Predigt zur Wiedereinweihung der Christi-Himmelfahrts

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Evangelisch-Lutherische
Kirche in Bayern
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Predigt zur Wiedereinweihung
der Christi-Himmelfahrts-Kirche in Freising
5. Oktober 2014, Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler
Liebe festliche Gemeinde!
Im dunklen Kirchenschiff riecht es nach
Kerzen.
Stoffe
rascheln,
unbemerkt
von
anderen wird ein schneller, leidenschaftlicher
Blick gewechselt. Ein Handschuh fällt zu
Boden, ein kleiner Zettel mit Uhrzeit und Ort wechselt von einer Hand in die andere. Anschließend ist
alles wie zuvor. Szenenwechsel. Mit gefalteten Händen sitzt eine junge Frau in der Kirchenbank. Tränen
überströmen ihr Gesicht. Ihre Lippen murmeln stammelnd Worte, deren Sinn unverständlich scheint. Als
der Pfarrer aus der Sakristei in die Kirche tritt, steht sie abrupt auf. Szenenwechsel. Keuchend erreicht
ein Mann das Portal der Kirche. Er reißt die schwere Holztür auf, seine hastigen Schritte hallen laut. Der
Mann versteckt sich schwer atmend hinter einer der breiten Säulen. Seine Verfolger sind ihm dicht auf
den Fersen.
Nähe
Kirchen sind ein beliebter Schauplatz für Filme und Romane. Von Giovanni Boccaccio, dem italienischen
Dichter, über Atem beraubende Films Noirs bis hin zu Freitagabendserien – niemand kommt ohne
Kirchen aus. Sie sind der Ort, an dem sich Leben in besonders intensiver Weise abspielt: Menschen
suchen Zuflucht vor allem, was sie bedrängt. Sie bekennen, was sie andernorts niemals in Worte fassen
könnten. Selbst die große Liebe kann hier ihren Ausgang nehmen – in der Nähe des Heiligen, das man
beim Namen nennt und doch nicht bis ins letzte kennt. Vielleicht ist es ja das, was Autoren und
Regisseure so fasziniert – ein Raum, in dem scheinbar Banales, faszinierend Extravagantes und
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außergewöhnlich Erschütterndes konfrontiert wird mit einer Macht; die über allen Dingen steht und
zugleich in ihnen steckt.
Denn das ist es doch, was Menschen glauben, auch gerne glauben wollen: Dass Gott in höchsten
Glücksgefühlen, in tiefster Verzweiflung und Trauer ihnen nahe ist – das brauchen Kleine wie Große, um
die Wucht wunderbarer wie schrecklicher Erfahrungen tragen zu können. Kirchen wie Ihre ChristiHimmelfahrts-Kirche sind die Gebäude, in denen Leben verdichtet, tief gefühlt und zur Sprache gebracht
wird. Paare werden gesegnet für ihren Lebensweg, Kinder und Erwachsene getauft und konfirmiert,
Jubiläen wie Goldene Hochzeiten oder Silberne Konfirmationen gefeiert, Schuld
- kollektive und
individuelle – wird bekannt und erhält göttliche Vergebung zugesprochen, Menschen auf ihrem letzten
Weg begleitet. Kunst hat mit Aussagen zu Leben und Tod in Kirchen ihren Platz – in Bildern und
Plastiken, vokal, instrumental, getanzt.
Ehrfurcht
Kirchen sind Orte für das Leben in seiner Vielfalt, mit seinen glänzenden Seiten und den rabenschwarzen
Schatten. Sie symbolisieren das Reich Gottes, seine menschenfreundliche Herrschaft, die Menschen bitter
nötig haben. Wen wundert´s, dass etwa der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche so viele Menschen
in Bewegung gebracht und ein Atem beraubendes Ergebnis gezeitigt hat. Neuerliche Vollendung, außen
und innen gelungen, ist hier wie anderswo weitaus mehr als Restauration eines traditionsreichen
Bauwerkes. Es ist gut, wenn Kinder, Jugendliche und Erwachsene die Orte und Gestalten des Heiligen neu
aufsuchen und sie in Ehren halten. Vielzwecksäle, schon das Wort kann Schaudern auslösen, tragen dem
Bedürfnis nach geistlich erhebenden Räumen kaum Rechnung.
Bauten wie unsere Kirchen sind lebendige Zeugnisse der Vergangenheit, Räume lebendiger Gegenwart
und Orte für die Zukunft. Mit ihnen nachlässig, gleichgültig umzugehen, wäre ein schlechtes Zeichen für
unsere geistig-geistliche Verfassung. Der französische Schriftsteller Guy de Maupassant hat im 19.
Jahrhundert in seinen Novellen geschrieben: „Alle Gotteshäuser sind doch im Grunde nichts anderes als
Stätten menschlicher Ehrfurcht, die man dem Unbekannten errichtet hat.“ Er fährt fort: „Je mehr die
Vernunft sich durchsetzt, desto weiter geht das Unbekannte zurück, und desto mehr überholen sich die
Gotteshäuser...“ An diesem Satz stimmt die Aussage von der menschlichen Ehrfurcht. Falsch ist die
behauptete Gegnerschaft zwischen Glauben und Denken. Falsch ist der Satz vom Unbekannten.
Gottes Reich
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Kirchen sind nicht dem unbekannten Gott gewidmet, dem die Athener zur Zeit des Paulus einen Altar
gebaut hatten. Sie sind auch nicht „jenem höheren Wesen“ zugeeignet, das wir nach einer Satire von
Heinrich Böll „alle verehren“. Kirchen haben Namen, die auf das Fundament hinweisen, auf das sie sich
gründen. „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Christus Jesus“
sagt Paulus im ersten Korintherbrief (2. Kor 3,11). Der Mensch gewordene Gott, der Gesicht und Namen
hat, ist das geistig-geistliche Fundament des christlich-evangelischen Glaubens und der Gebäude, die in
diesem Glauben errichtet werden. Jesus Christus als Fundament – das meint keinen Fundamentalismus,
sondern
fest
gegründete
Offenheit
für
andere
Menschen,
Glaubensüberzeugungen
und
Weltanschauungen.
„Es gibt keine andere Ursache, Kirchen zu bauen, als dass die Christen zusammen kommen, beten, Predigt
hören und Sakramente empfangen können“ hat der Reformator Martin Luther gesagt. Sich versammeln,
taufen, trauen, konfirmieren, den letzten Weg mitgehen und segnen, ist Ausdruck von Ehrfurcht vor
Gott, dem alles Leid dieser Welt geklagt und vor dem jede Freude ausgebreitet werden darf, dessen
Botschaft immer wieder neu gesagt wird und an dessen Gegenwart Menschen sinnlichen Anteil haben.
Kirchen versinnbildlichen auf ihre je eigene Weise, mit ihrem individuellen Baustil, ihrer
unterschiedlichen Ausstattung das Reich Gottes, wie es verstanden wurde und wird: Verschwenderisch,
prächtig, farbenfroh, licht, klar konstruiert, reduziert auf das Wesentliche - alles ist möglich, dem, der da
glaubt.
Freiheit
Freilich: Festlegen, an einen Ort bannen lassen sich Gott und sein Reich nicht, so gern Menschen heute
alles zeitlich und örtlich fixieren. Ein modernes Phänomen: Viele Handygespräche beginnen mit einer
Ortsangabe: „Ich sitze im Cafe, bin beim Einkaufen, gieße die Blumen…“ Man vergewissert sich
gegenseitig, wo man gerade ist, um sich des anderen sicher zu sein. Diese Sicherheit ist ein Irrtum, denn
wer angibt, das Altpapier wegzubringen, kann schon beim Einchecken für den Flug nach Rio de Janeiro
sein. Oft genug fragen Gesprächspartner dann ja auch nach: “Da sind so komische Geräusche im
Hintergrund…“ Es ist wohl ein ganz archaisches Bedürfnis, das dem Menschen inne wohnt: Alles zu
lokalisieren, vom Zeitpunkt her festzulegen, weil man meint, die Sache damit in der Hand zu haben,
beherrschen zu können.
Das ist die räumliche und temporäre Variante von „denn, was man schwarz auf weiß besitzt, kann man
getrost nach Hause tragen“, wie es in Goethes Faust heißt. Interessanterweise fällt dieser Satz in einem
Gespräch mit Mephistopheles, dem Teufel, der einen Schüler zu verwirren sucht. Spannt man Bibel und
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Goethes Faust zusammen, dann kann man zu dem Schluss kommen, dass es vom Teufel ist, Gott, Welt
und Kirche so festlegen zu wollen, dass sie einem hantierbar erscheinen. Die Festlegung, die einem nur
scheinbare Sicherheit verleiht, hat eine zweite Seite: Überall dort, wo man den anderen nicht wähnt,
kann man von ihm unabhängig tun oder lassen, was einem beliebt. Er ist ja dort, an dem Ort, an den
man ihn zu binden können glaubte. Gott nur in der Kirche?
Zuhause
Die Festlegung wäre doppelt negativ: Gott soll berechenbar werden. Man selbst kann dann vergnügt
kalkulieren, wie viel zu tun ist, um seine Gegenwart zu erzeugen. Den Rest an Aufwand kann man sich
schenken. Martin Luther verweigerte in konsequenter Nachfolge Jesu die Festlegung der
Kirchengebäude. Ein Missverständnis zu glauben, dass nur hier wahrer Gottesdienst gefeiert wird. Er
sagt, markig wie üblich: „Wo der böse Geist gewahr würde, dass wir das Gebet üben wollen, wenn es
gleich unter einem Strohdach oder in einem Saustall wäre, ... würde er sich weit mehr vor diesem
Saustall fürchten als vor allen hohen, großen, schönen Kirchen, Türmen, Glocken, ... wo solch ein Gebet
nicht drin ist“. Gott lässt sich nicht an einen Ort binden, er ist hier, aber auch anderswo zu finden.
Umgekehrt: Was Menschen in einer Kirche denken, meditieren, reden, singen, beten und planen, hat
Wirkung, wenn es mit ganzem Herzen und Hirn geschieht. Luther hat zu Recht wertgeschätzt, was
Kinder, Männer und Frauen außerhalb der Kirche in ihrem Leben und Beruf Gott, den Nächsten und sich
selbst zuliebe tun. Gott ist gegenwärtig in Köpfen, in Herzen, überall da, wo Kleine und Große so leben,
dass an ihnen und durch sie etwas von der Liebe und der Leidenschaft des Gottes sichtbar wird, der das
Leben und die Freiheit will. Es ist nicht selbstverständlich, dass jemand so leben kann. Manchmal kommt
man sich nach Johann Gottfried Herder wirklich wie der „erste Freigelassene der Schöpfung“ vor, wie
ausgesetzt. Mit den Aufgaben und der Verantwortung, die Menschen aufgebürdet sind, brauchen sie
Orte wie Ihre Kirche.
Dialoge
Eine kluge Jury hat sich intensiv damit befasst, wie diese Kirche nach ihrer Renovierung aussehen sollte –
renoviert eben, nicht restauriert. Ein feiner Unterschied. Viele Gedanken haben sich die Fach- und
Sachpreisrichter gemacht, bis sie sich schließlich mit überwältigender Mehrheit für den Entwurf des
großartigen Werner Mally entschieden. Kraftvoll, inspiriert ist seine Idee. Der Altar spiegelt die
Kirchturmspitze, stellt sie auf den Kopf – so, wie unser Glaube manches in uns und um uns umdreht,
damit wir leben können, statt platter Selbstverständlichkeit anheim zu fallen. Die Brüstung dieser Kanzel
wird von Eichenholzwinkeln gebildet – verwinkelt, verschachtelt sind unsere Lebenswege, führen
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manchmal in die Irre und bleiben doch gerahmt vom göttlichen Dreieck Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Der Taufstein ist geblieben, aber an einen anderen Ort gekommen – wie unsere Taufe uns alle zur
Bewegung verlockt.
Der Ambo setzt sich aus Pyramidenausschnitten zusammen. Wer mag, kann an den Exodus denken, an
den Auszug aus der Sklaverei in die Freiheit, die unser Glaube jeden Tag neu verheißt. Über dem Altar im
Sinne dieser Freiheit die Möglichkeit, zu assoziieren: Relief des Lebens, verwoben, verbunden
miteinander, Umrisse, Erinnerungen, Ahnungen. Geheimnisvolle Ordnung, verlässliche Dauer. Der
Verzicht, die kluge Reduktion von Farben, Bildern und Tönen bereichert den Verstand und verleiht der
Seele Flügel. Stille ist, wenn sich die eingekrampfte, zerknitterte Seele ausbreitet, der flache Atem tief
und ruhig wird: Inneren Frieden aufkommen lassen. Nichts tun, nichts weiter denken. Sein, allein da sein,
für sich sein. Sich selbst und Gott zuhören, staunen über das, was in einem Menschen lebt und lebendig
sein möchte. So ist Ihre Kirche.
Visionen
Kirche ist „nicht Holz oder Steine“, wie Luther sagt, „nicht das unvernünftige Vieh, sondern die
Menschen, die Gott erkennen, lieben und preisen“. Kirchen sind Orte, an denen nach einer Sprache
gesucht wird, die Worte findet für das Unfassbare, das Schöne wie das Schreckliche in unserem Leben –
althergebrachte, erfahrungsgesättigte und zeitgenössisch fragende Worte. Kirchen sind der Ort, an dem
Musik zu hören ist, die Gedanken und Gefühle so transportiert, dass dem Teufel hoffentlich angst und
bange wird, wie Luther sagt. Die Auseinandersetzung mit Problemen, die unser Land und andere
belasten, gehört mitten in die Kirche hinein. Gott ist Mensch geworden – damit hat er in seiner Person
die ausschließliche Aufmerksamkeit vom Jenseits in das Diesseits hinein gelenkt.
Zum christlichen Glauben gehört beides hinzu: Klare, realistische Weltsicht und zugleich die Fähigkeit,
Träume zu haben und Visionen zu entwerfen. Gott ist Mensch geworden, hat das Leiden dieser Welt
geteilt. Wer an ihn glaubt, wendet sich dieser Welt uneingeschränkt zu, ohne im Vorfindlichen
aufzugehen, ohne die Hoffung auf Veränderung aufzugeben. Kirchen sind Orte der Ehrfurcht, aber die
Menschen in ihnen sind nicht geistesabwesend. Sie sind geistesgegenwärtig, realitätsbewusst voller
Zutrauen auf das, was uns von Gott her einfallen kann für diese Welt. Kirchen sind Orte der
Geborgenheit und der Zuflucht, aber die Menschen in ihnen verlieren sich nicht in Kuschelecken. Wir
sind mit unseren Kirchen Teil dieser Welt. Aber Glaube kann sich nicht mit dem zufrieden geben, was
halt so ist.
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Himmelsleiter
Frömmigkeit und Weltoffenheit gehören untrennbar zusammen. Kirchen können der Ort sein, an dem
Menschen ihren Wert spüren, ihre Gaben und Fähigkeiten schätzen und ihre Schwächen sehen lernen.
Ein Ort, an dem das ganze pralle Leben Platz hat mit Liebe und Zorn, Lachen und Weinen, Danken und
Klagen, Fragen und Antworten, Reden und Schweigen… Eine irdische Heimat für alle Sinne samt dem
Verstand - mit weitem Blick auf das zukünftige, ewige Zuhause. Dafür sind auch die Feiertage nötig, von
denen kein einziger abhanden kommen darf – sie sind mit ihrer Zelebration in den Kirchen Fixpunkte für
eigene geistige und geistliche Identität. Sie sind da, um Vergangenheit zu erinnern, sich auf Gegenwart
zu besinnen und sich für die Herausforderungen der Zukunft zu rüsten.
Der Erzvater Jakob legte sich einmal nieder und träumte: Von Engeln Gottes, die auf einer Leiter vom
Himmel auf die Erde herab und hinauf steigen. Nach dem Aufwachen sagte er: „Wie heilig ist diese
Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels“ (Gen 28,17). Den Ort
nannte er Beth-El, das Haus Gottes. Es möchte´ so sein, dass unsere Kirchen heilige und zugleich ganz
weltliche Stätten sind, an denen die Engel hinauf und hinunter, ein- und ausgehen. Ein Ort mit Ausblick
zum Himmel, an dem Menschen träumen, hellwach und ausgeschlafen sich ihre Gedanken machen.
Kirchen sind nicht Bedingung für die Begegnung mit dem Heiligen, aber sie schenken Gelegenheit dazu.
Sie geben Raum, Leiden zu beklagen, Liebe zu erfahren und das Leben zu feiern. Gott segne Ihre
Gemeinde. Amen.
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