Die Casa del Fascio in Como : Giuseppe Terragni entwarf der faschistischen Partei einen exzentrischen Bau Autor(en): Leiprecht, Helga / Müller, Stefan Objekttyp: Article Zeitschrift: Du : die Zeitschrift der Kultur Band (Jahr): 65 (2005-2006) Heft 755: Architektur und Macht : eine monumentale Verführung PDF erstellt am: 22.08.2017 Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-301664 Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. 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Von Helga Leiprecht mit Bildern von Stefan Müller und das, meint der freundliche Maresciallo, sei jetzt im Februar mit dem Licht wohl nicht So einfach ist das nicht. Wer die Casa del Fascio von Giuseppe Terragni in Como besuchen will, muss sich auf ein längeres Prozedere einstel¬ len. Telefonate, Faxe, Telefonate. Der Colonello, der Hausherr, ist in der Regel beschäftigt und häufig unterwegs. Aber er ist der einzige, der den Zutritt gewähren kann. Diese Aus¬ kunft gibt der Maresciallo, geduldig, beim ers¬ ten, zweiten, dritten Telefongespräch. Grund¬ sätzlich, so der Maresciallo, ist gegen eine Be¬ sichtigung nichts einzuwenden, nur: Der neue Colonello handhabt das alles sehr restriktiv. Aber zum Glück - die Casa del Fascio ist in Co¬ mo und Como liegt in Italien. Nach vierwöchi¬ gem Telefonkontakt folgt die Einladung. Zwar habe der Colonello nur eine Genehmigung zum Fotografieren nach halb fünf gegeben, günstig, aber wir sollten doch kommen, und dann werde man schon sehen. Piazza del Popolo, Nummer 4. Casa del Fascio, heute Palazzo Terragni. Doch das sagt niemand hier. Ein leerer Vorplatz, eine dop¬ pelspurige Strasse, das Bähnchen zur Stazione Nord, die Apsis des Doms im Rücken. Vor uns Terragnis Bau: ein Würfel, das Seitenmass in der Höhe halbiert, rechts und links begrenzt von einer Strasse. Der Eindruck absoluter Ak¬ kuratheit. Die Casa füllt das Grundstück in sei¬ ner ganzen Breite; Keinen Millimeter steht sie über, kein Millimeter Platz bleibt frei, 33,25 auf 33,15 Meter. Das Raster des offengelegten Tragwerks gliedert die Fassade regelmässig, so die hinter dem Tragwerk liegenden Fenster¬ blenden aber und das haushohe leere Band aus Marmor an der rechten Seite nehmen die Re¬ gelmässigkeit zurück. Die Symmetrie wird ge¬ brochen wie bei einer leichten Bildstörung. Und auch wenn sich Masse und Proportionen ebenso wie die helle Marmorverkleidung der Umgebung auf den ersten Blick fügen, so hal¬ ten sie auf den zweiten Blick immer Distanz. Die Casa del Fascio zielt nicht in die Höhe, sie zieht sich in die Breite, der Marmor ist nobler und heller als die Fassaden der andern Bauten, und im Gegensatz zur Umgebung spielt Glas als Baumaterial eine entscheidende Rolle. Es bleibt ein Rest Fremdheit. Die Casa del Fascio könnte, bei aller Passergenauigkeit, auch vom Himmel gefallen sein. m mm m »»>-'« mmmmmtimm «tm— mmm TT I 11 T11LLŒEB3 ¦ 51Ï BUS Üi SSSSS! ¦s P UIHÏÏ ¦-. (~ 22-du755 jJJ—I i v «Guardia di Finanza» steht über der gläser¬ nen Front, rechts der Eingang ist geschlossen, erst muss ein junger Soldat hinter der Porti¬ neria hervorkommen; er öffnet nach kurzem Augenschein die Glastür und verlangt die Päs¬ se. Nur wer angemeldet ist und sich ausweisen kann, darf das Gebäude betreten. Die Guardia di Finanza, gegründet bereits 1774 von König Vittorio Amedeo ra von Sardinien zum Schutz der Grenzen und 1862, kurz nach der natio¬ nalen Einigung Italiens, als Zollgrenzpolizei installiert, gehört zu den vornehmsten Ein¬ richtungen des italienischen Staates. Die Fi¬ nanzaufsicht ist in diesem Land nicht zivil. Sie gehört zum Militär. Die Casa del Fascio ist Sperrgebiet. Italien, Anfang der dreissiger Jahre. Der Fa¬ schismus betreibt seine Politik der Zentrali¬ sierung auf allen Ebenen. Längst haben die Massnahmen der Uniformierung des Landes gegriffen, überall müssen Parteizentralen, case difascio, eingerichtet werden, alte Gebäude wer¬ den umgenutzt, neue errichtet. Der bürokra¬ tischen Gleichschaltung soll diejenige der Architektur folgen, eine gebaute Corporate Identity des italienischen Faschismus. Die al¬ ten Stadtzentren werden umgestaltet, «syste¬ matisiert», Achsen sollen mäandernde Struk¬ turen ersetzen, aufmarschtauglich und trans¬ parent, moderne Städte für eine neue Zeit. Wer heute durch das Centro storico von Como geht, wird zunächst zwar kaum an faschisti¬ sche Stadtplanung denken, alte Palazzi wie die Banca di Roma, der Domplatz, die Gassen, die vom Dom wegführen zur mittelalterlichen Porta Torre mit den ebenmässigen Bogen, prä¬ gen das Bild. Doch gerade die Porta Torre kann einen in die faschistische Neuzeit katapultie¬ ren, vor den Palazzo della Civiltà del Lavoro in der römischen eur von 1942, dessen monoto¬ ne und beängstigende Bogenarchitektur die Porta Torre hochzurechnen scheint. Das See¬ ufer in Como, die dem See zugewandte Piaz¬ za Cavour, die zentrale Via Boldoni, wo früher täglich Markt war, die Piazza Duomo und die Piazza Verdi hinter dem Dom wurden in den dreissiger Jahren allesamt einer Regulierung unterzogen. Die Apsis des Doms vis-à-vis steht die weisse Casa del Fascio. Der Bezug zwischen Alt und Neu, von Tradition und mo¬ derner Architektur ist typisch für Como. Der Comasker «Gruppo 7», zu dem Giu¬ seppe Terragni gehörte, veröffentlichte be¬ reits 1926 ein Manifest der rationalen Archi¬ tektur, das einerseits die Notwendigkeit einer nationalen, italienischen Architektur beton¬ te. Antonio Sant'Elia hatte mit futuristischen Architekturzeichungen seiner Geburtsstadt Como ein avantgardistisches Erbe hinterlas¬ sen, an das man anknüpfte. Denn andererseits pflegte man in Como die Verbindung zur europäischen Moderne. Giuseppe Terragni machte 1927 und 1931 Architekturreisen nach Deutschland, 1933 hielt er am ciam in Athen, dem von Le Corbusier einberufenen Kongress zur «funktionalen Stadt», ein Referat über die städteplanerische Situation Comos, und sein Neffe Emilio Terragni weiss, dass in der Fami¬ lie schon immer die führenden Zeitschriften abonniert worden seien, damals, in den dreis¬ siger Jahren das «Neue Bauen» des Deutschen Werkbunds, die 1930 gegründete französische Zeitschrift für moderne Architektur «Archi¬ tecture d'Aujourd'hui». w -^ l-~ du755-23 In Como entstand Ende der zwanziger und in den dreissiger Jahren eine beträchtliche An¬ zahl moderner Bauten. Wohnhäuser, Hotels, Geschäfte, Fabriken, Sportanlagen; öffentli¬ che wie private Bauherren vergaben Aufträge an Architekten, die dem Rationalismus nahe¬ standen. Como wurde zu einer «città-labora¬ torio» der neuen Architektur. Dieser Stim¬ mung hatte Terragni wohl auch seinen ersten grossen Auftrag in der Stadt zu verdanken. Mit 24 Jahren, gleich nach dem Abschluss des Poly¬ technikums in Mailand, baute er das Wohn¬ haus Novocomum, «das neue Como». Ein fünfstöckiger Bau, durch horizontale Fenster¬ schnitte seine Länge von 65 Metern betonend, mit zwei auskragenden Ecken über einge¬ schobenen, gläsernen Zylindern. Iwan Golossow hatte 1926 für die Elektrobank Moskau ei¬ ne ähnliche Konstruktion entwickelt, der Ent¬ wurf war 1927 in dem Band Internationale neue Baukunst in Stuttgart publiziert worden, in dem Jahr also, als Terragni zum ersten Mal nach Deutschland reiste. Das Gebäude löste einen Skandal aus. Der Vorwurf des Plagiats wurde Terragni gemacht, damit nicht genug, es sei auch noch das Plagi¬ at ausländischer Architektur. «Transatlantico» nannte man das Gebäude, und das war ab¬ schätzig gemeint, ein jenseitiges Gebäude. Doch wenn Carla Porta Musa, heute 103 Jahre alt, Schriftstellerin und über Jahrzehnte kul¬ turelle Instanz in Como, vom Transatlantico spricht, dann hat das fast etwas Zärtliches: «Transatlantico, so sagten wir damals zu die¬ sem Gebäude, ein Schiff, das uns in eine neue Zeit trug. Dieser Bau brachte etwas völlig Neu¬ es. Meine beiden Brüder zogen dorthin. Die Wohnzimmer waren unglaublich hell, und durch die gläsernen Zylinder hatte man einen wunderbaren Blick auf den See. Das Wichtigs¬ te war natürlich, dass die Wohnungen ein Bad hatten. Das gab es nicht einmal bei uns zu Hause, in unserer Villa.» Eine städtische Kommission wurde einge¬ setzt, die das Novocomum noch einmal auf seine urbanistischen Qualitäten prüfen sollte. Terragni gewann das Duell, Giuseppe Pagano verteidigte in der Zeitschrift «Casabella» sei¬ nen Bau; und noch 1928 bekam derjunge Ar¬ chitekt den Auftrag, die neue Casa del Fascio fe Ü 24-du755 für Como zu bauen. Ein Honorar stand nicht in Aussicht. Aber absolute künstlerische Freiheit. Der Auftrag für die Casa del Fascio zog sich hin. Vergeblich versuchte die Partei, ein Ge¬ bäude des Credito Italiano zu erwerben. 1933 schliesslich stellte die Stadtverwaltung einen Bauplatz zur Verfügung. Nach den Sanierungs¬ plänen für Como, die Terragni selber mitent¬ wickelte, war hier, hinter der Apsis des Doms, ein grosser Platz vorgesehen für Versammlun¬ gen von 100 000 Menschen. Diese Piazza del¬ l'Impero, heute die Piazza del Popolo, sollte auf der einen Seite von modernen Bauten be¬ grenzt sein, die sich in ihren Proportionen und Massen an die alte Stadt anschlössen, vom Dom und dem klassizistischen Teatro auf der anderen. Gebaut wurde nur die Casa del Fascio, die nun als Solitär die Piazza markiert. Dann, 1936, wurde das Gebäude eröffnet. Ei¬ ne Fotografie zeigt die grosse, schwarze Masse vor dem Haus. «Man konnte sich kaum bewe¬ gen, aber alle wollten das Haus sehen», er¬ innert sich Carla Porta Musa. Doch ob das Haus den Comaskern wirklich gefiel, weiss sie nicht. » fj#J'—— i \ ¦ ¦¦¦¦¦> ¦¦• ¦¦¦¦¦¦¦. ¦¦¦¦IIII3H It Jiiik]«» {?; lai Ar.. ¦¦ a.I!¦¦ i ¦is ; »>' ,'• T3 N.LOID 3 I (siin t F j n _ 26-du755 «Wir lebten in einer Diktatur, und da überleg¬ ten wir uns nicht, ob wir diese Architektur wollen oder lieber nicht.» Kritisiert wurde die Casa del Fascio trotzdem, von Architekten. Mit dem Grundsatz des Gruppo 7, «Die Architek¬ tur kann nicht mehr individuell sein», war die¬ ser Bau nicht zu vereinbaren, und Giuseppe Pagano, der 1929 das Novocomum verteidigt hatte, warf Terragni nun Exzentrik vor. Gleich¬ zeitig aber wurde in «La Sera», fast parado¬ xerweise, der Vorwurf des Plagiats wiederholt; in Deutschland und in der Tschechoslowakei habe man vor Jahren schon ähnliche Häuser gebaut, die Berufsschule Vesna von Bohuslav Fuchs und Josef Polasek in Brno, das Alten¬ wohnheim von Otto Haesler in Kassel. Der Himmel ist blau, nur blau an diesem ersten Frühlingstag in Como. Das Licht flu¬ tet den hellen Kalksteinboden des Atriums. Eine schwarz verkleidete Decke, heute sehen die Platten aus wie blinde schwarze Spiegel, drückt den Vorraum, diesen ohnehin niedri¬ geren Trakt, auf den im ersten, zweiten Stock die Büros mit Sicht aufdie Piazza geschichtet w 4<J i \lé> sind. Mit Travertin verkleidete Säulen struk¬ turieren ihn. Mit einem Mal spürt man den Bau, eine Schwere. Die Glasfront mit den acht¬ zehn Flügeltüren auf die Loggia hinaus, in die Stadt hinein, konterkariert diesen Druck, doch sie löst ihn nicht auf. Geht man weiter, in die Mitte des Gebäudes, steht man im Salone per riunioni, der zwei Stockwerkhöhen ein¬ nimmt. Er ist hell, das Dach aus Glasbaustei¬ nen, ebenso die eine Wand; sonst sind die Mauern und die tragenden Pfeiler weiss ge¬ kalkt, die Bürotüren grau gestrichen. Hier im Salone durfte sich die Masse einfinden, da¬ mals in den dreissiger Jahren, und die Funk¬ tionäre schauten von der Galerie im ersten Stock herunter. Unterbrochen wird diese Ga¬ lerie von der Sala del direttorio, die durch eine breite Glasfront zum Salone hin von den Be¬ suchern eingesehen werden konnte. «Der Fa¬ schismus ist ein gläsernes Haus», definierte Benito Mussolini seine Staatsform. Die Macht des Duce sollte immer und überall sichtbar sein. Wir stehen im Atrium und im Salone, be¬ trachten das Denkmal mit dem ewigen Licht für die Gefallenen der beiden Weltkriege. Die kleine Kapelle daneben ist auf den Plänen Terragnis noch nicht zu finden, ursprünglich waren hier die weiblichen Parteidelegationen untergebracht. Jetzt aber sieht es so aus, als könne man gleich mit der Messe beginnen. Wir stehen da, warten aufdie Genehmigung des Colonello. Der Lichtstrahl, der durch das Fenster ins Treppenhaus fällt, wandert wie der Zeiger einer Sonnenuhr. Von der Portineria aus behält man uns im Auge, zwischendurch kommt ein Soldat vorbei und stellt leise eine Frage. Sein Uniformgrau sieht aus, als wäre es eigens für die Casa del Fascio ausgewählt wor¬ den, so genau passt es zum Anstrich der Büro¬ türen. Ein paar Pflanzenkübel, sonst ist es leer. Draussen fahren Autos vorbei, und zwischen¬ durch das Bähnchen mit seinem grasgrünen Streifen. Ein grauer Pfeil fliegt über den Platz. Der junge Soldat, der den Eingang bewacht, eilt zur Glastür und steht stramm. Der Colonel¬ lo kommt. Zwei Worte zum Vicebrigadiere, der zu unserer Beaufsichtigung eingeteilt ist. Dann geht der Colonello die Treppe hoch, ver- mm III 1 du755-27 schwindet im Büro des Comandante. «Es kann gut sein, dass Sie die Genehmigung überhaupt nicht bekommen», lässt uns der Soldat noch wissen. Dann klingelt das Telefon. Alles ist in Ordnung. Wir dürfen bis in den obersten Stock, wir dürfen auch aufdie Terrasse. Allerdings immer nur in Begleitung des Vicebrigadiere. Die Casa del Fascio ist ein Schichtenwerk. Im Grundriss: die räumliche Einteilung von Loggia, Atrium, Salone wiederholt sich auf allen Etagen. In der Sichtbarmachung der Baustruktur: das Gerüst des Tragwerks wird immer von den Füllschichten getrennt, von Wänden aus Glasbaustein oder Ziegeln, von den Fenstern vorgehängten Rahmen, durch räumlichen Abstand oder durch Fugen. In der Lichtführung: die Aussenwand des Haupt¬ treppenhauses ist rhythmisiert durch Bänder aus Glas, Glasbaustein und Mauer; ein Licht¬ schlitz durchschneidet die Decke des Salone. Und in seiner Beziehung zur Geschichte: im Mittagslicht zieht der Blick von der Terrasse auf der obersten Etage den Dom ganz nah an die Casa del Fascio heran. Die Macht der Kir¬ hängen, sehen aus wie monochrome Mond¬ rians. Aldo Rossi und Peter Eisenman kann man das Verdienst zuschreiben, die Casa del Fa¬ scio enttabuisiert zu haben, indem sie Archi¬ tektur grundsätzlich als «unschuldig» defi¬ nierten: der Tabubruch hat viele neue Blicke auf Terragnis Meisterwerk ermöglicht. Man¬ fredo Tafuri hat diese klinische Interpretation als «Entmenschlichung» kritisiert, als «Erhe¬ bung über Raum und Zeit», und der Casa del Fascio nimmt sie letztlich die Ambivalenz und die Spannung. Denn die Monumentalität der Casa del Fascio ist nicht vom Faschismus ihrer Zeit zu trennen. Ohne ihren monumentalen Auftritt gäbe es nichts zu provozieren. Die Moderne aber spielt mit der Monu¬ mentalität der Casa del Fascio. Sie bricht die Tendenz zur Absolutheit, sie unterläuft Re¬ gelmässigkeit und Unantastbarkeit, sie ver¬ hindert bedrückendes Imponiergehabe. Hier wird keine Marschmusik gespielt. Immer hört man den Kontrapunkt. Vielstimmigkeit, Dis¬ sonanz. Diese Brechungen, Reibungen, Über¬ lagerungen machen die Schönheit der Casa del Fascio aus. che liegt auf derselben Linie wie die Macht der faschistischen Partei, Barock und zeitgenössi¬ sche Architektur beziehen sich aufeinander so wie auf den Werbefotografien der 30er Jah¬ re. Terragni war nicht bescheiden. Und natür¬ lich wollte er nicht nur eine historische Linie zeichnen. Sein Gebäude ist auch die Geschich¬ te seiner Gegenwart. Es kippt ständig zwi¬ schen Monumentalismus und Moderne, zwi¬ schen Kompaktheit und Öffnung, zwischen Symmetrie und deren Auflösung, zwischen Raumschichtung und Raumverschränkung, zwischen Strenge und Poesie. Die kühlen weis¬ sen Flächen werden von diffusen Lichtpunk¬ ten übersät, im Travertin spiegeln sich Trep¬ pengeländer und das Gitter der Glasbaustein¬ fenster. Betrachtet man einzelne Details ge¬ nau, löst man sie aus ihrem Umfeld, so ver¬ selbständigen sie sich und werden zu eigent¬ lichen Bildern. Der geschwungene Handlauf der Haupt¬ treppe mit den gegeneinander verschobenen Pfosten könnte ein frühes Gemälde aus Rodtschenkos «Linien»-Serie sein, die asymmetri¬ schen Fensterblenden, die im Tragwerkraster - [I I If fluHl 1 f 28-du755 «