Konservative Schmerztherapie bei lumbalen Bandscheibenvorfällen

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Diplomarbeit
Konservative Schmerztherapie bei lumbalen
Bandscheibenvorfällen
eingereicht von
Johannes Scharinger
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor der gesamten Heilkunde
(Dr. med. univ.)
an der
Medizinischen Universität Graz
ausgeführt am
Institut für experimentelle und klinische Pharmakologie
unter der Anleitung von
Univ. Prof. i. R. Mag. pharm. Dr. Eckhard Beubler
Graz, 16.06.2015
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den
benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich
gemacht habe.
Graz, am 16.06.2015
Johannes Scharinger eh
i
Danksagung
An erster Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei meinem Betreuer, Herrn Univ. Prof. i.
R. Mag. Pharm. Dr. Eckhard Beubler bedanken, der jederzeit für anfallende Fragen
erreichbar war und somit eine verzögerungslose Vervollständigung meiner Arbeit möglich
machte.
Ich möchte mich bei Dipl. Ing. Dr. Jasmin Hauzenberger BSC ganz herzlich für die
Beratung zur praktischen Durchführung einer wissenschaftlichen Arbeit bedanken.
Ebenfalls geht ein großes Dankeschön an meine Eltern, die mich über meine ganze
Studiendauer in jeglichen Belangen unterstützt haben.
ii
Zusammenfassung
Die häufigste Ursache für eine radikuläre Schmerzausstrahlung stellt der
Bandscheibenvorfall dar. Es wird geschätzt, dass 5% der Männer und 2,5% aller Frauen
mindestens einmal in ihrem Leben davon betroffen sind.
Dieser Review beschäftigt sich mit dem Thema des lumbalen Bandscheibenvorfalles und
wickelt auf, warum der Bandscheibenvorfall in Zeiten des MRTs so häufig
fehldiagnostiziert wird und wie die richtige Vorgehensweise bei der Diagnose der
Diskushernie aussieht.
Darüber hinaus wird erörtert, warum der Bandscheibenvorfall vorwiegend eine Erkrankung
des mittleren Alters ist, obwohl nachgewiesen wurde, dass degenerative
Bandscheibenveränderungen mit dem Alter zunehmen.
Abschließend wird die klinisch relevante Kernfrage der Therapie besprochen. Aufbauend
auf einer Literaturrecherche wurden wissenschaftlich fundierte Informationen
herangezogen und dargelegt. Sowohl die nichtmedikamentöse als auch die medikamentöse
Schmerztherapie spielen bei der Heilung des lumbalen Bandscheibenvorfalles eine Rolle.
Dem Patienten sollte im Idealfall eine individuell abgestimmte, multimodale Therapie
angeboten werden, welche durch ein interdisziplinäres Vorgehen zu einer sozialen und
beruflichen Reintegration führt.
iii
Abstract
The most common cause of radiculopathy is a herniated disc. An estimated 5% of men and
2.5% of women suffer from this condition at least once in their lives.
This review focuses on the topic of the lumbar herniated disc and explores the reasons for
common misdiagnosis in times of MRI application, as well as on the correct approach to
diagnosis of spinal disc herniation. Furthermore, it is discussed why the spinal disc
herniation is predominantly a disease of the middle-aged, even though degenerative
changes in the lumbar disc have been shown to increase with age.
Ultimately, the optimal therapy is discussed as the clinically relevant key question of this
review. A thorough literature research was carried out and scientifically sound facts
collected. Non-medicinal as well as medicinal forms of pain therapy play a role in curing
spinal disc herniation. Ideally, a patient should be offered an individual, multimodal
therapy which, through an interdisciplinary approach, will help with social and
professional reintegration.
iv
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
ii
Zusammenfassung
iii
Abstract
iv
Inhaltsverzeichnis
v
Glossar und Abkürzungen
vii
Abbildungen und Tabellen
viii
Tabellenverzeichnis
1
Einleitung
9
1.1
Geschichte anatomischer Erkenntnisse der Wirbelsäule
1.2
Geschichte - Rückenschmerzen
10
1.3
Geschichte – Bandscheibenvorfall
10
1.4
Anatomie
12
9
1.4.1
Anatomie Wirbelsäule
12
1.4.2
Die Grundform eines Wirbels
13
1.4.3
Vertebrale Bandstrukturen
14
1.5
Anatomie und Biomechanik der Bandscheibe
15
1.6
Degenerative Erkrankungen der Bandscheiben – Ätiologie
17
1.7
Degenerative Erkrankungen der Bandscheibe – Pathologie
18
1.7.1
Pathologische Klassifikation
19
1.7.2
Beziehung Bandscheibe – Nerv
20
1.8
Klinisches Bild
21
1.8.1
Das Kaudasyndrom
22
1.8.2
Die Klinik der Bandscheibe selbst
22
1.9
2
Fehler! Textmarke nicht definiert.
Diagnostik
22
1.9.1
Anamnese
22
1.9.2
Neurologische Untersuchung
23
1.9.3
Radiologische Diagnostik
26
1.9.4
Differentialdiagnosen
27
Der Schmerz beim Bandscheibenvorfall
2.1
Schmerz allgemein
2.1.1
2.2
Erfassung der Schmerzintensität
Der Rückenschmerz
28
28
29
30
v
3
2.3
Die Schmerzentstehung beim Bandscheibenvorfall
32
2.4
Schmerzstärke vs. Neurologie
32
2.5
Schmerzklassifizierung bei der diskogenen Nervenwurzelkompression
33
Schmerztherapie
3.1
Therapie: Evidenz basierte Medizin
3.1.1
3.2
Evidenzklassen
Konservative Schmerztherapie bei Bandscheibenvorfällen
34
34
35
36
3.2.1
Bewegungstherapie
37
3.2.2
Physiotherapie
38
3.2.3
Lokale Infiltrationstherapie
39
3.2.4
Psychologische Schmerztherapie
41
3.2.5
Die intradiskale elektrothermale Therapie (IDET/IDEA), eine interventionelle
Therapiemethode
3.3
Medikamentöse Schmerztherapie bei Bandscheibenvorfällen
42
43
3.3.1
WHO Stufenplan
43
3.3.2
Nichtopioide Analgetika
44
3.3.3
Opioide
49
3.3.4
Co- Analgetika
52
3.3.5
Glucocorticoide
53
3.3.6
Zentral wirkende Muskelrelaxanzien
54
3.4
Chirurgische Therapie
55
4
Leitlinienalgorithmus
57
5
Diskussion und Schlussfolgerung
58
6
Literaturverzeichnis
60
vi
Glossar und Abkürzungen
ASR
Achillessehnenreflex
ASS
Acetylsalicylsäure
BSG
Blutsenkgeschwindigkeit
BSV
Bandscheibenvorfall
COX
Cyclooxygenase
CRP
C- reaktives Protein
CT
Computertomographie
EBM
Evidenzbasierte Medizin
ICF
International Classification of Functioning, Disability and
Healt.
IDET/IDEA
Intradiskale elektrothermale Therapie/ Intradiscal
Electrothermal Annuloplasty
ISG
Iliosakralgelenk
L1/L2/.../L5/S1
L1= erster Lendenwirbel usw./ S1= erster Sakralwirbel
LWS
Lendenwirbelsäule
M./Mm.
Musculus/ Musculi
MR/MRI
Magnetic Resonance Imaging
N./Nn.
Nervus/ Nervi
NA
Noradrenalin
NSAR/NSAID
Nichtsteroidale Antirheumatika/ non steroidal antiinflammatory drugs
PGE2
Prostaglandin E2
PSR
Patellarsehnenreflex
St.p.
Status post
t- NSAR
traditionelle Nichtsteroidale Antirheumatika
T2- gewichtet
T2 ist eine Kontrastdarstellung von MR- Bildern
TPR
Tibilalis posterior Reflex
VAS
visuelle Analogskala
WHO
World Health Oragnisation
ZNS
Zentralnervensystem
5- HT
Serotonin
vii
Abbildungen, Tabellen und Graphiken
1: Skizzen von Leonardo da Vinci. ................................................................................................................................................ 9
2: Die Wirbelsäule in der Sagittalebene betrachtet. .......................................................................................................... 13
3: Aufbau eines Wirbels. ................................................................................................................................................................ 14
4: Der Wirbel mit Bandstrukturen. ........................................................................................................................................... 15
5: Die Lamellen der Bandscheibe ............................................................................................................................................... 15
6: Die physiologische Druckverteilung des Nucleus pulposus bei Extension und Flexion. .................................. 16
7: Sprengkraft vs. degenerative Veränderungen ................................................................................................................. 19
8: Einteilung nach Krämer. Protrusion, Prolaps, Sequester. Dislokationsgrade 1- 5. ........................................... 20
9: Nervenwurzelbedrängungen.................................................................................................................................................. 21
10: Typisches klinisches Bild zu den jeweiligen Nervenläsionen. .................................................................................. 25
11: CT- Bild. ........................................................................................................................................................................................ 27
12: Schmerzskalen. .......................................................................................................................................................................... 30
13: Schmerzgrade bei diskogener Wurzelkompression. Quelle: (R. Krämer et al., 2005) ................................... 34
14: Evidenzklassen. ......................................................................................................................................................................... 35
15: CT- gezielte epidurale Infiltration im Segment L5/S1. .............................................................................................. 41
16: Stufenschema zur Schmerztherapie beim Bandscheibenvorfall mit radikulärer Symptomatik in
Anlehnung an die WHO. ................................................................................................................................................................ 44
17: Leitlinienalgorithmus. Therapie Bandscheibenvorfall mit radikulärer Symptomatik. ................................ 57
viii
1 Einleitung
1.1 Geschichte anatomischer Erkenntnisse der Wirbelsäule
Der Ursprung der ersten anatomischen Erkenntnisse geht bis in die Antike zurück:
Herophilus von Chalcedon (zirka 300 B.C.), als Vater der Anatomie bekannt, und später
Galen von Pergamon (130- 200 A.D.) machten die ersten Beobachtungen des
Nervensystems und der Wirbelsäule. Galen identifizierte die Zahl der Wirbelkörper in
jedem Segment der Wirbelsäule und beschrieb das Ligamentum Flavum und die beiden
Hirnhäute Dura- und Pia mater.
Während des Mittelalters wurde kein Fortschritt in wissenschaftlichen Erkenntnissen über
die spinale Anatomie gemacht.
In der Renaissance lieferte Leonardo da Vinci(1453- 1519) wahrscheinlich die ersten
genauen Beschreibungen der Wirbelsäule mit der korrekten Anordnung der Gelenke und
genauen Anzahl an Wirbelkörpern. Leider veröffentlichte er nie seine anatomischen
Zeichnungen und dadurch blieben seine Entdeckungen für Jahrhunderte unbekannt.
1: Skizzen von Leonardo da Vinci.
Sie gelten als die ersten korrekten Beschreibungen
der menschlichen Wirbelsäule. Quelle: (Boos &
Aebi, 2008)
9
Andreas Vesarius (1514- 1564) galt als der erste Beschreiber der spinalen Anatomie im
modernen Sinne. Mit der Veröffentlichung seines Buches De Humani Corporis Fabrica
Libri Septi im Jahre 1543 wurde er zum Gründer der modernen Wirbelsäulenanatomie.
In De Motu Animalium, geschrieben von Giovanni Alfonso Borelli (1608- 1680), einem
Professor der Mathematik und der Vater der Biomechanik, wurde die Bandscheibe zum
ersten Mal als viskoelastische intervertebrale Scheibe beschrieben. 1942 beschrieb der
deutsche Anatome Josias Weitbrecht (1702- 1747) sein monumentales Werk über
menschliche Bandstrukturen Syndesmologia Sive Historia Ligamentorum Corporis
Humani, welches zum ersten Mal eine präzise Beschreibung der spinalen Bänder und
Bandscheiben umfasst. (Boos & Aebi, 2008)
1.2 Geschichte - Rückenschmerzen
Der Rückenschmerz ist bekannt seit es Niederschriften gibt. Der wahrscheinlich erste
Bericht wurden in einem alten Text, dem so genannten Edwin Smith Surgical Papyrus
gefunden, welcher auf das Jahr 1550v.C. zurückgeht.
In den industrialisierten Ländern ist der Rückenschmerz heutzutage der zweithäufigste
Grund für die Inanspruchnahme medizinischer Hilfe. Der Rückenschmerz macht 15% aller
Krankenstände aus und ist der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit bei Personen unter
45 Jahren. Allerdings sind in geschichtlichen Büchern nur wenige Informationen über den
Rückenschmerz zu finden.(Boos & Aebi, 2008)
Waddle (1987) kommentierte: „At first glance, backache appears to be a problem only
since World War II. At second glance, we realize that not back pain but back related
disability became a medical problem at the end oft the last century“.
1.3 Geschichte – Bandscheibenvorfall
Nach einem kurzen Bericht über vorgewölbte Bandscheiben von dem großen Pathologen
Virchow 1858, publizierte der deutsche Pathologe Hubert von Luschka (1820- 1875) eine
detaillierte und präzise Beschreibung einer dislokierten Bandscheibe in seiner
Monographie The Half Joints of the Human Body.
Er vermutete, dass diese Vorwölbungen von knorpeligen Auswüchsen des Nuceus
pulposus ausgingen und nannte diese Vorwölbungen Anomalies of Intervertebral Discs.
Luschka lieferte Beschreibungen von subligamentären und intraligamentären
Auswölbungen von knorpeliger- gallertiger Masse, mit einem fortlaufenden
10
transligamentären Ausbruch. Dennoch blieb der wirkliche Ursprung dieser Protrusionen
und der klinische Zusammenhang zum Ischiassyndrom noch für weitere 70 Jahre
ungeklärt. Luschkas wissenschaftliche Publikationen und anatomische Fachbücher wurden
zum Goldstandard dieser Zeit wegen deren klarer Darstellungen und deren exzellenten
Zeichnungen.
Christian George Smorl(1862- 1932), Leiter des pathologischen Instituts in Dresten
studierte mehr als 5000 Wirbelsäulenpräperate. 1928 publizierte er zwei Fälle von
halbkugeligen Vorwölbungen in den Wirbelkanal, welche er als accessorische Nuclei
pulposi interpretierte.
Erst 1929 gelang es Rudolf Andrae, dem Schüler von Schmorl, eine Arbeit mit dem heute
geltenden anatomischen Wissen zu veröffentlichen. In seiner Arbeit „On Cartilage Node in
the Posterior End of Intervertebral Disc Near by the Spinal Canal“ untermauerte er
Schmorl’s Beobachtungen in dem er 56 ähnliche Fälle beschrieb. Darüber hinaus nahm er
an, dass diese beobachteten Veränderungen von degenerativen Rupturen des Anulus
fibrosus ausgingen, welche eine Extrusion oder Sequestrierung von Material des Nucleus
pulposus zur Folge haben könnten.
Auch wenn der pathophysiologische Mechanismus damit ans Licht gebracht wurde, blieb
der Zusammenhang zum klinischen Bild noch unentdeckt.
Mit dem Anbruch der neurologischen Diagnostik, vor allem der Kenntnisse über die
Dermatome, wurden operative Maßnahmen in Erwägung gezogen. Am 23.12.1908 führte
der deutsche Chirurg Fedor Krause(1857- 1937), der mit dem deutschen Neurologen
Heinrich O. Oppenheim(1858- 1919) zusammenarbeitete, die erste Operation an einem
Bandscheibenvorfall bei einem Patienten, der über mehrere Jahre an einem Cauda equina
Syndrom litt, durch. Nach der Operation fühlte sich der Patient wesentlich besser und die
neurologischen Probleme verschwanden. Krause und Oppenheim, gingen von der Lehre
Luschka’s aus und nahmen an, dass ein Enchondrom für die ausgeprägte neurologische
Klinik verantwortlich war.
Im Jahre 1911 berichtete der amerikanische Mediziner Joel E. Goldthwait(1866- 1961) von
einem Patienten, der an Schmerzen im Iliosakralgelenk litt. Der Patient unterzog sich einer
Manualtherapie, welche folgend zu einem Cauda equina Syndrom führte. Beruhend auf
diesem akuten Fall hielt er es für möglich dass eine herausgetretene Bandscheibe eine
Erklärung für viele Fälle des Lumbago, des Ischiassyndrom und der Paraplegie sein
könnte.
Während derselben Zeit berichteten die beiden Ärzte George S. Middleton (1853- 1928)
11
und John H. Teacher (1869- 1930) von einem Fall eines Arbeiters, der während des
Anhebens eines schweren Gegenstandes eine Verletzung erlitt, die ihn ganz plötzlich
arbeitsunfähig machte.(Luque, 1982) Der Patient litt an einem Ischiassyndrom und an einer
Paraplegie. Die Autoren gingen davon aus, dass eine akute Bandscheibenruptur die
schweren klinischen Konsequenzen als Folge hatte. (Boos & Aebi, 2008)
1.4 Anatomie
1.4.1 Anatomie Wirbelsäule
Die Wirbelsäule bildet das tragende Element des menschlichen Körpers und gilt als das
bezeichnende Merkmal aller Wirbeltiere. Sie wird auch als Columna vertebrale bezeichnet,
was irreführend ist, weil es sich keineswegs um eine starre Einheit, sondern ganz im
Gegenteil um ein sehr bewegliches Gebilde handelt.
Diese Knochengelenkskette setzt sich aus 24 Wirbeln zusammen die über 23 Bandscheiben
(Disci intervertebrales) beweglich miteinander in Verbindung steht. Dabei dienen Bänder
zur Stabilisierung und Muskeln ermöglichen die aktive Bewegung.
Eine weitere Funktion ist das Abdämpfen von Stößen, welche durch die geschwungene
Form der Wirbelsäule gewährleistet werden kann. Ähnlich wie bei einem Federstab
können Unebenheiten abgedämpft werden und so der Kopf vor Stößen bewahrt werden.
Zahlenmäßig setzt sich die Wirbelsäule aus 7 Halswirbeln, 12 Brustwirbeln, 5
Lendenwirbeln, dem Kreuzbein, welches aus 5 verschmolzenen Wirbeln besteht und dem
Steißbein, welches rudimentär als Schwanzwirbelsäule noch vorhanden ist, zusammen.
12
2: Die Wirbelsäule in der Sagittalebene
betrachtet.
Quelle: (Schünke, Schulte, Schumacher, Voll, &
Wesker, 2014)
In der Sagittalebene betrachtet, also von der Seite gesehen, sieht man deutlich dass die
Wirbelsäule eine doppel-S Form aufwirft. Dabei besteht eine Wölbung nach ventral in der
Halswirbelsäule (Lordose), darauf folgt eine Krümmung nach dorsal (Kyphose) in der
Brustwirbelsäule, welche eine geräumige Entfaltung der Lunge gewährleistet und in der
Lendenwirbelsäule sehen wir wieder eine Lordose. Das Kreuz- und Steißbein schließen das
ganze mit einer Kyphose ab. (Anderhuber, Pera, & Streicher, 2013), (Platzer, 2005)
1.4.2 Die Grundform eines Wirbels
An dieser Stelle wird die Grundform eines Wirbels näher beschrieben, was für das weitere
Verständnis der Krankheitsentstehung von Nöten ist.
In der Horizontalebene betrachtet wird der am weitesten ventral liegende Anteil eines
Wirbels als Corpus bezeichnet, da dieser Teil auch massenmäßig dem Rest des Wirbels
überwiegt. Der Corpus ist Zylinderförmig und nach kranial und nach kaudal steht er mit
den Bandscheiben in Verbindung. Gehen wir weiter nach dorsal schließt dem Corpus ein
Bogen an, der Arcus vertebrae, welcher nach innen hin das Foramen vertebrale bildet.
Dieses wiederum bildet in der Gesamtheit aller Wirbel den Wirbelkanal, welcher das
Rückenmark mit seinen Hüllen aufnimmt.
13
Auffallend sind die nach dorsolateral abgehenden Querfortsätze (Processus transversi) und
der nach dorsal anschließende Dornfortsatz, welche als Ansätze von Bändern und Muskeln
dienen.
Nach kranial und kaudal liegen dem Arcus noch die Processus articulares auf, welchen die
Wirbelbogengelenke aufliegen. Diese Gelenke sind, ganz im Vergleich zu den
Bandscheiben echte Gelenke, die mit meniscoiden Falten ausgestattet sind. Klinisch haben
sie eine große Relevanz, da jene Gelenke ein häufiger Grund für Rückenschmerzen sind.
(Anderhuber et al., 2013)
3: Aufbau eines Wirbels.
Quelle: (Schünke et al., 2014)
1.4.3 Vertebrale Bandstrukturen
Die Wirbelsäule wird in ihrer Form durch verschiedene Bandstrukturen gehalten.
Das am weitesten ventral gelegene Band ist das Ligamentum longitudinale anterius,
welches an der ventralen Seite entlang der Wirbelkörper verläuft. Während dieses nur eine
lockere Verbindung mit den Bandscheiben eingeht gewährleistet das Ligamentum
longitudinale posterior, das an der dorsalen Seite der Wirbelkörper verläuft, eine
zusätzliche Stabiliserung der Disci intervertebrales.
Ebenfalls an der Innenseite des Wirbelkanals, aber dorsal, finden wir die Ligamenta flava,
welche die vertebralen Bögen miteinander verbinden.
Die Ligamenta intertransversaria, interspinalia und das Ligamentum supraspinale
verbinden die Quer- bzw. die Dornfortsätze. (Anderhuber et al., 2013)
14
4: Der Wirbel mit Bandstrukturen.
Quelle: (Schünke et al., 2014)
1.5 Anatomie und Biomechanik der Bandscheibe
Die Zwischenwirbelscheiben bestehen außen aus einem Anulus fibrosus, einem
konzentrisch angeordneten Faserring, der 10 bis 15 konzentrisch aufeinanderfolgende
verschraubte Schichten bildet.(Bild: Anatomie Benninghoff, S:428)
5: Die Lamellen der Bandscheibe
Quelle: (Benninghoff & Drenckhahn, 2008)
Die äußeren Lamellen sind mit der Compacta der Deckplatten des Corpus vertebrae
verwachsen, tiefere Schichten gehen kontinuierlich mit dem knorpeligen Belag der
Wirbelkörper über. Diese verschraubten Strukturen gewährleisten eine gute Hemmung von
Torsionsbewegungen und Scherkräften.
Im Inneren der Bandscheibe befindet sich ein Gallertkern, der Nucleus pulposus. Er weist
einen hohen Wassergehalt auf und besteht zum größten Teil aus Glykosaminglykane
(Anderhuber et al., 2013). Seine Funktion ist es Stöße und Schläge, vorwiegend entlang
der Längsrichtung abzudämpfen. Kommt es zu einem Stoß, wirkt der Gallertkern wie ein
nicht komprimierbarer Polster, der die Kräfte auf seine Umgebung gleichmäßig überträgt.
15
Der Druck wird sowohl auf die Deckplatten der darüber- bzw. darunterliegenden
Wirbelkörper, also auch auf den Anulus fibrosus, übertragen.
6: Die physiologische Druckverteilung des Nucleus pulposus bei
Extension und Flexion.
Quelle: (Benninghoff & Drenckhahn, 2008)
Die Bandscheiben versuchen also in ihrer Gesamtheit die Wirbelkörper
auseinanderzuhalten und die Druck- und Scherkräfte gleichmäßig zu verteilen.
Kommt es zu einer Beugung, wird der Zwischenwirbelraum an der konkaven Seite
niedriger, der Druck wird durch den Nucleus pulposus gleichmäßig verteilt und der
Gallertkern verschiebt sich zur konvexen Seite. Das heißt, dass auf der einen Seite der
Faserring zusammengepresst wird und, dass er auf der anderen Seite gedehnt wird.
In der Embryonalzeit und bis zum Ende des ersten Lebensjahres enthalten die
Zwischenwirbelscheiben Blutgefäße, welche eine adäquate Versorgung mit Nährstoffen
darstellen. Später wird der Knorpel hauptsächlich über Diffusion, vor allem durch die
Deckplatten der Wirbelkörper, versorgt. Während der Nacht, also der Ruhephase füllt sich
die Bandscheibe mit Wasser und Nährstoffen, was einen morgendlichen
Größenunterschied von bis zu 3cm zur Folge haben kann. Während des Tages stehen die
Bandscheiben unter Druck und der Wassergehalt des Nucleus pulposus verringert sich.
Folglich haben wir eine Größenminderung im Vergleich zum Morgen. Aus diesem
bradytrophen Soffwechselzyklus erklärt sich die sehr langsame Regeneration der
Bandscheibe nach Schäden und Rupturen. (Benninghoff & Drenckhahn, 2008)
Nach (J. Krämer, 1973) stellt die Zwischenwirbelscheibe eine ganz besondere
Stoffwechselsituation dar. Es sind lange Wegstrecken zurückzulegen, semipermeable
Membranen sind zu überwinden und nicht zuletzt sind die Bandscheiben ständig hohen
16
Drucken ausgesetzt. Diffusion alleine würde keine ausreichende Nährstoffversorgung
gewährleisten können und würde frühzeitig zu degenerativen Veränderungen der
Strukturen führen. Deshalb tragen folgende Kräfte zum Stoffwechsel bei:
 Osmotischer Druck
 Kolloidosmotischer Druck
 Hydrostatischer Druck
Einer der wichtigsten versorgenden Faktoren stellt der wechselnde Belastungsdruck dar,
der durch Beugung, Tragen und Heben gewährleistet wird. (J. Krämer, 1973)
Die Bandscheibe steht mit dem darüber bzw. mit dem darunterliegenden Wirbelkörper in
Verbindung und beteiligt sich als Halbgelenk an den Bewegungen der Wirbelsäule. Die
weiter dorsal liegenden Facettengelenke vervollständigen die Interaktion zwischen den
Wirbeln. (Anderhuber et al., 2013)
1.6 Degenerative Erkrankungen der Bandscheiben – Ätiologie
Im Gegensatz zu 4 Beinern, deren Columna vertebrale sich in der Horizontalen befindet,
ist die Wirbelsäule des Menschen wesentlich unvorteilhafteren Kräften ausgesetzt. Man
kann sagen, dass degenerative Bandscheibenveränderungen eine Folge des aufrechten
Ganges sind.
Yamada (1962), sowie Wassilev & Dimova R. (1970) zeigten, dass Mäuse, denen die
vorderen Extremitäten amputiert wurden, und somit zum aufrechten Gang gezwungen
wurden, discale Degenerationen zur Folge hatten. Die Veränderungen im Nucleus
pulposus, Anuslus fibrosus sowie in der knorpeligen Deckplatte führten die
Wissenschaftler auf die axiale Belastung zurück.
Während beim Menschen im Säuglingsalter noch Gefäße bestehen, die für eine
ausreichenden Stoffwechsel sorgen, ändert sich das Bild schnell, sobald das Kind zu laufen
beginnt. Durch die Orthostase steigt der intradiskale Druck rapide an und das Blut wird
förmlich aus der Bandscheibe herausgedrückt. Die Gefäße kollabieren und bilden sich
zurück. Von diesem Zeitpunkt an verändert sich der Metabolismus der Bandscheibe und
die weitere Versorgung wird durch Diffusion gewährleistet. Die Zwischenwirbelscheiben
stellen somit die größte nicht vaskularisierte Einheit im menschlichen Körper dar.
J. Krämer (1986) beschreibt die Hauptursache der degenerativen
Bandscheibenveränderungen beim Menschen als Folge der ausgeprägten Bradytrophie des
Gewebes, unterstützt durch die unvorteilhaften mechanischen Einflüsse. Töndury (1968)
17
stellte bereits bei 4 jährigen Kindern mikroskopische Degenerationen der Bandscheiben
fest. Nach Idelberger (1959) findet man bereits bei Jugendlichen Diskopathien. Schmorl &
Junghanns (1968) stellten fest, dass jenseits des 30. Lebensjahres fast keine Wirbelsäule
gefunden werden kann, die keine degenerativen Veränderungen aufweist.
Hanraets (1959) gelang es, eine familiäre Häufung nachzuweisen.
1.7 Degenerative Erkrankungen der Bandscheibe – Pathologie
Aufgrund der unvorteilhaften Stoffwechsellage und der physikalischen Druckverhältnisse
verändert sich auch die chemische Zusammensetzung der Bandscheibe. Unter der
unzureichenden Energieversorgung leidet die Qualität des Gewebes. Histologische
Untersuchungen zeigen, dass Fibroblasten Fasern und Grundsubstanz unzulänglicher
Qualität bilden.
In weiterer Folge kann es zu konzentrischen Spalten und zu radiären Fissuren kommen.
Aufgrund der Druckverhältnisse tritt der Nucleus pulposus aus seiner zentralen Position
aus und fließt durch die rupturierten Schichten des Anulus fibrosus hindurch.
Bei diesem Prozess spielt der Quelldruck des Gallertkerns eine wesentliche Rolle.
Bei jungen Patienten und überraschenderweise auch bei Patienten mittleren
Alters(zwischen dem 30. Und 50. Lebensjahr) konnte ein wesentlich höherer Quelldruck
gemessen werden als bei alten Patienten. (J. Krämer, 1973)
Vor allem das Missverhältnis eines rupturierten Anulus fibrosus und einem hohen
Quelldruck von Seiten des Nucleus pulposus führt zu der ungünstigen Situation, welche
leicht zu einem Vorrutschen von Bandscheibengewebe führt. Jenes Missverhältnis erklärt,
warum junge bzw. Patienten mittleren Alters klinisch auffälligere Beschwerden zeigen als
Personen des hohen Alters.
Obwohl Miller, Schmatz, & Schultz (1988) zeigen konnten, dass degenerative
Bandscheibenveränderungen mit dem Alter korrelieren, nehmen Ausmaß und Häufigkeit
der prolaps- und protrusionsbedingten Beschwerden ab, weil die Sprengkraft, und somit
der Ausdehnungsdruck des Nucleus Pulposus nachlässt.
18
7: Sprengkraft vs. degenerative Veränderungen
1) degenerative Veränderungen der Bandscheibe korellieren mit
dem Alter.
2) Die Sprengkraft des Gallertkerns nimmt mit dem Alter rapide
ab.
3) Das Missverhältnis hohe Sprengkraft + degenerativer
Faserring wird im mittleren Alter am häufigsten vorgefunden.
Quelle: (J. Krämer, 1973)
In den meisten Fällen tritt nicht nur der Gallertkern aus, sondern wir finden auch Anteile
des Anulus Fibrosus und der Knorpelplatte, weswegen der Begriff Bandscheibenvorfall
besser passt als Nucleus- pulposus- Prolaps.
Destruiertes Zwischenwirbelgewebe ist durch Risse und Einbrüche charakterisiert. Als
Folge beschreibt Töndury (1958) eine Einsprossung von Gefäßen und die Bildung von
lockerem Narbengewebe, welches von der Spongiosa der Wirbelkörper ausgeht.
Spondylotische Randzacken entstehen im Laufe der Zeit und führen zur nötigen
Stabilisation. Eine damit verbundene Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes wird
beobachtet. (J. Krämer, 1986)
1.7.1 Pathologische Klassifikation
Morphologisch unterscheiden wir die Protrusion vom Prolaps. Bei der Protrusion sind
einige der inneren Schichten des Anulus Fibrosus rupturiert, jedoch es sind zumindest die
äußeren Lamellen noch intakt. Der Gallertkern geht den Weg des geringsten Widerstandes
und drängt das Gewebe in die eingerissene Richtung aus seiner ursprünglichen Position
heraus. Es kommt zu einer Vorwölbung der Bandscheibe, jedoch mit einem mehr oder
weniger gut erhaltenen Anulus Fibrosus. (R. Krämer, Herdmann, & Krämer, 2005)
Im Gegensatz dazu sind bei einem Bandscheibenvorfall (Prolaps) sämtliche Schichten des
Faserringes eingerissen und der Nucleus pulposus tritt aus seinem ursprünglichen Beet
heraus.(Steiger & Reulen, 2006), (Moskopp & Wassmann, 2005)
Des weitern können Bandscheibendegenerationen in 5 Dislokationsgrade eingeteilt
werden. Wobei Grad 1-2 einer Protrusion entsprechen. Appliziert man in diesem Fall
Kontrastmittel in den Gallertkern, bleibt es vom Faserring umschlossen und fließt nicht in
den Epiduralraum ab. Im angloamerikanischen Sprachraum wird an dieser Stelle der
19
Begriff „Contained Disc“ bzw. „Bulging Disc“ verwendet.
Beim Dislokationsgrad 3 ist der Faserring durchbrochen, es handelt sich um einen Prolaps,
jedoch ist das ausgetretene Gewebe in diesem Fall noch von der sog. ventralen epiduralen
Membran bedeckt(Ludwig, 2003). Wird in diesem Fall eine Diskographie durchgeführt,
kommt es zu einem typischen Verteilungsmuster des Kontrastmittels im subligamentären
Raum.
Ist auch das hintere Längsband perforiert spricht man von einem sequestrierten
Bandscheibenvorfall, wobei bei einem Dislokationsgrad 4 noch eine Verbindung zum
restlichen Bandscheibengewegbe besteht. Beim Dislokationsgrad 5 befindet sich
Bandscheibengewebe frei im Epiduralraum und man spricht von einem freien Sequester.
Führt man in diesem Stadium eine Kontrastmittelinjektion in die Bandscheibe durch, kann
man beobachten, wie sich das Kontrastmittel frei im Epiduralraum verteilt. (R. Krämer et
al., 2005)
8: Einteilung nach Krämer. Protrusion, Prolaps, Sequester. Dislokationsgrade
1- 5.
Quelle: (R. Krämer et al., 2005)
1.7.2 Beziehung Bandscheibe – Nerv
Tritt das Bandscheibengewebe aus seinem ursprünglichen Zwischenwirbelbereich hervor
kann es in der Horizontaleben nach lateral, nach paramedial oder nach medial heraustreten.
In der Sagitalebene betrachtet gibt es die Möglichkeiten, dass das Gewebe supradiskal,
diskal oder infradiskal wandert. Je nach Lokalisation des Vorfalles können in
20
verschiedensten Ebenen Nerven bedrängt werden. (R. Krämer et al., 2005)
Aufgrund der Lagebeziehungen der Bandscheiben zu den vorbeiziehenden Nerven wird
beim Prädilektionsort einer Diskushernie meist die auf dem nächstuntern Niveau
austretende Wurzel komprimiert. Das heißt, dass bei einem Bandscheibenvorfall L3/L4
meist die Nervenwurzel L4 komprimiert wird. (Mumenthaler & Mattle, 2008)
9: Nervenwurzelbedrängungen.
1) paramedialer, discaler Prolaps im Segment
L3/L4 mit Bedrängung des L4 Nervs
2) lateraler, supradiscaler Prolaps im
Segment L4/L5 mit Bedrängung der
Nervenwurzel L4.
3) Medialer, discaler Prolaps.
Quelle: (Mumenthaler & Mattle, 2008)
1.8 Klinisches Bild
Der Patient mit einem lumbalen Bandscheibenvorfall präsentiert sich in der Vorgeschichte
praktisch immer mit früheren Hexenschüssen, eventuell auch mit schon früheren „IschiasBeschwerden“. Ursprungsort der Symptome ist meist der Rücken, von welchem auch
häufig eine Blockierung der Bewegungen ausgeht.
Als Auslösung berichten die Patienten oft von einem Hebemanöver oder einer
Anstrengung in gebückter oder rotierter Haltung.
Zeitlich nach dem lokalen Schmerz folgt eine radikuläre Schmerzausstrahlung ins Bein
oder in den Fuß, welche konstant lokalisiert werden kann. Typisch ist dabei ein positiver
Husten- und Pressschmerz.
Zusätzlich kommen Sensibilitätsstörungen zustande, welche oft mit einem Kribbeln oder
einem tauben Gefühl beschrieben werden. Als Diagnostiker kann man sich die
Schmerzlokalisation für die Höhendiagnostik zu nutze machen.
21
Die motorischen Schwächen werden eher seltener vom Patienten subjektiv
wahrgenommen, da diese oft durch andere Muskelgruppen oder durch veränderte
Bewegungen kompensiert werden können. Fragt man jedoch gezielt nach, ob der Patient
beim Treppensteigen Probleme hätte, wird einem das oft bestätigt. (Mumenthaler &
Mattle, 2008), (Masuhr, Masuhr, & Neumann, 2013)
1.8.1 Das Kaudasyndrom
Das Kaudasyndrom wird durch ein akutes Geschehen ausgelöst, meist durch ein Trauma,
welches zu einer Querschnittserscheinung in der Höhe der Cauda equina führt. Es kann
durch eine Fraktur, häufig aber auch durch ein massives Austreten einer Bandscheibe
ausgelöst werden. Das Kaudasyndrom wird in dieser Diplomarbeit nur randständig
behandelt, da es sonst den Rahmen sprengen würde.
Als klinisches Bild präsentiert sich der Patient mit einer schlaffen Lähmung der unteren
Extremität mit Störungen aller sensiblen Qualitäten, meist unter massiven Schmerzen.
Typisch ist die Reiterhosenanästhesie, mit Miktionsstörungen, Defäkationsstörungen und
Sexualfunktionsstörungen. (Mumenthaler & Mattle, 2008)
Das Kaudasyndrom stellt eine akute Operationsindikation dar, da es sonst zu bleibenden
neurologischen Störungen kommen kann.(Moskopp & Wassmann, 2005)
1.8.2 Die Klinik der Bandscheibe selbst
Ob die Bandscheibe selbst durch Rupturen zu Schmerzen führen kann ist bis heute noch
nicht ganz geklärt. Im Inneren der Bandscheibe selbst konnten keine Rezeptoren die zur
Schmerzentstehung beitragen gefunden werden, am dorsalen Anteil jedoch schon. Direkt
angrenzend an den Diskus Intervertebralis finden wir das hintere Längsband welches als
sehr gut innerviert gilt und welches eine Schmerzentstehung erklären würde. (J. Krämer,
1973)
1.9 Diagnostik
1.9.1 Anamnese
Um eine richtige Diagnose stellen zu können ist die Anamnese eines der wichtigsten
Elemente, dabei sollte auf jeden einzelnen Punkt der im Unterpunkt ‚klinisches Bild’
22
erwähnt wird, eingegangen werden.
Das Einsetzten und der Verlauf des Krankheitsgeschehens, vor allem auf Hinblick auf
Paresen und Schmerzen, spielen eine größere Rolle als bildgebende Verfahren.
Grundsätzlich gilt, dass der Druck, der auf den Nerv ausgeübt wird mit der Stärke des
Schmerzes korreliert, bis schlussendlich das betroffene Gebiet anästhetisch wird.
Schmerzcharakter und Ausstrahlung unterliegen ständig einem unkontrollierbaren,
willkürlichen Wechsel. Anfangs sind die Schmerzen lokal begrenzt, später ziehen sie in
den Glutealbereich, können sich zu einem Ischiasschmerz entwickeln und schließlich
reichen sie bis zum Ende der Extremität. Auf das Dermatom bezogen beginnen die
Symptome oft proximal und strahlen später bis ans Ende des Dermatoms aus.
Eine Schmerzverstärkung bei Bauchpresse und Husten ist typisch, muss aber nicht
vorhanden sein.
Der Schmerzcharakter weist eine sehr große Bandbreite auf, die Intensität jedoch wird
meist als sehr heftig empfunden. Manchmal entwickeln sich in den Dermatomen Areale
auf denen der Schmerz ganz besonders unerträglich empfunden wird, man spricht dann
von so genannten „Schmerzinseln“.
Die gezielte Frage über Miktionsstörungen, Mastdarmstörungen bzw.
Defäkationsstörungen sind Teil einer vollständigen Anamnese. (R. Krämer et al., 2005)
1.9.2 Neurologische Untersuchung
Trifft man bei der neurologischen Untersuchung auf eine Auffälligkeit, setzt man das
Anamnesegespräch fort und versucht sich so sein klinisches Bild zu erweitern. Über die
neurologischen Status hinaus sollte die Untersuchung aus Inspektion und Palpation
bestehen. Differentialdiagnosen werden dabei in Betracht gezogen werden.(R. Krämer et
al., 2005)
Folgende neurologische Vorgehensweise sollte Aufschluss über den betroffenen Nerv
geben:
1. Sensibilität im Seitenvergleich prüfen. Grundlage für die Durchführung dieser
Untersuchung ist die Kenntnis über die Dermatome der unteren Extremität. Für die
grobe Sensibilitätsprüfung können einfache Hilfsmittel wie die Finger oder die
Rückseite des Reflexhammers herangezogen werden. (R. Krämer et al., 2005)
2. Grobe Kraft. Überprüfung der Kraftgrade (nach Janda). Die Flexoren als auch die
Extensoren werden in ihrer Kraft überprüft und mit der Gegenseite verglichen. Vor
23
allem die Kennmuskeln spielen hier eine wesentliche Rolle(Mumenthaler & Mattle,
2008).:
 M. adductor longus, brevis, magnus
L2
 M. Quadriceps Femoris
L3/L4
 M. extensor hallucis longus
L5
 M. triceps surae
S1
Die Fußheber- und Fußsenkerfunktion lässt sich auch sehr gut im Stehen prüfen
indem man den Patienten einmal auf den Zehenspitzen stehen bzw. gehen lässt, und
einmal auf den Fersen. Entsprechend der Kennmuskeln wäre bei einer L5 Läsion
der Fersengang nicht oder nur bedingt möglich.
Liegt eine S1 Schwäche vor, täte sich der Patient beim Zehenspitzengang schwer.
Wobei man betonen muss, dass der M. triceps surae einer polysegmentalen
Innervation unterliegt und deswegen wird die S1 Minderinnervation schnell
kompensiert. Auch eine Atrophie der Wadenmuskulatur kann auf die
Minderinnervation hinweisen(R. Krämer et al., 2005).
3. Überprüfung der Reflexe. Ist ein Reflex abgeschwächt kann dies ein Hinweis auf
eine periphere Nervenschädigung sein. Die wichtigsten Reflexe(Masuhr et al.,
2013):
 Patellarsehnenreflex
L3/L4
 Tibialis posterior Reflex
L5
 Achillessehnenreflex
S1
4. Unabdingliche neurologische Tests sind die Nervendehnungszeichen. Aufgrund der
durch die Nervenbedrängung entstandenen Reizung ist der Nerv sehr sensibel
gegenüber Dehnung. Häufig resultieren daraus Schonhaltungen.
 Das Lasègue Zeichen: Der Patient liegt flach auf dem Rücken und der
Untersucher beugt das Bein in der Hüfte, wobei das Knie nicht abgewinkelt
wird. Durch diese Bewegung wird der N. Ischiadicus gedehnt. Löst dieses
Manöver ab einem Winkel von 45° einen Schmerz in der
Lendenwirbelsäule aus, ist der Test positiv. Bei einem gesunden Patienten
erscheint typischerweise ein Ziehen in der Kniekehle.
Dieser Test gilt als hoch sensitiv und ist bei Läsionen in den Segmenten L4S2 positiv.
24
 Das umgekehrte Lasègue Zeichen oder Femoralisdehnungsschmerz. Bei
diesem Test wird eine Dehnung im N. femoralis provoziert. Der Patient
liegt am Bauch und der Untersucher provoziert noch zusätzlich eine
Extension im Hüftgelenk bei gebeugtem Knie.
Dieser Test ist ebenfalls bei einem stechenden Schmerz an der
Ursprungsstelle positiv und ist ein Hinweis auf eine Läsion in den
Segmenten L3/L4. Physiologisch verspürt der gesunde Patient ein Ziehen
entlang des M. quadriceps femoris. (Masuhr et al., 2013)
10: Typisches klinisches Bild zu den jeweiligen
Nervenläsionen.
Segment, Kennmuskel, Reflex, Dermatom
Quelle: (Masuhr et al., 2013)
25
Entsprechend des betroffenen Nervensegments kann in weiterer Folge eine Bildgebung
angefordert werden, um die Ursache der Nervenbedrängung zu spezifizieren.
Differentialdignostisch können Tumore, Frakturen, Wirbelgleiten und Spinalkanalstenose
ähnliche Symptome auslösen.
1.9.3 Radiologische Diagnostik
Zur radiologischen Erstdiagnose ist das Nativröntgen in 2 Ebenen unentbehrlich. Dabei
werden Fehlstellungen, Anomalien, sowie degenerative Knochenveränderungen
ausgeschlossen. Im Röntgen kann die Bandscheibe selbst nicht dargestellt werden, jedoch
indirekte Zeichen wie Höhenminderung und Fehlhaltung können auf degenerative
Veränderungen hinweisen.
Die bildgebenden Verfahren CT und MRT sind beide für die Beurteilung von
Bandscheibenveränderungen gut geeignet und erlauben eine adäquate Beurteilung von
destruiertem Bandscheibengewebe.
Im CT werden in sagittaler Ebene Schichten von 3mm dargestellt, dabei lässt sich das
Bandscheibengewebe deutlich vom liquorgefülltem Subarachnoidalraum und vom
epiduralem Fettgewebe abgrenzen.
Das MRT hat den großen Vorteil, dass Nerven in der T2-gewichteten Sequenz dargestellt
werden können ohne dass Kontrastmittel appliziert wird. Das heißt, dass das MR sowohl
die Bandscheibe als auch den bedrängten Nerv darstellen kann. Zusätzlich ist der Patient
bei der Magnetresonanz keiner Strahlenbelastung ausgesetzt. (Reiser, Kuhn, & Debus,
2011)
26
11: CT- Bild.
Überweisungsbefund: Patient mit Lumboischialgie li. und ausgeprägter S1- Symptomatik.
Radiologischer Befund: Im Segment L5/S1 ist ein li. medio-lateraler etwas nach caudal reichender
Discusprolaps mit deutlicher Duralsackkompression zu sehen. Die li. Nervenwurzel S1 wird deutlich von
ventral bedrängt.
Ausgetretenes Gewebe mit roten Pfeilen markiert.
Quelle: Klinischer Fall
Bei der Radiologischen Diagnostik muss jedoch betont werden, dass die Bildgebung nur
der morphologischen Ursachensuche dient. Ohne einer entsprechenden neurologischen
Klinik besteht keine Indikation den Patienten auf ausgetretene Bandscheiben zu
untersuchen. Leider wird in Zeiten der modernen Bildgebung viel zu leichtfertig ein
Patient auf einen Bandscheibenvorfall untersucht. Der Grund dafür ist ein mangelndes
Wissen über die Klinik und über die Diagnose des Bandscheibenvorfalls.
Früher, als CT und MR noch nicht existierten, wurde die Diagnose Bandscheibenvorfall
viel seltener gestellt, da man bei der Bildgebung auf die Diskographie angewiesen war, ein
Verfahren, bei dem mittels Kontrastmittel und Röntgen der Austritt des Nucleus pulposus
festgestellt werden konnte. Die Diagnose war sowohl für Patient, als auch für Diagnostiker
viel aufwändiger und man überlegte sich besser, welche Klinik wirklich durch ein
ausgetretenes Bandscheibengewebe ausgelöst werden konnte. (Holland, 2007)
1.9.4 Differentialdiagnosen
Differentialdiagnostisch finden sich zum einen lokale Rückenschmerzsyndrome wie das
Facettensyndrom, welches durch eine Abnutzung im gleichnamigen Gelenk ausgelöst
wird, ebenso kann eine Iliosakralgelenkarthrose zu ähnlichen Symptomen führen. Das
Heimtückische daran ist, dass es bei den erwähnten Diagnosen ebenfalls zu
Ausstrahlungen ins Bein kommen kann, jedoch folgt die Ausstrahlung nicht den
Dermatomen und bei genauer neurologischer Untersuchung passt das klinische Bild nicht
zu einer Nervenwurzelbedrängung. (Wirth & Mutschler, 2009)
Myalgien können im unteren Rücken und im Gesäß ein ähnliches Bild zeigen, jedoch
folgen die Ausstrahlungen in diesem Fall den Myotomen und nicht den Dermatomen.
Sehr schwierig zu differenzieren hingegen ist das Piriformis- Syndrom, bei dem eine
Hypertrophie oder eine Verspannung des M. Piriformis zu einer Nervenkompression im
Glutealbereich führt. Folglich ergibt sich eine neurologische Auffälligkeit und ein sehr
ähnliches Bild wie bei einem Bandscheibenvorfall(Anderhuber et al., 2013). Ist der
Untersucher bei der physikalischen Untersuchung nicht genau genug und es kommt der
27
unglückliche Zufall dazu, dass der Patient in einem dazu passenden Segment eine
Protrusion aufweist, kann es häufig zu der Fehldiagnose Bandscheibenvorfall kommen.
Ebenfalls zu den Differentialdiagnosen zählen natürlich alle nervenbedrängenden
Erkrankungen wie Spinalkanalstenose, Tumore und Wirbelgleiten, welche jedoch durch
eine Bildgebungen sehr gut zu differenzieren sind.
2 Der Schmerz beim Bandscheibenvorfall
2.1 Schmerz allgemein
Der Schmerz wird von der International Association fot the Sudy of Pain (IASP 1979)
folgendermaßen definiert: „Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis,
das mit tatsächlicher oder potentieller Gewebsschädigung einhergeht oder von betroffenen
Personen so beschrieben wird, als wäre eine solche Gewebeschädigung die Ursache.“ Der
Schmerz stellt einen essentiellen Teil unserer Existenz dar, ohne den ein dauerhaftes
Überleben nicht notwendig wäre. Der Schmerz liefert Signale für äußere(z.B.
physikalische/chemische) und innere Reize(z.B. Entzündungen und Infektionen), welche
uns auf potentielle Gewebsschädigungen aufmerksam machen können. (Wasner & Heskap,
2014)
Nach seinem zeitlichen Auftreten kann man den Schmerz in akut, subakut und chronisch
einteilen. Klassisch ist der akute Schmerz auf eine Dauer von bis zu 6 Wochen definiert,
der subakute bewegt sich im Zeitrahmen von 6- 12 Wochen und der chronische Schmerz
dauert 12 Wochen und länger. Für den Rückenschmerz jedoch sind andere zeitliche
Einteilungen geeigneter. Die DEGAM- Leitlinie (2003) teilt den Rückenschmerz zeitlich
folgendermaßen ein:
 Akut: neu aufgetretene Rückenschmerzen. Dauer bis zu 12 Wochen
 Subakut oder mittelfristig: wenn im letzten Halbjahr die Schmerzen weniger als der
Hälfte der Tage aufgetreten sind.
 Chronisch: wenn im letzten Halbjahr Schmerzen an mehr als der Hälfte der Tage
bestanden.
 Rezidivieren: wenn Rückenschmerzen nach einem 6 monatigen symptomfreien
Intervall erneut auftreten.(Baron, Koppert, Strumpf, & Willweber-Strumpf, 2013)
Jedoch um die Dynamik des Schmerzgeschehens und somit auch die prognostische
Relevanz genauer zu spezifizieren, wird der Schmerz nicht nur zeitlich eingeteilt sondern
28
auch nach den zugrunde liegenden pathologischen Mechanismen in nozizeptiv und
neuropathisch.
Nozizeptiv: Stimulation der Nozizeptoren wird durch Schädigung von Gewebe ausgelöst,
dadurch kommt es zu einer Schmerzweiterleitung und bei intaktem Nervensystem führt
dies zu einer Schmerzentstehung. Die Schmerzcharakteristika können dumpf, ziehend,
bohrend oder nagend sein.
Dem gegenübergestellt wird der neuropathische Schmerz, bei welchem der Nerv selbst
geschädigt ist und so zu einem Schmerzsymptom führt. Entsprechend der Anatomie findet
sich hier der Schmerz häufig entlang eines Deramtoms. Der Schmerzcharakter wird häufig
als schneidend, stechend, brennend oder reißend beschrieben. Parallel dazu können auch
Empfindungsstörungen wie Parästhesien, Allodynien und Hyperalgesien auftreten.(Wasner
& Heskap, 2014)
2.1.1 Erfassung der Schmerzintensität
Der Schmerz stellt bei vielen Krankheiten und auch beim Bandscheibenvorfall ein sehr
wichtiges Symptom dar. Schlussendlich ist der Schmerz jener Faktor, der den Patient dazu
bewegt zum Arzt zu gehen.
Bis heute ist es jedoch noch nicht gelungen Schmerz zu objektivieren. Als Kliniker ist man
also auf die Aussagen des Patienten angewiesen, nur so kann eine Schmerzeinschätzung
erfolgen. Um das jedoch zu vereinfachen wurden Skalen entwickelt.
Die visuelle Analogskala(VAS): Es handelt sich dabei um eine Linie mit zwei
Endpunkten welche mit den Begriffen „kein Schmerz“ und „stärkster vorstellbarer
Schmerz" bezeichnet sind. Dem Patienten wird diese Skala vorgelegt um seinen
Schmerzzustand auf der Linie zu markieren.
Bei der numerischen Schätzung wird der Patient darum gebeten die Schmerzstärke
mithilfe der Zahlen von 0-10 zu schätzen. (Baron et al., 2013)
Für Kinder gibt es noch Smiley Skalen, die vom lachenden bis zum traurigen Smiley
reichen, sie können ab dem dritten Lebensjahr angewandt werden(Beubler, 2007).
29
12: Schmerzskalen.
Verbale Rating-Skala, Visuelle Analogskala, Numerische Rating-Skala, Smiley Skala.
Quelle: (Beubler, 2007)
2.2 Der Rückenschmerz
Wichtig ist vorwegzunehmen, dass der Rückenschmerz ein Symptom ist und keine
Diagnose.
Man teilt den Rückenschmerz in den spezifischen (klassifizierten) und den unspezifischen
(nichtklassifizierten) Rückenschmerz ein. Während sich beim ersteren eine eindeutige
Ursache finden lässt, gibt es beim unspezifischen keine eindeutige Erklärung für den
Schmerz. Zu betonen ist, dass in nur 15% der Fälle ein spezifischer Rückenschmerz
vorliegt, das heißt andererseits, dass bei 80- 90% keine pathoanatomische Veränderung
gefunden werden kann(Koes, van Tulder, & Thomas, 2006).
Ebenfalls zu den unspezifischen Schmerzen zuzuteilen sind die Funktionsstörungen, zu
denen das ISG- Syndrom, das Facettensyndrom und die muskuläre Dysbalance zählen.
Jene Diagnosen sind klinisch, jedoch nicht durch Bildgebung nachweisbar.(Baron et al.,
2013)
Um den spezifischen Rückenschmerz nicht zu übersehen, wurden die so genannten Red
Falgs entwickelt, welche als Warnhinweise fungieren. Liegen jene vor, muss der Ursache
unbedingt noch mit weiteren Methoden, wie zum Besipiel einer Bildgebung, auf die Spur
30
gegangen werden. Baron et al.(2013) unterteilen sogar noch in rote und in dunkelrote
Flaggen:
Dunkelrote Flaggen:
 Conus-/Cauda-equina-Syndrom:
Reithosenanästhesie, Blasen-, Mastdarmschwäche, beidseitige Ischialgie.
 Hinweise auf spinalen Abszess, Spondylodiscitis:
Vorangegangene Wirbelsäulen- OP, erhöhte Entzündungsparameter(CRP, BSG),
Fieber, bestehender Infekt, Klopfschmerz über dem Dornfortsatz.
 Rückenmarkschädigung durch Wirbelkörperfraktur:
akute Symptomatik mit dazu passendem Trauma.
 Ausgeprägte Parese durch Wurzelkompression
Rote Flaggen:
 Alter:
Das Alter der erstmals aufgetretenen Rückenschmerzen beträgt <20 oder >50Jahre.
 Begleitende Grunderkrankung:
Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Neoplasien, Osteoporose,
Infektionskrankheiten, AIDS, Immunsuppressiva, Gefäßerkrankungen.
 Gewichtsverlust nicht gewollter Natur
 Fieber
 St.p. Wirbelsäulen- OP
 Nervenwurzelkompressionssyndrom (Baron et al., 2013).
Da der Rückenschmerz ein großes Potential zur Chronifizierung aufweist wurden die so
genannten Yellow Flags entwickelt. Jene gelten ebenfalls als Warnhinweise und
signalisieren dem Kliniker eine mögliche Entwicklung zu einem chronischen
Schmerzgeschehen.
Yellow Flags:
 Arbeitsunfähigkeit >4 Monate
 Niedriger sozioökonomischer Status
 Niedrige Zufriedenheit in der Arbeit
 Psychische und soziale Probleme
 Depressive Störung
Wie hier eindeutig herauszulesen ist sind die gelben Flaggen überwiegend Elemente des
Anamnesegespräches. Die Patientenführung und die Kommunikation bieten daher eine
31
wesentliche Grundlage einer zielführenden Diagnostik. (Standl, Schulte am Esch, Treede,
Schäfer, & Bardenheuer, 2010)
2.3 Die Schmerzentstehung beim Bandscheibenvorfall
Beim Bandscheibenvorfall kommt es im Wesentlichen durch zwei pathophysiologische
Prozesse zur Schmerzentstehung: Zum einen wird durch die lokale Nervenkompression ein
neuropathischer Schmerz ausgelöst, der sich mit seinen Symptomen präsentiert und der
typischerweise bei Traumen akut auftritt (z.B. Caudasyndrom). In diesem Fall tritt dann
ein radikulärer Schmerz auf. In Extremfällen kann es zu Querschnittssyndromen kommen.
(Diener & Maier, 2012)
Zum anderen entstehen durch die Kompression lokale Entzündungsprozesse, die durch
Entzündungsmediatoren aus prolabiertem Bandscheibengewebe hervorgerufen
werden(Standl et al., 2010). Dabei löst die Entzündung an den lokalen Nn. nervorum
nozizeptive Schmerzen aus (R. Krämer et al., 2005). Standl et al. (2010) erklären sich die
Schmerzentstehung im Sinne des Mixed- Pain- Erklärungsmodells, bei dem beide
Komponenten, nämlich der neuropathische als auch der nozizeptive Schmerz eine Rolle
spielen. Meist geht dem Ganzen noch ein Muskelhartspann einher, der zu einer fixierten
Stellung zur Wirbelsäule führt und der für einen beginnenden Circulus vitiosus
verantwortlich ist (Diener & Maier, 2012). Der Schmerz führt zu einer
Muskelverspannung, welche zu einer Inaktivität führt. Dadurch können sich die Schmerzen
wiederum verstärken. Der Teufelskreis ist komplett.
Krämer schreibt, dass das Schmerzgeschehen beim Diskusprolaps großen Schwankungen
unterliegt. Verantwortlich dafür ist, neben den schon erwähnten Faktoren, eine mögliche
Verlagerung des Prolaps nach supra- bzw. infradiskal(vor allem beim Vorliegen eines
Sequesters). Folglich kann es zu erneuerlichen Nervenwurzelbedrängungen kommen.
Ebenfalls Liquordruckänderungen und venöse Druckänderungen durch Niesen oder durch
Pressen führen zu Schmerzverstärkungen. (R. Krämer et al., 2005)
2.4 Schmerzstärke vs. Neurologie
Bei einer ausgeprägten Nervenkrompression stehen die Schmerzen für den Patienten im
Mittelpunkt. Sie unterliegen schwer zu beeinflussenden Schwankungen und können
mitunter sehr intensiv sein, dabei fallen Sensibilitätsstörungen, Muskelschwächen,
Bewegungseinschränkungen und Fehlhaltungen für den Betroffenen eher in den
32
Hintergrund.
Andererseits ist für den Kliniker die Schmerzintensität schwer zu objektivieren und zur
Diagnosestellung sind Reflexdifferenzen, dermatombezogene Hypästhesien im
Seitenvergleich und Muskelschwächen wichtigere klinische Faktoren als der Schmerz. (R.
Krämer et al., 2005)
2.5 Schmerzklassifizierung bei der diskogenen
Nervenwurzelkompression
Schmerzintensität bei Nervenkompressionen durch ausgetretenes Bandscheibengewebe
lässt sich nach Krämer in drei Schmerzgrade einteilen:
 Schmerzgrad 1:
die geringste Form einer diskogenen Bedrängung führt zu mäßigen Schmerzen, die
Ausstrahlung kann pseudoradikulär oder entlang des Dermatoms auftreten. Vor
allem nach Belastung kann es zu einer Schmerzintensivierung kommen. Die Stärke
des Schmerzes bewegt sich im unteren Drittel der visuellen Analogskala (VAS).
Der Patient kommt meist ohne Analgetika aus.
 Schmerzgrad 2:
Beim Schmerzgrad 2 bewegt sich der Patient vorwiegend im mittleren Drittel der
visuellen Analogskala(VAS). Ausreißer nach oben oder nach unten kommen vor.
Meist kommt der Patient in seiner mittelgradigen Schmerzlage nicht ohne
Analgetika aus. Vor allem durch längeres Sitzen oder längeres Stehen wird der
Schmerz noch zusätzlich provoziert.
 Schmerzgrad 3:
Patienten des Schmerzgrades 3 unterliegen starken, unerträglichen Schmerzen. Das
Schmerzniveau teilen sie überwiegend im oberen Drittel der VAS ein. Die
Schmerzen sind permanent vorhanden auch ohne Belastung. Viel Ruhe in
Kombination mit lang und stark wirksamen Analgetika kann das Schmerzniveau
auf das mittlere Drittel senken.
33
13: Schmerzgrade bei diskogener Wurzelkompression.
Quelle: (R. Krämer et al., 2005)
Während des Krankheitsverlaufes kann das Schmerzniveau Schwankungen durchlaufen,
welche von den täglichen Belastungen abhängig sein können. Gibt man dem Patienten eine
Schmerzskala zur Schmerzobjektivierung, ist er dazu angehalten die Schmerzintensität
täglich einzutragen. (R. Krämer et al., 2005)(Anderhuber et al., 2013)
3 Schmerztherapie
3.1 Therapie: Evidenz basierte Medizin
Um dem Patienten ein bestmögliches Therapieergebnis zu gewährleisten ist es sinnvoll mit
Therapien nachgewiesener Wirksamkeit zu arbeiten. Dazu wird die so genannte Evidenz
basierte Medizin (EBM) angeboten, wobei der Begriff ‚Evidenz’ in diesem
Zusammenhang nicht ganz stimmt. Aufgrund einer falschen Übersetzung von einer der
ersten Publikationen dieses Themas im Jahre 1995 setzte sich der Begriff jedoch trotzdem
durch. Während im Englischen das Wort ‚evidenz’ ‚Beweis’, ‘Beleg’, ‚Hinweis’ bedeutet,
bedeutet es im Deutschen ‚Offensichtlichkeit’. Es wurde versucht die Bezeichnung
‚nachweisorientierte Medizin’ einzuführen, dies setzte sich aber nicht durch und so wird
nach wie vor die sinnesgemäß falsche Bezeichnung Evidenz basierte Medizin verwendet.
(Gauger, 2011)
Grundsätzlich bedeutet EBM, dass die Therapiemethode auf die beste zur Verfügung
stehende wissenschaftliche Erkenntnis bezogen ist.
Die Grundidee von wissenschaftlich begründbaren Handlungen veröffentlichte Archie
Cochrane im Jahre 1972 in seinem Buch "Effectiveness and Efficiency: Random
Reflections on Health Services" und legte somit den Grundstein von EBM.(Shah & Chung,
2009).
Um auf das Thema dieser Arbeit zurückzukommen soll EBM den Kliniker dabei
unterstützen dem Patienten die bestmögliche Therapie anbieten zu können. Therapieziele
werden im Vorhinein definiert und ein ausführliches Therapiekonzept erstellt. Dabei
34
stehen dem praktizierenden Arzt Guidelines und wissenschaftliche Arbeiten zur Verfügung
mit welchen er auf dem wissenschaftlich aktuellsten Stand arbeiten kann. Findet man eine
Therapie mit hohem Empfehlungsgrad, bedeutet das nicht automatisch, dass diese allen
anderen Maßnahmen überlegen ist. Studien beziehen sich auf ganz konkrete
Fragestellungen welche meist einen Vergleich mit anderen Studien nicht zulassen. Nur bei
expliziten Aneinanderstellungen zweier Methoden kann eine Überlegenheit einer Methode
festgestellt werden und in das Therapiekonzept miteinbezogen werden. (Börm et al., 2005)
3.1.1 Evidenzklassen
Um die Signifikanz einer wissenschaftlichen Arbeit beurteilen zu können wurden die sogenannten Evidenzklassen eingeführt, mit welchen die Aussagekraft klinischer Studien
erfasst werden kann. Höher eingestufte Klassen sollten dabei den Kliniker bekräftigen
klinische Herausforderungen zu lösen. Grundsätzlich gilt: je höher die Evidenzklasse einer
Studie, desto breiter ist ihre wissenschaftliche Basis. Der Leser sollte bei der Beurteilung
der Studienqualität jedoch folgende Punkte berücksichtigen:
 Die Evidenzklasse spiegelt nur eine grobe Abschätzung der Studienqualität wieder.
 Randomisierte klinische Studien sind nicht immer umsetzbar, und somit ist es nicht
möglich für alle klinischen Situationen Evidenzklasse I zu gewährleisten.
Auf der anderen Seite heißt das, dass Studien niedrigere Evidenzklassen oft
trotzdem von großer Wertigkeit sind. Die Rahmenbedingungen lassen nur oft keine
höhere Evidenzklasse zu. (Wright, Swiontkowski, & Heckman, 2003)
14: Evidenzklassen.
Quelle: (Wright et al., 2003)
35
Um diese Thematik der Evidenzklassen auf die Therapie des Bandscheibenvorfalls zu
übertragen zeigen z.B. die Evidence-Based Clinical Guidelines of Multidisciplinary Spine
Care der North American Spine Society eine exzellente Evidenz für die epidurale Steroid
Infiltration. Es wurde eine prospektive randomisierte kontrollierte Studie, bei der
transforaminale Kortisoninjektionen in Verbindung mit einem Lokalanästhetikum mit
anderen Infiltrationen verglichen wurden, durchgeführt. Das Ergebnis war statistisch
relevant und die Experimentalgruppe verzeichnete am deutlichsten Verbesserungen in
Funktionsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit.
Bei diesen Rahmenbedingungen ist es möglich mit einer sehr guten Evidenzklasse zu
arbeiten, da die Situation es erlaubt eine Kontrollgruppe zu bilden, denen z.B. Placebo
gespritzt wird.
Andererseits schreibt dieselbe Guideline von einer prospektiven randomisierten
kontrollierten Studie, bei welcher die Effektivität von aktiver Bewegungstherapie
untersucht wird. Dabei wurden 60 Patienten mit einer diskogenen Radikulopathie in ein
Cross-Over-Design eingebunden. Patienten der Gruppe A führten vier Wochen lang
Übungen durch, wobei sich die Therapie auf Rumpfstabilisation bezog. Nach diesen 4
Wochen folgte eine weiter vierwöchige Phase ohne Therapie. Patienten der Gruppe B
pausierten in den ersten 4 Wochen und erhielten dieselbe Therapie in den zweiten vier
Wochen.
Signifikante Unterschiede vor allem auf der visuellen Analogskala (VAS) zeigten sich
nach den ersten 4 Wochen. Nach dem Crossover, also nach 8 Wochen zeigten sich keine
signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.
Diese Studie hat, im Vergleich zur ersteren erwähnten Studie, eine niedrige Evidenzklasse,
obwohl auch zweitere von hoher Qualität ist. Die Tatsache, dass es unmöglich ist der
Kontrollgruppe eine Physiotherapie als Placebo „vorzuspielen“ lässt keine höhere
Evidenzklassifizierung zu. (Dougherty et al., 2011)
3.2 Konservative Schmerztherapie bei Bandscheibenvorfällen
Abgesehen von den absoluten Operationsindikationen (siehe Kaudasyndrom), können 90%
der BSV durch eine konservative Therapie in den Griff bekommen werden. Die
Therapieziele sind eine Schmerzminderung, eine funktionelle Besserung, und darauf
folgend eine Stärkung der Rückenmuskulatur.(Börm et al., 2005)
36
Anschließend sollte eine berufliche Reintegration gewährleistet sein (Stein, Greitemann, &
Bork, 2014).
Im Zeitraum von 6-8 Wochen erwartet man sich eine deutliche Besserung. Vor allem eine
Minderung der Schmerzen sollte erzielt werden. Ist das nicht der Fall, kann an ein
operatives Vorgehen gedacht werden, da eine Schmerzchronifizierung unbedingt
verhindert werden sollte. Darüber hinaus sollte eine Weiterführung konservativer
Therapien bei einem Schmerzpatienten kritisch betrachtet werden (siehe yellow flags).
(Börm et al., 2005)
Arbes-Sertl & Ammer (2002) schreiben, dass für die konservative Therapie des
Bandscheibenvorfalls die Pathomorphologie eigentlich irrelevant ist. Überdies appellieren
sie einen Paradigmenwechsel: das biopsychosoziale Modell von Krankheit und Schmerz
sollte mehr in die Therapie einfließen, während die Pathomorphologie von geringerer
Bedeutung ist. (Arbes-Sertl & Ammer, 2002)
3.2.1 Bewegungstherapie
Ein wesentlicher therapeutischer Teil der bandscheibenbedingten Rückenschmerzen ist die
Bewegungstherapie. Definiert ist sie als „ärztlich indizierte und verordnete Bewegung, die
vom Fachtherapeuten geplant, dosiert, gemeinsam mit dem Arzt kontrolliert und mit dem
Patienten alleine oder in der Gruppe durchgeführt wird.“ Initiiert ist sie bei Einschränkung
der funktionalen Fähigkeiten. Ziel ist eine Wiederherstellung der muskulären Balance
durch Einschulung in gesundheitsorientierte Verhaltensweisen und damit der Aufbau einer
dauerhaften Gesundheitskompetenz. Die ICF (International Classification of Functioning,
Disability and Health. Eine Klassifikation der WHO) definiert für die Bewegungs- und
Sporttherapie drei Zielbereiche:
a. Wiedererlangung der Leistungsfähigkeit und der Belastbarkeit,
b. Einschulung in den Umgang mit Rückenschmerzperioden,
c. Einführung in ein körperlich aktives Leben, soziale und berufliche Reintegration.
(Stein et al., 2014)
Van Tulder, Koes, & Malmivaara (2006) vergleichen in ihrem Review die Effizienz von
Aktiv sein mit Bettruhe bei Rückenschmerzen. Dabei zeigte eine hoch qualitative Studie,
dass der Ratschlag aktiv zu sein signifikante Besserungen in Funktionalität und
Krankenstandsdauer ergab, verglichen mit der Empfehlung 2 Tage Bettruhe einzuhalten.
Noch dazu zeigte sich eine Signifikanz in der Schmerzreduktion, zu Gunsten der aktiven
37
Gruppe. (Frank & Evans, 1997)
Es gibt nur eine Studie, die die Effizienz von Rückenschule mit Placebo vergleicht. Sie
zeigt bessere Kurzzeitergebnisse für die Rückenschulen. Es wurden keine Langzeitstudien
gefunden, die sich mit dieser Thematik beschäftigt haben. (Van Tulder et al., 2006)
Stein et al. (2014) schreiben, dass nach einer Bandscheibenoperation 4-6 Wochen nach
dem Eingriff eine Bewegungstherapie schneller zu einer Schmerzminderung führt als eine
Nachsorge ohne Bewegung. Überdies führen intensivere Trainingsprogramme schneller zu
einer Schmerzreduktion als Programme von geringerer Intensität. Postoperativ liegen keine
Evidenzen vor, dass durch aktive Bewegungstherapie erneut das Risiko für eine
chirurgische Bandscheibensanierung besteht. (Stein et al., 2014)
Eine weitere Studie, die bereits im Unterpunkt Evidenzklassen erwähnt wurde, umfasste 60
Patienten mit lumbalen Bandscheibenvorfällen. Gruppe A, welche aus 30 Personen
bestand, bekam 4 Wochen lang aktive Stabilisationsübungen für die LWS, nach diesen 4
Wochen pausierte Gruppe A und Gruppe B begann in der 5. Woche der Studie ebenfalls
mit denselben Übungen über einen Zeitraum von 4 Wochen. Signifikante Unterschiede
zwischen den beiden Gruppen ergaben sich nach den ersten 4 Wochen zu Gunsten der
aktiven Gruppe. Nach 8 Wochen konnte keine Signifikanz mehr zwischen bed beiden
Gruppen festgestellt werden. Die Augenmerke der Ergebnisse lagen unter anderem auf der
VAS und dem Bewegungsausmaß des Rumpfes. (Dougherty et al., 2011)
3.2.2 Physiotherapie
Das Therapieprinzip der Physiotherapie hat in der Behandlung von Rückenschmerzen
einen sehr wesentlichen Stellenwert. Insbesondere durch systematische und aktive
Krankengymnastik kann ein Therapiekonzept, welches möglichst viele
schmerzmodulierende Behandlungsverfahren integriert, erreicht werden. Der Patient wird
dabei in ein rückenfreundliches Alltagsverhalten, in krankengymnastische Übungen und in
Selbstbehandlungstechniken eingeschult. Ziel ist es die Rumpfmuskulatur zu stärken und
die Körperhaltung zu verbessern. Folglich werden die Gelenke mit den Bandscheiben und
Bandstrukturen gestützt und den plötzlich schmerzauslösenden Wirbelsäulenbewegungen
kann somit vorgebeugt werden.
In einem Teil der Therapie sollte der Patient über den theoretischen Hintergrund und über
den möglichen Krankheitshergang informiert werden. Dabei wird dem Betroffenen ein
Einblick in die Anatomie, in die Physiologie und in die Klinik des Bewegungsapparates
38
gewährt. Auf dieser Information basierend wird der Patient in ein gezieltes Training
eingeschult.
Neben aktiven Übungen des Patienten selbst, sind auch passive Bewegungsübungen Teil
der Physiotherapie. Dabei wird das Gelenk durch den äußeren Einsatz von
Kräften(Therapeut) bewegt, der Patient bleibt passiv. Ausgehend von der Nullstellung
kann so das Gelenk in alle Achsen bis zum Punkt des Widerstandes oder des Schmerzes
durchbewegt werden. Durch Dehnungsübungen oder durch Krankengymnastik kann der
Bewegungsumfang vergrößert werden. (Diener & Maier, 2012), (Stein et al., 2014)
Thackeray, Fritz, Brennan, Zaman, & Willick (2010) führten eine prospektivrandomisiert- kontrollierte Studie durch, bei der das therapeutische Ergebnis von
Physiotherapie nach Nervenwurzelblockade durch periduraler Infiltration und
Nervenwurzelblockade ohne Physiotherapie miteinander verglichen wurden. Das
Patientenklientel umfasste 44 Patienten mit bandscheibenbedingten Kreuzschmerzen und
Ischiassyndrom. 21 davon erhielten eine Nervenwurzelblockade plus Physiotherapie,
welche sich unter anderem aus Stärkung, Dehnung, Stabilisation und aus Ausdauertraining
zusammensetzte. Das Resultat wurde nach 6 Monaten erhoben und es wurden keine
signifikanten Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und der Versuchsgruppe
gefunden. (Thackeray et al., 2010)
3.2.3 Lokale Infiltrationstherapie
Das Prinzip der Infiltrationstherapie besteht in einer Schmerzstillung und einer
Entzündungshemmung direkt am Ursprungsort der Schmerzentstehung. Der bedrängte
Nerv entwickelt eine Entzündung welche zu Schmerzen führt. Lokanästhetika, Steroide
oder beides können durch lokale Infiltration eingebracht werden und so die erregten
Nozizeptoren ausschalten. Der Circulus vitiosus wird durch die vorübergehende
Schmerzminderung unterbrochen, dabei kann eine Schmerzstillung über die
physiologische Wirkungsdauer der eingebrachten Wirkstoffe hinausgehen. Dies ist
insbesondere bei wiederholten Applikationen der Fall.
Zu erwartende Wirkungen:
 Nervenerregbarkeit wird herabgesetzt
 Schmerzminderung
 Lokale Perfusionssteigerung
 Desensibilisierung.
39
Durch das Lokalanästhetikum werden primär die afferenten Fasern blockiert (was dem
therapeutischen Ziel entspricht), erst bei höherer Dosierung könnte man auch eine
vollständige Anästhesie und Paralyse erreichen. Diese wäre jedoch nicht von
therapeutischem Nutzen. In der Praxis werden also die Afferenzen ausgeschaltet, was
bedeutet, dass der Patient motorisch weitgehend unauffällig beleibt, während eine
Schmerzausschaltung erreicht wird. (Stein et al., 2014)
Es gibt unzählige Ergebnisse aus qualitativ hochwertigen Studien zu epiduralen
Injektionen bei Bandscheibenvorfällen, mit vorwiegend positiven Ergebnissen.
Ghahreman, Richard, & Bogduk (2010) führten eine randomisierte- kontrollierte Studie
durch, welche die Effektivität von transforaminalen Infiltrationen beurteilt. Dabei wurden
Injektionen mit Steroiden in Kombination mit Lokalanästhetika, Lokalanästhetika alleine,
Kochsalzlösung alleine, intramuskuläre Injektionen mit Steroiden und einmal
intramuskuläre Injektionen mit Kochsalzlösung bei Patienten mit einer Radikulopathie
miteinander verglichen. Ein Monat nach der Therapie erlebten 54% der Gruppe der
transforaminalen- epiduralen Steroidinjektionen einen radikulären Schmerznachlass von
mehr als 50%. Verglichen mit den oben genannten Vergleichsgruppen gilt dieses Ergebnis
als statistisch signifikant. Zusätzlich zeigte die Experimentalgruppe Verbesserungen in
Funktionalität und körperlicher Einschränkung. Patienten, die nach der ersten epiduralen
Steroidinjektion noch keine wesentliche Besserung verspürten, wurde eine zweite
Infiltration derselben Art angeboten. Daraufhin erlangten 50%, jener, die eine zweite
Injektion bekamen eine Besserung. Zusätzlich ergab diese Studie, dass eine
transforaminale Steroidinjektion bei einer Radikulopathie effektiver ist, als eine
intramuskuläre Injektion desselben Präparates. Es wurden keine konkreten Komplikationen
der epiduralen Infiltrationstherapie identifiziert. (Ghahreman et al., 2010)
Während im niedergelassenen Bereich Infiltrationen meist ohne Bildgebung erfolgen bietet
die Radiologie CT- gezielte Injektionstechniken an. Dabei wird mittels Kontrastmittel die
genaue Lokalisation der Injektion kontrolliert und somit kann eine genaue epidurale
Lokalisation der Wirkstoffe gewährleistet werden.
Renfrew et al. (1991) führten eine Studie durch, bei der sie die epidurale Treffsicherheit
der nicht CT- gezielten Infiltrationen bei 328 Patienten untersuchten. Einige der Patienten
litten unter bandscheibenbedingten Radikulopathien. Diese Studie ist von Evidenzklasse I
und ergab, dass 47%- 62% der „blind“ durchgeführten Injektionen auch wirklich treffen.
(Renfrew et al., 1991)
40
Eine ähnliche Studie führten Mehta & Salmon (1985) durch. Ihre Ergebnisse zeigten, dass
in 17% der Fälle die Injektionen komplett oder teilweise außerhalb des Spinalkanals
landeten. Zu betonen ist, dass die Bandbreite an Diagnosen in dieser Studie breit gefächert
war. Auch diese Studie ist von Evidenzklasse I und ergab, dass 83% der blinden
interlaminären Injektionen korrekt platziert wurden. (Mehta & Salmon, 1985)
15: CT- gezielte epidurale Infiltration im Segment L5/S1.
Indikation: bandscheibenbedingte Radikulitis der Nervenwurzel S1.
Deutlich zu sehen ist die Kontrastmittelverteilung im Spinalkanal. Mitte oben ist die Führung der Kanüle von
dorso- lateral zu sehen.
Quelle: Klinischer Fall
3.2.4 Psychologische Schmerztherapie
Das früher geltende rein biomedizinische Krankheitsverständnis hat in den letzten Jahren
einen Wandel erlebt und vor allem chronischen Schmerzsyndromen wird heute ein
biopsychosoziales Schmerzmodell zugeschrieben. Dabei setzt sich der Schmerz aus einer
komplexen Interaktion aus psychologischen, psychogenen und sozialen Faktoren
zusammen. Vor allem bei einer Chronifizierung wird das Symptom zur Krankheit und oft
ist die ursprüngliche organische Ursache gar nicht mehr feststellbar.
Durch einen interdiziplinären Behandlungsansatz lassen sich auch psychosoziale Anteile
des Schmerzes identifizieren und behandeln.
Die Schmerzpsychotherapie hat ihren Ursprung überwiegend in der Verhaltenstherapie.
41
Für diese Therapie ist eine zur Beurteilung der Evidenz ausreichende Studienlage
verfügbar. Im Gegensatz dazu liegen der Psychoanalyse und der Psychosomatik weniger
gute Wirksamkeitsbelege zu Grunde. (Diener & Maier, 2012)
Ziel der psychologischen Schmerztherapie ist eine Veränderung der schmerzbezogenen
Kognitionen wie z.B. Entkatastrophisieren und Emotionen wie Depressivität und Angst in
den Griff zu bekommen. Dadurch soll eine Entkoppelung von Schmerz und Stress erreicht
werden. Bei der bandscheibenbedingten Radikulopathie wird so in der subakuten Phase
einer Schmerzchronifizierung vorgebeugt. Reicht die Schmerzdauer über einen Zeitraum
von 12 Monaten hinaus, ist das Ziel eine Verringerung der Beeinträchtigung auf
kognitiver, emotionaler und auf behavioraler Ebene. (Stein et al., 2014)
3.2.5 Die intradiskale elektrothermale Therapie (IDET/IDEA), eine
interventionelle Therapiemethode
Die intradiskale elektrothermale Therapie ist ein minimal invasives Verfahren, welches die
Lücke zwischen konservativer Therapie und Operation schließt. Dabei wird mithilfe einer
Kanüle eine flexible Wärmesonde in den Anulus fibrosus eingebracht und erhitzt. (Hess,
2005) Bis heute ist das Wirkungsprinzip der Therapie noch nicht ganz geklärt. Karasek &
Bogduk (2001) vermuten, dass die Therapie auf folgenden Wirkungsprinzipien beruhen:
 durch eine Schrumpfung der Kollagenfasern
 durch eine Verödung der intradiskalen Nozizeptoren
 durch eine Veränderung des chemischen Milieus.
Bis heute liegen klinische Ergebnisse randomisierter, doppelblinder und placebokontrollierter Studien vor, welche einen Effekt der Therapie belegen.
Indikation:
Zu betonen ist, dass die IDET nicht bei einem radikulären Schmerzsyndrom indiziert ist.
Ganz im Gegenteil, bevor die Therapie angeordnet wird muss eine Radikulopathie
ausgeschlossen werden und eine diskogene Schmerzursache belegt sein. Durch
mechanische Belastungen kann eine Degeneration zum Einwachsen von Nozizeptoren in
der Bandscheibe führen und in weiterer Folge Schmerzen verursachen. Wichtig ist die
Diagnose „diskogenes Schmerzsyndrom“ zu sichern. Dies geschieht durch eine genaue
Anamnese. Häufige klinische Bilder sind pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung, jedoch
42
keine Monoradikulitis und keine neurologischen Ausfälle. Ebenfalls wichtig in der
Diagnose ist das MR, in welchem eine High-Intensity-Zone auf eine interne
Bandscheibenruptur hinweisen kann (Lam, Carlin, & Mulholland, 2000).
3.3 Medikamentöse Schmerztherapie bei Bandscheibenvorfällen
Ist das Schmerzniveau des Patienten unter einem gewissen Level reicht es den Patienten
mit Bewegungstherapie, Physiotherapie und Sporttherapie zu therapieren. Sind diese
Maßnahmen jedoch durch ein erhöhtes Schmerzlevel nicht durchführbar ist eine
medikamentöse Schmerzsenkung unabdingbar.
Grundsätzlich ist bei der medikamentösen Schmerztherapie der Pathomechanismus der
Entstehung der Schmerzen von großer Bedeutung: Liegt ein nozizeptiver, ein
neuropathischer Schmerz oder ein mixed-pain-Syndrom vor? Alle drei Schmerzarten
können beim Bandscheibenvorfall bzw. beim Rückenschmerz auftreten und müssen in die
Entscheidungstreffung über die medikamentöse Therapie einfließen. (Stein et al., 2014)
3.3.1 WHO Stufenplan
Für die medikamentöse Schmerztherapie gibt es Richtlinien, welche 1982 von einem
Gremium an Experten erarbeitet wurde. In Anlehnung darauf veröffentlichte die WHO
1986 den Stufenplan. Der Stufenplan beschreibt, dass bei der Schmerztherapie
grundsätzlich mit einem Nicht-Opioid-Analgetikum begonnen werden soll, wirkt dieses
unzureichend, steigt man zur nächsten Stufe auf, mittels einem schwachen Opioid, und
falls auch dieses nicht ausreichend ist, soll man auf die dritte Stufe übergehen und starke
Opioide verabreichen. Zusätzlich besagt das Stufenschema, dass im Falle von stärkeren
Schmerzen nicht auf ein Medikament derselben Stufe zurückgegriffen werden darf, man
soll stets auf die nächste Stufe aufsteigen. (Beubler, 2012)
Zusätzlich können je nach Schmerztyp Co-Analgetika eingesetzt werden. Primär wirken
sie nicht analgetisch, können jedoch in Kombination mit den jeweiligen Schmerzpräparat
die schmerzhemmende Wirkung unterstützen. Bei der Wahl des Medikaments muss auf die
individuellen Risiken (Begleiterkrankungen, Alter, Allergien), die Zulassung des
Medikaments sowie auf dessen Nebenwirkungsprofil geachtet werden. (Stein et al., 2014)
43
16: Stufenschema zur Schmerztherapie beim Bandscheibenvorfall mit radikulärer
Symptomatik in Anlehnung an die WHO.
Quellen: (Stein et al., 2014), (Dougherty et al., 2011), (Beubler, 2012)
3.3.2 Nichtopioide Analgetika
Nichtopioide Analgetika gehören zu den weltweit am meisten verschriebenen und
eingenommenen Arzneimitteln. Dem gegenübergestellt ist (vor allem bei
Dauermedikation) ein breites Nebenwirkungsspektrum und deshalb soll die Verordnung
kritisch betrachtet werden. Im WHO Stufenschema gelten daher folgende Regeln:
 die Arzneimitteln sind ausschließlich in der Normaldosierung zu verwenden,
 das Kombinieren von Substanzen derselben Gruppe ist verboten.
Mit der einzigen Ausnahme des Flupirtin, ist diesen Substanzgruppen gemeinsam, dass sie
die Cyclooxygenase (COX) und somit die Bildung von proinflammatorischen
Prostaglandinen hemmen. (Beubler, 2012)
44
3.3.2.1 Saure, antiphlogistisch- antipyretische Analgetika
Diese Stoffgruppe wird häufig auch als „Nichtsteroidale Antirheumatika“ (NSAR) oder im
Englischen als „non steroidal anti-infalmmatory drugs“ (NSAID) bezeichnet. Sie umfasst
einige geläufige Substanzen wie z.B.:
 Acetylsalicylsäure (ASS)
 Diclofenac
 Ibuprofen
 Mefenaminsäure
 Meloxicam
Aufgrund ihrer guten analgetischen, antipyretischen und vor allem aus ihrer sehr guten
antiphlogistischen Wirkung stellen die NSAR die am häufigsten verschriebenen
Analgetika dar. Da Schmerzen häufig durch Entzündungen entstehen werden sie gerne
herangezogen. Der hauptsächliche Wirkungsmechanismus erklärt sich durch die Wirkung
auf die Cyclooxygenase (COX). Die COX ist ein Enzym das nahezu ubiquitär im
Organismus vorkommt und das mithilfe der Arachidonsäure, welche durch die
Phospholipase A2 aus der Zellmembran mobilisiert wird, die zyklischen endoperoxide
bildet. Diese werden weiter zu den Prostanoiden verstoffwechselt, wo insbesondere das
Prostaglandin E2 (PGE2) eine wichtige pathophysiologische Funktion einnimmt. PGE2
unterhält den Entzündungsprozess indem es die Wirkung von Entzündungsmediatoren wie
Serotonin, Kininen und Histamin verstärkt und zusätzlich die Gefäßpermeabilität erhöht.
NSAR wirken also über eine Hemmung der COX zu einer
Prostaglandinsynthesehemmung, welche zu einer analgetischen und zu einer
antiphlogitischen Wirkung führt. Sie wirken vor allem peripher entzündungshemmend und
vermindern die Sensibilität von Nozizeptoren. Zusätzlich hemmen sie zentral die
synaptische Erregungsübertragung und führen so zu einer Analgesie. (Beubler, 2012)
Arbes-Sertl & Ammer (2002) empfehlen bei der Therapie des Bandscheibenvorfalles
NSAR im Zuge eines multidisziplinären Behandlungsprogramms zu verordnen, zusätzlich
liegen Evidenzen vor, die NSAR als effektiv einstufen. Auch Stein et al. (2014) schreiben,
dass NSAR bei der Schmerzbehandlung von Diskushernien wirken. Zusätzlich schreiben
sie, dass keine Evidenzen vorliegen, dass ein bestimmtes Präparat der NSAR besser wirkt
als ein anderes.
Eine kleine Cross-Over-Studie verglich die NSAR mit Placebo bei chronischen LBP. Die
Ergebnisse zeigten, dass die Probanden, die zweimal täglich 275mg Naproxen Natrium
45
peroral einnahmen, einen größeren Schmerznachlass erlebten als jene, die PlaceboPräparate zu sich nahmen. (Berry, Bloom, Hamilton, & Swinson, 1982)
Nebenwirkungen der NSAR
Sehr oft werden die Nebenwirkungen der NSAR unterschätzt. Zu den häufigsten
Nebenwirkungen zählen gastrointestinale Ulzerationen, Blutungen bzw. Erosionen. In 40%
lassen sich endoskopisch Schleimhautveränderungen im Gastrointestinaltrakt nachweisen.
Besonders bei Langzeiteinnahme kann die Medikation zu einer Nierenschädigung führen,
weshalb bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion besonders Acht gegeben werden
muss. Mittlerweile konnte man auch ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse
feststellen. Darüber hinaus können NSAR zu Schädigungen der Haut, der Leber, des ZNS
und des Blutbildungssystems führen.
Allergische Nebenwirkungen hingegen wurden eher selten beobachtet, nichts desto trotz
sollte man vorsichtig mit parenteralen Verabreichungen umgehen, da die Gefahr von
anaphylaktischen Reaktionen besteht.
Aufgrund dieses weiten Nebenwirkungsspektrums lautet die Empfehlung die Dosis so
niedrig wie möglich zu halten und so kurz wie möglich zu behandeln. (Beubler, 2012)
Kombinationen mit NSAR
Reicht die analgetische Wirkung des NSAR nicht aus, kann an eine Kombination mit
einem schwachen bzw. starken Opioid gedacht werden. Auf keinen Fall dürfen 2 NSAR
miteinander eingenommen werden. Dies führt zu keiner Wirkungsverstärkung, jedoch zu
einer Anhäufung der Nebenwirkungen. Ebenfalls soll die Kombination aus einem NSAR
mit einem Glukokortikoid vermieden werden, da jene Kombination ein sehr hohes
ulzerogenes Potential mit sich bringt.(Beubler, 2012)
3.3.2.2 Nichtsaure, antipyretische, nicht-opioide Analgetika
Paracetamol
Paracetamol ist ein gut schmerzstillendes und fibersenkendes Medikament. Indiziert ist es
bei leichten bis mittelstarken Schmerzen. Der genaue Wirkmechanismus ist bis heute nicht
bekannt. Man schreibt dem Medikament eine Beeinflussung des serotonergen Systems zu,
46
sodass man eher von einer zentralen Wirkung ausgeht, was auch erklärt warum es wenig
antiphlogistisch wirkt. Überdies hemmt es wahrscheinlich die COX2, wodurch die
Nebenwirkungen der t-NSAR beim Paracetamol nicht beobachtet werden. In ausreichender
Dosierung(4x1000mg für Erwachsene) ist die analgetische Potenz nahezu gleich wie bei
den NSAR. (Beubler, 2012)
Zwei Studien verglichen Paracetamol und NSAR bei low back pain (LBP) und es zeigten
sich keine Unterschiede in ihrer analgetischen Wirkung. (Van Tulder et al., 2006)
Arbes-Sertl & Ammer (2002) empfehlen in ihrer Guideline, aufgrund der geringeren
gastrointestinalen Nebenwirkungen primär Paracetamol zu verschreiben. Auch Stein et al.
(2014) empfehlen für die Durchbrechung des Schmerzkreislaufs vorab eine Therapie mit
Paracetamol.
Nebenwirkungen von Paracetamol
In der Normaldosierung ist Paracetamol gut verträglich, überschreitet man jedoch die
Dosis von 100 mg/kg Körpergewicht wird beim Abbau der Metabolit N-AcetylBenzochinonimin vermehrt gebildet, wodurch Leberzellnekrosen und Leberversagen
verursacht werden können. Vor allem bei vorbestehenden Leberschäden muss die
Medikation mit Paracetamol mit Vorsicht genossen werden.
Ein großer Vorteil des Paracetamols gegenüber den t-NSAR ist, dass es keine negative
Beeinflussung auf den Gastrintestinaltrakt zeigt. Bei hoher Dosierung jedoch kann es auch
zu einer Nierenschädigung kommen. (Beubler, 2012)
Kombinationen mit Paracetamol
Paracetamol ist als Basistherapeutikum sehr gut geeignet, da es die Wirkung von Opioiden
verstärkt und eine Kombination mit entzündungshemmenden Arzneimitteln ebenfalls Sinn
macht. (Beubler, 2012)
Metamizol
Metamizol ist ein gut analgetisch und antipyretisch wirkendes Medikament, das vor allem
wegen seiner spasmolytischen Eigenschaften geschätzt wird. Die antiphlogistischen
Eigenschaften sind etwas schwächer ausgeprägt. Seine Wirkung beruht auf einer
Hemmung der Erregungsübertragung im nozizeptiven System, wobei der genaue
Wirkmechanismus bis heute noch nicht bekannt ist. Metamizol ist wasserlöslich und
47
deshalb injizierbar. Die parenterale Applikation ist langsam und vorsichtig zu erfolgen, da
es sonst zu einem lebensbedrohlichen Schockzustand führen kann. Eine gute
Verabreichungsart ist eine Kurzinfusion über 30 Minuten. (Beubler, 2012)
Wenn andere Analgetika kontraindiziert sind, ist Metamizol für die Behandlung von
akuten und chronischen Schmerzen bei Bandscheibenvorfällen zugelassen. Jedoch wurde
die Wirksamkeit von Metamizol für die Behandlung von Rückenschmerzen noch nicht
untersucht. (Stein et al., 2014)
Strumpf, Linstedt, Wiebalck, & Zenz (2001) schreiben, dass Metamizol durchaus eine
Alternative zur Therapie von Rückenschmerzen darstellt, dabei betonen sie , dass die
Agranulozytose eine extrem seltene Nebenwirkung darstellt.
Nebenwirkungen von Metamizol
Sehr selten kann Metamizol zu einer Agranulozytose und zu einem Schockzustand führen.
Diese sehr gefürchteten Nebenwirkungen haben dazu geführt, dass Metamizol in einigen
Ländern vom Markt genommen wurde. Ansonsten ist das Medikament gastrointestinal gut
verträglich und wird vor allem bei Koliken und bei Tumorschmerzen sehr gerne eingesetzt.
(Beubler, 2012)
Kombinationen mit Metamizol
Metamizol wird normalerweise nicht mit anderen Analgetika kombiniert, bei chronischen
Schmerzen spricht aber nichts gegen eine Kombination mit Opioiden. (Beubler, 2012)
3.3.2.3 Selektive COX-2 Inhibitoren
Die selektiven COX-2 Hemmer werden auch Coxibe genannt und zu ihnen zählen
Celecoxib, Paracoxib und Etoricoxib. Definitionsgemäß sind sie NSAR, wobei das kein
gemeinsames Strukturmerkmal, sondern eine gemeinsame Eigenschaft bedeutet. Sie
zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine weniger ausgeprägte gastrointestinale
Schleimhautschädigung und keinen Einfluss auf die Thrombozytenaggregation haben.
(Beubler, 2012)
Obwohl COX-2 Hemmer in den Studien weniger Nebenwirkungen zeigten als t-NSAR,
sind sie bei Patienten mit einem erhöhten kardiovaskulärem Risiko nicht zugelassen. Wenn
t-NSAR kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden, kann auf COX-2 Hemmer („off
48
label use“) zurückgegriffen werden. Weil es neben dem
Nervenwurzelkompressionssyndrom (mixed-pain) häufig auch zur Aktivierung
degenerativer Wirbelgelenksarthrosen mit nachfolgender Nozigeneration kommt, ist die
Therapie mit COX-2 Hemmern gerechtfertigt und gewährt somit eine Zulassung für diese
Stoffgruppe. (Stein et al., 2014)
Es liegen gute Evidenzen für COX-2 Hemmer bei Rückenschmerzen vor, die, verglichen
mit Placebo, eine Verbesserung in Funktionalität und eine Senkung des Schmerzlevels
zeigten. (Van Tulder et al., 2006)
Strumpf et al. (2001) schreiben, dass bei chronischen Rückenschmerzen häufig eine
Dauertherapie von Monaten bis Jahren notwendig ist, daher sind NSAR an dieser Stelle
kontraindiziert. Eine Zukunftsoption stellen möglicherweise COX-2 Hemmer dar,
Erfahrungen mit einer Dauertherapie bei Rückenschmerzen existieren jedoch noch nicht.
Nebenwirkungen von selektiven COX-2 Hemmern
Das Risiko von gastrointestinalen Blutungen ist im Gegensatz zu den NSAR bei richtiger
Anwendung sehr niedrig, wobei wiederum die kürzest mögliche Dauer und die niedrigste
mögliche Dosierung empfohlen wird. Bei diesem Vorgehen ist auch das kardiotoxische
Risiko, weswegen Rofecoxib vom Markt genommen wurde, für die einzelne Person
praktisch nicht vorhanden. Weitere Nebenwirkungen sind: Flüssigkeitsretention, periphäre
Ödeme, abdominelle Beschwerden wie Dyspepsie und Diarrhoe sowie Schwindel und
unter Umständen Hautausschläge. (Beubler, 2012)
3.3.3 Opioide
Opioide sind die sichersten und stärksten Schmerzmittel die wir haben. Leider werden sie
aufgrund von Vorurteilen, Unwissenheit und Mythen sehr zurückhaltend verordnet.
Diese Arzneigruppe zeigt eine Eigenschaft, welche in dieser Art bei anderen
Medikamenten nicht zu beobachten ist: Verabreicht man einem Schmerzpatienten die
nötige Dosis, die ihn vom Schmerz befreit, stellt dies eine sehr geringe Gefahr dar in eine
Atemdepression zu fallen. Wird diese Dosis jedoch überschritten, oder man verabreicht
einem Gesunden Opioide, kann eine bedrohliche Atemdepression eintreten. Ähnlichkeiten
zeigen sich bei der Abhängigkeit. Während beim Schmerzpatient in den seltensten Fällen
eine Abhängigkeit resultiert, ist das z.B. beim Drogenabhängigen(ohne Schmerzen) viel
häufiger der Fall. (Beubler, 2012)
49
3.3.3.1 Wirkmechanismus
Man unterscheidet bei den Opiaten zentrale und periphäre Wirkung. Der Großteil der
Auswirkungen der Opioiden erfolgt durch die Aktivierung am μ-Rezeptor, an der
analgetischen Wirkung ist auch der δ- und der κ- Rezeptor beteiligt. Darüber hinaus
werden einerseits periphere und spinale Nozizeptoren gehemmt und andererseits wird das
absteigende, hemmende Schmerzsystem aktiviert. Außerdem haben Opioide auch
Auswirkungen auf supraspinaler Ebene, wie das limbische System. Daraus folgt, dass der
Schmerz mit seinem quälenden unerträglichen Charakter erträglicher wird.
Die zentralen, erregenden Wirkungen der Opioide sind:
 Analgesie
 Euphorie
 Miosis
 Emesis
 Bradykardie
 Thoraxrigidität.
Die zentralen hemmenden Auswirkungen der Opioide bestehen aus:
 Analgesie
 Atemdepression
 sedativ-hypnotische Wirkungen
 Hustendämpfung
 Hypotonie
 Temperaturabfall
 Hemmung der beiden Hormone Gonadotropin und Corticotropin Releasing Hormon
 antiemetische Folgen sind zu beobachten.
Die peripheren Wirkungen der Opioide:
 verzögerte Magenentleerung
 Hemmung der Darmmotilität
 Obstipation
 Hemmung der Flüssigkeitsretention im Darm
 Kontraktion des Gallengangs
50
Bei den peripheren Wirkungen handelt es sich vorwiegend um die Nebenwirkungen, wobei
die opstipierende Wirkung bei schweren Durchfällen auch therapeutisch genutzt werden
kann.
Weitere Nebenwirkungen:
 Miktionsstörungen
 Histaminfreisetzung -> kann zu Juckreiz führen. (Beubler, 2012)
Es liegen unzureichende Daten zur Therapie von akuten Rückenschmerzen mit Opioiden
vor (Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), &
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF),
2013). Stein et al. (2014) schreiben, dass Opioide bei starken Rückenschmerzen eingesetzt
werden. Ein europäisches Expertenteam gibt eine evidenzbasierte Empfehlung zu Gunsten
von Opioiden bei chronischen Rückenschmerzpatienten, bei denen untergeordnete
Schmerztherapien keine Wirkung zeigten. Betont wird, dass diese Medikamente im Zuge
eines multimodalen interdisziplinären Therapieprogramms verordnet werden. Bei primär
therapieresistenten Schmerzen sollen Opioide 2-3 Wochen gegeben werden, bei
chronischen Schmerzen unter Kontrolle der Wirksamkeit auch länger. Spricht die
Medikation nach 6 wöchiger Dauermedikation nicht an, muss dies zum Absetzten führen.
Nach dem WHO- Schema und nach einem festen Zeitplan sollte die Medikation oral
erfolgen. (Stein et al., 2014)
Zum Einsatz von Opioiden bei Patienten mit Rückenschmerzen veröffentlichten Schnitzer,
Gray, Paster, & Kamin (2000) eine randomisierte, placebo- kontrollierte Studie, die eine
Wirksamkeit über einen kurzen Therapiezeitraum belegt. Sie umfasst 380 Patienten mit
chronischen Rückenschmerzen, die zum Teil voroperiert waren. Die Medikation bestand
aus bis zu 400mg Tramadol/Tag. Bei Patienten, die keine wesentlichen Nebenwirkungen
aufwiesen, zeigte Tramadol eine signifikante Schmerzreduktion. (Strumpf et al., 2001;
Schnitzer et al., 2000)
Bei einer randomisierten, nicht placebo-kontrollierten Studie bei Rückenschmerzpatienten
unter Oxycodon zeigten sich positive Effekte hinsichtlich der Schmerzen, jedoch nur leicht
positive Effekte bezüglich der Aktivität der Patienten. (Strumpf et al., 2001; Jamison,
Raymond, Slawsby, Nedeljkovic, & Katz, 1998)
Präferenzen für ein bestimmtes Opioid bei Rückenschmerzen liegen nicht vor.(Strumpf et
al., 2001)
Schofferman (1999) veröffentlichte eine Studie, die sich mit der Opioidtherapie bei
schweren therapieresistenten Rückenschmerzen auseinandersetzte. Er kam zur Erkenntnis,
51
dass eine Langzeitopioidtherapie für ein gut ausgewähltes Patientenklientel mit
Rückenschmerzen eine Alternative darstellt, wenn alle anderen Möglichkeiten der
Schmerztherapie versagt haben. Im Zuge eines etablierten, multimodalen und
interdisziplinären Behandlungskonzepts können nach intensiver Abklärung Opioide auch
langfristig bei Rückenschmerzen eingesetzt werden, vorausgesetzt der Patient spricht gut
auf die Opioidtherapie an. Vor allem starke morphologische Veränderungen wie
Wirbelsäulendeformierungen, inoperable Spinalkanalstenosen und nicht in den Griff zu
bekommende radikuläre Schmerzen stellen Indikationen für eine Opioidtherapie bei
Rückenschmerzen dar. Zurückhaltender sollten Opioide bei unkomplizierteren Fällen, wie
radikulär oder nicht radikulär ausstrahlenden Rückenschmerzen oder funktionellen
Störungen eingesetzt werden.(Strumpf et al., 2001)
3.3.3.2 Nebenwirkungen der Opioide
Da die Opioide schon sehr lange eingesetzt werden, sind ihre Nebenwirkungen gut
bekannt. Durch entsprechende Maßnahmen bzw. durch prophylaktische Gabe
entsprechender Arzneimitteln (z.B. Antiemetika), sind die Nebenwirkungen gut in den
Griff zu bekommen. Ein großer Vorteil ist, dass sie auch bei Langzeitapplikation, und das
können durchaus Jahre sein, kein Organ schädigen, wie das oft bei anderen
schmerzhemmenden Medikamenten der Fall ist. Besonders am Beginn einer
Opioidmedikation treten die häufigsten Nebenwirkungen auf: Nausea und Emesis.
Ebenfalls eine sehr frühe Nebenwirkung ist die Sedierung, die bei alten Menschen zu
Verwirrung und Halluzinationen führen kann. Durch langsame Dosissteigerung kann man
dem vorbeugen. Die gefürchtetste Nebenwirkung ist die Hemmung des Atemzentrums und
die daraus resultierende Atemdepression. Zu betonen ist, dass diese Nebenwirkung nicht
von der Dosis, sondern von der Anflutungsgeschwindigkeit abhängt. Verabreicht man
Opioide parenteral, erreichen die Analgetika sehr schnell das ZNS, was zu
lebensbedrohlichen Nebenwirkungen führen kann. Eine orale Applikation gewährleistet
eine langsamere Anflutung und ist somit die sicherere Option. (Beubler, 2012)
3.3.4 Co- Analgetika
In der Schmerzmedizin werden Co- Analgetika eingesetzt um den Effekt von
Schmerzmitteln zu verstärken. Darüber hinaus besitzen sie auch selbst teilweise eine
antinozizeptive Wirkung. Die Auswahl des Therapeutikums muss mit viel
52
Fingerspitzengefühl erfolgen und auf die individuelle Situation des Patienten abgestimmt
werden. Der Kliniker muss dabei sehr genau über die Wirkungen, Nebenwirkungen und
Wechselwirkungen des Therapeutikums Bescheid wissen. (Beubler, 2012)
3.3.4.1 Antidepressiva
Antidepressiva wirken durch eine Hemmung der Wiederaufnahme von Noradrenalin (NA)
und Serotonin (5-HT) im synaptischen Spalt. Sie sind als Neurotransmitter im
absteigenden, hemmenden Schmerzsystem beteiligt, wo sie die nozizeptiven Impulse
blockieren. Dieser Effekt setzt innerhalb weniger Tage ein und wird bereits durch niedrige
Dosen erreicht. In der Schmerztherapie finden sie ihre Anwendung vorwiegend bei
neuropathischen Schmerzen. Durch eine Kombination mit Opioiden und/oder NichtOpioiden kann eine analgetische Wirkung gesteigert werden und unter Umständen kann so
die Dosis des primären Analgetikums geringer gehalten werden. (Beubler, 2012)
Beim Bandscheibenvorfall mit radikulärer Symptomatik kommen Antidepressiva bei
Patienten mit chronischen Schmerzen zum Einsatz. (Stein et al., 2014) Gründe warum sie
eingesetzt werden sind:
 Häufig sind Rückenschmerzen mit Depressionen vergesellschaftet und die Therapie
mit Antidepressiva sollte die Stimmung aufhellen und gleichzeitig die
Schmerztoleranz anheben.
 Beim chronischen Schmerzsyndrom ist die Verbesserung der Schlafsituation, was
ebenfalls durch Antidepressiva gewährleistet wird, eine einfache aber effektive
Therapiemöglichkeit.
 Der analgetische Effekt. Bereits bei niedrigeren Dosen wirken sie analgetisch, erst
bei höheren Dosen entfaltet sich die antidepressive Wirkung.(Van Tulder et al.,
2006)
3.3.5 Glucocortikoide
Glucocortikoide sind Therapeutika mit einem breiten Einsatzspektrum, die auch in der
Schmerztherapie von sehr großer Bedeutung sind. Neben der antiödematösen und der
antiphlogistischen Wirkung, liegt auch eine allgemein roborierende, antiemetische und
psychostimulierende Wirkung vor. Ein häufiger Vertreter dieser Stoffgruppe ist
Dexamethason, welches mit einer hohen Initialdosis von 8mg/Tag, bei
Nervenwurzelkompressionen sogar mit einer Initialdosis von 12mg/Tag, begonnen werden
53
kann. Daraufhin sollte eine Ausschleichung erfolgen und die Dosis muss innerhalb einer
Woche auf ein möglichst niedriges Niveau von 2-4mg/Tag reduziert werden. (Beubler,
2012)
Stein et al. (2014) schreiben, dass die Wirkung oraler Kortikoide bei
Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik nicht sicher belegt ist. Finckh et al.
(2006) führten eine prospektive, randomisiert kontrollierte Studie durch, in der sie die
Kurzzeitwirkung von einem einmaligen intravenös applizierten Glucocortikoid bei
Patienten mit bandscheibenbedingten Ischiassyndrom untersuchten. Die Studie umfasste
60 Patienten, von denen 31 je 500mg Prednisolon appliziert wurde, 29 wurde als Placebo
eine Kochsalzlösung in die Vene verabreicht. Während der Studie erhielten alle
Teilnehmer eine standardisierte Therapie (NSAR, Tramadol, Paracetamol und
Physiotherapie). Ergebnisse wurden am ersten, zweiten dritten, am 10. und am 30. Tag
erhoben. Unter Anderem war die VAS eine der beurteilten Parameter. Am ersten Tag
ergab sich ein signifikanter Unterschied zu Gunsten der Kortison- Gruppe. An allen
weiteren Tagen konnten keine signifikanten Unterschiede beobachtet werden. Die Autoren
schlossen aus ihren erhobenen Erkenntnissen, dass eine intravenöse Singleshottherapie von
500mg Prednisolon eine vorübergehende Besserung für das bandscheibenbedingte
Ischiassyndrom bringt. Ein dauerhafter Vorteil konnte nicht festgestellt werden. (Finckh et
al., 2006)
3.3.6 Zentral wirkende Muskelrelaxanzien
Durch Angriff im Zentralnervensystem senken zentrale Muskelrelaxanzien den
Muskeltonus(Kuschinsky, Hackenthal, & Oberdisse, 1997). Der inhibitorische Effekt der
Gamma- Aminobuttersäure (GABA) wird verstärkt und hemmt somit die
Erregungsübertragung im Rückenmark (Beubler, 2007).
Beim Bandscheibenvorfall bzw. beim Rückenschmerz häufig eingesetzte Vertreter sind
Tizanidin, Tetrazepam und Tolperison.
Der Wirkungsmechanismus von Tizanidin ist nicht gesichert, wahrscheinlich erhöht es die
Wirkung des inhibitorischen Neurotransmitters Glycin, das zu einer Hemmung der
Erregungsausbreitung im Rückenmark führt.
Tetrazepam ist ein Benzodiazepin und wirkt muskelrelaxierend durch Verstärkung des
GABAA- aktivierten Chloridkanals. (Kuschinsky et al., 1997)
54
Tolperison hat eine ähnliche chemische Struktur wie Lokalanästhetika und sein
Angriffspunkt ist der spannungsabhängige Natriumkanal.
Stein et al. (2014) schreiben, dass Muskelrelaxanzien bei Bandscheibenvorfällen mit
Muskelverspannungen kurzfristig, begleitend zur medikamentösen Schmerztherapie,
eingestzt werden. Auch Börm et al. (2005) schreiben, dass Myotonolytika beim
Bandscheibenvorfall mit reaktiven Hartspann hilfreich sein können.
Darüber hinaus bestätigen die Bundesärztekammer (BÄK) et al. (2013) in ihrer „nationalen
Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz“, dass eine günstige Wirkung von Myotonolytika beim
Rückenschmerz bereits mehrfach belegt wurde.
Beim akuten Rückenschmerz kann ein zeitlich streng limitierter Einsatz von
Muskelrelaxanzien in Erwägung gezogen werden. Vorsicht ist vor allem bei
Benzodiazepinen geboten, eine Dauertherapie ist streng kontraindiziert. (Strumpf et al.,
2001)
Trotz allem soll die Therapie mit zentral wirkenden Muskelrelaxanzien mit großer
Vorsicht genossen werden, da die Möglichkeit des Missbrauchs besteht. Überdies sollten
sie nach individueller Nutzen- Risikoabsschätzung ausschließlich als Mittel zweiter Wahl
zum Einsatz kommen. (Stein et al., 2014)
3.4 Chirurgische Therapie
Da sich diese Diplomarbeit mit der konservativen Therapie beschäftigt, werden die
operativen Möglichkeiten nur angeschnitten.
Zu den absoluten Operationsindikationen zählt das Kaudasyndrom, signifikante und
progrediente Paresen und massive, medikamentös nicht in den Griff zu bekommende
radikuläre Schmerzen.
Beim standardisierten operativen Eingriff wird über eine interlaminäre Fensterung das
ausgetretene Bandscheibenmaterial, unter Schonung der Nervenstrukturen, dargestellt und
entfernt. Dadurch erreicht man eine mechanische Druckentlastung des Nervs.
Anschließend wird das gelockerte Bandscheibengewebe ausgeräumt. Befindet sich die
Diskushernie weit lateral, ist oft ein extraforaminaler Zugang möglich. (Börm et al., 2005)
Sowohl Weber (1982), als auch Peul et al. (2008) belegten in ihren Studien, dass die
chirurgische Therapie in der frühen Phase statistisch signifikante Vorteile zu Gunsten der
operierten Gruppe zeigt. Jedoch die erhobenen Daten zu den Langzeitergebnissen ergaben,
55
dass das Schmerzlevel, verglichen mit der konservativen Therapie, auf Dauer gesehen
keinen Unterschied aufweist.
56
4 Leitlinienalgorithmus
17: Leitlinienalgorithmus. Therapie Bandscheibenvorfall mit radikulärer Symptomatik.
Quellen: (Börm et al., 2005), (Stein et al., 2014), (Arbes-Sertl & Ammer, 2002)
57
5 Diskussion und Schlussfolgerung
Bevor auf die Kernfrage dieser Arbeit näher eingegangen wird, muss vorweg nochmals
betont werden, wie wichtig es ist, bei der Diagnosestellung richtig vorzugehen. Lumbale
Bandscheibenvorfälle stellen nur 5% der isolierten Rückenschmerzen dar (Börm et al.,
2005) und aufgrund von Unwissenheit werden immer wieder Patienten ohne radikulärer
Symptomatik zum CT/MR geschickt, um auf disloziertes Bandscheibengewebe untersucht
zu werden (Holland, 2007). Dazu kommt die unglückliche Situation, dass jenseits des 30.
Lebensjahres fast jede Wirbelsäule degenerative Veränderungen aufweist (Schmorl &
Junghanns, 1968). Das Resultat dieser Situation ist eine häufige Fehldiagnose und dieser
folgt eine nicht indizierte falsche Therapie.
Um es nochmals auf den Punkt zu bringen, ist es sehr wichtig eine genaue Anamnese zu
erheben. Passt diese zum Bild eines Bandscheibenvorfalles mit einer Radikulopathie, setzt
man die Untersuchung mit einem neurologischen Status fort. Passt auch dieser ins Bild der
Krankheit, veranlasst man eine Bildgebung, um der Ursache für den Rückenschmerz bzw.
für den ausstrahlenden Schmerz auf den Grund zu gehen. (Masuhr et al., 2013)
(Eine Ausnahme für dieses Vorgehen stellt die rein diskogene Schmerzentstehung, ohne
Radikolopathie dar. Siehe Kap.: ‚Die intradiskale elektrothermale Therapie (IDET/IDEA),
eine interventionelle Therapiemethode’)
Durch eine konservative Therapie können bis zu 90% der symptomatischen
Bandscheibenvorfälle beherrscht werden, weshalb eine entsprechende nicht- chirurgische
Behandlung als Therapie der Wahl anzusehen ist (Börm et al., 2005). Die Basis einer
erfolgreichen konservativen Therapie stellen Haltungsschulung, muskuläres Training,
Sport und insbesondere verhaltensmedizinische Maßnahmen dar (Strumpf et al., 2001).
Sind diese Vorgehensweisen aufgrund eines erhöhten Schmerzlevels nicht durchführbar,
werden Analgetika zur Schmerzsenkung eingesetzt. Dadurch erreicht man erstens einen
Durchbruch des Circulus vitiosus und zweitens werden dadurch die kurativen Maßnahmen
wie Physiotherapie und Bewegungstherapie erst ermöglicht. Wichtig ist, dass die
Schmerztherapie im Zuge eines multimodalen, interdisziplinären Therapiekonzepts,
welches auf die individuelle Situation des Patienten abgestimmt ist, verordnet wird (Stein
et al., 2014). Bei der Auswahl des Medikaments geht man nach dem WHO- Stufenschema
vor. Dabei sollte mit einem Nicht- Opioid- Analgetikum begonnen werden. Reicht die
schmerzhemmende Wirkung nicht aus, steigt man zur nächsten Stufe auf, einem
schwachen Opioid, und falls auch dieses nicht ausreichend ist, soll man auf die dritte Stufe
58
übergehen und starke Opioide verabreichen (Beubler, 2012). Je nach Schmerztyp
(nozizeptiv, neuropathisch oder mixed pain Syndrom) kann auch auf Co- Analgetika
zurückgegriffen werden (Stein et al., 2014), einerseits verstärken sie den Effekt des
primären Analgetikums und andererseits besitzen sie auch selbst teilweise eine
analgetische Wirkung. Nichts desto trotz müssen sie mit viel Fingerspitzengefühl und auf
die individuelle Situation des Patienten abgestimmt, eingesetzt werden(Beubler, 2012).
Parallel zur systemischen Analgesie bietet sich die (CT- gezielte) Infiltrationstherapie an.
Durch lokal eingebrachte Steroide und/oder Lokalanästhetika kann eine
Entzündungshemmung und eine Schmerzstillung erreicht werden. Es gibt unzählige
qualitativ hochwertige Studien mit überwiegend positiven Ergebnissen zur lokalen
Infiltrationstherapie bei Bandscheibenvorfällen, die eine Effektivität belegen.
Ein weiterer Pfeil im Köcher ist die systemische Applikation von Glucocortikoiden. Durch
eine Anflutung von bis zu 12mg Dexamethason verspricht man sich beim
Nervenwurzelkompressionssyndrom eine allgemein roborierende und vor allem eine
antiphlogistische Wirkung (Beubler, 2012). Eine prospektive, randomisiert kontrollierte
Studie belegt die Kurzzeitwirkung von Kortison beim bandscheibenbedingten
Ischiassyndrom. Dauerhafte Vorteile konnten in dieser Studie nicht festgestellt werden.
(Finckh et al., 2006)
Zentral wirkende Muskelrelaxanzien sind hilfreiche Medikamente, vor allem bei Patienten
mit reaktiven Muskelhartspann (Börm et al., 2005). Die günstige Wirkung von
Myotonolytika ist bei Rückenschmerzen schon mehrfach belegt (Bundesärztekammer
(BÄK) et al., 2013). Jedoch ist die Medikation mit Muskelrelaxanzien mit Vorsicht zu
genießen, da die Gefahr vor Missbrauch und Abhängigkeit besteht. (Strumpf et al., 2001;
Stein et al., 2014)
In einem Zeitrahmen von 6-8 Wochen sollte sich durch die konservative Therapie eine
deutliche Besserung einstellen. Ist das nicht der Fall, kann an eine Umstellung der
Therapie bzw. an eine operative Sanierung gedacht werden. (Börm et al., 2005) Die Ziele
sind eine Schmerzminderung, eine funktionelle Besserung, eine Stärkung der
Rückenmuskulatur und darauf basierend eine berufliche und soziale Reintegration(Stein et
al., 2014).
59
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