378_401_BIOsp_0406.qxd 390 02.06.2006 8:04 Uhr Seite 390 MET H ODE N & AN WE N DU NGEN Biophysik Kraftmessung an Zellen in 2D und 3D CL AUDIA T. MIERKE, DANIEL PARANHOS ZITTERBART, THORSTEN KOCH, BEN FABRY BIOPHYSIK, ZENTRUM FÜR MEDIZINISCHE PHYSIK UND TECHNIK, UNIVERSITÄT ERL ANGEN-NÜRNBERG, ERL ANGEN Zellen generieren Kräfte auf oder in einer extrazellulären Matrix. Diese Kräfte sind notwendig bei der Kontraktion, Migration, Zellteilung oder bei der Adhäsion an einer Oberfläche und sind damit für das Verständnis von zahlreichen krankhaften Prozessen wie etwa bei kardiovaskulären Erkrankungen, Asthma, Implantatabstoßung, Entzündungen oder bei der Metastasierung von Tumorzellen wichtig. ó Beispielsweise erzeugen Leukozyten und Tumorzellen mechanische Kräfte, um sich durch das Bindegewebe fortzubewegen. Um Bewegungsvorgänge oder Kräfte untersuchen zu können, wurden zahlreiche Verfahren entwickelt: Boyden-Chamber-Assays, chemotaktische Migrationsassays, Wundheilungsassays, physiologische Kraftmessungen an Organen und Gewebepräparaten. Mit diesen Assays können die Kräfte, die von einer einzelnen Zelle erzeugt werden, nicht direkt gemessen werden, sondern es können bestenfalls qualitative oder grobe quantitative Aussagen getroffen werden, da meist nur äußerst kleine Kräfte im Bereich von wenigen NanoNewton zu erwarten sind. Doch wie lassen sich so kleine Kräfte messen? 2D-Traction-Mikroskopie Dieses Problem haben Harris et al. zu lösen versucht[1]. Sie kultivierten Fibroblasten auf einer dünnen Silikonmembran. Nach Zugabe von aktivierenden Substanzen kontrahierten die Zellen und verursachten eine Faltenbildung in der Membran aus der die Gesamtkräfte abgeschätzt werden konnten. Um die örtliche Verteilung der Kräfte entlang einer Zelle auflösen zu können, haben Wang et al. fluoreszierende Beads in kollagenbeschichtete Polyarcrylamidgele eingegossen[2]. Ein großer Vorteil ist die Möglichkeit, durch Veränderung der Acryl/Bisacrylamidkonzentrationen die Elastizität der Gele über einen weiten Bereich einzustellen. Bei einer Kontraktion der Zelle auf der Geloberfläche entstehen keine Falten, sondern eine kontinuierliche Deformation des Gels, die mithilfe der fluoreszierenden Beads bestimmt werden kann. Daraus können dann die Zellkräfte berechnet werden[3]. Das Verfahren funktioniert nur dann, wenn das gesamte Deformationsfeld des Gels unterhalb der Zelle exakt ˚ Abb. 1: Prinzip der 2D-Traction-Mikroskopie. Links: Hellfeldaufnahme einer MDA-MB-231- Brustkarzinomzelle und Fluoreszenzaufnahme (Inset) der Beads im Gel. Die Beads sind dicht gepackt, um eine engmaschige Auflösung des Deformationsfeldes (Mitte) zu ermöglichen. Rechts: Zellkräfte (Kraft pro Fläche = Traktion). und mit hoher räumlicher Auflösung ermittelt wurde. Insbesondere das manuelle Markieren der Zellgrenzen ist fehleranfällig. Wir konnten die Genauigkeit und Auflösung der Gel-Deformation mit Methoden der Bildverarbeitung deutlich verbessern, sodass es nicht mehr nötig ist, die Position und die Grenzen der Zelle manuell einzugeben. Außerdem haben wir zahlreiche Modifikationen des Protokolls von Pelham und Wang vorgenommen[2], wie etwa die Verwendung dickerer Gele (300 μm) zur Vermeidung von Randeffekten und die Zentrifugation der Gele während der Polymerisierung, damit sich alle Beads in einer Ebene befinden. Das Elastizitätsmodul der Gele wird je nach Zellart zwischen 500 und 5.000 Pa eingestellt. Die Gele werden mit extrazellulären Matrixproteinen wie Kollagen oder Fibronektin beschichtet. Die Gel-Deformation infolge der Krafteinwirkung durch die Zellen bestimmen wir mit hoher Genauigkeit (8 nm) und hoher Ortsauflösung (1,5 μm) durch iterativen SubpixelBildvergleich. Aus dem Deformationsfeld wird die Kraftverteilung nach der Methode der Fourier-Transform-Traction-Mikroskopie berechnet[3] (Abb. 1). Die automatisierte Bildaufnahme und Bildverarbeitung bis hin zur Berechnung des Kraftfeldes machen das Verfahren zu einem Routineinstrument, das für zahlreiche Fragestellungen in der zellbiologischen Grundlagenforschung bis hin zu angewandten Fragestellungen in der Pharmakologie, klinischen Diagnostik und Biomaterialforschung Anwendung findet. Ein Nachteil des Verfahrens besteht darin, dass die zweidimensionale Zellkultivierung zu Artefakten in der Ausbildung von fokalen Adhäsionskontakten, Stressfasern und insgesamt zu einer veränderten Zellmorphologie führen kann[4]. Außerdem eignet es sich nicht für die Untersuchung von Tumorzelltransmigration und -invasion durch eine dreidimensionale Matrix, da die Zellen nicht in das Polyacrylamidgel einwandern können. 3D-Traction-Mikroskopie Wir haben das Verfahren der Traction-Mikroskopie für eine 3D-Umgebung erweitert. Damit sind wir erstmalig in der Lage, mechaBIOspektrum | 04.06 | 12. Jahrgang 378_401_BIOsp_0406.qxd 02.06.2006 8:04 Uhr Seite 391 391 nische Kräfte bei der Invasion an einzelnen Zellen messen zu können. Bei dieser Methode benutzen wir anstelle des Polyacrylamidgels ein Kollagengel und verteilen darin fluoreszierende Beads, deren Position in drei Dimensionen bestimmt wird. Die Morphologie, Bewegung, Einwanderungstiefe und Einwanderungsgeschwindigkeit der Tumorzellen werden in einer beheizten und CO2-belüfteten Inkubationskammer videomikroskopisch über mehrere Tage hinweg beobachtet. In definierten Zeitabständen (typischerweise 1–5 Minuten) werden Schichtbilder in ca. 100 Z-Ebenen aufgezeichnet (Schichtabstand 2 μm). Die bei Langzeituntersuchungen störende Drift wird mit einem Autofokus kompensiert. Anders als eine flache, unregelmäßig geformte Zelle auf einem 2D-Polyacrylamidgel (Abb. 2) deformieren die spindelförmigen Tumorzellen das Kollagengel entlang ihrer Hauptachse (Abb. 3). Das komplexe Deformationsfeld des Gels um eine Zelle stimmt weitgehend mit dem Deformationsfeld eines Kraftdipols in einem elastischen Medium überein. Das Dipolmoment eines solchen Kraftdipols kann deshalb als ein verlässliches Maß für die bei der Invasion auftretenden Kräfte angesehen werden. Wir haben bei MDA-MB-231-Brustkarzinomzellen Dipolmomente von typischerweise 1–3 pNm beobachtet. Diese Werte sind vergleichbar mit den Kräften, die von maximal stimulierten glatten Muskelzellen in 2D-Kultur generiert werden können[3]. Zusammenfassend können wir mit der 2Dund 3D-Traction-Mikroskopie die bei der Adhäsion, Transmigration und Invasion wirkenden Kräfte von allen adhärenten Zellen bestimmen. Eines unserer Ziele ist, die Kräfte bei der Adhäsion und Invasion von Tumor- ˚ Abb. 2: Prinzip des 3D-Kollagengelassays (A). Die Tumorzellen wandern im Verlauf von Stun- den bis Tagen in das Kollagengel ein. Der Assay kann durch einen geschlossenen Monolayer von Endothelzellen (HUVEC) erweitert werden, um das Transmigrationsverhalten zu untersuchen. MDA-MB-231-Brustkarzinomzellen in 2D auf einer Plastikoberfläche (B) zeigen eine flache, unregelmäßige Morphologie. In einer 3D-Kollagengelmatrix (C) dagegen nehmen die Zellen eine ausgeprägte Spindelform an. ¯ Abb. 3: Deformationen und Kräfte bei der Invasion einer MDA-MB-231-Brustkarzinomzelle in einem 3D-Kollagengel. Die Tumorzelle ist 125 μm tief eingewandert. Die grünen Punkte sind die in das Kollagengel eingegossenen fluoreszierenden Beads. Die grünen Pfeile zeigen die Beadverschiebung (Gel-Deformation) gegenüber dem kraftfreien Gel. Aus der Beadverschiebung kann die für die elastische Gel-Deformation notwendige Kraft berechnet werden. zellen mit unterschiedlicher Metastasierungsfähigkeit zu vergleichen. Wir erwarten, dass dabei deutliche Unterschiede erkennbar Literatur [1] Harris, A. K., Wild, P., and Stopak, D. (1980): Silicone rubber substrata: a new wrinkle in the study of cell locomotion. Science 208: 177–179. [2] Pelham, R. J. (Jr.), and Wang, Y. (1999): High resolution detection of mechanical forces exerted by locomoting fibroblasts on the substrate. Mol. Biol. Cell 10: 935– 945. [3] Butler, J. P., Tolic-Norrelykke, I. M., Fabry, B., and Fredberg, J. J. (2002): Traction fields, moments, and strain energy that cells exert on their surroundings. Am J Physiol Cell Physiol 282: C595–605. [4] Cukierman, E., Pankov, R., Stevens, D. R., and Yamada, K. M. (2001): Taking cell-matrix adhesions to the third dimension. Science 294: 1708–1712. Korrespondenzadresse: Dr. Claudia Mierke Biophysik, Zentrum für Medizinische Physik und Technik Universität Erlangen-Nürnberg, Henkestraße 91, D-91052 Erlangen, Tel.: 09131-8525608, Fax: 09131-8525601 [email protected] BIOspektrum | 04.06 | 12. Jahrgang werden und sich die Methode zur Bestimmung des Invasionspotentials von primären Tumorzellen aus Biopsien eignet. ó