Diplomarbeit Konservative Schmerztherapie bei lumbalen Bandscheibenvorfällen eingereicht von Johannes Scharinger zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der gesamten Heilkunde (Dr. med. univ.) an der Medizinischen Universität Graz ausgeführt am Institut für experimentelle und klinische Pharmakologie unter der Anleitung von Univ. Prof. i. R. Mag. pharm. Dr. Eckhard Beubler Graz, 16.06.2015 Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Graz, am 16.06.2015 Johannes Scharinger eh i Danksagung An erster Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei meinem Betreuer, Herrn Univ. Prof. i. R. Mag. Pharm. Dr. Eckhard Beubler bedanken, der jederzeit für anfallende Fragen erreichbar war und somit eine verzögerungslose Vervollständigung meiner Arbeit möglich machte. Ich möchte mich bei Dipl. Ing. Dr. Jasmin Hauzenberger BSC ganz herzlich für die Beratung zur praktischen Durchführung einer wissenschaftlichen Arbeit bedanken. Ebenfalls geht ein großes Dankeschön an meine Eltern, die mich über meine ganze Studiendauer in jeglichen Belangen unterstützt haben. ii Zusammenfassung Die häufigste Ursache für eine radikuläre Schmerzausstrahlung stellt der Bandscheibenvorfall dar. Es wird geschätzt, dass 5% der Männer und 2,5% aller Frauen mindestens einmal in ihrem Leben davon betroffen sind. Dieser Review beschäftigt sich mit dem Thema des lumbalen Bandscheibenvorfalles und wickelt auf, warum der Bandscheibenvorfall in Zeiten des MRTs so häufig fehldiagnostiziert wird und wie die richtige Vorgehensweise bei der Diagnose der Diskushernie aussieht. Darüber hinaus wird erörtert, warum der Bandscheibenvorfall vorwiegend eine Erkrankung des mittleren Alters ist, obwohl nachgewiesen wurde, dass degenerative Bandscheibenveränderungen mit dem Alter zunehmen. Abschließend wird die klinisch relevante Kernfrage der Therapie besprochen. Aufbauend auf einer Literaturrecherche wurden wissenschaftlich fundierte Informationen herangezogen und dargelegt. Sowohl die nichtmedikamentöse als auch die medikamentöse Schmerztherapie spielen bei der Heilung des lumbalen Bandscheibenvorfalles eine Rolle. Dem Patienten sollte im Idealfall eine individuell abgestimmte, multimodale Therapie angeboten werden, welche durch ein interdisziplinäres Vorgehen zu einer sozialen und beruflichen Reintegration führt. iii Abstract The most common cause of radiculopathy is a herniated disc. An estimated 5% of men and 2.5% of women suffer from this condition at least once in their lives. This review focuses on the topic of the lumbar herniated disc and explores the reasons for common misdiagnosis in times of MRI application, as well as on the correct approach to diagnosis of spinal disc herniation. Furthermore, it is discussed why the spinal disc herniation is predominantly a disease of the middle-aged, even though degenerative changes in the lumbar disc have been shown to increase with age. Ultimately, the optimal therapy is discussed as the clinically relevant key question of this review. A thorough literature research was carried out and scientifically sound facts collected. Non-medicinal as well as medicinal forms of pain therapy play a role in curing spinal disc herniation. Ideally, a patient should be offered an individual, multimodal therapy which, through an interdisciplinary approach, will help with social and professional reintegration. iv Inhaltsverzeichnis Danksagung ii Zusammenfassung iii Abstract iv Inhaltsverzeichnis v Glossar und Abkürzungen vii Abbildungen und Tabellen viii Tabellenverzeichnis 1 Einleitung 9 1.1 Geschichte anatomischer Erkenntnisse der Wirbelsäule 1.2 Geschichte - Rückenschmerzen 10 1.3 Geschichte – Bandscheibenvorfall 10 1.4 Anatomie 12 9 1.4.1 Anatomie Wirbelsäule 12 1.4.2 Die Grundform eines Wirbels 13 1.4.3 Vertebrale Bandstrukturen 14 1.5 Anatomie und Biomechanik der Bandscheibe 15 1.6 Degenerative Erkrankungen der Bandscheiben – Ätiologie 17 1.7 Degenerative Erkrankungen der Bandscheibe – Pathologie 18 1.7.1 Pathologische Klassifikation 19 1.7.2 Beziehung Bandscheibe – Nerv 20 1.8 Klinisches Bild 21 1.8.1 Das Kaudasyndrom 22 1.8.2 Die Klinik der Bandscheibe selbst 22 1.9 2 Fehler! Textmarke nicht definiert. Diagnostik 22 1.9.1 Anamnese 22 1.9.2 Neurologische Untersuchung 23 1.9.3 Radiologische Diagnostik 26 1.9.4 Differentialdiagnosen 27 Der Schmerz beim Bandscheibenvorfall 2.1 Schmerz allgemein 2.1.1 2.2 Erfassung der Schmerzintensität Der Rückenschmerz 28 28 29 30 v 3 2.3 Die Schmerzentstehung beim Bandscheibenvorfall 32 2.4 Schmerzstärke vs. Neurologie 32 2.5 Schmerzklassifizierung bei der diskogenen Nervenwurzelkompression 33 Schmerztherapie 3.1 Therapie: Evidenz basierte Medizin 3.1.1 3.2 Evidenzklassen Konservative Schmerztherapie bei Bandscheibenvorfällen 34 34 35 36 3.2.1 Bewegungstherapie 37 3.2.2 Physiotherapie 38 3.2.3 Lokale Infiltrationstherapie 39 3.2.4 Psychologische Schmerztherapie 41 3.2.5 Die intradiskale elektrothermale Therapie (IDET/IDEA), eine interventionelle Therapiemethode 3.3 Medikamentöse Schmerztherapie bei Bandscheibenvorfällen 42 43 3.3.1 WHO Stufenplan 43 3.3.2 Nichtopioide Analgetika 44 3.3.3 Opioide 49 3.3.4 Co- Analgetika 52 3.3.5 Glucocorticoide 53 3.3.6 Zentral wirkende Muskelrelaxanzien 54 3.4 Chirurgische Therapie 55 4 Leitlinienalgorithmus 57 5 Diskussion und Schlussfolgerung 58 6 Literaturverzeichnis 60 vi Glossar und Abkürzungen ASR Achillessehnenreflex ASS Acetylsalicylsäure BSG Blutsenkgeschwindigkeit BSV Bandscheibenvorfall COX Cyclooxygenase CRP C- reaktives Protein CT Computertomographie EBM Evidenzbasierte Medizin ICF International Classification of Functioning, Disability and Healt. IDET/IDEA Intradiskale elektrothermale Therapie/ Intradiscal Electrothermal Annuloplasty ISG Iliosakralgelenk L1/L2/.../L5/S1 L1= erster Lendenwirbel usw./ S1= erster Sakralwirbel LWS Lendenwirbelsäule M./Mm. Musculus/ Musculi MR/MRI Magnetic Resonance Imaging N./Nn. Nervus/ Nervi NA Noradrenalin NSAR/NSAID Nichtsteroidale Antirheumatika/ non steroidal antiinflammatory drugs PGE2 Prostaglandin E2 PSR Patellarsehnenreflex St.p. Status post t- NSAR traditionelle Nichtsteroidale Antirheumatika T2- gewichtet T2 ist eine Kontrastdarstellung von MR- Bildern TPR Tibilalis posterior Reflex VAS visuelle Analogskala WHO World Health Oragnisation ZNS Zentralnervensystem 5- HT Serotonin vii Abbildungen, Tabellen und Graphiken 1: Skizzen von Leonardo da Vinci. ................................................................................................................................................ 9 2: Die Wirbelsäule in der Sagittalebene betrachtet. .......................................................................................................... 13 3: Aufbau eines Wirbels. ................................................................................................................................................................ 14 4: Der Wirbel mit Bandstrukturen. ........................................................................................................................................... 15 5: Die Lamellen der Bandscheibe ............................................................................................................................................... 15 6: Die physiologische Druckverteilung des Nucleus pulposus bei Extension und Flexion. .................................. 16 7: Sprengkraft vs. degenerative Veränderungen ................................................................................................................. 19 8: Einteilung nach Krämer. Protrusion, Prolaps, Sequester. Dislokationsgrade 1- 5. ........................................... 20 9: Nervenwurzelbedrängungen.................................................................................................................................................. 21 10: Typisches klinisches Bild zu den jeweiligen Nervenläsionen. .................................................................................. 25 11: CT- Bild. ........................................................................................................................................................................................ 27 12: Schmerzskalen. .......................................................................................................................................................................... 30 13: Schmerzgrade bei diskogener Wurzelkompression. Quelle: (R. Krämer et al., 2005) ................................... 34 14: Evidenzklassen. ......................................................................................................................................................................... 35 15: CT- gezielte epidurale Infiltration im Segment L5/S1. .............................................................................................. 41 16: Stufenschema zur Schmerztherapie beim Bandscheibenvorfall mit radikulärer Symptomatik in Anlehnung an die WHO. ................................................................................................................................................................ 44 17: Leitlinienalgorithmus. Therapie Bandscheibenvorfall mit radikulärer Symptomatik. ................................ 57 viii 1 Einleitung 1.1 Geschichte anatomischer Erkenntnisse der Wirbelsäule Der Ursprung der ersten anatomischen Erkenntnisse geht bis in die Antike zurück: Herophilus von Chalcedon (zirka 300 B.C.), als Vater der Anatomie bekannt, und später Galen von Pergamon (130- 200 A.D.) machten die ersten Beobachtungen des Nervensystems und der Wirbelsäule. Galen identifizierte die Zahl der Wirbelkörper in jedem Segment der Wirbelsäule und beschrieb das Ligamentum Flavum und die beiden Hirnhäute Dura- und Pia mater. Während des Mittelalters wurde kein Fortschritt in wissenschaftlichen Erkenntnissen über die spinale Anatomie gemacht. In der Renaissance lieferte Leonardo da Vinci(1453- 1519) wahrscheinlich die ersten genauen Beschreibungen der Wirbelsäule mit der korrekten Anordnung der Gelenke und genauen Anzahl an Wirbelkörpern. Leider veröffentlichte er nie seine anatomischen Zeichnungen und dadurch blieben seine Entdeckungen für Jahrhunderte unbekannt. 1: Skizzen von Leonardo da Vinci. Sie gelten als die ersten korrekten Beschreibungen der menschlichen Wirbelsäule. Quelle: (Boos & Aebi, 2008) 9 Andreas Vesarius (1514- 1564) galt als der erste Beschreiber der spinalen Anatomie im modernen Sinne. Mit der Veröffentlichung seines Buches De Humani Corporis Fabrica Libri Septi im Jahre 1543 wurde er zum Gründer der modernen Wirbelsäulenanatomie. In De Motu Animalium, geschrieben von Giovanni Alfonso Borelli (1608- 1680), einem Professor der Mathematik und der Vater der Biomechanik, wurde die Bandscheibe zum ersten Mal als viskoelastische intervertebrale Scheibe beschrieben. 1942 beschrieb der deutsche Anatome Josias Weitbrecht (1702- 1747) sein monumentales Werk über menschliche Bandstrukturen Syndesmologia Sive Historia Ligamentorum Corporis Humani, welches zum ersten Mal eine präzise Beschreibung der spinalen Bänder und Bandscheiben umfasst. (Boos & Aebi, 2008) 1.2 Geschichte - Rückenschmerzen Der Rückenschmerz ist bekannt seit es Niederschriften gibt. Der wahrscheinlich erste Bericht wurden in einem alten Text, dem so genannten Edwin Smith Surgical Papyrus gefunden, welcher auf das Jahr 1550v.C. zurückgeht. In den industrialisierten Ländern ist der Rückenschmerz heutzutage der zweithäufigste Grund für die Inanspruchnahme medizinischer Hilfe. Der Rückenschmerz macht 15% aller Krankenstände aus und ist der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit bei Personen unter 45 Jahren. Allerdings sind in geschichtlichen Büchern nur wenige Informationen über den Rückenschmerz zu finden.(Boos & Aebi, 2008) Waddle (1987) kommentierte: „At first glance, backache appears to be a problem only since World War II. At second glance, we realize that not back pain but back related disability became a medical problem at the end oft the last century“. 1.3 Geschichte – Bandscheibenvorfall Nach einem kurzen Bericht über vorgewölbte Bandscheiben von dem großen Pathologen Virchow 1858, publizierte der deutsche Pathologe Hubert von Luschka (1820- 1875) eine detaillierte und präzise Beschreibung einer dislokierten Bandscheibe in seiner Monographie The Half Joints of the Human Body. Er vermutete, dass diese Vorwölbungen von knorpeligen Auswüchsen des Nuceus pulposus ausgingen und nannte diese Vorwölbungen Anomalies of Intervertebral Discs. Luschka lieferte Beschreibungen von subligamentären und intraligamentären Auswölbungen von knorpeliger- gallertiger Masse, mit einem fortlaufenden 10 transligamentären Ausbruch. Dennoch blieb der wirkliche Ursprung dieser Protrusionen und der klinische Zusammenhang zum Ischiassyndrom noch für weitere 70 Jahre ungeklärt. Luschkas wissenschaftliche Publikationen und anatomische Fachbücher wurden zum Goldstandard dieser Zeit wegen deren klarer Darstellungen und deren exzellenten Zeichnungen. Christian George Smorl(1862- 1932), Leiter des pathologischen Instituts in Dresten studierte mehr als 5000 Wirbelsäulenpräperate. 1928 publizierte er zwei Fälle von halbkugeligen Vorwölbungen in den Wirbelkanal, welche er als accessorische Nuclei pulposi interpretierte. Erst 1929 gelang es Rudolf Andrae, dem Schüler von Schmorl, eine Arbeit mit dem heute geltenden anatomischen Wissen zu veröffentlichen. In seiner Arbeit „On Cartilage Node in the Posterior End of Intervertebral Disc Near by the Spinal Canal“ untermauerte er Schmorl’s Beobachtungen in dem er 56 ähnliche Fälle beschrieb. Darüber hinaus nahm er an, dass diese beobachteten Veränderungen von degenerativen Rupturen des Anulus fibrosus ausgingen, welche eine Extrusion oder Sequestrierung von Material des Nucleus pulposus zur Folge haben könnten. Auch wenn der pathophysiologische Mechanismus damit ans Licht gebracht wurde, blieb der Zusammenhang zum klinischen Bild noch unentdeckt. Mit dem Anbruch der neurologischen Diagnostik, vor allem der Kenntnisse über die Dermatome, wurden operative Maßnahmen in Erwägung gezogen. Am 23.12.1908 führte der deutsche Chirurg Fedor Krause(1857- 1937), der mit dem deutschen Neurologen Heinrich O. Oppenheim(1858- 1919) zusammenarbeitete, die erste Operation an einem Bandscheibenvorfall bei einem Patienten, der über mehrere Jahre an einem Cauda equina Syndrom litt, durch. Nach der Operation fühlte sich der Patient wesentlich besser und die neurologischen Probleme verschwanden. Krause und Oppenheim, gingen von der Lehre Luschka’s aus und nahmen an, dass ein Enchondrom für die ausgeprägte neurologische Klinik verantwortlich war. Im Jahre 1911 berichtete der amerikanische Mediziner Joel E. Goldthwait(1866- 1961) von einem Patienten, der an Schmerzen im Iliosakralgelenk litt. Der Patient unterzog sich einer Manualtherapie, welche folgend zu einem Cauda equina Syndrom führte. Beruhend auf diesem akuten Fall hielt er es für möglich dass eine herausgetretene Bandscheibe eine Erklärung für viele Fälle des Lumbago, des Ischiassyndrom und der Paraplegie sein könnte. Während derselben Zeit berichteten die beiden Ärzte George S. Middleton (1853- 1928) 11 und John H. Teacher (1869- 1930) von einem Fall eines Arbeiters, der während des Anhebens eines schweren Gegenstandes eine Verletzung erlitt, die ihn ganz plötzlich arbeitsunfähig machte.(Luque, 1982) Der Patient litt an einem Ischiassyndrom und an einer Paraplegie. Die Autoren gingen davon aus, dass eine akute Bandscheibenruptur die schweren klinischen Konsequenzen als Folge hatte. (Boos & Aebi, 2008) 1.4 Anatomie 1.4.1 Anatomie Wirbelsäule Die Wirbelsäule bildet das tragende Element des menschlichen Körpers und gilt als das bezeichnende Merkmal aller Wirbeltiere. Sie wird auch als Columna vertebrale bezeichnet, was irreführend ist, weil es sich keineswegs um eine starre Einheit, sondern ganz im Gegenteil um ein sehr bewegliches Gebilde handelt. Diese Knochengelenkskette setzt sich aus 24 Wirbeln zusammen die über 23 Bandscheiben (Disci intervertebrales) beweglich miteinander in Verbindung steht. Dabei dienen Bänder zur Stabilisierung und Muskeln ermöglichen die aktive Bewegung. Eine weitere Funktion ist das Abdämpfen von Stößen, welche durch die geschwungene Form der Wirbelsäule gewährleistet werden kann. Ähnlich wie bei einem Federstab können Unebenheiten abgedämpft werden und so der Kopf vor Stößen bewahrt werden. Zahlenmäßig setzt sich die Wirbelsäule aus 7 Halswirbeln, 12 Brustwirbeln, 5 Lendenwirbeln, dem Kreuzbein, welches aus 5 verschmolzenen Wirbeln besteht und dem Steißbein, welches rudimentär als Schwanzwirbelsäule noch vorhanden ist, zusammen. 12 2: Die Wirbelsäule in der Sagittalebene betrachtet. Quelle: (Schünke, Schulte, Schumacher, Voll, & Wesker, 2014) In der Sagittalebene betrachtet, also von der Seite gesehen, sieht man deutlich dass die Wirbelsäule eine doppel-S Form aufwirft. Dabei besteht eine Wölbung nach ventral in der Halswirbelsäule (Lordose), darauf folgt eine Krümmung nach dorsal (Kyphose) in der Brustwirbelsäule, welche eine geräumige Entfaltung der Lunge gewährleistet und in der Lendenwirbelsäule sehen wir wieder eine Lordose. Das Kreuz- und Steißbein schließen das ganze mit einer Kyphose ab. (Anderhuber, Pera, & Streicher, 2013), (Platzer, 2005) 1.4.2 Die Grundform eines Wirbels An dieser Stelle wird die Grundform eines Wirbels näher beschrieben, was für das weitere Verständnis der Krankheitsentstehung von Nöten ist. In der Horizontalebene betrachtet wird der am weitesten ventral liegende Anteil eines Wirbels als Corpus bezeichnet, da dieser Teil auch massenmäßig dem Rest des Wirbels überwiegt. Der Corpus ist Zylinderförmig und nach kranial und nach kaudal steht er mit den Bandscheiben in Verbindung. Gehen wir weiter nach dorsal schließt dem Corpus ein Bogen an, der Arcus vertebrae, welcher nach innen hin das Foramen vertebrale bildet. Dieses wiederum bildet in der Gesamtheit aller Wirbel den Wirbelkanal, welcher das Rückenmark mit seinen Hüllen aufnimmt. 13 Auffallend sind die nach dorsolateral abgehenden Querfortsätze (Processus transversi) und der nach dorsal anschließende Dornfortsatz, welche als Ansätze von Bändern und Muskeln dienen. Nach kranial und kaudal liegen dem Arcus noch die Processus articulares auf, welchen die Wirbelbogengelenke aufliegen. Diese Gelenke sind, ganz im Vergleich zu den Bandscheiben echte Gelenke, die mit meniscoiden Falten ausgestattet sind. Klinisch haben sie eine große Relevanz, da jene Gelenke ein häufiger Grund für Rückenschmerzen sind. (Anderhuber et al., 2013) 3: Aufbau eines Wirbels. Quelle: (Schünke et al., 2014) 1.4.3 Vertebrale Bandstrukturen Die Wirbelsäule wird in ihrer Form durch verschiedene Bandstrukturen gehalten. Das am weitesten ventral gelegene Band ist das Ligamentum longitudinale anterius, welches an der ventralen Seite entlang der Wirbelkörper verläuft. Während dieses nur eine lockere Verbindung mit den Bandscheiben eingeht gewährleistet das Ligamentum longitudinale posterior, das an der dorsalen Seite der Wirbelkörper verläuft, eine zusätzliche Stabiliserung der Disci intervertebrales. Ebenfalls an der Innenseite des Wirbelkanals, aber dorsal, finden wir die Ligamenta flava, welche die vertebralen Bögen miteinander verbinden. Die Ligamenta intertransversaria, interspinalia und das Ligamentum supraspinale verbinden die Quer- bzw. die Dornfortsätze. (Anderhuber et al., 2013) 14 4: Der Wirbel mit Bandstrukturen. Quelle: (Schünke et al., 2014) 1.5 Anatomie und Biomechanik der Bandscheibe Die Zwischenwirbelscheiben bestehen außen aus einem Anulus fibrosus, einem konzentrisch angeordneten Faserring, der 10 bis 15 konzentrisch aufeinanderfolgende verschraubte Schichten bildet.(Bild: Anatomie Benninghoff, S:428) 5: Die Lamellen der Bandscheibe Quelle: (Benninghoff & Drenckhahn, 2008) Die äußeren Lamellen sind mit der Compacta der Deckplatten des Corpus vertebrae verwachsen, tiefere Schichten gehen kontinuierlich mit dem knorpeligen Belag der Wirbelkörper über. Diese verschraubten Strukturen gewährleisten eine gute Hemmung von Torsionsbewegungen und Scherkräften. Im Inneren der Bandscheibe befindet sich ein Gallertkern, der Nucleus pulposus. Er weist einen hohen Wassergehalt auf und besteht zum größten Teil aus Glykosaminglykane (Anderhuber et al., 2013). Seine Funktion ist es Stöße und Schläge, vorwiegend entlang der Längsrichtung abzudämpfen. Kommt es zu einem Stoß, wirkt der Gallertkern wie ein nicht komprimierbarer Polster, der die Kräfte auf seine Umgebung gleichmäßig überträgt. 15 Der Druck wird sowohl auf die Deckplatten der darüber- bzw. darunterliegenden Wirbelkörper, also auch auf den Anulus fibrosus, übertragen. 6: Die physiologische Druckverteilung des Nucleus pulposus bei Extension und Flexion. Quelle: (Benninghoff & Drenckhahn, 2008) Die Bandscheiben versuchen also in ihrer Gesamtheit die Wirbelkörper auseinanderzuhalten und die Druck- und Scherkräfte gleichmäßig zu verteilen. Kommt es zu einer Beugung, wird der Zwischenwirbelraum an der konkaven Seite niedriger, der Druck wird durch den Nucleus pulposus gleichmäßig verteilt und der Gallertkern verschiebt sich zur konvexen Seite. Das heißt, dass auf der einen Seite der Faserring zusammengepresst wird und, dass er auf der anderen Seite gedehnt wird. In der Embryonalzeit und bis zum Ende des ersten Lebensjahres enthalten die Zwischenwirbelscheiben Blutgefäße, welche eine adäquate Versorgung mit Nährstoffen darstellen. Später wird der Knorpel hauptsächlich über Diffusion, vor allem durch die Deckplatten der Wirbelkörper, versorgt. Während der Nacht, also der Ruhephase füllt sich die Bandscheibe mit Wasser und Nährstoffen, was einen morgendlichen Größenunterschied von bis zu 3cm zur Folge haben kann. Während des Tages stehen die Bandscheiben unter Druck und der Wassergehalt des Nucleus pulposus verringert sich. Folglich haben wir eine Größenminderung im Vergleich zum Morgen. Aus diesem bradytrophen Soffwechselzyklus erklärt sich die sehr langsame Regeneration der Bandscheibe nach Schäden und Rupturen. (Benninghoff & Drenckhahn, 2008) Nach (J. Krämer, 1973) stellt die Zwischenwirbelscheibe eine ganz besondere Stoffwechselsituation dar. Es sind lange Wegstrecken zurückzulegen, semipermeable Membranen sind zu überwinden und nicht zuletzt sind die Bandscheiben ständig hohen 16 Drucken ausgesetzt. Diffusion alleine würde keine ausreichende Nährstoffversorgung gewährleisten können und würde frühzeitig zu degenerativen Veränderungen der Strukturen führen. Deshalb tragen folgende Kräfte zum Stoffwechsel bei: Osmotischer Druck Kolloidosmotischer Druck Hydrostatischer Druck Einer der wichtigsten versorgenden Faktoren stellt der wechselnde Belastungsdruck dar, der durch Beugung, Tragen und Heben gewährleistet wird. (J. Krämer, 1973) Die Bandscheibe steht mit dem darüber bzw. mit dem darunterliegenden Wirbelkörper in Verbindung und beteiligt sich als Halbgelenk an den Bewegungen der Wirbelsäule. Die weiter dorsal liegenden Facettengelenke vervollständigen die Interaktion zwischen den Wirbeln. (Anderhuber et al., 2013) 1.6 Degenerative Erkrankungen der Bandscheiben – Ätiologie Im Gegensatz zu 4 Beinern, deren Columna vertebrale sich in der Horizontalen befindet, ist die Wirbelsäule des Menschen wesentlich unvorteilhafteren Kräften ausgesetzt. Man kann sagen, dass degenerative Bandscheibenveränderungen eine Folge des aufrechten Ganges sind. Yamada (1962), sowie Wassilev & Dimova R. (1970) zeigten, dass Mäuse, denen die vorderen Extremitäten amputiert wurden, und somit zum aufrechten Gang gezwungen wurden, discale Degenerationen zur Folge hatten. Die Veränderungen im Nucleus pulposus, Anuslus fibrosus sowie in der knorpeligen Deckplatte führten die Wissenschaftler auf die axiale Belastung zurück. Während beim Menschen im Säuglingsalter noch Gefäße bestehen, die für eine ausreichenden Stoffwechsel sorgen, ändert sich das Bild schnell, sobald das Kind zu laufen beginnt. Durch die Orthostase steigt der intradiskale Druck rapide an und das Blut wird förmlich aus der Bandscheibe herausgedrückt. Die Gefäße kollabieren und bilden sich zurück. Von diesem Zeitpunkt an verändert sich der Metabolismus der Bandscheibe und die weitere Versorgung wird durch Diffusion gewährleistet. Die Zwischenwirbelscheiben stellen somit die größte nicht vaskularisierte Einheit im menschlichen Körper dar. J. Krämer (1986) beschreibt die Hauptursache der degenerativen Bandscheibenveränderungen beim Menschen als Folge der ausgeprägten Bradytrophie des Gewebes, unterstützt durch die unvorteilhaften mechanischen Einflüsse. Töndury (1968) 17 stellte bereits bei 4 jährigen Kindern mikroskopische Degenerationen der Bandscheiben fest. Nach Idelberger (1959) findet man bereits bei Jugendlichen Diskopathien. Schmorl & Junghanns (1968) stellten fest, dass jenseits des 30. Lebensjahres fast keine Wirbelsäule gefunden werden kann, die keine degenerativen Veränderungen aufweist. Hanraets (1959) gelang es, eine familiäre Häufung nachzuweisen. 1.7 Degenerative Erkrankungen der Bandscheibe – Pathologie Aufgrund der unvorteilhaften Stoffwechsellage und der physikalischen Druckverhältnisse verändert sich auch die chemische Zusammensetzung der Bandscheibe. Unter der unzureichenden Energieversorgung leidet die Qualität des Gewebes. Histologische Untersuchungen zeigen, dass Fibroblasten Fasern und Grundsubstanz unzulänglicher Qualität bilden. In weiterer Folge kann es zu konzentrischen Spalten und zu radiären Fissuren kommen. Aufgrund der Druckverhältnisse tritt der Nucleus pulposus aus seiner zentralen Position aus und fließt durch die rupturierten Schichten des Anulus fibrosus hindurch. Bei diesem Prozess spielt der Quelldruck des Gallertkerns eine wesentliche Rolle. Bei jungen Patienten und überraschenderweise auch bei Patienten mittleren Alters(zwischen dem 30. Und 50. Lebensjahr) konnte ein wesentlich höherer Quelldruck gemessen werden als bei alten Patienten. (J. Krämer, 1973) Vor allem das Missverhältnis eines rupturierten Anulus fibrosus und einem hohen Quelldruck von Seiten des Nucleus pulposus führt zu der ungünstigen Situation, welche leicht zu einem Vorrutschen von Bandscheibengewebe führt. Jenes Missverhältnis erklärt, warum junge bzw. Patienten mittleren Alters klinisch auffälligere Beschwerden zeigen als Personen des hohen Alters. Obwohl Miller, Schmatz, & Schultz (1988) zeigen konnten, dass degenerative Bandscheibenveränderungen mit dem Alter korrelieren, nehmen Ausmaß und Häufigkeit der prolaps- und protrusionsbedingten Beschwerden ab, weil die Sprengkraft, und somit der Ausdehnungsdruck des Nucleus Pulposus nachlässt. 18 7: Sprengkraft vs. degenerative Veränderungen 1) degenerative Veränderungen der Bandscheibe korellieren mit dem Alter. 2) Die Sprengkraft des Gallertkerns nimmt mit dem Alter rapide ab. 3) Das Missverhältnis hohe Sprengkraft + degenerativer Faserring wird im mittleren Alter am häufigsten vorgefunden. Quelle: (J. Krämer, 1973) In den meisten Fällen tritt nicht nur der Gallertkern aus, sondern wir finden auch Anteile des Anulus Fibrosus und der Knorpelplatte, weswegen der Begriff Bandscheibenvorfall besser passt als Nucleus- pulposus- Prolaps. Destruiertes Zwischenwirbelgewebe ist durch Risse und Einbrüche charakterisiert. Als Folge beschreibt Töndury (1958) eine Einsprossung von Gefäßen und die Bildung von lockerem Narbengewebe, welches von der Spongiosa der Wirbelkörper ausgeht. Spondylotische Randzacken entstehen im Laufe der Zeit und führen zur nötigen Stabilisation. Eine damit verbundene Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes wird beobachtet. (J. Krämer, 1986) 1.7.1 Pathologische Klassifikation Morphologisch unterscheiden wir die Protrusion vom Prolaps. Bei der Protrusion sind einige der inneren Schichten des Anulus Fibrosus rupturiert, jedoch es sind zumindest die äußeren Lamellen noch intakt. Der Gallertkern geht den Weg des geringsten Widerstandes und drängt das Gewebe in die eingerissene Richtung aus seiner ursprünglichen Position heraus. Es kommt zu einer Vorwölbung der Bandscheibe, jedoch mit einem mehr oder weniger gut erhaltenen Anulus Fibrosus. (R. Krämer, Herdmann, & Krämer, 2005) Im Gegensatz dazu sind bei einem Bandscheibenvorfall (Prolaps) sämtliche Schichten des Faserringes eingerissen und der Nucleus pulposus tritt aus seinem ursprünglichen Beet heraus.(Steiger & Reulen, 2006), (Moskopp & Wassmann, 2005) Des weitern können Bandscheibendegenerationen in 5 Dislokationsgrade eingeteilt werden. Wobei Grad 1-2 einer Protrusion entsprechen. Appliziert man in diesem Fall Kontrastmittel in den Gallertkern, bleibt es vom Faserring umschlossen und fließt nicht in den Epiduralraum ab. Im angloamerikanischen Sprachraum wird an dieser Stelle der 19 Begriff „Contained Disc“ bzw. „Bulging Disc“ verwendet. Beim Dislokationsgrad 3 ist der Faserring durchbrochen, es handelt sich um einen Prolaps, jedoch ist das ausgetretene Gewebe in diesem Fall noch von der sog. ventralen epiduralen Membran bedeckt(Ludwig, 2003). Wird in diesem Fall eine Diskographie durchgeführt, kommt es zu einem typischen Verteilungsmuster des Kontrastmittels im subligamentären Raum. Ist auch das hintere Längsband perforiert spricht man von einem sequestrierten Bandscheibenvorfall, wobei bei einem Dislokationsgrad 4 noch eine Verbindung zum restlichen Bandscheibengewegbe besteht. Beim Dislokationsgrad 5 befindet sich Bandscheibengewebe frei im Epiduralraum und man spricht von einem freien Sequester. Führt man in diesem Stadium eine Kontrastmittelinjektion in die Bandscheibe durch, kann man beobachten, wie sich das Kontrastmittel frei im Epiduralraum verteilt. (R. Krämer et al., 2005) 8: Einteilung nach Krämer. Protrusion, Prolaps, Sequester. Dislokationsgrade 1- 5. Quelle: (R. Krämer et al., 2005) 1.7.2 Beziehung Bandscheibe – Nerv Tritt das Bandscheibengewebe aus seinem ursprünglichen Zwischenwirbelbereich hervor kann es in der Horizontaleben nach lateral, nach paramedial oder nach medial heraustreten. In der Sagitalebene betrachtet gibt es die Möglichkeiten, dass das Gewebe supradiskal, diskal oder infradiskal wandert. Je nach Lokalisation des Vorfalles können in 20 verschiedensten Ebenen Nerven bedrängt werden. (R. Krämer et al., 2005) Aufgrund der Lagebeziehungen der Bandscheiben zu den vorbeiziehenden Nerven wird beim Prädilektionsort einer Diskushernie meist die auf dem nächstuntern Niveau austretende Wurzel komprimiert. Das heißt, dass bei einem Bandscheibenvorfall L3/L4 meist die Nervenwurzel L4 komprimiert wird. (Mumenthaler & Mattle, 2008) 9: Nervenwurzelbedrängungen. 1) paramedialer, discaler Prolaps im Segment L3/L4 mit Bedrängung des L4 Nervs 2) lateraler, supradiscaler Prolaps im Segment L4/L5 mit Bedrängung der Nervenwurzel L4. 3) Medialer, discaler Prolaps. Quelle: (Mumenthaler & Mattle, 2008) 1.8 Klinisches Bild Der Patient mit einem lumbalen Bandscheibenvorfall präsentiert sich in der Vorgeschichte praktisch immer mit früheren Hexenschüssen, eventuell auch mit schon früheren „IschiasBeschwerden“. Ursprungsort der Symptome ist meist der Rücken, von welchem auch häufig eine Blockierung der Bewegungen ausgeht. Als Auslösung berichten die Patienten oft von einem Hebemanöver oder einer Anstrengung in gebückter oder rotierter Haltung. Zeitlich nach dem lokalen Schmerz folgt eine radikuläre Schmerzausstrahlung ins Bein oder in den Fuß, welche konstant lokalisiert werden kann. Typisch ist dabei ein positiver Husten- und Pressschmerz. Zusätzlich kommen Sensibilitätsstörungen zustande, welche oft mit einem Kribbeln oder einem tauben Gefühl beschrieben werden. Als Diagnostiker kann man sich die Schmerzlokalisation für die Höhendiagnostik zu nutze machen. 21 Die motorischen Schwächen werden eher seltener vom Patienten subjektiv wahrgenommen, da diese oft durch andere Muskelgruppen oder durch veränderte Bewegungen kompensiert werden können. Fragt man jedoch gezielt nach, ob der Patient beim Treppensteigen Probleme hätte, wird einem das oft bestätigt. (Mumenthaler & Mattle, 2008), (Masuhr, Masuhr, & Neumann, 2013) 1.8.1 Das Kaudasyndrom Das Kaudasyndrom wird durch ein akutes Geschehen ausgelöst, meist durch ein Trauma, welches zu einer Querschnittserscheinung in der Höhe der Cauda equina führt. Es kann durch eine Fraktur, häufig aber auch durch ein massives Austreten einer Bandscheibe ausgelöst werden. Das Kaudasyndrom wird in dieser Diplomarbeit nur randständig behandelt, da es sonst den Rahmen sprengen würde. Als klinisches Bild präsentiert sich der Patient mit einer schlaffen Lähmung der unteren Extremität mit Störungen aller sensiblen Qualitäten, meist unter massiven Schmerzen. Typisch ist die Reiterhosenanästhesie, mit Miktionsstörungen, Defäkationsstörungen und Sexualfunktionsstörungen. (Mumenthaler & Mattle, 2008) Das Kaudasyndrom stellt eine akute Operationsindikation dar, da es sonst zu bleibenden neurologischen Störungen kommen kann.(Moskopp & Wassmann, 2005) 1.8.2 Die Klinik der Bandscheibe selbst Ob die Bandscheibe selbst durch Rupturen zu Schmerzen führen kann ist bis heute noch nicht ganz geklärt. Im Inneren der Bandscheibe selbst konnten keine Rezeptoren die zur Schmerzentstehung beitragen gefunden werden, am dorsalen Anteil jedoch schon. Direkt angrenzend an den Diskus Intervertebralis finden wir das hintere Längsband welches als sehr gut innerviert gilt und welches eine Schmerzentstehung erklären würde. (J. Krämer, 1973) 1.9 Diagnostik 1.9.1 Anamnese Um eine richtige Diagnose stellen zu können ist die Anamnese eines der wichtigsten Elemente, dabei sollte auf jeden einzelnen Punkt der im Unterpunkt ‚klinisches Bild’ 22 erwähnt wird, eingegangen werden. Das Einsetzten und der Verlauf des Krankheitsgeschehens, vor allem auf Hinblick auf Paresen und Schmerzen, spielen eine größere Rolle als bildgebende Verfahren. Grundsätzlich gilt, dass der Druck, der auf den Nerv ausgeübt wird mit der Stärke des Schmerzes korreliert, bis schlussendlich das betroffene Gebiet anästhetisch wird. Schmerzcharakter und Ausstrahlung unterliegen ständig einem unkontrollierbaren, willkürlichen Wechsel. Anfangs sind die Schmerzen lokal begrenzt, später ziehen sie in den Glutealbereich, können sich zu einem Ischiasschmerz entwickeln und schließlich reichen sie bis zum Ende der Extremität. Auf das Dermatom bezogen beginnen die Symptome oft proximal und strahlen später bis ans Ende des Dermatoms aus. Eine Schmerzverstärkung bei Bauchpresse und Husten ist typisch, muss aber nicht vorhanden sein. Der Schmerzcharakter weist eine sehr große Bandbreite auf, die Intensität jedoch wird meist als sehr heftig empfunden. Manchmal entwickeln sich in den Dermatomen Areale auf denen der Schmerz ganz besonders unerträglich empfunden wird, man spricht dann von so genannten „Schmerzinseln“. Die gezielte Frage über Miktionsstörungen, Mastdarmstörungen bzw. Defäkationsstörungen sind Teil einer vollständigen Anamnese. (R. Krämer et al., 2005) 1.9.2 Neurologische Untersuchung Trifft man bei der neurologischen Untersuchung auf eine Auffälligkeit, setzt man das Anamnesegespräch fort und versucht sich so sein klinisches Bild zu erweitern. Über die neurologischen Status hinaus sollte die Untersuchung aus Inspektion und Palpation bestehen. Differentialdiagnosen werden dabei in Betracht gezogen werden.(R. Krämer et al., 2005) Folgende neurologische Vorgehensweise sollte Aufschluss über den betroffenen Nerv geben: 1. Sensibilität im Seitenvergleich prüfen. Grundlage für die Durchführung dieser Untersuchung ist die Kenntnis über die Dermatome der unteren Extremität. Für die grobe Sensibilitätsprüfung können einfache Hilfsmittel wie die Finger oder die Rückseite des Reflexhammers herangezogen werden. (R. Krämer et al., 2005) 2. Grobe Kraft. Überprüfung der Kraftgrade (nach Janda). Die Flexoren als auch die Extensoren werden in ihrer Kraft überprüft und mit der Gegenseite verglichen. Vor 23 allem die Kennmuskeln spielen hier eine wesentliche Rolle(Mumenthaler & Mattle, 2008).: M. adductor longus, brevis, magnus L2 M. Quadriceps Femoris L3/L4 M. extensor hallucis longus L5 M. triceps surae S1 Die Fußheber- und Fußsenkerfunktion lässt sich auch sehr gut im Stehen prüfen indem man den Patienten einmal auf den Zehenspitzen stehen bzw. gehen lässt, und einmal auf den Fersen. Entsprechend der Kennmuskeln wäre bei einer L5 Läsion der Fersengang nicht oder nur bedingt möglich. Liegt eine S1 Schwäche vor, täte sich der Patient beim Zehenspitzengang schwer. Wobei man betonen muss, dass der M. triceps surae einer polysegmentalen Innervation unterliegt und deswegen wird die S1 Minderinnervation schnell kompensiert. Auch eine Atrophie der Wadenmuskulatur kann auf die Minderinnervation hinweisen(R. Krämer et al., 2005). 3. Überprüfung der Reflexe. Ist ein Reflex abgeschwächt kann dies ein Hinweis auf eine periphere Nervenschädigung sein. Die wichtigsten Reflexe(Masuhr et al., 2013): Patellarsehnenreflex L3/L4 Tibialis posterior Reflex L5 Achillessehnenreflex S1 4. Unabdingliche neurologische Tests sind die Nervendehnungszeichen. Aufgrund der durch die Nervenbedrängung entstandenen Reizung ist der Nerv sehr sensibel gegenüber Dehnung. Häufig resultieren daraus Schonhaltungen. Das Lasègue Zeichen: Der Patient liegt flach auf dem Rücken und der Untersucher beugt das Bein in der Hüfte, wobei das Knie nicht abgewinkelt wird. Durch diese Bewegung wird der N. Ischiadicus gedehnt. Löst dieses Manöver ab einem Winkel von 45° einen Schmerz in der Lendenwirbelsäule aus, ist der Test positiv. Bei einem gesunden Patienten erscheint typischerweise ein Ziehen in der Kniekehle. Dieser Test gilt als hoch sensitiv und ist bei Läsionen in den Segmenten L4S2 positiv. 24 Das umgekehrte Lasègue Zeichen oder Femoralisdehnungsschmerz. Bei diesem Test wird eine Dehnung im N. femoralis provoziert. Der Patient liegt am Bauch und der Untersucher provoziert noch zusätzlich eine Extension im Hüftgelenk bei gebeugtem Knie. Dieser Test ist ebenfalls bei einem stechenden Schmerz an der Ursprungsstelle positiv und ist ein Hinweis auf eine Läsion in den Segmenten L3/L4. Physiologisch verspürt der gesunde Patient ein Ziehen entlang des M. quadriceps femoris. (Masuhr et al., 2013) 10: Typisches klinisches Bild zu den jeweiligen Nervenläsionen. Segment, Kennmuskel, Reflex, Dermatom Quelle: (Masuhr et al., 2013) 25 Entsprechend des betroffenen Nervensegments kann in weiterer Folge eine Bildgebung angefordert werden, um die Ursache der Nervenbedrängung zu spezifizieren. Differentialdignostisch können Tumore, Frakturen, Wirbelgleiten und Spinalkanalstenose ähnliche Symptome auslösen. 1.9.3 Radiologische Diagnostik Zur radiologischen Erstdiagnose ist das Nativröntgen in 2 Ebenen unentbehrlich. Dabei werden Fehlstellungen, Anomalien, sowie degenerative Knochenveränderungen ausgeschlossen. Im Röntgen kann die Bandscheibe selbst nicht dargestellt werden, jedoch indirekte Zeichen wie Höhenminderung und Fehlhaltung können auf degenerative Veränderungen hinweisen. Die bildgebenden Verfahren CT und MRT sind beide für die Beurteilung von Bandscheibenveränderungen gut geeignet und erlauben eine adäquate Beurteilung von destruiertem Bandscheibengewebe. Im CT werden in sagittaler Ebene Schichten von 3mm dargestellt, dabei lässt sich das Bandscheibengewebe deutlich vom liquorgefülltem Subarachnoidalraum und vom epiduralem Fettgewebe abgrenzen. Das MRT hat den großen Vorteil, dass Nerven in der T2-gewichteten Sequenz dargestellt werden können ohne dass Kontrastmittel appliziert wird. Das heißt, dass das MR sowohl die Bandscheibe als auch den bedrängten Nerv darstellen kann. Zusätzlich ist der Patient bei der Magnetresonanz keiner Strahlenbelastung ausgesetzt. (Reiser, Kuhn, & Debus, 2011) 26 11: CT- Bild. Überweisungsbefund: Patient mit Lumboischialgie li. und ausgeprägter S1- Symptomatik. Radiologischer Befund: Im Segment L5/S1 ist ein li. medio-lateraler etwas nach caudal reichender Discusprolaps mit deutlicher Duralsackkompression zu sehen. Die li. Nervenwurzel S1 wird deutlich von ventral bedrängt. Ausgetretenes Gewebe mit roten Pfeilen markiert. Quelle: Klinischer Fall Bei der Radiologischen Diagnostik muss jedoch betont werden, dass die Bildgebung nur der morphologischen Ursachensuche dient. Ohne einer entsprechenden neurologischen Klinik besteht keine Indikation den Patienten auf ausgetretene Bandscheiben zu untersuchen. Leider wird in Zeiten der modernen Bildgebung viel zu leichtfertig ein Patient auf einen Bandscheibenvorfall untersucht. Der Grund dafür ist ein mangelndes Wissen über die Klinik und über die Diagnose des Bandscheibenvorfalls. Früher, als CT und MR noch nicht existierten, wurde die Diagnose Bandscheibenvorfall viel seltener gestellt, da man bei der Bildgebung auf die Diskographie angewiesen war, ein Verfahren, bei dem mittels Kontrastmittel und Röntgen der Austritt des Nucleus pulposus festgestellt werden konnte. Die Diagnose war sowohl für Patient, als auch für Diagnostiker viel aufwändiger und man überlegte sich besser, welche Klinik wirklich durch ein ausgetretenes Bandscheibengewebe ausgelöst werden konnte. (Holland, 2007) 1.9.4 Differentialdiagnosen Differentialdiagnostisch finden sich zum einen lokale Rückenschmerzsyndrome wie das Facettensyndrom, welches durch eine Abnutzung im gleichnamigen Gelenk ausgelöst wird, ebenso kann eine Iliosakralgelenkarthrose zu ähnlichen Symptomen führen. Das Heimtückische daran ist, dass es bei den erwähnten Diagnosen ebenfalls zu Ausstrahlungen ins Bein kommen kann, jedoch folgt die Ausstrahlung nicht den Dermatomen und bei genauer neurologischer Untersuchung passt das klinische Bild nicht zu einer Nervenwurzelbedrängung. (Wirth & Mutschler, 2009) Myalgien können im unteren Rücken und im Gesäß ein ähnliches Bild zeigen, jedoch folgen die Ausstrahlungen in diesem Fall den Myotomen und nicht den Dermatomen. Sehr schwierig zu differenzieren hingegen ist das Piriformis- Syndrom, bei dem eine Hypertrophie oder eine Verspannung des M. Piriformis zu einer Nervenkompression im Glutealbereich führt. Folglich ergibt sich eine neurologische Auffälligkeit und ein sehr ähnliches Bild wie bei einem Bandscheibenvorfall(Anderhuber et al., 2013). Ist der Untersucher bei der physikalischen Untersuchung nicht genau genug und es kommt der 27 unglückliche Zufall dazu, dass der Patient in einem dazu passenden Segment eine Protrusion aufweist, kann es häufig zu der Fehldiagnose Bandscheibenvorfall kommen. Ebenfalls zu den Differentialdiagnosen zählen natürlich alle nervenbedrängenden Erkrankungen wie Spinalkanalstenose, Tumore und Wirbelgleiten, welche jedoch durch eine Bildgebungen sehr gut zu differenzieren sind. 2 Der Schmerz beim Bandscheibenvorfall 2.1 Schmerz allgemein Der Schmerz wird von der International Association fot the Sudy of Pain (IASP 1979) folgendermaßen definiert: „Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit tatsächlicher oder potentieller Gewebsschädigung einhergeht oder von betroffenen Personen so beschrieben wird, als wäre eine solche Gewebeschädigung die Ursache.“ Der Schmerz stellt einen essentiellen Teil unserer Existenz dar, ohne den ein dauerhaftes Überleben nicht notwendig wäre. Der Schmerz liefert Signale für äußere(z.B. physikalische/chemische) und innere Reize(z.B. Entzündungen und Infektionen), welche uns auf potentielle Gewebsschädigungen aufmerksam machen können. (Wasner & Heskap, 2014) Nach seinem zeitlichen Auftreten kann man den Schmerz in akut, subakut und chronisch einteilen. Klassisch ist der akute Schmerz auf eine Dauer von bis zu 6 Wochen definiert, der subakute bewegt sich im Zeitrahmen von 6- 12 Wochen und der chronische Schmerz dauert 12 Wochen und länger. Für den Rückenschmerz jedoch sind andere zeitliche Einteilungen geeigneter. Die DEGAM- Leitlinie (2003) teilt den Rückenschmerz zeitlich folgendermaßen ein: Akut: neu aufgetretene Rückenschmerzen. Dauer bis zu 12 Wochen Subakut oder mittelfristig: wenn im letzten Halbjahr die Schmerzen weniger als der Hälfte der Tage aufgetreten sind. Chronisch: wenn im letzten Halbjahr Schmerzen an mehr als der Hälfte der Tage bestanden. Rezidivieren: wenn Rückenschmerzen nach einem 6 monatigen symptomfreien Intervall erneut auftreten.(Baron, Koppert, Strumpf, & Willweber-Strumpf, 2013) Jedoch um die Dynamik des Schmerzgeschehens und somit auch die prognostische Relevanz genauer zu spezifizieren, wird der Schmerz nicht nur zeitlich eingeteilt sondern 28 auch nach den zugrunde liegenden pathologischen Mechanismen in nozizeptiv und neuropathisch. Nozizeptiv: Stimulation der Nozizeptoren wird durch Schädigung von Gewebe ausgelöst, dadurch kommt es zu einer Schmerzweiterleitung und bei intaktem Nervensystem führt dies zu einer Schmerzentstehung. Die Schmerzcharakteristika können dumpf, ziehend, bohrend oder nagend sein. Dem gegenübergestellt wird der neuropathische Schmerz, bei welchem der Nerv selbst geschädigt ist und so zu einem Schmerzsymptom führt. Entsprechend der Anatomie findet sich hier der Schmerz häufig entlang eines Deramtoms. Der Schmerzcharakter wird häufig als schneidend, stechend, brennend oder reißend beschrieben. Parallel dazu können auch Empfindungsstörungen wie Parästhesien, Allodynien und Hyperalgesien auftreten.(Wasner & Heskap, 2014) 2.1.1 Erfassung der Schmerzintensität Der Schmerz stellt bei vielen Krankheiten und auch beim Bandscheibenvorfall ein sehr wichtiges Symptom dar. Schlussendlich ist der Schmerz jener Faktor, der den Patient dazu bewegt zum Arzt zu gehen. Bis heute ist es jedoch noch nicht gelungen Schmerz zu objektivieren. Als Kliniker ist man also auf die Aussagen des Patienten angewiesen, nur so kann eine Schmerzeinschätzung erfolgen. Um das jedoch zu vereinfachen wurden Skalen entwickelt. Die visuelle Analogskala(VAS): Es handelt sich dabei um eine Linie mit zwei Endpunkten welche mit den Begriffen „kein Schmerz“ und „stärkster vorstellbarer Schmerz" bezeichnet sind. Dem Patienten wird diese Skala vorgelegt um seinen Schmerzzustand auf der Linie zu markieren. Bei der numerischen Schätzung wird der Patient darum gebeten die Schmerzstärke mithilfe der Zahlen von 0-10 zu schätzen. (Baron et al., 2013) Für Kinder gibt es noch Smiley Skalen, die vom lachenden bis zum traurigen Smiley reichen, sie können ab dem dritten Lebensjahr angewandt werden(Beubler, 2007). 29 12: Schmerzskalen. Verbale Rating-Skala, Visuelle Analogskala, Numerische Rating-Skala, Smiley Skala. Quelle: (Beubler, 2007) 2.2 Der Rückenschmerz Wichtig ist vorwegzunehmen, dass der Rückenschmerz ein Symptom ist und keine Diagnose. Man teilt den Rückenschmerz in den spezifischen (klassifizierten) und den unspezifischen (nichtklassifizierten) Rückenschmerz ein. Während sich beim ersteren eine eindeutige Ursache finden lässt, gibt es beim unspezifischen keine eindeutige Erklärung für den Schmerz. Zu betonen ist, dass in nur 15% der Fälle ein spezifischer Rückenschmerz vorliegt, das heißt andererseits, dass bei 80- 90% keine pathoanatomische Veränderung gefunden werden kann(Koes, van Tulder, & Thomas, 2006). Ebenfalls zu den unspezifischen Schmerzen zuzuteilen sind die Funktionsstörungen, zu denen das ISG- Syndrom, das Facettensyndrom und die muskuläre Dysbalance zählen. Jene Diagnosen sind klinisch, jedoch nicht durch Bildgebung nachweisbar.(Baron et al., 2013) Um den spezifischen Rückenschmerz nicht zu übersehen, wurden die so genannten Red Falgs entwickelt, welche als Warnhinweise fungieren. Liegen jene vor, muss der Ursache unbedingt noch mit weiteren Methoden, wie zum Besipiel einer Bildgebung, auf die Spur 30 gegangen werden. Baron et al.(2013) unterteilen sogar noch in rote und in dunkelrote Flaggen: Dunkelrote Flaggen: Conus-/Cauda-equina-Syndrom: Reithosenanästhesie, Blasen-, Mastdarmschwäche, beidseitige Ischialgie. Hinweise auf spinalen Abszess, Spondylodiscitis: Vorangegangene Wirbelsäulen- OP, erhöhte Entzündungsparameter(CRP, BSG), Fieber, bestehender Infekt, Klopfschmerz über dem Dornfortsatz. Rückenmarkschädigung durch Wirbelkörperfraktur: akute Symptomatik mit dazu passendem Trauma. Ausgeprägte Parese durch Wurzelkompression Rote Flaggen: Alter: Das Alter der erstmals aufgetretenen Rückenschmerzen beträgt <20 oder >50Jahre. Begleitende Grunderkrankung: Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Neoplasien, Osteoporose, Infektionskrankheiten, AIDS, Immunsuppressiva, Gefäßerkrankungen. Gewichtsverlust nicht gewollter Natur Fieber St.p. Wirbelsäulen- OP Nervenwurzelkompressionssyndrom (Baron et al., 2013). Da der Rückenschmerz ein großes Potential zur Chronifizierung aufweist wurden die so genannten Yellow Flags entwickelt. Jene gelten ebenfalls als Warnhinweise und signalisieren dem Kliniker eine mögliche Entwicklung zu einem chronischen Schmerzgeschehen. Yellow Flags: Arbeitsunfähigkeit >4 Monate Niedriger sozioökonomischer Status Niedrige Zufriedenheit in der Arbeit Psychische und soziale Probleme Depressive Störung Wie hier eindeutig herauszulesen ist sind die gelben Flaggen überwiegend Elemente des Anamnesegespräches. Die Patientenführung und die Kommunikation bieten daher eine 31 wesentliche Grundlage einer zielführenden Diagnostik. (Standl, Schulte am Esch, Treede, Schäfer, & Bardenheuer, 2010) 2.3 Die Schmerzentstehung beim Bandscheibenvorfall Beim Bandscheibenvorfall kommt es im Wesentlichen durch zwei pathophysiologische Prozesse zur Schmerzentstehung: Zum einen wird durch die lokale Nervenkompression ein neuropathischer Schmerz ausgelöst, der sich mit seinen Symptomen präsentiert und der typischerweise bei Traumen akut auftritt (z.B. Caudasyndrom). In diesem Fall tritt dann ein radikulärer Schmerz auf. In Extremfällen kann es zu Querschnittssyndromen kommen. (Diener & Maier, 2012) Zum anderen entstehen durch die Kompression lokale Entzündungsprozesse, die durch Entzündungsmediatoren aus prolabiertem Bandscheibengewebe hervorgerufen werden(Standl et al., 2010). Dabei löst die Entzündung an den lokalen Nn. nervorum nozizeptive Schmerzen aus (R. Krämer et al., 2005). Standl et al. (2010) erklären sich die Schmerzentstehung im Sinne des Mixed- Pain- Erklärungsmodells, bei dem beide Komponenten, nämlich der neuropathische als auch der nozizeptive Schmerz eine Rolle spielen. Meist geht dem Ganzen noch ein Muskelhartspann einher, der zu einer fixierten Stellung zur Wirbelsäule führt und der für einen beginnenden Circulus vitiosus verantwortlich ist (Diener & Maier, 2012). Der Schmerz führt zu einer Muskelverspannung, welche zu einer Inaktivität führt. Dadurch können sich die Schmerzen wiederum verstärken. Der Teufelskreis ist komplett. Krämer schreibt, dass das Schmerzgeschehen beim Diskusprolaps großen Schwankungen unterliegt. Verantwortlich dafür ist, neben den schon erwähnten Faktoren, eine mögliche Verlagerung des Prolaps nach supra- bzw. infradiskal(vor allem beim Vorliegen eines Sequesters). Folglich kann es zu erneuerlichen Nervenwurzelbedrängungen kommen. Ebenfalls Liquordruckänderungen und venöse Druckänderungen durch Niesen oder durch Pressen führen zu Schmerzverstärkungen. (R. Krämer et al., 2005) 2.4 Schmerzstärke vs. Neurologie Bei einer ausgeprägten Nervenkrompression stehen die Schmerzen für den Patienten im Mittelpunkt. Sie unterliegen schwer zu beeinflussenden Schwankungen und können mitunter sehr intensiv sein, dabei fallen Sensibilitätsstörungen, Muskelschwächen, Bewegungseinschränkungen und Fehlhaltungen für den Betroffenen eher in den 32 Hintergrund. Andererseits ist für den Kliniker die Schmerzintensität schwer zu objektivieren und zur Diagnosestellung sind Reflexdifferenzen, dermatombezogene Hypästhesien im Seitenvergleich und Muskelschwächen wichtigere klinische Faktoren als der Schmerz. (R. Krämer et al., 2005) 2.5 Schmerzklassifizierung bei der diskogenen Nervenwurzelkompression Schmerzintensität bei Nervenkompressionen durch ausgetretenes Bandscheibengewebe lässt sich nach Krämer in drei Schmerzgrade einteilen: Schmerzgrad 1: die geringste Form einer diskogenen Bedrängung führt zu mäßigen Schmerzen, die Ausstrahlung kann pseudoradikulär oder entlang des Dermatoms auftreten. Vor allem nach Belastung kann es zu einer Schmerzintensivierung kommen. Die Stärke des Schmerzes bewegt sich im unteren Drittel der visuellen Analogskala (VAS). Der Patient kommt meist ohne Analgetika aus. Schmerzgrad 2: Beim Schmerzgrad 2 bewegt sich der Patient vorwiegend im mittleren Drittel der visuellen Analogskala(VAS). Ausreißer nach oben oder nach unten kommen vor. Meist kommt der Patient in seiner mittelgradigen Schmerzlage nicht ohne Analgetika aus. Vor allem durch längeres Sitzen oder längeres Stehen wird der Schmerz noch zusätzlich provoziert. Schmerzgrad 3: Patienten des Schmerzgrades 3 unterliegen starken, unerträglichen Schmerzen. Das Schmerzniveau teilen sie überwiegend im oberen Drittel der VAS ein. Die Schmerzen sind permanent vorhanden auch ohne Belastung. Viel Ruhe in Kombination mit lang und stark wirksamen Analgetika kann das Schmerzniveau auf das mittlere Drittel senken. 33 13: Schmerzgrade bei diskogener Wurzelkompression. Quelle: (R. Krämer et al., 2005) Während des Krankheitsverlaufes kann das Schmerzniveau Schwankungen durchlaufen, welche von den täglichen Belastungen abhängig sein können. Gibt man dem Patienten eine Schmerzskala zur Schmerzobjektivierung, ist er dazu angehalten die Schmerzintensität täglich einzutragen. (R. Krämer et al., 2005)(Anderhuber et al., 2013) 3 Schmerztherapie 3.1 Therapie: Evidenz basierte Medizin Um dem Patienten ein bestmögliches Therapieergebnis zu gewährleisten ist es sinnvoll mit Therapien nachgewiesener Wirksamkeit zu arbeiten. Dazu wird die so genannte Evidenz basierte Medizin (EBM) angeboten, wobei der Begriff ‚Evidenz’ in diesem Zusammenhang nicht ganz stimmt. Aufgrund einer falschen Übersetzung von einer der ersten Publikationen dieses Themas im Jahre 1995 setzte sich der Begriff jedoch trotzdem durch. Während im Englischen das Wort ‚evidenz’ ‚Beweis’, ‘Beleg’, ‚Hinweis’ bedeutet, bedeutet es im Deutschen ‚Offensichtlichkeit’. Es wurde versucht die Bezeichnung ‚nachweisorientierte Medizin’ einzuführen, dies setzte sich aber nicht durch und so wird nach wie vor die sinnesgemäß falsche Bezeichnung Evidenz basierte Medizin verwendet. (Gauger, 2011) Grundsätzlich bedeutet EBM, dass die Therapiemethode auf die beste zur Verfügung stehende wissenschaftliche Erkenntnis bezogen ist. Die Grundidee von wissenschaftlich begründbaren Handlungen veröffentlichte Archie Cochrane im Jahre 1972 in seinem Buch "Effectiveness and Efficiency: Random Reflections on Health Services" und legte somit den Grundstein von EBM.(Shah & Chung, 2009). Um auf das Thema dieser Arbeit zurückzukommen soll EBM den Kliniker dabei unterstützen dem Patienten die bestmögliche Therapie anbieten zu können. Therapieziele werden im Vorhinein definiert und ein ausführliches Therapiekonzept erstellt. Dabei 34 stehen dem praktizierenden Arzt Guidelines und wissenschaftliche Arbeiten zur Verfügung mit welchen er auf dem wissenschaftlich aktuellsten Stand arbeiten kann. Findet man eine Therapie mit hohem Empfehlungsgrad, bedeutet das nicht automatisch, dass diese allen anderen Maßnahmen überlegen ist. Studien beziehen sich auf ganz konkrete Fragestellungen welche meist einen Vergleich mit anderen Studien nicht zulassen. Nur bei expliziten Aneinanderstellungen zweier Methoden kann eine Überlegenheit einer Methode festgestellt werden und in das Therapiekonzept miteinbezogen werden. (Börm et al., 2005) 3.1.1 Evidenzklassen Um die Signifikanz einer wissenschaftlichen Arbeit beurteilen zu können wurden die sogenannten Evidenzklassen eingeführt, mit welchen die Aussagekraft klinischer Studien erfasst werden kann. Höher eingestufte Klassen sollten dabei den Kliniker bekräftigen klinische Herausforderungen zu lösen. Grundsätzlich gilt: je höher die Evidenzklasse einer Studie, desto breiter ist ihre wissenschaftliche Basis. Der Leser sollte bei der Beurteilung der Studienqualität jedoch folgende Punkte berücksichtigen: Die Evidenzklasse spiegelt nur eine grobe Abschätzung der Studienqualität wieder. Randomisierte klinische Studien sind nicht immer umsetzbar, und somit ist es nicht möglich für alle klinischen Situationen Evidenzklasse I zu gewährleisten. Auf der anderen Seite heißt das, dass Studien niedrigere Evidenzklassen oft trotzdem von großer Wertigkeit sind. Die Rahmenbedingungen lassen nur oft keine höhere Evidenzklasse zu. (Wright, Swiontkowski, & Heckman, 2003) 14: Evidenzklassen. Quelle: (Wright et al., 2003) 35 Um diese Thematik der Evidenzklassen auf die Therapie des Bandscheibenvorfalls zu übertragen zeigen z.B. die Evidence-Based Clinical Guidelines of Multidisciplinary Spine Care der North American Spine Society eine exzellente Evidenz für die epidurale Steroid Infiltration. Es wurde eine prospektive randomisierte kontrollierte Studie, bei der transforaminale Kortisoninjektionen in Verbindung mit einem Lokalanästhetikum mit anderen Infiltrationen verglichen wurden, durchgeführt. Das Ergebnis war statistisch relevant und die Experimentalgruppe verzeichnete am deutlichsten Verbesserungen in Funktionsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit. Bei diesen Rahmenbedingungen ist es möglich mit einer sehr guten Evidenzklasse zu arbeiten, da die Situation es erlaubt eine Kontrollgruppe zu bilden, denen z.B. Placebo gespritzt wird. Andererseits schreibt dieselbe Guideline von einer prospektiven randomisierten kontrollierten Studie, bei welcher die Effektivität von aktiver Bewegungstherapie untersucht wird. Dabei wurden 60 Patienten mit einer diskogenen Radikulopathie in ein Cross-Over-Design eingebunden. Patienten der Gruppe A führten vier Wochen lang Übungen durch, wobei sich die Therapie auf Rumpfstabilisation bezog. Nach diesen 4 Wochen folgte eine weiter vierwöchige Phase ohne Therapie. Patienten der Gruppe B pausierten in den ersten 4 Wochen und erhielten dieselbe Therapie in den zweiten vier Wochen. Signifikante Unterschiede vor allem auf der visuellen Analogskala (VAS) zeigten sich nach den ersten 4 Wochen. Nach dem Crossover, also nach 8 Wochen zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Diese Studie hat, im Vergleich zur ersteren erwähnten Studie, eine niedrige Evidenzklasse, obwohl auch zweitere von hoher Qualität ist. Die Tatsache, dass es unmöglich ist der Kontrollgruppe eine Physiotherapie als Placebo „vorzuspielen“ lässt keine höhere Evidenzklassifizierung zu. (Dougherty et al., 2011) 3.2 Konservative Schmerztherapie bei Bandscheibenvorfällen Abgesehen von den absoluten Operationsindikationen (siehe Kaudasyndrom), können 90% der BSV durch eine konservative Therapie in den Griff bekommen werden. Die Therapieziele sind eine Schmerzminderung, eine funktionelle Besserung, und darauf folgend eine Stärkung der Rückenmuskulatur.(Börm et al., 2005) 36 Anschließend sollte eine berufliche Reintegration gewährleistet sein (Stein, Greitemann, & Bork, 2014). Im Zeitraum von 6-8 Wochen erwartet man sich eine deutliche Besserung. Vor allem eine Minderung der Schmerzen sollte erzielt werden. Ist das nicht der Fall, kann an ein operatives Vorgehen gedacht werden, da eine Schmerzchronifizierung unbedingt verhindert werden sollte. Darüber hinaus sollte eine Weiterführung konservativer Therapien bei einem Schmerzpatienten kritisch betrachtet werden (siehe yellow flags). (Börm et al., 2005) Arbes-Sertl & Ammer (2002) schreiben, dass für die konservative Therapie des Bandscheibenvorfalls die Pathomorphologie eigentlich irrelevant ist. Überdies appellieren sie einen Paradigmenwechsel: das biopsychosoziale Modell von Krankheit und Schmerz sollte mehr in die Therapie einfließen, während die Pathomorphologie von geringerer Bedeutung ist. (Arbes-Sertl & Ammer, 2002) 3.2.1 Bewegungstherapie Ein wesentlicher therapeutischer Teil der bandscheibenbedingten Rückenschmerzen ist die Bewegungstherapie. Definiert ist sie als „ärztlich indizierte und verordnete Bewegung, die vom Fachtherapeuten geplant, dosiert, gemeinsam mit dem Arzt kontrolliert und mit dem Patienten alleine oder in der Gruppe durchgeführt wird.“ Initiiert ist sie bei Einschränkung der funktionalen Fähigkeiten. Ziel ist eine Wiederherstellung der muskulären Balance durch Einschulung in gesundheitsorientierte Verhaltensweisen und damit der Aufbau einer dauerhaften Gesundheitskompetenz. Die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health. Eine Klassifikation der WHO) definiert für die Bewegungs- und Sporttherapie drei Zielbereiche: a. Wiedererlangung der Leistungsfähigkeit und der Belastbarkeit, b. Einschulung in den Umgang mit Rückenschmerzperioden, c. Einführung in ein körperlich aktives Leben, soziale und berufliche Reintegration. (Stein et al., 2014) Van Tulder, Koes, & Malmivaara (2006) vergleichen in ihrem Review die Effizienz von Aktiv sein mit Bettruhe bei Rückenschmerzen. Dabei zeigte eine hoch qualitative Studie, dass der Ratschlag aktiv zu sein signifikante Besserungen in Funktionalität und Krankenstandsdauer ergab, verglichen mit der Empfehlung 2 Tage Bettruhe einzuhalten. Noch dazu zeigte sich eine Signifikanz in der Schmerzreduktion, zu Gunsten der aktiven 37 Gruppe. (Frank & Evans, 1997) Es gibt nur eine Studie, die die Effizienz von Rückenschule mit Placebo vergleicht. Sie zeigt bessere Kurzzeitergebnisse für die Rückenschulen. Es wurden keine Langzeitstudien gefunden, die sich mit dieser Thematik beschäftigt haben. (Van Tulder et al., 2006) Stein et al. (2014) schreiben, dass nach einer Bandscheibenoperation 4-6 Wochen nach dem Eingriff eine Bewegungstherapie schneller zu einer Schmerzminderung führt als eine Nachsorge ohne Bewegung. Überdies führen intensivere Trainingsprogramme schneller zu einer Schmerzreduktion als Programme von geringerer Intensität. Postoperativ liegen keine Evidenzen vor, dass durch aktive Bewegungstherapie erneut das Risiko für eine chirurgische Bandscheibensanierung besteht. (Stein et al., 2014) Eine weitere Studie, die bereits im Unterpunkt Evidenzklassen erwähnt wurde, umfasste 60 Patienten mit lumbalen Bandscheibenvorfällen. Gruppe A, welche aus 30 Personen bestand, bekam 4 Wochen lang aktive Stabilisationsübungen für die LWS, nach diesen 4 Wochen pausierte Gruppe A und Gruppe B begann in der 5. Woche der Studie ebenfalls mit denselben Übungen über einen Zeitraum von 4 Wochen. Signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen ergaben sich nach den ersten 4 Wochen zu Gunsten der aktiven Gruppe. Nach 8 Wochen konnte keine Signifikanz mehr zwischen bed beiden Gruppen festgestellt werden. Die Augenmerke der Ergebnisse lagen unter anderem auf der VAS und dem Bewegungsausmaß des Rumpfes. (Dougherty et al., 2011) 3.2.2 Physiotherapie Das Therapieprinzip der Physiotherapie hat in der Behandlung von Rückenschmerzen einen sehr wesentlichen Stellenwert. Insbesondere durch systematische und aktive Krankengymnastik kann ein Therapiekonzept, welches möglichst viele schmerzmodulierende Behandlungsverfahren integriert, erreicht werden. Der Patient wird dabei in ein rückenfreundliches Alltagsverhalten, in krankengymnastische Übungen und in Selbstbehandlungstechniken eingeschult. Ziel ist es die Rumpfmuskulatur zu stärken und die Körperhaltung zu verbessern. Folglich werden die Gelenke mit den Bandscheiben und Bandstrukturen gestützt und den plötzlich schmerzauslösenden Wirbelsäulenbewegungen kann somit vorgebeugt werden. In einem Teil der Therapie sollte der Patient über den theoretischen Hintergrund und über den möglichen Krankheitshergang informiert werden. Dabei wird dem Betroffenen ein Einblick in die Anatomie, in die Physiologie und in die Klinik des Bewegungsapparates 38 gewährt. Auf dieser Information basierend wird der Patient in ein gezieltes Training eingeschult. Neben aktiven Übungen des Patienten selbst, sind auch passive Bewegungsübungen Teil der Physiotherapie. Dabei wird das Gelenk durch den äußeren Einsatz von Kräften(Therapeut) bewegt, der Patient bleibt passiv. Ausgehend von der Nullstellung kann so das Gelenk in alle Achsen bis zum Punkt des Widerstandes oder des Schmerzes durchbewegt werden. Durch Dehnungsübungen oder durch Krankengymnastik kann der Bewegungsumfang vergrößert werden. (Diener & Maier, 2012), (Stein et al., 2014) Thackeray, Fritz, Brennan, Zaman, & Willick (2010) führten eine prospektivrandomisiert- kontrollierte Studie durch, bei der das therapeutische Ergebnis von Physiotherapie nach Nervenwurzelblockade durch periduraler Infiltration und Nervenwurzelblockade ohne Physiotherapie miteinander verglichen wurden. Das Patientenklientel umfasste 44 Patienten mit bandscheibenbedingten Kreuzschmerzen und Ischiassyndrom. 21 davon erhielten eine Nervenwurzelblockade plus Physiotherapie, welche sich unter anderem aus Stärkung, Dehnung, Stabilisation und aus Ausdauertraining zusammensetzte. Das Resultat wurde nach 6 Monaten erhoben und es wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und der Versuchsgruppe gefunden. (Thackeray et al., 2010) 3.2.3 Lokale Infiltrationstherapie Das Prinzip der Infiltrationstherapie besteht in einer Schmerzstillung und einer Entzündungshemmung direkt am Ursprungsort der Schmerzentstehung. Der bedrängte Nerv entwickelt eine Entzündung welche zu Schmerzen führt. Lokanästhetika, Steroide oder beides können durch lokale Infiltration eingebracht werden und so die erregten Nozizeptoren ausschalten. Der Circulus vitiosus wird durch die vorübergehende Schmerzminderung unterbrochen, dabei kann eine Schmerzstillung über die physiologische Wirkungsdauer der eingebrachten Wirkstoffe hinausgehen. Dies ist insbesondere bei wiederholten Applikationen der Fall. Zu erwartende Wirkungen: Nervenerregbarkeit wird herabgesetzt Schmerzminderung Lokale Perfusionssteigerung Desensibilisierung. 39 Durch das Lokalanästhetikum werden primär die afferenten Fasern blockiert (was dem therapeutischen Ziel entspricht), erst bei höherer Dosierung könnte man auch eine vollständige Anästhesie und Paralyse erreichen. Diese wäre jedoch nicht von therapeutischem Nutzen. In der Praxis werden also die Afferenzen ausgeschaltet, was bedeutet, dass der Patient motorisch weitgehend unauffällig beleibt, während eine Schmerzausschaltung erreicht wird. (Stein et al., 2014) Es gibt unzählige Ergebnisse aus qualitativ hochwertigen Studien zu epiduralen Injektionen bei Bandscheibenvorfällen, mit vorwiegend positiven Ergebnissen. Ghahreman, Richard, & Bogduk (2010) führten eine randomisierte- kontrollierte Studie durch, welche die Effektivität von transforaminalen Infiltrationen beurteilt. Dabei wurden Injektionen mit Steroiden in Kombination mit Lokalanästhetika, Lokalanästhetika alleine, Kochsalzlösung alleine, intramuskuläre Injektionen mit Steroiden und einmal intramuskuläre Injektionen mit Kochsalzlösung bei Patienten mit einer Radikulopathie miteinander verglichen. Ein Monat nach der Therapie erlebten 54% der Gruppe der transforaminalen- epiduralen Steroidinjektionen einen radikulären Schmerznachlass von mehr als 50%. Verglichen mit den oben genannten Vergleichsgruppen gilt dieses Ergebnis als statistisch signifikant. Zusätzlich zeigte die Experimentalgruppe Verbesserungen in Funktionalität und körperlicher Einschränkung. Patienten, die nach der ersten epiduralen Steroidinjektion noch keine wesentliche Besserung verspürten, wurde eine zweite Infiltration derselben Art angeboten. Daraufhin erlangten 50%, jener, die eine zweite Injektion bekamen eine Besserung. Zusätzlich ergab diese Studie, dass eine transforaminale Steroidinjektion bei einer Radikulopathie effektiver ist, als eine intramuskuläre Injektion desselben Präparates. Es wurden keine konkreten Komplikationen der epiduralen Infiltrationstherapie identifiziert. (Ghahreman et al., 2010) Während im niedergelassenen Bereich Infiltrationen meist ohne Bildgebung erfolgen bietet die Radiologie CT- gezielte Injektionstechniken an. Dabei wird mittels Kontrastmittel die genaue Lokalisation der Injektion kontrolliert und somit kann eine genaue epidurale Lokalisation der Wirkstoffe gewährleistet werden. Renfrew et al. (1991) führten eine Studie durch, bei der sie die epidurale Treffsicherheit der nicht CT- gezielten Infiltrationen bei 328 Patienten untersuchten. Einige der Patienten litten unter bandscheibenbedingten Radikulopathien. Diese Studie ist von Evidenzklasse I und ergab, dass 47%- 62% der „blind“ durchgeführten Injektionen auch wirklich treffen. (Renfrew et al., 1991) 40 Eine ähnliche Studie führten Mehta & Salmon (1985) durch. Ihre Ergebnisse zeigten, dass in 17% der Fälle die Injektionen komplett oder teilweise außerhalb des Spinalkanals landeten. Zu betonen ist, dass die Bandbreite an Diagnosen in dieser Studie breit gefächert war. Auch diese Studie ist von Evidenzklasse I und ergab, dass 83% der blinden interlaminären Injektionen korrekt platziert wurden. (Mehta & Salmon, 1985) 15: CT- gezielte epidurale Infiltration im Segment L5/S1. Indikation: bandscheibenbedingte Radikulitis der Nervenwurzel S1. Deutlich zu sehen ist die Kontrastmittelverteilung im Spinalkanal. Mitte oben ist die Führung der Kanüle von dorso- lateral zu sehen. Quelle: Klinischer Fall 3.2.4 Psychologische Schmerztherapie Das früher geltende rein biomedizinische Krankheitsverständnis hat in den letzten Jahren einen Wandel erlebt und vor allem chronischen Schmerzsyndromen wird heute ein biopsychosoziales Schmerzmodell zugeschrieben. Dabei setzt sich der Schmerz aus einer komplexen Interaktion aus psychologischen, psychogenen und sozialen Faktoren zusammen. Vor allem bei einer Chronifizierung wird das Symptom zur Krankheit und oft ist die ursprüngliche organische Ursache gar nicht mehr feststellbar. Durch einen interdiziplinären Behandlungsansatz lassen sich auch psychosoziale Anteile des Schmerzes identifizieren und behandeln. Die Schmerzpsychotherapie hat ihren Ursprung überwiegend in der Verhaltenstherapie. 41 Für diese Therapie ist eine zur Beurteilung der Evidenz ausreichende Studienlage verfügbar. Im Gegensatz dazu liegen der Psychoanalyse und der Psychosomatik weniger gute Wirksamkeitsbelege zu Grunde. (Diener & Maier, 2012) Ziel der psychologischen Schmerztherapie ist eine Veränderung der schmerzbezogenen Kognitionen wie z.B. Entkatastrophisieren und Emotionen wie Depressivität und Angst in den Griff zu bekommen. Dadurch soll eine Entkoppelung von Schmerz und Stress erreicht werden. Bei der bandscheibenbedingten Radikulopathie wird so in der subakuten Phase einer Schmerzchronifizierung vorgebeugt. Reicht die Schmerzdauer über einen Zeitraum von 12 Monaten hinaus, ist das Ziel eine Verringerung der Beeinträchtigung auf kognitiver, emotionaler und auf behavioraler Ebene. (Stein et al., 2014) 3.2.5 Die intradiskale elektrothermale Therapie (IDET/IDEA), eine interventionelle Therapiemethode Die intradiskale elektrothermale Therapie ist ein minimal invasives Verfahren, welches die Lücke zwischen konservativer Therapie und Operation schließt. Dabei wird mithilfe einer Kanüle eine flexible Wärmesonde in den Anulus fibrosus eingebracht und erhitzt. (Hess, 2005) Bis heute ist das Wirkungsprinzip der Therapie noch nicht ganz geklärt. Karasek & Bogduk (2001) vermuten, dass die Therapie auf folgenden Wirkungsprinzipien beruhen: durch eine Schrumpfung der Kollagenfasern durch eine Verödung der intradiskalen Nozizeptoren durch eine Veränderung des chemischen Milieus. Bis heute liegen klinische Ergebnisse randomisierter, doppelblinder und placebokontrollierter Studien vor, welche einen Effekt der Therapie belegen. Indikation: Zu betonen ist, dass die IDET nicht bei einem radikulären Schmerzsyndrom indiziert ist. Ganz im Gegenteil, bevor die Therapie angeordnet wird muss eine Radikulopathie ausgeschlossen werden und eine diskogene Schmerzursache belegt sein. Durch mechanische Belastungen kann eine Degeneration zum Einwachsen von Nozizeptoren in der Bandscheibe führen und in weiterer Folge Schmerzen verursachen. Wichtig ist die Diagnose „diskogenes Schmerzsyndrom“ zu sichern. Dies geschieht durch eine genaue Anamnese. Häufige klinische Bilder sind pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung, jedoch 42 keine Monoradikulitis und keine neurologischen Ausfälle. Ebenfalls wichtig in der Diagnose ist das MR, in welchem eine High-Intensity-Zone auf eine interne Bandscheibenruptur hinweisen kann (Lam, Carlin, & Mulholland, 2000). 3.3 Medikamentöse Schmerztherapie bei Bandscheibenvorfällen Ist das Schmerzniveau des Patienten unter einem gewissen Level reicht es den Patienten mit Bewegungstherapie, Physiotherapie und Sporttherapie zu therapieren. Sind diese Maßnahmen jedoch durch ein erhöhtes Schmerzlevel nicht durchführbar ist eine medikamentöse Schmerzsenkung unabdingbar. Grundsätzlich ist bei der medikamentösen Schmerztherapie der Pathomechanismus der Entstehung der Schmerzen von großer Bedeutung: Liegt ein nozizeptiver, ein neuropathischer Schmerz oder ein mixed-pain-Syndrom vor? Alle drei Schmerzarten können beim Bandscheibenvorfall bzw. beim Rückenschmerz auftreten und müssen in die Entscheidungstreffung über die medikamentöse Therapie einfließen. (Stein et al., 2014) 3.3.1 WHO Stufenplan Für die medikamentöse Schmerztherapie gibt es Richtlinien, welche 1982 von einem Gremium an Experten erarbeitet wurde. In Anlehnung darauf veröffentlichte die WHO 1986 den Stufenplan. Der Stufenplan beschreibt, dass bei der Schmerztherapie grundsätzlich mit einem Nicht-Opioid-Analgetikum begonnen werden soll, wirkt dieses unzureichend, steigt man zur nächsten Stufe auf, mittels einem schwachen Opioid, und falls auch dieses nicht ausreichend ist, soll man auf die dritte Stufe übergehen und starke Opioide verabreichen. Zusätzlich besagt das Stufenschema, dass im Falle von stärkeren Schmerzen nicht auf ein Medikament derselben Stufe zurückgegriffen werden darf, man soll stets auf die nächste Stufe aufsteigen. (Beubler, 2012) Zusätzlich können je nach Schmerztyp Co-Analgetika eingesetzt werden. Primär wirken sie nicht analgetisch, können jedoch in Kombination mit den jeweiligen Schmerzpräparat die schmerzhemmende Wirkung unterstützen. Bei der Wahl des Medikaments muss auf die individuellen Risiken (Begleiterkrankungen, Alter, Allergien), die Zulassung des Medikaments sowie auf dessen Nebenwirkungsprofil geachtet werden. (Stein et al., 2014) 43 16: Stufenschema zur Schmerztherapie beim Bandscheibenvorfall mit radikulärer Symptomatik in Anlehnung an die WHO. Quellen: (Stein et al., 2014), (Dougherty et al., 2011), (Beubler, 2012) 3.3.2 Nichtopioide Analgetika Nichtopioide Analgetika gehören zu den weltweit am meisten verschriebenen und eingenommenen Arzneimitteln. Dem gegenübergestellt ist (vor allem bei Dauermedikation) ein breites Nebenwirkungsspektrum und deshalb soll die Verordnung kritisch betrachtet werden. Im WHO Stufenschema gelten daher folgende Regeln: die Arzneimitteln sind ausschließlich in der Normaldosierung zu verwenden, das Kombinieren von Substanzen derselben Gruppe ist verboten. Mit der einzigen Ausnahme des Flupirtin, ist diesen Substanzgruppen gemeinsam, dass sie die Cyclooxygenase (COX) und somit die Bildung von proinflammatorischen Prostaglandinen hemmen. (Beubler, 2012) 44 3.3.2.1 Saure, antiphlogistisch- antipyretische Analgetika Diese Stoffgruppe wird häufig auch als „Nichtsteroidale Antirheumatika“ (NSAR) oder im Englischen als „non steroidal anti-infalmmatory drugs“ (NSAID) bezeichnet. Sie umfasst einige geläufige Substanzen wie z.B.: Acetylsalicylsäure (ASS) Diclofenac Ibuprofen Mefenaminsäure Meloxicam Aufgrund ihrer guten analgetischen, antipyretischen und vor allem aus ihrer sehr guten antiphlogistischen Wirkung stellen die NSAR die am häufigsten verschriebenen Analgetika dar. Da Schmerzen häufig durch Entzündungen entstehen werden sie gerne herangezogen. Der hauptsächliche Wirkungsmechanismus erklärt sich durch die Wirkung auf die Cyclooxygenase (COX). Die COX ist ein Enzym das nahezu ubiquitär im Organismus vorkommt und das mithilfe der Arachidonsäure, welche durch die Phospholipase A2 aus der Zellmembran mobilisiert wird, die zyklischen endoperoxide bildet. Diese werden weiter zu den Prostanoiden verstoffwechselt, wo insbesondere das Prostaglandin E2 (PGE2) eine wichtige pathophysiologische Funktion einnimmt. PGE2 unterhält den Entzündungsprozess indem es die Wirkung von Entzündungsmediatoren wie Serotonin, Kininen und Histamin verstärkt und zusätzlich die Gefäßpermeabilität erhöht. NSAR wirken also über eine Hemmung der COX zu einer Prostaglandinsynthesehemmung, welche zu einer analgetischen und zu einer antiphlogitischen Wirkung führt. Sie wirken vor allem peripher entzündungshemmend und vermindern die Sensibilität von Nozizeptoren. Zusätzlich hemmen sie zentral die synaptische Erregungsübertragung und führen so zu einer Analgesie. (Beubler, 2012) Arbes-Sertl & Ammer (2002) empfehlen bei der Therapie des Bandscheibenvorfalles NSAR im Zuge eines multidisziplinären Behandlungsprogramms zu verordnen, zusätzlich liegen Evidenzen vor, die NSAR als effektiv einstufen. Auch Stein et al. (2014) schreiben, dass NSAR bei der Schmerzbehandlung von Diskushernien wirken. Zusätzlich schreiben sie, dass keine Evidenzen vorliegen, dass ein bestimmtes Präparat der NSAR besser wirkt als ein anderes. Eine kleine Cross-Over-Studie verglich die NSAR mit Placebo bei chronischen LBP. Die Ergebnisse zeigten, dass die Probanden, die zweimal täglich 275mg Naproxen Natrium 45 peroral einnahmen, einen größeren Schmerznachlass erlebten als jene, die PlaceboPräparate zu sich nahmen. (Berry, Bloom, Hamilton, & Swinson, 1982) Nebenwirkungen der NSAR Sehr oft werden die Nebenwirkungen der NSAR unterschätzt. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen gastrointestinale Ulzerationen, Blutungen bzw. Erosionen. In 40% lassen sich endoskopisch Schleimhautveränderungen im Gastrointestinaltrakt nachweisen. Besonders bei Langzeiteinnahme kann die Medikation zu einer Nierenschädigung führen, weshalb bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion besonders Acht gegeben werden muss. Mittlerweile konnte man auch ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse feststellen. Darüber hinaus können NSAR zu Schädigungen der Haut, der Leber, des ZNS und des Blutbildungssystems führen. Allergische Nebenwirkungen hingegen wurden eher selten beobachtet, nichts desto trotz sollte man vorsichtig mit parenteralen Verabreichungen umgehen, da die Gefahr von anaphylaktischen Reaktionen besteht. Aufgrund dieses weiten Nebenwirkungsspektrums lautet die Empfehlung die Dosis so niedrig wie möglich zu halten und so kurz wie möglich zu behandeln. (Beubler, 2012) Kombinationen mit NSAR Reicht die analgetische Wirkung des NSAR nicht aus, kann an eine Kombination mit einem schwachen bzw. starken Opioid gedacht werden. Auf keinen Fall dürfen 2 NSAR miteinander eingenommen werden. Dies führt zu keiner Wirkungsverstärkung, jedoch zu einer Anhäufung der Nebenwirkungen. Ebenfalls soll die Kombination aus einem NSAR mit einem Glukokortikoid vermieden werden, da jene Kombination ein sehr hohes ulzerogenes Potential mit sich bringt.(Beubler, 2012) 3.3.2.2 Nichtsaure, antipyretische, nicht-opioide Analgetika Paracetamol Paracetamol ist ein gut schmerzstillendes und fibersenkendes Medikament. Indiziert ist es bei leichten bis mittelstarken Schmerzen. Der genaue Wirkmechanismus ist bis heute nicht bekannt. Man schreibt dem Medikament eine Beeinflussung des serotonergen Systems zu, 46 sodass man eher von einer zentralen Wirkung ausgeht, was auch erklärt warum es wenig antiphlogistisch wirkt. Überdies hemmt es wahrscheinlich die COX2, wodurch die Nebenwirkungen der t-NSAR beim Paracetamol nicht beobachtet werden. In ausreichender Dosierung(4x1000mg für Erwachsene) ist die analgetische Potenz nahezu gleich wie bei den NSAR. (Beubler, 2012) Zwei Studien verglichen Paracetamol und NSAR bei low back pain (LBP) und es zeigten sich keine Unterschiede in ihrer analgetischen Wirkung. (Van Tulder et al., 2006) Arbes-Sertl & Ammer (2002) empfehlen in ihrer Guideline, aufgrund der geringeren gastrointestinalen Nebenwirkungen primär Paracetamol zu verschreiben. Auch Stein et al. (2014) empfehlen für die Durchbrechung des Schmerzkreislaufs vorab eine Therapie mit Paracetamol. Nebenwirkungen von Paracetamol In der Normaldosierung ist Paracetamol gut verträglich, überschreitet man jedoch die Dosis von 100 mg/kg Körpergewicht wird beim Abbau der Metabolit N-AcetylBenzochinonimin vermehrt gebildet, wodurch Leberzellnekrosen und Leberversagen verursacht werden können. Vor allem bei vorbestehenden Leberschäden muss die Medikation mit Paracetamol mit Vorsicht genossen werden. Ein großer Vorteil des Paracetamols gegenüber den t-NSAR ist, dass es keine negative Beeinflussung auf den Gastrintestinaltrakt zeigt. Bei hoher Dosierung jedoch kann es auch zu einer Nierenschädigung kommen. (Beubler, 2012) Kombinationen mit Paracetamol Paracetamol ist als Basistherapeutikum sehr gut geeignet, da es die Wirkung von Opioiden verstärkt und eine Kombination mit entzündungshemmenden Arzneimitteln ebenfalls Sinn macht. (Beubler, 2012) Metamizol Metamizol ist ein gut analgetisch und antipyretisch wirkendes Medikament, das vor allem wegen seiner spasmolytischen Eigenschaften geschätzt wird. Die antiphlogistischen Eigenschaften sind etwas schwächer ausgeprägt. Seine Wirkung beruht auf einer Hemmung der Erregungsübertragung im nozizeptiven System, wobei der genaue Wirkmechanismus bis heute noch nicht bekannt ist. Metamizol ist wasserlöslich und 47 deshalb injizierbar. Die parenterale Applikation ist langsam und vorsichtig zu erfolgen, da es sonst zu einem lebensbedrohlichen Schockzustand führen kann. Eine gute Verabreichungsart ist eine Kurzinfusion über 30 Minuten. (Beubler, 2012) Wenn andere Analgetika kontraindiziert sind, ist Metamizol für die Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen bei Bandscheibenvorfällen zugelassen. Jedoch wurde die Wirksamkeit von Metamizol für die Behandlung von Rückenschmerzen noch nicht untersucht. (Stein et al., 2014) Strumpf, Linstedt, Wiebalck, & Zenz (2001) schreiben, dass Metamizol durchaus eine Alternative zur Therapie von Rückenschmerzen darstellt, dabei betonen sie , dass die Agranulozytose eine extrem seltene Nebenwirkung darstellt. Nebenwirkungen von Metamizol Sehr selten kann Metamizol zu einer Agranulozytose und zu einem Schockzustand führen. Diese sehr gefürchteten Nebenwirkungen haben dazu geführt, dass Metamizol in einigen Ländern vom Markt genommen wurde. Ansonsten ist das Medikament gastrointestinal gut verträglich und wird vor allem bei Koliken und bei Tumorschmerzen sehr gerne eingesetzt. (Beubler, 2012) Kombinationen mit Metamizol Metamizol wird normalerweise nicht mit anderen Analgetika kombiniert, bei chronischen Schmerzen spricht aber nichts gegen eine Kombination mit Opioiden. (Beubler, 2012) 3.3.2.3 Selektive COX-2 Inhibitoren Die selektiven COX-2 Hemmer werden auch Coxibe genannt und zu ihnen zählen Celecoxib, Paracoxib und Etoricoxib. Definitionsgemäß sind sie NSAR, wobei das kein gemeinsames Strukturmerkmal, sondern eine gemeinsame Eigenschaft bedeutet. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine weniger ausgeprägte gastrointestinale Schleimhautschädigung und keinen Einfluss auf die Thrombozytenaggregation haben. (Beubler, 2012) Obwohl COX-2 Hemmer in den Studien weniger Nebenwirkungen zeigten als t-NSAR, sind sie bei Patienten mit einem erhöhten kardiovaskulärem Risiko nicht zugelassen. Wenn t-NSAR kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden, kann auf COX-2 Hemmer („off 48 label use“) zurückgegriffen werden. Weil es neben dem Nervenwurzelkompressionssyndrom (mixed-pain) häufig auch zur Aktivierung degenerativer Wirbelgelenksarthrosen mit nachfolgender Nozigeneration kommt, ist die Therapie mit COX-2 Hemmern gerechtfertigt und gewährt somit eine Zulassung für diese Stoffgruppe. (Stein et al., 2014) Es liegen gute Evidenzen für COX-2 Hemmer bei Rückenschmerzen vor, die, verglichen mit Placebo, eine Verbesserung in Funktionalität und eine Senkung des Schmerzlevels zeigten. (Van Tulder et al., 2006) Strumpf et al. (2001) schreiben, dass bei chronischen Rückenschmerzen häufig eine Dauertherapie von Monaten bis Jahren notwendig ist, daher sind NSAR an dieser Stelle kontraindiziert. Eine Zukunftsoption stellen möglicherweise COX-2 Hemmer dar, Erfahrungen mit einer Dauertherapie bei Rückenschmerzen existieren jedoch noch nicht. Nebenwirkungen von selektiven COX-2 Hemmern Das Risiko von gastrointestinalen Blutungen ist im Gegensatz zu den NSAR bei richtiger Anwendung sehr niedrig, wobei wiederum die kürzest mögliche Dauer und die niedrigste mögliche Dosierung empfohlen wird. Bei diesem Vorgehen ist auch das kardiotoxische Risiko, weswegen Rofecoxib vom Markt genommen wurde, für die einzelne Person praktisch nicht vorhanden. Weitere Nebenwirkungen sind: Flüssigkeitsretention, periphäre Ödeme, abdominelle Beschwerden wie Dyspepsie und Diarrhoe sowie Schwindel und unter Umständen Hautausschläge. (Beubler, 2012) 3.3.3 Opioide Opioide sind die sichersten und stärksten Schmerzmittel die wir haben. Leider werden sie aufgrund von Vorurteilen, Unwissenheit und Mythen sehr zurückhaltend verordnet. Diese Arzneigruppe zeigt eine Eigenschaft, welche in dieser Art bei anderen Medikamenten nicht zu beobachten ist: Verabreicht man einem Schmerzpatienten die nötige Dosis, die ihn vom Schmerz befreit, stellt dies eine sehr geringe Gefahr dar in eine Atemdepression zu fallen. Wird diese Dosis jedoch überschritten, oder man verabreicht einem Gesunden Opioide, kann eine bedrohliche Atemdepression eintreten. Ähnlichkeiten zeigen sich bei der Abhängigkeit. Während beim Schmerzpatient in den seltensten Fällen eine Abhängigkeit resultiert, ist das z.B. beim Drogenabhängigen(ohne Schmerzen) viel häufiger der Fall. (Beubler, 2012) 49 3.3.3.1 Wirkmechanismus Man unterscheidet bei den Opiaten zentrale und periphäre Wirkung. Der Großteil der Auswirkungen der Opioiden erfolgt durch die Aktivierung am μ-Rezeptor, an der analgetischen Wirkung ist auch der δ- und der κ- Rezeptor beteiligt. Darüber hinaus werden einerseits periphere und spinale Nozizeptoren gehemmt und andererseits wird das absteigende, hemmende Schmerzsystem aktiviert. Außerdem haben Opioide auch Auswirkungen auf supraspinaler Ebene, wie das limbische System. Daraus folgt, dass der Schmerz mit seinem quälenden unerträglichen Charakter erträglicher wird. Die zentralen, erregenden Wirkungen der Opioide sind: Analgesie Euphorie Miosis Emesis Bradykardie Thoraxrigidität. Die zentralen hemmenden Auswirkungen der Opioide bestehen aus: Analgesie Atemdepression sedativ-hypnotische Wirkungen Hustendämpfung Hypotonie Temperaturabfall Hemmung der beiden Hormone Gonadotropin und Corticotropin Releasing Hormon antiemetische Folgen sind zu beobachten. Die peripheren Wirkungen der Opioide: verzögerte Magenentleerung Hemmung der Darmmotilität Obstipation Hemmung der Flüssigkeitsretention im Darm Kontraktion des Gallengangs 50 Bei den peripheren Wirkungen handelt es sich vorwiegend um die Nebenwirkungen, wobei die opstipierende Wirkung bei schweren Durchfällen auch therapeutisch genutzt werden kann. Weitere Nebenwirkungen: Miktionsstörungen Histaminfreisetzung -> kann zu Juckreiz führen. (Beubler, 2012) Es liegen unzureichende Daten zur Therapie von akuten Rückenschmerzen mit Opioiden vor (Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), & Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 2013). Stein et al. (2014) schreiben, dass Opioide bei starken Rückenschmerzen eingesetzt werden. Ein europäisches Expertenteam gibt eine evidenzbasierte Empfehlung zu Gunsten von Opioiden bei chronischen Rückenschmerzpatienten, bei denen untergeordnete Schmerztherapien keine Wirkung zeigten. Betont wird, dass diese Medikamente im Zuge eines multimodalen interdisziplinären Therapieprogramms verordnet werden. Bei primär therapieresistenten Schmerzen sollen Opioide 2-3 Wochen gegeben werden, bei chronischen Schmerzen unter Kontrolle der Wirksamkeit auch länger. Spricht die Medikation nach 6 wöchiger Dauermedikation nicht an, muss dies zum Absetzten führen. Nach dem WHO- Schema und nach einem festen Zeitplan sollte die Medikation oral erfolgen. (Stein et al., 2014) Zum Einsatz von Opioiden bei Patienten mit Rückenschmerzen veröffentlichten Schnitzer, Gray, Paster, & Kamin (2000) eine randomisierte, placebo- kontrollierte Studie, die eine Wirksamkeit über einen kurzen Therapiezeitraum belegt. Sie umfasst 380 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, die zum Teil voroperiert waren. Die Medikation bestand aus bis zu 400mg Tramadol/Tag. Bei Patienten, die keine wesentlichen Nebenwirkungen aufwiesen, zeigte Tramadol eine signifikante Schmerzreduktion. (Strumpf et al., 2001; Schnitzer et al., 2000) Bei einer randomisierten, nicht placebo-kontrollierten Studie bei Rückenschmerzpatienten unter Oxycodon zeigten sich positive Effekte hinsichtlich der Schmerzen, jedoch nur leicht positive Effekte bezüglich der Aktivität der Patienten. (Strumpf et al., 2001; Jamison, Raymond, Slawsby, Nedeljkovic, & Katz, 1998) Präferenzen für ein bestimmtes Opioid bei Rückenschmerzen liegen nicht vor.(Strumpf et al., 2001) Schofferman (1999) veröffentlichte eine Studie, die sich mit der Opioidtherapie bei schweren therapieresistenten Rückenschmerzen auseinandersetzte. Er kam zur Erkenntnis, 51 dass eine Langzeitopioidtherapie für ein gut ausgewähltes Patientenklientel mit Rückenschmerzen eine Alternative darstellt, wenn alle anderen Möglichkeiten der Schmerztherapie versagt haben. Im Zuge eines etablierten, multimodalen und interdisziplinären Behandlungskonzepts können nach intensiver Abklärung Opioide auch langfristig bei Rückenschmerzen eingesetzt werden, vorausgesetzt der Patient spricht gut auf die Opioidtherapie an. Vor allem starke morphologische Veränderungen wie Wirbelsäulendeformierungen, inoperable Spinalkanalstenosen und nicht in den Griff zu bekommende radikuläre Schmerzen stellen Indikationen für eine Opioidtherapie bei Rückenschmerzen dar. Zurückhaltender sollten Opioide bei unkomplizierteren Fällen, wie radikulär oder nicht radikulär ausstrahlenden Rückenschmerzen oder funktionellen Störungen eingesetzt werden.(Strumpf et al., 2001) 3.3.3.2 Nebenwirkungen der Opioide Da die Opioide schon sehr lange eingesetzt werden, sind ihre Nebenwirkungen gut bekannt. Durch entsprechende Maßnahmen bzw. durch prophylaktische Gabe entsprechender Arzneimitteln (z.B. Antiemetika), sind die Nebenwirkungen gut in den Griff zu bekommen. Ein großer Vorteil ist, dass sie auch bei Langzeitapplikation, und das können durchaus Jahre sein, kein Organ schädigen, wie das oft bei anderen schmerzhemmenden Medikamenten der Fall ist. Besonders am Beginn einer Opioidmedikation treten die häufigsten Nebenwirkungen auf: Nausea und Emesis. Ebenfalls eine sehr frühe Nebenwirkung ist die Sedierung, die bei alten Menschen zu Verwirrung und Halluzinationen führen kann. Durch langsame Dosissteigerung kann man dem vorbeugen. Die gefürchtetste Nebenwirkung ist die Hemmung des Atemzentrums und die daraus resultierende Atemdepression. Zu betonen ist, dass diese Nebenwirkung nicht von der Dosis, sondern von der Anflutungsgeschwindigkeit abhängt. Verabreicht man Opioide parenteral, erreichen die Analgetika sehr schnell das ZNS, was zu lebensbedrohlichen Nebenwirkungen führen kann. Eine orale Applikation gewährleistet eine langsamere Anflutung und ist somit die sicherere Option. (Beubler, 2012) 3.3.4 Co- Analgetika In der Schmerzmedizin werden Co- Analgetika eingesetzt um den Effekt von Schmerzmitteln zu verstärken. Darüber hinaus besitzen sie auch selbst teilweise eine antinozizeptive Wirkung. Die Auswahl des Therapeutikums muss mit viel 52 Fingerspitzengefühl erfolgen und auf die individuelle Situation des Patienten abgestimmt werden. Der Kliniker muss dabei sehr genau über die Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen des Therapeutikums Bescheid wissen. (Beubler, 2012) 3.3.4.1 Antidepressiva Antidepressiva wirken durch eine Hemmung der Wiederaufnahme von Noradrenalin (NA) und Serotonin (5-HT) im synaptischen Spalt. Sie sind als Neurotransmitter im absteigenden, hemmenden Schmerzsystem beteiligt, wo sie die nozizeptiven Impulse blockieren. Dieser Effekt setzt innerhalb weniger Tage ein und wird bereits durch niedrige Dosen erreicht. In der Schmerztherapie finden sie ihre Anwendung vorwiegend bei neuropathischen Schmerzen. Durch eine Kombination mit Opioiden und/oder NichtOpioiden kann eine analgetische Wirkung gesteigert werden und unter Umständen kann so die Dosis des primären Analgetikums geringer gehalten werden. (Beubler, 2012) Beim Bandscheibenvorfall mit radikulärer Symptomatik kommen Antidepressiva bei Patienten mit chronischen Schmerzen zum Einsatz. (Stein et al., 2014) Gründe warum sie eingesetzt werden sind: Häufig sind Rückenschmerzen mit Depressionen vergesellschaftet und die Therapie mit Antidepressiva sollte die Stimmung aufhellen und gleichzeitig die Schmerztoleranz anheben. Beim chronischen Schmerzsyndrom ist die Verbesserung der Schlafsituation, was ebenfalls durch Antidepressiva gewährleistet wird, eine einfache aber effektive Therapiemöglichkeit. Der analgetische Effekt. Bereits bei niedrigeren Dosen wirken sie analgetisch, erst bei höheren Dosen entfaltet sich die antidepressive Wirkung.(Van Tulder et al., 2006) 3.3.5 Glucocortikoide Glucocortikoide sind Therapeutika mit einem breiten Einsatzspektrum, die auch in der Schmerztherapie von sehr großer Bedeutung sind. Neben der antiödematösen und der antiphlogistischen Wirkung, liegt auch eine allgemein roborierende, antiemetische und psychostimulierende Wirkung vor. Ein häufiger Vertreter dieser Stoffgruppe ist Dexamethason, welches mit einer hohen Initialdosis von 8mg/Tag, bei Nervenwurzelkompressionen sogar mit einer Initialdosis von 12mg/Tag, begonnen werden 53 kann. Daraufhin sollte eine Ausschleichung erfolgen und die Dosis muss innerhalb einer Woche auf ein möglichst niedriges Niveau von 2-4mg/Tag reduziert werden. (Beubler, 2012) Stein et al. (2014) schreiben, dass die Wirkung oraler Kortikoide bei Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik nicht sicher belegt ist. Finckh et al. (2006) führten eine prospektive, randomisiert kontrollierte Studie durch, in der sie die Kurzzeitwirkung von einem einmaligen intravenös applizierten Glucocortikoid bei Patienten mit bandscheibenbedingten Ischiassyndrom untersuchten. Die Studie umfasste 60 Patienten, von denen 31 je 500mg Prednisolon appliziert wurde, 29 wurde als Placebo eine Kochsalzlösung in die Vene verabreicht. Während der Studie erhielten alle Teilnehmer eine standardisierte Therapie (NSAR, Tramadol, Paracetamol und Physiotherapie). Ergebnisse wurden am ersten, zweiten dritten, am 10. und am 30. Tag erhoben. Unter Anderem war die VAS eine der beurteilten Parameter. Am ersten Tag ergab sich ein signifikanter Unterschied zu Gunsten der Kortison- Gruppe. An allen weiteren Tagen konnten keine signifikanten Unterschiede beobachtet werden. Die Autoren schlossen aus ihren erhobenen Erkenntnissen, dass eine intravenöse Singleshottherapie von 500mg Prednisolon eine vorübergehende Besserung für das bandscheibenbedingte Ischiassyndrom bringt. Ein dauerhafter Vorteil konnte nicht festgestellt werden. (Finckh et al., 2006) 3.3.6 Zentral wirkende Muskelrelaxanzien Durch Angriff im Zentralnervensystem senken zentrale Muskelrelaxanzien den Muskeltonus(Kuschinsky, Hackenthal, & Oberdisse, 1997). Der inhibitorische Effekt der Gamma- Aminobuttersäure (GABA) wird verstärkt und hemmt somit die Erregungsübertragung im Rückenmark (Beubler, 2007). Beim Bandscheibenvorfall bzw. beim Rückenschmerz häufig eingesetzte Vertreter sind Tizanidin, Tetrazepam und Tolperison. Der Wirkungsmechanismus von Tizanidin ist nicht gesichert, wahrscheinlich erhöht es die Wirkung des inhibitorischen Neurotransmitters Glycin, das zu einer Hemmung der Erregungsausbreitung im Rückenmark führt. Tetrazepam ist ein Benzodiazepin und wirkt muskelrelaxierend durch Verstärkung des GABAA- aktivierten Chloridkanals. (Kuschinsky et al., 1997) 54 Tolperison hat eine ähnliche chemische Struktur wie Lokalanästhetika und sein Angriffspunkt ist der spannungsabhängige Natriumkanal. Stein et al. (2014) schreiben, dass Muskelrelaxanzien bei Bandscheibenvorfällen mit Muskelverspannungen kurzfristig, begleitend zur medikamentösen Schmerztherapie, eingestzt werden. Auch Börm et al. (2005) schreiben, dass Myotonolytika beim Bandscheibenvorfall mit reaktiven Hartspann hilfreich sein können. Darüber hinaus bestätigen die Bundesärztekammer (BÄK) et al. (2013) in ihrer „nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz“, dass eine günstige Wirkung von Myotonolytika beim Rückenschmerz bereits mehrfach belegt wurde. Beim akuten Rückenschmerz kann ein zeitlich streng limitierter Einsatz von Muskelrelaxanzien in Erwägung gezogen werden. Vorsicht ist vor allem bei Benzodiazepinen geboten, eine Dauertherapie ist streng kontraindiziert. (Strumpf et al., 2001) Trotz allem soll die Therapie mit zentral wirkenden Muskelrelaxanzien mit großer Vorsicht genossen werden, da die Möglichkeit des Missbrauchs besteht. Überdies sollten sie nach individueller Nutzen- Risikoabsschätzung ausschließlich als Mittel zweiter Wahl zum Einsatz kommen. (Stein et al., 2014) 3.4 Chirurgische Therapie Da sich diese Diplomarbeit mit der konservativen Therapie beschäftigt, werden die operativen Möglichkeiten nur angeschnitten. Zu den absoluten Operationsindikationen zählt das Kaudasyndrom, signifikante und progrediente Paresen und massive, medikamentös nicht in den Griff zu bekommende radikuläre Schmerzen. Beim standardisierten operativen Eingriff wird über eine interlaminäre Fensterung das ausgetretene Bandscheibenmaterial, unter Schonung der Nervenstrukturen, dargestellt und entfernt. Dadurch erreicht man eine mechanische Druckentlastung des Nervs. Anschließend wird das gelockerte Bandscheibengewebe ausgeräumt. Befindet sich die Diskushernie weit lateral, ist oft ein extraforaminaler Zugang möglich. (Börm et al., 2005) Sowohl Weber (1982), als auch Peul et al. (2008) belegten in ihren Studien, dass die chirurgische Therapie in der frühen Phase statistisch signifikante Vorteile zu Gunsten der operierten Gruppe zeigt. Jedoch die erhobenen Daten zu den Langzeitergebnissen ergaben, 55 dass das Schmerzlevel, verglichen mit der konservativen Therapie, auf Dauer gesehen keinen Unterschied aufweist. 56 4 Leitlinienalgorithmus 17: Leitlinienalgorithmus. Therapie Bandscheibenvorfall mit radikulärer Symptomatik. Quellen: (Börm et al., 2005), (Stein et al., 2014), (Arbes-Sertl & Ammer, 2002) 57 5 Diskussion und Schlussfolgerung Bevor auf die Kernfrage dieser Arbeit näher eingegangen wird, muss vorweg nochmals betont werden, wie wichtig es ist, bei der Diagnosestellung richtig vorzugehen. Lumbale Bandscheibenvorfälle stellen nur 5% der isolierten Rückenschmerzen dar (Börm et al., 2005) und aufgrund von Unwissenheit werden immer wieder Patienten ohne radikulärer Symptomatik zum CT/MR geschickt, um auf disloziertes Bandscheibengewebe untersucht zu werden (Holland, 2007). Dazu kommt die unglückliche Situation, dass jenseits des 30. Lebensjahres fast jede Wirbelsäule degenerative Veränderungen aufweist (Schmorl & Junghanns, 1968). Das Resultat dieser Situation ist eine häufige Fehldiagnose und dieser folgt eine nicht indizierte falsche Therapie. Um es nochmals auf den Punkt zu bringen, ist es sehr wichtig eine genaue Anamnese zu erheben. Passt diese zum Bild eines Bandscheibenvorfalles mit einer Radikulopathie, setzt man die Untersuchung mit einem neurologischen Status fort. Passt auch dieser ins Bild der Krankheit, veranlasst man eine Bildgebung, um der Ursache für den Rückenschmerz bzw. für den ausstrahlenden Schmerz auf den Grund zu gehen. (Masuhr et al., 2013) (Eine Ausnahme für dieses Vorgehen stellt die rein diskogene Schmerzentstehung, ohne Radikolopathie dar. Siehe Kap.: ‚Die intradiskale elektrothermale Therapie (IDET/IDEA), eine interventionelle Therapiemethode’) Durch eine konservative Therapie können bis zu 90% der symptomatischen Bandscheibenvorfälle beherrscht werden, weshalb eine entsprechende nicht- chirurgische Behandlung als Therapie der Wahl anzusehen ist (Börm et al., 2005). Die Basis einer erfolgreichen konservativen Therapie stellen Haltungsschulung, muskuläres Training, Sport und insbesondere verhaltensmedizinische Maßnahmen dar (Strumpf et al., 2001). Sind diese Vorgehensweisen aufgrund eines erhöhten Schmerzlevels nicht durchführbar, werden Analgetika zur Schmerzsenkung eingesetzt. Dadurch erreicht man erstens einen Durchbruch des Circulus vitiosus und zweitens werden dadurch die kurativen Maßnahmen wie Physiotherapie und Bewegungstherapie erst ermöglicht. Wichtig ist, dass die Schmerztherapie im Zuge eines multimodalen, interdisziplinären Therapiekonzepts, welches auf die individuelle Situation des Patienten abgestimmt ist, verordnet wird (Stein et al., 2014). Bei der Auswahl des Medikaments geht man nach dem WHO- Stufenschema vor. Dabei sollte mit einem Nicht- Opioid- Analgetikum begonnen werden. Reicht die schmerzhemmende Wirkung nicht aus, steigt man zur nächsten Stufe auf, einem schwachen Opioid, und falls auch dieses nicht ausreichend ist, soll man auf die dritte Stufe 58 übergehen und starke Opioide verabreichen (Beubler, 2012). Je nach Schmerztyp (nozizeptiv, neuropathisch oder mixed pain Syndrom) kann auch auf Co- Analgetika zurückgegriffen werden (Stein et al., 2014), einerseits verstärken sie den Effekt des primären Analgetikums und andererseits besitzen sie auch selbst teilweise eine analgetische Wirkung. Nichts desto trotz müssen sie mit viel Fingerspitzengefühl und auf die individuelle Situation des Patienten abgestimmt, eingesetzt werden(Beubler, 2012). Parallel zur systemischen Analgesie bietet sich die (CT- gezielte) Infiltrationstherapie an. Durch lokal eingebrachte Steroide und/oder Lokalanästhetika kann eine Entzündungshemmung und eine Schmerzstillung erreicht werden. Es gibt unzählige qualitativ hochwertige Studien mit überwiegend positiven Ergebnissen zur lokalen Infiltrationstherapie bei Bandscheibenvorfällen, die eine Effektivität belegen. Ein weiterer Pfeil im Köcher ist die systemische Applikation von Glucocortikoiden. Durch eine Anflutung von bis zu 12mg Dexamethason verspricht man sich beim Nervenwurzelkompressionssyndrom eine allgemein roborierende und vor allem eine antiphlogistische Wirkung (Beubler, 2012). Eine prospektive, randomisiert kontrollierte Studie belegt die Kurzzeitwirkung von Kortison beim bandscheibenbedingten Ischiassyndrom. Dauerhafte Vorteile konnten in dieser Studie nicht festgestellt werden. (Finckh et al., 2006) Zentral wirkende Muskelrelaxanzien sind hilfreiche Medikamente, vor allem bei Patienten mit reaktiven Muskelhartspann (Börm et al., 2005). Die günstige Wirkung von Myotonolytika ist bei Rückenschmerzen schon mehrfach belegt (Bundesärztekammer (BÄK) et al., 2013). Jedoch ist die Medikation mit Muskelrelaxanzien mit Vorsicht zu genießen, da die Gefahr vor Missbrauch und Abhängigkeit besteht. (Strumpf et al., 2001; Stein et al., 2014) In einem Zeitrahmen von 6-8 Wochen sollte sich durch die konservative Therapie eine deutliche Besserung einstellen. Ist das nicht der Fall, kann an eine Umstellung der Therapie bzw. an eine operative Sanierung gedacht werden. (Börm et al., 2005) Die Ziele sind eine Schmerzminderung, eine funktionelle Besserung, eine Stärkung der Rückenmuskulatur und darauf basierend eine berufliche und soziale Reintegration(Stein et al., 2014). 59 6 Literaturverzeichnis Anderhuber, F., Pera, F., & Streicher, J. (2013). Waldeyer Anatomie des Menschen (pp. 117–127). De Gruyter. Arbes-Sertl, B., & Ammer, K. (2002). Konservatives Management des Bandscheibenvorfalls - State of the Art. Fortbildungsunterlagen, 9–14. Baron, R., Koppert, W., Strumpf, M., & Willweber-Strumpf, A. (2013). Praktische Schmerzmedizin (pp. 313– 316). Springer. http://doi.org/10.1007/978-3-642-37605-4 Benninghoff, A., & Drenckhahn, D. (2008). Anatomie. Makroskopische Anatomie, Histologie, Embryologie, Zellbiologie (pp. 426– 431). Würzburg: Urban & Fischer. Berry, H., Bloom, B., Hamilton, E. B. D., & Swinson, D. R. (1982). 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