1 Blick von der Bühne im Obergeschoss auf die Galerie entlang der Südfront (Fotos: Andreas Fahrni) 2 Haus im Weinberg 50 archithese 6.2008 Boabaumann: Casa delle Masche, Bionzo 18 Jahre dauerte die Metamor- phose eines Gebäudes in den Weinbergen nahe Asti. Entstanden ist ein Wohn- und Studiohaus, das massgeschneidert auf die Bedürfnisse des Schlagzeugers Fritz Hauser reagiert. EIN HAUS FÜR FRITZ HAUSER Text: Hubertus Adam situation, die Hauser seit jeher als unbefriedigend empfand. 1987 reiste der Schlagzeuger Fritz Hauser zum ersten Mal ins Lichte, grosszügige Räume für das ungehinderte Musizie- Piemont. Castel Burio, etwas südlich von Costigliole d’Asti ren sind in der Schweiz entweder nicht zu finden oder uner- gelegen, war sein Ziel – ein altes, auf einem Hügel steil auf- schwinglich, und so war das Haus im Weinberg eine ideale ragendes Schloss, das eine Gruppe von fünf jungen Architek- Wahl: unter dem Himmel Italiens, weit genug entfernt von ten und Kunsthistorikern aus Deutschland und der Schweiz allen Nachbarn und doch nicht völlig von der Aussenwelt ab- sieben Jahre zuvor erworben hatte. In den frühen Achtzi- geschnitten. Die Frage des Raums interessiert Hauser schon gerjahren galt Norditalien noch nicht als schickes Reiseziel, immer, wobei es ihm nicht allein um den Klang, sondern auch die Zeit schien stehen geblieben, die Grundstücke waren um die Stimmung geht. Letztlich also: um Inspiration. Und billig. Castel Burio hatte über Jahre leer gestanden, und die ohne Inspiration ist Improvisation nicht möglich. neuen Schlossbesitzer waren mit Idealismus, viel Tatkraft Hausers finanzielle Situation erlaubte keine grossen und wenig Geld daran gegangen, die alten Mauern bewohn- Sprünge, und so wurde die Arbeit an der Casa delle Masche bar zu machen und zu beleben. Vernetzt mit der Kunstszene, zur work in progress, zu einem Gemeinschaftsprojekt des Ar- begann man mit kulturellen Veranstaltungen: mit Ausstel- chitekten Boa Baumann und des Musikers Fritz Hauser. Man lungen, Performances, Tanz und Musik. Über einen Freund lernte voneinander, sprach über Raum und Klang, und stellte erfuhr der Berner Architekt Boa Baumann, einer der Schloss- fest, wie beide unisono erklären, dass man letztlich etwas besitzer, von Fritz Hauser, besuchte ein Konzert von ihm in Ähnliches in einer anderen Sprache praktiziere. Vom Kauf bis Zürich und lud ihn nach Burio ein. Hausers Soloperformance zur Fertigstellung in diesem Frühjahr verstrichen 18 Jahre – im Schloss sollte nachhaltige Folgen haben: Sie begründete eine lange Zeit, und doch auch die Voraussetzung dafür, dass nicht nur die dauerhafte Freundschaft zwischen Hauser und das Wohn- und Studiohaus auf die Bedürfnisse von Fritz Hau- Baumann, sie führte indirekt auch dazu, dass das Piemont ser massgeschneidert werden konnte. für den Schlagzeuger zur Wahlheimat wurde. In die Gegend, Um weiteren Verfall zu verhindern, war eine Neueinde- so erklärt Fritz Hauser im Gespräch, habe er sich sofort ver- ckung des Satteldachs die zunächst vordringliche Aufgabe. liebt, und heute bedeute die Reise dorthin etwas wie Heim- Das zweigeschossige Haus, Ende des 19. Jahrhunderts er- kommen. Denn 1990 kaufte er sich ein halb verfallenes Haus richtet und Mitte des 20. Jahrhunderts erweitert, bestand aus inmitten der Weinberge, unweit von Castel Burio. drei Teilen: dem Wohnteil, dem Stall mit einem Wohnraum im Schlagzeuger werden im Allgemeinen dazu verdammt, Obergeschoss und der Scheune mit Durchfahrt im unteren in dunklen Kellern oder Bunkern zu üben – eine Arbeits- Geschoss. Die drei Teile bildeten zusammen ein Volumen, 51 an das sich hinter der Scheune noch ein kleiner Anbau anschloss. Weil das Gebäude in der Landwirtschaftszone liegt nur in die Höhe, sondern auch in die Tiefe des Volumens; und das geltende Baurecht eine neue Kubatur nur in gleicher rückwärtig wird sie von dem boxartig eingeschobenen, innen Grösse und Form zugelassen hätte, entschied man sich für pechschwarzen Bad begrenzt, demgegenüber eine Schrank- einen sukzessiven Prozess der Transformation. Nutzbar war front den Abschluss des Erdgeschosses bildet. anfänglich nur der eigentliche Wohnteil; die Decke über dem 3 52 archithese 6.2008 Stahlstützen ruht. Damit erstreckt sich die Wohnhalle nicht Die eigentlichen Arbeits- und Studiobereiche befinden Stall stürzte nach einiger Zeit ein und gab den Blick bis unter sich auf der Ebene des ersten Obergeschosses. Ein galerie- den First frei. Dieser Zufall führte zu der Idee einer Wohn- artiger Umgang führt, vorbei an einer Arbeitskanzel über dem halle, welche es erlaubt, die Dimensionen des Halles visuell Treppenaufgang, zu dem offenen Podium, das sich zum Zent- auszuloten, und dem Inneren eine ungeahnte Grosszügigkeit ralraum hin öffnet. Hier ist die Bühne, auf der Fritz Hauser verleiht. Die Querwand zur einstigen Scheune wurde ent- probt, und das Wort «Bühne» ist ganz wörtlich gemeint. Mit fernt und die Mauer darüber durch einen Betonsturz abge- seinen diversen Instrumenten kann Hauser Arrangements fangen, der auf zwei von einem befreundeten Künstler aus erproben oder Performances mit befreundeten Musikern ab- Mailand gefertigten, wie riesige Zahnstocher wirkenden halten – verschiedene Reihen von schwarzen und weissen 4 5 3 Bühne mit Vorhängen 4 Lichtspiel des Filtermauerwerks 5 Arbeitskanzel über dem Treppenaufgang 53 6 Südfassade mit Filtermauerwerk 7 Wohnbereich mit Durchblick zur Bühne Vorhängen erlauben es, die Szene und den Klang zu modifizieren, zu experimentieren, und der schwarz gestrichene Holzboden stellt ein bewusstes Zitat der Bühne des Stadttheaters Basel dar. Geht man von der Bühne auf der Galerie weiter, so erreicht man über eine weitere Treppe das unter dem First gelegene Schlaf- und Rückzugszimmer, das wie ein intimes studiolo wirkt. Baumann und Hauser ist es gelungen, ein gar nicht grosses Volumen in ein räumlich vielgestaltiges Kontinuum ineinanderfliessender und doch subtil getrennter Raumbereiche zu verwandeln. Mit der Bühne wird das ganze Gebäude gleichsam zum Resonanzkörper, und doch bleibt es ein Wohnhaus. Wohnen und Arbeiten unter einem Dach, die fast stereotype Formel, hat zu einer faszinierenden, in extremer Weise individuellen Lösung geführt. Ein Musikstudio und ein Wohnhaus zu vereinen, ist kein leichtes Unterfangen; hier indes sind die Lösungen auf selbstverständliche Art miteinander verzahnt. Zum Raumeindruck trägt die Lichtführung entscheidend bei. Vor die bestehende Wandstruktur wurde eine neue Mauerschicht vorgeblendet, die nicht zuletzt dazu beiträgt, das ursprüngliche Gebäudekonglomerat zu homogenisieren. Flächen aus filigranem Filtermauermerk mit einem Muster aus kreuzförmigen Aussparungen – man kennt diese Mauertechnik von Scheunenbauten der Gegend – rhythmisieren die Fassade der nach Süden, zum Berg hin orientierten Zugangsseite, wirken als Lichtbrecher und lassen bei Sonnenschein auf dem Boden ein dekoratives Lichtspiel entstehen. Anders verfuhr Baumann auf der zum Tal hin orientierten Nordseite: Ein grosses Fenster in der Wohnhalle holt die Hügellandschaft der Umgebung bildhaft in den Raum, während die kleineren Fenster im Erdgeschoss weit nach oben und im Obergeschoss weit nach unten versetzt sind, um einen ganz unterschiedlichen, die Räume voneinander differenzie- 54 archithese 6.2008 8 Grundriss Erdgeschoss und Obergeschoss sowie Schnitt renden Lichtklang zu erzeugen. Dazu passt die Farbe: Ein hartes Weiss kam für Fritz Hauser nicht infrage. Das helle Blau, das sämtliche Innenwände vereinheitlicht, wirkt sanft und freundlich – und als Bühne für den Auftritt des Lichts. Es rückt nicht nahe, sondern weitet den Raum. Auch wenn sich Fritz Hauser im Winter in den beheizbaren Wohnteil zurückziehen muss: Die Casa delle Masche ist für ihn ein nachgerade ideales Ambiente. Als Musiker, der, wenn er sich nicht in Basel aufhält, weite Teile des Jahres auf Tourneen verbringt und durch die Welt reist, ist ein Ort der Stille und Konzentration wie dieser von unschätzbarem Wert. Das Auto steht bewusst etwas entfernt, die letzten Meter muss man zu Fuss gehen, als ob man mit einer Fähre in eine andere Welt hinüberglitte. Die Zusammenarbeit von Boa Baumann und Fritz Hauser über die Spartengrenzen hinweg hat sich mittlerweile in mehreren Bauprojekten und einem halben Dutzend Musik/– Raumprojekten Ausdruck verschafft. Architektur: Boabaumann Architekten mit Fritz Hauser; Auftraggeber: Fritz Hauser; Mitarbeit: Gianmario Gozzelino, Wladimir Grossen, Gabriella Truffa; Gartenberatung: Jane Bihr-de Salis www.boabaumann.ch www.fritzhauser.ch 55