250 ORICINALARBEIT Eine durch Psychopharmaka in ihrem chronisch progredienten Verlauf nicht beeinflußbare Erkrankung Zusammenfassung, Die manierierte Katatonie, eine Form der systematischen Katatonien leonhards, wird anhand von neun Kasuistik@n darg@st@lIt. Im Zentrum des s@lt@n@n Krankh@itsbil· des standen Mani@ren und eine Erstarrung der Psychomotorik. Die Mani@r@n @ntwick@lt@n sich oft aus Zwangshandlungen oder phobischen V@rm@idung@n. Während der ängstliche Affekt sich rasch v@rlor, traten Unterlassungs- und B@w@gungsmanier@n imm@r mehr in den Vordergrund. Kompl@x@ Handlungsabläufe wurden durch ihre ständige Wied@rholung zunehmend st@r@otyp und automatisiert. Neben dem mimisch@n und g@stisch@n Ausdruck wurden auch die Reaktivbewegung@n von einer zun@hmenden Steifigkeit ergriffen. Es bestand kein (n@urol@ptisch-b@dingter) Parkinsonismus. Der Erkrankungsbeginn bei mani@ri@rter Katatoni@ ist früh (M@dian: 23 Jahre). Es sind überwiegend Männer betroffen. In keinem der Fälle fand sich eine familiäre Belastung mit Psychosen. Schwere Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen sowie die Häufung von al MR-Auffälligk@it@n in supratentoriellen und zerebellären Ber@ichen in dieser Patient@ngruppe weisen auf frühe Entwicklungsstörungen des ZNS bereits in der Pränatalz@it hin. Im Durchschnitt erhielt@n die Patienten 83,1 9 Chlorpromazinäquivalente pro Jahr. Durch eine moderne Psychopharmakotherapie war die charakteristische Psychopathologie der manierierten Katatonie sowohl in frühen Krankheitsstadien als auch im Längsverlauf, unabhängig vom Zeitraum des Krankheitsbeginns, nicht wesentlich zu beeinflussen. Ganz im Vordergrund der Therapie steht von Beginn an eine intensive rehabilitativ@ Soziotherapie, insbesondere das kontinuierliche Beüben mit sozial positiven und sinnvollen Betätigungen. Manneristic Catatonia. Manneristic catatonia, on@ form of leonhard's systematic schizophrenias. is iIIustrat@d in nine case notes. The essential syndrome of this rare disorder (described by leonhard In the preneuroleptic @ra) consisted In mannerisms and progressive stiffness of psychomotor activity. Mannerisms often deveJoped from obsessive and compulsive ideas; wh@reas distress disappeared. repetitive b@haviour developed into a stereotype. Complex movements (e. g. not to shake hands; mutism) became mann@rlsms. Wlth disease progression stiffness of facial expression and g@stures and an impairment of voluntary motor activity became increasingly prominent. There were no signs of (n@uroleptic-Induced) parkinsonism. Manneristic catatonia affects pr@ponderantly men and exhibits an early age of onset (median: 23 y@ars).ln none ofthe cas@safamilyhistoryofpsychlatric illness was noted. Severe obst@tric and blrth complicatlons as Fortsehr. Neurol. Psychiat. 64 (1996) 250-260 © Georg Thieme Verlag Stuttgart· New York G. Stöber 1, G.Jungkunz 2 , E. Franzek" H.Beckmann 1 , Psychiatrische Klinik mit Poliklinik der Universität Würzburg (Direktor: Prof. Dr. H. Beckmann) 2 Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie des Bezirks Unterfranken Lohr Ja. M. (Direktor: Priv.-Doz. Dr. G.Jungkunz) w@1I as the high prevalence of supratentorial and cerebellar al MR abnormaliti@s In this patient group point to deviations of prenatal brain maturation. The median yearly dose of neuroleptics was 83.1 9 chlorpromazin equivalents. The characterlstlc psychopathology was not essentially influenced by modern psychopharmacological treatment neither in the beginning nor in the long run irrespective of the time of onset of the disease. Continuous high-dose neuroleptic treatment is not efficacious in this distinct group of systematic schizophrenias. Behavioural training in a rehabilitation unit is the treatment of choice from the early beginnlng. Einleitung Bewegungsstereotypien und Manieren, die früher bei Schizophrenen häufig zu beobachten waren, schienen unter arbeitstherapeutischen Maßnahmen und moderner Psychopharmakotherapie bis auf unbedeutende Reste verschwunden zu sein (Schneider, 1955; Huber et al., 1979). Moderne Klassifikations- und Dokumentationssysteme (AMDP, 1981: WHO, 1991) verzichteten deshalb weitgehend auf eine differenzierte Beschreibung und Nosologie psychomotorischer Störungen. Kahlbaum (l874} hatte stereotype Haltungen und Bewegungsmanieren mit katatonen Krankheitsverläufen in Verbindung gebracht. Kraepelin (1913) beschrieb katatone Endzustände, in denen Manieren das Bild beherrschten: die Haltung dieser Patienten war starr und gebunden, sie waren wortkarg und bisweilen jahrelang stumm. Beim Gehen machten sie immer wieder einige Schritte zurück, gaben nur mit dem Ringfinger die Hand; den Eßlöffel faßten sie nur ganz leicht mit den Fingerspitzen oder zählten zwischen den Bissen bis zwölf. Andere saßen mit geschlossenen Augen da, befolgten Aufforderungen nicht, sondern nickten nur mit dem Kopf. Diese einförmigen Gewohnheiten bestimmten oft über Jahre gleichbleibend das Verhalten der Kranken (a.a.O., pp887-888). Kraepelins nosologischen Ansatz und Wernickes Einteilungsprinzip nach Syndromen (1900) verbanden Kleist (1908,1943) und Leonhard (1995) zu einer differenzierten Aufteilung katatoner Schizophrenien. In subtilen Quer- und Längsschnittuntersuchungen grenzte Leonhard (1995) bei den qualitativen Störungen der Ausdrucks- und Reaktivbewegungen zwei nach Klinik und Prognose verschiedene katatone Hauptgruppen voneinander ab. Die "periodische Katatonie" ging schubförmig in unterschiedlich schwer ausgeprägte, adyname Residuen über. Die chronischen, nicht remittierenden ..systematischen Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Die manierierte Katatonie Die manierierte Katatonie Katatonien" ließen sich aufgrund ihrer spezifischen Syndrome klinisch in eine parakinetische, manierierte, proskinetische, negativistische, sprechbereite sowie sprachträge Form unterteilen. Unser Ziel war es, zu untersuchen, ob das Krankheitsbild der manierierten Katatonie, dessen klinische Beschreibung auf die Vorneuroleptikaära zuIiickging, heute noch zuverlässig abgrenzbar ist oder ob unter moderner medikamentöser Therapie wesentliche Abweichungen in der klinischen Symptomatik eingetreten sind (Tab. 1). Des weiteren sollte untersucht werden, ob sich aus Befunden aus der Prä- und Perinatalzeit und aus neuroradiologischen Untersuchungsbefunden Hinweise auf die Genese dieser Erkrankung ergeben. Fortsehr. Neurol. Psychiat. 64 (1996) 251 Tab. 1 Die Symptomatik der manierierten Katatonie. I. Charakteristische Symptome 1. Antriebsminderung mit steifer Haltung: - Verarmung und maskenhafte Erstarrung der Mimik - Verarmung des gestischen Ausdrucks - modulationsloses Sprechen - steifer und hölzerner Bewegungsablauf ohne feinere Modulierungen 2. - Manieren: Bewegungsmanieren Unterlassungsmanieren automatisierte Gewohnheiten 3. Chronischer Verlauf ohne Remissionen zu stabilem Residuum - Seit 1991 wurden auf einer Allgemeinstation und der Poliklinik der Psychiatrischen Klinik der Universität Würzburg konsekutiv aufgenommene Patienten und auf soziotherapeutisehen Stationen des Bezirkskrankenhauses in Lohr a. M. schizophrene Patienten mit chronischem Verlauf differenziert untersucht (im Detail: Stöber et al., 1995; Beckmann et al., im Druck). Zunächst wurden die Krankengeschichten von 749 Patienten daraufhin durchgesehen, ob im Krankheitsverlauf und loder im Querschnittsbild katatone Symptome aufgetreten waren. Patienten, die zumindest einmal im Krankheitsverlaufkatatone Symptome gezeigt hatten (n = 189), wurden persönlich von zwei erfahrenen Psychiatern (H. B., E. F.) untersucht und nach Leonhards Nosologie diagnostiziert. Wie bereits in einer fIiiheren Studie (Franzek u. Beckmann, 1992), war auch in dieser Untersuchung die Interraterreliabilität hoch (Cohens kappa: 0,93}. Die Stabilität der Diagnosen (Nachuntersuchungen nach 0,5 -2 Jahren) erreichte 97 % (Cohens kappa: 0,93). Insgesamt erfüllten 139 Patienten die Kriterien katatoner Schizophrenien nach Leonhard. 83 Patienten (42 Männer. 41 Frauen) litten an einer periodischen Katatonie und 56 Patienten (42 Männer, 14 Frauen) an einer systematischen Katatonie (parakinetische, manierierte, negativistische. sprachträge. sprechbereite, proskinetische sowie kombinierte Formen}. - Diese Studie umfaßt aus dem Gesamtkollektiv eine Stichprobe von neun Patienten (6.5 %der Patienten mit chronischen Katatonien). auf die die diagnostischen Leitlinien der manierierten Katatonie zutrafen. Zwei der Patienten waren vor 1950, zwei Patienten nach 1960 erkrankt und bei fünf Patienten hatte die Erkrankung erst vor wenigen Jahren eingesetzt. Bei sieben der neun Patienten konnte eine neuroradiologische Untersuchung durchgeführt werden (bei fünf der Patienten eine kraniale Computertomographie, bei zwei der Patienten eine Untersuchung mittels Kernspintomographie). Zwei der Patienten lehnten jedwede röntgenologische Untersuchung kategorisch ab. Um eine unvoreingenommene Befundung zu gewährleisten. wurden die er I MR-Aufnahmen zusammen mit Aufnahmen von weiteren neun Patienten mit verschiedenen endogenen Psychosen einem erfahrenen Neuroradiologen (Priv.-Doz. Dr. E. Hofmann) zur Auswertung vorgelegt. Über die exakten Diagnosen der 16 Patienten und über die Fragestellung lagen dem Neuroradiologen keine Informationen vor. Es waren nur Alter, Geschlecht und die Tatsache bekannt, daß alle 16 Patienten zumindest einmal psychiatrisch erkrankt wa- unproduktives, alogisches Denken ohne paralogische Störungen keine schwere affektive Verflachung gelegentlich: kurze psychomotorische Erregungszustände mit paranoid-halluzinatorischer Symptomatik/ Personenverkennungen 111. Akzessorische Symptome Im Krankheitsbeginn - Stimmungsschwankungen mit Beziehungsideen und Halluzinationen, Zwangshandlungen - phobische Unterlassungen Zwangsdenken. ren. Die Beurteilung erfolgte visuell mit einer graduellen Einteilung innerhalb einer 3-Punkte-Skala: 0= normal; 1 = leicht auffällig (erweitert, atrophisch); 2 = deutlich auffällig. Bei sechs der neun Patienten (sämtlich nach 1940 geboren) lebten die Mütter und konnten persönlich in einem strukturierten Interview zur Schwangerschafts- und Geburtsanamnese befragt werden. Dieses strukturierte Interview war bereits in einer früheren Studie eingesetzt worden (Stöber et al., 1992, 1994). Dabei hatte sich eine gute Übereinstimmung zwischen den Angaben der Mütter und den Unterlagen der Geburtskliniken ergeben (Franzek u. Stöber, 1995). Für die Erfassung der Schwangerschaftsinfektionen wurde ein detaillierter Fragebogen verwendet, die Erfassung und Bewertung von geburtshilflichen Komplikationen erfolgte nach der Skala von Lewis und Murray (1987). Auch wurden ausführlich Daten zu frühen Bezugspersonen und der Primärpersönlichkeit der Patienten erhoben (klinisches Interview zu Temperament, WesenszUgen und Kontaktfähigkeit, v. Trostorff, 1970; MPT-Version filr Verwandte, v. Zerssen et al., 1988). Zur Beurteilung der prämorbiden sozialen Anpassung kam die Skala von Cannon-Spoor et al. (1982) zur Anwendung (PSA 1: Kindheit bis zum 11. lebensjahr). Bei den Patienten 1-3 waren wegen des Todes der EItern keine ausreichend detaillierten Angaben zu Geburt, frühkindlicher Entwicklung und zur Primärpersänlichkeit erhältlich. Die durchschnittliche jährliche Neuroleptikadosis in Chlorpromazin(CPZ)-Äquivalenten wurde filr die stationären und tagesklinischen Aufenthalte berechnet. Die Berechnung nach ePZ-Äquivalenten erfolgte nach Davis (1974) und Dietmaier und Laux (1992). Die Anwendung von Psychopharmaka war in den Medikamentenlisten der Patienten und in den Krankengeschichten lückenlos dokumentiert. Zeiten unsicherer Compli- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 11. Zusätzliche Symptomatik Im Langzeitverlauf Patienten und Methodik ance (Versorgung im häuslichen Milieu) wurden nicht berücksichtigt. Kasulstlken Patienten mit Ersthospita/isierung vor 1950 Patientin 1 (S. E.) Die Patientin wuchs als jüngstes Kind eines Landwirtsehepaares auf. Während der Kriegswirren war sie in einem Kloster untergebracht. Nach einem schweren Erregungszustand wurde sie 1947 eingewiesen und blieb seither stationär. Bei der Aufnahme fielen ein spärliches Mienenspiel, eckige Bewegungsabläufe und eine Wortkargheit auf. Zu allen Verrichtungen mußte die Patientin gedrängt werden, oft nahm sie tagelang keine Nahrung zu sich. Beim Gehen griff sie an den Boden, drehte sich danach einige Male im Kreis. Im Laufe der jahre gelang es, die Patientin mit Hausarbeiten zu beschäftigen, die sie nun unaufgefordert nach einem genauen Plan verrichtete. Grundlos wiederholte sie immer wieder Arbeiten. Beim Essen lehnte sie Fleischgerichte ab, suchte sich die Nudeln heraus, aß monatelang nur Süßspeisen. Beim An- und Auskleiden hatte sie ein besonders zeitraubendes Zeremoniell, das die Betreuer "Huldigungen" nannten. Bevor sie ein Kleidungsstück anzog, kniete sie davor nieder und verbeugte sich mehrfach mit dem Oberkörper. Eine paranoid-halluzinatorisehe Symptomatik bestand im gesamten Verlauf nicht. Bei der Nachuntersuchung hatte die nunmehr 80jährige an all ihren Manieren festgehalten. Beim Reinigen der Tische begann sie stets an der gleichen Kante, fuhr nach einem festgelegten Schema fort, bis auch die Unterseite des Tisches gereinigt war. Wurde sie gestört, brach sie verstimmt die Arbeit ab, begann aber nach einer gewissen Zeit von vorne. Der Bewegungsablauf war eckig und unharmonisch. Das Tempo der Bewegungen war nicht verlangsamt, eher hastig. Angesprochen, gab sie nur in knappen Sätzen Antwort. Es fanden sich keine formalen und inhaltlichen Denkstörungen. Trotz der langen Krankheitsdauer wirkte sie affektiv nicht wesentlich abgestumpft. Der somatische Status der Patientin war altersentsprechend. Patient 2 (W. A.) Der Patient wuchs als jüngeres von zwei Kindern auf. Während der Kriegsgefangenschaft litt er an depressiven Verstimmungen und Beziehungsideen. Nach Hause zurückgekehrt, aß er nur, wenn seine Mutter neben ihm saß. Zu Feldarbeiten mitgenommen, blieb er tatenlos stehen. 1947 stationär aufgenommen, gab der 23jährige nur zögerlich Antwort. Die Stimmung war ausgeglichen, paranoide Ideen fanden sich nicht. In der Klinik widersetzte er sich allen Anforderungen, jedoch nicht trotzig, sondern mit einem "sanften, fast schelmischen Lächeln". Zeitweise sprach er nicht und mußte gefüttert werden, da er die Nahrungsaufnahme unterließ. In den nachfolgenden jahren verrichtete er langsamen, steifen Schrittes auf genau abgezirkelten Wegen Botengänge. Sonst saß er bewegungslos auf immer demselben Platz. Angesprochen, wandte er sich meist wortlos ab. In mehrmonatigen Abständen kam es zu psychomotorischen Erregungszuständen, in denen er sich durch hochtönende Frauenstimmen beeinträchtigt fühlte. G. Stöber, G.Jungkunz, E. Franzek, H. Beckmann Bei der Nachuntersuchung saß der 69jährige Patient trotz Sommerhitze in Schals gekleidet da und hatte Watte in die Ohren gesteckt. Diese Angewohnheit hatte er beibehalten, nachdem er jahre früher einmal "ohrenkrank" gewesen war. Seine Bewegungen waren zäh, hölzern. Die Körperhaltung war starr, Mimik und Gestik waren unbewegt. Von sich aus sprach er nicht. Antworten gab er mit leiser, monotoner Stimme in kurzen, agrammatischen Sätzen. Das formale Denken war sonst ungestört. Wurde er zu umfassenderen Antworten gedrängt, bekam er zumeist einen unwilligen Zug um den Mund, lächelte verschmitzt und verstummte. Der somatisch-neurologische Befund war unauffällig. Patienten mit Ersthospita/isierung nach 1960 Patient 3 (D. G.) Der Patient war das erste von fünf Kindern und arbeitete als Schreiner im elterlichen Betrieb. 1963, im Alter von 26 jahren, setzte eine depressive Verstimmng ein. Bei der Aufnahme berichtete er von Schuld- und Versündigungsideen, verhielt sich übermäßig devot. Bei der Visite gab er nur zögerlich die Hand, grüßte mit einer tiefen Verbeugung. Darauf angesprochen, lächelte er. verlegen, bewegte leicht die Lippen und nickte stumm. Beim Gehen hielt er die Beine steif, beugte die Knie nicht durch. Eine Arbeit nahm er nicht wieder auf. Über jahre hin blieb er mutistisch, begann dann wieder mit verhaltener Stimme zu sprechen. Mit beiden Händen umfaßte er die zum Gruß gereichte Hand und fragte stets: "Herr Doktor, darf ich ihnen helfen." Ein Erregungszustand führte 36jährig erneut zur Aufnahme. Darauf angesprochen, weinte er, die Mimik blieb jedoch unbewegt. In den folgenden jahren blieb sein Verhalten gleich. Tagtäglich erkundigte er sich, ob er in die Arbeitstherapie dürfte. Für frische Wäsche wollte er mit einem stets bereitgehaltenen Geldstück bezahlen. Immer kam er einige Minuten zu spät zum Essen, mied Gespräche. Bei der Nachuntersuchung umgriff der 56jährige nach einer leichten Verneigung mit beiden Händen die linke, dann die rechte Hand des Untersuchers. Das Gangbild war eckig, die Haltung steif. jeder mimische Ausdruck entwickelte sich abnorm zäh und schwand nur langsam. Auch auf nachdrückliches Bitten hin unterließ er es nicht, in jede Antwort "bitte entschuldigen Sie" einzuflechten. Er antwortete nur in kurzen Sätzen, nach langem Überlegen. Formale Denkstörungen fanden sich dabei nicht. Ungewohnte Fragen riefen ein gequältverlegenes Lächeln hervor. Der somatisch-neurologische Status war unauffällig. Patient 4 (Z. D.) Der als Einzelkind aufgewachsene Patient ließ im 14. lebensjahr durch ein ängstlich-anankastisches Verhalten in den schulischen Leistungen nach. Bei der Aufnahme wirkte er depressiv, antwortete zögerlich. Stundenlang stand er starr vor dem Bett, eine Decke in der Hand haltend, den Kopf zur Seite geneigt. Katalepsie bestand nicht. Er gab an, er hätte zu tiefe Gedanken, müßte ständig grübeln. Nahrungs- und Medikamentenverweigerung sowie psychomotorische Erregungszustände machten in kurzen Zeitabständen stationäre Aufenthalte notwendig. Immer wieder klagte er über heftige innere Spannungen, fühlte sich dann verfolgt, hörte Stimmen und verkannte die Umgebung. In knappen Sätzen und gestelzter Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 252 Fortschr. Neurol. Psychiat. 64 (1996) Fortsehr. Neurol. Psychiat. 64 (1996) 253 Die manierierte Katatonie Zur Nachuntersuchung kam der 40jährige Patient in leicht ge- beugter Körperhaltung, verneigte sich steif und reichte statt der Hand den Unterarm zum Gruß. Beim Gehen waren die Mitbewegungen eckig und abrupt. Beim Sprechen legte er einförmig die Stirn in Falten, neigte den Kopf zur Seite und antwortete meist nur mit einem herausgepreßten "ein bißchen vielleicht - schon möglich". Die Vorgänge in seiner Umgebung faßte er korrekt und interessiert auf. Paralogische Denkstörungen bestanden nicht. Trotz ständiger Beeinflussungsversuche bestanden die Haltungs- und Sammelmanieren fort. Auf seine Verhaltensweisen angesprochen, lächelte er, die Schultern zuckend, verlegen. Der somatisch-neurologische Befund war unauffällig. Patienten mit der Ersthospitalisierung nach 7985 Patient 5 (I. T.) Der 1961 als Einzelkind geborene Patient litt im 16. Lebensjahr unter Angstzuständen, befürchtete den Tod seiner Großeltern und entwickelte einen Zählzwang. Er brach die Schulausbildung ab, Arbeitsversuche scheiterten. Bei der Aufnahme mit 25 jahren wirkten seine Bewegungen nur wenig moduliert und eckig. Durch Verharren an bestimmten Stellen wollte er seine glückliche Kindheit zurückrufen. Wurden Türen geschlossen, blieb er stehen, bis diese wieder geöffnet waren. Zuletzt mußten zu Hause sämtliche Türen und Fenster offenstehen. da er sich sonst nicht bewegte. 5 jahre später erneut aufgenommen, nahm er wochenlang nur flüssige Nahrung zu sich, da er zum Essen seine vertraute Umgebung benötigte. Stundenlang behielt er eigenartige Stellungen inne, da er ..innerlich daran festklebe". Oft mußte ihm die Richtung, in die er gehen sollte, genau vorgegeben werden. Er ging dann einige Schritte vorwärts, dann rückwärts, verharrte kurz, um sich danach doch weiterzubewegen. Dabei zählte er seine Schritte. Türen durchschritt er rückwärts, berührte kurz den Türstock. Wurde nicht darauf geachtet, stellten sich gerade mühevoll abtrainierte Manieren wieder ein. Bei der Nachuntersuchung erklärte der 32jährige, er könne kei- ne Entscheidungen treffen, dies sei "die Basis seiner Probleme", Immer wieder müsse er die gleichen Gedanken durchdenken, komme zu keinem Schluß. Seine unsinnigen Angewohnheiten hätten sich in ihm verselbständigt. Ängstliche Befürchtungen bestanden nicht. Mit ,.Abhärtungsideen w begründete er seine Unterlassungsmanieren (Essensverweigerung, Nichttragen von Kleidungsstücken, Vermeiden jeglicher Veränderung). Der Bewegungsablauf war nicht wesentlich verlangsamt, aber eckig und steif. Er sprach abgehackt, in kurzen Sätzen. Das formale Denken war nicht gestört. Sein steifes Mienenspiel zeigte nur gelegentlich ein Lächeln. Die körperliche Untersuchung erbrachte Normbefunde. Eine kraniale CT- Untersuchung lehnte der Patient wiederholt ohne Angabe von Gründen ab. Patient 6 (H. R.) Der 1967 als jüngstes von drei Kindern geborene Patient war zurückhaltend und kontaktscheu. Im Studium klagte er über Versagensängste und Entschlußlosigkeit, wich Prüfungsterminen aus. Ein Studienabschluß gelang nicht. Bei der ersten stationären Aufnahme war der 20jährige in seinen Bewegungen verlangsamt, antwortete nur nach langen Pausen. Gelegentlich zeigte sich ein steifes Lächeln. Im elterlichen Geschäft benötigte er selbst für einfache Aufträge übermäßig Zeit, da er jede Entscheidung lange überlegen mußte. Ein und derselbe Gedanke beschäftigte ihn oft stundenlang. Er grübelte, ob die Nachrichtensprecher die richtigen Worte gewählt hätten, ob seine Erinnerungen echt seien. Stundenlang saß er vor Büchern und las bereits Gelesenes erneut, um sich zu vergewissern, daß das Gedruckte tatsächlich dastand. Bei der Nachuntersuchung während des zweiten stationären Aufenthaltes stand der 26jährige Patient stundenlang an der Bettkante, da ihn der Gedanke nicht losließ, ob die Bettdecke richtig liege. Haltungsverharren bestand nicht. Angesprochen, wandte sich der Patient zu, lächelte verständnisvoll. antwortete aber meist nur mit einem monotonen .ja, eigentlich schon, ja" oder "nein, eigentlich nicht, nein". Ohne ängstliche Befürchtungen daran zu knüpfen, beschäftigte er sich ständig mit belanglosen Zweifeln (ob die Zimmertüre geschlossen sei, ob das Nachbarbett vorhanden sei). Dies bezeichnete er als ,,Zweifel sucht". Es fanden sich keine formalen Denkstörungen. Mimik und Gestik waren unharmonisch, steif, ausdrucksarm. Eine paranoid-halluzinatorische Symptomatik trat nicht auf. Der somatische Befund (inkI. Liquoruntersuchungen) war regelrecht. Patient 7 (5ch. E.) Der Patient wuchs als Einzelkind auf. Das Studium brach er ab, da er in seinem Bemühen, besonders genau zu lernen nicht mehr vorankam. Er lebte von Gelegenheitsarbeiten und war, in seinem "Hang zum Perfektionismus", den Großteil des Tages beschäftigt, seine Wohnung zu ordnen. Zuletzt kam er auch mit einfachen Hausarbeiten nicht mehr voran, versorgte sich nicht mehr und magerte stark ab. Bei der ersten stationären Behandlung 1990 gab der 41jährige an, seit Monaten seine Wohnung nicht mehr verlassen zu haben, da er ständig grübeln müsse. Nach der Rückkehr zu den Eltern, 1991, lebte er in einem abgedunkelten Raum. Zu den Eltern hielt er nur über kurze Schreiben Kontakt. versorgte sich nachts aus dem Kühlschrank, lag tagsüber regungslos, stumm im Bett. Ein schwerer Erregungszustand machte eine erneute Aufnahme nötig. Auskunft gab er nur bruchstückhaft, in kurzen Sätzen. Die Bewegungen waren eckig. Gestik und Mimik waren spärlich und steif. Stundenlang wusch er sich aus Gewohnheit das Gesicht. Angst vor einer Beschmutzung bestand nicht. Für eine paranoid-halluzinatorische Symptomatik fand sich kein Anhalt. Auf Störungen seines Tagesablaufes reagierte er irritiert und gereizt. Eine kraniale CT-Untersuchung lehnte der Patient kategorisch ohne Angabe von Gründen ab. Bei der Nachuntersuchung saß der 44jährige mit starr durchge- drücktem Oberkörper da, die Hände unbewegt auf den Ober- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Wortwahl erklärte er, 20jährig, ein Kampf zwischen Gut und Böse finde statt, er müsse Besonderes für die Menschheit tun. Die Hände gefaltet, blickte er vor sich hin, lächelte maskenhaft steif und verneigte sich in gravitätisch steifer Art. 6 jahre später antwortete er stets einsilbig mit "weiß nicht - nicht unbedingt - nicht ganz". Beim Essen ergriff er den Löffel nur am äußersten Ende, führte ihn mit eckigen Bewegungen zum Mund. Er sammelte Unrat, schloß diesen ins Nachtkästchen ein und gab ihn Verwandten mit. 254 Fortsehr. Neuro!. Psychiat. 64 (1996) Patient 8 (V. R.) Der Patient wurde 1968 als jüngeres von zwei Geschwistern geboren, war in seiner Art lebhaft und bewältigte den Gymnasialbesuch problemlos. Im Alter von 19 jahren klagte er über ..innere Hemmungen", entwickelte Ängste, frei zu sprechen, und brach die Schule kurz vor dem Abitur ab. Er nahm keine längerfristige Arbeit auf, lebte in einem stets verdunkelten Zimmer. Ihn ließ der Gedanke nicht los, er könnte körperlich mißgestaltet oder AIDS-krank sein. Ängstliche Befürchtungen knüpfte er daran nicht. Bei der ersten stationären Behandlung waren Mimik und Gestik des 23jährigen verarmt. In steifer Haltung stand er an immer derselben Stelle neben seinem Bett. Selbst bei einfachen Tätigkeiten benötigte er übermäßig Zeit, sich zu entschließen. Danach verharrte er, bis er zu etwas Neuem angeregt wurde. Wenige Monate später erneut stationär aufgenommen, fielen wiederum die mimische Steifheit und Wortkargheit auf. Bei der Nachuntersuchung während dieses Aufenthaltes bewegte sich der 25jährige steif, mit leicht gebeugtem Oberkörper und eckigen Mitbewegungen der Arme. Stereotyp strich er sich über Oberschenkel und Haar. Nur gelegentlich belebte ein Lächeln das maskenhaft-starre Gesicht. Selbst bei kleinen Gedankenschritten kam er nicht voran. Er erklärte, zu raschen Entscheidungen sei er nicht fahig, immer wieder durchdenke er dieselben Ideen. Er grüble über den Sinn des Lebens, ohne gedanklich zu einem Ende zu kommen. Willentlich könnte er dies Gedankenkreisen kaum unterbrechen. Antwort gab er nur in kurzen Sätzen, verstummte gleich wieder. Das formale Denken war auch bei experimentellen Denkprüfungen geordnet. Paranoid-halluzinatorische Symptome traten nicht auf. Der somatisch-neurologische Untersuchungsbefund (inkI. liquoruntersuchung) war regelrecht. Patientin 9 (H. S.) Die 1972 geborene Patientin wuchs als erstes von drei Kindern auf und besuchte das Gymnasium. Mit 16 jahren äußerte sie religiöse Skrupel und, daß sie lernen müßte, sich zu beherrschen und sich Gutes zu versagen. Bevor sie sich zum Essen setzte, ging sie 3mal um den Tisch. Um zu büßen, erlegte sie sich auf, tagelang nicht zu sprechen und zu essen. Mit 17 jahren wurde die Patientin in einem mutistischen Zustand stationär aufgenommen. Stundenlang verharrte sie regungslos ohne Zeichen einer Katalepsie. Nach Tagen nahm sie schriftlich Kontakt auf, sprach später mit monotoner Stimme kurze Sätze. Sie zeigte kaum Mienenspiel, die Bewegungen waren langsam. Eine schulische Reintegration scheiterte. Nach Hause geholt, unterließ sie bald erneut das Sprechen und die Nahrungsauf- nahrne. Erneut aufgenommen, aß die 18jährige nur unter Drängen. Nach ihrem Befinden befragt, antwortete sie stereotyp: "Es geht". Gesichtsausdruck und Haltung blieben steif. 2 jahre später unterließ sie selbst die elementarste Körperpflege, erschien nicht zu den Mahlzeiten, sondern aß auf dem Korridor. Bei allen Aktivitäten nahm sie hin und zurück den gleichen Weg. Paranoid-halluzinatorische Symptome traten nicht auf. Zur Nachuntersuchung kam die 21jährige Patientin in leicht gebeugter Körperhaltung mit steifen, unharmonischen Bewegungen. Die Mimik war bis auf ein gelegentliches Lächeln erstarrt. Von sich aus sprach die Patientin kaum. In monotonem Tonfall berichtete sie: "Ich versuche, meine Gedanken weiterzudenken, aber es gelingt nicht. Es fallt mir schwer, meine Gewohnheiten zu durchbrechen, mir Neues vorzunehmen." Sie müsse jede Geste, jedes Wort durchdenken und immer wieder zum Beginn der Gedanken zurückkehren. Im formalen Denken fanden sich keine Störungen. Wenn sie in Ruhe verharre, bleibe die Zeit stehen, alles würde rückgängig gemacht. Begann sie z.B. das Zähneputzen, ftihrte sie es so lange aus, bis sie unterbrochen wurde. Die somatisch-neurologische Untersuchung erbrachte keine AuffalIigkeiten. Ergebnisse Wichtige klinische und soziodemographische Daten der Patienten mit manierierter Katatonie zeigt Tab. 2. Die Erkrankung setzte im Median mit 20 (14-32) jahren ein, das Alter bei der ersten stationären Behandlung betrug im Median 23 (14 - 41) jahre. Bei der Nachuntersuchung waren die Patienten zwischen 21 und 80 jahre alt. Männer waren von der Erkrankung deutlich häufiger betroffen (Geschlechterverhältnis 7 : 2). Trotz guter schulischer Qualifikation hatte nur ein Patient vor Erkrankungsbeginn eine Berufsausbildung abgeschlossen, keiner der Patienten hatte nach Krankheitsausbruch eine Berufsstellung erreichen können. Die Eltern der Patienten stammten überwiegend aus der sozialen Mittelschicht. Bei sieben der neun Patienten konnte eine neuroradiologische Untersuchung mittels kranialer Computertomographie (Fall 1, 2, 3, 4, 8) oder Kemspintomographie (Fall 6, 9) durchgeführt werden (Tab. 3). Bei sechs der sieben untersuchten Patienten zeigten sich deutliche atrophische Veränderungen in verschiedenen Hirnarealen (Abb.l, 2a-b). Eine Ventrikelerweiterung fand sich in vier Fällen. Eine generalisierte äußere Liquorraumerweiterung sowie atrophische Veränderungen der Fissura Sylvii bestanden in fünf Fällen. Beide Läsionsmuster (supratentorielle Atrophie und Atrophie der Fissura Sylvii) fanden sich stets kombiniert. Zerebelläre Veränderungen waren bei sechs Patienten vorhanden, in vier Fällen bestand eine Kleinhirnhemisphärenatrophie, bei zwei Fällen eine Atrophie des Kleinhirnoberwurms. Eine Kombination von supratentorieller und zerebellärer Läsion war in drei Fällen nachweisbar. Eine Probandin zeigte keine neuroradiologischen Auff.H1igkeiten. Bei sechs der neun Patienten konnten die Mütter eingehend zur Schwangerschafts- und Geburtsanamnese befragt werden (Tab. 4). Die Mütter waren bei Geburt der Kinder zwischen 22 und 38 jahre alt (Median 27 jahre) und zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 54 und 75 jahre alt. Fünf von neun Patienten hatten schwere Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen durchgemacht. Am häufigsten war eine prä- oder Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. schenkeln. Der Bewegungsablaufwar hölzern, der Patient ging wie auf Stelzen. Er sprach in knappen Sätzen, in stets gleichbleibendem Tonfall. Eine gröbere affektive Abstumpfung bestand nicht. Stundenweise konnte er für einfache Büroarbeiten eingesetzt werden, die er mit eckigen, roboterhaften Bewegungen ausführte. Vorgegebene Arbeiten wurden gewissenhaft und korrekt durchgeführt. War jedoch ein Arbeitsschritt beendet, verharrte er, bis er zum nächsten Schritt aufgefordert wurde. Aus eigener Initiative brachte er kaum etwas zuwege, da er mit seinen Überlegungen nicht zum Abschluß kam. Das Denken war unproduktiv, formal jedoch nicht gestört. Die somatisch-neurologische Untersuchung war unauffallig. G. Stöber. G. Jungkunz, E. Franzek. H. Beckmann Fortschr. Neurol. Psychiat. 64 (1996) 255 Die manierierte Katatonie Alter bei Erkrankungsbeginn Alter bei Ersthospitalisierung Alter zum Untersuchungszeitpunkt Erkrankungsdauer I Jahre Zahl der Hospitalisierungen Schulbildung Familienstand Geschlecht Berufsausbildung Beruf der Eltern Patient 1 Patient 2 Patient 3 Patient 4 Patient 5 Patient 6 Patient 7 Patient 8 Patient 9 32 22 26 14 16 20 32 19 16 34 23 26 14 25 20 41 23 17 80 69 56 40 32 26 44 25 21 48 47 30 26 16 6 2 6 5 1 Volksschule ledig weibl. landw. Arbeiter Landwirt 1 Volksschule ledig männl. landw. Arbeiter Arbeiter 5 Volksschule ledig männl. Lehre 14 Gymnasium ledig männl. keine 2 Hauptschule ledig männl. keine Beamter selbst. Handwerker (Lehrer) 2 Abitur I Studium ledig männl. keine kaufm. An- selbst. gestellter Kaufleute 2 Abitur I Studium ledig männl. keine 2 Gymnasium ledig männl. keine 3 Gymnasium ledig weibl. keine kaufm. An- Arbeiter gestellter Landwirt Tab. 3 Neuroradiologische Befunde bei Patienten mit manierierter Katatonie. Pat. Nr. generalisierte Geschlecht I äußere LiquorAlter bei Untersuchung rau merweiterung Ventrikelerweiterung Atrophie Fissura Sylvii Kleinhirnhemisphärenatrophie Kleinhirnoberwurmatrophie 1 2 w80 m67 m57 m40 m25 m24 w 18 + + + ++ + ++ ++ ++ + + 3 4 6 8 9 + Hirnstammatrophie + + ++' + + ++ + + + - normal; + leicht auffällig (erweitert, atrophisch); ++ deutlich auffällig; • Ventrikelasymmetrie rechts> links. Pat. Nr. 5 und 7 verweigerten die Untersuchung. perinatale Sauerstoffmangelversorgung aufgetreten. Bei zwei Patienten lagen Zeichen der Postmaturität vor. Bei einer der Mütter war es darilber hinaus im 6. Schwangerschaftsmonat zu einer Cholezystitis gekommen. die antibiotisch behandelt werden mußte. Die neun Patienten hatten insgesamt 18 Geschwister (Spannweite 0-8). Die Eltern und zwölf der Geschwister hatten das 50. Lebensjahr und somit den allgemein angenommenen Risikozeitraum für schizophrene Erkrankungen überschritten, vier der Geschwister waren zwischen 20 und 50 Jahre alt und zwei Geschwister hatten das 20. Lebensjahr noch nicht erreicht. Neuropsychiatrische Erkrankungen waren weder bei den Eltern noch bei den Geschwistern aufgetreten. Die Größe der Geschwisterschaften war bei manierierter Katatonie vermindert. Drei Probanden waren Einzelkinder. Die sechs nach 1940 geborenen Probanden hatten insgesamt nur fünf Geschwister (0,84 pro Patient). Bei einigen unserer Patienten mit manierierter Katatonie fehlte die Mutter als enge Bezugsperson in den ersten Lebensmonaten wegen einer Heimunterbringung sofort nach der Geburt (Fall 5) oder wegen eines längerdau- Abb.l Das T2,gewichtete MRT-Bild (Pat. 6) zeigt eine leichte. generalisierte. äußere Liquorraumerweiterung sowie eine deutliche Ventrikelerweiterung mit einer Ventrikelasymmetrie rechts > links. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Tab. 2 Wichtige klinische und soziodemographische Daten der Patienten. G. Stöber, G. Jungkunz, E. Franzek. H. Beckmann 256 Fortsehr. Neurol. Psychiat. 64 (1996) a b Tab. 4 Schwangerschafts- und Geburtsanamnese, soziale Entwicklung und Primärpersönlichkeit der Patienten. Pat. Geburtsgewicht (g) pränatale Komplikationen perinatale Komplikationen soziale Entwicklung. Bezugspersonen Primärpersönlichkeit 4 3000 vorzeitiger Blasensprung (> 24 h) protrahierte Geburt Einzelkind, kaum Spielkameraden schüchtern. zurückgezogen. in Schule übergewissenhaft 5 3000 Asphyxie unehelich geborenes Einzelkind. Ablehnung d. Schwangerschaft. im ,. Lj. Säuglingsheim ohne Kontakt zur Mutter. dann von Großeltern erzogen. Mutter berufstätig still. schüchtern. kontaktarm 6 4100 Zeichen der Postmaturität (Krankenblatt) von Großeltern versorgt. Mutter berufstätig kontaktarm. zurückgezogen 7 4250 protrahierte Geburt. Asphyxie Einzelkind. von Haushälterin betreut. Mutter berufstätig, längere Kuraufenthalte wegen Entwicklungsstörung zurückgezogen. kaum Freunde. akribisch 8 3800 Ablehnung der Schwangerschaft. von Großeltern erzogen kontaktschwach. zurückgezogen. akribisch-übergenau 9 3250 von Großeltern betreut. Mutter in Landwirtschaft tätig sehr ruhig. unsicher, wenig durchsetzungsfähig gegen jüngere Geschwister Cholezystitis (mens VI) Präeklampsie vorzeitige Wehen. Cerclage (mens VIII) Asphyxie. postnatal 4 Wochen stationär wegen Infekt u. Gedeihstörung emden Krankenhausaufenthaltes (Fall 9) oder wurde wegen vollzeitiger Berufstätigkeit kurz nach der Geburt durch andere Bezugspersonen abgelöst (Fall 6. 7. 8). Primärpersönlich waren die Patienten von klein auf durch ihre Kontaktschwäche. ihre Selbstunsicherheit und durch ihr mangelndes Durchsetzungsvermögen gegenüber anderen Kindern und Geschwistern auffällig. Auch zeigten die Patienten in unterschiedlich starker Ausprägung bereits prä morbid übergenaue Verhaltensweisen. Im MPT (v. Zerssen et al.. 1988) waren bei allen Patienten Isolationstendenz und Rigidität hervorstechende prämorbide Persänlichkeitsmerkmale. Als einen weiteren Hinweis für eine mangelhafte soziale Anpassungsfähigkeit von früher Kindheit an wiesen die Probanden einen hohen Punktwert von 14.0±2 im PSA I auf (Cannon-Spoor et al.. 1982). In der medikamentös neuroleptischen Behandlung erhielten die Patienten im Durchschnitt jährlich 83.1 ± 71,9 g Chlorpromazin(CPZ)-Äquivalente. Lag der Zeitpunkt der Erkrankung vor 1950 oder zwischen 1960 und 1970 (Fall 1-4). wurde über eine Behandlungsdauer von 30,S ± 3.3 Jahren durchschnittlich 92,4 ± 88,4 g CPZ-Äquivalente pro Jahr verabreicht. Patienten, die erst nach 1985 in Behandlung kamen (Fall 5-9). wurden mit 75.7 ± 65.8 glJahr behandelt. Dies entsprach einer durchschnittlichen Tagesdosis zwischen 200 und 250 mg CPZ-Äqui- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Abb. 2 a, b Das kraniale Computertomogramm (Pat. 8) zeigt eine deutlich generalisierte äußere Liquorraumerweiterung sowie eine Atrophie der Fissura Sylvii. Die Ventrikel sind leicht erweitert, die Kleinhirnhemisphären sind atrophisch verändert. valenten. Die Patienten beider Gruppen wurden in der Dosismenge nicht wesentlich unterschiedlich behandelt (ungepaarter t-Test; t = 0,327; ns). Versuche, die katatonen Manieren in Anlehnung an die Behandlung von Zwangsphänomenen mit trizyklischen Antidepressiva oder selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmem zu behandeln, erbrachten keinen Erfolg. Diskussion Manieren, automatisierte Gewohnheiten sowie eine zunehmende Steifheit und Erstarrung der Psychomotorik prägten bei allen neun Patienten das psychopathologische Bild. Im Beginn der Erkrankung konnten, wie bei der Zwangsneurose, ängstlich-depressive Ideen an verschiedenartige Zwangshandlungen geknüpft sein (Leonhard, 1970, 1995). Unbegründete Ängste zogen Kontrollzwänge und phobische Unterlassungen nach sich; religiöse Skrupel führten zu zwanghaftem Fasten und Schweigen; ein Zählzwang diente dazu, etwas, was geschehen könnte, zu verhüten. Im Unterschied zur Zwangsneurose legten sich aber die ängstlichen Befürchtungen rasch. Dennoch beschäftigten sich die Patienten weiter mit ihren zweifelnden Gedankengängen. Selbst belanglose Ideen konnten stundenlang das Denken beanspruchen. Aus den Zwangsvorstellungen kristallisierten sich dann Manieren heraus. Unter Manieren sind hier automatisierte, komplexe Bewegungsabl.'lufe zu verstehen, die aufs engste verbunden sind mit einer zunehmenden Steifigkeit der gesamten Psychomotorik. Manieren kamen vor als Bewegungsmanieren (z.B. stereotypes Niederknieen beim Ankleiden: Anfassen des Besteckes nur mit Fingerspitzen; Rückwärtsdurchschreiten der Türe), als Unterlassungsmanieren (z. B. Nicht-die-Hand-Geben; sich nur schriftlich äußern; Mutismus; keine feste Nahrung zu sich nehmen), aber auch als automatisierte Gewohnheiten (z.B. stets Watte in die Ohren stopfen: stets die gleichen Wege benutzen; Sammeln von Unrat). Selbst der Tagesablauf war bei einer Patientin durch die Aneinanderreihung automatisch ablaufender Handlungen zur Manier erstarrt. Den Manieren katatoner Patienten fehlt alles Spielerische. Gezierte oder Posenhafte - psychomotorische Auffalligkeiten. die Mutig als Manieren bezeichnet werden (Bleuler, 1911; Bostroem, 1936; AMDP, 1981; Manschreck, 1986). Bei manierierten Katatonen erstarrt die Psychomotorik. Insbesondere der feinere mimische Ausdruck ist ergriffen. Das Mienenspiel wird maskenhaft-steif, die Gestik verarmt. Oft bleibt nur ein wie eingefroren wirkendes Lächeln. Die Sprache wird zunehmend monoton. Die feinere Modulierung der Bewegungen geht verloren, der Oberkörper wird steif durchgedrückt, die Mitbewegungen wirken hölzern. Solange Unterlassungsmanieren nicht dominieren, bleiben die Reaktivbewegungen gut erhalten. Das Tempo der Bewegungen ist bei den meisten Patienten gleichbleibend langsam, kann aber in seltenen Fällen auch hastig-steif sein. Eine deutliche affektive Abstumpfung fehlt oder tritt erst in späten Krankheitsstadien auf. Das Krankheitsbild der manierierten Katatonie ist selten. In unserem Kollektiv von 139 Patienten mit chronisch katatonen Schizophrenien litten 6,5 % an einer manierierten Katatonie. Männer erkrankten deutlich häufiger als Frauen, die Ersthospitalisierung erfolgte relativ früh mit im Median 23 Jahren. Beide Befunde korrelieren gut mit Leonhards Angaben (Leonhard, 1995). Die charakteristische Symptomatik ließ bei unseren Patienten bereits in frühen Krankheitsstadien (2. - 5. Krankheits- Fortschr. Neurol. Psychiat. 64 (1996) 257 jahr) die sichere Diagnose einer manierierten Katatonie zu. Nach der lCD-JO (1991) waren die diagnostischen Kriterien für katatone Schizophrenien (F 20.20) gegeben. Stimmungsanomalien gehören ebensowenig zum Krankheitsbild wie Phoneme oder Coenästhesien. Auch paralogische Denkstörungen finden sich nicht. Syndrome eines (neuroleptisch-induzierten) Extrapyramidalsyndroms (Tremor, Rigor, Akathisie oder vegetative Begleiterscheinungen) fehlten ebenso wie der primäre Ausfall von Bewegungsautomatismen bei Parkinsonkranken. Die spezifisch veränderte Psychomotorik bei der manierierten Katatonie führte Leonhard (1935) auf eine Erkrankung funktioneller psychischer Systeme zurück, die dem Extrapyramidalsystem übergeordnet sind, aber nicht an umschriebene Hirnareale gebunden seien. Er nahm an, daß bei der manierierten Katatonie diejenige Willenskraft ausfallt. die - spürbar an einer inneren Spannung - ein Thema gedanklich zum Abschluß bringt (Leonhard, 1970, 1993). Durch diesen Ausfall der ..Willenskraft der Abschaltung" gelingt es den Patienten nur mehr schwer, Entschlüsse zu fassen oder willentliche Handlungen zu unterbrechen. Andererseits werden einmal eingeschliffene Bewegungs- und Unterlassungsmanieren - wie automatisiert - bei bestimmten Situationen ausgeführt. Systematische Katatonien sind sporadisch auftretende Erkrankungen und weisen nur selten eine familiäre Häufung auf (Leonhard, 1995). Bei unseren Patienten mit manierierter Katatonie waren weder bei Eltern noch bei Geschwistern weitere endogene Psychosen aufgetreten, In unserer Familienuntersuchung hatten bei den systematischen Katatonien Verwandte ersten Grades (Eltern und Geschwister) nur ein aIterskorrigiertes Risiko von 4,6 % an einer Schizophrenie zu erkranken, im Gegensatz zu einem Risiko von 26,9 % bei Verwandten von periodischen Katatonen (Stöber et oll., 1995). Bei unserer kleinen Stichprobe aus sieben Patienten mit CT / MR-Untersuchungen waren in 71 % eine Kombination von Atrophie der Fissura Sylvii und supratentorieller Atrophie aufgetreten. Dies steht in Einklang mit Befunden aus einer größeren Untersuchungsreihe (Becker et oll., 1995). Dort war dieses Läsionsmuster in 44 % systematischer Schizophrenien zu beobachten. Kortikale Atrophien wurden bei chronisch Schizophrenen vor allem bei denjenigen mit schlechter prämorbider sozialer Anpassung gefunden (Weinberger et al., 1980) und waren eng assoziiert mit neuropsychologischen Defiziten (Shelton u. Weinberger, 1986). Neben den supratentoriellen Veränderungen waren bei 57 % unserer Probanden auch zerebelläre Struktutveränderungen vorhanden. Interessanterweise wurden diese Atrophien in CT-Studien bisher überwiegend gefunden bei männlichen Schizophrenen (Rossi et al.. 1993), bei Schizophrenen mit perinataler Hirnschädigung (Nasrallah et al., 1991) und bei katatonen Schizophrenen Uoseph et al., 1985; Wi\cox et al., 1991). Da neozerebellären Strukturen neben ihrer Bedeutung als wichtigem Koordinationssystem offensichtlich auch wichtige Funktionen in der Integration kognitiver und sprachlicher Prozesse zukommen (Supprian, 1994), könnte dies ein Hinweis sein, daß bei manierierter Katatonie eine primäre oder sekundäre Mitbeteiligung zerebellärer Systeme vorliegt. 84 %der Patienten hatten pränatale und / oder perinatale Komplikationen durchgemacht, eine der Mütter hatte darüber hin- Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Die manierierte Katatonie 258 Fortschr. Neurol. Psychiat. 64 (1996) Neben den Störungen der Prä- und Perinatalzeit finden sich bei manierierten Katatonen psychosoziale Faktoren, die die Vulnerabilitätsschwelle zu erkranken weiter erniedrigen könnten. In den Familienkonstellationen fand sich ein Fehlen elterlicher Bezugspersonen in der Kindheit und verminderte Geschwisterschaften. Sowohl bei Depressiven als auch bei Schizophrenen wird der Verlust eines Elternteils durch Tod oder Scheidung der Eltern als prädisponierender Faktor seit langem diskutiert (pfohl et al., 1983; Gmur u. Tschopp, 1987; Ohlund u. Hultman, 1992; Finkelstein, 1988). Vor allem die frühe Abwesenheit eines Elternteils scheint assoziiert mit chronischen Verläufen und Langzeithospitalisierungen (Stastny et al., 1984). Manierierte Katatone unserer Untersuchung waren oft Einzelkinder oder hatten nur eine geringe Geschwisterzahl Leonhard (1976, 1995) hatte darauf hingewiesen, daß systematische Katatone unter den Schizophrenen die geringste Geschwisterzahl, die meisten Einzelkinder und einen Mangel an jüngeren, gegengeschlechtlichen Geschwistern aufweisen. Da sich bei Katatonie die Störung im Bereich des Wollens und Handeins abspielt, könnte das Fehlen von Geschwistern bei prädisponierten Individuen zu einer mangelhaften Entwicklung der Willensaktivität führen und so eine Erkrankung der Willenssphäre begünstigen. Darüber hinaus hatten unsere Patienten im Durchschnitt eine deutlich schlechtere prämorbide soziale Anpassung als Patienten aus anderen Untersuchungen (Cannon-Spoor et al., 1982; Foerster et al., 1991; McCreadie et al., 1994). Auch dort waren schlechte prämorbide Anpassung assoziiert mit CT-Abnormitäten (Weinberger et al., 1980) und betrafen häufiger Patienten männlichen Geschlechtes oder diejenigen mit früher Ersthospitalisierung (Foerster et al.. 1991; McCreadie et al., 1994). Daß sich schizoide Charakterzüge bei präpsychotischen Persönlichkeiten häufen, ist ein seit langem bekannter Befund (Bleuler, 1972; Kretschmer, 1977; Pössl u. v. Zerssen, 1990). Soweit durch eine retrospektive Befragung der Mütter der Patienten erfaßbar, waren unsere Patienten bereits prämorbid durch ihre Kontaktarmut und ihre übergenaue Wesensart auffällig. Nach Leonhards Befunden (1970) zeichnen sich manierierte Katatone häufig bereits vor Erkrankungsausbruch durch ihre Übergenauigkeit aus. V. Trostorff (1970) wies darauf hin, daß bei systematisch Schizophrenen über 60 % der Probanden bereits prämorbid eine deutliche Kontaktarmut aufweisen. Ob die schlechte prämorbide soziale Anpassung und die Persönlichkeitsauffälligkeiten bereits Ausdruck der Erkrankung im Sinne einer pränatalen Entwicklungsstörung des ZNS sind oder ob sie eigenständige Vulnerabilitätsfaktoren darstellen, bleibt zu klären. Von einer psychodynamisch erklärbaren Krankheitsentwicklung kann jedenfalls nicht gesprochen werden. Konnte der Krankheitsverlauf über jahrzehnte verfolgt werden, läßt sich eindrucksvoll zeigen, daß eine kontinuierliche und auch hochdosierte Psychopharmakotherapie das charakteristische katatone Defektsyndrom nicht zu ändern vermag (Ban, 1990; Franzek u. Beckmann, 1991; Beckmann et al., 1992; Stöber et al., 1993 a). Wesentlich erscheint aber, daß diejenigen Patienten, die erst vor wenigen jahren erkrankten, von einer Psychopharmakotherapie nicht wesentlich profitierten. Die Erkrankungen verliefen weiter chronisch progredient. Das zentrale Syndrom aus Bewegungs- und Unterlassungsmanieren, Denkverarmung und Erstarrung der Psychomotorik blieb unverändert. Daraus ist zu folgern: Eine höherdosierte neuroleptische Langzeitbehandlung ist bei Patienten mit manierierten Katatonien nicht effizient und nicht gerechtfertigt. Eine Medikation sollte sich auf die Behandlung von akuten psychomotorischen Spannungszuständen beschränken (Astrup, 1980; Beckmann et al., 1992). Hohe Neuroleptikadosen, die häufig in der Behandlung von therapieresistenten Schizophrenien propagiert werden (Zito et al., 1987; Collins et al., 1993), sind hier durch die zusätzliche affektive Dämpfung, die Minderung der Kognition und die extrapyramidale Bewegungseinschränkung schädigend. Antidepressiva sind nicht wirksam. An erster Stelle der therapeutischen Maßnahmen steht vielmehr die rehabilitative Soziotherapie, in der durch behutsames und ständiges Beüben Bewegungs- und Unterlassungsmanieren zurückgedrängt werden können und so ein geordneter, sinnvoller Tagesablauf erreicht werden kann. Denn von der psychomotorischen Erstarrung sind diejenigen Bewegungs- und Handlungsabläufe am wenigsten betroffen, die nach häufigem Wiederholen automatisch und ohne neue Willensentscheidung ablaufen (Leonhard, 1970; Finger, 1986). Zusammengefaßt ist das Krankheitsbild der manierierten Katatonie mit seinem zentralen Syndrom aus Bewegungs- und Unterlassungsmanieren sowie einer nicht extrapyramidal bedingten Steifigkeit der Psychomotorik auch heute nachweisbar. Die manierierte Katatonie betrifft überwiegend Männer und zeigt einen frühen Krankheitsbeginn. Eine familiäre Häufung der Erkrankung findet sich nur sehr selten. Als Hinweise für eine pränatale Entwicklungsstörung des ZNS finden sich schwere Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen sowie neuroradiologisch faßbare supratentorielle und zerebelläre Strukturveränderungen. Die Kenntnis des charakteristischen Syndroms ermöglicht bereits in frühen Erkrankungsstadien eine diagnostische Zuordnung. Dies erscheint wesentlich, da die Entwicklung der charakteristischen Symptomatik durch eine Psychopharmakotherapie nicht verhindert werden kann. Im Vordergrund der Therapie steht von Beginn an die intensive rehabilitative Soziotherapie. Danksagung Herrn Prof. Dr. Nadjmi (ehern. Leiter der Abteilung für Neuroradiologie der Universität Würzburg) sei herzlich gedankt für die freundliche Überlassung der neuroradiologischen Aufnahmen. Herrn Priv.-Doz. Dr. E. Hofmann (Abteilung für Neuroradiologie) und Herrn Priv.-Doz. Dr. T. Becker (Psychiatrische Klinik mit Poliklinik) sei herzlich gedankt für die Befundung der CT I MR-Aufnahmen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. aus eine Schwangerschaftsinfektion im mittleren Schwangerschaftsdrittel erlitten. Bereits in früheren Untersuchungen konnten wir zeigen, daß verglichen mit gesunden Kontrollpersonen und mit unsystematischen, familiär auftretenden Schizophrenien bei den systematischen Schizophrenen eine Häufung von Infektionserkrankungen im 11. Trimenon der Schwangerschaft aufgetreten war. Darüber hinaus hatten systematisch Schizophrene signifikant gehäuft weitere Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen erlitten (Stöber et al., 1992, 1993 b, 1994). Bei den Patienten mit manierierter Katatonie scheinen diese schweren Störungen der Prä- und Perinatalzeit möglicherweise mit zu den neuroradiologischen Auffälligkeiten beizutragen (Lewis, 1989; Owen et al., 1988) und könnten auch mitursächlich sein für die zytoarchitektonischen Entwicklungsstörungen, die in post-mortem-Studien bei Schizophrenen gefunden wurden (Mednick et al., 1988; jakob u. Beckmann, 1986; Beckmann u. jakob, 1994). G. Stöber, G. jungkunz, E. Franzek, H. Beckmann Literatur Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie (Hrsg.): AMDP-System. Manual zur Dokumentation psychiatrischer Befunde. Springer, Berlin, Heidelberg, New York 1981 2 Astrup, c.: The chronic schizophrenias. Universitaetsforlaget. Oslo 1980 3 Ban, T. 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Stöber Psychiatrische Klinik mit Poliklinik der Universität Würzburg Füchsleinstr. 15 D-97080 Würzburg BUCHBESPRECHUNC ) Koerkel, j., G. Lauer, R Scheller (Hrsg.): Sucht und Rückfall. Brennpunkte deutscher Rückfallforschung. 1995. 206 S., 16 Abb., 47 Tab. (Enke, Stuttgart.) Kart. DM 68,-. ISBN 3-432-26551-4 Das Buch ist ein Sammelband, bestehend aus Einzelbeiträgen, die vor allem durch psychologische Forschungsgruppen erarbeitet wurden. Die Rückfalliteratur ist - zumindest in Deutschland - in der Tat nicht gerade ergiebig zu nennen. Allerdings hat sich die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie bei mindestens zwei ihrer Tagungen (1984 und 1988) mit diesem Thema befaßt und die Beiträge auch in zwei Sammelbänden 1987 und 1989 publiziert. Aus diesen Bänden wird freilich hier nur gelegentlich einmal zitiert. Das ist deshalb bedauerlich, wei~ so der Eindruck entsteht, es habe sich kaum einmal jemand um diese Thematik gekümmert und weil gerade auf diesem Gebiet das Ineinandergreifen von psychologischer und medizinischer Forschung die größten Erfolge verspricht. Diese Einwände schmälern aber nicht den Wert des vorliegenden Sammelbands. Seine Einzelbeiträge sind überwiegend methodisch überzeugend angelegt, befassen sich mit relevanten Fragestellungen und lassen die Praxis nicht außer acht. Freilich muß man sich auch mit Ergebnissen zufriedengeben, die bei einer schriftlichen Befragung zum Rückfall auf einer Rücklaufquote von 48 bzw. 34 % beruhen und damit zwar im Bereich üblicher Rücklaufziffern liegen, aber doch die Sicherheit der Aussage - auch bei Zugrundelegung der Katamneseregeln der DG-Sucht - gehörig relativieren. So kommt man - einmal mehr - zur Drittel- bzw. Viertelregel, die wir schon lange kennen: ein Drittel Erfolg bei 5-jahres-Katamnese, ein Viertel Erfolg bei lO-jahres-Katamnesen. Eine einzige Arbeit befaßt sich mit Drogenabhängigen, während sonst nur Alkoholkranke untersucht werden. Es zeigt sich, daß Drogen- und Alkoholrückfall während stationärer Therapie bei Drogenabhängigen nicht selten sind: bei solchen Patienten, die die Therapie regulär abschlossen, gab es in 13 % Rückfalle mit Alkohol, in 12 %mit Schmerzmitteln, in 8 %mit Heroin und in 6 %mit Cannabis. Von den vorzeitig aus der Therapie Entlassenen hatte ein Viertel einen Rückfall erlitten, davon zur Hälfte mit Alkohol. In einer Übersichtsarbeit analysieren die Autoren das Rückfallgeschehen bei Tabakrauchern. Den Erfolgen von Raucherentwöhnungsmaßnahmen steht eine gleichhohe Rückfallrate innerhalb von 6 Monaten gegenüber. Biologische und kognitiv-verhaltensorientierte Modelle bilden Ausgangspunkte der Diskussion. Motivation und Erwartung sind Schlüsselwörter in diesem Zusammenhang, Der vorliegende Sammelband enthält eine Fülle von durchaus auch praxisrelevanten Untersuchungsergebnissen. Er gibt Anregungen für weitere Untersuchungen auf dem Gebiet des Rückfalls bei Suchtkranken. Wer mit Suchtkranken befaßt ist, sollte das Buch zur Verfügung haben, Er kann daraus viele Hinweise für die eigene Arbeit in der Praxis entnehmen. K.-L. Täschner, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Shelton, R. C, D. R. Weinberger: X-ray computerized tomography studies in schizophrenia: a review and synthesis. In: Nasrallah, H. A., D. R. Weinberger (Hrsg.): Handbook of Schizophrenia. Vol. 1. The neurology of schizophrenia. Elsevier, Amsterdam, New York, Oxford (1986) 207 -250 47 Stastny, P., D. Perlich, L. Zeavin, M. Empfield, M. Mayer: Early parental absence as an indicator of course and outcome in chronic schizophrenia. Am.j. Psychiatry 141 (1984) 294-296 48 Stöber, G., E. Franzek, H. Beckmann: The role of maternal infectious diseases during pregnancy in the etiology of schizophrenia in the offspring. Eur. Psychiatry 7 (1992) 147 -152 49 Stöber, G., H. Beckmann, G. jungkunz, E. Franzek: Die "Proskinetische Katatonie" - Ein kasuistischer Beitrag zur Psychopathologie chronisch schizophrener Psychosen. Krankenhauspsychiatrie 4 (1993a) 70-74 so Stöber, G., E. Franzek, H. Beckmann: Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen - ihr Stellenwert in der Entstehung schizophrener Psychosen. Fortsehr. Neurol. Psychiatr. 61 (1993 b) 329-337 SI Stöber, G., E. Franzek, H. Beckmann: Schwangerschaftsinfektionen bei Müttern von chronisch Schizophrenen. Die Bedeutung einer differenzierten Nosologie. Nervenarzt 65 (1994) 175 -182 S2 Stöber, G., E. Franzek, K. P. Lesch, H. Beckmann: Periodic catatonia: a schizophrenie subtype with major gene effect and anticipation. Eur. Arch. Psychiatry Clin. Neurose. 245 (1995) 135 -141 S3 Supprian, T.: Zerebelläre Strukturveränderungen bei schizophrenen Erkrankungen. Nervenheilkunde 13 (1994) 278-284 S4 Trostorff, S. v.: Extraversion und Intraversion sowie Kontaktfreudigkeit und Kontaktarmut bei normalen und präpsychotischen Persönlichkeiten. VEB Gustav Fischer, jena 1970 ss Weinberger, D. R., E. Cannon-Spoor, S. G. Potkin, Rj. Wyatt: Poor premorbid adjustment and CT Scan abnormalities in chronic schizophrenia. Am. j. Psychiatry 137 (1980) 1410-1413 S6 Wernicke, C: Grundriß der Psychiatrie in klinischen Vorlesungen. Thieme, Leipzig 1900 S7 Wilcox, j. A.: Cerebral atrophy and catatonia. Biol. Psychiatry 29 (1991) 730- 734 SB World Health Organisation: International c1assification of diseases. ICD-lO. Kapitel V (f). In: Dilling, H., W. Mombour, M. H. Schmidt (Hrsg.): Huber, Bern, Göttingen, Toronto 1991 S9 Zerssen. D. v., H. Pfister, D.-M. Koeller: The Munich Personality Test (MPT) - A short questionnaire for self-rating and relatives' rating of personality traits: Formal properties and c1inical potential. Europ. Arch. Psychiatr. neurol. Sei. 238 (1988) 73 -93 60 Zito, j. M., T. j. Craig. j. Wanderling, C Siegel: Pharmaco-epidemiology in 136 hospitalized schizophrenic patients. Am. j. Psychiatry 144 (1987) 778 - 782 46