Anhaltende monomorphe Kammertachykardie 42.1 Beschreiben Sie das vorliegende EKG! Wie lautet Ihre Diagnose? J Regelmäßige Abfolge breiter deformierter QRS−Komplexe J Keine P−Wellen sicher identifizierbar J Keine typische Schenkelblockkonfiguration J Diagnose: Kammertachykardie (ventrikuläre Tachykardie) ! 42.2 Wie kann man im EKG−Bild ventrikulare Tachykardien von supraventrikularen un− terscheiden? Nennen Sie mindestens 4 Aspekte! Tab. 42.1 Unterschiede zwischen ventrikulären und supraventrikulären Tachykardien im EKG Ventrikuläre Tachykardie Supraventrikuläre Tachykardie Bizarre QRS−Verbreiterung . 0,14 s Schmale QRS−Komplexe oder ggf. schenkelblockartig verbreiterte QRS−Komplexe Oft durchgehend positive Normales EKG−Bild oder ggf. oder negative QRS−Komple− typisches Schenkelblockbild xe über der Vorderwand (Konkordanz) Ungewöhnliche Lagetypen (weit überdrehter Rechts− oder Linkslagetyp) Normale Lagetypen AV−Dissoziation (keine feste Regelrechte AV−Assoziation Beziehung zwischen P−Wel− len und QRS−Komplexen) Fusionssystolen (kombinier− – ter QRS−Komplex aus Teilen eines Komplexes bei Sinus− rhythmus und Teilen eines Komplexes einer ventrikulä− ren Extrasystole) Capture Beats (vereinzelte – schmale QRS−Komplexe mit P−Wellen bei ansonsten breiter QRS−Tachykardie) Abb. 42.1 Typische EKG−Veränderungen bei ventrikulärer Tachykardie: a – Fusionssystole, b – Capture Beats, c – AV−Dissoziation (* = P−Welle) 42.3 Nennen Sie mindestens 4 Ursachen für diese Herzrhythmusstörung! J Ischämische Herzkerkrankung (KHK) – Frischer Myokardinfarkt – Narbe nach Myokardinfarkt J Dilatative Kardiomyopathie J Hypertrophe Kardiomyopathie J Arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie J Herzklappenerkrankungen 42.4 Beschreiben Sie die Akuttherapie! J Alarmierung eines Notarztwagens zur Klinik− einweisung in Arztbegleitung J Kontinuierliches Herzrhythmus− und Blut− druckmonitoring J Sofort i. v.−Zugang legen J Bei noch ansprechbarem Patienten ohne ma− nifesten kardiogenen Schock Versuch der medikamentösen Therapie: – Ajmalin (z. B. Gilurytmal 1 Ampulle [50 mg/10 ml] langsam i. v. [etwa 2 ml/ min]; bei mangelndem Erfolg ggf. 1−mal wiederholen) – Alternativ Amiodaron (z. B. Cordarex 2 Ampullen [je 150 mg/3 ml] langsam i. v.; optimal als Kurzinfusion über ca. 20 min in Glukose gelöst; im Notfall auch als Bo− lus) J Bei manifestem kardiogenen Schock, Lun− genödem oder bewusstlosem kreislaufin− stabilen Patienten: elektrische Kardiover− sion (falls die Zeit es erlaubt in Kurznarkose), initiale Energiedosis 50J, ggf. steigern bis 360 J 42.5 Welche Maßnahmen sind mittelfristig notwendig? J Abklärung und Beseitigung einer behebbaren Ursache: – Labordiagnostik zum Ausschluss von Elek− trolytstörungen (v. a. Hypokaliämie, Hypo− magnesiämie) – Labordiagnostik, ggf. Koronarangiographie zum Ausschluss einer akuten myokardia− len Ischämie J Ggf. elektrophysiologische Untersuchung zur Klärung der Induzierbarkeit von ventrikulären Tachykardien J Je nach Befundkonstellation ggf. Indikations− stellung zur Implantation eines ICD Fall 42 Seite 42 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Sattler, A.: Fallbuch Kardiologie und Angiologie (ISBN 9783131418111) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 167 Fall 42 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 42 J Medikamentöse Dauertherapie mit Antiar− rhythmika ist aufgrund der proarrhythmoge− nen Wirkung obsolet. 168 Fall 42 Definition und Einteilung von Herzrhythmus− störungen: Herzrhythmusstörungen können aus unregelmäßigen (arrhythmischen) und/ oder zu schnellen (tachykarden, Herzfrequenz .100/min) oder zu langsamen (bradykarden, Herzfrequenz ,50/min) Herzaktionen beste− hen. Sie werden prinzipiell in Reizbildungsstö− rungen und Reizleitungsstörungen unterteilt (s. Übersicht 42.1). Reizbildungsstörungen werden weiter nach ihrem Ursprungsort eingeteilt in: normotope Reizbildungsstörungen, wenn sie im Sinusknoten entstehen, und heterotope Reizbildungsstörungen, wenn sie nicht im Si− nusknoten entstehen. Heterotope Reizbil− dungsstörungen mit tachykarder Herzfrequenz werden des Weiteren nach der Lokalisation ih− res Ursprungs in supraventrikuläre und ventri− kuläre Herzrhythmusstörungen einteilen. Als supraventrikuläre Tachykardien bezeichnet man Tachykardien, die oberhalb des AV−Kno− tens oder im AV−Knoten entstehen, während ventrikuläre Tachykardien unterhalb des AV− Knotens entstehen. Übersicht 42.1 Einteilung der Herzrhythmusstörun− gen in Reizbildungs− und Reizleitungsstörungen Reizbildungsstörungen J Normotope Reizbildungsstörungen – Sinusarrhythmie – Sinusbradykardie – Sinustachykardie – Sick−Sinus−Syndrom J Heterotope Reizbildungsstörungen E Supraventrikuläre Tachykardien – Ektope Vorhoftachykardie – AV−Knoten−Reentry−Tachykardie – Vorhofflattern – Vorhofflimmern E Ventrikuläre Tachykardien – Kammertachykardie – Kammerflattern – Kammerflimmern Reizleitungsstörungen – Sinuatrialer Block (SA−Block) – Atrioventrikulärer Block (AV−Block) – Intraventrikulärer Block (Schenkelblock) Ätiologie und Pathophysiologie der Kammerta− chykardie: Meist liegt einer Kammertachykar− die eine schwere organische Herzerkrankung zugrunde (s. auch Antwort zur Frage 42.3). Häufige Ursachen sind koronare Herzerkran− kung mit myokardialen Narben und akuter Myokardinfarkt. Bedingt durch die akute oder chronische Zellschädigung kommt es zu einer erhöhten Automatiebereitschaft des Ventrikel− myokards. Seltener finden sich angeborene Er− krankungen als Ursache, z. B. das Brugada−Syn− drom. Hierbei liegt eine autosomal−dominant vererbte Mutation eines Natrium−Kanals vor. Pathophysiologisch wird bei zu schneller Herz− frequenz die diastolische Füllungsphase zuneh− mend verkürzt, hierdurch sinkt das Herzzeit− volumen ab. Des Weiteren kommt es zur Ver− ringerung der Koronarperfusion mit einer relativen Minderversorgung des Myokards mit sauerstoffreichem Blut. Dieses vermindert das Herzzeitvolumen noch weiter und kann bis zur kritischen Minderperfusion lebensnotwendiger Organe (Gehirn, Niere, Leber) und zum funk− tionellen Kreislaufstillstand führen. Klinik der Kammertachykardie: Abhängig vom Grad der kardialen Vorschädigung sowie der Frequenz und Dauer der Tachykardie variieren die Symptome von Palpitationen über Schwin− del und Synkope bis hin zur kardialen Dekom− pensation mit kardiogenem Schock, Lungenö− dem oder funktionellem hyperdynamen Herz− Kreislaufstillstand. Diagnostik der Kammertachykardie: Wesentli− che diagnostische Maßnahme ist die Ableitung eines EKG, optimalerweise als 12−Kanal−EKG. Die Differenzierung zwischen ventrikulärer und supraventrikulärer Tachykardie mit aber− ranter Leitung (also funktionellem Schenkel− block) ist bei einer Tachykardie mit breitem QRS−Komplex nicht immer einfach. Wesentli− che Unterscheidungskriterien sind in der Ant− wort zur Frage 42.2 dargestellt. Je nach klini− schem Zustand des Patienten kann auf diese Unterscheidung mehr oder weniger Zeit ver− wandt werden. Wesentlich ist – wann immer möglich – die EKG−Dokumentation, da von der genauen Art der Herzrhythmusstörung die Not− wendigkeit und ggf. Art einer langfristigen The− Fall 42 Seite 42 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Sattler, A.: Fallbuch Kardiologie und Angiologie (ISBN 9783131418111) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Kommentar Therapie der Kammertachykardie: s. auch Ant− wort zur Frage 42.4. Eine anhaltende Kammer− tachykardie muss sofort behandelt werden, da neben der hämodynamischen Beeinträchti− gung diese Herzrhythmusstörung auch jeder− zeit in Kammerflattern oder −flimmern überge− hen kann. Eine ständige Reanimationsbereit− schaft muss gewährleistet werden. Beim bewusstlosen Patienten mit hyperdy− namen Kreislaufstillstand erfolgt die sofortige Reanimation gemäß den Leitlinien (s. Fall 7). Wesentlich ist eine möglichst rasche Elektro− therapie durch Kardioversion (initiale Energie− dosis 50 J). Ist der Patient noch ansprechbar, aber kardial dekompensiert (drohender oder manifester Schock), erfolgt die elektrische Kar− dioversion in Kurznarkose. Beim hämodynamisch stabilen Patienten kann nach EKG−Dokumentation zunächst ein medikamentöser Therapieversuch erfolgen. Geeignet ist Ajmalin, welches sowohl bei supra− ventrikulären als auch ventrikulären Tachykar− dien wirkt. Die Maximaldosis von 100 mg (= 2 Ampullen) sollte nicht überschritten werden. Die Rate der erfolgreichen Kardioversionen 43 liegt bei über 60 %, und auch nichtkonvertier− bare ventrikuläre Tachykardien werden unter Ajmalin langsamer. Alternatives Medikament ist Amiodaron (300 mg i. v.). Bei erfolglosem medikamentösem Konversionsversuch sollte frühzeitig eine elektrische Kardioversion durchgeführt werden. Kombinationen von anti− arrhythmischen Medikamenten sind zu ver− meiden, da hier die Nebenwirkungen den Nut− zen rasch übersteigen. Des Weiteren kann es bei zu hochdosierter Medikamentengabe nach Kardioversion zu kritischen Bradykardien kom− men. Prognose der Kammertachykardie: Abhängig von der kardialen Grunderkrankung variiert die Prognose stark. Wesentlich ist es, eine über− standene Kammertachykardie zunächst als Warnzeichen aufzufassen und eine umfassende kardiale Diagnostik zur Klärung der auslösen− den Erkrankung und Evaluation des Risikos wiederholter lebensbedrohlicher Herzrhyth− musstörungen anzustreben. Bei entsprechen− der Konstellation (z. B. höhergradig reduzierter linksventrikulärer Pumpfunktion (Ejektions− fraktion , 30 %) mit dokumentierten höhergra− digen ventrikulären Herzrhythmusstörungen) kann ggf. die Rezidivprophylaxe mittels ICD die langfristige Prognose entscheidend verbes− sern. ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Torsade−de−Pointes−Tachykardie ICD (Aufbau, Wirkweise) Richtlinien zur Reanimation Supraventrikuläre Tachykardien Akute Perikarditis 43.1 Befunden Sie das EKG! J ST−Streckenhebungen: – in allen Ableitungen – konkavbogig, aus dem aufsteigenden Schenkel der S−Zacke beginnend J Keine weiteren pathologischen Befunde 43.2 Welche Verdachtsdiagnose ergeben sich aus Anamnese, Klinik und EKG−Befund? Welche Differenzialdiagnose müssen Sie in Erwägung ziehen? J Verdachtsdiagnose: Perikarditis; Begrün− dung: typische Atem− und Lageabhängigkeit der eher stechenden Thoraxschmerzen Fall 43 Seite 43 Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Sattler, A.: Fallbuch Kardiologie und Angiologie (ISBN 9783131418111) © 2007 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 169 Fall 43 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. rapie abhängig ist. Bei instabilem Patienten muss im Zweifel rasch zur Therapie übergegan− gen werden. Nach initialer Stabilisierung sollte nach behandelbaren Ursachen gefahndet wer− den. Hierbei sind hilfreich: Labordiagnostik (v. a. Elektrolyte [Kalium, Magnesium], Herzen− zyme [CK, CK−MB, Troponin I]), Echokardiogra− phie, Langzeit−EKG, ggf. Koronarangiographie. Je nach Ergebnissen dieser Untersuchungen kann im weiteren Verlauf noch die Durchfüh− rung einer elektrophysiologischen Untersu− chung sinnvoll sein. Hierbei wird getestet, ob sich anhaltende Herzrhythmusstörungen durch gezielte Stimulation im Bereich des Herzens auslösen lassen.