www.bayern-evangelisch.de Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Katharina-von-Bora-Straße 11-13 | 80 333 München Telefon Zentrale: 089/5595–0 | Telefax: 089/5595-666 E-Mail: [email protected] Predigt zur Wiedereinweihung der Christi-Himmelfahrts-Kirche in Freising 5. Oktober 2014, Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler Liebe festliche Gemeinde! Im dunklen Kirchenschiff riecht es nach Kerzen. Stoffe rascheln, unbemerkt von anderen wird ein schneller, leidenschaftlicher Blick gewechselt. Ein Handschuh fällt zu Boden, ein kleiner Zettel mit Uhrzeit und Ort wechselt von einer Hand in die andere. Anschließend ist alles wie zuvor. Szenenwechsel. Mit gefalteten Händen sitzt eine junge Frau in der Kirchenbank. Tränen überströmen ihr Gesicht. Ihre Lippen murmeln stammelnd Worte, deren Sinn unverständlich scheint. Als der Pfarrer aus der Sakristei in die Kirche tritt, steht sie abrupt auf. Szenenwechsel. Keuchend erreicht ein Mann das Portal der Kirche. Er reißt die schwere Holztür auf, seine hastigen Schritte hallen laut. Der Mann versteckt sich schwer atmend hinter einer der breiten Säulen. Seine Verfolger sind ihm dicht auf den Fersen. Nähe Kirchen sind ein beliebter Schauplatz für Filme und Romane. Von Giovanni Boccaccio, dem italienischen Dichter, über Atem beraubende Films Noirs bis hin zu Freitagabendserien – niemand kommt ohne Kirchen aus. Sie sind der Ort, an dem sich Leben in besonders intensiver Weise abspielt: Menschen suchen Zuflucht vor allem, was sie bedrängt. Sie bekennen, was sie andernorts niemals in Worte fassen könnten. Selbst die große Liebe kann hier ihren Ausgang nehmen – in der Nähe des Heiligen, das man beim Namen nennt und doch nicht bis ins letzte kennt. Vielleicht ist es ja das, was Autoren und Regisseure so fasziniert – ein Raum, in dem scheinbar Banales, faszinierend Extravagantes und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Publizistik (Leiter: KR M. Mädler) – Postfach 20 07 51 – 80007 München Telefon: 089 / 55 95 – 552; Telefax 55 95 – 666; E-Mail: [email protected] außergewöhnlich Erschütterndes konfrontiert wird mit einer Macht; die über allen Dingen steht und zugleich in ihnen steckt. Denn das ist es doch, was Menschen glauben, auch gerne glauben wollen: Dass Gott in höchsten Glücksgefühlen, in tiefster Verzweiflung und Trauer ihnen nahe ist – das brauchen Kleine wie Große, um die Wucht wunderbarer wie schrecklicher Erfahrungen tragen zu können. Kirchen wie Ihre ChristiHimmelfahrts-Kirche sind die Gebäude, in denen Leben verdichtet, tief gefühlt und zur Sprache gebracht wird. Paare werden gesegnet für ihren Lebensweg, Kinder und Erwachsene getauft und konfirmiert, Jubiläen wie Goldene Hochzeiten oder Silberne Konfirmationen gefeiert, Schuld - kollektive und individuelle – wird bekannt und erhält göttliche Vergebung zugesprochen, Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet. Kunst hat mit Aussagen zu Leben und Tod in Kirchen ihren Platz – in Bildern und Plastiken, vokal, instrumental, getanzt. Ehrfurcht Kirchen sind Orte für das Leben in seiner Vielfalt, mit seinen glänzenden Seiten und den rabenschwarzen Schatten. Sie symbolisieren das Reich Gottes, seine menschenfreundliche Herrschaft, die Menschen bitter nötig haben. Wen wundert´s, dass etwa der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche so viele Menschen in Bewegung gebracht und ein Atem beraubendes Ergebnis gezeitigt hat. Neuerliche Vollendung, außen und innen gelungen, ist hier wie anderswo weitaus mehr als Restauration eines traditionsreichen Bauwerkes. Es ist gut, wenn Kinder, Jugendliche und Erwachsene die Orte und Gestalten des Heiligen neu aufsuchen und sie in Ehren halten. Vielzwecksäle, schon das Wort kann Schaudern auslösen, tragen dem Bedürfnis nach geistlich erhebenden Räumen kaum Rechnung. Bauten wie unsere Kirchen sind lebendige Zeugnisse der Vergangenheit, Räume lebendiger Gegenwart und Orte für die Zukunft. Mit ihnen nachlässig, gleichgültig umzugehen, wäre ein schlechtes Zeichen für unsere geistig-geistliche Verfassung. Der französische Schriftsteller Guy de Maupassant hat im 19. Jahrhundert in seinen Novellen geschrieben: „Alle Gotteshäuser sind doch im Grunde nichts anderes als Stätten menschlicher Ehrfurcht, die man dem Unbekannten errichtet hat.“ Er fährt fort: „Je mehr die Vernunft sich durchsetzt, desto weiter geht das Unbekannte zurück, und desto mehr überholen sich die Gotteshäuser...“ An diesem Satz stimmt die Aussage von der menschlichen Ehrfurcht. Falsch ist die behauptete Gegnerschaft zwischen Glauben und Denken. Falsch ist der Satz vom Unbekannten. Gottes Reich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Publizistik (Leiter: KR M. Mädler) – Postfach 20 07 51 – 80007 München Telefon: 089 / 55 95 – 552; Telefax 55 95 – 666; E-Mail: [email protected] Kirchen sind nicht dem unbekannten Gott gewidmet, dem die Athener zur Zeit des Paulus einen Altar gebaut hatten. Sie sind auch nicht „jenem höheren Wesen“ zugeeignet, das wir nach einer Satire von Heinrich Böll „alle verehren“. Kirchen haben Namen, die auf das Fundament hinweisen, auf das sie sich gründen. „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Christus Jesus“ sagt Paulus im ersten Korintherbrief (2. Kor 3,11). Der Mensch gewordene Gott, der Gesicht und Namen hat, ist das geistig-geistliche Fundament des christlich-evangelischen Glaubens und der Gebäude, die in diesem Glauben errichtet werden. Jesus Christus als Fundament – das meint keinen Fundamentalismus, sondern fest gegründete Offenheit für andere Menschen, Glaubensüberzeugungen und Weltanschauungen. „Es gibt keine andere Ursache, Kirchen zu bauen, als dass die Christen zusammen kommen, beten, Predigt hören und Sakramente empfangen können“ hat der Reformator Martin Luther gesagt. Sich versammeln, taufen, trauen, konfirmieren, den letzten Weg mitgehen und segnen, ist Ausdruck von Ehrfurcht vor Gott, dem alles Leid dieser Welt geklagt und vor dem jede Freude ausgebreitet werden darf, dessen Botschaft immer wieder neu gesagt wird und an dessen Gegenwart Menschen sinnlichen Anteil haben. Kirchen versinnbildlichen auf ihre je eigene Weise, mit ihrem individuellen Baustil, ihrer unterschiedlichen Ausstattung das Reich Gottes, wie es verstanden wurde und wird: Verschwenderisch, prächtig, farbenfroh, licht, klar konstruiert, reduziert auf das Wesentliche - alles ist möglich, dem, der da glaubt. Freiheit Freilich: Festlegen, an einen Ort bannen lassen sich Gott und sein Reich nicht, so gern Menschen heute alles zeitlich und örtlich fixieren. Ein modernes Phänomen: Viele Handygespräche beginnen mit einer Ortsangabe: „Ich sitze im Cafe, bin beim Einkaufen, gieße die Blumen…“ Man vergewissert sich gegenseitig, wo man gerade ist, um sich des anderen sicher zu sein. Diese Sicherheit ist ein Irrtum, denn wer angibt, das Altpapier wegzubringen, kann schon beim Einchecken für den Flug nach Rio de Janeiro sein. Oft genug fragen Gesprächspartner dann ja auch nach: “Da sind so komische Geräusche im Hintergrund…“ Es ist wohl ein ganz archaisches Bedürfnis, das dem Menschen inne wohnt: Alles zu lokalisieren, vom Zeitpunkt her festzulegen, weil man meint, die Sache damit in der Hand zu haben, beherrschen zu können. Das ist die räumliche und temporäre Variante von „denn, was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen“, wie es in Goethes Faust heißt. Interessanterweise fällt dieser Satz in einem Gespräch mit Mephistopheles, dem Teufel, der einen Schüler zu verwirren sucht. Spannt man Bibel und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Publizistik (Leiter: KR M. Mädler) – Postfach 20 07 51 – 80007 München Telefon: 089 / 55 95 – 552; Telefax 55 95 – 666; E-Mail: [email protected] Goethes Faust zusammen, dann kann man zu dem Schluss kommen, dass es vom Teufel ist, Gott, Welt und Kirche so festlegen zu wollen, dass sie einem hantierbar erscheinen. Die Festlegung, die einem nur scheinbare Sicherheit verleiht, hat eine zweite Seite: Überall dort, wo man den anderen nicht wähnt, kann man von ihm unabhängig tun oder lassen, was einem beliebt. Er ist ja dort, an dem Ort, an den man ihn zu binden können glaubte. Gott nur in der Kirche? Zuhause Die Festlegung wäre doppelt negativ: Gott soll berechenbar werden. Man selbst kann dann vergnügt kalkulieren, wie viel zu tun ist, um seine Gegenwart zu erzeugen. Den Rest an Aufwand kann man sich schenken. Martin Luther verweigerte in konsequenter Nachfolge Jesu die Festlegung der Kirchengebäude. Ein Missverständnis zu glauben, dass nur hier wahrer Gottesdienst gefeiert wird. Er sagt, markig wie üblich: „Wo der böse Geist gewahr würde, dass wir das Gebet üben wollen, wenn es gleich unter einem Strohdach oder in einem Saustall wäre, ... würde er sich weit mehr vor diesem Saustall fürchten als vor allen hohen, großen, schönen Kirchen, Türmen, Glocken, ... wo solch ein Gebet nicht drin ist“. Gott lässt sich nicht an einen Ort binden, er ist hier, aber auch anderswo zu finden. Umgekehrt: Was Menschen in einer Kirche denken, meditieren, reden, singen, beten und planen, hat Wirkung, wenn es mit ganzem Herzen und Hirn geschieht. Luther hat zu Recht wertgeschätzt, was Kinder, Männer und Frauen außerhalb der Kirche in ihrem Leben und Beruf Gott, den Nächsten und sich selbst zuliebe tun. Gott ist gegenwärtig in Köpfen, in Herzen, überall da, wo Kleine und Große so leben, dass an ihnen und durch sie etwas von der Liebe und der Leidenschaft des Gottes sichtbar wird, der das Leben und die Freiheit will. Es ist nicht selbstverständlich, dass jemand so leben kann. Manchmal kommt man sich nach Johann Gottfried Herder wirklich wie der „erste Freigelassene der Schöpfung“ vor, wie ausgesetzt. Mit den Aufgaben und der Verantwortung, die Menschen aufgebürdet sind, brauchen sie Orte wie Ihre Kirche. Dialoge Eine kluge Jury hat sich intensiv damit befasst, wie diese Kirche nach ihrer Renovierung aussehen sollte – renoviert eben, nicht restauriert. Ein feiner Unterschied. Viele Gedanken haben sich die Fach- und Sachpreisrichter gemacht, bis sie sich schließlich mit überwältigender Mehrheit für den Entwurf des großartigen Werner Mally entschieden. Kraftvoll, inspiriert ist seine Idee. Der Altar spiegelt die Kirchturmspitze, stellt sie auf den Kopf – so, wie unser Glaube manches in uns und um uns umdreht, damit wir leben können, statt platter Selbstverständlichkeit anheim zu fallen. Die Brüstung dieser Kanzel wird von Eichenholzwinkeln gebildet – verwinkelt, verschachtelt sind unsere Lebenswege, führen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Publizistik (Leiter: KR M. Mädler) – Postfach 20 07 51 – 80007 München Telefon: 089 / 55 95 – 552; Telefax 55 95 – 666; E-Mail: [email protected] manchmal in die Irre und bleiben doch gerahmt vom göttlichen Dreieck Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der Taufstein ist geblieben, aber an einen anderen Ort gekommen – wie unsere Taufe uns alle zur Bewegung verlockt. Der Ambo setzt sich aus Pyramidenausschnitten zusammen. Wer mag, kann an den Exodus denken, an den Auszug aus der Sklaverei in die Freiheit, die unser Glaube jeden Tag neu verheißt. Über dem Altar im Sinne dieser Freiheit die Möglichkeit, zu assoziieren: Relief des Lebens, verwoben, verbunden miteinander, Umrisse, Erinnerungen, Ahnungen. Geheimnisvolle Ordnung, verlässliche Dauer. Der Verzicht, die kluge Reduktion von Farben, Bildern und Tönen bereichert den Verstand und verleiht der Seele Flügel. Stille ist, wenn sich die eingekrampfte, zerknitterte Seele ausbreitet, der flache Atem tief und ruhig wird: Inneren Frieden aufkommen lassen. Nichts tun, nichts weiter denken. Sein, allein da sein, für sich sein. Sich selbst und Gott zuhören, staunen über das, was in einem Menschen lebt und lebendig sein möchte. So ist Ihre Kirche. Visionen Kirche ist „nicht Holz oder Steine“, wie Luther sagt, „nicht das unvernünftige Vieh, sondern die Menschen, die Gott erkennen, lieben und preisen“. Kirchen sind Orte, an denen nach einer Sprache gesucht wird, die Worte findet für das Unfassbare, das Schöne wie das Schreckliche in unserem Leben – althergebrachte, erfahrungsgesättigte und zeitgenössisch fragende Worte. Kirchen sind der Ort, an dem Musik zu hören ist, die Gedanken und Gefühle so transportiert, dass dem Teufel hoffentlich angst und bange wird, wie Luther sagt. Die Auseinandersetzung mit Problemen, die unser Land und andere belasten, gehört mitten in die Kirche hinein. Gott ist Mensch geworden – damit hat er in seiner Person die ausschließliche Aufmerksamkeit vom Jenseits in das Diesseits hinein gelenkt. Zum christlichen Glauben gehört beides hinzu: Klare, realistische Weltsicht und zugleich die Fähigkeit, Träume zu haben und Visionen zu entwerfen. Gott ist Mensch geworden, hat das Leiden dieser Welt geteilt. Wer an ihn glaubt, wendet sich dieser Welt uneingeschränkt zu, ohne im Vorfindlichen aufzugehen, ohne die Hoffung auf Veränderung aufzugeben. Kirchen sind Orte der Ehrfurcht, aber die Menschen in ihnen sind nicht geistesabwesend. Sie sind geistesgegenwärtig, realitätsbewusst voller Zutrauen auf das, was uns von Gott her einfallen kann für diese Welt. Kirchen sind Orte der Geborgenheit und der Zuflucht, aber die Menschen in ihnen verlieren sich nicht in Kuschelecken. Wir sind mit unseren Kirchen Teil dieser Welt. Aber Glaube kann sich nicht mit dem zufrieden geben, was halt so ist. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Publizistik (Leiter: KR M. Mädler) – Postfach 20 07 51 – 80007 München Telefon: 089 / 55 95 – 552; Telefax 55 95 – 666; E-Mail: [email protected] Himmelsleiter Frömmigkeit und Weltoffenheit gehören untrennbar zusammen. Kirchen können der Ort sein, an dem Menschen ihren Wert spüren, ihre Gaben und Fähigkeiten schätzen und ihre Schwächen sehen lernen. Ein Ort, an dem das ganze pralle Leben Platz hat mit Liebe und Zorn, Lachen und Weinen, Danken und Klagen, Fragen und Antworten, Reden und Schweigen… Eine irdische Heimat für alle Sinne samt dem Verstand - mit weitem Blick auf das zukünftige, ewige Zuhause. Dafür sind auch die Feiertage nötig, von denen kein einziger abhanden kommen darf – sie sind mit ihrer Zelebration in den Kirchen Fixpunkte für eigene geistige und geistliche Identität. Sie sind da, um Vergangenheit zu erinnern, sich auf Gegenwart zu besinnen und sich für die Herausforderungen der Zukunft zu rüsten. Der Erzvater Jakob legte sich einmal nieder und träumte: Von Engeln Gottes, die auf einer Leiter vom Himmel auf die Erde herab und hinauf steigen. Nach dem Aufwachen sagte er: „Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels“ (Gen 28,17). Den Ort nannte er Beth-El, das Haus Gottes. Es möchte´ so sein, dass unsere Kirchen heilige und zugleich ganz weltliche Stätten sind, an denen die Engel hinauf und hinunter, ein- und ausgehen. Ein Ort mit Ausblick zum Himmel, an dem Menschen träumen, hellwach und ausgeschlafen sich ihre Gedanken machen. Kirchen sind nicht Bedingung für die Begegnung mit dem Heiligen, aber sie schenken Gelegenheit dazu. Sie geben Raum, Leiden zu beklagen, Liebe zu erfahren und das Leben zu feiern. Gott segne Ihre Gemeinde. Amen. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Publizistik (Leiter: KR M. Mädler) – Postfach 20 07 51 – 80007 München Telefon: 089 / 55 95 – 552; Telefax 55 95 – 666; E-Mail: [email protected]