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1 Blick von der
Bühne im Obergeschoss auf die
Galerie entlang der
Südfront
(Fotos: Andreas
Fahrni)
2 Haus im Weinberg
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Boabaumann: Casa delle Masche, Bionzo 18 Jahre dauerte die Metamor-
phose eines Gebäudes in den Weinbergen nahe Asti. Entstanden ist
ein Wohn- und Studiohaus, das massgeschneidert auf die Bedürfnisse
des Schlagzeugers Fritz Hauser reagiert.
EIN HAUS FÜR FRITZ HAUSER
Text: Hubertus Adam
situation, die Hauser seit jeher als unbefriedigend empfand.
1987 reiste der Schlagzeuger Fritz Hauser zum ersten Mal ins
Lichte, grosszügige Räume für das ungehinderte Musizie-
Piemont. Castel Burio, etwas südlich von Costigliole d’Asti
ren sind in der Schweiz entweder nicht zu finden oder uner-
gelegen, war sein Ziel – ein altes, auf einem Hügel steil auf-
schwinglich, und so war das Haus im Weinberg eine ideale
ragendes Schloss, das eine Gruppe von fünf jungen Architek-
Wahl: unter dem Himmel Italiens, weit genug entfernt von
ten und Kunsthistorikern aus Deutschland und der Schweiz
allen Nachbarn und doch nicht völlig von der Aussenwelt ab-
sieben Jahre zuvor erworben hatte. In den frühen Achtzi-
geschnitten. Die Frage des Raums interessiert Hauser schon
gerjahren galt Norditalien noch nicht als schickes Reiseziel,
immer, wobei es ihm nicht allein um den Klang, sondern auch
die Zeit schien stehen geblieben, die Grundstücke waren
um die Stimmung geht. Letztlich also: um Inspiration. Und
billig. Castel Burio hatte über Jahre leer gestanden, und die
ohne Inspiration ist Improvisation nicht möglich.
neuen Schlossbesitzer waren mit Idealismus, viel Tatkraft
Hausers finanzielle Situation erlaubte keine grossen
und wenig Geld daran gegangen, die alten Mauern bewohn-
Sprünge, und so wurde die Arbeit an der Casa delle Masche
bar zu machen und zu beleben. Vernetzt mit der Kunstszene,
zur work in progress, zu einem Gemeinschaftsprojekt des Ar-
begann man mit kulturellen Veranstaltungen: mit Ausstel-
chitekten Boa Baumann und des Musikers Fritz Hauser. Man
lungen, Performances, Tanz und Musik. Über einen Freund
lernte voneinander, sprach über Raum und Klang, und stellte
erfuhr der Berner Architekt Boa Baumann, einer der Schloss-
fest, wie beide unisono erklären, dass man letztlich etwas
besitzer, von Fritz Hauser, besuchte ein Konzert von ihm in
Ähnliches in einer anderen Sprache praktiziere. Vom Kauf bis
Zürich und lud ihn nach Burio ein. Hausers Soloperformance
zur Fertigstellung in diesem Frühjahr verstrichen 18 Jahre –
im Schloss sollte nachhaltige Folgen haben: Sie begründete
eine lange Zeit, und doch auch die Voraussetzung dafür, dass
nicht nur die dauerhafte Freundschaft zwischen Hauser und
das Wohn- und Studiohaus auf die Bedürfnisse von Fritz Hau-
Baumann, sie führte indirekt auch dazu, dass das Piemont
ser massgeschneidert werden konnte.
für den Schlagzeuger zur Wahlheimat wurde. In die Gegend,
Um weiteren Verfall zu verhindern, war eine Neueinde-
so erklärt Fritz Hauser im Gespräch, habe er sich sofort ver-
ckung des Satteldachs die zunächst vordringliche Aufgabe.
liebt, und heute bedeute die Reise dorthin etwas wie Heim-
Das zweigeschossige Haus, Ende des 19. Jahrhunderts er-
kommen. Denn 1990 kaufte er sich ein halb verfallenes Haus
richtet und Mitte des 20. Jahrhunderts erweitert, bestand aus
inmitten der Weinberge, unweit von Castel Burio.
drei Teilen: dem Wohnteil, dem Stall mit einem Wohnraum im
Schlagzeuger werden im Allgemeinen dazu verdammt,
Obergeschoss und der Scheune mit Durchfahrt im unteren
in dunklen Kellern oder Bunkern zu üben – eine Arbeits-
Geschoss. Die drei Teile bildeten zusammen ein Volumen,
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an das sich hinter der Scheune noch ein kleiner Anbau anschloss. Weil das Gebäude in der Landwirtschaftszone liegt
nur in die Höhe, sondern auch in die Tiefe des Volumens;
und das geltende Baurecht eine neue Kubatur nur in gleicher
rückwärtig wird sie von dem boxartig eingeschobenen, innen
Grösse und Form zugelassen hätte, entschied man sich für
pechschwarzen Bad begrenzt, demgegenüber eine Schrank-
einen sukzessiven Prozess der Transformation. Nutzbar war
front den Abschluss des Erdgeschosses bildet.
anfänglich nur der eigentliche Wohnteil; die Decke über dem
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Stahlstützen ruht. Damit erstreckt sich die Wohnhalle nicht
Die eigentlichen Arbeits- und Studiobereiche befinden
Stall stürzte nach einiger Zeit ein und gab den Blick bis unter
sich auf der Ebene des ersten Obergeschosses. Ein galerie-
den First frei. Dieser Zufall führte zu der Idee einer Wohn-
artiger Umgang führt, vorbei an einer Arbeitskanzel über dem
halle, welche es erlaubt, die Dimensionen des Halles visuell
Treppenaufgang, zu dem offenen Podium, das sich zum Zent-
auszuloten, und dem Inneren eine ungeahnte Grosszügigkeit
ralraum hin öffnet. Hier ist die Bühne, auf der Fritz Hauser
verleiht. Die Querwand zur einstigen Scheune wurde ent-
probt, und das Wort «Bühne» ist ganz wörtlich gemeint. Mit
fernt und die Mauer darüber durch einen Betonsturz abge-
seinen diversen Instrumenten kann Hauser Arrangements
fangen, der auf zwei von einem befreundeten Künstler aus
erproben oder Performances mit befreundeten Musikern ab-
Mailand gefertigten, wie riesige Zahnstocher wirkenden
halten – verschiedene Reihen von schwarzen und weissen
4
5
3 Bühne mit Vorhängen
4 Lichtspiel des
Filtermauerwerks
5 Arbeitskanzel
über dem Treppenaufgang
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6 Südfassade mit
Filtermauerwerk
7 Wohnbereich
mit Durchblick zur
Bühne
Vorhängen erlauben es, die Szene und den Klang zu modifizieren, zu experimentieren, und der schwarz gestrichene
Holzboden stellt ein bewusstes Zitat der Bühne des Stadttheaters Basel dar.
Geht man von der Bühne auf der Galerie weiter, so erreicht man über eine weitere Treppe das unter dem First
gelegene Schlaf- und Rückzugszimmer, das wie ein intimes
studiolo wirkt.
Baumann und Hauser ist es gelungen, ein gar nicht grosses Volumen in ein räumlich vielgestaltiges Kontinuum
ineinanderfliessender und doch subtil getrennter Raumbereiche zu verwandeln. Mit der Bühne wird das ganze Gebäude gleichsam zum Resonanzkörper, und doch bleibt es ein
Wohnhaus. Wohnen und Arbeiten unter einem Dach, die fast
stereotype Formel, hat zu einer faszinierenden, in extremer
Weise individuellen Lösung geführt. Ein Musikstudio und ein
Wohnhaus zu vereinen, ist kein leichtes Unterfangen; hier
indes sind die Lösungen auf selbstverständliche Art miteinander verzahnt.
Zum Raumeindruck trägt die Lichtführung entscheidend
bei. Vor die bestehende Wandstruktur wurde eine neue
Mauerschicht vorgeblendet, die nicht zuletzt dazu beiträgt,
das ursprüngliche Gebäudekonglomerat zu homogenisieren.
Flächen aus filigranem Filtermauermerk mit einem Muster
aus kreuzförmigen Aussparungen – man kennt diese Mauertechnik von Scheunenbauten der Gegend – rhythmisieren
die Fassade der nach Süden, zum Berg hin orientierten Zugangsseite, wirken als Lichtbrecher und lassen bei Sonnenschein auf dem Boden ein dekoratives Lichtspiel entstehen.
Anders verfuhr Baumann auf der zum Tal hin orientierten
Nordseite: Ein grosses Fenster in der Wohnhalle holt die Hügellandschaft der Umgebung bildhaft in den Raum, während
die kleineren Fenster im Erdgeschoss weit nach oben und
im Obergeschoss weit nach unten versetzt sind, um einen
ganz unterschiedlichen, die Räume voneinander differenzie-
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8 Grundriss
Erdgeschoss und
Obergeschoss
sowie Schnitt
renden Lichtklang zu erzeugen. Dazu passt die Farbe: Ein
hartes Weiss kam für Fritz Hauser nicht infrage. Das helle
Blau, das sämtliche Innenwände vereinheitlicht, wirkt sanft
und freundlich – und als Bühne für den Auftritt des Lichts. Es
rückt nicht nahe, sondern weitet den Raum.
Auch wenn sich Fritz Hauser im Winter in den beheizbaren Wohnteil zurückziehen muss: Die Casa delle Masche ist
für ihn ein nachgerade ideales Ambiente. Als Musiker, der,
wenn er sich nicht in Basel aufhält, weite Teile des Jahres auf
Tourneen verbringt und durch die Welt reist, ist ein Ort der
Stille und Konzentration wie dieser von unschätzbarem Wert.
Das Auto steht bewusst etwas entfernt, die letzten Meter
muss man zu Fuss gehen, als ob man mit einer Fähre in eine
andere Welt hinüberglitte.
Die Zusammenarbeit von Boa Baumann und Fritz Hauser über die Spartengrenzen hinweg hat sich mittlerweile in
mehreren Bauprojekten und einem halben Dutzend Musik/–
Raumprojekten Ausdruck verschafft.
Architektur: Boabaumann Architekten mit Fritz Hauser; Auftraggeber: Fritz Hauser; Mitarbeit: Gianmario Gozzelino, Wladimir
Grossen, Gabriella Truffa; Gartenberatung: Jane Bihr-de Salis
www.boabaumann.ch
www.fritzhauser.ch
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