ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Haben wir eine „Hans-guck-in-die Luft“-Theologie? Predigt von Pfarrer Walter Gisin gehalten am 29. Mai 2014 Schriftlesung: Apostelgeschichte 1,9-12 Predigttext: Apostelgeschichte 1,9-12 „Als er dies gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken. Und während sie ihm unverwandt nachschauten, wie er in den Himmel auffuhr, da standen auf einmal zwei Männer in weissen Kleidern bei ihnen, die sagten: Ihr Leute aus Galiläa, was steht ihr da und schaut hinauf zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird auf dieselbe Weise wiederkommen, wie ihr ihn in den Himmel habt auffahren sehen. Da kehrten sie vom Ölberg nach Jerusalem zurück; dieser liegt nahe bei Jerusalem, nur einen Sabbatweg weit weg.“ Liebe Gemeinde Ich scheine eine Art „Hans-guck-in-die-Luft“ gewesen zu sein, wie mir meine Frau in der Zeit unserer Verliebtheit einmal verraten hat. Damals arbeiteten wir beide in Peru an der Schule unserer Mission in Huariaca. Ich sei durchs Dorf marschiert und hätte nicht links und nicht rechts geschaut, obwohl da doch wirklich einige hübsche ledige Missionarinnen ebenfalls ihres Wegs gegangen seien. Mein Blick sei wohl einfach in die Luft gerichtet gewesen zu sein. Nun ja, ich hatte keinerlei Heiratsabsichten und darum hatte ich kein Interesse an den ledigen Missionarinnen – bis es „eingeschlagen“ hatte, wie ein Blitz. Scheinbar bin ich dann 2 doch auf dem Boden der Realität gelandet, oder viel eher wohl im siebten Himmel! Jedenfalls bin ich heute verheiratet, und noch immer sehr zufrieden mit meiner Wahl! Dieses Motiv des „Guck-in-die-Luft“ kommt in unserem Auffahrtstext vor. Auffahrt ist ja ein geheimnisvolles geschichtliches Ereignis. Jesus Christus wird emporgehoben und eine Wolke nimmt ihn auf. Dann entschwindet er den Blicken seiner Jünger, die zu ihm empor schauen und ihre Augen nicht von ihm lassen wollen, obwohl er längst nicht mehr zu sehen ist. Dieses Entschwinden von Jesus ist geheimnisvoll, aber doch so verständlich und klar beschrieben, dass man es sich ganz gut vorstellen kann. Die Jünger waren auf dem Ölberg mit Jesus zusammen und dort entschwand er ihren Blicken. Er wird emporgehoben und entschwebt nach oben in den Himmel. Das Problem besteht eigentlich nur darin, dass aus biblischer Sicht der Himmel nicht nur einfach oben ist. Mit Himmel ist vielmehr die unsichtbare Realität Gottes gemeint, die nicht mehr mit den drei oder vier Dimensionen unserer Realität gemessen und umschrieben werden kann. Dass diese Realität aber auch oben sein kann, daran wird niemand zweifeln wollen. Dass Gott „in der Höhe“ wohnt, wie die Bibel sagt, ist ebenfalls ein Hinweis auf diese Realität, die „oben“ oder besser „erhöht“ ist. Die Bibel ist nicht nur für Erwachsene geschrieben worden, sondern auch für Kinder – denn ihrer ist das Himmelreich! Ich nehme diese Auffahrtsgeschichte darum wie ein Kind an, ganz einfach, so wie sie da steht. Die Jünger haben es gesehen und davon berichtet, wie sie es erlebt haben. Da standen sie nun und schauten nach oben, wie eben „Hansguck-in-die-Luft“. Das kritisierte vor nicht langer Zeit die liberale Theologie an den einfachen Gläubigen. Sie hätten eine falsche 3 Theologie, sie sähen immer nur nach oben, wie die Jünger damals an Auffahrt. Ich habe diese Kritik sehr ernst genommen. Man sagte uns: Ihr vertröstet die Menschen ins Jenseits, statt dass ihr die Probleme dieser Welt in Angriff nehmt und endlich etwas zum Guten verändert. Typisch dafür ist das Auffahrtslied, das wir miteinander gesungen haben. Da heisst es im Lied 492,7 (RGB): „Zwar auch Kreuz drückt Christi Glieder hier auf kurze Zeiten nieder, und das Leiden geht zuvor. Nur Geduld; es folgen Freuden. Nichts kann sie von Jesus scheiden; er, das Haupt, zieht sie empor.“ Ja, da schaut man doch aus der Trübsal dieser Erde in die herrliche Zukunft des Himmels, schaut empor zu Jesus, der dort oben wohnt. Das ist die Theologie, die man als „Hans-guck-in-dieLuft“-Theologie bezeichnen kann. Der bekannte Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti sieht es ganz anders. In seinem Lied, das in unserem Gesangbuch unter der Rubrik „Ostern“ aufgeführt ist, liest man: „Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme; erst dann die Herrschaft der Herren, erst dann die Knechtschaft der Knechte vergessen wäre für immer, vergessen wäre für immer. Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden, ist schon auferstanden und ruft uns jetzt alle zur Auferstehung auf Erden, zum Aufstand gegen die Herren, die mit dem Tod uns regieren, die mit dem Tod uns regieren.“ (RGB 487,1 und 3) Ja, da habe ich sehr gut zugehört, als man uns das entgegenhielt und vorwarf: Ihr vertröstet die Leute ins Jenseits, statt dass ihr das Diesseits zum Guten verändert, wie Jesus es wollte. Auch die beiden Engel standen bei den Jüngern, als sie so nach oben schauten und sagten ihnen – ja, was sagten sie ihnen denn? Sagten sie: Ihr habt eine „Hans-guck-in-die-Luft“-Theologie? Nein! Natürlich 4 nicht. Hören wir aber nochmals genau hin, was sie sagten: „Ihr Leute aus Galiläa, was steht ihr da und schaut hinauf zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird auf dieselbe Weise wiederkommen, wie ihr ihn in den Himmel habt auffahren sehen.“ Jedenfalls klingt das so, als wollten diese Engel, dass die Jünger endlich aufhören sollten, nach oben zu blicken. Aber erstaunlicherweise sprachen sie dann doch wieder vom Himmel: So wie Jesus in den Himmel aufgefahren ist, so wird er wieder zurückkommen. Das war ihre Botschaft an die Jünger. „Ihn, Jesus, sollt ihr erwarten, denn er wird wiederkommen, und zwar vom Himmel. Schaut hinauf und erwartet ihn jederzeit.“ An dieser Auffahrt war die Rede vom Wiederkommen Jesu, das bei Kurt Marti vollständig ausgeklammert ist. Die Jünger wussten eines: Für diese Welt gibt es nur einen, der sie wirklich zum Guten verändern konnte. Er selbst, Jesus Christus. Ihre ganze Hoffnung lag auf ihm und auf seinem Erscheinen, das sie seither erhofften, und zwar bald erhofften. Er wird Gerechtigkeit und Frieden in dieser Welt schaffen. Wir blicken nach oben, aber wir sind nicht untätig. Wir folgen Jesus hier auf der Erde nach. Wir versuchen mit den Gaben, die uns der Herr geschenkt hat, Nöte zu lindern, Ungerechtigkeit aufzudecken, Hochmütige zurechtzuweisen. Christen melden sich auch als Volksvertreter und versuchen in Regierungspositionen dem Willen Jesu zum Guten für ihre Nächsten zum Durchbruch zu verhelfen. Dabei aber bleibt unser Blick nach oben gerichtet. Wir wissen: Die Veränderung der Welt zum Guten kann Jesus allein bewirken. Er hat dafür ein himmlisches Heilmittel entwickelt, als er hier auf der Erde weilte: es wurde geschaffen durch sein Sterben am Kreuz und durch sein Auferstehen. Das geschah für uns. Das ist sein 5 himmlisches Heilmittel. Jeder Mensch sollte es für sich beanspruchen, ohne etwas dafür zu bezahlen. Durch das Sterben am Kreuz wurde Vergebung der Sünden geschaffen, durch seine Auferstehung die Erneuerung unseres Denkens, Sinnens und Lebens. Als ich Missionar in Peru war, kam die Befreiungstheologie so richtig in die Gemeinden hinein. Man propagierte eine Theologie, die Veränderung zum Guten aus eigener Kraft predigte, aus der Kraft der Indoktrination der Armen, so wie Kurt Marti es ausdrückte. Man solle doch endlich die Armen und die Unterdrückten ermutigen, sich gegen ihre Unterdrücker zu erheben! Ich muss zugeben: Ein gewisser Teil dieser Botschaft ist richtig. Es ist wie mit allen falschen Lehren: ein Kern Wahrheit steckt in ihnen allen. Wir können als Christen nicht einfach über die Ungerechtigkeit schweigen, sondern sollen möglichst auch handeln, so wie Jesus Christus es uns aufträgt. Aber die eigentliche Veränderung – die Lösung des Problems – liegt in der Macht Gottes, die den einzelnen Menschen, auch den Herrn und den Knecht, zum Guten verändert. Das tut er, indem er selbst, Jesus Christus, in einem solchen Menschen Wohnung nimmt, von ihm Besitz ergreift, in ihm aufräumt und ihn zum Guten verändert. Haben wir also nun eine „Hans-guck-in-die-Luft“-Theologie? Hier soll das Erlebnis eines Herzchirurgen eine Antwort geben: Er stand vor einem siebenjährigen Knaben, dessen Herz er operieren musste. Seine Eltern sassen auch im Krankenzimmer. Der Chirurg sagte dem Knaben: „Ich muss dein Herz öffnen und einiges verbessern.“ Der Knabe antwortete: „Dann werden sie in meinem Herzen Jesus sehen.“ Der Chirurg geht nicht darauf ein, sondern erklärt ihm in kindlicher Sprache, was er tun werde: „Ich muss die Herz-Zwischenwand nähen, die Muskeln deines Herzens flicken 6 und einige Blutadern dazu.“ – „Dann werden Sie gewiss Jesus sehen, denn in der Bibel heisst es, dass er in unseren Herzen wohnen will“, erwidert der Knabe. Der Chirurg wendet sich den Eltern zu und erklärt auch ihnen, dass er nun operieren müsse. Der Knabe zieht ihn am weissen Mantel und schaut zu ihm auf. „Wenn Sie mein Herz öffnen, werden Sie dann Jesus sehen? Sagen Sie mir doch, ob Sie ihn gesehen haben!“ Der Chirurg schweigt, wendet sich ab und geht in sein Büro. Dort sieht er sich nochmals die Tomographien des jungen Herzens an, und ein inneres Gespräch beginnt in seinen Gedanken. „Was hast du hier getan? Du hast ein Knabe geschaffen mit einem kaputten Herzen – warum? Er hat keine Überlebenschance. Was soll das?“ – „Du hattest beim Studium und auch danach plötzlich keine Zeit mehr für mich, darum habe ich meinen Diener zu dir gesandt, doch du hattest auch für ihn keine Zeit. Jetzt sende ich dir diesen Knaben. Bald wird er bei mir sein und es gut haben. Aber ich habe ihn zu dir gesandt. Vielleicht hast du jetzt Zeit für mich.“ Bei diesem inneren Zwiegespräch mit Gott wurde der Chirurg überwältigt. Er beugt sich vor dem himmlischen Vater und weint. Nach der Operation erwacht der Knabe aus seiner Narkose und halb schlafend noch fragt er den Chirurgen: „Haben Sie Jesus in meinem Herzen gesehen?“ – „Ja, mein Lieber, ich habe Jesus in deinem Herzen wieder gefunden.“ Dieser Chirurg operierte weiterhin Herzen von Kindern, aber seine Arbeit hatte jetzt einen andern Sinn. Er steht mit beiden Beinen in dieser Welt und hilft. Aber er schaut nach oben, betet um Hilfe und operiert. Das gibt seiner Arbeit eine ganz neue Qualität. 7 Um unsere Frage zu beantworten: Nein, wir haben keine „Hansguck-in-die-Luft“-Theologie, sondern eine Auffahrtstheologie. Wir stehen mit den Jüngern an Auffahrt bei Jesus, erleben, wie er nach oben entschwindet und blicken ihm nach. Wir blicken nach oben – nicht in die Luft, sondern auf ihn. Wir erwarten alles von ihm, alle Veränderungen zum Guten. Auch für unser Leben. Aber auch auf dieser Erde stehen wir mit beiden Beinen fest am Boden. Mit offenen Augen blicken wir auf die Situationen rings um uns her. Wenn Ungerechtigkeit herrscht oder etwas falsch läuft, schauen wir auf Jesus und bitten: „Herr, hilf! Gib die richtigen Worte und das richtige Handeln zur rechten Zeit.“ Er ist unser Herr, unsere Hoffnung und unsere Zukunft. Ihn ehren und loben wir, ihm dienen wir von ganzem Herzen bei allem was wir tun. Amen. ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH St. Anna-Kapelle, St. Annagasse 11, 8001 Zürich Gottesdienste: Sonntag 10.00 Uhr, Bibelstunden: Mittwoch 15.00 Uhr Sekretariat St. Anna, Grundstrasse 11c, 8934 Knonau, Telefon 044 776 83 75