In der Familie beten – biblische Grundlagen und praktische Ideen

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In der Familie beten – biblische Grundlagen und praktische Ideen
1. Stunde: Heilsgeschichte des Gebets
Jonny, fünf Jahre alt, ging zu seinem Vater und sagte: „Du Vati, ich möchte gerne einen
kleinen Bruder. Was kann ich tun, um das zu erreichen?“ Er hatte nämlich zu Hause davon
reden hören, dass demnächst etwas Kleines kommen könne. Der Vater dachte, er könnte
durch diese Frage seinem Sohn etwas über das Gebet beibringen und erwiderte: „Ich gebe
dir einen Tipp. Wenn du jetzt anfängst zu beten, dass Gott dir einen kleinen Bruder schenkt,
dann garantiere ich dir, dass du in spätestens drei Monaten einen kleinen Bruder haben
wirst.“ Einen ganzen Monat betete Jonny jeden Abend zu Gott um einen kleinen Bruder.
Gegen Ende der Zeit wurde er jedoch skeptisch. Er hatte nämlich in der Nachbarschaft
herumgefragt und dabei hatte man ihm gesagt, das gebe es einfach nicht, dass man einfach
bete und plötzlich ein Baby erscheine. Also hörte Jonny auf zu beten. Aber nach zwei
Monaten fuhr Jonnys Mutter ins Krankenhaus. Als sie wieder nach Hause zurückkehrte,
riefen die Eltern Jonny ins Schlafzimmer, um ihm seine Gebetserhörung zu zeigen. Sein Vater
zog die Decke etwas zurück und dort lagen – Zwillinge. Zwei kleine Brüder. Der Vater fragte
Jonny: „Bist du nicht froh, dass du gebetet hast?“ Der Junge antwortete: „Ja, aber bist du
nicht froh, dass ich so bald wieder aufgehört habe.“
Jeder hat so seine Erfahrungen mit dem Beten. Es beten jedenfalls mehr bei uns als in der
Bibel lesen. Als Faustregel gilt dabei: Es beten mehr Frauen als Männer, es beten mehr
Kinder als Jugendliche. Aber gebetet wird auf der ganzen Welt.
„Ich liebe dich mit zwei Arten von Liebe:
Der Liebe meines Verlangens und einer Liebe, der du würdig bist.
Die Liebe meines Verlangens besteht darin, dass ich mich mit dem Gedanken an dich
beschäftige unter Ausschluss eines anderen als Du.
Aber die Liebe, deren du würdig bist, besteht darin,
dass Du die Schleier fallen lässt, so dass ich dich sehe,
weder in diesem noch in jedem kommt mir der Preis zu,
sondern dir kommt der Preis zu in diesem und in jenem.“
(Gebet einer islamischen Mystikerin im Mittelalter)
Zu allen Zeiten haben Menschen aller Völker das Gebet geübt. Die Religionsgeschichte kennt
auch ergreifende Gebete außerhalb Israels und der christlichen Gemeinde. Was
unterscheidet das Reden des Christen mit Gott vom Reden des Nichtchristen? Die Form? Die
Art? Die Intensität? Johannes 4,24! Der Christ bringt seine Gebete nicht aus sich hervor,
sondern durch den Antrieb des Heiligen Geistes Röm 8,15, der in ihm Wohnung genommen
hat (vgl. Lk 1,14.46ff.). Deshalb können Kinder genauso beten wie Erwachsene, so sie im
Heiligen Geist wiedergeboren sind. Wir können auch ohne Heiligen Geist beten – aber was
ist dann?
Patriarch Athenagoras hat dies so auf den Punkt gebracht: „Ohne den Heiligen Geist ist Gott
fern, bleibt Christus in der Vergangenheit, ist das Evangelium ein toter Buchstabe, ist die
Kirche ein bloßer Verein und das christliche Leben eine Sklavenmoral. Mit dem Heiligen Geist
1
ist Gott nah, ist Christus jetzt da, sprüht das Evangelium vor Leben, ist die Kirche eine Heimat
und das christliche Leben frei und stark.“
Obwohl Beten ein religionsphänomenologisches Faktum ist, für uns Christen gibt es eine
Heilsgeschichte des Betens. Mögen Moslems heute noch genauso beten wie bei der
Entstehung des Islam, wir nicht. So wie sich der Heilsweg zu Gott gewandelt hat in den
Etappen der Heilsgeschichte, so auch der Gebetsweg.
Welches war das erste Gebet eines Menschen an Gott? 1 Mo 3,8ff. Die ersten Worte eines
Menschen an Gott zeigen gleich den Bruch: Der Mensch im Paradies hatte die Gabe von
Natur, mit Gott auf du und du zu sein (Teil der Ebenbildlichkeit 1 Mo 1,27), denn Tiere
können nicht beten, auch nicht Pflanzen oder Steine. Es war kein Gebet im Paradies
notwendig.
Durch den Sündenfall ist auch das Gespräch mit Gott betroffen. Auf welche Weise? 1. Mo 4,9
als „zweites Gebet“; vgl. mit Mt 16,21-23
Trotz aller Verderbtheit des Gebets durch die Sünde bzw. Trennung von Gott: Gott ruft
einzelne Menschen in die Beziehung zu ihm und damit ins Gebet 1 Mo 4,26. Rufender und
Angerufener treten in Beziehung: allererster Baustein des Glaubens und der
Gottesbeziehung. Die Heilsgeschichte als Gebetsgeschichte. Letztes Gebet in der Bibel:
Eigentlich gar kein Gebet i.S. einer direkten Anrede, sondern ein Hymnus (GottesRechtfertigung = Gott wird recht gegeben). So wie das erste Gebet in der Bibel eigentlich
kein Gebet ist, sondern eine (Selbst)Rechtfertigung (= der Mensch versucht, recht zu
behalten). Der Mittelpunkt der Heilsgeschichte, das Christusgeschehen, wird ebenfalls
umklammert und umgriffen vom Gebet: Lobgesang der Maria (Magnificat; Lk 1,46) und Jesu
Schreien am Kreuz (Psalm 22; Mk 15,14). Lesen lassen….
Im Himmel wird am Ende – wie im Paradies am Anfang – kein Gebet notwendig sein Offb
22,3f. Warum?
Manchmal ist mein Gebet wie ein Arm,
den ich nach oben recke, um dir zu zeigen, wo ich bin inmitten von Milliarden Menschen.
Manchmal ist mein Gebet wie ein Ohr,
das auf ein Echo wartet, auf ein leises Wort, einen Ruf aus deinem Mund.
Manchmal ist mein Gebet wie eine Lunge,
die sich dehnt, um frischen Wind in mich hinein zu holen – deinen Hauch.
Manchmal ist mein Gebet wie eine Hand,
die ich vor meine Augen lege, um alles abzuschirmen, was mir den Blick verstellt.
Manchmal ist mein Gebet wie ein Fuß,
der fremden Boden prüft, ob er noch trägt, und einen Weg sucht, den ich gehen kann.
Manchmal ist mein Gebet wie ein Herz,
das schlägt, weil ohne seinen Schlag das Leben nicht mehr weitergeht.
Manchmal ist mein Gebet wie ein gebeugter Kopf,
zum Zeichen meiner Not und meines Dankes an dich.
Einmal wird mein Gebet wie ein Auge sein,
das dich erblickt, wie eine Hand, die du ergreifst –
das Ende aller Worte.
(Paul Roth)
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Zeichnung anfertigen: Zeitleiste Gebet-Heilsgeschichte von Adam bis himmlisches Jerusalem
2. Stunde: Gebetstexte der Bibel, bes. die Geschichte vom verlorenen Sohn
In einer englischen Großstadt fragte ein Pastor eine Schulklasse, was das Schrecklichste
wäre, was sie sich vorstellen könnten. Die Antworten: „Wenn ich eine unheilbare Krankheit
hätte“ (15 Stimmen). „Wenn die Menschheit durch einen Atomkrieg umkäme“ (9 Stimmen)
„Wenn der Kommunismus die Welt eroberte“ (2 Stimmen). Und eine Einzelstimme lautete:
„Wenn alle Gebete Selbstgespräche wären“. In der Bibel gibt es drei Textgruppen, die für das
Thema „Gebet“ herangezogen werden können:
a) Texte über das Gebet und über Betende. Beispiel für ein Text über das Gebet
Matthäus 6,5-13; Beispiel für einen Betenden Daniel 6,11
b) Texte, die selbst direkte oder indirekte Gebete sind. Beispiel für ein direktes Gebet
(2. Mose 32,11-14); Beispiel für ein indirektes Gebet (Eph 3,14-21)
c) Texte, die als Gleichnisse entweder direkt oder indirekt auf das Gebet bezogen
werden können: Beispiel für einen direkten Bezug ist Lk 11,5-8 (bittender Freund)
bzw. Lk 18,1-8 (bittende Witwe), Lk 18,9-14 (bittender Zöllner); Beispiel für einen
indirekten Bezug ist Lk 15,11-32 (Verlorener Sohn)
Weitere Beispiele suchen lassen… Zusammentragen
Gebetsentdeckungen in Lukas 15 als Beziehungs- und Dialoggeschichte
Welche Bezüge zum Gebet können Sie in Lukas 15,11-32 entdecken?
Was erfahren wir über uns als Betende? Was erfahren wir über Gott als Hörenden?
Gebet ist auf der einen Seite die menschliche Weise, sich mit allem, was das Leben
ausmacht, an Gott zu wenden, auf der göttlichen Seite ist der Wunsch eines liebenden
Vaters, mit seinen Kindern zusammen zu sein. In der Geschichte vom verlorenen Sohn (Lk
15) wird das besonders deutlich.
Vater immer ansprechbar und verständnisvoll (Lk 15,12 keine Vorwürfe)
Vater gibt frei Lk 15,12. „Gebetsleine“ bleibt (habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht
aufhöre Lk 22,32) Lk 15,20
Bußgebet vor Neuanfang (Vor dir habe ich gesündigt Lk 15,21)
Gebetsstille bei der Fürbitte des älteren Sohnes für den Jüngeren (tritt nicht für ihn ein,
sondern beschwert sich sogar noch über ihn Lk 15,29f.
Vater erfreut trotz Sendepause Lk 15,31
Praktische Folgerungen für das eigene Gebetsleben? Für das Gebetsleben in der Familie?
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3. Das Beichtgebet in der Bibel
Kennen Sie die Redensart „Jemanden ordentlich ins Gebet nehmen“, also jemanden ins
Gewissen reden? Sie stammt aus der Beichtpraxis, wenn der Beichtvater dem Beichtenden
nach dem Sündenbekenntnis Gebete vorsprach, in die er den reuigen Sünder mit hinein
nahm.
Die Beichte als Sündenbekenntnis kann vor Gott als Beichtgebet ausgesprochen werden
oder vor Menschen als öffentliches Bekenntnis. Dietrich Bonhoeffer im „Gemeinsames
Leben“ verdeutlicht die Bedeutung der Beichte (Sündenbekenntnis) für Seelsorge und
Gemeindeaufbau:
a) Die Beichte ist der Durchbruch zur Gemeinschaft. Schuld macht einsam. Sie isoliert
uns in jeder Beziehung, vor Gott und vom Bruder. In der Beichte bleiben wir nicht
länger allein. Unsere Gemeinschaft wird echt; sie wird tatsächliche Gemeinschaft von
Sündern unter dem Kreuz Jesu.
b) Darum ist die Beichte der Durchbruch zum Kreuz; sie demütigt unseren Stolz und tut
weh. Sie bewahrt uns vor der billigen und ungewissen Vergebung, die wir uns selbst
zusprechen. Warum fällt es leichter, dem heiligen Gott Schuld zu bekennen als dem
Bruder, der doch auch ein Sünder ist? (Angst vor Gesichtsverlust…)
c) Beichte ist der Durchbruch zum neuen Leben. Wir dürfen und können neu anfangen,
denn das Alte ist vergangen.
d) So ist Beichte Durchbruch zur Gewissheit. Die Vergebung hat einen Zeugen. Was er
gesagt hat, hat er im Auftrag Gottes gesagt: ich habe keine Grund, die Gültigkeit der
Vergebung länger in Zweifel zu ziehen.
Beispiele für Beichtgebete in der Bibel nennen: Ps 32; Ps 51; Klgl 3,40-45; Neh 1,5ff.; Lk 18,13;
das Vaterunser enthält auch ein kleines Beichtgebet in sich.
Zu Psalm 32:
Psalm 32,1f. Sünde ist nicht moralische Entgleisung, sondern blockiert die Gemeinschaft mit
Gott. Sünde drückt eine Beziehungsstörung zu Gott aus und auch zu Menschen, entstanden
durch Ungehorsam Gott gegenüber (Abirren von seinen Wegen, Auflehnung gegen seinen
Willen). Sünde will im Geheimen bleiben. Sie kann den Körper schwächen (32,3f.). Doch Gott
deckt Sünde auf (s. David und Nathan), so dass Sünde bekannt und vergeben werden kann
(32,8). Überwundene Sünde führt zur Freude (32,11).
Aufgabe: Eigene Beichtgebete formulieren anhand folgender Bibelverse:
Lk 15,7 Ach Gott! Das sind deine Worte, dass über einen Sünder, der sich bekehret, eine
größere Freude ist im Himmel, denn über neun und neunzig Gerechte, die der Buße nicht
bedürfen, und dass alle Gerechten und Engel sollen dessen Sünde vertreten und decken.
Nun, ach Gott! ich bin da, der ich meine Sünde fühle; ich bin schon gerichtet, mir ist nur
alleine eines Hirten vonnöten, der mich suche. - Ach Gott! Ich weiß, dass du das gesagt hast,
Ich will mich an die Worte halten, ich sei das Schaf und der Groschen, du seist der Hirte und
das Weib.
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Mt 15,26 Ach Vater! Lass dich. barmen, und versage uns nicht darum das liebe Himmelsbrot;
sondern, dass wir nicht genug tun deinem heiligen Wort, ist uns leid, und bitten, wolltest
Geduld mit uns armen Kindern haben, und uns erlassen solche unsere Schuld, und ja nicht
mit uns ins Gericht gehen; denn niemand vor dir gerechtfertigt ist. Siehe an dein Verheißen,
dass wir unsern Schuldigern herzlich vergeben; denn du hast Vergebung versprochen, nicht
dass wir durch solche Vergebung würdig sind deiner Vergebung, sondern dass du wahrhaftig
bist, und hast gnädiglich Vergebung versprochen allen, die ihrem Nächsten vergeben; auf
dein Versprechen verlassen wir uns.
Psalm 90, 14. O Herr, tue überflüssige Barmherzigkeit; nicht eine sondere, dadurch das
Königreich oder die Gesundheit erhalten wird. Wir bitten die Fülle und den Überschwall
deiner Barmherzigkeit. Denn in diesem Jammer, so das ganze menschliche Geschlechte
drückt, ist nicht genug die geteilte oder besondere Barmherzigkeit, und die gleichsam, also
zu reden, tröpfleinsweise Barmherzigkeit ist; sondern wir bedürfen einer ganzen Sündflut,
und ein Meer, das uns genugsam sei. Alsdann wollen wir rühmen und fröhlich sein. Denn
allein die Barmherzigkeit, so uns von der Sünde erlöst, und der ewigen Seligkeit versichert,
gebiert ewige und wahrhaftige Freude, Dankbarkeit und Danksagung.
Psalm 130, 1. O lieber Herr, wir können nicht mit dir rechten, noch vor Gericht handeln, wir
wollen auch nicht von unserer Gerechtigkeit oder Sünde vor dir handeln; denn wenn du,
Herr, die Sünde willst zurechnen und uns vor Gericht fragen, ob wir fromm und gerecht sind,
so ist es mit uns verloren. Darum so wollen wir vor solchem Gerichte zu dem Stuhl deiner
Barmherzigkeit appellieren und unsre Zuflucht zu deiner Güte haben. Haben wir nun was
Gutes getan, so ist es aus deiner Gnade geschehen. Wende deshalb die Augen deiner
Barmherzigkeit, nicht der Gerechtigkeit deines strengen Gerichts zu uns. Denn wenn du die
Sünde uns wirst zurechnen, oder dieselben sehen, so wird unser keiner selig.
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4. Stunde: Freies/Gebundenes Gebet, lautes/leises Gebet
Podiumsdiskussion Pro freies, contra gebundenes Gebet – pro gebundenes, contra freies
Gebet
Das freie Beten ist das Vorrecht jedes Glaubenden.
PRO Grundsätzlich sollte man die Gebete anderer mit Zurückhaltung bewerten, weil nur Gott
allein das Herz sieht, das ein Gebet spricht. Die Bibel gibt uns keine präzisen Gebetsformen
vor, denen wir zwingend folgen müssen. Im Buch der Psalmen sind uns viele Gebete
überliefert, die wir in Auszügen mit Überzeugung singen. Andere Bibelstellen machen uns
deutlich, dass Menschen aus ihrem Herzen und ihren Lebenssituationen heraus Gebete
spontan gesprochen haben.
Ich bin überzeugt, dass das freie Beten eine wichtige und unerlässliche Lebensäußerung des
Glaubenden ist. Durch die Vergebung unserer Schuld in Jesus Christus und durch den
Empfang des Heiligen Geistes werden wir Teil der Familie Gottes: Gott wird unser Vater, und
Jesus schämt sich nicht, uns Brüder und Schwestern zu nennen. Das versetzt uns in eine
persönliche und innige Gemeinschaft mit Gott.
Jede Gemeinschaft lebt vom Austausch miteinander. Gerade das Neue Testament lehrt uns,
dass es weder besondere Orte noch auserwählte Zeiten für Gebete geben muss. Unsere
persönlichen Herzensangelegenheiten, unsere Wünsche und Sorgen, aber auch unsere
Freuden und Erfolge, unser Lobpreis und unsere Anbetung können doch nur mit eigenen
Worten ausgedrückt werden. Spontaneität ist ein weiterer Ausdruck vertrauensvoller
Gemeinschaft – und es würde mir befremdlich erscheinen, wenn meine nahen
Familienmitglieder mittels vorgefertigter Texte mit mir kommunizieren würden! Auch im
Gottesdienst sind die freien Gebete ein Zeugnis gelebter, geistlicher Gemeinschaft. Gerade
dadurch vermeiden wir den Eindruck einer distanzierten Beziehung mit Gott, indem die
Person des Beters losgelöst von seinem Gebet erscheint. Freies Beten – persönlich und in
Gemeinschaft – bleibt ein Vorrecht jedes Glaubenden!
Es tut gut, mit Worten zu beten, die auch meine Mitchristen kennen
KONTRA „Herr, lehre uns beten“ (Lukas 11,1) baten die Jünger. Und Jesus Christus gab ihnen
und uns das Gebet, das zum Mustergebet allen christlichen Betens wurde – damit wir nicht
„plappern wie die Heiden“ (Matthäus 6,7): das Vaterunser. Mit seinen Bitten wird es so die
innere Norm jedes Gebetes – ob in der eigenen Andacht oder in der Gemeinde. In der
Tradition der Kirche hat sich daraus das Fürbittengebet entwickelt, das den Bitten des
Vaterunsers folgt.
Neben dem Vaterunser wurde früh schon in den Gottesdiensten der Psalter (das „Gebetbuch
der Bibel“, so der Theologe Dietrich Bonhoeffer) gebetet und gesungen. Er ist bleibende und
mahnende Verbindung unseres Glaubens mit seinen jüdischen Ursprüngen, kostbares
ökumenisches Erbe bis heute, das sich in den Liturgien und Liedern vieler Konfessionen
findet. Wichtig sind uns die Psalmen auch, weil Christus mit einem Psalmvers auf den Lippen
gestorben ist: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46).
Es tut gut, sich im Gebet in die Zeit und Raum übergreifende Gemeinschaft der Christen
einzufinden, mit Worten, die auch meine Mitchristen kennen. Ich kann mir auch Worte der
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Tradition leihen, wenn mir eigene fehlen. Und ich kann lernen, dass das Schweigen Gebet ist:
„Rede, Herr, denn dein Knecht hört“ (1. Samuel 3,9). Freilich gilt ebenso „Wes das Herz voll
ist, des geht der Mund über“ (Matthäus 14,34) als Einladung zum freien Beten. Denen, die
das liturgische Gebet pflegen, wünsche ich mehr Mut zu eigenen Worten – und denen, die
das freie Beten lieben, wünsche ich die Entdeckung der großen Schätze unserer
Glaubensgeschichte. Die Alternativen lauten eigentlich nicht freies oder liturgisches Beten;
sie können doch nur heißen: beten oder nicht beten! Und diese Entscheidung haben wir als
Christen schon gefällt.
Die Urgemeinde hat formulierte Gebet des AT und der Synagoge übernommen, wie es schon
Jesus am Kreuz (Lk 23,46 = Ps 31,6; Mk 15,34 = Ps 22,2) gemacht hat. Sie hat aus dem großen
Schatz dieser heiligen Schriften gebetet: Apg 4,25ff. = Ps 2,1f; vgl. Röm 8,31ff (V 31 = Ps
118,6; V 36 = Ps 44,23) oder Röm 11,32ff. (V 34 = Jes 40,13; Jer 23,18) oder Phil 2,5ff (V 10 =
Jes 45,23 usw.). Sie hat aber nicht nur in den Psalmen eine feste liturgische Form gefunden,
sondern auch eigene fest formulierte Lobgebete und Preislieder geschaffen (z.B. Röm 11,22;
1 Tim 3,16). Neben dieser Form des Gebetes kennt das NT ein freieres Beten, etwa in
Verbindung mit der Zungenrede (1 Kor 14,2). Neben dem laut gesprochenen Gebet (2 Mos
22,22f.; 1 Sam 7,9; Ps 17,6; Jon 2,3; Lk 23,46; Apg 4,24) wird auch vom stillen Gebet
berichtet (1 Sam 1,13).
Welche Gebete sollte man auswendig lernen? Wie soll man Kinder an das gebundene Gebet
heran führen? Wie an das freie?
Abschluss: Friedensgebet (nicht Franz von Assissi!)
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5. Stunde: Unaufhörliches Gebet
Im südamerikanischen Surinam bestehen die Hütten in den Indianerdörfern oft nur aus
einem einzigen Raum. Die Christen dort suchen sich meistens einen Platz im Wald, um
ungestört beten zu können. Die Wege dorthin werden mit der Zeit zu ausgetretenen kleinen
Pfaden. Sagt eines Tages ein Dorfbewohner zu seinem Nachbarn: „Du, auf deinem
Gebetsweg wächst langsam Gras!“
Natürlich gibt es auch Stoßgebete in der Bibel, z.B. das Gebet des Nehemia bei Artaxerxes
Neh 2,4f. Ich darf beten, wenn ich in Not bin oder wenn ich mich über etwas sehr freue oder
wenn ich vor einer schwierigen Entscheidung stehe. Daneben aber stellt sich die Frage, wie
Gott sich fühlt, wenn man ihn nur anspricht, sobald man ihn dringend braucht (s. Pfarrer mit
seinem Sohn, der ohne ihn heiratete).
Deshalb ist das regelmäßige Gebet genauso wichtig, also im Gebet zu beharren (Röm 12,12)
und es nicht nach Gusto zu handhaben. Alle Religionen kennen darum Gebetszeiten als Hilfe
zur Beharrlichkeit:
Die Muslime z.B. halten fünf Gebetszeiten ein, die Buddhisten haben ihre Gebetsmühlen, in
der klösterlichen Tradition haben sich sieben Gebetszeiten heraus gebildet, in denen die
Mönche atl und ntl. Psalmen, Tagesgebete, Lesungen, Vaterunser, Segen usw. beten:
Vigil um 5 h, Laudes um 7 h, Terz 9 h, Sext, 12 h, Non 15 h (= 3 kleine Horen zur
Sterbestunde Jesu), Vesper (18 h), Komplet (21 h)
Die drei gewöhnlichen jüdischen Gebetszeiten (vgl. Dan 6,11) sind der Morgen (Ps 5,4; 88,14;
119,147), der Mittag (Apg 10,9) und der Abend (Esr 9,5; Ps 4,9; 55,18). Auch in der Nacht
sind Gebete zum Himmel gesandt worden (Hi 35,10; Ps 24,9; 119,55) und Jesus hat bisweilen
Nächte hindurch gebetet (Lk 6,12; 21,37).
Zu welchen Zeiten beten Sie? Und warum zu diesen Zeiten?
Paulus dagegen will das Gebet nicht nur auf einzelne Gebetszeiten verteilt wissen, sondern
ermahnt die Gemeinden im unaufhörlichen Gebet zu verharren: 1 Thess 5,17; Vgl. Lk 18,1.
Aber wie soll das gehen? Gesprächsgruppen bilden
Was meint Paulus mit dem Beten ohne Unterlass, also pausenlos?
Erste Möglichkeit: Wirklich unablässiges, unaufhörliches Beten 24 Stunden Tag und Nacht. (s.
Klöster, Gebetsketten usw.) Es gibt Klöster, in denen in wohlgeregelter Wachablösung
ununterbrochen gebetet wird.
Zweite Möglichkeit: Da der einzelne sowieso und auch einzelne Gemeinschaften/Gemeinden
mit dem 24-Stundengebet überfordert sind (Beachte: Nur Plural bei diesen Bibelstellen!),
könnte auch das Gebet der weltweiten Gemeinde gemeint sein, das nie verstummt vgl. EG
266 (Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen): 3. Strophe „Denn unermüdlich, wie der
Schimmer des Morgens um die Erde geht, ist immer ein Gebet und immer ein Loblied wach,
das vor dir weht.“
Dritte Möglichkeit: Geordnete Gebetszeiten. Paulus hat pausenlose Gebetsworte nicht
praktiziert. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft hat er drei feste Gebetszeiten eingehalten,
morgen, mittags und abends. Regelmäßigkeit beim Gebet ist wichtig.
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Vierte Möglichkeit: Paulus ist seinem Beruf als Zeltmacher und seiner Berufung als Evangelist
nachgegangen. Hieronymus: „Alles Werk der Gläubigen ist Gebet!“ also auch Kochen oder
Hausaufgaben machen. Der Glaube macht aus den Werken ein Gebet, weil es auch ein
Gottesdienst, ein Dienst für Gott ist vgl. Kol 3,17.
Fünfte Möglichkeit: Das an Gott Denken und mit Gott im Gespräch sein im Alltag, z.B. auch
beim Autofahren, im Wartezimmer oder beim Spazierengehen. Gedanken als Dialog und
kurze Stoßgebete, wie ein Ohrwurm, eine Melodie, die nicht mehr aus dem Kopf geht,
unterstützt von Gebetsecken, Gebetskärtchen, Gebetstagebücher, Gebets-Zweierschaften
usw. Luther „Arbeite so, als ob du beten würdest. Bete so, als ob du arbeiten würdest“.
Dies belegt das griechische Wort „ohne Unterlass“ (adialeiptos) in 1 Thess 5,17, worin das
Verb „leipo“ steckt, was so viel heißt wie „fehlen, ermangeln, entbehren“, wörtlich „zurück
lassen“. Wir sollen so beten, dass uns und Gott nichts fehlt an Gebet, dass wir nicht
gebetsmäßig austrocknen, dass wir Gott nicht einfach zurück lassen, quasi stehen lassen,
sondern mitnehmen. Aber die Qualität des Gebets entscheidet sich nicht an der Quantität.
Luther: „Ein gutes Gebet soll nicht lang sein, auch nicht lange hingezogen werden, sondern
es soll oft und herzlich sein. Es ist genug, wenn du es zu einem oder einem halben Stück
bringen kannst; damit kannst du in deinem Herzen ein Feuerlein anzünden.“
Es kommt auf die Balance an. Gebet ist Atemholen der Seele, und es kommt auf den
ausgewogenen Rhythmus an (keine Schnappatmung, sonst hyperventiliert man; aber auch
keine zu großen Pausen.
Niemals
war ich ärmer,
niemals sinnloser,
als an dem Tag,
da ich dir bekannte:
Ich habe Dich nicht vermisst.
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6. Stunde: Umkämpftes Gebet
Jesus ist nie weiter als ein Gebet entfernt. Gilt das auch für den Vater? Und für den Hl. Geist?
Ja, wenn wir zu Jesus beten, beten wir auch zum Vater. Wenn wir zum Heiligen Geist beten,
beten wir auch zum Sohn und zum Vater. Drei Seinsweisen, aber ein Gott. Das Geheimnis
der Dreieinigkeit. Alle drei sind untrennbar, sie sind es bei der Schöpfung gewesen, bei der
Erlösung, und sie werden es auch bei der Vollendung sein.
Wie lautet Ihre Gebetsansprache an Gott? Herr? Jesus? Vater? Warum?
Wir haben einen klaren Auftrag zum Beten. Wir sollen zum dreieinigen Gott beten, auch
wenn es echt schwer ist. Warum? Klar, weil Gott es uns sagt. Die Bibel ist voll von
Aufforderungen zum Gebet.
„Es sei aber auch ferne von mir, mich an dem Herrn dadurch zu versündigen, dass ich davon
abließe, für euch zu beten…“ 1 Sam 12,23
Weitere Stellen? Ps 50,15; Jes 55,6; Mt 7,7; Lk 22,40; Joh 14,13; Eph 6,18; Kolosser 4,2
Trotzdem ist das Gebet zu Jesus und zu Gott eine hart umkämpfte Zeit. Warum tun wir uns
so schwer mit dem Beten? Warum gehen unsere Gedanken so oft spazieren?
Weil Gott so groß und wir nur Asche und Staub sind 1 Mo 18,27. Weil Gott so gerecht und
wir so sündig sind Dan 9,18. Beten ist wirklich schwierig für uns Menschen. Jesus ist zwar nie
weiter als ein Gebet entfernt. Dennoch ist eine tiefe Kluft zwischen uns Lk 5,8, die nicht wir
von uns aus so leicht überbrücken. Denn was ist denn schon der Mensch, dass er mit dem
Übermenschlichen Kontakt aufnimmt?
Aber es gibt noch mehr Gründe.
Dazu Luther: „Man hüte sich mit Fleiß vor den falschen, trügerischen Gedanken, die sagen:
Warte noch etwas zu, in einer Stunde will ich beten, ich muss dies oder das zuerst fertig
bekommen. Mit solchen Gedanken kommt man vom Gebet in die Geschäfte; die halten und
umfangen einen dann so, dass aus dem Gebet an einem solchen Tag nichts mehr wird… Man
muss darauf sehen, dass wir uns nicht vom rechten Gebet entwöhnen und uns zuletzt selbst
solche Werke als nötig vornehmen, die es doch gar nicht sind. Dadurch werden wir zuletzt
lässig und faul, kalt und lustlos zum Gebet. Denn der Teufel ist nicht faul noch lässig um uns
her; dazu ist auch unser Fleisch noch allzu lebendig und frisch zur Sünde und gegen den Geist
des Gebetes geneigt… Ich habe heute viel zu tun, darum muss ich heute viel beten.“
Wir müssen also auch gegen den Teufel und gegen unser eigenes Fleisch ankämpfen, um
zum Beten zu kommen und auch beim Beten selbst. Denn der Geist mag willig sein, aber das
Fleisch ist schwach Mt 26,42 und der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe.
Der Züricher Reformator Huldreich Zwingli war der Ansicht, dass kein Mensch länger als 10
Minuten andächtig sein könne. Deshalb hat er im Gottesdienst den Gesang abgeschafft,
gemeinsame Gebetszeiten auf ein Minimum beschränkt.
Welcher Ansicht sind Sie? Sind 10 Minuten realistisch?
10
Umkämpftes Gebet heißt auch: Nicht leiern. Wir können ins Herunterleiern verfallen bei
vorformulierten Gebeten (s. Vaterunser, Rosenkranz), aber auch bei sog. Freien Gebeten.
Wir können sogar beim Beten sündigen. Wie geht das?
Wir können beim Beten unsere Frömmigkeit zur Schau tragen Mt 6,5 anstatt im
Verborgenen zu beten Mt 6,6
Wir können beim Beten selbstgerecht sein Lk 18,11f. anstatt uns zu unseren Sünden
bekennen und um Vergebung zu beten Lk 18,13
Wir können beim Beten andere korrigieren oder gar ihnen Gottes Vergeltung wünschen Ps
58,7; 59,6.12-14; 109,1-20; Klgl 3,64-66 anstatt für sie zu bitten Mt 5,44; Lk 9,54-56
Können wir diese Psalmen auch noch heute beten, auch wenn sie in der Bibel stehen?
(Die Feinde schaden nicht nur dem Beter, sondern Gott selbst; die Vergeltung wird Gott
überlassen Röm 12,19; sie plädieren für eine Wiederherstellung des Rechts durch
Eindämmung des Bösen s. Jüngstes Gericht; Ps 137,8f. ist kein Gebet…); allerdings geht es
auch anders: vgl. dazu die Haltung Davids, der auch ohne Vergeltungsbitten und –
handlungen auskommt 1 Sam 24,5-8; 26,8-11
Welche Mittel gibt es, das Gebet freizukämpfen?
1.
2.
3.
4.
5.
Wir bereiten uns vor.
Wir suchen Freiräume.
Wir machen uns klar, zu wem wir beten
Wir nehmen uns vor, in seinem und nicht in unserem Namen zu beten
Wir knüpfen mit unserem Gebet unserem Gebet an (vorher gelesene) Bibelworte an,
um uns vor der „Willkür der Subjektivität“ zu befreien (Bonhoeffers Rat)
6. Wir beten ganzheitlich, um die Konzentration zu fördern (Haltung, Atmung, Augen…)
Während ein Techniker vom Störungsdienst im Pfarrhaus das Telefon repariert, unterhalten
sich im Arbeitszimmer des Pfarrers drei Geistliche über die richtige Gebetshaltung. Der eine
meint, im Knien ließe sich am besten beten. Der andere erklärt, dass er am besten im Stehen
betet und dazu die Hände flehend zu Gott erhebt. Der dritte ist anderer Meinung, man
müsse auf dem Boden ausgestreckt vor Gott liegen, so stehe es in der Bibel. Da mischt sich
der Fernmeldetechniker ein und sagt: „Als ich habe am besten gebetet, als ich einmal mit
dem Kopf nach unten an einem Telefonmast hing!“
Liegen, Verneigen = proskynein („hündeln“), Knien, Stehen, Hände nach oben. Alle
Haltungen werden auch in der Bibel überliefert. Die Geste des Händefaltens dagegen kommt
er in germanischer Zeit auf, sie drückt ursprünglich das Gelöbnis von Treue und Gehorsam
aus (s. betende Hände von Dürer).
Gebetshaltung ausprobieren
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7. Stunde: Gefülltes Gebet
Was halten Sie von dem Spruch: Bete dein Leben – lebe dein Beten?
Bete dein Leben: Entdecke, dass es nichts gibt, was du Gott nicht sagen kannst. Unterbreite
ihm alle deine Pläne, deine Wünsche, deine Sehnsüchte. Lass keinen Bezirk aus, nicht deine
Sexualität, nicht deinen Zorn, nicht deine Verletzungen, nicht deine Freude, nicht deine
Sucht.
Lebe dein Beten: Es geht den meisten Menschen so, dass sie im Beten weiter sind als im
Leben. Im Gebet fallen die großen Worte - und im wirklichen Leben geht's armselig daher!
Bei den Indianern gibt es ein Sprichwort: Wirf dein Herz über den Fluss und dann -schwimm
dahinter her! Also: Hab keine Angst, Gott etwas Großes zu sagen, weil du dich kennst und
weißt, dass du vielleicht ein schwacher und inkonsequenter Menschen bist. Gott weiß auch
das von dir. Aber er liebt es, wenn du im Gebet dein Herz über den Fluss wirfst! Er will nicht,
dass du kleinmütig und verzagt zu ihm kommst. Er rechnet damit, dass du mit buchstäblich
unendlicher Erwartung an ihn herantrittst.
Als Inhalt des Gebets nennt Paulus Bitte, Gebet (Anbetung) Fürbitte, Danksagung 1 Tim 2,1
vgl. Phil 4,6 und „Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott“
Bitte: Die Bitte entspricht der Abhängigkeit des Kindes vom Vater und des Geschöpfes vom
Schöpfergott. Dem griechischen Wort liegt die Wurzel „Bedürfnis, Mangel“ zugrund. Alles
Beten fängt mit dem Bewusstsein an, dass wir Gott brauchen, weil wir selbst unser Leben
nicht meistern können. Das Gefühl der Bedürfigkeit und Ohnmacht ist deshalb oft Anlass
zum Beten ("Not lehrt Beten" oder "Jetzt hilft nur noch Beten"). Allerdings wie gesagt nicht
nur in Notlagen als Stoßgebete. Der Inhalt der Bitten beschränkt sich dabei nicht nur auf
geistliche Anliegen (Mt 6,9f.; 9,38; Eph 6,19) wie z.B. auch die Vergebung (s. Beichtgebet),
sondern bringt auch menschliche Bedürfnisse vor Gott, wie die Bitte um das tägliche Brot im
Vaterunser Mt 6,11. Auch die Bitte um Gesundung ist verständlich 2 Kor 12,7f.; 2 Kö 20,3.
Aber nicht immer wird sie erfüllt (s. Paulus), oder nicht immer ist es gut, wenn sie erfüllt wird
(s. Hiskia-Manasse). Darum sollen Christen vor allen Bitten um äußere Dinge, um sie sich
eigentlich nicht sorgen brauchen (Mt 6,31f.), um das Kommen des Reiches Gottes bitten Mt
6,33. Betern, die das Reich Gottes ins Zentrum ihrer Bitten stellen, haben die Verheißung,
dass ihnen alles andere dazu gegeben wird, ohne dass sie darum bitten müssten.
Frage: Bitten wir inzwischen zu individualistisch, ja egoistisch als Folge der Aufklärung? Wo
liegt unser Gebetshorizont (beim Vaterunser kommen unsere persönlichen Bedürfnisse erste
an vierter (!) Stelle).
Anbetung: Das gottesdienstliche Gebet, wie Pualus nennt, entsteht, wenn ein Mensch sich
Gott naht und erkennt, wie klein er und wie gross Gott ist. Dadurch, dass der Beter Gott
preist, groß macht und verherrlicht, wird er frei von eigensüchtigen Anliegen (um sich selbst
kreisen) und von kleinmütiger Verzagtheit (dass uns kleiner wird das Kleine und das Große
groß erscheine). Es geht um das Stehen vor Gottes Majestät und die Hingabe an ihn. Die
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ganze Bibel ist darum durchzogen von Anbetung. Nicht nur das Volk Israel wird ermahnt,
Gott allein zu ehren und anzubeten (2 Mo 20,5: 5 Mo 4,19), auch die Heiden werden
kommen und Gott anbetend ehren (Ps 22,28; Jes 45,22ff.). Ebenso beten die Engel den
Herrn an (Jes 6,3). Selbst der menschgewordene Gottessohn betet in seinem Menschsein
den Vater an (Mt 11,25) als den, dem allein alle Ehre gebührt, obwohl Jesus als Gottessohn
eigentlich nicht beten müsste, denn sein Vater hört ihn allezeit! Joh 11,41f. Die Jünger
wiederum beten den Sohn an (Lk 24,52), denn erst durch ihn erreicht die Anbetung die
geistgewirkte Tiefe, die ihr zukommt Joh 4,24. Die Anbetung Gottes zieht sich durch alle
Briefe des Paulus, oft auch als Hymnus (Rö 11,36; Gal 1,5 Eph 3,21; 1 Tim 1,17; 2 Tim 4,18).
Die vollkommene Anbetung wird jedoch erst die vollendete Gemeinde dem Schöpfer
darbringen (Offb 5,9ff; 7,10ff; 11,16ff; 19,1).
Wie könnte das Element der Anbetung mehr in unser Gebet Einzug erhalten?
Fürbitte: Im Griechischen beschreibt dieses Wort ursprünglich das Gesuch bzw. die Petition,
die ein Untertan bei der Audienz dem Herrscher vorträgt. Wir Christen dürfen täglich, ja
stündlich zur Audienz vor dem allmächtigen Gott erscheinen, ohne Hofprotokoll, ohne
Wartezeiten, um ihm unser Anliegen vorzutragen. Die Welt erhofft heute viel von
Gipfelkonferenzen, aber das Gebet ist die einzige Gipfelkonferenz, von der wir alles erwarten
dürfen. Die Fürbitte ist dabei das priesterliche Gebet, das fürbittende Eintreten für den
Nächsten, das Volk Gottes, die Regierung, die Feinde. Nimmt auch die Fürbitte im AT bereits
eine zentrale Stelle ein (1 Sam 7,5; 12,19; Jer 7,16; 111,14; 14,11; Dan 9,16 u.ö.), erreicht sie
erst im NT ihre ganze Breite und Tiefe (Joh 17,17.20). Paulus entfaltet auch eine ganze Fülle
von Anliegen für die Gemeinden (Eph 1,16; 3,14ff.; Phil 1,4.9f.; Kol 1,9) für die Obrigkeit (1
Tim 2,1f.) wie auch für einzelne Christen. Zugleich werden die Gemeinden ermahnt,
fürbittend für Paulus und seine Mitarbeiter vor Gott einzutreten (Kol 4,3; 1 Thess 5,25).
Abraham tritt für seinen Neffen Lot und die Städte Sodom und Gomorra ein 1 Mo 18,22ff.
Mose stellt sich in seiner Fürbitte vor das Volk Israel 2 Mo 32,32. Seinen Höhepunkt erreicht
das Fürbittegebet im Gebet Jesu am Kreuz für seine Feinde Lk 23,34, ihm folgend Stephanus
bei der Steinigung Apg 7,59. Bonhoeffer: „Eine christliche Gemeinde lebt aus der Fürbitte
der Glieder füreinander, oder sie geht zugrunde. Einen Bruder, für den ich bete, kann ich bei
aller Not, die er mir macht, nicht mehr verurteilen oder hassen. Sein Angesicht, das mir
vielleicht fremd und unerträglich war, verwandelt sich in der Fürbitte in das Antlitz des
Bruders, um dessentwillen Christus starb.“
Evtl. Kerzen anzünden und an jemanden denken…
Danksagung: Das Dankgebet nennt vor Gott das, worüber der Beter sich freut.
Frage: Kann ich Gott auch für das danken, worüber ich mich nicht freue?
Die taubstummblinde Helen Keller: „Ich danke Gott für meine körperlichen Behinderungen,
denn durch sie habe ich zu mir selbst, zu meiner Lebensaufgabe und zu meinem Gott
gefunden.“ Wir sollen Gott in jeder Lebenslage für alles danken 1 Thess 5,18, weil uns alle
Dinge zum besten dienen Röm 8,28, sofern wir Gott lieben und damit auch seinen Willen
und seinen Plan über unser Leben.
Im Danken erst bejahe ich Gott und alles, was mir aus seiner Hand zukommt. Im Danken
denke ich an Gott und bewahre mich vor Vergesslichkeit und selbstverständlichem Nehmen.
Erst der Dankende ist der Empfangende, der sich im Vertrauen einübt, dass Gott es bisher
gut gemacht hat und darum auch gut weiterführen wird. Während die Anbetung also Gottes
Herrlichkeit preist, preist der Dank Gottes Liebeserweise (mögen sie als solche erkannt
werden oder nicht). Darum spricht die Bibel an vielen Stellen vom Dank an Gott (1 Mo
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29,35; 5 Mo 32,6; 2 Sam 22,50; 1 CHro 19,11; 2 Chr 20,21; Ps 9,2; 100,4 Mt 14,19; Joh 11,41;
Rö 1,8; Eph 5,20) Paulus beginnt beinahe alle Briefe mit einem Dank (Röm 1,8; 1 Kor 1,4; 2
Kor 2,14); Eph 1,16; Phil 1,3). Er ermahnt die Gemeinden, Gott reichlich zu danken (Eph
5,4.20), um vor Müdigkeit bewahrt zu werden (Kol 4,2).
Wenn unser Gebetsteppich durchwoben ist von Bitte und Fürbitte, Dank und Anbetung, wird
er bunt und lebendig. Das wiederum bewahrt vor Routine und Selbstbezogenheit.
8. Stunde: Singendes Gebet
Von Augustin stammt der Ausspruch: Doppelt betet, wer singt. Die Bibel stellt nicht nur
Beten und Singen sehr eng zusammen, sie kennt auch Gebetslieder Eph 5,19f.; Kol 3,16.
Schon die Psalmen sind Loblieder auf Gottes Güte und Treue, auf Gottes Taten in der
Schöpfung, Gebete in schwerer Not, Dankgebete nach erfahrener Rettung, Wallfahrtslieder
und Zionslieder. Sie wurden betend gesungen und singend gebetet. Aufgenommen werden
sie in den ntl. Cantica: Der Lobpreis Marias (Magnificat Lk 1,46-55), der Lobpreis des
Zacharias (Benedictus Lk 1,68-79); der Lobpreis Simeons (Lk 2,29-32). Schon Mose besingt
den Sieg Gottes 2 Mo 15,1-21; Jesaja weiß vom Danklied der Erlösten Jes 12,1-6 und: Im
Himmel wird immer noch gesungen Offb 5,8f., wenn alle Gebete verstummt sind.
Warum singen Christen, wenn sie beieinander sind?
Bonhoeffer: „Zunächst ganz einfach darum, weil es ihnen im gemeinsamen Singen möglich
ist, dasselbe Wort zu gleicher Zeit zu sagen und zu beten, also um der Vereinigung im Worte
willen. Dass wir es nicht gemeinsam sprechen, sondern singen, bringt nur die Tatsache zum
Ausdruck, dass unsere gesprochenen Worte nicht hin reichen, das auszusprechen, was wir
sagen wollen, dass der Gegenstand unseres Singens weit über alle menschlichen Worte
hinaus geht. Dennoch lallen wir nicht, sondern wir singen Worte zum Lobpreis Gottes, zum
Dank, zum Bekenntnis, zum Gebet. So steht das Musikalische ganz im Dienst des Wortes.“
Ist instrumentale Musik auch Gebet? Was ist mit dem Jubilieren (Wiehern)?
Wie könnte das Singen in der Familie wieder gewonnen werden? Welche Rolle spielt das
Lieder-Hören?
Persönliches Gebetslied (kann auch gesprochen werden, sofern man es auswendig kann).
Singen am Kinderbett (Müde bin ich…). Singen auch am Sterbebett.
Lieder heraus suchen, die ganz bewusst die Anrede an Gott haben, und manche Texte
anschauen.
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9. Stunde: Gehorsames Gebet
Das Schiff ist in einem schweren Sturm untergegangen. Zwei Manager haben sich in ein Boot
retten können. Tagelang treiben sie auf dem Meer. „Lieber Gott“, ruft schließlich der eine,
„wenn ich heil davon komme, stifte ich für unser Gemeinde einen Internetanschluss.“ Am
nächsten Morgen ist die Lage noch genauso trostlos. Der Geschäftsmann betet wieder:
„Lieber Gott, wenn du mich errettest, dann stifte ich sogar…“ „Stopp!“, schreit der andere,
„hör sofort auf mit deinen Angeboten. Land in Sicht!“
Welche Gebete erhört Gott?
Gebete, in denen wir Gott etwas versprechen? Wenn also unsere Gebete nicht erhört
werden, haben wir Gott zu wenig angeboten?
Jedoch: Was könnten wir ihm anbieten, was ihm nicht schon gehört? Ist Gott ein Kaufmann,
mit ich feilschen kann? (s. Abraham 1 Mo 18,16ff.: Gott lässt sich zwar auf Abraham ein, aber
am Schluss geschieht sein Wille, alles Verhandeln hat keinen Zweck gehabt). Unser Gebet ist
kein Verkaufsgespräch, denn Gott gibt gern! Jes 65,24
Gebete, mit denen wir Gott ständig in den Ohren liegen, bis er schließlich nachgibt? Wenn
also unsere Gebete nicht erhört werden, haben wir Gott zu wenig genervt?
Jedoch: Dürfen wir Gott unter Druck setzen und in den Ohren liegen, bis wir schließlich
unseren Willen bekommen? (s. die Witwe Lk 18,7f; V 8 ist entscheidend: „In Kürze!“ Gott ist
anders als der ungerechte Richter!) Nicht die Gebetsquantität ist entscheidend Mt 6,7!
Gebete, die intensiv sind und aus einem tiefen Vertrauen heraus kommen? Wenn also
unsere Gebete nicht erhört werden, haben wir Gott zu wenig vertraut?
Jedoch: Wer hat schon einen solch großen Glauben, dass er damit im Gebet vor Gott
bestehen könnte? (s. Jak 5,16 „Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist“.
Aber das stimmt nicht. Es liegt nicht an unserer Ernsthaftigkeit. Leider übersetzt Luther Jak
5,16 nicht korrekt, so dass Missverständnisse vorprogrammiert sind. Jakobus schreibt
wörtlich: „Stark ist die Bitte eines Gerechten, die wirksam gemacht wird.“ Es ist also gar nicht
die Rede davon einer Eigenschaft, die dem Gebet zu Eigen sein muss, um erhört zu werden.
Sondern es ist die Rede von Gott, der die Bitte eines Gerechten umsetzt. Als Beispiel wird in
Jak 5,17f. Elias Bitte um Trockenheit angeführt. Dass Gott sogar Gebete erhört, die
überhaupt nicht ernsthaft gemeint bzw. vertrauensvoll gebetet worden sind, belegt
eindrücklich die Geschichte von Petrus und Rhode in Apg 12,12-17.
Also nochmals die Frage: Welche Gebete erhört Gott?
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Es sind alle Gebete, die in seinem Willen geschehen. Wie sagt Bonhoeffer: „Gott erfüllt nicht
alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen.“ Wir denken zuerst an uns und unsere
Wünsche, aber wir sind beim Beten herausgefordert, uns in Jesus hinein zu beten bzw. in
seinen Willen, weil sein Wille und der Wille der Vaters übereinstimmen. Vor allem der
Apostel Johannes hebt dies hervor: z.B. Joh 14,13f. und 16,23f. (Name steht für Person!)
oder noch deutlicher Joh 15,7. (in diesem Sinn muss auch Mt 18,19 verstanden werden)
Bonhoeffers Glaubensbekenntnis lautet:
„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und
will.
Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft
überwunden sein.
Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott
nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Faktum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und
verantwortliche Taten wartet und antwortet.“
Wir denken, unsere Anliegen seien doch gut und Gott müsste der gleichen Meinung sein wie
wir. Aber Bonhoeffer weiß darum, dass wir vermeintlich Gutes wollen, was Gott nicht will,
und wirklich Gutes, das Gott für uns will, für nicht gut halten. Das liegt an unserer Trennung,
an unserer Beziehungsstörung zu Gott. Und unsere Sündhaftigkeit betrifft auch unser
Gebetsleben. Wir denken, wir seien im Beten ganz nah bei Gott, aber wir können auch ganz
nah bei uns sein und ganz weit weg von Gott. Adams Fall hat nicht einfach nur unser Wesen
korrumpiert, er hat auch unsere Gottesbeziehung und damit unser Gebetsleben verdorben
und kaputt gemacht. Was Adam an Gottes Nähe hatte (1. Mose 3,8 Gottes
Abendspaziergang in Eden mit Gesprächen auf Du und Du), das müssen wir uns erst wieder –
anfangsweise – schenken lassen. Bis wir in der Ewigkeit dann diese Beziehung wieder haben.
Deshalb sollten wir unsere Gebetsinhalte wirklich kritisch auf den Prüfstand stellen. Sind sie
wirklich in Jesus gebetet oder an Jesus vorbei? Wie können wir das überprüfen? Anhand der
Bibel. Wie haben die ersten Christen gebetet? Was war ihnen – im Unterschied zu uns –
wichtig? Und hier stellen wir fest: Es sind nicht individualistische Gebete im Vordergrund, in
denen es um die eigene Gesundheit, um den eigenen Schutz, um die eigene Familie geht,
sondern um Gottes Ehre, um sein Reich und seine Ausbreitung z.B. Apg 4,23-31. Jesus
fordert uns auf, um Mitarbeiter in seine Ernte zu beten (Mt 9,38). Dem entsprechen die
Gebete des Paulus um die Ausbreitung des Evangeliums (Eph 6,19; Kol 4,3; 2 Thess 3,1). Und
selbst da, wo Jesus uns auffordert, um die Vergebung der Sünden (Mt 6,22), die Bewahrung
vor Versuchung (LK 22,32) und vor Versuchung (Joh 17,15) zu beten, dient dies nicht
unserem eigenen Wohlbefinden, sondern dem, dass wir weiterhin in der Lage und fähig sind,
unseren Beitrag zu Gottes Reich zu leisten.
In diesem Sinn hält uns Jesus in den beiden Gleichnissen vom bittenden Freund und der
bittenden Witwe dazu an, dass wir anhaltend und drängend beten sollen Lk 18,1ff.. Aber
nicht um Gott etwas abzuringen, was wir selbst gerne hätten im Sinne von „nerven“,
sondern dass wir nicht eher aufhören, bis wir uns in Jesu Willen und Absichten hinein
gebetet haben. Oder um mit Bonhoeffer zu sprechen: Wir sollen bei diesen Gleichnissen
nicht an unsere Wünsche, sondern an Gottes Verheißungen denken!
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Das ist der tiefste Sinn und Zweck des Betens: Nicht um Gott zu beeinflussen und zu etwas zu
bewegen. So beten die Heiden vgl. 1 Kön 18,26-29 (Elia auf dem Karmel). Bei uns Christen ist
es genau umgekehrt: wir sollen von Gott durch das Gebet beeinflusst werden.
Darum müssen wir uns eine ganz wichtige Tatsache klar machen:
Gott braucht mein Gebet nicht! In keinerlei Weise!
„Und es soll geschehen: Ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich
hören.“ Jes 65,24
„…denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet“ Mt 6,8
Wir brauchen Gott nicht zu informieren! Warum: Weil Gott allwissend ist, und zwar im Blick
auf mich (Psalm 139) genauso wie im Blick auf die Zukunft.
Wir können Gott nichts im Gebet erzählen, was er nicht schon längst weiß! Und wir sollen
schon gar nicht meinen, wir wüssten, wie es eigentlich geht und Gott dann in diese Richtung
schieben. Darum kann der Satz von Oetinger falsch verstanden werden: „Die Fürbitte der
Kinder Gottes ist ihre Teilhabe am Weltregiment Gottes“. Wir regieren nicht an Gottes Stelle
oder mit Gott zusammen durch unser Beten. Das braucht Gott nicht und will er auch nicht.
Wohingegen wir ein ganz tiefes Bedürfnis haben, mit Gott über das Gebet zusammen zu
arbeiten.
Die englische Missionsärztin Anne Townsend schreibt in ihrem Buch „Überraschungen mit
dem Gebet“: „Warum hat der allmächtige Gott die Fürbitte von jemandem wie mir nötig?
Sicher kommt doch ein solcher Gott mühelos zurecht, auch ohne dass ich ihn darum bitte! ...
Gott macht es den sündigen Menschen möglich, ein wenig mitzuwirken an seinen Zielen für
diese Welt…“
Gottes Arm wird aber nicht durch mein Gebet bewegt! Das steht so nirgends in der Bibel, im
Gegenteil: Gott kann seinen Arm sehr gut selbst bewegen!
Hiob 40,9: Hast du einen Arm wie Gott?
Jejaja 50,2: Ist mein Arm nun so kurz geworden, dass er nicht mehr erlösen kann?
Jesaja 59,1: Siehe, des Herrn Arm ist nicht zu kurz, dass er nicht helfen könnte…
Die Frage von Anne Townsend ist richtig, nur die Antwort nicht. Sie spürt, dass eigentlich
Gott in seiner Allmacht überhaupt nicht auf meine Mitarbeit angewiesen ist. Weder
kooperiere ich gebetsweise mit Gott noch leite ich durch meine Gebete die
Regierungsgeschäfte Gottes mit.
Aber haben Menschen nicht schon zu Gott gebeten und dadurch seinen Willen und sein
Handeln geändert? Beispiele: Mose (2. Mose 32,7-14), Hiskia (2. Könige 20,1-7) oder die
Leute von Ninive (Jona 3,5-10).
Andererseits: Menschen haben auch schon zu Gott gebeten und es hat überhaupt keinen
Einfluss auf Gott genommen, dass er sein Vorhaben geändert hätte. Beispiele: Abraham (1.
Mose 18,16-33); David (2. Samuel 12,15-22); Jesus (Mt 26,39b).
Wir können nicht Gottes Willen durch unsere Gebete ändern, weil Gottes Wille von Ewigkeit
her feststeht, sowohl für die große Heilsgeschichte (Epheser 1,4) als auch für mein Leben
(Psalm 139,16) als auch für den allerkleinsten Vorgang (Mt 10,29f.).
Warum steht dann in der Bibel von Gottes Reue (1. Mose 6,6f.)? Genauso steht auch von
seiner Nicht-Reue (4. Mose 23,19). Ja, es gibt sogar ein Kapitel, in welchem von beidem
hintereinander scheinbar sich widersprechend die Rede ist: 1 Sam 15,11.29.35! Erklärung?
Fazit: So wie Gottes Allwissenheit alle unsere Gebetsinformationen überflüssig macht, macht
Gottes Vorherbestimmung alle unsere Gebetsbeeinflussungen überflüssig!
Die wichtige Frage, die dann zwangsläufig kommt: Warum sollen wir dann überhaupt noch
beten? Antwort: Gott braucht unser Gebet nicht, aber er will es! Siehe Psalm 50,15! Warum
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aber will er es? Weil er es gebraucht. Also: Gott braucht unser Gebet nicht, sondern er
gebraucht es. So lautet die vollständige These!
Wozu gebraucht Gott unser Gebet? Damit wir nach seinem Willen beten. Dadurch ist auch
die Frage gelöst, warum Gott scheinbar unsere Gebete oft nicht erhört, obwohl er es x-mal
in der Bibel versprochen.
Jetzt haben wir die Antwort: Wir sollen nicht Gott in den Arm fallen durch unser Gebet,
indem wir ihn von etwas abhalten, sondern wir sollen uns Gott in die Arme fallen lassen,
indem wir uns an Jesu Worte halten. Anders gesagt: Beim Beten geht es nicht darum, meine
Probleme zu lösen, sondern meine Probleme auf Gott zu legen.
Augustin: „Wir beten nicht, um Gott zu unterrichten, sondern um uns aufzurichten!“
Kierkegaard: „Das Gebet ändert nicht Gott, sondern den Betenden!“
Das ist der Schlüssel für erhörungsgewisses Beten: Dass wir bei jedem Anliegen immer mehr
das „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“ mitbeten (so wie z.B. Paulus in Röm
1,9f. im Blick auf seine Reisepläne). Aber nicht als leere Schicksalsergebenheit, sondern als
ein Beten in dem Wissen, dass Gottes Wille alles zu einem guten Ziel führen wird (Röm 8,28).
Nur so erkennen wir Gottes Souveränität an, nur so erkennen wir, wie abhängig wir von ihm
sind, nur so werden wir von Fordernden zu Empfangenden. Wenn wir uns immer mehr in
Jesus und seinen Willen hineinbeten, wenn wir immer mehr wollen, was er will. Dann
trachten wir als erstes nicht mehr nach unseren eigenen Wünschen und Sehnsüchten,
sondern nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit. Darum bewahre uns Gott davor, dass
er unsere Gebete und damit unseren Willen erhört. Vielmehr führe Gott uns dazu hin, dass
wir seinen Willen erlauschen und vor ihm im Gebet ausbreiten. Dann beten wir nicht mehr
an Jesus vorbei, sondern in Jesus. Und dann wird Eph 3,20 in unserem Leben erfahrbar! So
wie bei der indischen Ärztin Mary Verghese, die von einem Busunfall eine Lähmung von der
Hüfte abwärts davon getragen hat und ein Buch schrieb mit dem Titel „Um Füße bat ich –
und er gab mir Flügel!“.
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10. Stunde: Hörendes Gebet
Martin Luther hat einmal Folgendes ausgeführt: „Es kommt wohl oft vor, dass mir in einer
Bitte so reiche Gedanken kommen, dass ich die andern alle anstehen lasse. Und wenn einem
solche reichen, guten Gedanken kommen, so soll man die andern Gebete fahren lassen und
diesen Gedanken Raum geben und mit Stille zuhören und beileibe nicht hindern. Denn da
predigt der Heilige Geist selber, und ein Wort seiner Predigt ist besser als tausend unserer
Gebete. Ich habe auch in einem Gebet oft mehr gelernt, als ich aus vielem Lesen und
Nachdenken hätte kriegen können.“
Luther spricht hier also vom Zuhören beim Beten. Auf Gottes Reden hören, das ist der
Lebensatem unseres Glaubens, das versorgt ihn mit Sauerstoff. Deshalb brauchen wir das
Gebet. Und weil wir das Gebet brauchen, brauchen wir den Heiligen Geist.
In Jesus hineinbeten kann sich nur, wer aufhört, ständig sich selbst zuzuhören und immer
mehr lernt, Jesus zuzuhören. Damit bin ich bei dem, was man hörendes Gebet nennt.
Kierkegaard: „Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde,
da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still.
Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist,
ich wurde ein Hörer.
Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist,
sondern hören.
So ist es: Beten heißt nicht sich selbst reden hören.
Beten heißt: Still werden und warten, bis der Betende Gott hört.“
Wenn wir uns also Gottes Thron nähern, Stufe um Stufe nach oben steigen, desto stiller wird
unser Gebet, desto weniger haben wir zu sagen und desto mehr kann Gott zu uns sagen. Auf
der obersten Treppe in Gottes Thronsaal, ganz nah am Glanz seiner Majestät, sind wir zuletzt
ganz still. Wir werden zu Hörern. Beten auf der höchsten Stufe ist nicht Reden, ist auch nicht
Schweigen, sondern ist Hören. Denn dann reden nicht mehr wir, sondern der Heilige Geist in
uns. Denn aufgrund unserer Sündhaftigkeit wissen wir ja gar nicht, wie wir beten sollen, wie
es sich gebührt. Deshalb kann nur der Heilige Geist unserer Schwachheit aufhelfen und uns
selbst vor Gott mit unaussprechlichem Seufzen vertreten Röm 8,26.
Das bedeutet, dass wir in dieser Form des Betens Gott selbst zuhören. Wie er sich mit sich
selbst unterhält, der Heilige Geist in uns mit dem Vater und dem Sohn. Beim hörenden Beten
lauschen wir also Gottes Selbstgesprächen. Beten auf dieser Stufe ist keine Zwiesprache
mehr zwischen Mensch und Gott, sondern das Selbstgespräch Gottes, bei dem wir
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Ohrenzeugen sein dürfen. Und wenn wir Gott zuhören, können wir auch erfahren, was er für
uns für diese Welt will. Wir erfahren, was Gott will, denkt und plant. Und darum geht es wie
schon gesagt beim Beten: dass wir uns in Jesus, in seinen Willen hineinbeten (s.
Mengenlehre mit zwei Kreisen: Schnittmenge soll immer größer werden). Deshalb ist in der
Bibel an gar nicht so wenigen Stellen nicht vom redenden, sondern vom hörenden Gebet die
Rede! Jesaja 50,4f.; Römer 8,15f.26f.; 1. Korinther 14,15; 2. Korinther 12,4; Galater 5,16;
Epheser 6,18; Judas 20; Offenbarung 22,17
Wie erkenne ich nun, dass Gottes Geist und nicht mein eigener Geist in mir spricht? Dass ich
also in Jesus und nicht an Jesus vorbei bete? Antwort: Schrift, Mitchristen…
John Bunyan: „Wenn Sie beten, dann lieber mit einem Herzen ohne Worte, als mit Worten
ohne Herz.“
Übung: Eingangsgebet nach Thomas von Kempen beten
Bibelvers heraussuchen – in die Stille gehen – Danach Eindrücke mitteilen
Gott Vater, Schöpfer des Himmels und der Erden, wir dürfen dich Vater nennen. Das ist ein
ungeheures Vorrecht, das du uns gibst. Denn aller Himmel Himmel können dich nicht fassen.
Wir können dich nicht sehen und schon gar nicht begreifen. Wir können nur niederknien vor
dir, uns demütig vor dich hinwerfen und uns dir unterwerfen. Wir können nur dich
anerkennen als denjenigen, der tötet und wieder lebendig macht. Der Macht hat alles zu
geben und alles zu nehmen. Denn wir sind nur Staub vor dir. Und trotzdem, trotz allem,
dürfen wir dich Abba, lieber Vater, nennen. Durch deinen lieben Sohn Jesus Christus sind wir
jetzt auch deine lieben Söhne und Töchter. Wir haben Zugang zu deinem Herzen, weil er am
Kreuz den Weg frei gemacht hat. Der Tempelvorhang ist zerrissen. Du bist dabei nicht nur
unser Vater, sondern der Vater aller deiner Kinder im Himmel und auf Erden. Alle Engel,
Kinder deines Wohlgefallens, alle verstorbenen Christen, Kinder deiner Güte, alle lebenden
Christen, Kinder deines Erbarmens. Mit ihnen, den Engeln und den Seligen, sind wir
verbunden, wenn wir dich anrufen als unseren Vater. In Jesus Christus, deinem lieben Sohn.
Darum werden sich am En-de der Zeiten im Namen Jesu aller derer Knie beugen, die im
Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. Und sie werden zu deiner Ehre bekennen,
dass Jesus Christus Herr ist.
Himmlischer, gütiger, allmächtiger Vater, gib uns Kraft, aber nicht nach der Größe unserer
Erwartung, nicht nach der Enge unseres Misstrauens, sondern gib uns Kraft nach dem
Reichtum deiner Herrlichkeit. Setze uns in Bewegung, verleihe uns Dynamik, schenke uns
Aufbrüche. Verändere deine Kirche und fange bei uns an. Stärke uns nicht einfach äußerlich.
Wir bitten dich nicht um große körperliche oder seelische Kräfte. Denn wir wissen und
glauben: Deine Kraft ist auch in den Schwachen mächtig. Nein, stärke uns innerlich, richte
uns auf durch dich und richte uns aus auf dich. Stärke unsere Einsicht, immer besser zu
unterscheiden zwischen dem, was richtig ist und dem, was falsch ist. Dazu brauchen wir
deine Blickrichtung. Stärke unseren Willen, immer mehr dem Bösen zu widerstehen und das
Gute umzusetzen. Dazu brauchen wir deine Motivation. Stärke unsere Sehnsucht, immer
tiefer dich und deine Heilspläne erkennen zu wollen. Dazu brauchen wir deine Weisheit.
Herr Jesus Christus, wir bitten dich: Nimm du selbst Wohnung in unserem Herzen. Werde du
nicht nur Teil unseres Lebens, sondern der bestimmende Faktor. Nimm Anteil an allem, was
uns bewegt. Sei unserem Herzen so nahe, dass du immer hören kannst, wie es schlägt:
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schnell und unruhig, weil wir uns fürchten und sorgen; schnell und freudig erregt, weil wir
uns freuen und fröhlich sind; schnell und angespannt, weil wir viel arbeiten und unter Stress
sind; lang-sam und ruhig, weil wir ruhen und. Bringe unseren Herzschlag auf die gleiche
Frequenz wie den deinen. Dass unser Herz genauso für andere zu schlagen beginnt wie das
deinige. Reiße darum alle Lieblosigkeit und Herzlosigkeit aus unserem Herzen heraus.
Verwurzele uns dafür tief und fest in deiner herzlichen Liebe. Damit deine Liebe uns auch
dann noch trägt, wenn wir sie nicht mehr spüren und wenn wir keine Liebe mehr für andere
haben. Mach unser Herz weit, dass es nicht nur auf uns und unser Wohlergehen und
unseren Glauben sieht. Sondern dass es die ungeheure Weite erkennt, mit der dein Herz
diese ganze Welt umspannt. Wir sind nicht für uns allein mit dir herzlich verbunden, sondern
auch mit allen Heiligen, mit allen Menschen, die zu dir gehören und deinen Vater auch als
ihren Vater haben. Wir bitten dich deshalb besonders für unsere verfolgten Brüder und
Schwestern auf der ganzen Welt, besonders in kommunistischen Staaten wie Nordkorea,
Vietnam und China und in islamischen Staaten wie Pakistan, Iran und Sudan. Wohne du
durch den Glauben auch dann noch in ihren Herzen, wenn ihre Kirchen und Häuser
niedergebrannt werden. Wurzele sie in der Liebe auch dann noch ein, wenn ihre Kinder
entführt und sie selbst eingesperrt werden. Herr Jesus Christus, du bist in unsere Welt
gekommen, und du willst auch in unser Herz kommen. Aber nicht als Gast, sondern als
Dauerbewohner. Komme in die Wirklichkeit unseres Lebens und ziehe uns zugleich in die
Wirklichkeit deines Lebens. Damit wir mit deinen Augen des Herzens unsere Wirklichkeit zu
sehen lernen und sie dadurch in einem anderen Licht erscheint. Nicht verklärt und
beschönigt, aber aufgenommen und aufgehoben in deinen durchbohrten Händen. Um deine
ungeheure Liebe zu erkennen, die selbst im tiefsten Leid nicht gebrochen werden konnte. Du
hast am Kreuz gesiegt – über Sünde, Hölle, Tod und Teufel. Und du wirst am Ende der Zeiten
alle Mächte und Gewalten in einem Triumphzug hinter dir her marschieren lassen. Deine
Liebe wird allen Hass und alles Widergöttliche besiegen. Dann wirst du all die vielen Tränen,
die jetzt und noch in Zukunft geweint werden, abwischen von unseren Augen. Gib uns diese
geistliche Erkenntnis, wenigstens ansatzweise in deinen Dimensionen und in deinen
Zeiträumen zu denken, dass uns kleiner werd’ das Kleine und das Große groß erscheine –
selge Ewigkeit.
Gott Heiliger Geist, wir bitten dich, dass du uns erfüllst mit dieser überfließenden
Gottesfülle. Wir können ausbrennen, du kannst uns neu entzünden. Wir können in
oberflächliche Routine verfallen, du kannst uns neu inspirieren. Wir können uns von der
Liebe Jesu entfernen, du kannst ihn uns neu nahe bringen. Wir können rätseln und fragen,
du aber kannst uns über Bitten oder Verstehen Erkenntnisse schenken. Wir können im Gebet
erlahmen, du kannst uns neue Wege auftun. Wir können im Bibellesen nachlässig werden,
du kannst in uns neue Sehn-sucht entfachen. Wir können uns mit manchen Mitchristen
schwer tun, du kannst uns die Liebe für sie geben. Wir können die Größe Gottes aus dem
Blick verlieren über unseren Alltags-problemen, du kannst uns Gott neu groß machen.
Darum führe uns in die Anbetung, Heiliger Geist, dass wir dich ehren mit dem Vater und dem
Sohn, denn dir allein, dreieiniger Gott, gebührt Anbetung. Du allein bist würdig zu nehmen
Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Lob. Wir brauchen
nicht alles zu verstehen. Es ist genug, dass du alles in allem bist für Zeit und Ewigkeit.
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11. Stunde: Das Gebet des Herrn
Clemens Hägele, Studienleiter im ABH, erzählt: „Mein Vater wuchs in einer Freikirche auf. In
dieser Freikirche war es nicht üblich, in den Gottesdiensten das Vaterunser zu beten. Als
Jugendlicher fragte er einmal bei seinen Ältesten nach, warum dies so sei. Sie antworteten
ihm, dass das Vaterunser im Lauf der Kirchengeschichte schon so oft missbraucht worden
sei.“ In der Tat, das Vaterunser ist leicht zu missbrauchen (siehe Mara).
Luther hat das auch so gesehen, und dennoch das Vaterunser ungeheuer geschätzt. Er
bezeugt: „Denn noch heutigen Tages sauge ich am Vaterunser wie ein Kind; ich trinke und
esse davon wie ein alter Mensch, und kann es nicht satt werden. Es geht mir selbst über den
Psalter, den ich doch sehr lieb habe. Es ist das allerbeste Gebet. Für, da zeigt sich, dass es der
rechte Meister geformt und gelehrt hat, und es ist ein Jammer über Jammer, dass dieses
Gebet eines solchen Meisters so ohne jede Andacht in aller Welt zerplappert und zerklappert
werden soll. Viele beten in einem Jahr vielleicht etliche tausend Vaterunser, und wenn sie
tausend Jahre so beten würden, so hätten sie doch noch keinen Buchstaben oder Punkt
davon geschmeckt noch gebetet. Kurz, das Vaterunser ist der größte Märtyrer auf Erden,
ebenso wie der Name und das Wort Gottes. Denn jedermann plagt’s und mißbraucht’s,
wenige trösten’s und machen’s fröhlich durch rechten Gebrauch.“
Jesus hat uns beten gelehrt, das Vaterunser ist also das Gebet unseres Herrn für unsere
Lippen und für unser Herz, und sei es noch so oft ohne Sinn und Verstand herunter geleiert!
Wir aber wollen neue Seiten am Vaterunser entdecken!
Anspiel zum Vaterunser
Fragen zum Vaterunser:
Vater unser in den Himmeln – Dürfen wir Gott beim Beten mit unserem irdischen
Vater vergleichen? So wie Matthias Claudius, der bekennt: „Siehe, wenn ich’s beten will, so
denke ich zuerst an meinen seligen Vater, wie der so gut war und so gern mir geben
mochte.“ Hat Probleme (wo ein leiblicher Vater ganz anders war), aber auch Chancen
(vermittelnde Hilfe, wo unsere Vorstellungskraft zu Ende ist). Wo sind diese Himmel? Dort
wo Gott ist! In einer Dimension, uns nicht zugänglich. Gott definiert durch seine Gegenwart
das, was Himmel ist. Durch ihn wird also selbst die Hölle zum Himmel und ohne ihn der
Himmel zur Hölle.
Dein Name werde geheiligt – Was bedeutet das konkret? Nur das Vermeiden
unbedachter Rede über und von Gott(2. Gebot)? Wofür steht Name? Wofür Heiligung?
Unser Leben hat als Zielpunkt nicht unseren Nutzen, nicht einmal unsere Seligkeit, sondern
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allein Gottes Ehre! Aber wie soll unser ganzes Leben so gestaltet sein, dass es Gottes Ehre
dient?
Deine Königsherrschaft komme – Aber: Ist Gott nicht schon der Herrscher? Er ist doch
der Lenker der Geschichte und der Leiter des Universums? Stellen wir uns ein Königreich im
Mittelalter vor, dessen Herrscher gewechselt hat. Der neue Herrscher setzt neue Mitarbeiter
ein und erlässt neue Gesetze usw. Er ist der Herrscher, ihm gehört das Reich, er hat das
Sagen. Aber: Es dauert seine Zeit, bis sich das durchsetzt. Denn viele Menschen an den
Rändern des Reiches haben von dem Wechsel noch gar nichts mitbekommen. Sie leben, als
wäre ihr alter Herrscher noch am Leben, wissen nichts von seinen neuen Gesetzen. Andere
wissen zwar um den neuen Herrscher, aber sie lehnen ihn innerlich ab, scheren sich nicht um
seine Neuerungen. Das Reich ist also einerseits schon da (Lk 17,21), andererseits muss es
sich noch durchsetzen (Lk 11,2).
Dein Wille geschehe im Himmel wie auf Erden – Geschieht nicht Gottes Wille
ohnehin? Denn Gott hat doch alles vorherbestimmt (Röm 8,29; 1 Kor 2,7; Eph 1,11; 1 Petr
1,2) und es gibt doch nichts, was sich seinem Willen erfolgreich entgegen stellen könnte,
nicht Teufel, nicht Tod (1 Kor 15,25ff.; Kol 2,15)? Oder geschieht Gottes Wille nur im Himmel
und nicht auf der Erde? Aber geschieht Gottes Wille dann auch in den bösen und
furchtbaren Dingen Jes 45,7; Amos 3,6? Deshalb ist diese Bitte die schwerste, die manche
Christen zeitweise nicht mehr beten können. Vgl. die Geschichte von der Bauersfrau aus
Dunningen mit der Todesanzeige „Dein Wille geschehe!“ Siehe auch das Gebet Jesu in Mt
26,39. Vergleiche dazu das bereits Gesagte. Gottes Willen und damit Gottes Heilsplan
vollzieht sich auch ohne uns, aber Gott will, dass wir uns in seinen Willen hineinbeten, damit
wir auf sein göttliches „Ich will und ich werde“ unser menschliches „Ja, Herr, Amen“
sprechen.
Unser tägliches Brot gib uns heute – Warum heißt es „Unser Brot“, wo wir doch so oft
beten „Mein tägliches Brot gib mir heute“? Was bedeutet „unser“ Brot? Und warum heißt es
„heute“ und nicht auch „morgen“ und „übermorgen“?
Und führe uns nicht in die Versuchung hinein – warum müssen wir Gott darum
bitten, uns nicht zu versuchen? Er versucht doch nicht vgl. Jak 1,13f.? Oder versucht er doch
selbst 5. Mos 8,2; 13,4; 2. Chron 32,31; Mt 4,1; 1 Kor 10,13; 2. Thess 2,11? Oder versucht der
Teufel 1. Mos 3,4.13; 1 Kor 7,5; 1 Thess 3,5? Auflösung: Gott versucht durch Begierden,
durch den Teufel, auch direkt. Doch wir dürfen damit nicht unser Gottesbild verdunkeln,
deshalb die Aussage von Jakobus. Gott versucht niemand, wenn er selbst damit als böse
bezeichnet würde und der Mensch sich damit aus der Verantwortung stehlen wollte. Aber
auch wenn Gott nicht versucht aus Bosheit zum Bösen um des Bösen willen, sondern aus
planvoller Überlegung zum Bösen um seines Heilsplanes willen, lenkt und leitet er die
Versuchung. Unsere Begierden oder der Teufel sind nicht mächtiger. Also: Gott kann uns
versuchen, jederzeit, wann und wie er will (siehe David; siehe Jesus). Und wenn Gott uns
versucht, sind wir eigentlich verlorene Leute! Darum können wir nur beten, dass er es nicht
tut!
Sondern erlöse uns von dem Bösen – Ist damit der Böse oder das Böse gemeint?
Beides! Wie erlöst uns Gott vom Bösen? Durch die Heilstat seines Sohnes Jesus Christus. Und
wann tut er es? Jetzt anfangsweise und am Schluss ein für alle mal.
Und vergib uns unsere Schuld – Warum sollte Gott uns unsere Schuld vergeben?
Worin besteht unsere Schuld? Und wie sieht Vergebung konkret aus? Welcher Bilder gibt es
dazu?
Wie wir vergeben unseren Schuldigern – Warum fällt uns das so schwer? Heißt
Vergeben Vergessen? Von neuem vertrauen? Ganz in Ordnung finden? Den anderen aus der
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Verantwortung entlassen? Erst Vergebungsbereitschaft fühlen? Erst wenn der sich bei mir
entschuldigt?
Stufen: Erst Gott bitten, dass er dem anderen vergibt; dann bitten, dass er einem die Kraft
gibt, dem anderen zu vergeben; dann den anderen zu segnen versuchen; schließlich dem
anderen bewusst und willentlich vergeben: Ich vergebe dir, nicht weil du es verdienst,
sondern weil es mir gut tut! Und weil Jesus mir ansonsten nicht vergibt Mt 18,35.
(denn dein ist das Reich und Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit) gehört nicht
ursprünglich zum Vaterunser, sondern wurde später hinzugefügt, wie die alten
Handschriften des NT ausweisen!!!
Wie das Vaterunser in der Familie wieder gewinnen? Luther hat es jeden Morgen gebetet.
12. Stunde: Gebetspraxis in der Familie
Beten soll auch in der Familie praktiziert werden. Das Gebet zum lebendigen, wahren Gott
kommt nicht von selbst, sondern muss von den Generationen her weitergegeben werden
(Beispiel Vikarskollegin, die ihrem Sohn nichts von Jesus erzählte…). Familie als Brutkasten
des Gebets, als Keimzelle eines innigen Gottesverhältnisses.
Haben Sie sich eigentlich schon einmal gefragt, warum wir als hilflose, von anderen
abhängige Menschen zur Welt kommen und uns dann langsam zu körperlich, geistig und
emotional selbstständigen Erwachsenen entwickeln? Warum hat Gott nicht einfach ein
anderes Fortpflanzungssystem für uns Menschen gewählt, das einen körperlich voll
ausgebildeten Menschen erzeugen würde? Ich glaube, Gott wollte, dass wir als Säuglinge zur
Welt kommen, völlig hilflos und abhängig, damit die Familie zu einem Ort werden kann, an
dem Gottes Liebe ausgelebt wird. Und zwar in einer Weise, dass Kinder mit dem Gefühl
aufwachsen, verstanden, geliebt und akzeptiert zu werden. Umgeben von dieser bergenden
Elternliebe gewinnen Kinder Selbstständigkeit und lernen, sich selbst in der gleichen Weise
zu sehen, wie Gott sie sieht: als jemand, der wertvoll, erwünscht, wichtig und gut ist.
Martin Luther wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Wer ein neugeborenes Kind sieht, hat
Gott auf frischer Tat ertappt.“ Auch wenn es sich in Luthers Schriften nicht findet, trifft es
doch genau das, was in der Bibel zu finden ist. Gott ist nicht nur unser Schöpfer, sondern
auch unser Vater. In der Taufe spricht er sein Ja zu uns, mögen wir noch so klein und hilflos
sein. Und er wartet auf unser Ja zu ihm, das später kommen soll. Und unsere Eltern und Paten sollen uns dazu verhelfen, dass dieses Ja zu Gott wachsen und reifen darf. Indem sie die
Liebe weitergeben, die sie selbst von Gott empfangen haben. Deshalb könnte man auch sagen: Wer ein getauftes Kind sieht, hat Gott auf frischer Tat ertappt.
An welcher Stelle im Alltag einer Familie kommt Gebet am ehesten vor? (Mahlzeiten,
Reiseaufbruch, Kirchenjahr…)
Warum Beten? Das Gebet stärkt die Beziehung zum lebendigen Gott. „Gebet ist das Atmen
der Seele“. In der Familie ist das miteinander Reden ein wichtiger Teil für die Beziehung
zwischen den einzelnen Familienmitgliedern, es stärkt und schafft vertrauen, es hilft,
Probleme zu lösen. V.a. aber ist das Gespräch und das Zuhören ein Zeichen der Liebe
zwischen den einzelnen Familienmitgliedern zueinander. Diese Liebe wird gestärkt durch das
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Gespräch mit Gott: verstanden als einen Teil des Familienlebens, nicht als fromme Leistung.
„Das muss halt auch noch sein, weil wir Christen sind.“
Warum beten wir? Wir beten, d.h. reden mit Gott, teilen ihm uns mit, weil wir ihn lieben und
gern mit ihm zusammen sein wollen.
Gott macht deutlich, dass er sich an der Anwesenheit seiner Kinder erfreut. Gott gegenüber
ehrlich zu sein, ihm zu sagen, was er mir bedeutet, dass ich ihn liebe, was ich brauche, wo ich
Vergebung nötig habe, erfreut ihn. Dabei handelt es sich niemals um einen Einbahnstraße.
Gott reagiert auf Gebet so, wie ein guter Vater auf die Fragen, Wünsche, Reden seiner
Kinder reagiert. Bei manchem lächelt er einfach und sagt nichts. Bei anderen Dingen sagt er
„Nein!“ oder „Warte!“.
Ein Vater hatte seinen beiden Kindern versprochen, am Sonntag bei gutem Wetter einen
Ausflug zu machen. Darauf bat der Junge beim Abendgebet um schönes Wetter. Als die
Kinder am Sonntag erwachten, regnete es in Strömen. „Siehst du“, sagte der Ältere, „jetzt
hat Gott doch nicht gehört!“ Ganz entrüstet antwortete der Kleine: „Nicht gehört? Doch! Er
hört uns immer, wenn wir beten! Er hat bloß Nein gesagt!“
Warum ist Gebet für Familien so wichtig?
-
Familien lernen, dass es wichtig ist, einem Größeren als sich selbst zu vertrauen. Dies
wird an der Bedürftigkeit sichtbar, die durch das Gebet zum Ausdruck kommt.
Familien nehmen nichts selbstverständlich, wenn sie Gott für die guten Dinge
danken, die er ihnen schenkt (z.B. Gebet beim Essen)
Familien lernen, dass man in jedem Alter eine Beziehung zu Gott haben kann,
unabhängig von der Ausdrucksweise und formulierten Worten.
Familien teilen durch das Gebet nicht nur mit Gott ihre Anliegen, sondern stärken
auch ihre Beziehungen untereinander.
Familien prägen durch ihr Vorbild die nächste Generation.
Gebet hilft, einander zu vergeben, weil wir selbst Gottes Vergebung in Anspruch
nehmen.
Gebet hilft, auch weil es missionarisch ist (z.B. wenn Freunde der Kinder zu Besuch
sind).
Praktischer Vorschlag: Gebetslose-Box (machen die Kinder)
Gebetslose (Box) mit evtl. laminierten Bildern der Familienmitglieder (Bild für Papa, Mama,
Kinder, Oma, Opa usw.). Am Sonntag werden alle Bilder für die neue Woche eingeworfen.
Jeden Tag (am besten beim Frühstück) wird ein Bild heraus gezogen. Für denjenigen kann
dann den Tag über gebetet werden.
Die Kinder erklären ihren Eltern, wie die Gebetslose-Box funktioniert und die Familie macht
ganz praktisch gleich eine Gebetsrunde.
Familienvertrag: „Wir, Familie…, wollen uns jede Woche einmal treffen am …, um
gemeinsam die Gebetslose-Box zu füllen. Jede Woche ist ein anderer dafür verantwortlich.
Wir wollen uns gegenseitig daran erinnern, damit wir eine starke Familie bleiben“.
(Unterschriften…)
Tischgebetswürfel, mit verschiedenen Körperhaltungen sprechen (Aufstehen, an den
Händen halten usw.)
Gebetsbank bauen (Bausatz im Internet unter www.inhop.de) als Ort für Gebetslose
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Gebetskalender: An welchem Tag wollen wir für wen/was beten? Wir beten für Umfeld,
Schule, weltweite Missionsarbeit usw. IN diesen Kalender können auch wichtige Termine
eingetragen werden: Klassenarbeiten, Arztbesuche, Vorstellungsgespräch, Geburtstag usw.
Luthers Morgensegen
Das Gebet für den Beginn des Tages
Des Morgens, wenn du aufstehst,
kannst du dich segnen mit dem Zeichen
des heiligen Kreuzes und sagen:
Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist! Amen
Darauf kniend oder stehend das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser.
Willst du, so kannst du dies Gebet dazu sprechen:
Ich danke dir, mein himmlischer Vater, durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, dass du
mich diese Nacht vor allem Schaden und Gefahr behütet hast, und bitte dich, du wollest
mich diesen Tag auch behüten vor Sünden und allem Übel, dass dir all mein Tun und Leben
gefalle. Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein heiliger
Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.
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