RA_Esh214_RepB10_L_Musterseite FH 08.09.14 11:36 Seite 70 Reportage Aktivhaus Im Bilde: Durch die Vakuum-Schiebeglas-Elemente präsentiert sich der Pavillon im bewohnten Zustand offen und einladend. Willkommen am Killesberg Seit diesem Sommer ist die berühmte Weißenhofsiedlung um ein Pionierprojekt reicher. Dort, wo einst die Größen moderner Architektur zukunftsweisende Wohngebäude platzierten, befindet sich nun mit dem „B10“ eines der ersten Aktivhäuser der Welt. E in Aktivhaus erzeugt seine eigene Energie und davon mehr als es verbraucht. Bei dieser Gleichung bleibt allerdings der Aufwand für den Aufbau des Gebäudes unberücksichtigt. Es besteht zu 100 Prozent aus wieder verwertbaren Materialien und kann demnach vollständig in den ökologischen und/oder ökonomischen Kreislauf zurückgeführt werden. Außerdem reagiert das Gebäude sensibel auf die individuellen Parameter seiner Nutzung, kommuniziert mit seinen Energieerzeugern und deren Speicher (Smart Grid) und verfolgt das Ziel der energetischen Unabhängigkeit. Was sich nach Science-Fiction anhört, ist heute schon Realität. Im Rahmen des von der Bundesregierung geförderten Projektverbundes „Schaufenster LivingLab BWe mobil“ entstand bis Juli dieses Jahres das ambitionierte Forschungsvorhaben am Stuttgarter Killesberg. Eigens dafür stellte die schwäbische Metropole ein Grundstück zur Verfügung, das seit dem Zweiten Weltkrieg brach lag. Bauherr ist die E-Lab Projektgesellschaft der gemeinnützigen Stuttgart Institute of Sustainability Stiftung (SIS), die sich für Methoden und Technologien des nachhaltigen Bauens einsetzt. Prinzip der Schwesterlichkeit Verantwortlich für das Entwurfskonzept sind der renommierte Architekt Werner Sobek und sein Team. „Neue Häuser sollen alte mitversorgen können“, sagt Sobek über seine Vorstellung von gebauter Nachhaltigkeit. „Energie wird dadurch dort verbraucht, wo sie erzeugt wird.“ Diesem Prinzip folgend versorgt der 85 Quadratmeter große Pavillonbau nicht nur zwei von der Daimler AG 70 Energiesparhäuser +ökologisch bauen gesponserte Elektrofahrzeuge, sondern auch das benachbarte Weißenhofmuseum, einst erbaut von Le Corbusier, mit Energie. Die kommt vom Dach, wo sich Photovoltaikmodule befinden. Ein zwölf Kubikmeter großer Eistank im Garten dient als Pufferspeicher. Das 15 Meter lange und sechs Meter breite Gebäude wird auf mit Schotter gefüllten Drahtkörben, Gabionen genannt, gegründet. Auf diese Weise hält sich der Baugrund weitgehend schadlos. Die Vorfertigung und das Zusammenbauen der Bauteile vor Ort übernimmt der Fertighaushersteller SchwörerHaus aus dem schwäbischen Hohenstein. Dessen Mitarbeiter setzen einen Holzständerbau auf das rechteckige Grundstück, den sie im Anschluss mit einem witterungs- und UV-beständigen, weißen Textilfasergewebe bespannen. Zur Straßenseite öffnet sich das Gebäude über eine Vollverglasung, die bei Bedarf durch die beweglichen Terrassenmodule geschlossen werden kann. Dank der modularen gelang der Aufbau an einem Tag. Das Ding mit dem Köpfchen Das Haus der Zukunft denkt mit. Es kennt die Position des Elektroautos, berechnet die Ankunft des Fahrers im Smart Home und wärmt den Raum entsprechend vor. Geparkt wird das Mobil im Inneren auf einer Drehscheibe. Abgase sind ja nicht zu befürchten und dank der 180-Drehung fährt der Bewohner bequem vorwärts zum nächsten Ziel. Für die selbstlernende Gebäudesteuerung und das Energiemanagement zeichnet sich das junge Stuttgarter Unternehmen alphaEOS verantwortlich. Deren System vernetzt alle Alle Preise sind Zirka-Preise inklusive Mehrwertsteuer. Herstellerkontakte ab Seite 97. RA_Esh214_RepB10_L_Musterseite FH 08.09.14 11:36 Seite 71 Puzzlespiel: Ein Kran platziert die beiden am Werk vorgefertigten Hauptelemente auf der Baustelle. Aus den beiden Modulen verwandelt sich ins B10. technischen Geräte im Gebäude und lenkt die Energieströme vorausschauend. Dabei hat ein virtuelles Kraftwerk im Blick, wann es Sinn macht den Strom, den das Haus nicht benötigt, ins Netz einzuspeisen oder Waschmaschine, Trockner und das Auto zu betreiben. Damit auch der Bewohner stets im Bilde ist, entwickelten die Stuttgarter eine App, die die bisherigen Bedienoberflächen ersetzt und das Steuern der mit dem Haus vernetzten Geräte von überall und zu jeder Zeit möglich macht. Wissenschaft & Technik Bei dem Forschungsprojekt steht besonders Monitoring im Fokus. Über einen Zeitraum von zwei Jahren sammelt ein Projektteam des Instituts für Leichtbau und Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart Daten und wertet diese wissenschaftlich aus. Verschiedene Nutzungen und Nutzungsverhalten sollen wichtige Erkenntnisse über die „Intelligenz“ des Gebäudesystems bringen, erhoffen sich die „Überwacher“. Im ersten Jahr haben Interessenten im länglichen Komplex die Möglichkeit sich über das „B10“ zu informieren. Ein Jahr später dürfen zwei Studenten das Gebäude kostenfrei bewohnen. Was danach mit dem Prototyp des Hauses der Zukunft geschieht, steht noch nicht fest – entweder Abbau oder andernorts Wiederaufbau. Sicher ist aber wie die Zukunft nachhaltiger Architektur aussieht – gesehen im Bruckmannweg 10 am Stuttgarter Killesberg. ■ Text: Philip Teleu; Fotos: Zooey Braun Wechselspiel: Die textile, weiße Außenhaut und die dunkle Holzterrasse setzen einen gelungen Kontrast. Im geschlossenen Zustand bleibt eine weiße Kiste zurück. Energiesparhäuser+ökologisch bauen 71