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Globaler Sozialer Wandel I: Verfestigte Ungleichheit im Weltsystem ...
Wiederholung
einfache Modernisierungstheorien: Wirtschaftswachstum und (positive)
Individualisierung, Differenzierung, Rationalisierung
kritische Modernisierungstheorien: dialektische Spannungen infolge von
Domestizierung, Individualisierung, Differenzierung, Rationalisierung
Übersicht
Marx: Kapitalismus als progressive geschichtliche Kraft, die die
Globalisierung vorantreibt
Generelle Entwicklung: Ausbeutung im Feudalismus wird durch
Ausbeutung im Kapitalismus abgelöst
Lenin / Frank / Cardoso: Imperialismus und weltweite Abhängigkeit
Immanuel Wallerstein: Weltsystemperspektive
Macht- und Gewinnverteilung in globalen Wertschöpfungsketten
(Gereffi, Korzeniewicz, Kaplinsky)
Unterschiedliche Epochen des globalen Kapitalismus
Marx: Kapitalismus als progressive geschichtliche Kraft, die die
Globalisierung vorantreibt
"Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente,
also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen
Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung
der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller
früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der
Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen
Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die
Bourgeoisieepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten
Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und
Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie
verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles
Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre
Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen
anzusehen.
Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte
jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich
einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die
Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion
und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum
großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter
den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet
worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch
neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten
Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe,
sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und
deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen
zugleich verbraucht werden."
(Karl Marx, Auszug aus dem Kommunistisches Manifest von 1848)
Generelle Entwicklung: Ausbeutung im Feudalismus wird durch
Ausbeutung im Kapitalismus abgelöst.
Subsistenz/Selbstversorgungswirtschaft (Urkommunismus): Die
Produzenten konsumieren ihre eigenen Produkte
Erweiterte Subsistenz (Feudalismus): Die Feudalherren schöpfen ein
Mehrprodukt ab und verwenden es für den eigenen Konsum.
Marktproduktion (Kapitalismus):
a) Die Produkte werden unter dem Kommando des Fabrikherrn
hergestellt.
b) Sie werden am Markt als Waren gegen Geld getauscht. Damit entsteht
eine doppelte Wertperspektive: Tauschwert und Gebrauchswert.
c) Die Bourgeoisie schöpft den Mehrwert ab und investiert ihn in die
Ausweitung der Produktion (wo deren Ausweitung rentabel erscheint).
Damit vertauscht sich im Übergang zur Marktproduktion die
Perspektive auf Reichtum: Ursprünglich diente er der Befriedigung
von menschlichen Bedürfnisse (W - G - W), nun verselbständigt er
sich. Geld ist nicht mehr Tauschmittel, sondern wird zum Zweck an
sich (G - W - G). Krisen sind von nun an nicht mehr Hunger-, sondern
Überproduktionskrisen.
Den Marktverhältnissen ausgeliefert, verarmen die Arbeiter, weil es
immer einen Überschuss an Arbeitskräften gibt. Hier hat sich Marx
allerdings getäuscht: Die frühkapitalistische Verelendung ist eher auf
soziale und kulturelle Entwurzelung, als auf materielle Verarmung
zurückzuführen (Karl Polanyi). Denn die durch die Industrialisierung
bedingte Produktivitätssteigerung wurde längerfristig auch für die
Erhöhung der Löhne und die Verbesserung der Infrastruktur
verwendet. So kam es dann auch zum starken Anwachsen der
Bevölkerung.
Es ist außerdem umstritten, ob der Mehrwert (Profit) auf Ausbeutung
oder Innovation zurückzuführen ist. Auch viele linke Sozialwissenschaftler neigen heute eher zu letzterer Position (oft mit Bezug auf
Joseph Schumpeter).
Lenin / Frank / Cardoso: Imperialismus und weltweite Abhängigkeit
Mit dem Kolonialismus und später dem Imperialismus entsteht eine
spezifische weltweite Arbeitsteilung: Die Kolonien produzieren Rohstoffe
und Agrarprodukte, die Mutterländer liefern Industriegüter und diktieren
die Tauschbedingungen. Der Imperialismustheorie von Wladimir Lenin
und Rosa Luxemburg zufolge muss der Kapitalismus in dieser Weise
immer weiter expandieren, um den "Fall der Profitrate"1 zu verhindern.
Auch nach der Befreiung, leiden die ehemaligen Kolonialländer an
spezifischen Abhängigkeiten (Dependenztheorie):
 Sinkende Terms of trade für Rohstoffe und später auch für einfache
Industriegüter. Grund: unterschiedliche Einkommens- und
Preiselastizität für Agrar- und Industriegüter (sogenannte
Singer/Prebisch-These; vgl. Daten auf der nächsten Seite)
 Armut in den ehemaligen Kolonien ist nicht mehr traditionelle
Armut, sondern durch Weltmarktabhängigkeit erzeugte Armut - z.B.
ehemalige Latifundien. (Andre Frank) 2
 Abhängige Industrialisierung: nur Konsumgüterindustrien auf der
Basis veralteter westlicher Technologien (Fernando Cardoso)
 Nationale Eliten oder ausländische Konzerne exportieren das
erwirtschaftete Kapital, statt es in die weitere Entwicklung zu
investieren.
 Als Entwicklungsstrategie wird vorgeschlagen, sich möglichst stark
vom Weltmarkt abzukoppeln (Importsubstitution). Diese Strategie
war aber rückblickend nicht sehr erfolgreich.
1 Der "Fall der Profitrate" beruht nach Marx darauf, dass der Kapitalstock immer mehr anwächst und daher auch
immer mehr Erhaltungsinvestionen getätigt werden müssen. Marx deutet aber selbst auch schon an, dass diese
Tendenz durch technologische Innovation durchbrochen und damit das Wachstum der Erhaltungskosten für den
Kapitalstock abgefangen werden kann.
2 vgl. entlegenes Hochland von Guatemala als in den 1980er noch fast unentwickelte Gegend im Unterschied etwa zu
Mexiko als unterentwickelter Gegend
Preisverfall bei Rohstoffen (außer Öl)
Quelle: Ocampo, J.A./ Parra, M.A. (2003): The terms of trade for commodities in the 20th century, S.6
Die Rohstoffe sind auch in Entwicklungsländern nicht mehr so zentral
Quelle: UNCTAD: Trade and Development Report, 2005, S.91
Immanuel Wallerstein: Weltsystemperspektive
Es gibt - ungefähr seit dem 15 Jh. - nur ein einzige kapitalistische
Weltökonomie. Europa und später die USA haben immer weitere vorher
eigenständige Regionalsysteme integriert. Die Weltökonomie als Ganze
durchläuft einen Entwicklungsprozess. Die UdSSR und der COMECON
sind ebenfalls Teil des kapitalistischen Weltsystems.
Länder befinden sich dabei nicht in verschiedenen Entwicklungsstadien
(wie die Modernisierungstheorie behauptet), sondern in verschiedenen
Positionen im Weltsystem.
Diese Positionen sind: Zentrum, Semi-Peripherie und Peripherie. Sie
stellen nach Wallerstein so etwas ähnliches Bourgoisie, Mittelklasse und
Proletariat im Weltmaßstab dar: Das Zentrum beutet die Peripherie aus.
Das Weltsystem ist stabil aufgrund der Konzentration von militärischer
Macht, der Einbindung der Bevölkerungen in nationale Ideologien, sowie
der Abpufferung des Konflikts zwischen Zentrum und Peripherie durch die
Semiperipherie3
Einzelne Länder können zwar auf- oder absteigen, aber an der
Grundstruktur von Privilegien und Abhängigkeiten ändert sich nichts. Die
Arbeiterklasse in den Nationalstaaten des Zentrums profitiert mit von der
Ausbeutung der Peripherie.
Plausibilisierung der Weltsystemperspektive anhand der Netzwerktheorie:
Marktmacht liegt im Zentrum, die (Semi-)Peripherie bleibt mehr oder
weniger abhängig, solange sie keine unabhängigen Wirtschaftsbeziehungen aufbaut.
P
P
SP
P
Z
SP
P
3 Letzterer Punkt ist wenig plausibel. Hier überzieht Wallerstein mE die Parallele zur Klassentheorie.
Macht- und Gewinnverteilung in globalen Wertschöpfungsketten
(Gereffi, Korzeniewicz, Kaplinsky)
Marktmacht entsteht
a) auf den einzelnen Stufen der Wertschöpfung durch das Ausschalten
horizontaler Konkurrenz
b)in der gesamten Wertschöpfungskette durch Markenreputation oder
Technologieführerschaft ("Nadelöhr").
Die Marktmacht ist in der ersten Welt konzentriert:
Rohstoffproduktion
xxxxxxxxxxxxxxx
Herstellung
xxxxxxxxxxxxx
----------------------------------------------------------------------------------Marketing/Design/Technologie
xx
Distribution
xxxx
Im direkten Konflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt es
auf den einzelnen Stufen der Wertschöpfung bei hoher internationaler
Konkurrenz wenig Spielräume.
Der Einsatz verbesserter Technologie bei Rohstoffgewinnung und
Herstellung führt (bei wenig elastischer Nachfrage) dazu, dass die
Gewinne und Löhne sinken. Die sinkenden Preise kommen weitgehend
der Konsumentenseite, das heißt der Ersten Welt zu gute.
Bei technologisch relativ einfachen Konsumgütern – wie zum Beispiel
Turnschuhen – sind Markenmärkte entstanden, die vom Distributionskapital des Westens beherrscht werden (s.u.). Bei technologieintensiven
Gütern – wie zum Beispiel Arzneimitteln – sind die Märkte oft vom
Produktionskapital beherrscht (das aber hier dann auch wieder im Westen
positioniert ist).
Beispiel: Nike Cooperation, USA
Fitnessboom; Swoosh > Wachstum der Turnschuhindustrie > Zunehmende
Kontrolle von Design und Marketing (Air Jordan) > Verlagerung der
Produktion
D.h. von 100 EUR, die der Kunde im Geschäft bezahlt, bleiben mehr als
80 Prozent in der Ersten Welt, obwohl Rohstoffschürfung und Herstellung
ganz in der Dritten Welt stattfinden.
Die global vernetzten Zentren können durch Technologie- und
Markenführerschaft sowie verschärfte Intellectual Property Rights (IPR)
ihre Vorsprünge ausbauen. Zentrum und Peripherie sind dabei nicht
unbedingt nationalstaatlich definiert. Implizites Wissen und Linkages
sorgen neben den IPR dafür, dass Technologievorsprünge nicht kopiert
werden können. Aufgrund der Intransparenz von Qualitäten kann einmal
erworbene Markenreputation meist souverän den Vorsprung an
Marktmacht verteidigen (Podolny).
Unterschiedliche Epochen des globalen Kapitalismus
Grundfrage: Wo liegen die ökonomisch dynamischen und kulturell
attraktiven Zentren, wer ist militärische Schutzmacht, wer garantiert die
Leitwährung?
(Oberitalienischer Fernhandels-Kapitalismus: 14. - 17. Jh)
(Holländischer Fernhandels-Kapitalismus: 16. - 18. Jh)
Britischer Manchester-Liberalismus: ungefähr bis 1914
Freihandel, Kolonien, Handwerk und kleine Fabriken
Ländl. Subsistenzwirtschaft als Arbeitskräftereservoir und soziale
Sicherungsreserve.
US-amerikanischer Fordismus: ungefähr 1944 - 1973
Verzicht auf Kolonien: Intensiver Einsatz von Technologie.
Nationale Zentrierung der Wirtschaft.
Großindustrie im Besitz von Aktionären. Monopolbildung.
Keynesianischer Wohlfahrtsstaat, Korporatismus, Massenkonsum.
Seit 1973:
- US-amerikanischer Neoliberalismus
- oder Übergang zu Asiatischer Hegemonie
- oder verstärkte Regionalisierung
- oder endlose Krise - oder etwas ganz anderes ??
Postfordistische Differenzierung der Produktion
Informations- und Kommunikationstechnologien
Verstärkte Globalisierung
Verstärkte Spekulation an den Finanzmärkten als Krisenphänomen?
Massenloyalität auf welcher sozialen und kulturellen Basis?
Steuerungsfähigkeit mit welchem politischen Modell?
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