mut zum beten!

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MUT ZUM BETEN!
Predigt über Lukas 11, 5-11
von Franz Christ
am vierten Advent 21. Dezember 2003
im Basler Münster
Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch hat wohl einen Freund und kommt zu ihm um
Mitternacht und sagt zu ihm: Freund, leihe mir drei Brote! Denn ein Freund von mir ist auf
seiner Reise zu mir gekommen, und ich habe nichts, ihm vorzusetzen. Aber der antwortete
von drinnen: Mach mir keine Mühe! Die Türe ist schon verschlossen, und meine Kinder sind
mit mir im Bett. Ich kann nicht aufstehen und dir geben. Ich sage euch: Wenn er auch nicht
aufsteht und ihm gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Unverschämtheit
aufstehen und ihm geben, was er braucht.
Und ich sage euch:
Bittet, so wird euch gegeben.
Sucht, so werdet ihr finden.
Klopft an, so wird euch aufgetan.
Jeder nämlich, der bittet, empfängt,
und der Suchende findet
und dem Anklopfenden wird geöffnet werden.
Welchen Vater unter euch aber bittet sein Sohn um Fisch –
gäbe er ihm an Stelle des Fisches eine Schlange?
Oder er bittet auch um ein Ei –
gäbe er ihm einen Skorpion?
Wenn also ihr, die ihr böse seid,
euren Kindern gute Gaben zu geben wißt,
um wieviel mehr wird der Vater vom Himmel her geben
Heiligen Geist, denen, die ihn bitten.
Im Advent leben heißt beten. Jesus hat seine Jünger beten gelehrt und ihnen die
Worte des Unservaters gegeben. Mit dem Gebet des Herrn ist die Kirche die
Gemeinschaft der Gotteskinder geworden, die nicht aufhören zu bitten und von Gott
alles zu erwarten und zu empfangen; Menschen, die in seinem Advent bleiben.
Die Ermüdung
Jahr für Jahr heben wir diese Zeit des Advents hervor. Der kirchliche Brauch hätte
den Sinn, uns bewußt zu machen, daß wir das ganze Leben im Advent Gottes
stehen. Es ist Zeit, sie zu begnaden, die Stunde ist da ...(Psalm 102, 14). Aber die
Christenheit ist über dem langen Warten müde geworden. Die Menschen haben
gewiß nicht aufgehört zu beten. Aber die Bitte um das Kommen des Herrn ist
enttäuscht und dadurch schwächer geworden. Die Zeit wird überaus lang. Hört Gott
überhaupt, was ich bete? Antwortet Gott? Wahrscheinlich ist das Gebet bei vielen
Menschen in ein meditatives Selbstgespräch zurückgegangen. Viele halten eine
ernsthafte Selbstbesinnung. Es sind nicht alle so oberflächlich, wie es scheint. Die
Tiefe wird gesucht. Doch in der Kirche hat sich eine Enttäuschung breit gemacht.
Wir haben zwar tausend Mal davon gesungen, daß die Türen in der Welt hoch
gemacht werden sollen und daß die Tür zum Paradeis wieder aufgeschlossen ist.
Aber der Himmel scheint uns immer noch verschlossen und das Pochen nichts zu
nützen. Die Christenheit ist darüber ermüdet und kraftlos geworden. Man hat das
kirchliche Gebet zurückgenommen und den Möglichkeiten angepaßt. Das Beten
wurde moralisiert. Eigentlich sind viele Gebete keine Gebete mehr sondern eine
Aufzählung von Forderungen und Programmen. Es spiegelt sich darin die leise
Verschiebung von der brennenden Erwartung des Reiches Gottes in einen Katalog
von menschlichen Werten und Ansprüchen. Und wenn es sich um Ansprüche
handelt, dann müssen sie zwischenmenschlich befriedigt werden. Das weit
entwickelte Anspruchsdenken im modernen Sozialstaat verbannt das Gebet in den
hintersten privaten Winkel und macht es uns schwer gemeinsam im Gebet
beharrlich zu sein.
Die Ermutigung
Jesus will es uns leicht machen. Er rückt uns die elementare Situation der Bitte
wieder nahe. Jesus erzählt ein Gleichnis. Er geht auf die Diesseitigkeit ein, in der wir
leben. Schaut doch in eure Welt, sagt Jesus, wie ihr es selber tut! Schaut doch, wie ihr
unter Freunden mit einander umgeht; wie es euch ganz selbstverständlich ist. Und
ist Gott nicht der viel verläßlichere, der wahrhaftige Freund, wie wir es einander gar
nicht sein können? Hört doch, wie ihr selbst es habt und tut!
Wer unter euch hat wohl einen Freund und kommt zu ihm um Mitternacht... Die Zeit ist
vorgerückt. Die Nacht ist lang geworden. Ja, Mitternacht heißt diese Stunde. Ich
denke: Da kann man doch nicht anklopfen und um Einlaß bitten. Und wäre es ein
guter Freund. Könntest du dir vorstellen, um Mitternacht an seiner Tür zu klingeln?
Nach unserer modernen Lebensweise stehen zwar die Räder nie still und die
Computer arbeiten Tag und Nacht. Aber in dieser Weise einen Freund zu
nachtschlafener Zeit überfallen, - das kommt uns doch ungehobelt vor. Im jüdischen
Dorf der biblischen Zeit gibt es zwar keinen Laden und keine Imbißecke around the
clock. Alle sind Selbstversorger. Und wenn nichts mehr im Hause ist, um einen Gast
zu bewirten, dann bleibt nur der Nachbar, der Freund. Aber wenn die Nacht
eingebrochen ist, die Tür mit dem schweren Balken verriegelt und alle auf der
großen Schlafmatte sich gebettet haben, dann ist in allen Häusern Ruhe.
Doch die Gastfreundschaft ist heilig. Es wäre undenkbar den hereingeschneiten
Gast, auch er ein Freund, der auf seiner Reise in jenes Dorf oder jene Stadt
gekommen ist, abzuweisen und ihn zu bescheiden: Ich habe für dich nichts zu essen.
Das ist keine Möglichkeit. Da muß ein anderer aushelfen, damit ich das heilige
Gastrecht einhalten kann. Und eben bei diesem andern klopft der in Verlegenheit
Gebrachte ungeniert an: Leihe mir drei Brote. Drei Fladenbrote, das ist eine übliche
Mahlzeit. Hilf mir, meine Gastpflicht zu erfüllen. Sobald wir wieder gebacken haben,
bekommst du sie zurück.
Kannst du dir vorstellen, daß der da drinnen sich nicht rührt? Könnte es sein, daß er
zwar aufwacht und an die Tür kommt, doch von innen unwillig flüstert: Bereite mir
doch keine Mühe. "Du siehst ja, daß der Stein vor der Höhle ist. Und die Kinder
schlafen. Ich kann jetzt nicht öffnen und sie wecken." Ich kann nicht aufstehen und dir
geben. Könnte er so reden?
Obwohl doch einiges dafür spräche, daß er den Anklopfenden in dieser Weise
abweist, ist es doch undenkbar. Unmöglich kann er es tun. Ich sage euch, spricht
Jesus: Wenn er auch nicht aufsteht und ihm gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch
wegen seiner Unverschämtheit aufstehen und ihm geben, was er braucht.
"Um seines unverschämten Geilens willen" - so hatte Luther übersetzt und so ist es
in den häuslichen Zitatenschatz eingegangen. Wenn das Kind bei Tisch ein zweites
Mal Fleisch begehrte, erfüllte der Vater den Wunsch und zitierte den Spruch.
Verstanden hat das Kind nichts, aber es war's mit dem Fleisch zufrieden. Doch was
hat es mit der Unverschämtheit auf sich? Der spät abends unverhofft durch den
angereisten Freund zum Gastgeber Gewordene, der sich in größter Verlegenheit
befindet, hat doch gar nicht unverschämt gefordert. Er hat nur darum gebeten.
Unverschämt ist allenfalls der Moment. Und doch hat die Situation etwas mit
verletzter Scham zu tun. Nur geschieht es in Gegenseitigkeit. Wenn einer an der Tür
steht und die Scham überwindet und eine Unterstützung erbittet, wäre ich selber
beschämt, wenn ich ihm nicht etwas gäbe. Wenn ich ihm sage: Geh an den
Lindenberg zur Caritas. Geh zur Sozialdienststelle, wo ich weiß, daß die Büros
geschlossen sind... Wenn ich ihm nicht gebe, weil ich ihn kenne und seine Geschichte
glaube, so gebe ich, damit ich selber nicht als ein herzloser, schamloser Mensch
dastehe.
So verhält es sich mit uns Menschen. Jesus berührt da eine empfindliche Stelle. Bilde
dir nichts auf deine Güte ein, wenn du so handelst. Könnte auch ein Vater seinem
Sohn, der ihn um einen Fisch bittet, statt dessen eine Schlange geben? Jesus erinnert
uns daran, daß wir zum Schlechten fähig sind und uns böse verhalten. (Man muß
nicht nur an extreme Beispiele denken, wie ein maßenmörderischer Diktator seinen
Söhnen gegenüber freundlich ist.)
Aus diesem menschlichen Verhalten lenkt uns Jesus zu Gott hin. Wenn ihr es so tut,
wieviel mehr wird euer Vater vom Himmel her euch geben, was ihr braucht. Gott
weist euch nicht kalt und zynisch ab. Um seiner selbst willen gibt euch Gott, was ihr
braucht.
Das Erwünschte
So ermutigt uns Jesus zum Beten und macht uns der Erhörung gewiß. Und dennoch
machen wir die Erfahrung, daß Bitten, die wir im Gebet vor Gott gebracht haben,
nicht erfüllt werden. Wie manche Bitte um Genesung aus schwerer Krankheit ist
nicht erhört worden. Da wird um das Leben eines geliebten Menschen gerungen.
Doch der Tod ist stärker. Da seufzen Menschen unter schweren Lasten oder gar
unterdrückt und ihrer Freiheit beraubt, und es ändert sich nichts an ihrem Geschick.
Sie bitten um Befreiung. Sie bitten um einen Ausweg aus der Armut. Doch das Gebet
scheint abgewiesen zu werden.
Ich mache mir Gedanken darüber, ob ich verstanden habe, wozu Jesus ermutigt hat.
Er wird aufstehen und ihm geben, was er braucht. Was brauchen wir? Jesus sagt den
Jüngern nicht, sie dürften jetzt einen Wunschzettel schreiben. Ach, nichts gegen den
schönen vorweihnächtlichen Brauch! Da durfte das Kind seine Wünsche
aufschreiben und der Zettel wurde den Paten und Großeltern gegeben und sie
kreuzten an, was sie schenken wollten. Und die Kunst bestand wohl darin, nicht zu
unverschämt und nicht zu bescheiden zu sein. Und die Erfüllung der Wünsche war
bestimmt eine Bestätigung dessen, daß die Menschen den Kindern gute Gaben zu
geben wissen und daß es in einem letzten Sinn sich mit dem Vater im Himmel auch
so verhält. Nur: Vor Gott füllen wir keinen Wunschzettel aus. Sondern wir bitten im
Letzten immer darum, daß er selber sich schenkt. Wir bitten um das Kommen des
Reiches Gottes, um seine Nähe und die Verwandlung und Neuschöpfung dieses
Lebens, da die Tränen abgewischt sein werden und der Tod nicht mehr sein wird,
und kein Leid und kein Geschrei noch Schmerz mehr sein wird. Jesus hat uns
ermutigt, um dieses Höchste zu bitten, um Gott selber. Gott ist der im Gebet
erwünschte. Zu Gott und seiner kommenden Herrschaft stehen wir nicht im
Verhältnis des Habens, des Besitzens, auch nicht der Forderung und des Anspruchs,
sondern im Verhältnis der Bitte.
Das Erhaltene
Im Gebet, zu dem Jesus ermutigt, geht es immer darum, daß Gott die Erlösung
vollende. Es ist darin beschlossen, daß Gott längst angefangen hat, worum ich bete,
und daß ich doch zugleich darüber nicht verfüge. "Da ich noch nicht geboren war,
da bist du mir geboren und hast mich dir zu Eigen gar, eh ich dich kannt, erkoren.
Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht, wie du mein
wolltest werden." (Paul Gerhardt RG 402, 2). Die Bitte ist ein Wort, das schon von
dem redet, was mein werden könnte.
In der Bergpredigt des Matthäusevangeliums sagt Jesus, daß der Vater in den
Himmeln, denen, die ihn bitten, Gutes geben wird. Der Evangelist Lukas schreibt
das Jesuswort aber mit einem anderen Akzent auf: Euer Vater wird vom Himmel
Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten. Im Heiligen Geist findet die bange Frage
nach der Erhörung des Gebets eine Antwort. Die vom Warten auf das Gottesreich
Ermüdeten werden ermutigt, daß sie im Geist das bekommen, was sie brauchen. Die
Zeit der vollendeten Erlösung ist noch nicht gekommen. Es wäre Schwärmerei, sie
herbeireden zu wollen. Aber jetzt ist die Zeit des Geistes. Paulus hat den Geist mit
einer Anzahlung verglichen (2. Kor 1,22 und 5,5), die schon verbürgt, daß Gott das
geben wird, was noch aussteht. So hat es Gott bedacht: Durch den Heiligen Geist
wird der Vater in Christus mein.
Wer also in seinem Herzen beschwert ist, des Wartens müde und im Glauben
angefochten, ob denn Gott die Gebete höre, der wird darin gewiß gemacht, daß Gott
die Bitte um den Heiligen Geist nicht unerfüllt läßt. Der Geist kommt unserer
Schwachheit zu Hilfe und wird in uns seufzen, wenn wir nicht mehr wissen, was wir
beten sollen.
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