen Parteien durch die Ausarbeitung einer politischen Strategie über zahlreiche soziale und politische Kämpfe voranzuschreiten. Die Rolle der revolutionären Marxistinnen und Marxisten besteht darin, die Din- ge in diese Richtung zu treiben, diese Parteien aufzubauen und dabei ihren Teil auf den Gebieten des Programms und der Praxis beizutragen. Zu Beginn schien es, diese Aufgabe bestehe einfach nur darin, Kräfte zusammenzubringen und antikapitalistische Parteien aufzubauen. Aber die Wirklichkeit hat gezeigt, dass in einigen Fällen – gewiss in Deutschland; in Frankreich, wenn der Prozess wieder beginnt – diese Aufgabe weniger klar umrissen sein wird als zu Beginn. Damit lässt sich leben, wenn eine wirkliche politische Kraft aufgebaut werden kann. Nach einem französischem Sprichwort „ist das Beste der Feind des Besseren“, das heißt, wenn man das Maximum zu erreichen versucht, versäumt man die Gelegenheit eines wirklichen Schritts nach vorn für die Bewegung, der, wie Marx sagt, wichtiger ist als ein Dutzend Programme. Viele Debatten, und sogar scharfe Auseinandersetzungen, können innerhalb eines gemeinsamen Rahmens ausgetragen werden. Wie die revolutionären Marxistinnen und Marxisten in diesen Parteien intervenieren, wird in großem Ausmaß von dem konkreten Kontext abhängigen, in dem sie agieren müssen. Die Intervention einer revolutionärmarxistischen Strömung wird in der SSP oder im Linksblock oder in der Rot-Grünen Allianz nicht dieselbe sein wie in der PRC, wo es darum geht eine irrige Orientierung zu bekämpfen. Sie wird in der neuen Partei in Deutschland wieder eine andere sein. Aber es sind diese realen Prozesse, welche anfangen, die Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter zu berühren und zu einer Änderung der Dinge führen, in denen sich die Revolutionäre heute engagieren müssen. 33 die internationale Neuer ISP Verlag /1$%1%*%393%).1/"%!"/&=141/42'!"%.).+,/23!.%(1.&/24.3%1 !5!.3)12" $%!.$94.'%.231!..(%)- %1)#(3%4.$.!,82%.$!944.$./#(-%(1')"3:2).$%15!.3))1 "%31!#(3%.$)%%,31%5/,43)/.<1-!17)23)2#(- %.314-23%(3$)% "6%(1'%'%.$)%.'1)&&%$%2!0)3!,24.$2%).%1%')%14.'%.!4& $)%1"%)3%1..%.+,!22%!.!,82)%13.)#(3.41;!,2 %)34.'$%2 .)--32)%3%,,4.'4.$'1%)&3%)..$$!2!,,%2*%$%./.!3!4&2 %4% Daniel Bensaïd Was ist Trotzkismus? 132 Seiten, Euro 12,00 ISBN 3-89900-108-7 Neuer ISP Verlag Eric Toussaint: Profit oder Leben. Neoliberale Offensive und internationale Schuldenkrise Zeitschrift der Sozialistischen Alternative (SOAL) …nach 35 Jahren im Internet angekommen: Euro 20.50 Neuer ISP-Verlag 34 www.dielinke..at INPREKORR 428/429 ÖKOLOGIE Fortsetzung von Seite 18 konvention „informell innovative Ideen zu diskutieren“. triestaaten nicht, Kyoto einzuhalten: Kanada liegt 30 Prozent unter den Vorgaben, Italien steht ein wenig besser da, in Spanien schnellen die Emissionen in die Höhe.7 Großbritannien könnte den vorgegebenen Wert erfüllen, aber nur dank des Ersatzes von Kohle durch Gas. Ein seriöser Abbau würde dort erst beginnen. Für Deutschland sieht die Prognose ähnlich aus: Die Tatsache, dass das Land drauf und dran ist, die Vorgaben zu erfüllen (dank des Abbaus der Industrie im Osten!), hinderte den Arbeitgeberverband nicht daran, die nationalen Verhandlungen über die Zuteilung von Emissionen aufzukündigen. Dänemark wird trotz des Booms bei Windkraftwerken 21 Prozent über dem vorgeschriebenen Wert liegen.8 Ähnlich andere Länder. Eine schlichte Verlängerung des Kyoto-Protokolls mit strengeren Quoten scheint also unwahrscheinlich. Deshalb unterstrich die EU 2005 ihre „feste Entschlossenheit, den internationalen Verhandlungen neuen Elan zu verleihen“ und „eine möglichst umfassende Zusammenarbeit zwischen allen Ländern“ zu erreichen. Dies insbesondere zwischen den „Ländern mit hohem Energieverbrauch, einschließlich der Schwellen- und Entwicklungsländer“. Wir steuern offenkundig auf ein neues Abkommen zu, das sich einiger strenger Kyoto-Regeln entledigt. Ein Abkommen, das – um den Rat zu zitieren – „die Bedingungen im Hinblick auf Kosten und Nutzen“ durch Einbezug der großen Entwicklungsländer verändern wird. Der „Gleneagles-Dialog zu Klimaschutz, sauberen Energien und nachhaltiger Entwicklung“ muss in diesem Kontext gesehen werden. Es ist natürlich kein Zufall, dass dieser am G8-Treffen in Schottland beschlossene Dialog, an dem sich die 20 Länder mit dem höchsten Energiekonsum beteiligen, darauf zielt, außerhalb des offiziellen Rahmens der UN-Klimarahmen- STERN-REVIEW, EIN MEILENSTEIN 7 Spanien bildet das Schlusslicht innerhalb der EU. Zwischen 2009 und 2012 könnten die Emissionen statt den von der EU vorgesehenen 15 Prozent 33,7 Prozent über dem Ausstoß von 1990 liegen, die Rechnung könnte 5 Prozentpunkte vom BIP betragen. Der Unternehmerverband CEOE fordert eine Neuverhandlung der Quoten. 8 http://www.eceee.org. INPREKORR 428/429 Wie weiter oben erwähnt (vgl. „Klimaschutz und Antikapitalismus“, S. 4), scheint der Stern-Bericht über die ökonomischen Folgen des Klimawandels ein bedeutender Meilenstein auf dem Weg zu einem neuen globalen Abkommen zu sein. Daher soll näher auf diesen Bericht eingegangen werden. Folgendes ist festzuhalten: 1. Entgegen anderen Ökonomen nörgelt Sir Nicholas Stern nicht an den Analysen der KlimaexpertInnen herum: „Der Klimawandel ist eine ernste, dringende Angelegenheit. (…) Die Schwelle von 550 ppmv CO2eq9 könnte im Jahr 2035 erreicht sein. Auf diesem Niveau wird die durchschnittliche globale Temperaturerhöhung mit 77-prozentiger, anderen Berechnungen zufolge vielleicht sogar mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit bei über 2 °C liegen. Wird nichts unternommen, könnte sich der Gehalt an Treibhausgasen bis zum Ende des Jahrhunderts verdreifachen, wodurch in den folgenden Jahrhunderten die Temperaturerhöhung mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit über 5 °C betragen wird.“ Etc. Der Bericht geht im Detail auf die sozialen und ökologischen Folgen ein. 2. Die Kosten der Erwärmung werden deutlich höher geschätzt als in anderen Publikationen. Für Stern könnte der durchschnittliche Prokopfkonsum im Szenario „business as usual“ bis Ende des 22. Jahrhunderts um bis zu 20 Prozent sinken. Diese aufrüttelnde Zahl ergibt sich aus folgenden Faktoren: • Der Bericht erfasst nicht nur die direkten wirtschaftlichen Kosten (5 Prozent Rückgang des BIP/ Kopf), sondern auch die daraus abgeleiteten geschätzten Kosten für Gesundheit (Anzahl Opfer …) und Umwelt. • Er berücksichtigt, dass sich der Prozess der Erwärmung durch die Erwärmung selbst beschleunigen 9 Zur Erklärung der Maßeinheiten siehe S. 9, Anm. 3. [Anm. d. Red.] könnte (z.B. wenn durch das Auftauen des Permafrostes plötzlich große Mengen an Methan, einem wirksamen Treibhausgas, freigesetzt würden). - Für die Schadensbemessung wird eine rund zwei Mal niedrigere Anpassungsrate angenommen als sonst üblich (um die Solidarität zwischen den Generationen zu veranschaulichen, werden für zukünftige Schäden höhere Kosten veranschlagt als in anderen vergleichbaren Studien); • Und schließlich behelfen sich Stern und seine MitarbeiterInnen mit der Ethik, um die Aussage zu berichtigen, aus strikt rechnerischer Sicht kämen die Länder des Südens die Schäden nicht teuer zu stehen (sie werden auf der Grundlage der „Zahlungsbereitschaft der Opfer“ geschätzt, die natürlich je nach Einkommen schwankt) … 3. Stern vergleicht die Kosten der Erwärmung mit den Kosten der Eingrenzung und Anpassung. Diese Kosten hängen natürlich vom gewählten Niveau der Stabilisierung der Konzentration an Treibhausgasen ab. Anstelle einer Stabilisierung bei 450 ppmv wird im Bericht der Wert von 550 ppmv eingesetzt. Damit wird die Gefahr deutlich höher veranschlagt.10 Die AutorInnen wechseln jedoch plötzlich den Ton: „Die Lehre daraus ist, zu verhindern, dass zu viel zu schnell gemacht wird. … Große Unsicherheiten bestehen beispielsweise weiter hinsichtlich der erheblichen Kosten der Reduktion. Soll der Ausstoß um 60 bis 80 Prozent oder noch mehr reduziert werden, sind Fortschritte in der Reduktion des Ausstoßes in Industrieprozessen, Luftfahrt und einigen Bereichen, in denen zur Zeit kosteneffiziente Ansätze schwer vorstellbar sind, nötig.”11 Eine Stabilisierung auf 550 ppmv würde ein Prozent des weltweiten BIP kosten, eine Stabilisierung auf 450 ppmv drei Mal mehr. Angesichts des erwarteten Schadens von 10 Je nach Modell läge die Temperaturerhöhung bei 450 ppmv zwischen +1 °C und +3,8 °C und für 550 ppmv zwischen +1,4 °C und +4,6 °C. 11 Stern Review, S. 247. 35 ÖKOLOGIE Überreste eines Hauses in Missouri (USA) nach dem Wirbelsturm „Katrina“ 20 Prozent des BIP wäre die Stabilisierung auf diesem Wert (gemäß der Kosten-Nutzen-Logik des Berichts) noch immer „rentabel“. Warum wird sie aber ausgeschlossen? Weil eine höhere Vorgabe durch „Industrieprozesse, die Luftfahrt und einige Bereiche“ getragen würde, die vor allem Industriestaaten betreffen. Es ist kaum von der Hand zu weisen, dass diese Überlegung mit der Einschätzung anderer ExpertInnen zusammenhängt, wonach eine Temperaturerhöhung von bis zu 3 °C für diese Länder eher vorteilhaft wäre. Die negativen Folgen werden sich vor allem auf die tropischen und subtropischen Länder konzentrieren, die durch ihre „Geographie“ laut Bericht bereits heute „zu warm sind“.12 Die Ethik von Sir Nicholas Stern kennt offensichtlich Grenzen. 12 Stern Review, S. 94f. Wertloses Wertgesetz Die von Wirtschaftsfachleuten bemühten Zahlenspiele zur Errechnung des Preises von Dingen, die keinen Tauschwert besitzen (menschliches Leben, Ökosysteme) und ihre Bemühungen, das Ganze als „Ethik“ darzustellen, zeigen, dass sich das Wertgesetz immer weniger eignet, den gesellschaftlichen Reichtum zu messen. In der Art und Weise, wie sogenannte „schwierige ethische Probleme“ behandelt werden, liefert der Stern-Review dafür zahlreiche Beispiele. Auf S. 156 verweisen die AutorInnen auf Studien, in denen die Kosten der Erwärmung um 33 oder 36 sogar 50 Prozent höher angesetzt werden, um die Folgen für die Dritte Welt korrekter einzubeziehen. Ohne diese Korrekturen würden die Klimakatastrophen in diesen Regionen von ÖkonomInnen gar nicht wahrgenommen, sondern gingen im globalen Wachstum unter … Ein anderes Beispiel (S. 140): Um die Kosten einer möglichen Umsiedlung von 200 Millionen Menschen zu beziffern, multipliziert Stern deren durchschnittliche Einkommen mal drei. Warum mal drei, wo doch die Mehrheit der Betroffenen alles verlieren und viele sterben würden? 4. Ein Prozent des globalen BIP entspricht 350 bis 400 Milliarden Dollar. Stützt man sich auf die Schätzungen Sterns, würde eine Stabilisierung auf 450 ppmv zwischen 1050 und 1200 Milliarden Dollar jährlich kosten. Dieser Betrag ließe sich durch eine Kombination aus drastischen Kürzungen der Rüstungsetats (1037 Milliarden Dollar im Jahr 2004, davon 47 % in den USA)13 und der Werbung leicht decken, von den Erdöleinnahmen ganz zu schweigen. Doch im Arsenal des ehemaligen Chefökonomen der Weltbank haben solche Mittel keinen Platz. Neben der Entwicklung der Atomenergie, die als saubere Energie verkauft wird, finden sich nur neoliberale Instrumente: ein global festgesetzter Erdölpreis (der über die Preise an die KonsumentInnen weitergegeben würde, während Unternehmen die Kosten durch Gebührensenkungen kompensieren könnten); eine völlig flexible Wahl von Ort, Zeitpunkt und Mittel der Reduktion der Emissionen weltweit zu den geringsten Kosten; der Ausbau des Emissionshandels; die Durchsetzung der völligen Bewegungsfreiheit für Erzeugnisse und Dienstleistungen auf Kohlenstoffbasis etc. Die für die Industriestaaten und die multinationalen Konzerne wohl überzeugenden Folgen wären: 1. Bis zum Jahr 2050 würden über 50 Prozent der Emissionsreduktion vom Norden in den Süden verlagert, entweder in Form eines Stopps der Abholzung von Wäldern (was an sich natürlich wünschenswert wäre) oder durch saubere Investitionen, die auf 40 Milliarden Dollar jährlich geschätzt werden (das Vierzigfache heutiger CDM);14 2. Die großen Energie-, Automobilund anderen Konzerne könnten nicht nur von diesem Geldsegen profitieren, sondern hätten auch 20 bis 30 13 Zahlen vom SIPRI, Stockholm. 14 Diese 50 Prozent vom Norden in den Süden „verlagerten“ Reduktionen entsprechen einer Schätzung der Europäischen Umweltbehörde, wonach die EU ihre Emissionen bis 2030 nur dann um 40 Prozent reduzieren könnte, wenn sie die Hälfte in Form von Rechten kaufen würde (EEA Report Nr. 7/2006). INPREKORR 428/429 ÖKOLOGIE Jahre Zeit, ihre Installationen zu amortisieren und auf neue Technologien umzustellen (die Dank einer Aufstockung der Forschungsgelder durch die öffentlichen Haushalte auf den neuesten Stand gebracht würden), ohne einen Cent für die Katastrophe zu bezahlen, die sie verursacht haben;15 3. Die Kosten würden weltweit über CO2-Abgaben, öffentliche Subventionen für die Privatwirtschaft und die Einbindung des Kohlenstoffpreises in den Preis für Konsumgüter auf die Lohnabhängigen, die Bauern/Bäuerinnen und die Armen abgewälzt. EIN POLITISCHER GESAMTPLAN Über die wirtschaftlichen Aspekte hinaus ist der Stern-Bericht ausgesprochen politisch und entpuppt sich beim Lesen als ehrgeiziger strategischer Plan: Die Angst vor der Erwärmung soll ausgenutzt werden, um die öffentliche Meinung für Ziele zu gewinnen, die weit über die Klimaproblematik hinausreichen. „Eine Schlüsselfrage für die Glaubwürdigkeit der Politik ist, ob sie sich auf eine breite Palette an Interessengruppen stützen kann. Die öffentliche Meinung ist dabei ausgesprochen wichtig. Fordert die Öffentlichkeit mit Nachdruck, dass im Bezug auf den Klimawandel gehandelt wird, wagen die Politiker, Maßnahmen zu ergreifen, die sie anderenfalls als zu riskant oder unpopulär beurteilt hätten.”16 Beispielsweise die Einführung einer CO2-Abgabe, die für die Unternehmen durch Gebührensenkungen kompensiert werden kann … An einer anderen Stelle heißt es bezeichnenderweise: „Ein guter Teil der staatlichen Politik setzt auf Verhaltensänderungen. Es gibt zwei breite Felder, auf die sich politische Entscheidungsträger im Zusammenhang mit dem Klimawandel speziell konzentrieren können: der Versuch, das Konzept von gesellschaftlicher Verantwortung zu ändern, und die Förderung der Kooperati15 Der Abschnitt über die Emissionen im Energiesektor im Bericht wurde von Prof. Dennis Anderson, dem ehemaligen Chefökonomen von Shell, verfasst. Wie es der Zufall so will, sieht er vor, die Emissionen in diesem Sektor bis 2050 nur von 24 auf 18 Gt zu reduzieren. 16 Stern Review, S. 325. INPREKORR 428/429 Kapitalistische Dummheit Erdöl- und Energiekonzerne, Bauunternehmen, Getränkehersteller, Eisproduzenten, Reiseunternehmer – alle versichern sich gegen Unwägbarkeiten des Klimas wie zu milde oder zu raue Winter, zu regnerische oder heiße Sommer. Wetterderivate sind Finanzinstrumente dieser Versicherungen, Produkte für die Börsenspekulation. Verglichen mit anderen Derivaten findet der Handel noch auf einem bescheidenen Niveau statt. Doch die Investoren setzen auf starkes Wachstum. Die Börse von Chicago plant eine Investition von 1,8 Millionen Dollar in drei Jahren, um diesen Markt auszubauen. Coriolis Capital, ein Vermögensverwalter, hat Wetterderivate um 350 Millionen Dollar gekauft. „Das Klima ist unser neuer Wilder Westen“, kommentiert Terry Duffy, Vorsitzender der Chicago Mercantile Exchange. Schlaue Kapitaleigner versuchen, Wetterderivate verschiedener Länder und Kontinente anzulegen. Extreme Wetterbedingungen sind oft sehr unterschiedlich verteilt. Während des Hitzesommers 2003 erlebte der Osten der USA beispielsweise einen eher feuchten, kühlen Sommer. Mit diversifizierten Wetterderivaten, Glück und den Tipps von Meteorologen können onsbereitschaft. Als Beispiel für das erste werden die Rentenpolitik, der Tabakkonsum oder Recycling genannt, für das zweite Formen von privat organisierten Wachen gegen Verbrechen in einzelnen Stadtteilen oder allgemeiner Gemeindedienste.”17 Das Beispiel der Rentenpolitik (eine Offensive zur Einführung von Renten im Kapitaldeckungsverfahren gegen die Rente im Umlagerungsverfahren im Namen individueller statt kollektiver „Verantwortung“ für die Altersversorgung) ist besonders bezeichnend. Die enthusiastischen Reaktionen vieler Umweltverbände auf diesen Bericht – der WWF fordert beispielsweise einen „Ausbau des Kohlenstoffmarkts”18 – und mancher Linkspar17 Stern Review, S. 395. 18 Presseerklärung des WWF vom 9.11.2006. kluge Finanziers gute Profite erzielen. Die in Aussicht stehenden Gewinne sind umso interessanter, als mit der globalen Erwärmung Klimaausschläge zunehmen werden. Die Häufung von Extremen wird die Unternehmen nur noch mehr bewegen, sich gegen das eine oder andere Risiko zu versichern. Mehr Wetterversicherungen bedeuten mehr Wetterderivate, also höhere Profite für die Finanzmärkte. Der Titel des Artikels, dem diese Information entnommen ist, sollte Eingang in eine Anthologie der kapitalistischen Dummheit finden: „Der Natur freien Lauf lassen und Geld damit verdienen“. Soweit ein sehr konkretes Beispiel für die Art und Weise, wie durch den Wettbewerb Ansichten entstehen, die mit gesundem Menschenverstand und selbst dem Überlebensinstinkt nicht mehr viel am Hut haben, oder, um es mit Karl Marx zu sagen: „So falsch ist alles und so, auf den Kopf gestellt, bietet sich alles dar vom Standpunkt der Konkurrenz.“1 Quelle: New York Times vom 15. August 2003. 1 Marx: Das Kapital, S. 3852. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 7161 (vgl. MEW Bd. 25, S. 703) teien19 geben zu denken. Gewiss, die Zeit drängt. Doch wie Stern selbst festhält, bedeutet der Klimawandel „das größte, umfassendste Scheitern des Marktes“. Entweder man bittet den Markt für dieses Scheitern zur Kasse, oder „der Markt“ wird die Rechnung den Ausgebeuteten und Unterdrückten dieser Erde servieren. Der Stern-Bericht setzt, wen wundert‘s, auf die zweite Option. Er gibt einen Vorgeschmack auf die zukünftige kapitalistische Politik im Bereich des Klimawandels. Aus dem Französischen: Tigrib 19 Die französische SP glaubte, „mit Interesse feststellen zu können, dass sich die von Nicholas Stern vorgeschlagenen Maßnahmen im Bereich der politischen Ökonomie nicht auf Instrumente beschränken, die mit den Marktgesetzen vereinbar sind, sondern dass er auch klar verpflichtende Regelungen wie Steuern ins Auge fasst“ (Presseerklärung der nationalen Geschäftsleitung, 31.10.2006). 37 ÖKOLOGIE Dringende Forderungen Vincent Gay Das französische Klima-Aktionsnetzwerk «Réseau Action Climat (RAC)», Mitglied des internationalen Climate Action Network, verfasste anlässlich der Wahlen von 2007 ein recht schlüssiges Papier, das zehn Maßnahmen auflistet, die den Parteien zur Aufnahme in ihre Programme vorgeschlagen werden.1 Es handelt sich dabei um eine Art Dringlichkeitsplan zur Herbeiführung einer Energiewende. Ziel ist, die Energie sparsamer und effizienter zu nutzen und die Entwicklung umweltfreundlicher Energien voranzutreiben. Die LCR führte über die Vorschläge des RAC eine Diskussion, die wir im Folgenden zusammenfassen, wobei wir die Forderungen der LCR vorstellen und gewisse Meinungsunterschiede zum RAC aufzeigen. Wir möchten damit einen Beitrag leisten, um gemeinsam mit anderen Teilen der Ökobewegung den Kampf für den Schutz von Klima und Umwelt zu unterstützen. 1. BAUSEKTOR Betreffend Wärme- und Dämmvorschriften schätzt eine europäische Studie aus dem Jahr 2003, dass die Isolation bestehender Gebäude in der EU die Energiekosten und CO2-Emissionen um 42% senken könnte. Dies entspricht 353 Mt CO2-eq. pro Jahr. Frankreich ist diesbezüglich jedoch stark im Rückstand. Würde es die Normen Dänemarks übernehmen, könnte der Energieverbrauch in den Gebäuden um fast die Hälfte reduziert werden. Aus Sicht der LCR gilt es deshalb, zwei Ziele zu verfolgen: • Energie sparen in Gebäuden: Wir schlagen vor, dass bestehende Häuser renoviert werden müssen, wenn ein Wechsel stattfindet (Verkauf oder Neuvermietung). Dabei soll bei Wänden und Dachabdeckungen begonnen werden. Neubauten müssen die Wärmevorschriften erfüllen. Unter Umständen ist es nötig, diese Vorschriften zu verschärfen und ihre 1 Zu lesen auf: http://www.rac-f.org/article. php3?id_article=1044 38 Einhaltung besser zu kontrollieren, als es heute der Fall ist. Außerdem ist ihr Geltungsbereich auf renovierte Gebäude auszudehnen. Die Energieetiketten für bestehende Gebäude liefern keine Garantie, dass greifende Normen eingeführt werden. Man müsste dies auch im Dienstleistungssektor und bei Gebäuden der öffentlichen Hand durchführen; besondere Anstrengungen sind zudem bei Sozialwohnungen nötig. Es gilt, einen Verbrauch von 50 kWh/m3/ Jahr zu erreichen und mittelfristig 500 000 neue Sozialwohnungen zu bauen. • Gleichzeitig muss die Entwicklung erneuerbarer Energien auf die Wohnungspolitik abgestimmt werden. Neue Techniken zur Erzeugung von Heizwärme und Strom sollen systematischer eingesetzt werden: Holzverarbeitung, thermische und photovoltaische Solarenergie, Erdwärme … und Verfahren mit Kraft-Wärme-Kopplung. Wir empfehlen, Neuüberbauungen mit Solaranlagen auszustatten. Dazu bedarf es größerer Investitionen. Die Einrichtungen nehmen aber unterschiedliche Ausmaße an, vom einzelnen Haus bis zu großen Komplexen. Wir befürworten das Festlegen von Schwellenwerten, die dank der Gebäudeisolation nicht überschritten werden. Die Energie zur Deckung des laufenden Bedarfs soll mit der Zeit nicht mehr fossilen Ursprungs sein. Solche Projekte funktionieren nur mit einer entsprechenden Stadt- und Wohnungspolitik. Im Wohnungswesen muss ein öffentlicher Dienst geschaffen werden, der fähig ist, Vorschriften aufzustellen und ihre Einhaltung durchzusetzen. Außerdem wird es nötig sein, die Ausbildung der ArbeitnehmerInnen neu auszurichten und mit einer umfangreichen und geplanten Produktion umweltfreundlicher Energietechniken zu beginnen. Schließlich müsste der Staat binnen kurzer Frist eine Informations- und Sensibilisierungskam- pagne zum Thema Energiesparen und umweltfreundliche Energien starten. 2. VERKEHR Der Verkehr ist nicht nur ein Schlüsselsektor der kapitalistischen Wirtschaft, sondern steht auch im Zentrum der Klimakrise. Es braucht also tief greifende Änderungen. Unsere unmittelbaren Forderungen müssen auf einen Bruch mit dem alles beherrschenden Straßenverkehr zielen. Das RAC konzentriert seine Vorschläge auf den Fahrzeugbau und auf Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den Straßen. Solche Maßnahmen sind zweifellos nötig. Es dürfen keine Fahrzeuge auf den Markt gelangen, die mehr als 120 g CO2 pro Kilometer ausstoßen. Man muss sich aber vor allem mit der Frage der Transportflüsse auf den Straßen beschäftigen. Dabei gilt es, differenzierte Antworten zu geben, je nachdem, ob man vom Privatverkehr oder vom Warentransport spricht; in jedem Fall geht es aber um die Reduzierung der Fahrten. Eine ökologisch orientierte Regierung müsste einen umfassenden, mehrjährigen Investitionsplan auf nationaler und europäischer Ebene vorlegen, um Folgendes zu erreichen: Bau von Tramoder Bahnverbindungen von Vorort zu Vorort in größeren Agglomerationen, bessere Erschließung von Vororten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Schaffung inter- und überregionaler Bahnverbindungen zwischen mittleren Städten, starker Ausbau des Huckepackverkehrs (Rollende Landstraße) und folglich der Bahnfrachtkapazitäten, Entwicklung der Seekabotage und der Transporte via Wasserwege, Planung von Rad- und Fußwegen in Städten, aber auch in Arbeitszonen (Industrieareale, Schiffshäfen, Flughäfen usw.). Dank solcher Investitionen wird es denkbar, • überregionale und internationale Straßentransporte zu verbieten; • den Straßentransit durch Frankreich zu verbieten; • Kurzstreckenflüge zu verbieten, von INPREKORR 428/429 ÖKOLOGIE besonderen Ausnahmen abgesehen; • den Autoverkehr in Städten und Agglomerationen radikal zu begrenzen; • keine weiteren Autobahnen zu bauen; • öffentliche Verkehrsmittel gratis zugänglich zu machen, wobei die umweltfreundlichsten erste Priorität genießen. Manche dieser Maßnahmen, etwa der Stopp des Autobahnbaus oder ein kostenloser öffentlicher Verkehr, stehen in direkter Verantwortung der öffentlichen Hand und können sofort umgesetzt werden. 3. ENERGIEVORSCHRIFTEN FÜR HAUSHALTGERÄTE Für Haushaltgeräte müssen strenge Vorschriften gelten, wenn wir den Gesamtverbrauch an Energie senken wollen. Sobald der Markt sparsame und zugleich auch preisgünstige Geräte anbietet, wird sich die Lage bessern. Deshalb muss man die Geräteproduzenten dazu verpflichten, einen Mindeststandard an Energieeffizienz zu erreichen und die Preiserhöhungen zu begrenzen, damit sich die KonsumentInnen die Geräte leisten können. 4. STICKSTOFF IN DER LANDWIRTSCHAFT In einem Staat, dessen Landwirtschaft etwa 19% der Treibhausgasemissionen verursacht, ist die Verminderung des Stickstoffeintrags eine der dringlichsten Aufgaben. Es geht dabei auch darum, den Gesamtenergieverbrauch zu senken und sich vom landwirtschaftlichen Produktivismus zu verabschieden, der zu diesem Verbrauch kräftig beigetragen hat. Betreffend Stickstoffeinsatz schlägt das RAC ein Abgabesystem vor, das nach einem Bonus-Malus-System funktioniert und sich nach der verwendeten Stickstoffmenge richtet. Doch wie weit wird die Abgabe die Produktion von Treibhausgasen senken? Können es sich die Großbauern, die am meisten Dünger einsetzen, nicht leisten, Abgaben zu zahlen und die Umwelt weiter zu belasten? Das System der Landwirtschaftssubventionen muss so geändert werden, dass eine umweltschonende und die Landwirte reINPREKORR 428/429 China: Fabriken am Huangpu spektierende Landwirtschaft gefördert wird. Im Vordergrund stehen dabei vor allem Betriebe, die den Stickstoffeinsatz stark limitieren. Auf europäischer Ebene braucht es Vorschriften, die den Düngereinsatz je nach Anbaufläche und Kulturtyp begrenzen. Bei Überschreitung der festgelegten Höchstmenge sollen die Betriebe mit einer hohen, exponentiell steigenden Abgabe belastet werden. Schließlich müsste es sich das Landwirtschaftsministerium zur Aufgabe machen, andere Anbaumethoden zu fördern, sowohl zum Schutz des Bodens, als auch zur rationelleren Nutzung des Wassers: Schluss mit zerstörerischer Bodenbearbeitung, Übergang zur Methode der Direktsaat mit ökologischer Mulchschicht (ausgeglichene Feuchtigkeits- und Stickstoffverhältnisse), weniger Bewässerung dank Verwendung von lokal angepasstem Saatgut, starke Verminderung der Stoffeinträge, usw. 5. ÖFFENTLICHE FINANZIERUNG KLIMASCHONENDER PROJEKTE Projektfinanzierungen sind für die Wirtschaft von entscheidender Bedeutung, und sie sind eines der Werkzeuge, mit denen die Machthabenden die Länder der Peripherie unterdrücken. Würde man solche Finanzierungen von Umweltkriterien abhängig machen, könnte man an zwei Säulen des Kapi- talismus rütteln: • an der Stellung des Erdöls in der Weltwirtschaft; • an der Rolle der internationalen Finanzinstitute, die immer mehr Autonomie genießen und nicht öffentlich kontrolliert werden. Institutionen wie die Welthandelsorganisation (WTO) haben vor allem die Funktion, die Märkte zu deregulieren und lokale Märkte für den Welthandel zu öffnen. Solche Einrichtungen zu reformieren, ist nicht wirklich sinnvoll. Andere können vielleicht umorganisiert werden, indem man sie unter öffentliche Kontrolle stellt und von der Deregulierungslogik löst. Ein solches öffentliches Eingreifen soll unter Zusammenarbeit der Bevölkerungen von Industrie- und Entwicklungsländern geschehen und dazu dienen, Investitionen und Finanzierungen zugunsten klimaschonender Projekte zu tätigen, Subventionen für die Ölindustrie zu stoppen und den Kohleverbrauch zu senken – unter der Bedingung, dass die Menschen, die diese Energien nutzen müssen, keinen Einkommensverlust erleiden. Ferner müssen die Länder des Nordens endlich ihre ökologische Schuld gegenüber den Ländern des Südens eingestehen. Die Anerkennung dieser Schuld muss dazu führen, dass die mächtigen Länder die Schulden des 39 ÖKOLOGIE Südens erlassen und einen umfangreichen, kostenlosen Transfer umweltfreundlicher Technologien in die Wege leiten, so dass sich arme Länder auf ökologische Weise entwickeln können. 6. ÖKOLOGISCHE STEUERREFORM Bei allen Projekten, die mit Steuern oder Umweltabgaben zu tun haben, stößt man unweigerlich auf ein zentrales Problem: Wie lassen sich Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit miteinander in Einklang bringen? Ganz offensichtlich wird dies etwa bei den Verhandlungen über die CO2-Abgabe2 oder den Subventionsstopp für Umweltverschmutzungen, namentlich für den Verkehr. Angesichts der strukturellen und sozialen Aspekte der Klimaveränderung gilt es, kollektive Mittel und Wege zu finden, die es den Menschen ermöglichen, sich klimaschonend zu verhalten. Es lohnt sich nicht, Maßnahmen zu ergreifen, die vor allem als Einschränkung erlebt werden und deshalb Gefahr laufen, den Klimaschutz zu delegitimieren. Grundsätzlich glauben wir, dass die Umweltprobleme durch Ökosteuern (CO2-Abgabe usw.) nicht prinzipiell gelöst werden können. Steuerliche Maßnahmen sollen Teil einer globalen Politik bilden (neue sektorspezifische Politik, gesetzliche Vorschriften, umfassende Investitionsplanung usw.), die dafür sorgt, dass die notwendigen Umwälzungen nicht nur ohne Verschlechterungen für die Lohnabhängigen und die ärmsten Schichten stattfinden, sondern auch zu einer Verbesserung ihrer Lebensumstände führen. Dazu bedarf es einer allgemeinen Steuerreform, die mit sozialer Gerechtigkeit einhergeht (Einführung einer echt progressiven Einkommenssteuer, Abschaffung der Mehrwertsteuer, Besteuerung der Kapitalien und der Spekulation usw.). DIE DISKUSSION WEITERFÜHREN Umweltorganisationen und die LCR verfolgen beide das Ziel, die Treibhausgase um den Faktor 4 zu reduzieren. Unsere Differenzen betreffen einerseits die geringe Tragweite mancher 2 Vgl. Daniel Tanuro: Oui au sauvetage du climat, non à la taxe carbone. Auf: http://www. europe-solidaire.org 40 Vorschläge und andererseits das Vertrauen, das einzelnen Abgabesystemen oder dem Handel mit Verschmutzungsrechten entgegengebracht wird. Solche Steuerungsmechanismen sind nicht nur aus sozialer Sicht fragwürdig, sondern sie sind auch für die Umwelt wenig wirksam. Sofortmaßnahmen sollten Ausdruck eines tief greifenden Wandels in den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen sein, um Folgendes zu erreichen: • Wiederherstellung eines mehrstufigen Planungsprinzips für die Ressourcen, ihre Verwendung, die Raumplanung usw.; • Abkehr von Marktmechanismen und dem daraus folgenden liberalen Privatisierungsdruck; • Neuausrichtung und Ausweitung der öffentlichen Investitionen, zum Beispiel auf den Bereich der Bahninfrastruktur oder die Entwicklung erneuerbarer Energien. Tatsächlich haben all diese dringend zu ergreifenden Maßnahmen nur einen Sinn, wenn sie Teil einer umfassenden Planung bzw. einer weltweiten Energie-Revolution bilden. Letztere wird unsere Art zu reisen, zu konsumieren, zu produzieren, zu heizen oder Raumplanung zu betreiben, verändern. Die Vorschläge des RAC müssen zumindest in zwei Punkten ergänzt werden: • Vorschriften im Industriebereich: Grob gesagt, ist die französische Industrie für mehr als 30% der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Strenge Vorschriften werden in diesem Bereich zu Verbesserungen beim Energiesparen und bei der Energieeffizienz führen. Es muss verboten sein, einen gewissen Verbrauch an fossiler Energie zu überschreiten. Für die Emissionen der verschiedenen Industriebereiche sind Maximalquoten festzusetzen, die weder getauscht noch gehandelt werden können. Gleichzeitig kann man die Energiepreise für die Industriebetriebe erhöhen, damit sie einen Anstoß erhalten, ihren Strom mittels Kraft-Wärme-Kopplung selbst zu produzieren. • Saubere Energien: Der Anteil erneuerbarer Energien zur Deckung des globalen Energiebedarfs wächst nur im Schneckentempo. Eine Regierung, die sich ernsthaft um die Klimafrage kümmert, könnte sofort da- für sorgen, dass ein großer Teil der Gelder für die Nuklearforschung zu den erneuerbaren Energien verschoben wird. Im Rahmen der öffentlichen Energieversorgung könnte sie zudem den Bau von Solaranlagen, Windkraftanlagen usw. veranlassen. Eine solche öffentliche Energieversorgung hätte die Aufgabe, das Energiesparpotential abzuschätzen und erneuerbare Energie bereitzustellen. Dabei wäre es hilfreich, Energieberater anzustellen, die für öffentliche Einrichtungen und für Private arbeiten könnten, um diesen maßgeschneiderte Lösungen vorzuschlagen, entsprechend den jeweiligen Möglichkeiten und Bedürfnissen. Eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene (in Richtung eines europäischen Öffentlichen Dienstes …) müsste auch zu einer wechselseitigen Energieproduktion führen, um eine konstante Versorgung sicherzustellen (Windenergie im Ärmelkanal und in Südfrankreich, Geothermie [Erdwärme] in Nordeuropa, Sonnenenergie im Süden usw.). Abschließend gilt es festzuhalten, dass man diese Vorschläge nicht weiterverfolgen kann, ohne gleichzeitig die internationalen Klimaverhandlungen zu analysieren und ihre momentanen und zukünftigen Folgen abzuschätzen.3 Trotz vorhandener Mängel kommt dem Kyoto-Protokoll das Verdienst zu, das Prinzip der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“ aufgestellt zu haben. Nach diesem sind es vor allem die Industrieländer, die den Ausstoß an Treibhausgasen reduzieren müssen. Wir befürchten, dass dieser Grundsatz durch die Ausweitung des «Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung» (Clean Development Mechanism, CDM) und durch die Einführung eines globalen CO2-Handels wieder in Frage gestellt wird. Februar 2007 Vincent Gay ist Mitglied der nationalen Ökologie-Kommission der Ligue communiste révolutionnaire (LCR, französische Sektion der Vierten Internationale) Übersetzung: Alena Wehrli 3 Vgl. in dieser Inprekorr-Ausgabe, S.17ff.: Daniel Tanuro, «Nach Kyoto: Droht die neoliberale Klimaoffensive» INPREKORR 428/429 ITALIEN Italien: Neue Phase für die Linke Salvatore Cannavò Die jüngste Krise der Regierung Prodi hat den Prozess der Neuordnung der italienischen Linken beschleunigt. Hinsichtlich der Bedeutung der Regierungskrise verweisen wir auf das von der nationalen Koordination von Sinistra Critica (kritische Linke) am 18. März 20071 angenommene Dokument. Hier möchten wir uns damit begnügen, die wichtigsten laufenden Projekte der italienischen Linken vorzustellen, die im Lauf der kommenden Jahre, ja Monate zu ihrer grundlegenden Veränderung führen werden. DIE DEMOKRATISCHE PARTEI Bekanntlich soll eine Demokratische Partei entstehen. Ihre Gründung wird wohl nicht an den zahlreichen Widersprüchen in ihren Reihen scheitern, denn sie wird durch den gewaltigen Druck in Richtung „Einheit“ und der grundsätzlichen Übereinstimmung in ihrer „neoliberalen“ Sichtweise genährt. Die Einheit ist einerseits ein abstrakter Begriff, wird aber von einem Großteil der Wählerschaft der linken Mitte verlangt, die vor allem die Rechte und eine „Rückkehr von Berlusconi“ fürchten. Sie stellt die wesentlichste Zutat dar, die es ermöglichen soll, die aus der Kommunistischen Partei stammende Linke zu transformieren. Mit der Entstehung der Demokratischen Partei, deren Projekt auf dem Kongress der LinksdemokratInnen und dem von Marguerita (die Teile der früheren Christdemokratie, die in der linken Mitte angesiedelt sind) Ende April abgesegnet wurde, beschließen die LinksdemokratInnen den Prozess ihrer Anpassung an den Kapitalismus, der seit langem im Gange war und auf symbolische Weise durch die Liquidierung der alten KPI 1989 durch Occhetto sanktioniert wurde. Heute ist man nun „endgültig“ bei der Gründung jener liberaldemokratischen Kraft mit fortschrittlicher Färbung angelangt, über die bereits seit 1 Siehe Inprecor Nr. 526/527 (nur französisch). INPREKORR 428/429 gut einem Jahrzehnt geredet wurde. Es handelt sich um eine ganz und gar sozialliberale Kraft, die die Stimmen eines Großteils der Welt der Arbeitenden auf sich ziehen kann, ohne dass jene aber ihre zentrale Achse darstellten; denn die neue Partei begibt sich unter den Schirm eines Teils der italienischen Bourgeoisie aus Großbetrieben und Banken, soweit diese sich nach der EU ausrichtet. EINE NEUE LINKE PARTEI Das andere, weniger sichtbare Projekt wird sich wohl den Namen „Linkspartei“ geben. Es handelt sich hierbei um eine Neuauflage der sozialistischen bzw. neo-sozialdemokratischen Partei. Darüber ist noch wenig bekannt, denn die große Presse beginnt gerade, darüber zu berichten. Doch erste Anfänge wurden in den Führungszirkeln der Linken bereits gemacht, die nicht nur den Platz, der durch das Verschwinden der DS frei wurde, besetzen, sondern auch drei sich gegenseitig bedingende Krisen lösen möchten: Die erste Krise ergab sich aus der Niederlage des linken Flügels in der DS (Linksdemokraten). Auf dem letzten Parteitag trug der Generalsekretär Fassino mit fast 75% der Stimmen eine ungefährdeten Sieg davon, während die Linke gerade mal auf 15% kam. Die GegnerInnen des Projektes der Demokratischen Partei wurden platt gemacht und waren nicht in der Lage, einen Gegenangriff zu starten. Die zweite Krise ist die Krise der Partei der kommunistischen Neugründung (PRC, kurz Rifondazione genannt), die dieses Projekt als für sie interessant befunden hat, wie das Fausto Bertinotti in einem Interview mit Liberazione2 klar geäußert und die Ende März abgehaltene Konferenz zu eigen gemacht hat – um die Sackgasse zu verhüllen, in die die PRC im Verlauf 2 Fausto Bertinotti hat den Platz des Sekretärs der Rifondazione freigemacht, weil er Vorsitzender der Abgeordnetenkammer geworden ist, leitet aber auch weiterhin die Partei. Liberazione ist die Tageszeitung von Rifondazione. der Krise der Regierung Prodi geraten ist, eine Krise, die das Scheitern der auf dem letzten Kongress in Venedig angenommenen Strategie klar erwiesen hat. Nach Vicenza (wo über 100 000 Menschen gegen die Vergrößerung der US-amerikanischen Militärbasis demonstriert haben), nach der Abstimmung zu Afghanistan (die die Regierung Prodi im Senat nur mit Unterstützung der Rechten gewonnen hat, bei der Gegenstimme von Franco Turigliatto3 und einer Nichtteilnahme von mehreren anderen Senatoren der Linken), und nach mehr als einem Jahr Regierung Prodi, haben sich die drei Hypothesen, die dem Projekt der Mehrheit der PRC auf dem Kongress von Venedig zugrunde lagen, nicht bestätigt: • Die Idee, die Kräfteverhältnisse würden der Regierung eine „große Reform“ ermöglichen, wurden durch das Wahlergebnis vom 9. Mai 2006 zunichte gemacht; es hat ein zweigeteiltes Land offenbart, in dem die Kräfte der Linken an den Rand gedrängt sind (sie repräsentieren nur 26% bis 27% der Wählerschaft). • Die Idee, Mitte-Links habe sich seit 1996 geändert (als die erste Regierung Prodi mit genau denselben politischen Kräften und fast denselben Leuten amtierte – abgesehen von Rifondazione), wurde durch das Handeln der Regierung sogleich dementiert (die die klassischen neoliberalen Rezepte der Finanzierung der Firmen mit starken Einschnitten ins soziale Netz und einer Erhöhung der Militärausgaben angewandt hat, die außerdem zur Gründung der Demokratischen Partei schreitet, von der wir gerade gesprochen haben). • Die Idee der „Durchlässigkeit“ der Regierung Prodi für gesellschaftliche Konflikte wurde am Abend des 3 Franco Turigliatto, Senator der PRC und Mitglied von Sinistra critica, ist aus der PRC ausgeschlossen worden, weil er sich im Senat geweigert hatte, für den Afghanistan-Krieg und für die Erweiterung der US-Militärbasis bei Vicenza zu stimmen. In Solidarität mit ihm hat Salvatore Cannavò seinen Rücktritt aus der Parteiführung erklärt. 41 ITALIEN 17. Februar begraben, als Prodi anlässlich der riesigen Demonstration in Vicenza gegen die Erweiterung der Militärbasis der USA erklärt hat, „die Basis wird in jedem Fall gebaut“. DAS SCHEITERN DER REGIERUNG Die dritte Krise ist die Krise der Regierung. Sie ergab sich aus verschiedenen Faktoren, etwa wegen des Konfliktes um den Militärstützpunkt in Vicenza und das Verhalten von alten Christdemokraten wie Andreotti und Cossiga; sie hatte ihre Ursache aber in den Enttäuschungen und Ernüchterungen der Mitte-Links-WählerInnen. Die Regierung Prodi hat recht schnell viele Erwartungen vom Tisch gewischt, die ihr Sieg hatte aufkommen lassen. Eine gewisse Enttäuschung konnte man schon in den Pfiffen von Mirafiori4 erkennen. Aber im Fall von Vicenza hat sich, angesichts der blinden und tauben Haltung von Prodi und d’Alema, der erreichte Abstand deutlich gezeigt. Keiner der Bestandteile der kommenden Linkspartei hat bislang eine Bilanz dieser Realität ziehen wollen. Sie haben sich entschieden, diese Regierung bedingungslos zu unterstützen, auch was ihre Kriegsmissionen anbetrifft. Sie haben den Wert der Realpolitik und des Überlebens der politischen Klasse zu Lasten der Erwartungen und Hoffnungen, die in Porto Alegre und Genua5 geweckt wurden, wiederentdeckt. Diejenigen, die sich diesem Schema und dieser politischen Logik entzogen haben (wie der Genosse Franco Turigliatto), wurden sogleich in die Kategorie „Politik des Bekennertums“, „hart und rein“ eingeordnet, denen jegliche Wirkung abgehe. Aber sie haben gezeigt, wieweit die Linke heute bereits degeneriert ist. 4 Die FIAT-ArbeiterInnen haben die Gewerkschaftsführung der drei Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL ausgepfiffen – nachdem die Gewerkschaften mit der Regierung ein Abkommen über die Reform der Renten unterzeichnet und sie das Gesetz über die Finanzen und den Haushalt unterstützt hatten. 5 Anspielung auf die Weltsozialforen und die große internationale Demo gegen die G 8 im Juli 2001 in Genua, bei der Mitglieder von Rifondazione eine bedeutende Rolle gespielt haben. 42 EINE ANDERE LINKE Wenn die alternative Linke auf diese Krise reagieren will, denn muss sie in den grundlegenden Werten verankert bleiben und darf nicht auf die Radikalität des Antikapitalismus verzichten. Wer sagt, die Verweigerung des Kompromisses und der Vermittlung begünstige die Rückkehr der Rechten und von Berlusconi6, geht in die Irre. In Wirklichkeit führt die Begünstigung einer Politik des Krieges und des Sozialabbaus zu einer Revanche der Rechten. Im Übrigen zeigen nur ein Jahr nach dem Wahlsieg von 2006 über die Rechte viele Meinungsumfragen, dass die Rechte mit etwa 55% gewinnen würde, würden heute Wahlen stattfinden Wir wehren uns also – und haben dies auch öffentlich gesagt – gegen das x-te Arrangement der politischen Klasse, das immer nach dem gleichen Schema abläuft. Wir sind nicht bereit, den Weg hin zum „gesellschaftlichen Kompromiss“ einzuschlagen, wofür sich die kommende Linkspartei bereits ausgesprochen hat, um damit den Versuch zu machen, die Anomalie, die Rifondazione communista auf der italienischen politischen Karte darstellte, zu beenden. Es handelte sich um ein Ende sowohl hinsichtlich des Inhalt wie des Gravitationszentrums der Linken: Eingeschlossen in der Perspektive der Regierungsbeteiligung, gegründet auf der Logik der Vermittlung und unfähig, eine Alternative zur neoliberalen Linken zu denken. Wenn die Demokratische Partei sich als moderner Block der demokratischen und progressiven Bourgeoisie definieren möchte, mit dem Ziel, mit Stimmen aus dem einfachen Volk zu regieren, dann möchte die Linkspartei (deren Name an die deutsche Linke erinnert), wie sie sich Bertinotti und Mussi7, Diliberto8 und Bo6 Dies ist eine wirkliche Obsession der „offiziellen“ italienischen Linken geworden, die auch in einer Antwort von Bertinotti auf Fragen von StudentInnen, die ihn an der Universität Rom angegriffen haben, deutlich geworden ist: „Wer sich außerhalb des Kompromisses stellt, stellt sich außerhalb der Politik“. 7 Fabio Mussi ist der Führer der wichtigsten Strömung auf der Linken der DS (Linksdemokraten). Seit Mai 2006 ist er Minister für die Universitäten und die Forschung. 8 Oliveiro Diliberto ist gegenwärtig Sekretär (Vorsitzender) der Partei der italienischen Kommunisten (PdCI), einer von Armando Cossutta gegründeten Partei. Cossutta hatte im Oktober 1998 Rifondazione verlassen, als die Führung der PRC (mit Unterstützung der Ge- selli9 vorstellen, eine neue Sozialdemokratie sein, in der die „reformistischen“ und die „maximalistischen“ Sozialisten10 wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusammen wären. Wir sagen Nein zu dieser Perspektive und beginnen mit dem Aufbau einer alternativen Linken. Einer Alternative zur Rechten, aber auch zu Mitte-Links der Regierung, der gemäßigten MitteLinks-Parteien, die zugunsten des „sozialen Kompromisses“ votieren. Die alternative Linke muss vor allem in Opposition zur gegenwärtigen Politik, der Politik des Krieges und des Neoliberalismus, handeln. Sie wird der „Konterreform“ bei den Renten, sie wird den Großvorhaben der Umweltzerstörung nicht zustimmen. Sie wird sich nicht für Kompromisse mit den Revanchisten der Hierarchie des Vatikans hergeben. Die alternative Linke ist so „ohne wenn und aber“.11 Wir haben im Verlauf der vergangenen Monate versucht, sie im Parlament zu repräsentieren, was zu einer großen Diskussion und zu Disziplinierungsmaßnahmen gegen uns – so der Ausschluss von Franco Turigliatto aus der PRC –, aber auch zu Diskussionen und einer großen Klärung in den Reihen der PRC geführt hat. Nur eine alternative Linke nimmt die Kämpfe und die sozialen Bewegungen als Ausgangspunkt und möchte auf dieser Grundlage ein Projekt des gesellschaftlichen Umbaus, und somit auch der politischen Neuzusammensetzung erschaffen. Aktuell heißt von alternativer Linker zu sprechen, eine „gesellschaftliche Opposition“ zur Regierung Prodi aufbauen. Die Entscheidung, im Senat nossInnen, die später Sinistra critica gründen sollten) den Beschluss fasste, dem Ministerpräsidenten Prodi ihre Unterstützung zu entziehen, wodurch dieser gestürzt wurde. 9 Enrico Boselli ist Vorsitzender und Führer der kleinen sozialistischen Partei, der italienischen demokratischen Sozialisten (SDI). Er gehörte von 1999-2004 der sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament an. 10 Die Maximalisten waren eine Strömung der italienischen Sozialisten, die 1919 von Giacinto Menotti Serrati gegründet wurde. Verbal unterstützten sie die antikapitalistische und revolutionären Zielsetzungen des Sozialismus, aber in den Taten machten sie eine reformistische Politik, die der Tätigkeit im Parlament den Vorrang gab. 11 Anspielung auf ein Motto der – in Italien ziemlich starken – Friedensbewegung, die den bedingungslosen Rückzug (also „ohne wenn und aber“) der italienischen Truppen aus Afghanistan und dem Irak fordert. INPREKORR 428/429 ITALIEN dieser Regierung ein „technisches Vertrauen“ zu gewähren (während wir in der Kammer nicht abgestimmt haben), bedeutet keinen Rückzug, sondern eine Betonung dieser Haltung. Das linke Italien lebt gerade in einer Paranoia der Angst vor der Rückkehr der Rechten und von Berlusconi: Eine konsequent linke Kraft darf nicht der Blitzableiter dieser Lage werden und muss ohne rechnerisches Hin und Her den Widerstand gegen die Regierung aufbauen. Diese Linie hat uns geleitet, als wir die „Unterstützung von außen“ ankündigten und klar äußerten, die Regierung würde nach ihren Maßnahmen und ihren Handlungen beurteilt. Wir begannen mit dem Votum gegen die Finanzierung der „Militärmission“ in Afghanistan, das wir am 27. März abgegeben haben, als im Senat Franco Turigliatto der einzige Linke war, der sich weigerte, dieses Militärprojekt zu unterstützen. Heute müssen wir nun auf konstruktive Weise die neue Phase angehen, beginnend mit der Konsolidierung der Vereinigung Sinistra critica als Instrument für den neuen Prozess der Umgruppierung und für den Aufbau einer antikapitalistischen Linken als Alternative zur bestehenden Linken. DAS ENDE DES ZYKLUS VON RIFONDAZIONE Dies führt natürlich zu enormen Problemen im Inneren von Rifondazione comunista, die gerade dabei ist, die eigene politische Ausrichtung zu ändern. Wir meinen, dass sich der Zyklus von Rifondazione erschöpft hat und diese Partei am Ende ihres Weges angekommen ist. Die Entscheidung, sich von den Beschlüssen der Regierung abhängig zu machen, für den Krieg zu stimmen, zur alten Methode der Ausschlüsse und Säuberungen zurückzukehren (und sogar zum politischen und moralischen Lynchen), die Entscheidung, gleichzeitig den Aufbau eines neuen politischen Subjekts zu beginnen, darunter den Aufbau der europäischen Linkspartei als erster Etappe, sind Charakteristika, die das Ende des Zyklus anzeigen. Eine neue Phase ist nun eröffnet. Sicherlich war Rifondazione nie das revolutionäre Subjekt, welches wir aufbauen wollen. Es ging vielmehr um einen Prozess des gesellschaftlichen und INPREKORR 428/429 Die Idee der „Durchlässigkeit“ der Regierung Prodi für gesellschaftliche Konflikte wurde am Abend des 17. Februar begraben, als Prodi anlässlich der riesigen Demonstration in Vicenza gegen die Erweiterung der Militärbasis der USA erklärt hat, „die Basis wird in jedem Fall gebaut“. politischen Widerstands, um eine neue Phase einzuläuten. Solches ist teilweise auch geschehen, aber eben nur teilweise. Die Partei der kommunistischen Neugründung kann für sich ein historisches Verdienst in Anspruch nehmen. Jenes, in der Phase der Depression und der Aufgabe eines Teils der Avantgarden der alten Arbeiterbewegung eine kommunistische Perspektive aufrecht erhalten zu haben. Es ist ihr jedoch nicht gelungen, die vorherrschende Tendenz umzudrehen, obgleich sie sich auf bedeutsame Weise in die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung eingebracht hat. Es ist ihr auch nicht gelungen, in ihrer gesellschaftlichen Verankerung einen qualitativen Sprung zu machen, der es ihr erlaubt hätte, das Subjekt von – auch nur partiellen – gesellschaftlichen Siegen zu werden, um eine Gegentendenz zu verkörpern, ein Symbol einer möglichen Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Diese Begrenztheit war besonders in ihrer fehlenden gewerkschaftlichen Verankerung sichtbar. Rifondazione tritt nicht gestärkt aus dieser Widerstandsperiode hervor – man muss sich nur die Aktivität der Mitgliedschaft, das Mobilisierungspotenzial, den Zustand der Zirkel, die Verbreitung der Zeitung usw. ansehen. Das Projekt der kommunistischen Neugründung hat wegen seiner Zerbrechlichkeit eine Niederlage erlitten, aber auch, weil die verschiedenen Führungsgruppen der Partei – von Magri12 12 Lucio Magri, Journalist und Politiker, Mitarbeiter der Tageszeitung Il Manifesto, gehörte bis Cossuta, ohne Bertinotti zu vergessen – nie in der Lage waren, mit ihrer Verankerung im Reformismus zu brechen. Im Verlauf der fünfzehn Jahre hat die Parteiführung ihre Inspiration in den Konzeptionen des linken Ingrao-Flügels13 der früheren italienischen kommunistischen Partei gesucht. Sogar die Idee einer Politik der „Bewegungen“ – verbunden mit den Gewerkschaften und wichtigen Vereinigungen, um gesellschaftliche Kämpfe entwickeln zu können – wurde von der Mehrheit der PRC-Führung in Aussicht auf die Möglichkeit einer Teilnahme an einer reformistischen Regierung im Rahmen des kapitalistischen Staates gesehen. Ihre Konzeption der Einheit der Linken war ebenfalls im Rahmen dieser strategischen Perspektive gefasst. Mit der Regierung Prodi ist diese Perspektive Wirklichkeit geworden und stellt jetzt die Grundlage des Projektes einer neuen linken Partei dar, wiewohl Prodi sich weigert, irgendeine fortschrittliche Reform durchzuführen. Die PRC scheint nicht fähig zu sein, über sich hinaus zu wachsen und eine neue Phase einzuleiten. In den Augen der Parteimehrheit soll gerade jener Umbau ihr wichtigstes Projekt ermöglichen, also die europäische Linke, die von 1991 bis 1995 Rifondazione an und gründete sodann die Bewegung der unitarischen Kommunisten. 13 Pietro Ingrao war nach dem Zweiten Weltkrieg die unbestrittene Referenz der „marxistisch-leninistischen“ Strömung in der KPI, sodann der offizielle Führer ihres linken Flügels. Er folgte 1991 der Mehrheit und ging zur PDS; erst 2004 schloss er sich Rifondazione an. 43 ITALIEN nur eine Etappe auf dem Weg zur neuen Linkspartei sein soll. Dieses Projekt wird als Fortsetzung des Geistes der Neugründung ausgegeben. Doch diese neue Etappe hat aufgehört, auf konsequente Weise antikapitalistisch zu sein und stellt keine Alternative zur neoliberalen Linken mehr dar. Die Logik der Regierungsbeteiligung – ein richtiges Hindernis in der Phase des Aufbaus einer klassenbasierten Linken – hat zu einer Reihe von Kompromittierungen geführt, die einen Bruch mit der Tradition und Geschichte der PRC darstellen. SINISTRA CRITICA FÜR EINE ALTERNATIVE LINKE Wenn Rifondazione einen Zyklus abgeschlossen und sein Ziel, die klassenbasierte und antikapitalistische Linke neu zusammenzusetzen, verfehlt hat, dann ziehen wir heute daraus den Schluss, dass dieses Ziel auf neuen Wegen erreicht werden muss. Es handelt sich um ein schwer erreichbares Ziel, und es wird aufgrund der Tatsache des Scheiterns von Rifondazione noch schwieriger. Diesbezüglich darf man sich keine Illusionen machen: Eine Niederlage der Linken führt zu neuen Demoralisierungen und Rückzügen besonders wegen des Fehlens einer klaren Alternative. In der Lage zu sein, eine Perspektive des Aufbaus einer antikapitalistischen Linken aufrecht zu erhalten, ist dennoch unabdinglich, wenn wir Bezugspunkte und Praktiken bewahren wollen, die für den konsequenten Antikapitalismus einen Referenzpunkt abgeben. Die Formen, die diese neue Phase annehmen wird, sind nicht vorhersehbar. Sie werden wahrscheinlich den üblichen Wegen der Linken folgen. Was uns angeht, so meinen wir, dass die Reorganisation um zentrale Inhalte und Parolen herum erfolgen muss, bevor organisatorische Formen gefunden werden. Sicher ist, dass wir nicht in eine neo-sozialdemokratische Partei eintreten und dass wir die Option einer antikapitalistischen, ökologischen, feministischen und internationalistischen Linken aufrecht erhalten werden. Dies ist die Achse unserer Arbeit, die wir festlegen. Indem wir die Bewegung und die Kämpfe aufbauen, häufen wir positive Erfahrungen in Richtung einer Avantgarde an. 44 Aus diesen Gründen haben wir den Beschluss gefasst, die neue Vereinigung Sinistra critica (kritische Linke) zu gründen, aus der bei der letzten Koordination die „Kritische Linke, eine Vereinigung für eine alternative Linke“ geworden ist. Sinistra critica war eine antikapitalistische Strömung, wie sie im Kampf auf dem letzten Parteitag der PRC entstanden war. Ihr Aufbau als politisches Subjekt stellt heute unsere Priorität dar, doch wir erwarten, eine Projekt einer breiteren Linken realisieren zu können, die noch nicht besteht, die aber eine wirkliche klassenbasierte Alternative zum Neoliberalismus sein soll. Denn der Aufbau eines neuen Mittels für eine politische Alternative – eines „politischen Subjekts“, wie wir in Italien gerne sagen –, bedeutet nicht, dass der Raum der antikapitalistischen Linken sich darauf reduziert. Die Schwierigkeiten der gegenwärtigen sozialen Phase, die Begrenztheiten der Bewegungen, die Stagnation des Konflikts zwischen den Klassen, das Weiterlaufen der Krise der Arbeiterbewegung bringen immer die Notwendigkeit mit sich, auf der Ebene der politischen Umgruppierung zu handeln. Dass dies heute schwieriger ist als in der Vergangenheit, schließt nicht aus, dass die Achse unserer Arbeit im Kampf um eine antikapitalistische, breite, plurale, demokratische, feministische, ökologische und internationalistische Linke ausgerichtet ist. DIE ENTSCHEIDENDE BEDEUTUNG DER GESELLSCHAFTLICHEN UMGRUPPIERUNG Hier handelt es sich um ein Projekt, das die gesamte Linke in Europa betrifft, und das von der „europäischen Linken“ vernachlässigt und aufgegeben wurde, weil sie die Strategie eines organischen Bündnisses mit der Sozialdemokratie verfolgt. Dabei weiß sie, dass die notwendige Umgruppierung heute mehr noch als zu Beginn der 1990er Jahre eine klare klassenbasierte und antikapitalistische Ausformung haben muss. Unmittelbar nach dem Fall der Berliner Mauer und der Auflösung der UdSSR war die Idee vorherrschend, man müsse „Widerstand leisten“ und die kommunistischen Avantgarden zusammenführen, die mit Klassenpolitik verbunden waren und einen Prozess der politischen und programmatischen Klärung anstrebten. Diese Phase ist nun zu Ende gegangen. Heute kann der Prozess der Umgruppierung auf einige wichtige Erfahrungen zurückgreifen – in Italien, in Brasilien und in anderen Bereichen auf die französischen und britischen Fälle. (Wir möchten anmerken, dass es sich bei den vier Ländern um diejenigen handelt, in denen die globalisierungskritische Bewegung die engagierteste und einflussreichste ist.) Die Frage der Regierungsbeteiligung in einem kapitalistischen und/oder imperialistischen Land scheint nun grundlegend zu sein: Sie nach den Ereignissen in Brasilien und Italien zu unterschätzen, könnte tödlich sein! Diese Debatte muss die europäische antikapitalistische Linke (die Rifondazione nicht ohne Grund verlassen hat) führen. Heute ergibt sich die Möglichkeit zu einem qualitativen Sprung, nicht auf der Ebene der Diskussion, sondern vor allem auf der Ebene der politischen und gesellschaftlichen Initiative. Aus dem Scheitern des Projektes der Rifondazione ergibt sich die entscheidende Bedeutung des Prozesses einer erneuerten gesellschaftlichen Umgruppierung. Und die Gewerkschaftsfrage ist auf dieser Ebene am meisten offen. Wir brauchen zu diesem Thema eine adäquate Reflexion, denn ohne ein – evtl. partielles – Projekt der Verankerung und Neuzusammensetzung wird es keinen Neuaufbau einer klassenbasierten Linken geben. Auch müssen wir unsere Reflexionen über die globalisierungskritische Bewegung fortsetzen, unsere Analyse der besonderen Krise, die sich heute zwischen der organisierten Politik, die häufig von professionellen politischen Klassen gemacht wird, und der Gesellschaft auftut, um besser bestimmen zu können, was die politischen und gesellschaftlichen Avantgarden sein sollten. Es handelt sich um einen Reflexionsprozess, der für die revolutionäre Linke eine neue Phase des „sozialen Lernens“ erfordert, um die Verwurzelung und Integration in diesen Prozess voranzutreiben. Salvatore Cannavò ist Abgeordneter und Mitglied des Internationalen Komitees der IV. Internationale. Er ist führendes Mitglied von Sinistra critica in Italien. Übersetzung: Paul B. Kleiser INPREKORR 428/429 ITALIEN Partei der Kommunistischen Erneuerung – Rifondazione: Chronologischer Überblick November 1989: Drei Tage nach dem Fall der Berliner Mauer kündigt der Sekretär (Vorsitzende) der italienischen Kommunistischen Partei, Achille Occhetto, an, man müsse anstelle der KPI eine neue Partei gründen. März 1990: Auf dem 19. Parteitag der KPI bekommt der Vorschlag von Occhetto 67% der Mandate. Die KPI soll in eine Art Fortschrittspartei umgewandelt werden, deren Programmatik es wäre, „die Anti-Christdemokraten nicht mehr den Antikommunisten“ gegenüber zu stellen, sondern sie zu vereinen. Zwei Gegentendenzen treten auf: Die eine um Ingrao und Natte verweigert sich der Umbenennung und erhält 33%, die andere um Armando Cossutta, die radikaler ist und sich auf die kommunistische Tradition (aber nicht den Stalinismus) beruft, erhält 3%. Januar 1991: Ein Parteitag der KPI nimmt die Namensänderung vor und gründet die Demokratische Linkspartei (PDS). Eine von Cossutta und Sergio Garavini geführte Minderheit, der auch 11 Senatoren und drei Abgeordnete angehören, spaltet sich ab und beginnt mit dem Aufbau einer Bewegung der kommunistischen Neugründung (MRC). Mai 1991: Erstes nationales Treffen der MRC. Bei den Kommunalwahlen erhalten ihre KandidatInnen im Mittel 2,6%, sind aber nicht in allen Kommunen vertreten. In einigen Arbeiterhochburgen bekommt die MRC über 10% und in einer sogar mehr als die PDS. Oktober 1991: Eine nationale Demonstration der MRC gegen das Finanzgesetz (den Haushalt) bringt 50 000 Menschen nach Rom. „Die Opposition ist wieder auf der Straße“, meint die MRC. Dezember 1991: Parteitag zur Gründung der Partei der kommunistischen Erneuerung, an dem außer den aus der KPI kommenden Mitgliedern auch die von der „Proletarischen Demokratie“ (darunter die italienische Sektion der IV. Internationale), weitere trotzkistische Organisationen usw. teilINPREKORR 428/429 nehmen. Es gibt 1178 Delegierte (einer pro 100 Mitglieder), davon 532 frühere KPI-Mitglieder und 113 frühere Mitglieder anderer Parteien. April 1992: Bei den Wahlen erhält die PRC 5,6% der Stimmen für die Abgeordnetenkammer und 6,5% für den Senat (für den nur WählerInnen ab 25 Jahren stimmberechtigt sind). Mit 35 Abgeordneten und 20 Senatoren hat die PRC in der italienischen PolitikSzene ein bedeutendes Gewicht. Bei den Europawahlen von 1994 erhält die PRC 6,1% der Stimmen. März 1995: Fünfzehn Abgeordnete der PRC stimmen für das neoliberale Finanzgesetz der „technischen“ Regierung von Lamberto Dini (der mit der Konterreform der Renten beginnt). Dies führt zu einer Krise in der Partei. Im Juni 1995 spalten sich diese Leute mit Garvini und Lucio Magri ab und gründen die Bewegung der unitarischen Kommunisten, die sich der PDS anschließen wird. April 1996: Um das Gesetz zu unterlaufen, das das Verhältniswahlrecht nur noch für ein Viertel der Abgeordneten anwenden möchte, schließt die PRC ein Abkommen mit dem „Olivenbaum“ (einer Koalition aus PDS und dem christdemokratischen Zentrum plus kleine Parteien). Sie erhält 8,6% der Stimmen, 35 Abgeordnete und 11 Senatoren. Diese VertreterInnen unterstützen die Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi, ohne ihr anzugehören. Aber ab Juni 1996 sehen sie sich als Teil dieser parlamentarischen Mehrheit. Dezember 1996: Auf dem Parteitag der PRC erhält ein Text der Opposition – der als „trotzkistisch“ gilt, wiewohl die Mehrheit der UnterzeichnerInnen der Führung aus der Tradition der KPI kommen – 15% der Mandate. Oktober 1997: Die PRC verweigert dem Haushaltsentwurf der Regierung Prodi ihre Unterstützung, was zu eine Regierungskrise führt. Nach Prodis Rücktritt beginnen Verhandlungen, die auch zu einem Ergebnis führen: die PRC unterstützt die Regierung während eines Jahres im Austausch für ein Gesetzesvorhaben zur Einführung der 35 Stunden-Woche … im Jahr 2000. Oktober 1998: Nachdem Fausto Bertinotti die Partei mehrere Monate darauf vorbereitet hat, übernimmt er gegen Armando Cossutta (der auf dem vorangegangenen Parteitag zur Mehrheit gehörte) mit Unterstützung eines Teils der Minderheit (Maitan, Turigliatto usw.) die Initiative zur Ablehnung des Haushaltsentwurfs der Regierung Prodi, was die Regierung zu Fall Es ist eine wirkliche Obsession der „offiziellen“ italienischen Linken geworden, die auch in einer Antwort von Bertinotti auf Fragen von StudentInnen, die ihn an der Universität Rom angegriffen haben, deutlich geworden ist: „Wer sich außerhalb des Kompromisses stellt, stellt sich außerhalb der Politik“. 45 ITALIEN bringt. Der andere Teil der Minderheit (Ferrando, Grisolia …) bringt einen eigenen Text mit gleicher Stoßrichtung ein, doch insgesamt kommt es zu keiner Mehrheit für einen Bruch mit der Regierung Prodi. Da er in der Minderheit ist, bricht Cossutta mit der Partei und gründet die Partei der italienischen Kommunisten (PdCI). Er unterstützt die Mitte-Links-Regierung von d’Alema (dem Nachfolger von Prodi) und wirft der PRC vor, die „Mehrheit CossuttaBertinotti durch eine Mehrheit Bertinotti-Maitan“ ersetzt zu haben. Tatsächlich beginnt eine Linkswende der PRC, die sie dazu führt, einen bedeutenden Platz in der aufkommenden globalisierungskritischen Bewegung einzunehmen und eine große Rolle in der Mobilisierung gegen den G-8-Gipfel im Juli 2001 in Genua und später in der Bewegung gegen den Krieg zu spielen. Bei den Europawahlen von 1999 erhält die PRC zwar nur 4,3% der Stimmen (die PdCI 2%), aber bei den Regionalwahlen von 2000 und den Parlamentswahlen 2001 stabilisiert sie sich – trotz eines allgemeinen Rückgangs der Linken – bei 5% der Stimmen. Wir möchten anmerken, dass die Parteiführung Gigi Malabarba, einem weithin bekannten Mitglied der IV. Internationale, die Leitung der Fraktion im Senat anvertraut. April 2002: Der Parteitag der PRC nimmt eine Orientierung auf den Aufbau der sozialen Bewegungen und einer linken Alternative an. Eine von Ferrando und Grisolia geführte Minderheit erhält 16% der Mandate; die Mitglieder der IV. Internationale bringen Änderungsvorschläge zur Resolution der Mehrheit ein und beteiligen sich am Aufbau einer einheitlichen Parteiführung. Juni 2003: Über 10 Mio. Menschen (87,3% der abgegebenen Stimmen) stimmen bei einem Referendum zugunsten der Ausweitung der Rechte der Arbeitenden, besonders in den Kleinunternehmen. Aber die Beteiligung liegt bei unter 50%, so dass sich die Regierung Berlusconi nicht an das Abstimmungsergebnis halten muss. Denn die Kampagne für dieses Referendum 46 wurde nur von der PRC und den sozialen Bewegungen getragen, mit später Unterstützung ohne Mobilisierung der Führung der CGIL, des wichtigsten Gewerkschaftsverbandes, sowie einer negativen Haltung der Mitte-LinksParteien. Für Bertinotti ist dies der Beweis für das Scheitern der 2002 angenommenen Orientierung. Am Vorabend eines Treffens der nationalen Führung kündigt er in der Presse eine Änderung der Parteilinie hin zu einer programmatischen Einigung mit dem „Olivenbaum“ im Hinblick auf die Wahlen von 2006 an. Bei den Europawahlen von 2004, wo sie noch von ihrer linken Orientierung profitiert, erhält die PRC 1,926 Mio. Stimmen (= 6,1%). Februar 2005: Die PRC bringt sich in das Mitte-Links-Bündnis, das nun „Unione“ (Union) heißt, ein. Die Führung dieses Bündnisses soll in Vorwahlen gewählt werden, die von Romano Prodi im Oktober 2005 mit drei Vierteln der Stimmen gewonnen werden. (An zweiter Stelle folgte Bertinotti mit 14,7% der Stimmen.) März 2005: Auf dem Parteitag der PRC erhält Bertinotti eine Mehrheit von 59,17% der Mandate. Vier minoritäre Strömungen bekämpfen seine Orientierung: „Essere comunisti“, die sich auf die Tradition des KPI-Führers Palmiro Togliatti berufen, erhält 26%; das „kommunistische Projekt“ von Ferrando und Grisolia (die sich gespalten haben und noch vor den Wahlen vom April 2006 in mehreren Wellen die PRC verlassen haben) 6,5%, die Sinistra critica (kritische Linke) ebenfalls 6,5% und „Hammer und Sichel“, die mit der internationalen trotzkistischen Strömung von Ted Grant verbunden ist, 1,6%. April 2006: Die Unione fährt einen knappen Wahlsieg ein und verfügt im Senat nur über zwei Stimmen Mehrheit. Die aufgeblähte Regierung Prodi (101 Mitglieder, wenn man die VizeMinister und die Staatssekretäre hinzurechnet) hat auch einen Minister der PRC: Paolo Ferrero ist Minister für gesellschaftliche Solidarität. Juli 2006: Erste Regierungskrise wegen der Abstimmung zu den Auslandsmilitäreinsätzen, denn Prodi zieht zwar die Truppen aus dem Irak ab, möchte aber die italienische Militärpräsenz in Afghanistan verstärken. Außerdem stellt Prodi die Vertrauensfrage, um die gesamte Linke zu zwingen, zugunsten des Krieges in Afghanistan zu stimmen oder die gerade gewählte Regierung stürzen zu lassen. Die Friedensbewegung kommt langsam auf Touren; die gewählten Vertreter der Sinistra critica – Salvatore Cannavò in der Kammer, Gigi Malabarba (der seinen Platz ab August wie vorgesehen Frau Heidi Giuliani, deren Sohn Carlo bei der Demonstration im Juli 2001 in Genua von der Polizei ermordet wurde, überließ) und Franco Turigliatto übernahmen die Initiative für eine Petition gegen den Krieg, die von 16 SenatorInnen unterzeichnet wurde und die ankündigten, diesmal noch für das Vertrauensvotum – und somit den Krieg – zu stimmen, aber kein zweites Mal mehr für den Krieg votieren zu wollen. Februar 2007: Über 100 000 Menschen demonstrieren gegen die Vergrößerung der Militärbasis der USA bei Vicenza. Franco Turigliatto von der PRC/Sinistra critica wie auch der Senator der PdCI, Fernando Rossi, stimmen diesmal gegen den Krieg in Afghanistan und gegen die Militärbasis in Vicenza. Diese Stimmen fehlen Prodi zur Mehrheit und damit ist die Regierungskrise da. Turigliatto tritt aus dem Senat zurück. Die Führung der PRC schließt ihn aus der Partei aus. März 2007: Auf Initiative von Sinistra critica beteiligen sich über 1 000 Menschen am Treffen der „Unvereinbarkeit mit Krieg und Neoliberalismus“, die im ganzen Land in Solidarität mit den politischen Entscheidungen von Franco Turigliatto stattfinden: 400 in Turin (wo Turigliatto gewählt wurde), 350 in Rom, einige Hundert in Brescia, Mailand, Riccione, Bari … 14. April 2007: Nationale Versammlung von über Tausend AktivistInnen auf Initiative von Sinistra critica in Rom. Eine Linksopposition gegen die Regierung Prodi beginnt sich zu bilden. Eine gesellschaftliche und politische Opposition. INPREKORR 428/429 ITALIEN Der Rahmen, in dem wir handeln müssen Gigi Malabarba, bis vor kurzem Senator der PRC-Rifondazione, ist Mitglied der Vereinigung Sinistra critica. Wir drucken hier die Übersetzung einer Stellungnahme aus einem Video-Interview vom 26. Februar 2007, das auch auf der Web-Site von Sinistra critica zu sehen ist. (www.sinistracritica.org). Diese Stellungnahme wurde auch in der italienischen Tageszeitung Il Manifesto veröffentlicht. Gigi Malabarba In der PRC wurde die Sensibilität der Unione (Mitte-Links-Bündnis) hinsichtlich der Konflikte und der sozialen Bewegungen als wichtigstes Element des Unterschieds jener Koalition zur Regierung Berlusconi hingestellt. Tatsächlich hat sich dies als völlig falsch erwiesen. Wir haben (von der Regierung Prodi) überhaupt nichts bekommen. Im Verlauf der ersten Regierungsmonate von Prodi gab es keine stärkeren Mobilisierungen, weil die Führungsgruppen der verschiedenen Bewegungen die Initiative gewissermaßen an die Regierung Prodi delegiert hatten, und weil sie von ihr etwas erwarteten. Als jedoch die Mobilisierungen von Neuem begannen – so etwa der große Kampf gegen die US-Militärbasis in Vicenza – war die Regierung nicht nur nicht empfänglich für die Forderungen der sozialen Bewegung, nein schlimmer noch, sie erwies sich als ihr Feind. Und dies sogar nach den Mobilisierungen von Zehntausenden von Menschen – der wichtigsten Mobilisierung der Friedensbewegung seit langen Jahren, der es gelungen ist, sich um eine klare und wichtige Zielsetzung herum wieder aufzubauen. Dieses Element ist umso bedeutsamer, als einerseits Prodi direkt nach der Demonstration von Vicenza in aller Deutlichkeit eine negative Haltung zu ihrer Forderung eingenommen und sich der gesellschaftlichen Bewegung entgegen gestellt hat (in der Art: „glücklicherweise ist es nicht zu Ausschreitungen gekommen“), und andererseits konnten wir eine verrückte Entwicklung der Ereignisse erleben. Wir wissen, dass einige Tausend Menschen, die die direkt aus Val de SuINPREKORR 428/429 sa (wo die Initiative ≥No TAV„ gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon kämpft) kamen, sich an dieser Demonstration beteiligten. Doch 24 Stunden, nachdem Prodi erklärt hatte, die Militärbasis in Vicenza würde wie geplant ausgebaut, kündigte Finanzminister Paolo Schioppa den Baubeginn der Linie Turin-Lyon für den September 2007 an und stellte sich somit frontal der zweiten sozialen Bewegung des vergangenen Jahres in den Weg. Ich glaube, ich muss noch eine weitere Sache erwähnen: die Erklärungen von Innenminister Giuliano Amato. Die Entdeckung von Anhängern des Terrorismus in Fabriken und Gewerkschaften usw. wurde auf vorbeugende Art gegen die Mobilisierungen der Arbeitenden direkt ausgeschlachtet. Die gemäßigte CGIL von Guglielmo Epifani und die Kämpfe der FIOM werden bereits unter Anklage gestellt. So werden die Un- zufriedenheit der Welt der Arbeit – vor allem wegen des neuen Haushaltsgesetzes (Finanziaria), das die schwächsten Schichten der Gesellschaft noch härter trifft – und vor allem die Kämpfe der Arbeitenden gegen die Bedrohung durch eine neue und tiefgreifende Konterreform des Systems der sozialen Sicherheit heute schon von Minister Amato vorbeugend kriminalisiert. Und sogar der Präsident der Republik, Giorgio Napolitano (früher Mitglied der Kommunistischen Partei!) erklärt uns, die Kämpfe, Demonstrationen und Mobilisierungen könnten der Beweis für eine terroristische Kultur sein. Damit stellt sich der politische und institutionelle Rahmen, wie er durch die Mitte-Links-Regierung geschaffen wurde, in allen entscheidenden Fragen frontal gegen die Mobilisierungen, die sich gegen die neoliberale Politik und gegen den Krieg richten. Dies ist umso gefährlicher, als sich daraus eine bedeutsame Front für die Rechte ergibt. Wir haben bereits starke Mobilisierungen der Casa delle Libertà [„Haus der Freiheiten“, Zusammenschluss der Rechten, A.d.Ü.] in Rom erlebt. Aber heute eröffnet sich ein Feld für die gegen das System gerichteten Kritiken und Mobilisierungen eiGigi Malabarba 47 PHILIPPINEN ner zu neuer Kraft gekommenen extremen Rechten, was besonders gefährlich ist, vor allem wenn man an die Verbindungen denkt, die zwischen diesen Bewegungen und den Sicherheitskräften bestehen. Dies ist der Rahmen, in dem wir handeln müssen. Offensichtlich hat diese Regierung, abgesehen von den politischen Dynamiken im Zentrum, keine der Fragen angepackt, derentwegen sie im Wesentlichen gewählt worden ist: Müssen wir noch an die Veränderung, ja Abschaffung des Trenta-Gesetzes (über die Arbeit) erinnern, oder aber die des Bossi-Fini-Gesetzes (zur Einwanderung), oder aber an die ganze Moratti-Reform (die das Bildungswesen betrifft)? Insgesamt sind alle großen Schweinereien der Regierung Ber- lusconi nicht angetastet worden. Und heute, in der zweiten Phase, legt man alle Probleme, die insbesondere die Welt der Arbeit betreffen, beiseite. Alle diese Elemente wurden als große Erfolge der Linken gefeiert, die sich aber in der Bredouille befindet; schlimmer noch, man hat den Mythos von einem „bolschewistischen“ Staatshaushalt erfunden. Somit sind die negativen Maßnahmen der Bevölkerung als Maßnahmen, die von der Linken ergriffen wurden, erschienen. Und heute sagt man uns, man müsse den Marsch beschleunigen und in Phase 2 eintreten. Dies sind die grundlegenden Fragen. Darüber hinaus hat sich eine starke Kraft wie die des Vatikans, eine Macht, die dabei ist, die Politik der Regierung der Unione zu bestimmen, eingemischt. Somit sind alle entscheidenden Kräfte, die auf die eine oder andere Weise eine Alternative zu Berlusconi begünstigt haben, dabei, einen neuen politischen Rahmen in der Mitte zu schaffen. Es handelt sich um eine Art große Koalition, die sich aber nur auf die Kräfte der linken Mitte stützen kann, denn sie verfügt nicht über ein ausreichendes politisches Potenzial. Die sehr begrenzte Ausweitung der Basis (der zweiten Regierung Prodi) um den Senator Follini (früherer Christdemokrat, Vertreter von „Italien der Mitte“) ist in dieser Hinsicht sehr bezeichnend. Übersetzung: P.B.Kleiser Eine revolutionär-marxistische Partei in Mindanao Clara Maria Sanchez Die Ursprünge der Revolutionären Arbeiterpartei Mindanaos (RPMM) gehen auf die Spaltung der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) im Jahr 1992 zurück. Die im Jahr 1968 unter der Führung von Jose Maria Sison gegründete CPP entwickelte sich rasch zu einer bedeutenden politischen Kraft und spielte eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Diktatur von Marcos (1972 bis 1986). Sie verdankte diese Rolle sowohl ihrem bewaffneten Arm, der Neuen Volksarmee (New People’s Army, NPA), als auch ihrer Beteiligung in der Massenbewegung. Die Grundlagen der Partei waren aus rein mao-stalinistischem Guss. Die philippinische Gesellschaftsform wurde als „halbkolonial und halbfeudal“ charakterisiert und die zu machende Revolution als eine „national-demokratische“. Die Strategie der CPP war die des lang andauernden Volkskriegs, um die Städte vom Land aus einzukreisen. Die einzelnen, strikt voneinander getrennten Etappen dieser Stra48 tegie waren strategische Verteidigung, strategischer Gleichstand der Kräfte und strategische Offensive, wobei jeder dieser Etappen noch Unteretappen zugeordnet waren. Die gesamte Arbeit der Partei war dem Aufbau einer Guerilla-Armee in den ländlichen Gebieten untergeordnet. Der offene Massenkampf gegen die Diktatur und für Reformen wurde nur als propagandistische Übung und als Rekrutierungsfeld für die Untergrundpartei angesehen. Die organisatorischen Prinzipien der Partei basierten auf stalinistischem bürokratischen Zentralismus ohne Tendenzrecht. Der erste Kongress der Partei soll im Dezember 1968 stattgefunden haben. Es gab keinen zweiten. Die Politik der CPP kollidierte in zunehmendem Maße mit der von ihren Annahmen abweichenden Realität der Philippinen. Im Gegensatz zu Sisons Analyse war die philippinische Gesellschaft nicht halbfeudal; es handelte sich vielmehr um eine abhängige kapitalistische Gesellschaft. Durch die komplexe Realität der philippinischen Gesellschaft und den Kampf gegen die Diktatur wurde die Partei gezwungen, Massenkampf und bewaffneten Kampf in unterschiedlichsten Formen zu kombinieren; Kombinationen, die sehr bald nicht mehr in das vereinfachende Schema des „verlängerten Volkskriegs“ passten. Das führte zu Debatten über Strategie und Taktik und für einige Zeit sogar zu einem gewissen Pluralismus in der CPP. Die Debatten über die Fragen, die der Spaltung im Jahre 1992 zugrunde lagen, begannen schon 1980 beim 8. Plenum des Zentralkomitees. Aber zu dieser Zeit „schien es nicht dringend, diese Fragen schnell zu klären, weil die Bewegung im Wachsen war“, wie Francisco Nemenzo in einem Interview feststellte1. Es gab nicht nur Zeit und Raum für Debatten, sondern es wurde auch mit verschiedenen Kampfformen 1 Interview in Links no. 2, Juli-September 1994 INPREKORR 428/429 PHILIPPINEN experimentiert, die nicht in das Schema vom „verlängerten Volkskrieg“ passten. Das war vor allem in Mindanao der Fall. Diese Experimente basierten zu einem großen Teil auf den Erfahrungen der revolutionären Bewegungen in Mittelamerika und in Vietnam. Sie fanden zwischen 1977 und 1986 statt, als sich Sison nach seiner Verhaftung im Gefängnis befand. Ein Wendepunkt war 1986, als die CPP entschied, die Wahlen zu boykottieren, die auf Marcos’ Sturz durch die Volksbewegung folgten. Die Wahlen wurden von Cory Aquino gewonnen und führten zu einer Wiederherstellung bürgerlich-demokratischer Formen. Diese Entscheidung isolierte die Partei von der Massenbewegung. Einige Monate später veröffentlichte die Parteiführung eine Selbstkritik, in der sie den Boykott ziemlich klar als falsch bezeichnete. Sie vermied es jedoch, die Gründe für diesen schweren Fehler zu analysieren. Weitere Diskussionen wurden von der Führung abgewürgt. Nach der Wiederherstellung der bürgerlichen Demokratie verschärften sich die Widersprüche, die durch die Unterordnung der Massenarbeit unter den bewaffneten Kampf, besonders unter den bewaffneten Kampf in den ländlichen Gebieten, hervorgerufen wurden. JOSE MARIA SISON, DER GRÜNDER DER MAO-STALINISTISCHEN CPP Während der gesamten Wachstumsperiode der CPP in den späten 70er und frühen 80er Jahren wuchs die Organisation in Mindanao überdurchschnittlich. In vielfacher Hinsicht war der Kampf in Mindanao der fortgeschrittenste auf den Philippinen. Das galt sowohl für den bewaffneten Kampf als auch für den Massenkampf. Aber mit der Verankerung in Mindanao sah sich die Partei mit den Besonderheiten der Insel konfrontiert. Während der spanischen Kolonialzeit war Mindanao mit Ausnahme einiger Stützpunkte an der Küste niemals besetzt gewesen. Die Insel wurde von Muslimen bewohnt, die in den Sultanaten von Maguindanao und Jolo lebten und Moros genannt wurden, sowie von Stämmen der Urbevölkerung. Nach dem Ende des Spanisch-Amerikanischen Krieges 1898 wurden die Philippinen für 20 Millionen Dollar an die US-Amerikaner verINPREKORR 428/429 kauft, die das Land gegen heftigen Widerstand seitens der revolutionär-nationalistischen Kräfte, die sich 1896 gegen die spanische Herrschaft erhoben hatten, erobern mussten. Es wird geschätzt, dass die USamerikanische „Befriedung“ der Philippinen ein Sechstel der Bevölkerung das Leben kostete. Die Eroberung Mindanaos war besonders schwierig und blutig, und der Widerstand dauerte bis 1914. Die darauf folgenden Regierungen in Manila verfolgten eine bewusste Politik der Ansiedlung christlicher Siedler von anderen Inseln auf Mindanao, mit dem Erfolg, dass die Muslime und die Völker der Ureinwohnerschaft zu einer Minderheit wurden. Die Siedler stellten jedoch anders als z.B. in Südafrika und Israel keine privilegierte Schicht dar, sondern waren Arbeiter und Bauern, die auch ausgebeutet wurden. Aber es gab eine nationale Frage des Bangsa-Moro-Volkes, und Anfang der 70er Jahre begann ein bewaffneter Kampf für Selbstbestimmung. Und es geht außerdem um die Frage des Rechts der eingeborenen Völker auf das Land ihrer Ahnen und zwar sowohl in den mehrheitlich mus- limischen als auch in den mehrheitlich christlichen Gebieten. Die CPP in Mindanao musste sich dieser Wirklichkeit stellen und begann eine Bündnisarbeit sowohl mit den Moro-Bewegungen – der Moro National Liberation Front (MNLF) und der Moro Islamic Liberation Front (MILF) – als auch mit der Urbevölkerung. Das führte zu Debatten und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Partei in Mindanao und mit der zentralen Führung der CPP. In der Konzeption der CPP von der nationalen demokratischen Revolution hatten die spezifischen nationalen Fragen in Mindanao keinen Platz; nach der Vorstellung der Sison-Führung sollten sie nach dem Sieg der Revolution gelöst werden. In Mindanao war der Kampf so weit entwickelt, dass auch städtische Partisaneneinheiten eingesetzt wurden und es zu militärischen Offensiven kam, die einen halb-aufständischen Charakter annahmen. Alles Dinge, die nicht in das Schema des „verlängerten Volkskriegs“ passten. Die ursprünglichen Wurzeln der RPMM befinden sich in der Zentralen Mindanao-Region (CMR) der CPP49 PHILIPPINEN NPA, die 1987 durch den Zusammenschluss der Nordwest-Region mit der Moro-Region entstand. Er fand zu einem Zeitpunkt statt, als die CPP und ihre Organisationen in große Schwierigkeiten gerieten. Das lag vor allen Dingen an der Unfähigkeit, die neue Situation nach dem Übergang von der Diktatur zur bürgerlichen Demokratie korrekt zu analysieren und die Taktik der Partei entsprechend anzupassen. Es ging nicht nur um einzelne taktische Probleme, sondern um die gesamte Strategie der CPP. Darüber hinaus war die Partei durch eine Serie von Säuberungen in den eigenen Reihen angeschlagen und traumatisiert. Durch diese Säuberungsaktionen sollten Regierungsspitzel entfernt werden; getötet wurden Tausende von Parteimitgliedern, die meistens schuldlos waren. Das führte zu einer beträchtlichen Schwächung der Partei. Die Säuberungen in Mindanao waren besonders heftig. Die Debatten wurden erbitterter. Sison, der sich 1988 freiwillig ins Exil in den Niederlanden begeben hatte, veröffentlichte Ende 1991 ein Dokument mit dem Titel „Bestätigt unsere Prinzipien und korrigiert Fehler“. Sein Ziel war es, die CPP wieder auf seine Version maoistischer Orthodoxie einzuschwören und die Partei von denen zu säubern, die sie in Frage stellten. Alle Parteiorganisationen wurden aufgefordert „zu bestätigen“. Die Unterstützer Sisons erhielten die Bezeichnung „Bestätiger“ (Reaffirmists, RA), diejenigen, die sich weigerten, die Bezeichnung „Ablehner“ (Rejectionists, RJ). Sisons Position wurde vom 10. Plenum des Zentralkomitees 1992 bestätigt, und die Parteiführung lehnte die Einberufung eines Kongresses zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten ab – eines Kongresses, den sowohl „Bestätiger“ als auch „Ablehner“ befürwortet hatten. Das machte die Spaltung unausweichlich. In der Folge wurden alle, die Sisons Positionen ablehnten, ausgeschlossen und ab 1993 begannen bedeutende Teile der Partei – sowohl Regionalorganisationen als auch Abteilungen – sich für unabhängig vom Parteizentrum zu erklären2. Zu dieser Zeit waren die Meinungsverschiedenheiten 2 Dazu gehörten die Mehrheit oder bedeutende Teile der Parteiorganisationen in Manila-Rizal, Mindanao und den Visayas, als auch das Bauernsekretariat, das Einheitsfrontsekretariat und das Internationalismus-Department. 50 umfassend. Sie betrafen die folgenden Gebiete: • Analyse von Wirtschaft und Gesellschaft der Philippinen durch die Partei • politische und militärische Strategie der Partei • die Frage der nationalen Minderheiten • das interne Regime der Partei • die Einschätzung des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Prozesses der kapitalistischen Restauration in China. In Bezug auf die zuletzt genannten Punkte beschränkte sich die Parteiführung auf das Ritual der Verurteilung des „modernen Revisionismus“, wohingegen Teile der Opposition begannen, die Konzepte von Stalinismus und Bürokratie zu verwenden, um zu verstehen, was sich ereignete bzw. ereignet hatte. Die Spaltung stellte die Oppositionellen vor die Aufgabe, eine Alternative aufzubauen. Gegen Ende 1994 rief die CMR (Zentrale Mindanao Region) zu einer Parteikonferenz auf und lud dazu die anderen bedeutenden Teile der „Ablehner“ aus dem Rest der Philippinen ein. Das Ergebnis dieser Konferenz war die Gründung einer Partei vorbereitenden Organisation in Mindanao, die Kommunistische Volkspartei (People’s Communist Party, PCP) genannt wurde. Sie unterhielt Kontakte und Beziehungen mit anderen „Ablehner“-Kräften. Im September 1995 berief sie ein Gipfeltreffen mit den Führungen der Minala-Rizal-Region (Hauptstadt) und den Visayas-Regionen ein. Das Ziel war der Aufbau einer neuen Partei auf nationaler Ebene. Während dieser Zeit begann die PCP mit einer umfassenden Überprüfung ihrer Ideologie und ihrer Politik. Sie bilanzierte 10 Jahre Parteiarbeit in Mindanao und veranstaltete Konferenzen zu folgenden Themen: • Wahlkampf- und Parlaments-Arbeit, • Massenarbeit und Massenbewegungen, • Arbeit auf internationaler Ebene, • Entwicklungs- und Frieden schaffende Arbeit. Nach 3 Jahren Diskussionen und Debatten gab es 1998 einen ernsthaften Versuch, eine neue gesamt-philippinische Partei aufzubauen. Daran be- teiligt waren die PCP, das Parteikomitee von Visayas und Teile der Führung der Region Manila-Rizal. Auf einem Kongress in den Bergen von Mindanao wurde die Revolutionäre Arbeiterpartei der Philippinen (Revolutionary Workers’ Party of the Philippines, RPMP) mit ihrem bewaffneten Arm, der Revolutionären Proletarischen Armee/Alex-Boncayo-Brigade, gegründet. Unglücklicherweise war diese Initiative zum Aufbau einer gesamt-philippinischen Partei nicht erfolgreich. Es kam zu schwerwiegenden Meinungsverschiedenheiten über die Funktionsweise der neuen Partei. Nach Ansicht der Genossen und Genossinnen aus Mindanao hatte besonders die Führung von Visaya nicht mit bestimmten Methoden der CPP gebrochen. 1999 begannen Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der RPMPABB und im Jahr 2000 wurde ein Friedensvertrag unterzeichnet. Die Genossen und Genossinnen aus Mindanao lehnten sowohl die undemokratische Weise ab, in der der Vertrag zustande gekommen war, als auch seinen Inhalt, der ihrer Meinung nach einer einfachen Kapitulation gleichkam. Daraufhin gründeten die Genossen und Genossinnen aus Mindanao im Mai 2001 die RPMM mit ihrem bewaffneten Arm, der Revolutionären Armee der Völker (Revolutionary Peoples’ Army, RPA). Die Mehrzahl signalisiert das Versprechen auf Anerkennung der drei Völker Mindanaos. Die Partei hat eine gesamt-philippinische Perspektive, aber ihre Kräfte befinden sich in Mindanao und unter Mindanaoanern, die auswärts leben. Nach der Abspaltung von der CPP hatte die CRM internationale Kontakte mit anderen Kräften aufgenommen; insbesondere mit der Vierten Internationale. 1995 schickte sie einen Vertreter zu deren Weltkongress. Diese Beziehungen wurden während der RMPP-Periode aufrechterhalten, und 2003 wurde die RPMM die philippinische Sektion der Vierten Internationale. Die Lage in Mindanao ist alles andere als stabil. Zunächst gibt es nach wie vor keine Lösung der nationalen Frage der Moros. Ein Vertrag zwischen der philippinischen Regierung und der MNLF aus dem Jahr 1996 führte zur Gründung der Autonomen Region des muslimischen Mindanao (Autonomous Region of Muslim Mindanao, ARMM). INPREKORR 428/429 PHILIPPINEN Sie hat jedoch die Hoffnungen, die in sie gesetzt worden waren, nicht erfüllt, wird nach wie vor von Manila beherrscht und ist durchsetzt mit Korruption und Klientelwesen. Zur Zeit gibt es Verhandlungen mit der MILF, aber ihr Ausgang ist ungewiss und bewaffnete Zusammenstöße mit der Armee sind nicht selten. Die Anwesenheit der Gruppe Abu Sayyaf, einer wirklich terroristischen Gruppe mit Verbindungen zu Al-Qaida, führte dazu, dass Mindanao als eine Front im „Krieg gegen den Terrorismus“ definiert wurde. So wird sowohl die fortdauernde Militarisierung Mindanaos als auch die Anwesenheit von US-Truppen in Mindanao gerechtfertigt. Dazu kommt, dass in Mindanao und besonders in der ARMM, die ärmsten Provinzen der Philippinen liegen. Die natürlichen Reichtümer der Insel werden von multinationalen Konzernen geplündert. Es handelt sich hauptsächlich um Bergbau und Holzgewinnung, die katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt haben und mit dem Eindringen in die angestammten Gebiete der Urbevölkerung verbunden sind. Bewaffnete Konflikte sind nicht die einzige Form von Gewalt, der die Einwohner Mindanaos ausgesetzt sind. Obwohl illegal und im Untergrund, unterstützt die RPMM die Aktivitäten einer Vielzahl von sozialen Bewegungen und Basisorganisationen, die sich der Probleme der Arbeiterklasse, der städtischen Armen, der Bauern und der Fischer annehmen, als da sind: Gesundheit, Wohnung, Bildung, Mangel an Arbeitsplätzen, Agrarreform. Insbesondere gibt es eine starke Friedensbewegung, die sich auf das Drei-Völker-Konzept stützt, nach der die nationale Frage durch die Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung und die Organisation eines Referendums gelöst werden soll. Sie versucht, eine Einheit der drei Völker auf dieser Basis herzustellen. Im Dezember 2006 fand auf der Insel Basilan der 4. Friedensgipfel der Völker von Mindanao statt. Auf ihm versammelten sich 500 Personen aus ganz Mindanao, unter ihnen Vertreter von MNLF, MILF und der eingeborenen Völker. Auf der Wahlebene werden diese Ideen durch die Wahlliste „Anak Mindanao (Amin)“ vertreten, die gegenwärtig einen Repräsentanten im philippinischen Parlament hat. Die Gesellschaft auf Mindanao ist INPREKORR 428/429 hochgradig militarisiert. Außer der philippinischen Armee (zwei Drittel ihrer Kräfte sind in Mindanao stationiert) und der Polizei gibt es die MNLF, die MILF und die Selbstverteidigungskräfte der Urbevölkerung. Die CPP-NPA, die noch in einigen Teilen Mindanaos aktiv ist, hat seit der Spaltung eine Politik der Ermordung früherer Mitglieder verfolgt. Unter den Ermordeten befinden sich zwei Mitglieder der RPMMRPA3. Darüber hinaus ist es offensichtlich, dass die staatlichen Sicherheitskräfte seit der Machtübernahme durch die Präsidentin Floria Macapagal-Arroyo im Jahr 2001 für die Ermordung von Hunderten von Aktivisten und Aktivistinnen sozialer Bewegungen und Basisorganisationen auch in Mindanao verantwortlich sind. Die Ermordungen sind im Stil von Todesschwadronen erfolgt. Daher behält die RPMM ihren bewaffneten Arm, die RPA, bei. Sie geht allerdings davon aus, dass ein offensiver bewaffneter Kampf zur Zeit nicht angebracht ist. Daher hat sie mit der Regierung 2005 einen Waffenstillstandsvertrag geschlossen, und im Dezember 2006 kam es zu einer Vereinbarung über die Umsetzung dieses Waffenstillstandsvertrags. Aber sie hat die Waffen nicht niedergelegt und stellt die Frage des Abschlusses eines endgültigen Friedensvertrags im Zusammenhang mit der Lösung der sozialen und demokratischen Probleme, die die Ursachen der Gewalt in Mindanao sind. Bei den Verhandlungen mit der Regierung ging es nicht einfach um militärische Fragen, sondern die Regierung verpflichtete sich, Entwicklungsprojekte in Gegenden unter dem Einfluss der RPMM zu finanzieren. Die betreffenden Projekte sollten von der örtlichen Bevölkerung benannt werden. Bei den Verhandlungen ging es anfänglich um 100 Barangays (Distrikte). Aber in der Folge haben noch 100 weitere beantragt, als im Einflussgebiet der RPMM liegend anerkannt zu werden. Quelle: IV Online Magazine: IV 388 – April 2007 ABOBESTELLUNG Ich bestelle I Jahresabo (6 Doppelhefte) I Solidarabo (ab € 30) I Sozialabo I Probeabo (3 Doppelhefte) I Auslandsabo € 20 € .... € 12 € 10 € 40 Name, Vorname Straße, Hausnummer PLZ, Ort Vertrauensgarantie Mir ist bekannt, dass ich diese Bestellung ohne Angabe von Gründen innerhalb von 14 Tagen bei inprekorr, Neuer Kurs GmbH, Dasselstraße 75–77, D– 50674 Köln, schriftlich widerrufen kann. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Im Falle einer Adressenänderung bin ich damit einverstanden, dass die Deutsche Bundespost Postdienst meine neue Anschrift dem Verlag mitteilt. Datum, Unterschrift Überweisung an Neuer Kurs GmbH, Postbank Frankfurt/M. (BLZ 500 100 60), KtNr.: 365 84-604 Zahlung per Bankeinzug Hiermit erteile ich bis auf Widerruf die Einzugsermächtigung für mein Bank-/Postgirokonto bei in Konto-Nr. BLZ Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Weitz Datum, Unterschrift 3 Eine umfangreiche Dokumentation zur CPPMordpolitik befindet sich auf den englischsprachigen Seiten der Website von Europe Solidaire Sans Frontières (www.Europe-solidaire.org) unter dem Titel: Philippines – CPP killings. Das Abonnement (außer Geschenkabo) verlängert sich automatisch um ein Jahr, wenn es nicht vier Wochen vor Ablauf schriftlich gekündigt wird. 51 G9861 Sommercamp der IV. Internationale International gegen den Kapitalismus! Vom 21. Juli bis zu 28. Juli werden auf einem Campingplatz in Barbaste (Südfrankreich) eine Woche lang in Workshops die Erfahrungen aus den verschiedenen sozialen Kämpfen ausgetauscht und diskutiert werden. Arbeitslosigkeit, schlechte Ausbildungsbedingungen, Krieg und die Benachteiligung von Frauen: damit schlagen wir uns nicht nur in Deutschland herum. In anderen Ländern (Europas) stellen sich die Probleme ganz ähnlich – und hier wie dort gibt es Menschen, die sich dem entgegen stellen. Um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsame Perspektiven zu entwickeln, treffen sich eine Woche lang politisch Interessierte bzw. aktive junge Leute aus verschiedenen Ländern im südfranzösischen Barbaste. So werden Jugendliche aus Frankreich da sein, die die Kündigungsgesetze von Villepin durch massive Proteste verhindert haben, Studierende aus Griechenland und Spanien, die ihre Unis monatelang besetzt haben oder GenossInnen, die gegen die neofaschistische Partei „Vlaams Belang“ in Belgien kämpfen. sation auch gemeinsam zu putzen, die Bar zu organisieren oder Nachtwache zu schieben. Aber keine Angst, jedeR ist nur ein bis zwei Mal in der ganzen Woche dran. Auch je ein eigener Platz für Frauen- und LesBi-Schwule Aktivitäten wird vorhanden sein. WAS GIBTS AUF DEM CAMP? WAS KOSTET DAS CAMP? In Vorträgen, Workshops und in Podiumsdiskussionen können wir Erfahrungen austauschen, wie politischer Widerstand in den verschiedenen Ländern und gesellschaftlichen Bereichen aussieht. Europaweite Proteste gegen die Bolkestein-Richtlinie zur Privatisierung von Dienstleistungen, Vernetzungen von Studierenden gegen die Umsetzung von GATS und Bologna-Abkommen oder das Europäische Sozialforum zeigen, dass Politik eben nicht nur auf nationaler Ebene gemacht wird. Und das muss auch für feministischsozialistische Politik so sein. Thema wird unter anderem die Frauenbefreiung, Ökologie, Klassenkämpfe von prekär Beschäftigten, Antirassismus, Kriege, die StudentInnenbewegung, nationale Unterdrückung sein. Verschiedene Strategien werden diskutiert; an einer stärkeren Vernetzung wird gearbeitet. Auch einer Einführung in den Marxismus kann gelauscht werden. Für Übersetzung wird gesorgt. Natürlich lebt der Mensch nicht von der Theorie allein, auch kulturelle und sportliche Aktivitäten werden stattfinden. Vom entspannten Badesee gleich am Camp, über ein Fußballturnier und eine Open-Mic-Session bis zum Ausflug in die Umgebung gibt’s viel zu erleben ...und am Abend natürlich zu feiern... Deutschland zählt zu den reichsten Ländern der Welt. In den meisten Ländern ist Urlaub ein Luxusgut, was sich kaum einer leisten kann. Damit aber aus möglichst vielen Ländern Jugendliche auf das Sommercamp kommen, wird versucht, die unterschiedlichen Lebensstandards durch die Campbeiträge auszugleichen. Deshalb ist der Beitrag für Deutschland mit 125 Euro relativ hoch angesiedelt. Wer aber unbedingt mitfahren möchte und allein aus Kostengründen nicht mitfahren würde, sollte sich noch mal mit der RSB Gruppe in der Nähe in Verbindung setzten. Bisher konnte in solchen Fällen immer das fehlende Geld aufgetrieben werden. SO FUNKTIONIERT DAS CAMP! Das Camp funktioniert in Selbstverwaltung und Selbstorganisation der etwa 400-500 TeilnehmerInnen. Die Übernachtung und die verschiedenen Veranstaltungen finden in Zelten oder unter freiem Himmel statt. Jeden Tag wird sich ein CampRat treffen, in welchem Personen aus jedem Land vertreten sind. Dort können mögliche Schwierigkeiten bzw. Probleme besprochen werden. Es wird auch einen Frauenrat geben, der ähnlich wie der Camprat funktioniert. Natürlich heißt Selbstorgani52 WIE KOMME ICH ZUM CAMP? Eine gemeinsame Anreise wird organisiert. Wer noch mitfahren möchte, sollte sich noch diesen Monat bei der nächstgelegenen Ortsgruppe des RSB (siehe Rückseite der Avanti) oder unter [email protected] melden. Unter www.rsb.4.de/sommercamp gibt es weitere Informationen, sowie das Campprogramm und ein Anmeldeformular zum Runterladen. Neuer Kurs GmbH, Dasselstr. 75-77, D-50674 Köln Postvertriebsstück, DPAG, Entgelt bezahlt G9861 #5037280137* INPREKORR 428/429