„Gottes Wort voll Ehrfurcht hören und voll Zuversicht verkünden“

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„Gottes Wort voll Ehrfurcht hören
und voll Zuversicht verkünden“
Die dogmatische Konstitution über die gött‐
liche Offenbarung, benannt nach ihren Anfangsworten Dei Verbum („Wort Gottes“), ist einer der wichtigsten Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils. In ihm besinnt sich die Kirche nach dem Trienter und Ersten Vatikanischen Konzil neu darauf, dass sie aus dem Wort Gottes lebt, wie es ihr in der Schrift bleibend anvertraut ist. Geschichte der Konstitution Dei Verbum (DV) Die Geschichte der Offenbarungskonstitution begann mit einem Paukenschlag, denn das von der Theologischen Vorbereitungskommission erarbeitete Schema De fontibus revelationis („Über die Quellen der Offenbarung“) wurde vom Konzil im November 1962 höchst kritisch diskutiert. Papst Johannes XXIII. selbst ordnete eine Neubearbeitung an, die von einer „gemischten Kommission“ unter Vorsitz der Kardinäle Ottaviani und Bea geleistet und im April 1963 dem Konzil vorgelegt wurde. Dass trotz der auch hier feststellbaren Unzulänglichkeiten das Schema im Programm des Konzils beibehalten wurde, ist dem entschiedenen Einsatz von Papst Paul VI. zu verdanken. Eine Unter‐
kommission aus exegetisch vorgebildeten Bischöfen samt exegetischen und dogmati‐
schen Beratern – zu ihnen gehörte auch Joseph Ratzinger, seit 2005 Papst Benedikt XVI. – schrieb eine Neufassung, die nach ihrer Diskussion zu einer vierten Fassung führte, über die im September 1965 abgestimmt wurde. Nochmalige Änderungsvor‐
schläge führten zu einer fünften Fassung, die mit überwältigender Mehrheit (2344 Ja‐ gegen 6 Neinstimmen) am 18. November 1965 angenommen und noch am gleichen Tag durch feierliche Verkündigung in der Konzilsaula von Papst Paul VI. promul‐
giert wurde. Angesichts der Wechselfälle, die diese Konstitution durchlaufen hat, bevor endgültige Übereinstimmung erreicht wurde, sprach Kardinal Augustin Bea zu Recht von einem Wirken des Heiligen Geistes, der die Kirche beseelt und leitet. Aufbau und Kernaussagen der Konstitution Dei Verbum Was ist Offenbarung? Nach einem knappen Vorwort, in dem sich die Kirche als eine auf Gottes Wort hörende und damit im Dienst an ihn stehende Kirche definiert, behandelt das erste Kapitel die göttliche Offenbarung in sich und entwickelt dabei ein personhaft‐
dialogisches Verständnis in betont trinitarischer Konzeption. Offenbarung meint hiernach ein Sprechen und Handeln, in dem Gott primär nicht Heilsabsichten, sondern sich selbst in freier Zuwendung erschließt. Die geschichtliche Selbstmit‐
teilung, in der Gott die Menschen aus überströmender Liebe wie Freunde anspricht (DV 2), erreicht in Christus ihre Fülle und Vollendung und wird durch den Heiligen Geist in den Gläubigen, die in diesem Dialoggeschehen Gott den „Gehorsam des Glaubens“ schulden (DV 5), als eine gegenwärtige Wirklichkeit realisiert. Beginn dieses Offenbarungsgeschehens ist Gottes Selbstbezeugung durch die Schöpfung, die er ins Dasein gerufen hat durch sein Wort, das in erlösender Absicht auch einer Menschheit im Sündenfall ein persönliches Verhältnis zu Gott ermöglicht; sichtbar wird das in der alttestamentlichen Heilsgeschichte bis zu ihrem Zielpunkt in Jesus Christus, „der durch sein ganzes Dasein und seine ganze Erscheinung, durch Worte und Werke, durch Zeichen und Wunder, vor allem aber durch seinen Tod und seine herrliche Auferstehung von den Toten, schließlich durch die Sendung des Geistes der Wahrheit die Offenbarung erfüllt und abschließt und durch göttliches Zeugnis bekräftigt, dass Gott mit uns ist, um uns aus der Finsternis von Sünde und Tod zu befreien und zu ewigem Leben zu erwecken“ (DV 4). Offenbarung und Überlieferung Das zweite Kapitel fragt nach der Weitergabe der Offenbarung in der Kirche und legt, insofern die Schrift selbst ein kirchliches Traditionszeugnis ist, Wert darauf, Schrift und Tradition fest miteinander zu verknüpfen: Nicht aus der Heiligen Schrift allein erhält die Kirche Gewißheit über die Offenbarung (DV 9). Begründet wird diese Verhältnisbestimmung mit dem Auftrag Christi zur Verkündigung der Heils‐
botschaft, den die Apostel in Form der mündlichen Weitergabe treu ausführten (DV 7). Dadurch wurden sie zu den ursprünglichen Tradenten der Heilsbotschaft, die einige von ihnen „unter der Inspiration des […] Heiligen Geistes“ (DV 7) nieder‐
schrieben. Daraus folgt, dass die Bewahrung und Aktualisierung der Heilsbotschaft sich in der apostolischen Nachfolge vollzieht, in der die Bischöfe als authentische und im Zuge ihres Lehramtes als verbindliche Verkünder des Wortes stehen. Die von den Aposteln herkommende Tradition schreitet durch den hörenden und tätigen Glauben der Kirche voran: „Es wächst das Verständnis der überlieferten Dinge und Worte durch das Nachsinnen und Studium der Gläubigen, die sie in ihrem Herzen erwägen […], durch innere Einsicht, die aus geistlicher Erfahrung stammt, durch die Verkündigung derer, die mit der Nachfolge im Bischofsamt das sichere Charisma der Wahrheit empfangen haben“ (DV 8). Damit sind Heilige Schrift und Überlieferung in der je eigenen Vermittlung des göttlichen Wortes untrennbar miteinander verbunden und stehen in lebendigem Austausch. Sie bedürfen aber der bezeugenden und weiterführenden Auslegung durch das Lehramt der Kirche (DV 10). Auslegung der Heiligen Schrift Das dritte Kapitel entfaltet den theologischen Charakter der Heiligen Schrift und die Aufgabe des Exegeten. Deutlich wird zwischen Gott als dem Urheber der Schrift und den Menschen als deren „echten Verfassern“ unterschieden, die „unter dem Anhauch des Heiligen Geistes“ (DV 11) mit ihren Fähigkeiten und Kräften „die Wahrheit, die Gott um unseres Heiles willen in den heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte“ niedergeschrieben haben, so dass aufgrund des Bezuges der Inspira‐
tion auf den Heilswillen Gottes die Schrift irrtumslos ist. Das Konzept einer allzu vereinfachenden Verbalinspiration, die jeden Irrtum, auch den hinsichtlich histori‐
scher Wahrheiten, ausschließt, ist damit überwunden. Insofern die Schrift Gotteswort im Menschenwort darstellt, ist der Exeget aufgefordert, die Geschichtlichkeit des Wortes Gottes in der Schrift ernst zu nehmen und zur Ermittlung der ursprünglichen Aussageabsicht sowie der Denk‐, Sprach‐ und Erzählformen seine philologische und historische Kompetenz einzusetzen, die aber durch ein theologisches Bemühen ergänzt werden muss, bei der er auch die Überlieferung der Kirche beachtet. In diesem Sinn fordert das Konzil für die Auslegung der Schrift „daß man mit nicht geringerer Sorgfalt auf den Inhalt und die Einheit der ganzen Schrift achtet, unter Berücksichtigung der lebendigen Überlieferung der Gesamtkirche und der Analogie des Glaubens“ (DV 12). Altes und Neues Testament Das vierte und fünfte Kapitel beschäftigen sich mit dem Alten und Neuen Testament, die, weil sich die Offenbarung Gottes geschichtlich ereignet, auf je unterschiedliche Weise Gottes Selbsterschließung in Christus bezeugen. Vom Kerngedanken einer christologischen Hermeneutik her erklärt sich die Kürze des Kapitels über das Alte Testament, dessen Hauptzweck die Vorbereitung der Ankunft Christi und seines Reiches ist. So beinhaltet, entsprechend der Lage, in der sich das Menschengeschlecht vor der Wiederherstellung des Heils in Christus befand, das Alte Testament ohne Zweifel auch „Unvollkommenes und Zeitbedingtes“, im ganzen aber ist „das Geheimnis unseres Heils“ in ihm verborgen (DV 15), weshalb es für den Christen das Neue ebenso wenig ohne das Alte Testament gibt wie das Alte ohne das Neue Testament (DV 16). Folglich kann das Neue Testament mit Sicherheit nur verstanden werden, wenn es die Themen erfasst, die das Alte Testament durchziehen, und das Alte Testament, wenn es im Licht des Neuen Testamentes ausgelegt wird. Zugänge zur Christusoffenbarung Der Vorrang des Neuen Testaments im Ganzen der Heiligen Schrift ist darauf gegründet, dass hier das Wort Gottes zu einzigartiger Darstellung und Kraftent‐
faltung gelangt, insofern das Christusgeschehen die Offenbarung des göttlichen Retterwillens vollendet. Das diesbezügliche Hauptzeugnis bieten die Evangelien, die, auch wenn sie neben vielen Gemeinsamkeiten starke Abweichungen voneinander aufweisen, Leben und Lehre Christi geschichtlich zuverlässig überliefern (DV 19). Dies hängt einerseits von der Art und Weise der ihnen vorausgehenden apostoli‐
schen Verkündigung ab, insofern die Apostel durch Auferstehung und Himmelfahrt Christi sowie die Sendung des Geistes der Wahrheit befähigt wurden, das, was Jesus gesagt und getan hat, zu begreifen und zu verkünden, andererseits von der Art und Weise, wie die Evangelisten diese Verkündigung in Treue zur Überlieferung und vom Heiligen Geist geleitet schriftlich niedergelegt und im Hinblick auf die Lage der Kirche verdeutlicht haben. Die restlichen Bücher des Neuen Testaments bestätigen das Zeugnis der Evangelien und vertiefen die Erklärung des Christusereignisses. Heilige Schrift und Kirche In ihrem letzten Kapitel stellt die Konstitution DV auf der Ebene der Praxis die Bedeutung der Heiligen Schrift für das Leben der Kirche dar. Da aber Praxis und Lehre nicht voneinander getrennt werden dürfen, gibt auch dieses Kapitel neben praktischen Anweisungen bedeutsame Hinweise für die theologische Lehre. Den Einstieg bietet ein Vergleich der Heiligen Schrift mit dem Leib des Herrn, um durch die Parallele mit der Eucharistie als Lebensmitte der Kirche die Ehrfurcht vor dem biblischen Wort als Brot des Lebens, von dem die Kirche lebt, zu betonen: „Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlaß das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht“ (DV 21). Die Schrift als das von Gott eingegebene Wort, die den Grunddialog Gottes mit dem Menschen aufbewahrt und immer wieder neu ermöglicht, ist weiterhin höchste Richtschnur des Glaubens, an der sich Predigt und Katechese zu orientieren haben. Damit aber das biblische Wort allen zur Verfügung steht, fordert das Konzil im Rückgriff auf den Urtext gute Übersetzungen auch in „Zusammenarbeit mit den getrennten Brüdern“ herzustellen und öffnet mit dieser Forderung die Tür für ökumenische Bibelübersetzungen (DV 22). Damit die Bibel immer besser verstanden werden und die Gesamtkirche daraus Nutzen ziehen kann, weist DV auf das Studium der Kirchenväter und der Liturgien hin, um der Tradition den gebührenden Platz im Leben der Kirche zu erhalten, sodann auf die Arbeit der Fachexegeten, denen die Zusammenarbeit mit anderen theologischen Disziplinen und der Gebrauch angemessener Methoden in der Bibelarbeit ans Herz gelegt werden ebenso wie die Sorge für die Ausbildung einer großen Zahl von „Dienern des Wortes“; denn die Arbeit der Fachexegeten dient letztlich der Weitergabe des göttlichen Wortes (DV 23). Das Studium der Heiligen Schrift als Seele der Theologie Weil die Theologie „auf dem geschriebenen Wort Gottes, zusammen mit der Heiligen Überlieferung, wie auf einem bleibenden Fundament“ ruht (DV 24) und sich in der Beschäftigung mit ihrer Wahrheit ständig „verjüngt“, ist das Studium der Heiligen Schrift gleichsam die Seele der Theologie (DV 24), eine Aussage, die sich auch im Dekret über die Priesterausbildung (Optatam totius 16) findet. Dieses Bild zielt aber nicht nur auf die Ausbildung in Exegese, sondern auch und vor allem darauf, dass die Heilige Schrift auf die gesamte Theologie tiefen Einfluss ausüben soll. Dies wiederum hat zur praktischen Konsequenz, dass die Bibellesung in die Mitte der christlichen Existenz gerückt wird. Die innige Beziehung zur Heiligen Schrift soll das geistliche Leben des Priesters, Diakons, Katecheten ebenso bestimmen wie das der Gläubigen, die alle aufgerufen sind, das Wort Gottes eifrig zu lesen und zu studieren, denn, wie die Konstitution mit einem Wort des heiligen Hieronymus unterstreicht: „Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen“ (DV 25). Die Freude der Kirche an der Heiligen Schrift hat aber auch eine missionarische Dimen‐
sion dahin gehend, dass neben der klugen Verbreitung unter Nichtchristen auch Sorge für eine deren Lebensverhältnissen angepasste Bibelerklärung getragen werden soll. Die Bedeutung der Konstitution Dei Verbum Die herausragende Bedeutung der Konstitution Dei Verbum und ihrer Neubesin‐
nung auf die einzigartige Bedeutung der Heiligen Schrift im Leben der Kirche besteht zum einen darin, dass sie das Verständnis von Offenbarung als eines Offen‐
barungsgeschehens befördert hat, in dem die Mitteilung von Wahrheiten in das Ganze der Selbstmitteilung Gottes eingebettet ist, zum anderen darin, dass sie die für eine angemessene Bestimmung des Verhältnisses von Heiliger Schrift, Überlieferung und Lehramt wichtigen theologischen Prinzipien formuliert und dabei das Zu‐ und Miteinander von Heiliger Schrift und Kirche herausgearbeitet hat. Mit all dem hat die Konstitution ein Programm für die Theologie und das christliche Leben entwor‐
fen, das nach wie vor nicht wenig Mühe und Arbeit hinsichtlich seiner Ausführung kostet. ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐ Renate Brandscheidt, Professorin für Exegese des Alten Testaments, Theologische Fakultät Trier 
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