104 Forschung im CINSaT

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Forschung im CINSaT
Chemische Hybridmaterialien
Nicht nur aus Sand gebaut:
molekulare Hohlräume, Wirkstoffe und Materialien
G
rundlagenforschung und Anwendungsorientierung
können ebenso eine Symbiose eingehen wie
Forschung und Lehre meint Prof. Pietschnig, der
seit 2011 an der Universität Kassel das Fachgebiet
Chemische
Hybridmaterialien
leitet.
Den
oft
reklamierten Widerspruch zwischen diesen scheinbaren
Antipoden hält er für nicht zeitgemäß und findet
stattdessen, dass diese unterschiedlichen Aspekte
seiner Tätigkeit sich im Gegenteil sogar befruchten. In
dem interdisziplinären Umfeld, welches die Universität
Kassel bietet, fühlt er sich sichtlich wohl und sieht
besondere Chancen für seine Forschung, die sich
an der natürlichen Schnittstelle von anorganischer
und organischer Chemie befindet. Den Studiengang
Nanostrukturwissenschaften hält Pietschnig für ein
Erfolgsmodell
Universität
mit
Kassel
Vorbildcharakter
bei
dem
Pionierarbeit
der
deutschen
in
die
Bildungslandschaft geleistet hat.
Molekulare Käfige
O
ft sind die Dinge im kleinen Maßstab ganz anders
als sie uns aus unserem alltäglichen Leben
vertraut sind. So ist ein leerer Käfig, beispielsweise ein
Vogelkäfig, nicht wirklich leer sondern im Normalfall
mit Luft gefüllt. Ganz anders ist die Situation, wenn
die Abstände zwischen den „Gitterstäben“ so klein
werden, dass sie in der selben Dimension wie die
Luftbestandteile sind. Dann kann sich im Inneren
eines leeren Käfigs auch ein Vakuum befinden. Dies
ist zum Beispiel bei molekularen Käfigen der Fall, die
u.a. von Prof. Pietschnig und seinem Team erforscht
werden. Das Vakuum entsteht durch das Wechselspiel
von anziehenden und abstoßenden Kräften bei der
Herstellung derartiger Käfige quasi von selbst und
muss nicht erst aufwendig durch Pumpen erzeugt
werden, wie dies für größere Gefäße der Fall ist. Die
ungewöhnliche Art ein lokales Vakuum zu erzeugen ist
aber kein Selbstzweck für die Forscher des Fachgebiets
Röntgenstruktur eines molekularen Käfigs
Chemische Hybridmaterialien. Letztlich geht es darum
die leeren Käfige zu nutzen, um andere Stoffe, wie zum
Beispiel Wasserstoff, energieunaufwendig zu aktivieren
und zur Reaktion zu bringen. Bislang kann man dies
schon mit Edelmetallkatalysatoren wie beispielsweise
Palladium und Platin. Diese Metalle sind aber letztlich
sehr teuer und ihr Preis wird noch steigen, bedingt
durch den Rohstoffbedarf wirtschaftlich aufstrebender
Volkswirtschaften
in
Asien.
Außerdem
verbleiben
bei Verwendung von Edelmetallkatalysatoren meist
winzige Spuren des teuren Metalls im Produkt; dies ist
nicht nur ein
kostspieliger
Verlust,
son-
dern oft sind
auch
Folgen
die
nicht
Durch Oberflächenmodifizierung erzeugtes
Raster aus hydrophilen und
hydrophoben
Bereichen
Chemische Hybridmaterialien
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Umweltfreundliche Tenside
Kontaktwinkelmessung an einer nach
Silanolbehandlung
wasserabweisenden
Oberfläche
zweifelsfrei
absehbar.
Deshalb
besteht für die Herstellung von Medikamenten und
Wirkstoffen
zunehmend
der
Wunsch
metallfreie
Katalysatoren zu verwenden. Diese Strategie steckt
zwar noch in den Kinderschuhen wird aber mittelund langfristig von großer Bedeutung werden. Um
das umhüllte Vakuum ihrer molekularen Käfige für
derartige Zwecke nutzbar zu machen ist es den
Forscherinnen
und
Forschern
des
Fachgebiets
Chemische Hybridmaterialien unter Pietschnigs Leitung
erstmals gelungen einen solchen molekularen Käfig mit
einer Art Tür zu versehen und den Mechanismus zum
Öffnen und Schließen dieses Zugangs zu untersuchen.
Im Experiment konnte durch Röntgenbeugung der
Käfig exakt vermessen und auch die Abwesenheit
kleiner Moleküle im Käfiginneren bewiesen werden.
Mittels
theoretischer
Berechnungen
konnten
die
Forscher zeigen, dass beispielsweise die Energie,
die nötig ist um ein Wasserstoffmolekül in einzelne
Atome aufzuspalten sich drastisch verringert wenn
der Wasserstoff durch solch eine Tür in das Innere
eines
molekularen
Käfigs
schlüpfen
kann.
Neben
Anwendungen in der Katalyse können molekulare
Käfige aber auch als Zusätze in Kunststoffen und Folien
dienen und dort die Gasdurchlässigkeit steuern. Aber
auch die Entflammbarkeit von Kunststoffen lässt sich
durch derartige Beimengungen reduzieren und somit
die Brandsicherheit letztlich erhöhen. Im Hinblick auf
physikalisch relevante Größen wie Wärmeleitfähigkeit
und elektrische Permittivität ermöglichen molekulare
Käfige interessante Eigenschaften, die darauf beruhen,
dass sie letztlich ein molekular umhülltes Vakuum
darstellen.
Durch viele Heteroatome sinkt die Bandlücke in
Molekülen, wodurch sie farbig erscheinen
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Forschung im CINSaT
D
aber
ie
Bausteine
aus
denen
die
bereits
erwähnten Käfige aufgebaut sind können
noch
mehr.
So
haben
die
Kasseler
Forscher herausgefunden, dass diese sich in
Lösung kugelförmig oder lamellar zusammenballen
und
zum
Teil
hochorganisierte
Strukturen
bilden
können, ähnlich den Zellmembranen, die lebende
Zellen umhüllen. Dabei sind diese Silanole, die sich
als siliziumbasierte Alkohole verstehen lassen, aber
noch deutlich robuster als ihre natürlichen Pendants,
so
dass
dies
auch
bei
höheren
Temperaturen
oder in ungewöhnlichen Lösungsmitteln geschieht.
Besonders
interessant
ist
auch,
dass
sie
die
Oberflächenspannung von Wasser stark erniedrigen
können und somit als Tenside, also waschaktive
Substanzen, zu fungieren vermögen. Dies ist auch unter
Nachhaltigkeitsaspekten eine interessante Eigenschaft,
da der Einsatz phosphorbasierter Tenside einerseits
durch einen prognostizierten Mangel an natürlichen
Phosphorressourcen
(„peak-phosphorus“
analog
zu
„peak oil“), andererseits durch die eutrophierende
Wirkung in natürlichen Oberflächengewässern nicht
ideal ist. Silanolbasierte Tenside könnten hier eine
attraktive Alternative darstellen, meint Pietschnig, da
sie biologisch abbaubar und toxikologisch unbedenklich
sind. Der Siliziumanteil dieser Tenside würde letztlich
wieder in harmlose Silikate überführt, die ohnehin
allgegenwärtig als Gesteine oder Sand in der Natur
vorkommen.
Medikamente auf Silizium Basis
A
uch
neuartige
Wirkstoffe
lassen
sich
unter
Verwendung des Elements Silizium designen. Dies
Hybrid-Farbstoffe
können
je
nach Umgebung unterschiedliche
Fluoreszenz zeigen
oder Zink (verzinkter Stahl) eigentlich
mit Wasser reagieren und sich darin
auflösen. Das dies nicht sofort geschieht
ist
ebenfalls
eine
Folge
u.a.
der
ist ungewöhnlich, denn Organosiliziumverbindungen
Oberflächenstruktur, in diesem Fall einer festhaftenden
kommen in der Natur normalerweise nicht vor, obwohl
undurchlässigen Oxidschicht, die diese Metalle vor dem
Silizium das zweithäufigste chemische Element in
direkten Kontakt mit Wasser schützt. Dieses Beispiel
der Erdkruste ist. Dennoch ähneln bereits einfache
unterstreicht die Bedeutung, die der Kontrolle der
Silanole natürlichen Stoffen in ihrer Molekülgestalt, so
Oberfläche zukommt und die letztlich die Reaktivität
dass sich gewisse Enzyme durch diese Stoffe ab und
eines Stoffs oder Materials entscheidend beeinflussen
wieder anschalten lassen. Unter Verwendung dieser
kann. Im Fachgebiet Chemische Hybridmaterialien
siliziumhaltigen Baueinheiten haben Pietschnig und
untersuchen Prof. Pietschnig und sein Team wie sich
seine Gruppe ein komplett neuartige pharmakologische
organische Moleküle an anorganische Oberflächen
wirksame Struktureinheit entwickelt, die in der Lage
chemisch anbinden lassen. Dadurch lässt sich Glas
ist das Enzym Acetylcholinesterase zu hemmen, was
wasserabweisend gestalten, so dass beispielsweise
bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer
bei
oder Parkinson von Interesse ist. Bislang war eine
Regen ein besserer Durchblick herrscht. Aber auch
derartige Hemmung nur mit komplexen Naturstoffen
für die Elektronik wichtige Siliziumwafer lassen sich
möglich,
oder
so wasseranziehend oder -abweisend gestalten, was
synthetisiert werden müssen. Die von den Forschern
für die Besiedelung mit lebenden Zellen auf einem
entwickelten Wirkstoffe auf Siliziumbasis sind hingegen
derartigen Raster nutzbar sein könnte. Verglichen mit
deutlich einfacher zugänglich und zudem toxikologisch
bisherigen Beschichtungsverfahren ist das von den
unbedenklich.
Kasseler Forschern entwickelte System besonders
die
entweder
aufwendig
isoliert
Windschutzscheibe
im
Auto
auch
bei
schonend und erlaubt auch die Beschichtung pH-
Massgeschneiderte Oberflächen
O
einer
sensibler Materialien etwa auf Basis von Biopolymeren
berflächen sind oft ganz anders als das Innere,
welches sie umhüllen. So bestehen Diamanten
im Inneren aus Kohlenstoff, aber an der Oberfläche
enden die Valenzen der Atome nicht im Leeren sondern
sind durch andere Atome abgesättigt, welche bei der
wie zum Beispiel Cellulose.
Organische Elektronik
D
as innovative Feld der organischen Elektronik
fasziniert
Pietschnig
und
seine
Mitarbeiter
Entstehung des Diamanten gerade zur Verfügung
ebenfalls. Flexible und leichte Displays aber auch
standen.
Batterien und Informationsspeicher könnten in Zukunft
Dies
ist
bei
geologisch
entstandenen
Diamanten in der Regel Wasserstoff, wodurch die
organischer
Oberfläche lipophil wird, kann aber zusätzlich auch
besondere Möglichkeiten durch den gezielten Einbau
Sauerstoff sein wodurch die Oberfläche hydrophil
von Heteroatomen, also Nicht-Kohlenstoffatomen, die
wie bei Silikatgestein wird. Dieser Umstand wurde
dafür sorgen, dass Ladungsträger leichter beweglich
bereits in der Antike genutzt, wo die fettigen Häute
werden
bzw.
geschlachteter Tiere benutzt wurden um Diamanten
können.
In
von körnigem Gestein zu trennen. Aber nicht nur bei
Kanada und Frankreich ist es der Arbeitsgruppe
der Diamantsuche, sondern auch im Alltag ist die
gelungen Fluoreszenzfarbstoffe zu entwickeln, die in
Oberflächenstruktur von großer praktischer Bedeutung.
Abhängigkeit von ihrer Umgebung unterschiedliche
So
Farben
müssten
beispielsweise
Aluminium
(Alufolie)
werden.
In
Licht
diesem
aussenden
Zusammenarbeit
aufweisen.
Die
Kontext
oder
mit
besonderen
sieht
er
einfangen
Forschern
aus
Eigenschaften
Chemische Hybridmaterialien
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Stapelung von Bündeln organischer p-Systeme
zusammengehalten
durch
molekulare
anorganische Spangen
lassen sich dabei auf das darin enthaltene Element
Hybridmaterialien in Zusammenarbeit mit Ingenieuren
Phosphor zurückführen. Aktuell steht die bündelweise
der
Stapelung von ausgedehnten, elektrisch leitfähigen
Speicherung von thermischer Energie, also Wärme, zu
Molekülen
(p-Systemen),
zusammengehalten
Kassel
neue
Materialien
zur
durch
erproben. In unserer Klimazone wird im Jahresmittel
molekulare Spangen, ganz oben auf der Agenda. Diese
der größte Teil des Energiebedarfs nämlich in Form
Stapel können die Ladungsträger (Elektronen) leichter
von Wärme benötigt, um zu Heizen und für die
weiterreichen als in einer ungeordneten Struktur. Da
Warmwasserbereitung.
diese Stapel zudem auch mit Licht wechselwirken
ausreichend aus natürlichen Quellen zur Verfügung,
können, ist eine Vision diese Stapelung zukünftig
aber oft nicht zu dem Zeitpunkt zu dem sie benötigt
helikal, also schraubenförmig, anzuordnen, damit die
wird. Neue Speichermaterialien sollen hier helfen die
Wechselwirkung mit unterschiedlich polarisiertem Licht
Wärme zu speichern und damit gleichsam lagerfähig
unterscheidbar wäre.
zu
D
befruchtende
ie Speicherung von Energie ist eine globale
Herausforderung
machen.
Prof.
Energie
Pietschnig
steht
findet,
häufig
dass
auch
diese
Kooperation ein schönes Beispiel für das interdisziplinär
Energiespeicher
von
wachsender
Bedeutung.
Hier planen die Forscher des Fachgebiets Chemische
Unter Schutzglas in
einer
sogenannten
„Glove-Box“
können
die
Forscher
auch
empfindlichste
Substanzen handhaben.
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Universität
Forschung im CINSaT
Miteinander
von
Grundlagenforschung
und Anwendung an der Universität Kassel ist.
Prof. Dr. Rudolf Pietschnig
Prof. Dr. Rudolf Pietschnig studierte Chemie an der Universität Bonn. Nach
seiner Promotion im Jahre 1996 hat er im Rahmen eines DFG-Stipendiums
1998-1999
als
Post-Doc
an
der
University
of
Madison,
USA
in
der
Arbeitsgruppe von Prof. Bob West gearbeitet. Nach seiner Rückkehr begann
er 1999 an der Universität Bochum mit eigenständigen Forschungsarbeiten
als Liebig-Stipendiat des Fonds der Chemischen Industrie. Im Jahr 2002
wechselte er an die Universität Graz wo er sich 2005 mit einem Thema aus
der Organosiliciumchemie habilitierte. Dort wirkte er als Universitätsdozent
bis er im Jahre 2011 einem Ruf als Leiter des Fachgebiets Chemische
Hybridmaterialien an die Universität Kassel folgte. Seit Februar 2012 ist er
Mitglied des wissenschaftlichen Zentrums CINSaT an der Universität Kassel.
Seine Leistungen wurden u.a. durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft
und den Fonds der Chemischen Industrie gewürdigt (Postdoktoranden- und
Liebig-Stipendium). Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der
Organoelementchemie, besonders
im Hinblick auf funktionale Hohlräume,
supramolekulare
Oberflächenchemie
Organisation,
und
molekulare
Materialien.
Chemische Hybridmaterialien
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