Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: 19. Juli 2009, 9:30 Uhr! Festpredigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, anlässlich des 40. Jahrestages der Priesterweihe von Bischof Heinz Josef Algermissen, Fulda am 19. Juli 2009 im Fuldaer Dom Gen 12, 1-4a; 1 Tim 6,11-16; Mk 6, 30-34 „…ein einziger fortgesetzter Akt des Glaubens“ Lieber Bischof Heinz Josef, verehrte Mitbrüder im Amt des Bischofs, Priesters und Diakons, liebe Schwestern, liebe Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens! Es sind eine ganze Reihe von Menschen, die uns auf unserem Glaubensweg begleiten, Persönlichkeiten, die uns durch das Zeugnis ihres Lebens Mut machen, auf Gott zu setzen und es zu wagen, ganz und gar Jesus Christus als der Mitte unseres Lebens zu vertrauen. Wenn jemand, wie es heute der Fall ist, dankbar auf vierzig Jahre priesterlichen Wirkens zurückschauen darf, dann kann es gut tun, an jene Gestalten des Glaubens zu erinnern, die uns geprägt, geformt und motiviert haben, und an ihnen Maß zu nehmen. Im Blick auf Deine Lebensgeschichte, lieber Bischof Heinz Josef, möchte ich zwei recht unterschiedliche Glaubenszeugen in den Blick nehmen. Sie verkörpern zwei wichtige Stationen Deiner Biographie: Paderborn, Deine Heimat, und Freiburg, die Stadt, aus der ich komme und die Dich als Theologiestudenten menschlich wie theologisch angesprochen und mitgeprägt hat – und, das freut mich natürlich besonders, es immer noch tut. Für Paderborn steht, wie könnte es anders sein, der Bischof, der Dich zum Priester geweiht hat: Lorenz Kardinal Jaeger; und für Freiburg, der Mann, der Dich denkend fasziniert hat, der immer neu in sorgsam bedächtigen Anläufen das Geschehen des Glaubens in den Mittelpunkt rückte: der Religionsphilosoph Bernhard Welte. 1 Lorenz Kardinal Jaeger war ein Gestalter, ein Mann mit einer gewinnenden Dynamik und großer Energie. Mitten in der schlimmsten Phase des Zweiten Weltkrieges zum Erzbischof berufen, hat er seine Diözese durch die Wirren der Nachkriegszeit geführt und vielen Menschen Heimat in Gott gegeben. Tief in der Kirche verwurzelt, hat er früh die Ökumene als Aufgabe erkannt und dieses Anliegen mächtig und kraftvoll ins Zweite Vatikanische Konzil eingebracht. Du, lieber Mitbruder, hast damals, als katholischer Pfarrer im evangelisch geprägten Bielefeld, vor Ort, an der Basis, mitten unter den Menschen, spüren dürfen, welche neuen Möglichkeiten sich daraus ergeben haben. Ja, Lorenz Kardinal Jaeger, war ein beeindruckender Gestalter, der Weichen in die Zukunft gestellt hat. Dann die charakterlich und habituell so ganz andere Persönlichkeit: Professor Bernhard Welte, Priester, ebenfalls ganz und gar beheimatet in der Kirche. Äußerlich, auch von der Gestalt, viel zurückhaltender und ruhiger als Kardinal Jaeger, war er dennoch gewinnend und auf seine leise Art prägend. Bernhard Welte kennen wir als beschreibenden Denker, als einen, der sorgsam analysiert, wie Glaube geht, welches Phänomen es ist, dass Menschen überhaupt glauben können. Bernhard Welte beschreibt immer wieder, immer wieder neu, ganz sorgsam und leise, wie das Glauben-Können, langsam, Schritt für Schritt, das menschliche Leben entfaltet und bereichert. Ja, er spricht bisweilen sogar von einem „daseinsbegründenden Glauben“, davon, ich zitiere ihn wörtlich, dass es „ein Vertrauen im Menschen gibt, das früher und ursprünglicher ist als Skepsis und Angst“. Lorenz Kardinal Jaeger und Bernhard Welte – der Gestalter mit großer Dynamik und der fein beobachtende, die Phänomene sorgsam erschließende Denker – beide haben Dich, lieber Bischof Heinz Josef, geprägt und faszinieren Dich bis heute. Heute, auf den Tag genau vor vierzig Jahren, bei Deiner Priesterweihe im Hohen Dom zu Paderborn, hat Kardinal Jaeger einen Satz geprägt, in dem seine und Bernhard Weltes glaubende Suchbewegung, so meine ich, geradezu idealtypisch zusammenkommen. In seiner Predigt hat Kardinal Jaeger nachgedacht über die modernen Anfragen an das überkommene Priesterbild. Er wollte sich nicht einlassen auf eine soziologisch geprägte Diskussion, weil eine solche Perspektive den Kern, worum es beim Dienst des Priesters geht, nicht fassen könnte. Genau in diesem Zusammenhang formulierte er – bezogen auf die innere, ganz persönliche Perspektive von Euch Weihekandidaten – einen Satz, der heute wie damals schlicht und einfach gilt: „Priestersein ist ein einziger, fortgesetzter Akt des Glaubens“. Was sich zunächst fremd und abgehoben anhören mag, trifft den Kern des Priesterseins: „ein einziger fortgesetzter Akt des Glaubens“. Und zugleich trifft sich darin, was Bernhard Welte in immer neuen Anläufen zu beschreiben gesucht hat und das, was den jungen Theologen und Priester Heinz Josef Algermissen fasziniert hat und immer noch fasziniert. Liebe Schwestern und Brüder, in Freiburg kursiert eine kleine Geschichte, die wohl nicht von Bernhard Welte selbst stammt, aber ganz in seinem Geist, vielleicht sogar angeregt von ihm, formuliert, was der Glaube bedeutet und wie er die menschliche Wirklichkeit ganz spezifisch und grundlegend verändert. Sie ist ausgesprochen kurz: Gott –, Gott ist für mich wie Luft – spricht ein ungläubiger Mensch. Ja, Du hast völlig Recht, antwortet ihm ein glaubender. Gott ist auch für mich wie Luft. Das stimmt ganz und gar. Aber versuche nur einmal, fünf Minuten ohne Luft zu leben! 2 Gott ist für mich wie Luft. Diese Aussage stimmt. Beide, der ungläubige und der gläubige Mensch, sie beide beschreiben dieselbe Welt, dieselbe Wirklichkeit. Aber das alles Entscheidende in dieser Geschichte ist die Art und Weise, wie ich diese Wirklichkeit wahrnehme. Anders formuliert: Der Glaube legt keinen frommen Mantel über die Wirklichkeit oder versieht sie nicht mit einem frommen Etikett, ganz im Gegenteil. Indem ich als glaubender Mensch staune, erscheint die Wirklichkeit in einem ganz eigenen Glanz: Gott ist für mich wie Luft – ja, wie die Luft, die mich umgibt, die da ist, und aus der und von der ich ja immer schon lebe. So, liebe Schwestern und Brüder, wie es diese Geschichte wunderschön auf den Punkt bringt, hat Bernhard Welte auf uns, die wir zu seinen Studenten gehört haben, gewirkt. Und das war es, was Dich lieber Mitbruder Heinz Josef, an ihm faszinierte. Er hat uns geholfen, die gottdurchtränkte Wirklichkeit wahrzunehmen und zu bestaunen. Ist das nicht heute wichtiger denn je die Aufgabe und der Dienst des Bischofs? In einer Zeit, in der zahlreiche Mitbürger vieles nur noch mit säkularen Augen und unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachten, gilt es umso mehr, die Frage nach Gott wach zu halten und unseren Zeitgenossen entdecken zu helfen, dass Gott für uns wie Luft ist, ohne die das Menschliche und Zwischenmenschliche in unserer Gesellschaft zu ersticken droht. Gerade die schmerzlichen Erfahrungen der Finanzmarktkrise machen mit Blick auf den Vertrag von Lissabon deutlich: Europa braucht die Rückbindung an Gott. Es reicht nicht aus, Europa nur als eine Wirtschafts- und Währungsunion zu gestalten. Menschenwürde und Menschenrechte, Freiheit und Solidarität, Demokratie und Sozialstaat, modernes Management und Unternehmertum, brauchen die Verankerung in Gott. Bewahren wir Europa vor einem blassen und blutleeren Gesicht. Geben wir Europa ein christliches Gesicht und damit eine menschliche und menschenwürdige Zukunft! Eine Zukunft, die von gegenseitiger Solidarität, vom Füreinander statt vom Gegeneinander geprägt ist! Liebe Schwestern, liebe Brüder, Bernhard Welte – er steht für den einen Pol der Prägung, die Bischof Heinz Josef Algermissen widerfahren ist, Lorenz Kardinal Jaeger für den anderen. Aber ist es nicht völlig klar, dass jemand, der den Glauben so erfahren hat, wie ihn Bernhard Welte erschließt, dass der die Kirche und die Welt wie Lorenz Jaeger gestalten und prägen möchte? Beide Dimensionen greifen ineinander und bestärken sich: Der scharfsinnige und sensible Blick für die Zeichen der Zeit sowie der Mut, daraus Konsequenzen zu ziehen, und die Dynamik, die Gegenwart im Geist des Evangeliums umzugestalten. Wir bleiben auf dieser Spur: Vor vierzig Jahren, damals im Hohen Dom zu Paderborn, hat Lorenz Kardinal Jaeger noch mit vielen anderen Facetten die Dynamik des Glaubens beschrieben, wie sie sich in den jungen Weihekandidaten entfalten sollte. Die Berufung Abrahams wurde geschildert, die beständige Bereitschaft zum Aufbruch. Dabei spielte eine Formulierung des Apostels Paulus im Brief an Timotheus eine wichtige Rolle: Vor allem ein „Mann Gottes“ soll der Priester sein, ein Mensch, den der Glaube – und das waren die Worte von Kardinal Jaeger – „umgestaltet“ und umgeschichtet“ hat. Wie geschieht dieses „Umgestalten“? Wie gewinnt der Glaube prägende, formende Kraft in mir, in uns? Wer hier in Fulda Bischof sein darf, dessen Blick richtet sich bei solchen Fragen unweigerlich auf die Ur-Gestalt und den Ur-Gestalter des christlichen Glaubens in diesem schönen Landstrich Deutschlands, auf den Apostel der Deutschen, den Heiligen Winfried Bonifatius. In Deinem Hirtenbrief, lieber Heinz Josef, den Du im September 2001 zur Einführung als Bischof von Fulda an die Gemeinden geschrieben hast, hebst Du selbst hervor: „Wie könnte ich nach Fulda kommen, ohne mich im Gebet und in Gedanken mit dem heiligen Bonifatius zu besprechen! Angesichts seines Lebenszeugnisses verstehe ich auch meine Sendung und unseren gemeinsamen Auftrag.“ Ja, Du hast 3 recht: Wir alle stehen auf den Schultern des heiligen Bonifatius; ihm verdanken wir das Geschenk des christlichen Glaubens in unseren Breitengraden. An ihm und seiner Dynamik nehmen wir Bischöfe immer wieder neu Maß und schöpfen Mut, selbst in schwierigen Zeiten standhaft zu bleiben und treu den Akt des Glaubens fortzusetzen. Auch wenn uns mehr als 1250 Jahre von ihm trennen, macht ein Blick auf Leben und Wirken des heiligen Bonifatius deutlich, was es heißt, ein Mensch zu sein, der aus dem Glauben umgestaltet und dessen Leben von Gott umgeschichtet wurde zum Mann Gottes und der zugleich aus dem Glauben ein Land und seine Menschen umgestaltet hat. Sie alle, liebe Schwestern, liebe Brüder, sind mit seinem Lebens- und Glaubensweg bestens vertraut: Sein Aufbruch aus der Heimat herüber auf den Kontinent, sein unermüdliches Zeugnis für Jesus Christus lassen ihn zum beeindruckenden Glaubenszeugen werden – voller Dynamik und Kraft; zum dynamischen Gestalter unseres christlichen Kulturraums – prägend bis heute. Die Zeit des heiligen Bonifatius war die große Zeit der Wandermissionare und der begeisternden Gründer- und Gestalterfiguren, die Grundlagen für das christliche Europa legten. Die Episkopen, die Bischöfe, übernahmen deren Dienst und Verantwortung. Ihre Aufgabe war es, dafür Sorge zu tragen, dass das Feuer des Glaubens brennt und die Fackel der österlichen Hoffnung weitergegeben wird. Das ist das, was man in einem guten Sinne „Institutionswerdung“ nennen darf. Die Aufgabe der Bischöfe war es, dafür zu sorgen, dass ein höchst geschmeidiges Instrumentarium zur Verfügung steht, das der Glaubensweitergabe dient. Dieses Instrumentarium hat immer notwendigerweise den Charakter des Sekundären und Nachgeordneten. Es ist relativ, den Gegebenheiten der jeweiligen Zeit angepasst, aber immer ganz ausgerichtet auf seinen Sinn und Zweck: der Lebendigkeit des Glaubens auf angemessene Art und Weise zu dienen. Ein wichtiges Instrument, das so im Laufe der Jahrhunderte entstand, war und ist die „Parochie“, die Pfarrei als Untergliederung – zunächst vor allem des ländlichen Raums der Diözese. Warum erinnere ich daran? Die Bischöfe der Gründerzeit konnten deswegen so segensreich wirken, weil sie eine große Offenheit dem Instrumentarium ihrer Arbeit gegenüber zeigten. Hier passt dies, dort jenes, das müssen wir anpassen, dort es gilt es zu korrigieren und hier können wir alles in der Kraft des Geistes Gottes noch einmal neu überdenken. Ich möchte es sehr deutlich formulieren: Die guten Bischöfe dieser Zeit der Grundlegung und des Aufbruchs waren deswegen gut, weil sie das lebten, was Bernhard Welte einen „daseinsbegründenden Glauben“ nannte: Sie bewiesen in Wort und Tat, dass es „ein Vertrauen im Menschen gibt, das früher und ursprünglicher ist als Skepsis und Angst“. Was heißt das konkret? Ein Bischof von heute muss den Mut haben, das Nachgeordnete, das Zweitrangige wieder sekundär werden zu lassen. Gut ist, was der missionarischen Kraft des lebendigen Glaubens der Menschen je besser dient. Darauf hast Du, lieber Bischof Heinz Josef, vor kurzem bei Eurem diesjährigen Diözesantag am 3. Juli eindringlich hingewiesen. In Deinem Schlusswort betonst Du: „Wir dürfen nicht vergessen, dass Strukturen nur Korsett sind, nicht der Leib. Was nützt ein Korsett, wenn kein Leib da ist?“ Was nützen Strukturen, wenn der „Leib Christi“, die lebendige Gemeinschaft des Glaubens fehlt? Viele unter uns spüren, dass mit bloßen Events und pastoralen Einzelinitiativen der Glaube noch nicht zum Wachsen kommt, dass es, wenn Wände Risse haben, nicht genügt, sie neu zu tapezieren. Wir merken: nur aus der Tiefe kann der Mensch leben. Und das ist gut so! Aber zur Tiefe gehört auch die Weite. Wir dürfen uns daher nicht einigeln, nicht zurückziehen in die Sakristei und nur noch von den scheinbar guten alten Zeiten träumen. Allzu leicht bekäme sonst die Parabel vom Fuchs recht, der die Trauben deshalb sauer nennt, weil sie ihm zu hoch hängen. Deshalb: Ein Bischof, der heute nicht daran ginge, unsere prägenden Strukturen, die weitgehend Denkmustern des 19. Jahrhunderts entstammen, zu erneuern und weiterzuführen, wäre ein schlechter Bischof. Dass das Kraft kostet, Geduld verlangt, mitunter anstrengend ist, aber dann auch neue Perspektiven eröffnet, davon könnten Ihnen, liebe Schwestern, liebe Brüder, Bischof Heinz Josef 4 und ich viel, sehr viel erzählen. Aber da dran zu gehen und da dran zu bleiben, ist unsere Pflicht und Schuldigkeit! Und es ist Ausdruck dafür, dass wir nicht im Gestern stehen bleiben, sondern den Akt des Glaubens im Hier und Heute fortsetzen und so – wie einst Kardinal Jaeger – die Weichen stellen für die Zukunft. Aus welcher Kraft dies gelingt, liebe Schwestern, liebe Brüder, davon zeugen die Worte, die wir eben im Evangelium hörten: sie, die Jünger, „versammelten sich bei Jesus“ (Mk 6,30). Nur wenige Verse zuvor berichtet der Evangelist Markus von der Aussendung der Jünger. Nun kehren sie zurück und treffen sich bei Jesus. Hier wird uns der pulsierende Herzschlag des Glaubens deutlich vor Augen geführt: Sendung und Sammlung gehören zusammen, das Sich-auf-den-Weg machen, um die Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden, und die Rückkehr zu Jesus, das Bei-ihm-Sein, an seinem Herzen zu ruhn. Das Gehen für Jesus und das Gehen zu Jesus ist das, was einen „Mann Gottes“ charakterisiert und auszeichnet – damals wie heute. Mit der Rückkehr der Glaubensboten zu dem, der sie ausgesandt hat, unterstreichen die Jünger, was auch für den priesterlichen und bischöflichen Dienst gilt: dass wir von einem anderen „umgestaltet“ und in Dienst genommen sind, dass wir nicht in eigener Kraft und Vollmacht handeln, dass wir die Welt nicht aus eigner Kraft retten können. Die Versammlung um Jesus, die Sammlung vor Gott ist die durch alle Jahrhunderte hindurch entscheidende und nie versiegende Kraftquelle für alle, die aus dem Geist des Evangeliums die Kirche prägen und die Gesellschaft umgestalten und umschichten. Lieber Bischof Heinz Josef, von Herzen wünsche ich Dir immer neu die Gabe, wie Bernhard Welte, sorgsam und scharfsichtig die Zeichen der Zeit und die Erfahrungen des Glaubens denkend zu durchdringen und zu analysieren, sowie zugleich die Kraft und den Mut eines Lorenz Kardinal Jaeger, die Gegenwart im Geist Jesu Christi zu gestalten und die entsprechenden Weichen für die Zukunft zu stellen. Dies wird umso mehr gelingen, je mehr der notwendige Wechsel von Sammlung und Sendung der Pulsschlag Deines und unseres Lebens und Wirkens bleibt. Amen. 5