Reich Gottes - Veränderung - Zukunft

Werbung
2014
HORST AFFLERBACH
RAINER EBELING
ELKE MEIER (HRSG.)
REICH GOTTES
—
VERÄNDERUNG
—
ZUKUNFT
Theologie des
Reiches Gottes
im Horizont der
Eschatologie
Horst Afflerbach, Rainer Ebeling & Elke Meier (Hrsg.)
REICH GOTTES – VERÄNDERUNG – ZUKUNFT
Reich Gottes –
Veränderung – Zukunft
Theologie des Reiches Gottes
im Horizont der Eschatologie
GBFE Jahrbuch 2014
Hrsg. von Horst Afflerbach, Rainer Ebeling
und Elke Meier im Auftrag der Gesellschaft
für Bildung und Forschung in Europa
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2014 Gesellschaft für Bildung und Forschung in Europa e.V.
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-9736-2
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Verlag der Francke-Buchhandlung
GmbH
Satz: GBFE
All articles in this GBFE-Yearbook have been reviewed
by independent and external persons. Their reports are
in the files of the editors.
www.gbfe.org
Inhaltsverzeichnis
Volker Gäckle
Die gegenwärtige und die zukünftige βασιλεία
in der Verkündigung Jesu.................................................... 11
Ulrich Neuenhausen
Zukunftserwartungen in der Offenbarung
des Johannes.......................................................................... 35
Marco Lindörfer
„Das Streben nach Glückseligkeit“ — Oder: Wie Paulus
im Römerbrief die Konturen des Reiches Gottes nachzieht....... 57
Timothy J Geddert
When is the end not “The End”? — Examining
the puzzle of Mark 13............................................................... 83
Tobias Faix
Das Reich Gottes zwischen eschatologischer
Vertröstung und sozialer Utopie —
­­ Beispiele aus
Geschichte und Gegenwart eines umstrittenen Begriffes........105
Roland Hardmeier
Preisgabe des Evangeliums? — Eschatologie als
Prüfstein missionaler Theologie.............................................147
Horst Afflerbach
Die doppelte Perspektive auf das Reich Gottes
als Differenzkriterium der Eschatologie..........................173
Thomas Klöckner
Bucer, Capito und Cellarius — Reformatorische
Auseinandersetzungen mit Täufern und Spiritualisten
in eschatologischen Fragen (am Beispiel Straßburg)..............197
Christof Sauer
Ist Martyrium das Ende? — Wie die Wahrnehmung
von Bedrängnis, Verfolgung und Martyrium die
Zukunftserwartung beeinflusst.............................................215
Rezensionen...........................................................................237
Vorwort
Das Thema des neuen Jahrbuchs „Reich Gottes und Zukunftserwartungen“ bündelt in gewisser Weise die beiden theologischen Brennpunkt-Themen, durch die sich Christen schon
immer – aber heute wieder vermehrt – herausgefordert sehen.
Welche Auswirkungen hat das in Christus schon begonnene
Reich Gottes, in dem sich die Herrschaft Christi ausdrückt, auf
diese Welt? Keine oder nur geistlich-individuelle oder auch
global weltlich transformative?
Durch die in den vergangenen Jahren neu aufgekommene Perspektive einer transformativen oder gesellschaftsrelevanten oder missionalen oder interkulturellen Theologie,
die stark die präsentischen und gesellschaftsverändernden
Aspekte des Reiches Gottes betont, wurden nicht wenige
Christen sehr ermutigt und motiviert, sich mehr für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt und für ein ganzheitliches
Verständnis von Mission einzusetzen. Eine Neuorientierung
scheint unerlässlich zu sein angesichts der massiven globalen Herausforderungen unserer Zeit und der gleichzeitig
schmerzhaft offenbar werdenden Hilflosigkeit der Kirche, auf
diese Herausforderungen angemessen mit dem Evangelium
zu reagieren.
Diese stark weltorientierten und gesellschaftsrelevanten
missionalen Ansätze führten nun bei anderen, eher traditionell orientierten Christen aber zu der Sorge, dass dadurch
das neutestamentliche Gebot der Evangelisation und das ihm
zugrunde liegende soteriologische Anliegen verraten werden
könnte.
Beide Gruppierungen beriefen und berufen sich auf die
Schrift und betonen ihr je eigenes Verständnis des Reiches
Gottes. Dabei werden grundsätzliche Fragen gestellt. Was ist

7
überhaupt das Ziel des Evangeliums – die Veränderung der
Welt oder die Rettung von Menschen vor dem ewigen Verderben? Ist es das Ziel in den Himmel zu kommen oder für eine
gerechte Welt einzutreten? Oder ist vielleicht beides die Aufgabe der Gemeinde Jesu Christi? Welche Rolle spielt bei diesen
Überlegungen das grundlegende Thema Reich Gottes und was
sind die biblischen Zukunftsperspektiven? Wie verhalten sich
Reich Gottes, Gemeinde und Welt zueinander und was sind
ihre vorrangigen Ziele?
Damit werden auch zugleich die mit dem Reich Gottes
untrennbar zusammenhängenden Fragen der Eschatologie
angeschnitten. Man kann heute geradezu wieder ein neues
Interesse an der Eschatologie erkennen (siehe die Rezension
von Chr. Stenschke), nachdem sie zeitweise durch übertriebene Spekulationen in Verruf geraten war. Das ist nicht verwunderlich, da Eschatologie im alt- und neutestamentlichen
Denken eine zentrale Stellung einnimmt (siehe die Artikel
von V. Gäckle, T. Geddert und U. Neuenhausen).
Man kann die Botschaft Jesu vom Reich Gottes mit all ihren unglaublichen Verheißungen sowie ihren geistlichen und
transformativen Implikationen nicht wirklich verstehen, wenn
man sie nicht in der Spannung des schon gekommenen und in
der Zukunft wiederkommenden Christus, seiner schon angebrochenen und noch nicht vollendeten Herrschaft versteht.
Die Herausforderung dürfte darin bestehen, diese doppelte Perspektive (Artikel H. Afflerbach) sowie alle anderen Dimensionen der vielfältigen biblischen Eschatologie (Artikel R.
Hardmeier, T. Faix und Chr. Sauer) in kreativer Spannung zu
halten und entsprechend zu leben – „in Dankbarkeit für alles
schon Realisierte und im Aufblick auf den wiederkommenden
Herrn und die damit verbundene Vollendung des Heils in der
vollkommenen Herrschaft Gottes und seines Christus“ (Rezension Chr. Stenschke).
Dieses Buch will im theologischen Ringen um das
Selbst- und Missionsverständnis der Kirche Jesu Christi im
8

Paradigmenwechsel unserer Zeit einen hoffentlich hilfreichen Beitrag zur Anregung und weiteren Klärung bieten.
Bei allen vielfältigen Facetten dieses Themas und der Unterschiedlichkeit der Erkenntnisse besteht Einigkeit jedoch
darin, dass das Reich Gottes mit seinen transformativen Implikationen ein Schlüssel-Thema der Missi­onswissenschaft
ist. Unbestritten ist auch, dass wir ein biblisches Verständnis
von Reich Gottes, Gemeinde und Welt wieder neu gewinnen
müssen, damit die Gemeinde Jesu ihren Auftrag in dieser Welt
vollmächtig im Sinne ihres Herrn ausführen kann. Unbestritten ist, dass Jesus Christus der Herr ist, der durch seinen
stellvertretenden Tod am Kreuz und in seiner Auferstehung
die Sünde der Welt getragen und den Tod überwunden hat.
Unstrittig, dass die Gemeinde sein Leib ist, der durch seinen
Heiligen Geist belebt wird, und durch den Christus in dieser
Welt handelt.
Wir sind den Autoren, die unserer Einladung zu einem Beitrag gefolgt sind, sehr dankbar. Nicht alle zugesagten Aufsätze konnten – aufgrund der vielfältigen Aufgaben der Autoren
– verwirklicht werden. Wir sind froh, dass trotzdem eine breite Palette an Einsichten dargestellt werden konnte.
Horst Afflerbach1 — Rainer Ebeling2 — Elke Meier3
1
Horst Afflerbach, DTh, Leiter Biblisch-Theologische Akademie Wiedenest.
Rainer Ebeling, DTh, Dozent für Systematische Theologie bei IGW und GBFE,
Gastdozent an der Teološki fakultet „Matija Vlacic Ilirik“, Zagreb.
3
Elke Meier, Beraterin für Trägerkreisaufbau, Wycliffe Global Alliance.
2

9
Abkürzungen
ARG
Archiv für Reformationsgeschichte
AThANT Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen
Testamentes
BIS
Biblical interpretation series
BSELK
Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen
Kirche
BThSt
Biblisch-theologische Studien
BWANT Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen
Testament
EvTh
Evangelische Theologie
EWNT
Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament
NICNT New International Commentary on the New
Testament
NTS
New Testament Studies
RGG
Religion in Geschichte und Gegenwart
ThBl
Theologische Blätter
ThHK
Theologischer Handkommentar zum Neuen
Testament
ThR
Theologische Rundschau
ThSt
Theologische Studien
TRE
Theologische Realenzeklopädie
TSAJ
Texts and Studies in Ancient Judaism
WUNT Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen
Testament
ZNW
Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft
10

Die gegenwärtige und die
zukünftige βασιλεία in der
Verkündigung Jesu
Volker Gäckle1
1Einleitung
Um die Frage nach dem temporalen Verständnis des Syntagmas βασιλεία του̑ θεου̑ drehte sich in den vergangenen 150
Jahren eine der großen Forschungsdebatten in der neutestamentlichen Wissenschaft.2 Von grundlegender Bedeutung
1
Pfr. Prof. Dr. Volker Gäckle, Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell
und Professor für Neues Testament dasselbst, Pfarrer der Ev. Landeskirche in
Württemberg [2005 Promotion an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2014 Habilitation an der Universität Zürich.]
2
Neben der Frage nach dem temporalen Verständnis werden im Blick auf das
Syntagma βασιλεία του̑ θεου̑ noch eine Reihe weiterer Fragen diskutiert, wie
z.B. das Problem der Kontinuität bzw. Diskontinuität des jesuanischen Begriffsgebrauchs zum zeitgenössisch jüdischen Verständnis oder die Bedeutung des
Begriffes an sich: Muss er aufgrund der Forschungen von Dalman (1930:77) funktional mit „Königsherrschaft“ übersetzt werden, oder mit der territorialen Konnotation „Reich Gottes“? Theißen und Merz (1997:222) zählen nicht weniger als zehn Problemkreise
auf, die sich um den Begriff in der exegetischen Diskussion ranken.
war dabei die Debatte innerhalb der religionsgeschichtlichen
Schule.3 Ausgangspunkt der Diskussion war der Widerspruch
zum Begriffsverständnis der liberalen Theologie, die im Reich
Gottes eine ethische Größe sah, die dort greifbar werde, wo
ein Mensch Gott als den Vater Jesu anerkenne, sein Leben
entsprechend von diesem Glauben bestimmen lasse, wodurch
es zu einem langsamen, aber stetigen, rein innergeschichtlichen Wachstum des Reiches Gottes komme. Es waren die drei
Göttinger Dozenten Johannes Weiß, Wilhelm Bousset und
William Wrede, welche im letzten Jahrzehnt des ausgehenden
19. Jahrhunderts diesem Bild widersprachen und damit die
maßgeblichen Spuren für die Diskussion im 20. Jahrhundert
legten.
J. Weiß betrachtete das „Reich Gottes“ bei Jesus – im Widerspruch zu seinem Schwiegervater A. Ritschl, einem der
Hauptvertreter der liberalen Theologie – rein apokalyptisch
als eine „überweltliche Größe“ (Weiß 1964:236), die „noch
nicht“ da, „aber ganz nahe“ ist (:220) und zur bestehenden
Welt in einem „ausschließenden Gegensatz“ (:236) steht. Den
locus classicus für das präsentische Verständnis in Matthäus
12,28 bzw. Lukas 11,20 interpretiert Weiß psychologisierend
als „einen Augenblick erhabener prophetischer Begeisterung,
wo ihn ein Siegesbewußtsein überkommt …“ (:223). Entsprechend kann er der Wirksamkeit Jesu analog zu der des Täufers
„keine[n] messianische[n], sondern eine[n] vorbereitende[n]“
Charakter beimessen (:224,237,239).
Völlig konträr dazu fragte W. Bousset unter dem vielsagenden Titel „Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Judentum“ nach dem Charakteristischen, Eigentümlichen und
Ursprünglichen in der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu
(Bousset 1892:7) und entdeckte dieses im präsentischen Profil. Jesu Predigt vom Reich Gottes „wurzelte in der Gewißheit,
daß seine Gegenwart, die Zeit, in der er auf Erden wandelt,
3
12
In kompakter Weise nachgezeichnet wurde diese Debatte von Merkel
(1991:120–135). Eine knappe und ebenfalls kompakte Einführung in die Forschungsgeschichte findet sich auch bei Theißen und Merz (1997:223–226).
Volker Gäckle
schon in einer viel engeren, bestimmteren Beziehung zu der
kommenden seligen Endzeit steht, als alle vorhergegangene
Zeit. Seine Zeit ist messianische Zeit“ (:60f). Kurz darauf formuliert er: „… für Jesus war der ungeheure Abstand, die Spannung zwischen der Gegenwart und der herrlichen Zukunft
verschwunden, er hörte schon das Rauschen einer neuen Zeit,
er lebte in ihr“ (:61f).4
Die erneute Reaktion ließ nicht lange auf sich warten und
stammte aus der Feder William Wredes. Er knüpfte betont an
die Ergebnisse von J. Weiß an und radikalisierte dieselben.
Sein Ausgangsargument gegen das Kontrastmodell Boussets
ist ein argumentum e silentio:
Jesus hat nie eine Belehrung darüber gegeben,
was er unter dem Reich Gottes verstehe. Er hat
nie seinen Jüngern gesagt, daß seine Anschauung
vom Gottesreiche eine andere sei als die landläufige. Überall ist der Eindruck, daß er ein bekanntes Wort in demselben Sinne gebraucht, in dem
man es allgemein verstand.
(Wrede 1907:88)
Wenn Jesus einem anderen Sprachgebrauch gefolgt wäre,
hätte er es also sagen müssen. Aber Wrede kann auch bei der
Analyse der einschlägigen Belege keinen Bedeutungswechsel
erkennen. Entsprechend bleibt Wrede bei der von Weiß betonten futurischen Deutung: „Nicht das Reich, sondern die
Nähe des Reiches ist Inhalt des Evangeliums“ (:96). Der locus
classicus der präsentischen Deutung in Matthäus 12,28 bzw.
Lukas 11,20 ist für ihn „nichts anderes als ein Vorschein, eine
Morgenröte, eine Vorauswirkung des künftigen, nahen Gottesreiches“ (:99). Entsprechend hat auch aus seiner Perspektive die Predigt Jesu lediglich vorbereitenden Charakter. Es
ist noch Zeit zur Buße, eben weil das Reich noch nicht da ist.5
4
Vgl. auch Bousset 1892:62f: „Es ist keine Kluft zwischen Gegenwart und Zukunft, Ideal und Wirklichkeit sind miteinander vermählt.“
5
Vgl. Merkel 1991:124f. Diese Position korrespondiert wieder mit seiner unmessianischen Deutung der Person Jesu. Wenn Jesus das Reich „nur“ vorbereitet,
Gegenwärtige und zukünftige βασιλεία in der Verkündigung Jesu
13
Ging die „Göttinger Debatte“ nach der Selbstkorrektur Boussets6 eindeutig zugunsten einer futurischen Deutung aus, so
folgte der Umschwung zu einer präsentischen Deutung mit
dem Plädoyer des walisischen Neutestamentlers Charles Harold Dodd für eine „realized eschatology“.7 Ausgehend von
Matthäus 12,28 entwickelte er eine Sicht der Dinge, nach der
in Jesu Wirken alle eschatologischen Erwartungen erfüllt wären, das Reich Gottes damit bereits angebrochen sei und von
seinen Jüngern nun zur vollständigen Durchsetzung gebracht
werden müsste. Die sich daraus ergebende Reich-Gottes-Ethik
bestimmte maßgeblich die ethische Diskussion in den 60er
und 70er Jahren. Nunmehr wurde der Aspekt der menschlichen Verantwortung im Zusammenhang mit dem ReichGottes-Begriff betont. So ist es der Christenheit nach Albert
Schweitzer
auferlegt, den Glauben an das von selbst kommende Reich hinter sich zu lassen und sich dem
des zu verwirklichenden hinzugeben […] Im Denken Pauli […] beginnt das übernatürliche Reich
zum ethischen zu werden und sich damit aus
etwas zu Erwartendem in etwas zu Verwirklichendes zu verwandeln. Den Weg, der sich damit
auftut, haben wir zu begehen. (Schweitzer 1967:204)
Und Harvey Cox formuliert nicht weniger entschieden:
„Wenn Jesus das Reich Gottes in Person ist, dann sind die
Elemente göttlicher Initiative und menschlicher Verantwortung im Kommen des Reiches unlösbar verbunden“. Für ihn
gilt deshalb die Kirche, die wenig von Gott redet, aber dafür die von ihm ermöglichte Freiheit zu verwirklichen hilft,
als „die Avantgarde der neuen Herrschaft“ (Cox 1966:126).
kann er nicht der Messias sein. Hier liegt der Ausgangspunkt für Wredes 1901
erschienenes Hauptwerk über das Messiasgeheimnis im Markusevangelium.
6
Er schloss sich in einem Forschungsbericht aus dem Jahre 1902 und in einem
populärtheologischen Jesusbuch (Bousset 1907) der Auffassung von Weiß an.
7
Vgl. Dodd 1927:120–122 und Dodd 1935.
14
Volker Gäckle
Demgegenüber hat bereits 1970 Günter Klein die Theozentrik
des Begriffs betont. Jesus begreife „das Kommen der Gottesherrschaft – wiederum ganz unzelotisch – in keinem Sinne als
eine Funktion menschlicher Aktivität. Im Gegenteil: es ist der
Aktivität des Menschen grundsätzlich entzogen.“ Es geht „allein um Gottes Herrschaft, nicht aber um eine Kooperation von
Gott und Mensch bei der Heraufführung des Reiches“ (Klein
1970:656f).8 Auch Chr. Burchard betont, dass die Gottesherrschaft nicht in der Reichweite des Menschen liege: „Menschen
können sie nur erbitten“ (Burchard 1987:24).
Ein Grundproblem der Reich-Gottes-Forschung waren und
sind die im Rahmen der historisch-kritischen Forschung der
Jesustradition stets virulenten Authentizitätsfragen. Vor allem das spannungsvolle Verhältnis zwischen futurischen und
präsentischen Aussagenreihen verleitete Exegeten immer
wieder dazu, entweder die eine oder andere für unauthentisch
zu erklären.9 Allerdings gewinnt man bei derartigen „Lösungen“ nicht selten den Eindruck, dass ein bereits vorgefertigtes
Konzept mit positiven oder negativen Authentizitätsurteilen
begründet werden soll und nicht umgekehrt.10 Während die
8
Vgl. auch ebd.: „Dem entspricht schließlich, daß Jesus kein politisch-soziales
Programm entwirft […] und jeglichen Aufruf zur Revolution vermissen läßt.“
9
So wurden Jesus im Rahmen des nordamerikanischen Jesus-Seminars die futurischen Reich-Gottes-Aussagen wie überhaupt jegliche futurische Eschatologie abgesprochen, weil die βασιλεία-Verkündigung Jesu keine Zeitaussage
und keine Erwartung einer zukünftigen Weltveränderung enthalte, sondern
Ausdruck einer Lebensform sei, vgl. Crossan 2001:266ff und Borg 1994:47–68.
Wolter (1995:5–19) hat den synoptischen Einlasssprüchen die Authentizität
aberkannt, weil er in ihnen eine mehrfache Verschiebung zu der von ihm
vermuteten Basileiapredigt Jesu zu erkennen meinte; vgl. dazu auch Horn
1996:190,193–197. Für eine Authentizität der Einlassworte haben sich dagegen
Merklein (1984:116), Weder (1980:973f), Luz (1980:485), Hengel (1991:178) und
mit gewissen Einschränkungen auch Horn (1996:196,198,200) ausgesprochen.
Umgekehrt will H. Räisänen (2001) nur eine rein eschatologische Deutung
der βασιλεία-Verkündigung Jesu gelten lassen und spricht konsequent Lukas
11,20, dem locus classicus der präsentischen Deutung, die Authentizität ab.
10
Vgl. hierzu auch G. Klein (1970:658): „Zahllos sind nun freilich die Versuche, einen Ausgleich zwischen den gegenläufigen Aussagenreihen dadurch
herzustellen, daß man eine von ihnen für unecht erklärt.“ Auch Schröter
(2004:206), wendet sich gegen derartige literarkritische Operationen: „Das
Gegenwärtige und zukünftige βασιλεία in der Verkündigung Jesu
15
jeweils passenden Belege das Siegel der Echtheit bekommen,
werden querliegende Belege ausgeschieden. Entsprechend
vielfältig sind bis heute die Entwürfe und Vorschläge und
entsprechend fern sind wir nach wie von einem Konsens in
diesen Fragen. In diesem Beitrag gehe ich bei den von mir herangezogenen Belegen von einer Authentizität aus, ohne dass
ich dies im Rahmen dieses Artikels im Einzelnen begründen
kann.
2 Reich Gottes im Frühjudentum
In der frühjüdischen Literatur dominiert in den seltenen Belegen der eschatologische Aspekt. In apokalyptischen Texten
wie dem Danielbuch (Dan 2,44; 7,14.27), den Qumranschriften11, PsSal 5,18f; 17,3.21–46; Sib 3,46ff.767; syrBar 73,1;
AssMos 10,1–10; TestJud 21f; TestDan 5,10–13 und einigen jüdischen Gebeten wie dem 18-Bitten-Gebet (Bill. IV:212) und
dem Qaddisch12 wird die zukünftige Realisierung der Gottesherrschaft erwartet, die im Himmel bereits Wirklichkeit ist,
jedoch noch nicht auf Erden. Die Königsherrschaft Gottes ist
hier eine „endzeitliche Realität“ (Klein 1970:651).13
Im rabbinischen Schrifttum stehen zwei stereotype Wendungen im Mittelpunkt: „das Joch des Königtums auf sich nehmen“ (im Sinne einer monotheistischen Grundentscheidung,
die beim Rezitieren des Shema Jisrael immer wieder getroffen
wurde)14 und „offenbar wird das Königtum Gottes“ (nämlich
am Ende der Zeiten). Die Redewendung vom eschatologischen
Nebeneinander von gegenwarts- und zukunftsbezogenen Aussagen läßt sich
deshalb nicht dadurch erklären, daß eine der Aussagenreihen Jesus abgesprochen und zur späteren Akzentverschiebung erklärt wird.“
11
1QM 6,6; 12,8.15f.; 1QSb 3,5; 4,24-26; 5,21.
12
Vgl. Mi 6,4–8 und Lehnhardt 2002.
13
Klein, 1970, 651.
14
Vgl. Bill. I, 172ff.176f. (k-m); vgl. auch mBer II,2.5. Der Beter des Shema nimmt
bewusst das Herrentum Gottes an, das mit dem Akt des Gebets in die Welt
tritt, das Leben und den Alltag des Betenden bestimmt und auf diese Weise die
Gegenwart von Gottes Herrschaft in der Welt garantiert.
16
Volker Gäckle
„Offenbaren“ bzw. „Erscheinen“ des Reiches Gottes kann als
typisch für diese Epoche gelten. Im Frühjudentum wurde mit
dem endzeitlichen Erscheinen des Reiches Gottes die Epiphanie Gottes selbst erwartet (vgl. AssMos 10,1ff; Jub 1,28; vgl. Jes
31,4; 40,9f; 52,7).
Ein wesentlicher Aspekt wurde jedoch erst durch die Erforschung der Sabbatlieder von Qumran sichtbar. Es war AnnaMaria Schwemer, die in den Sabbatliedern den mit Abstand
„wichtigste[n] vorchristliche[n] jüdische[n] Text zum Thema
‚Gottes Königsherrschaft‘“ identifizierte (Schwemer 1991:115,
ebenso :47). Neben nicht weniger als 55 Belegen für melek
taucht das seltene Abstraktum malkût hier 21 Mal auf.
Die Sabbatlieder stellen gottesdienstliche Liturgien dar,
die den Gottesdienst der Engel im himmlischen Heiligtum beschreiben, an dem die irdische Gemeinde des yaḥad freilich
teilnimmt. Die Gemeinde feiert sozusagen mit den Engeln
gemeinsam den himmlischen Gottesdienst, indem sie sich im
Lobpreis in den himmlischen Tempel erhebt.
Auch wenn sie den neuen eschatologischen Tempel
im irdischen Jerusalem … erst noch erwartet, feiert
sie schon jetzt die gegenwärtige Königsherrschaft
Gottes im gemeinsamen Lobpreis mit den ‚Gott
nahen Wesen‘ im himmlischen Tempelheiligtum. (Schwemer 1991:76)
Der himmlische Kult der als Priester vorgestellten Engel dient als himmlisches Urbild für das irdische Abbild des
priesterlichen Kultes des yaḥad. Diese zu den genuinen Qumranschriften zu zählenden Texte entstanden vermutlich zwischen 150 und 50 v. Chr.
Das besondere an den Sabbatliedern ist, dass sie die malkût Jahwes ganz und gar in der himmlisch-göttlichen Welt
lokalisieren. Der irdische Raum kommt hier gar nicht in den
Blick.15 Im Hintergrund dieser Konzeption steht der Glaube,
15
Dies steht in einem deutlichen Kontrast zum alttestamentlichen Gebrauch,
vgl. Ps 145,1.14; sowie Ps 5,3; Judith 9,12; Tob 13,1.6.7.10; 2 Makk 1,24; 3 Makk
2,2.9.13; 6,4; Sir 51,1ff u.a.
Gegenwärtige und zukünftige βασιλεία in der Verkündigung Jesu
17
dass im himmlischen Herrschaftsbereich Gottes jetzt schon
Gegenwart ist, was auf Erden noch als Heilszukunft erwartet
wird. „Die eschatologische Erwartung der Gottesherrschaft
auf Erden hat ihren Grund in der präsentischen kultischen
Feier der Königsherrschaft Gottes im Himmel!“ (Schwemer,
1991, 117).16 Es besteht ein „untrennbarer Zusammenhang
zwischen Gottes ewig bestehender und darum immer auch
gegenwärtiger Herrschaft und ihrer erwarteten zukünftigen
universalen Durchsetzung“ (Hengel & Schwemer 2007:411).17
Es ist dieser doppelte Aspekt von Gleichzeitigkeit und sequentiellem Nacheinander, der für unsere Fragestellung von großer Bedeutung ist.
3 Die zukünftige βασιλεία in der Verkündigung
Jesu
Gegenüber der im angelsächsischen Raum vorherrschenden
Dominanz des Dod’schen Konzeptes der realized eschatology stellte Werner Georg Kümmel bereits 1953 fest, dass wir
im Blick auf die Verkündigung Jesu sowohl von einer „kommenden“ bzw. „zu erwartenden“ Königsherrschaft, als auch
von einer bereits „gegenwärtigen“ Realität dieser Herrschaft
16
Ahnlich Theißen und Merz (1997:231). Auch Schröter vertritt diese Position:
„Den verschiedenen jüd. Vorstellungen vom R.G. liegt die Überzeugung zugrunde, daß es gegenwärtig irdisch nicht – oder nur partiell – erfahrbar ist, jedoch als himmlische Größe schon immer existent. Die Frage nach Gegenwart
und Zukunft des R.G. stellt sich dann als diejenige nach dem Zeitpunkt und
der konkreten Gestalt seiner irdischen Durchsetzung“ (Schröter 2004:206).
17
Dieselbe Ambivalenz hat jüngst Jungbluth (2011:177) auch für die alttestamentlichen Traditionen z.B. in Psalm 47 und 93 aufgezeigt: „Während also das
irdische Königtum […] fest in der Zeit verortet werden kann, seine lineare Dimension geradezu konstitutiv ist, stellt sich die Frage für JHWHs himmliches
Königtum nicht. Im Unterschied zum irdischen König […] ist JHWH immer
schon König. Sein himmlisches Königtum wird von den Texten als zeitlos dargestellt.“ Letztlich bestimmt diese Doppelung zwischen Gottes gegenwärtiger
und letztlich zeitloser Herrschaft im Himmel auf der einen Seite und Gottes
kommendem Reich auch die Konzeption des Danielbuches; vgl. Daniel 4,31
mit Daniel 2,44; 7,13f und 7,27, sowie Stuhlmacher (2012:69): „Gottes Herrschaft und Gottes Reich werden in dieser Zukunftsschau identisch.“
18
Volker Gäckle
sprechen müssen und sich keine dieser beiden Dimensionen
in die jeweils andere ohne Weiteres auflösen lässt (Kümmel
1953). Auch Gerd Theißen und Annette Merz kommen in
ihrem Jesus-Buch zum selben Ergebnis: „Angesichts dieser
breiten Bezeugung kann man Jesus eine futurische Erwartung kaum absprechen, zumal sein Vorgänger, Johannes der
Täufer, sie ebenso vertrat, wie seine Nachfolger, die ersten
Christen, in ihr lebten“ (Theißen & Merz 1997:235). Im Folgenden soll diese „breite Bezeugung“ in aller Kürze dargestellt werden.
3.1 Das „kommende“ Reich
Der futurische Aspekt tritt v.a. dort in den Vordergrund,
wo vom „Kommen“ der βασιλεία του̑ θεου̑ die Rede ist, wie
z.B. in der zweiten Vaterunserbitte (Mt 6,10/Lk 11,2), wo das
Kommen einer zukünftigen βασιλεία erbeten wird.18 Auch
die in ihrer Bedeutung umstrittenen Logien vom Nahen der
βασιλεία (Mk 1,15; Mt 10,7/Lk 10,11) müssen als Ankündigung
eines zukünftig noch zu erwartenden Reiches verstanden
werden.
Vor dem Hintergrund der Sabbatlieder von Qumran erhebt
sich die Frage, ob die dortige Konzeption einer konsekutiven
Herrschaftsübernahme, die zunächst eine himmlische Realität ist und dann auch auf die Erde ausgedehnt wird, nicht bereits der zweiten und dritten Vaterunserbitte zugrunde liegt.
In der matthäischen Version des Vaterunsers wird sowohl für
die Heiligung des Gottesnamens, für das Kommen des Reiches
wie für das Tun des göttlichen Willens erwartet, dass so wie
dies im Himmel bereits Gegenwart ist, es auch auf Erden Wirklichkeit werde.
3.2 Die synoptischen Einlasssprüche
Eine eindeutig futurische Bedeutung hat βασιλεία του̑ θεου̑ in
den sog. synoptischen Einlasssprüchen, wo vom „Eingehen“
18
Mt 6,10; 12,28; 16,28; Mk 1,15; 9,1; Lk 1,33; 17,20f., vgl. 1 Kor 15,24; 2 Tim 4,1.
Gegenwärtige und zukünftige βασιλεία in der Verkündigung Jesu
19
bzw. „Hineinkommen“ in die βασιλεία του̑ θεου̑19 bzw. vom
„Hinausgeworfen-werden aus der βασιλεία“ die Rede ist
(Mt 8,12; 22,13). Hier steht deutlich die Vorstellung eines zukünftigen Raumes bzw. Bereiches im Hintergrund, in den man
eintreten oder hineinkommen bzw. eingelassen werden kann,
aus dem man aber auch hinausgeworfen werden kann.
3.3 Das Schächerlogion und das endzeitliche Festmahl
Auch der Wortwechsel Jesu mit dem Schächer aus dem lukanischen Sondergut (Lk 23,42f) setzt ein futurisches Verständnis voraus. Dabei impliziert sowohl die Frage des
Schächers als auch die Antwort Jesu ein postmortales und
damit futurisches Verständnis dieses Raumes. „Futurisch“
meint in diesem Zusammenhang, dass man erst nach dem
Tod in dieses Reich kommen kann (vgl. auch 1 Kor 15,50).
Auffallend ist ferner die in diesem Wortwechsel implizierte
Äquivalenz von βασιλεία mit παράδεισος, das auch im Frühjudentum als postmortaler Aufenthaltsort der Gerechten
beschrieben wird.20
An diesem Ort findet dann auch das endzeitliche Festmahl
des Heils statt (vgl. Mk 14,25/Mt 26,29), zu dem viele kommen
werden von Osten und von Westen, um zu Tisch zu sitzen mit
Abraham, Isaak und Jakob (Mt 8,11f).21
Zusammenfassend können zwei Beobachtungen festgehalten werden: (1) Wenn βασιλεία die spatiale Bedeutung im
Sinne eines Heilsortes oder die temporale Konnotation einer
Heilszeit hat, dann ist der Begriff durchweg futurisch zu verstehen. (2) Er bezeichnet einen Heilszustand, der im Himmel
bereits vollendete Gegenwart ist, aber dessen Realisierung auf
Erden noch aussteht.
19
Mt 5,20; 7,21; 18,3; 19,23f; 21,31; Mk 9,47; 10,15.23–25; Lk 18,17.24f; vgl. Joh 3,3.5;
2 Tim 4,18 und 2 Petr 1,11. Vgl. hierzu Windisch 1928:163–192 und Horn 1996.
20
Vgl. TestLev 18,10f; PsSal 14,3; äthHen 17–19; 60,8; 61,12; vgl. auch Ez 31,8f. Ein
solches Verständnis steht möglicherweise auch hinter 2 Kor 12,4 und Offb 2,7.
21
Vgl. Horn 1996:188, siehe ebd. auch Anm. 5, und Witherington 1992:61f. Für
Jeremias (1994:105) bedeutete diese Evidenz, dass „die Basileia immer und
überall eschatologisch“ verstanden werden müsse.
20
Volker Gäckle
4 Die präsentische Dimension der Heilsgabe
der βασιλεία
Neben den eschatologischen Belegen, die durchweg mit einer
spatialen und temporalen Konnotation verbunden sind, finden sich in der Jesusüberlieferung allerdings noch weitere Belege, die zwingend eine präsentische Deutung verlangen.
4.1Die βασιλεία als eine Gabe des Heils
Eine präsentische Bedeutung hat beispielsweise das βασιλείαLogion im Rahmen des sog. Kinderevangeliums:
Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und
sprach zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen
und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das
Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das
Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der
wird nicht hineinkommen.
(Mk 10,14f)
Bei diesem Logion ist für unsere Fragestellung zunächst diese doppelte bzw. dreifache Konnotation des βασιλεία-Begriffs
relevant. Am Ende in V. 15 steht die bereits bekannte spatialfuturische Konnotation: „… der wird nicht hineinkommen“.
Gemeint ist offensichtlich ein zukünftiger Raum bzw. Bereich,
in den Menschen eintreten können, in den ihnen aber auch
der Zutritt verweigert werden kann. Gleichzeitig kann der Begriff durch zwei andere Verben offensichtlich problemlos mit
einer weiteren Konnotation verbunden werden: Die βασιλεία
„ist“ bzw. „gehört“ (ἐστίν) den Kindern (vgl. Mt 5,3.10) und
alle sollen sie wie Kinder „empfangen“ (δέξηται).
Auffallend ist nun, dass diese Konnotation hier mit einem
präsentischen Verständnis verbunden ist. Das βασιλεία gehört den Kindern schon jetzt und es geht für alle Hörer Jesu
darum, die Gabe der βασιλεία jetzt in der Gegenwart zu empfangen.22 Während also der Eintritt in die βασιλεία erst in der
22
Im Matthäusevangelium wird der Besitz- bzw. Gabecharakter der βασιλεία
häufig präsentisch konnotiert: Mt 5,3.10; 6,33. Auch in Matthäus 21,43 geht
Gegenwärtige und zukünftige βασιλεία in der Verkündigung Jesu
21
Zukunft möglich ist, hat sie als Gabe bereits eine präsentische
Relevanz.
4.2 Die βασιλεία als Äquivalent zum ewigen Leben
In der synoptischen Tradition finden sich zwei Belege, in denen das Reich Gottes als Äquivalent zum Heilsgut des ewigen
Lebens erscheint.23
Dies ist zum einen in der Perikope von Jesu Begegnung
mit dem reichen Jüngling der Fall (Mk 10,17–27). Zunächst
gibt der reiche Jüngling das Thema, sowohl des Gesprächs
zwischen ihm und Jesus als auch des folgenden Gesprächs
zwischen Jesus und seinen Jüngern, mit der Frage vor: „Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?“ (V. 17). Dabei fällt zuerst das Verb ins Auge: Das
eschatologische Ziel des ewigen Lebens kann hier analog zur
βασιλεία „ererbt“ (κληρονομήσω) werden.24 Nach dem Weggang des reichen Jünglings stellt Jesus im Nachgespräch der
Szene seinen Jüngern zweimal die Frage: „Wie schwer ist es
(für einen Reichen) in die βασιλεία του̑ θεου̑ zu kommen?“
(V. 23f). Auf Jesu Nadelöhr-Logion respondieren die Jünger
wiederum mit der entsetzten Frage: „Wer kann dann selig
werden (σωθῆναι)?“ Offensichtlich werden das ewige Leben,
die räumlich vorgestellte βασιλεία του̑ θεου̑ (vgl. das Verb
εἰσελθεῖν) und die eschatologische Rettung vor dem Gericht
als Synonyme verwendet.25 Das Eingehen in die βασιλεία ist
identisch mit der Rettung aus dem Endgericht und der Gabe
des ewigen Lebens.
Dieselbe Parallelität von „zum Leben kommen“ und „ins
Reich Gottes kommen“ findet sich in Markus 9,43–48:
es offensichtlich um einen präsentischen Besitz, dessen Wegnahme bzw. Neuverteilung für die Zukunft angekündigt wird.
23
Vgl. hierzu auch Kvalbein (1997:67f).
24
Vgl. Mt 19,29; Lk 10,25 mit Mt 25,34; Gal 5,21; 1 Kor 6,9f; 15,50.
25
Auch im Gleichnis vom großen Weltgericht (Mt 25,31–46) werden βασιλεία in
V. 34 und „ewiges Leben“ in V. 46 synonym verwendet.
22
Volker Gäckle
Wenn dich aber deine Hand zum Abfall verführt,
so haue sie ab! Es ist besser für dich, dass du verkrüppelt zum Leben eingehst, als dass du zwei Hände hast und fährst in die Hölle, in das Feuer, das nie
verlöscht. Wenn dich dein Fuß zum Abfall verführt, so haue ihn ab! Es ist besser für dich, dass
du lahm zum Leben eingehst, als dass du zwei Füße
hast und wirst in die Hölle geworfen. Wenn dich
dein Auge zum Abfall verführt, so wirf’s von dir!
Es ist besser für dich, dass du einäugig in das Reich
Gottes gehst, als dass du zwei Augen hast und wirst
in die Hölle geworfen, wo ihr Wurm nicht stirbt und
das Feuer nicht verlöscht. Entscheidend für unsere Fragestellung hier ist, dass in
diesen Logien die βασιλεία του̑ θεου̑ durch das Äquivalent
zum „ewigen Leben“ wiedergegeben werden kann26 und
damit mit einer Formulierung, die einer hellenistischen Leserschaft als Heilsbegriff deutlich geläufiger war, als der
jüdische Begriff βασιλεία του̑ θεου̑. Dieser war für die griechischsprachigen Hörer entweder unverständlich oder –
noch problematischer – verdächtig, trug er doch stets eine
politische Konnotation in sich, die das frühe Christentum gerade vermeiden wollte (vgl. Joh 18,36; Apg 17,7; Röm 13,1–7;
1 Petr 2,13 u.a.).27
Betrachtet man die βασιλεία aus dieser Perspektive bzw. von der Konnotation als Heilsgabe her, dann erschließt sich eine weitere Seite des Gesamtkonzepts. Die
βασιλεία ist ein Raum bzw. ein Bereich, der bereits jetzt im himmlischen Heiligtum und Kult eine gegenwärtige Wirklichkeit ist, aber
auf Erden erst noch als ein Ort und als eine Zeit des Heils eschatologisch erwartet wird.28 Als Besitz und Gabe des ewigen Lebens ist
26
Vgl. Matthäus 18,8f und im Blick auf die eschatologische Destination umkehrender Zöllner auch Lukas 19,9 (σωτηρία) mit Matthäus 21,31 (βασιλεία); siehe
auch Haacker 2005:143.
27
Vgl. auch Frey 2000:268; 2006:69; Kvalbein 2003 und Haacker 2005:146.
28
Vgl. Kvalbein 1997:70.
Gegenwärtige und zukünftige βασιλεία in der Verkündigung Jesu
23
die βασιλεία ebenfalls eine gegenwärtige himmlische Wirklichkeit,
die pneumatisch zwar bereits gegenwärtig besessen, empfangen und
gesucht werden kann, die aber erst eschatologisch sichtbar werden
wird.
4.2 Das Exorzismuslogion (Lk 11,20/Mt 12,28)
Das Exorzismuslogion diente C.H. Dodd als dictum probantium
für sein Konzept einer realized eschatology, die zum Grundparadigma seiner Ethik wurde. Entsprechend deutete er
alle βασιλεία-Belege von diesem Exorzismuslogion her. Mir
erscheint die Wahl dieses einen und in seiner Aussage sehr
singulären Logions in methodischer Hinsicht als äußerst problematisch. Meines Erachtens muss der Weg in umgekehrter
Richtung beschritten werden: Von einem auf der Grundlage
aller anderen Belege erarbeiteten Konzept her muss Lukas
11,20 bzw. Matthäus 12,28 interpretiert werden:
Er aber erkannte ihre Gedanken und sprach zu
ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist,
wird verwüstet und ein Haus fällt über das andre.
Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie
kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die bösen Geister aus durch Beelzebul. Wenn
aber ich die bösen Geister durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum
werden sie eure Richter sein. Wenn ich aber durch
Gottes Finger (Mt: Geist) die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen. (Lk 11,17–20)
Der „Finger Gottes“ (Lk) ist wahrscheinlich ursprünglicher als der „Geist Gottes“ (Mt). Es handelt sich dabei um
eine Anspielung auf Exodus 8,15, wo Mose von den ägyptischen Zauberern aufgrund seiner Wundermacht als der
„Finger Gottes“ tituliert wird. Im Kontext von Lukas 11,20
bedeutet dies, dass so wie damals die ägyptischen Zauberer
mit ihren Künsten Mose gegenüberstanden, in der Gegenwart die Gegner Jesu mit den Exorzismen ihrer „Söhne“ nun
24
Volker Gäckle
Jesus gegenüberstehen (Theißen & Merz 1997:237).29 Umso
bemerkenswerter aber ist dann die matthäische Interpretation von δάκτυλος mit πνεύματος θεου̑. Die vollbrachte Heilung
wird somit auf die Wirkung des göttlichen Geistes zurückgeführt, der in diesem Zusammenhang einen instrumentalen
Charakter bekommt.
So undeutlich vieles in diesem Logion bleibt und möglicherweise bleiben muss, so können wir doch zwei Punkte
festhalten:
(1)Diese βασιλεία kommt „über“ bzw. „auf“ die Hörer (ἐφʼ
ὑμα̑ς), ist für diese jedoch weder sichtbar noch direkt identifizierbar. Sie bleibt vielmehr missverständlich und interpretationsbedürftig, sonst wäre sie ja auch Jesu Gegnern
unmittelbar evident. Sie wird erst durch die Deutung der
Exorzismen Jesu durch Jesus selbst verständlich. Es geht
somit um eine neue Wirklichkeit des Heils, die den natürlichen Sinnen noch verborgen ist, aber indirekt in der Heilung und Befreiung von Dämonen zum Ausdruck kommt.
In dieser Hinsicht berührt sich dieses Logion mit Lk 17,20f.
(2)Jesus verbindet sein messianisches Wirken mit dem Kommen der βασιλεία, was singulär ist in der synoptischen
Überlieferung (Lindemann 1986:204). Allerdings lässt sich
„[d]iese in Jesu Wirken erfahrbare Gegenwart der
βασιλεία […] nur erfassen auf dem Hintergrund
der Hoffnungen auf ihre irdische Durchsetzung,
der Erwartung einer Heilszeit, wie sie prophetisch angekündigt und im nachbiblischen Judentum, z.B. in Texten wie 4Q521, in vielfältiger
Weise ausgestaltet wurde“ (Frey 2006:79).
Zusammengenommen legt dies nahe, dass mit dem Wirken
Jesu noch nicht das endzeitlich erwartete Gottesreich in der
Weise in Erfüllung geht, dass es „offenbar“ und für jedermann
sichtbar und eindeutig wäre. Im Gegenteil ist und bleibt es in
jeder Hinsicht der Missverständlichkeit preisgegeben.
29
Vgl. zum Ganzen auch Hengel 1997.
Gegenwärtige und zukünftige βασιλεία in der Verkündigung Jesu
25
4.3 Lk 17,20f
Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde:
Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so,
dass man’s beobachten kann; man wird auch nicht
sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es! Denn siehe,
das Reich Gottes ist mitten unter euch. (Lk 17,20f)
Wie das Exorzismuslogion ist auch dieses Logion an die
Pharisäer adressiert und damit an Gegner Jesu.30 Hier wird die
βασιλεία als eine Wirklichkeit beschrieben, die wesentlich dadurch charakterisiert ist, dass sie unsichtbar und auch nicht
verifizierbar ist. Forschungsgeschichtlich wurde der Vers
sowohl von J. Weiß für seine eschatologisch-futurische Deutung als auch von C.H. Dodd für seine realized eschatology in
Anspruch genommen. Es bleibt jedoch fraglich, ob Jesus in seiner Antwort auf die pharisäische Frage nach dem Zeitpunkt
des Kommens der βασιλεία (πότε; vgl. Lk 19,11!) überhaupt
eine temporale Bestimmung der βασιλεία beabsichtigt (vgl.
ganz ähnlich auch Apg 1,6–8). Jesus antwortet nicht mit einer
temporalen Aussage, sondern mit einer modalen („nicht mit
Beobachtung“; οὐκ … μετὰ παρατηρήσεως) und einer lokalen
Aussage: Nicht hier oder dort, sondern ἐντός ὑμω̑ ν.
Nun ist vor allem die Bedeutung des abschließenden ἐντός
ὑμω̑ ν in der Forschung höchst umstritten und schwierig.31 Im
Wesentlichen wurden bislang drei Alternativen diskutiert: (1)
Dem gewöhnlichen griechischen Wortgebrauch am nächsten
käme die sog. „idealistische“ oder „spirituelle“32 Übersetzung „die βασιλεία του̑ θεου̑/ ist in eurem Inneren/innerhalb
von euch“ (so auch EvThom 3.113 und fast durchweg bei den
Kirchenvätern). (2) Tertullian (adv Marc 4,35) wählte die in
der Folge immer wieder begegnende Übersetzung „sie ist in
30
Vgl. zu Lukas 17,20f Schwemer 2009 und Meier 1994.
Vgl. hierzu Schwemer 2009:121–135.
32
Vgl. Theißen & Merz 1997:238.
31
26
Volker Gäckle
eurem Bereich bzw. Besitz/sie steht euch zur Verfügung“.33
Diese Deutung wirft allerdings mehr Fragen auf als sie beantwortet. (3) Im 20. Jahrhundert hat sich die Übersetzung „die
βασιλεία του̑ θεου̑ ist mitten unter euch“ durchgesetzt.34 Als
eine Variante dieser Alternative wurde von J. Jeremias und
R. Bultmann die futurische Bedeutung „die Gottesherrschaft
wird unverhofft (plötzlich) in eurer Mitte sein“ vorgeschlagen (Jeremias 1994:104; Bultmann 1984:5),35 was aber keine Resonanz in der Forschung fand. Die Übersetzung „ist in
eurer Mitte/mitten unter euch“ entspricht zwar Lukas 11,20
bzw. Matthäus 12,28 und Lukas 7,22 bzw. Matthäus 11,5, aber
sie ist sprachlich ungewöhnlich36 und lässt sich nirgendwo
überzeugend belegen.37 Zwar wird für die vorgeschlagene Bedeutung immer wieder eine Reihe von Belegen angeführt,38
jedoch hat T. Holmén (1996) die Unhaltbarkeit einer solchen
Übersetzung an den genannten Stellen nachgewiesen. In Lukas 17,20f wäre sie nur möglich, wenn die Pharisäer als jene
33
So auch Lindemann 1986:205. Vgl. dagegen die Kritik von Weder (1993:39,
Anm. 55), der diese Übersetzung ablehnt, weil „es […] mit der Verkündigung
Jesu absolut unvereinbar [ist], daß die Gottesherrschaft in der Verfügbarkeit
des Menschen wäre.“
34
J. Ratzinger (Benedikt XVI.) tritt im ersten Teil seiner Jesus-Trilogie für die
auf Origenes zurückgehende Autobasileia-These ein, wonach das Reich in der
Person Jesu erschienen ist und Jesus somit selbst im Sinne einer verhüllten
Christologie das „Reich“ ist, vgl. Ratzinger 2007:79,89f.
35
Vor Jeremias und Bultmann haben bereits A. Loisy und W. Wrede diese Deutung präferiert.
36
In der Regel bedeutet ἐντός „innen“, „inwendig von“, vgl. Mt 23,26 (τὸ ἐντός),
„innerhalb eines bestimmten Bereichs“. Die Präposition hat meistens eine
limitierende Funktion und wird in Relation zu bestimmten Grenzen, Limits
oder Fristen verwendet. Oft wird die Präposition auch antithetisch und konstrastierend verwendet, vgl. wiederum Mt 23,26 und IgnTrall 7,2, um anzuzeigen, dass sich etwas nicht außen bzw. außerhalb eines Bereichs, sondern
innen bzw. innerhalb einer bestimmten Größe befindet.
37
Auch Schwemer (2009:133) gibt zu, dass es vor allem „sachliche Gründe“ sind,
die diese Übersetzung nahelegen.
38
Herod Hist 7,100; Xen Hell 2,3,19; Xen An 1,10,3; Plat Leg 7,789; Plat Phaid
247a; Jos Ant 6,315; Arr An 5,22,4 und v.a. aus den griech. Übersetzungen des
Alten Testaments bei Symmachus Ps 87(88),6; 140(141),5; Lam 1,3 und bei
Aquila Ex 17,7 und Hi 2,8.
Gegenwärtige und zukünftige βασιλεία in der Verkündigung Jesu
27
Gruppe verstanden würde, innerhalb derer die βασιλεία vorhanden ist bzw. von der sie besessen wird im antithetischen
Unterschied zu allen anderen Menschen und Gruppen außerhalb der Pharisäer.39 Im Übrigen wären für die Bedeutung „in
eurer Mitte/mitten unter euch“ die Wendungen ἐν ὑμι̑ν oder
ἐν μέσω̨ ὑμι̑ν (vgl. Lk 2,46; 8,7; 21,21 u.a.) die üblichen Ausdrucksformen gewesen.40
Somit bleibt rein sprachlich die erste Alternative die
wahrscheinlichste. Sie wurde auch von den Kirchenvätern
bevorzugt,41 und dies obwohl sie in den antignostischen Auseinandersetzungen die problematischste Lösung war. „The
only solution to why the Fathers did not utilize this type of argumentation [sc. die Übersetzung mit „in eurer Mitte/mitten
unter euch“] seems to be that ‚within‘ was the only rendering
of ἐντός they could recall here“ (Holmén 1996:225).42 Bemerkenswerterweise deuten Tertullian, Cyprian, Origenes, Peter
von Alexandrien und Athanasius das Logion im Horizont von
Deuteronomium 30,11–14, wo das Toragebot in antithetischer
Diktion nicht als ferne, sondern als nahe „in deinem Mund
und in deinem Herzen“ charakterisiert wird.
Auch vor dem Hintergrund der im vorigen Abschnitt entfalteten Bedeutungsaspekte könnte das Logion durchaus in
diesem Sinne und damit im Rahmen der ersten Lösung bedeuten, dass die βασιλεία im Sinne der Heilsgabe des ewigen
Lebens schon jetzt in einem Menschen sein kann, der glaubt.
Das Logion wäre damit in seiner antithetischen Diktion gar
nicht als Antwort auf die pharisäische Frage nach dem künftigen Kommen des Reiches zu verstehen. Es würde vielmehr
auf die Möglichkeit hinweisen, die noch unsichtbare Heilsgabe der βασιλεία im Sinne des ewigen Lebens schon jetzt zu
besitzen. Die Konfliktlinie zwischen Jesus und den Phärisäern
39
Vgl. Holmén 1996:209f.
Vgl. dazu ausführlich Meier 1994.
41
Vgl. die Belege bei Holmén 1996:223, Anm. 91.
42
Vgl. zu den gnostischen Verwendungen des Wortes auch Schwemer
2009:122–131.
40
28
Volker Gäckle
wäre damit nicht die Eschatologie,43 sondern die Anthropologie und Soteriologie ganz analog zu Mk 7,15. Nicht die Frage
nach dem Kommen des Reiches, sondern jene nach dem rechten Sein des Menschen im Horizont des kommenden Reiches
ist für Jesus die entscheidende. Das Logion wäre somit auch
eine Brücke zur johanneischen Theologie mit ihrer präsentischen Eschatologie.
4.4 Der Stürmerspruch (Mt 11,12/Lk 16,16)
Aber von den Tagen Johannes des Täufers an bis
jetzt wird dem Reich der Himmel Gewalt angetan,
und Gewalttuende reißen es an sich. (Mt 11,12)
Das Gesetz und die Propheten gehen bis auf Johannes; von da an wird die gute Botschaft vom
Reich Gottes verkündigt, und jeder dringt mit Gewalt hinein. (Lk 16,16)
Auch beim sog. Stürmerspruch warten zahlreiche Fragen
noch auf eine Klärung. So ist nach wie vor offen, wer die Gewalttäter sind. Handelt es sich um gegnerische Zerstörer, wobei immer wieder an die zelotische Bewegung gedacht wurde,
oder um freundliche Eroberer, die Anteil an der βασιλεία bekommen wollen? Wenn das Handeln der βιασταί allerdings
mit dem Zeitraum vom Auftreten des Täufers bis zur Gegenwart Jesu in Verbindung gebracht wird, scheint es sich eher
um Anhänger Jesu und der βασιλεία zu handeln.44 Deutlich
scheint dagegen, dass hier eine präsentische Handlung beschrieben wird, was eine präsentische Existenz der βασιλεία
voraussetzt. Diese wird auch durch den ersten Teil von Lukas
16,16 nahegelegt: Im Anschluss an das vorbereitende Wirken
des Täufers und mit dem Kommen Jesu vollzieht sich eine
heilsgeschichtliche Zeitenwende, die mit der Verkündigung
43
Richtig gesehen von Aalen (1962:223): „The saying in Luke xvii, 20f. has consequently nothing to do with polemic against an apocalyptic understanding
of the kingdom, or against the interest for signs indicating the coming of the
kingdom, as is often assumed.“
44
So auch Theißen & Merz 1997:235 und Hengel & Schwemer 2007: 337,416.
Gegenwärtige und zukünftige βασιλεία in der Verkündigung Jesu
29
des bis dato eben noch nicht verkündbaren „Evangeliums
vom Reich Gottes“ einhergeht (vgl. auch Mt 11,6).
Zieht man weiter die zwar ungewöhnliche, aber doch mögliche Übersetzung von βιάζεται mit „sich hineindrängen“ in
Betracht, dann würde wieder die spatiale Vorstellung eines
Raumes bzw. Bereiches vorliegen, in den Menschen hineindrängen. Stellt man weiter die Parallelität dieses Raumbegriffs
zum Begriff des ewigen Lebens in Rechnung, dann würde das
Logion die Heilssehnsucht der Menschen beschreiben, die
zum Täufer bzw. zu Jesus kamen und deren Heilssehnsucht
im „Evangelium vom Reich Gottes“ eine Antwort findet.
5Fazit
Im Rückblick auf die untersuchten Belege hat sich gezeigt,
dass βασιλεία του̑ θεου̑ in der synoptischen Jesustradition
analog zum frühjüdischen Sprachgebrauch grundsätzlich als
futurischer Begriff verstanden wird: Die Vaterunser-Bitte, die
Einlasssprüche, zahlreiche βασιλεία-Gleichnisse, das Schächerwort, die Logien vom endzeitlichen Freudenmahl und
vom (nahen) Kommen der βασιλεία lassen hier keine andere
Deutung zu. Das Reich Gottes wird hier als ein endzeitlicher
Raum und auch Zeitraum verstanden, der als das große Hoffnungs- und Heilsziel präsentiert wird.
Gleichzeitig verlangen einige wenige Belege eine eindeutig präsentische Deutung des Begriffes (Mk 10,15; Lk 11,20/
Mt 12,28; Lk 17,20f; Lk 16,16/Mt 11,12). Für die Deutung dieser
Logien ist wesentlich, dass der Begriff βασιλεία του̑ θεου̑ schon
von Jesus selbst – wie später auch von Paulus und Johannes –
äquivalent zum Begriff des „ewigen Lebens“ (Mk 9,43–48/Mt
18,8f; Mk 10,17.23f/Mt 19,16–26/Lk 18,18–27; Mt 25,34.46) gebraucht werden konnte und dass der präsentischen βασιλεία
in keinem dieser Logien die Eigenschaft der Sichtbarkeit bzw.
der unmissverständlichen Verifizierbarkeit zukommt.
Während somit das Reich Gottes im Sinne eines sichtbaren
und „begehbaren“ Heilsortes (vgl. die Rede vom „Eintreten“
30
Volker Gäckle
bzw. „Hineinkommen“) grundsätzlich futurisch verstanden
werden muss, weil dieser Ort erst endzeitlich offenbar werden wird, kann die „Gabe“ bzw. das „Geschenk“ der βασιλεία
im Sinne der Heilsgabe des ewigen Lebens schon gegenwärtig
empfangen, ererbt und in Besitz genommen werden. Allerdings bleibt diese präsentische Heilsgabe des ewigen Lebens
in der Gegenwart noch prinzipiell unsichtbar und damit auch
missverständlich.
Sowohl als futurischer Heilsort und Zeitraum, als auch als
präsentische Heilsgabe bleibt die βασιλεία in ganz grundsätzlicher Weise der Verfügbarkeit des Menschen entzogen. Der
Mensch kann um das Kommen der βασιλεία bitten (Mt 6,10/Lk
11,2), er kann sie „suchen“, „empfangen“ und „ererben“, aber
er kann sie nicht „bauen“ oder gar herbeiführen. Die βασιλεία
bleibt eine durch und durch theozentrische Größe, die in der
frühen Christenheit zu einer Chiffre für das christliche Heilsgut schlechthin geworden ist.
6Bibliographie
Aalen, S. 1962. ‚Reign‘ and ‚House‘ in the Kingdom of God in the Gospels, in NTS 8, 215–240.
Borg, Marcus J. 1994. A Temperate Case for a Non-Eschatological
Jesus, in Borg, Marcus: Jesus in Contemporary Scholarship. Valley
Forge, Pa: Trinity Press International, 47–68.
Bousset, William 1892. Jesu Predigt in ihrem Gegensatz zum Judentum:
Ein religionsgeschichtlicher Vergleich. Göttingen.
Bousset, William 1902. Das Reich Gottes in der Predigt Jesu, in ThR 5,
397–407.437–449.
Bousset, William 1922. Jesus. 4. Aufl. Tübingen.
Bultmann, Rudolf 1984. Theologie des Neuen Testaments. 9. Aufl. Tübingen: Mohr.
Burchard, Christoph 1987. Jesus von Nazareth, in Becker, Jürgen,
Burchard, Christoph & Colpe, Carsten (Hg.): Die Anfänge des Christentums. Stuttgart: Kohlhammer, 12–58.
Cox, Harvey 1986. Stadt ohne Gott?. 4. Aufl. Stuttgart/Berlin:
Kreuz-Verl.
Gegenwärtige und zukünftige βασιλεία in der Verkündigung Jesu
31
Crossan, John D. 1991. The historical Jesus: The life of a Mediterranean
Jewish peasant. 1st ed. [San Francisco]: HarperSanFrancisco.
Dalman, Gustaf 1930. Die Worte Jesu. 2. Aufl. Leipzig.
Dodd, C.H. 1927. Das innerweltliche Reich in der Verkündigung Jesu,
in ThBl 6, 120–122.
Dodd, C. H. 1935. The Parables of the Kingdom. London.
Frey, Jörg 2000. Die johanneische Eschatologie III: Die eschatologische
Verkündigung in den johanneischen Texten. Tübingen: Mohr Siebeck. (WUNT, 117).
Frey, Jörg 2006. Die Apokalyptik als Herausforderung der neutestamentlichen Wissenschaft. Zum Problem: Jesus und die Apokalyptik, in Becker, Michael & Öhler, Markus (Hg.): Apokalyptik
als Herausforderung neutestamentlicher Theologie. Tübingen: Mohr
Siebeck. (WUNT II, 214), 23–94.
Haacker, Klaus 2009. „What Must I Do to Inherit Eternal Life?” Implicit Christology in Jesus’ Sayings about Life and the Kingdom,
in Charlesworth, James H. & Pokorný, Petr (Hg.): Jesus research:
An international perspective; the First Princeton-Prague Symposium
on Jesus Research, Prague 2005. Grand Rapids, Mich.: Eerdmans,
140–153.
Hengel, Martin 1991. Reich Gottes und Weltreich im Johannesevangelium, in Hengel & Schwemer 1991, 163–184.
Hengel, Martin 1997. Der Finger und die Herrschaft Gottes in Lk
11,20, in Kieffer, René & Bergman, Jan (Hg.): La main de Dieu / Die
Hand Gottes. Tübingen: Mohr. (WUNT, 94), 87–106.
Hengel, Martin & Schwemer, Anna M. (Hg.) 1991. Königsherrschaft
Gottes und himmlischer Kult: Im Judentum, Urchristentum und in der
hellenistischen Welt. Tübingen: Mohr. (WUNT, 55).
Hengel, Martin & Schwemer, Anna M. 2007. Jesus und das Judentum. Tübingen: Mohr Siebeck. (Geschichte des frühen Christentums, Bd. 1).
Holmén, T. 1996. The Alternatives of the Kingdom. Encountering the
semantic restrictions of Luke 17,20–21 (ἐντὁς ὑμω̑ ν), in ZNW 87,
204–229.
Horn, F.W. 1996. Die synoptischen Einlaßsprüche, in ZNW 87,
187–203.
Jeremias, Joachim 1994. Neutestamentliche Theologie. Teil 1: Die Verkündigung Jesu. 4. Aufl. Gütersloh: Mohn.
Jungbluth, Rüdiger 2011. Im Himmel und auf Erden: Dimensionen von
Königsherrschaft im Alten Testament. Stuttgart: Kohlhammer.
(BWANT, 196).
32
Volker Gäckle
Klein, G. 1970. „Reich Gottes“ als biblischer Zentralbegriff, in: EvTh
30, 642–670.
Kümmel, Werner G. 1956. Verheissung und Erfüllung. Untersuchungen
zur eschatologischen Verkündigung Jesu. 3. Aufl. Zürich: ZwingliVerl. (AThANT, 6).
Kvalbein, H. 1997. The Kingdom of God in the Ethics of Jesus. Studia
Theologica 51, 60–84.
Kvalbein, H. 2003. The Kingdom of God and the Kingship of Christ in
the Fourth Gospel, in Aune, David E., u.a. (Hg.): Neotestamentica
et Philonica: Studies in honor of Peder Borgen. Leiden: Brill. (Supplements to Novum Testamentum, 106), 215–232.
Lehnardt, Andreas 2002. Qaddish. Tübingen, Berlin: Mohr Siebeck.
(TSAJ, 87).
Lindemann, A. 1986. Art. Herrschaft Gottes/Reich Gottes IV, in TRE
15, 196–218.
Luz, U. 1980. Art. βασιλεία, in EWNT I, 481–491.
Meier, John P. 1994. A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus. Vol.
II: Mentor, message, and miracles. New York, NY: Doubleday.
Merkel, Helmut 1991. Die Gottesherrschaft in der Verkündigung
Jesu, in Hengel & Schwemer 1991, 119–161.
Merklein, Helmut 1984. Die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip: Unters. zur Ethik Jesu. 3. Aufl. Würzburg: Echter. (Forschung zur Bibel, 34).
Räisänen, Heikki 2001. Exorcisms and the Kingdom. Is Q 11:20 a Saying of the Historical Jesus?, in Räisänen, Heikki (Hg.): Challenges
to biblical interpretation: Collected essays 1991–2000. Leiden: Brill.
(BIS, 59), 15–36.
Ratzinger, Joseph (Benedikt XVI.) 2007. Jesus von Nazareth, Bd. I. 2.
Aufl. Freiburg i. Br.: Herder.
Schröter, J. 2004. Art. Reich Gottes. III. Neues Testament, in RGG, 4.
Aufl. Band 7. Stuttgart: UTB, 204–209.
Schweitzer, Albert 1967. Reich Gottes und Christentum. Tübingen:
Mohr Siebeck.
Schwemer, Anna M. 1991. Gott als König und seine Königsherrschaft
in den Sabbatliedern aus Qumran, in Hengel & Schwemer 1991,
45–118.
Schwemer, Anna M. 2009. Das Kommen der Königsherrschaft Gottes in Lk 17,20f., in Hultgård, Anders & Norin, Stig (Hg.): Le Jour
de Dieu / Der Tag Gottes. Tübingen: Mohr Siebeck. (WUNT, 245),
107–138.
Gegenwärtige und zukünftige βασιλεία in der Verkündigung Jesu
33
Stuhlmacher, Peter 2012. Biblische Theologie des Neuen Testaments. Bd
I: Grundlegung. Von Jesus zu Paulus. 4. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Theißen, Gerd & Merz, Annette 1997. Der historische Jesus. 2. Aufl.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Weder, H. 1980. Art. εἰσέρχομαι, in EWNT I, 972–975.
Weder, Hans 1993. Gegenwart und Gottesherrschaft: Überlegungen zum
Zeitverständnis bei Jesus und im frühen Christentum. NeukirchenVluyn: Neukirchener Verl. (BThSt, 20).
Weiß, Johannes [1892] 1964. Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, hg. v. F.
Hahn. 3. Aufl. Göttingen.
Windisch, H. 1928. Die Sprüche vom Eingehen in das Reich Gottes, in
ZNW 27, 163–192.
Witherington III, Ben 1992. Jesus, Paul, and the end of the world: A comparative study in New Testament eschatology. Downers Grove, Ill:
InterVarsity Press.
Wolter, M. 1995. „Was heisset nu Gottes reich?“, in ZNW 86 (1995),
5–19.
Wrede, William 1907. Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, in Wrede,
William: Vorträge und Studien. Tübingen: Mohr Siebeck.
34
Volker Gäckle
Zukunftserwartungen
in der Offenbarung
des Johannes
Ulrich Neuenhausen1
Prolegomena
Wohl kaum ein Buch hat so viele unterschiedliche Deutungen,
umstrittene Exegesen und auch Widerspruch hervorgebracht
wie die Offenbarung. So füllt schon die Auslegungsgeschichte der Offenbarung ganze Bücher und Doktorarbeiten (Maier
1981; Böcher 1998). Ein ganzes Bündel von hermeneutischen
Vorentscheidungen bestimmt am Ende das Ergebnis der Exegese. Die wichtigsten möchte ich kurz nennen:
a. Die Bedeutung Israels im Verhältnis zur Gemeinde;
b. Die Bedeutung des 1000jährigen Reiches und der Zeitpunkt seines Eintretens;
c. Die Bedeutung der Zeichen oder Symbole in der
Offenbarung;
1
Neuenhausen, Ulrich MDiv, Leiter Forum Wiedenest, Lehrer an der BiblischTheologischen Akademie von Forum Wiedenest im Fachbereich Neues Testament und Missiologie.
d. Die Vorstellung von einer großen Trübsal als Abschluss
des jetzigen Zeitalters;
e. Die Vorstellung und Datierung der sogenannten
„Entrückung“;
f. Die Einschätzung von zeitlichen Abläufen: chronologische, thematische, überzeitlich-symbolische, endzeitliche Auslegung oder ein Mix aus diesen.
Allein diese sechs Bereiche machen deutlich, dass die Offenbarung wie kaum ein anderes Buch in ihrer Auslegung von
den Vorentscheidungen ihrer Exegeten abhängt. Ihre dogmatische Einstellung lässt sich mühelos aus ihren exegetischen
Entscheidungen herauslesen.
Wie lässt sich in einem kurzen Artikel dann zuverlässig
über die Zukunftserwartungen der Offenbarung sprechen,
ohne an allen exegetischen Fronten großen Widerspruch hervorzurufen? Welche Begriffe der Offenbarung sind wörtlich
zu verstehen, welche symbolisch? Stehen die zwölf Stämme in
Offenbarung 7 für das Volk Israel oder für die Gemeinde Jesu
Christi? Kann man diese Unterscheidung überhaupt treffen?
Sind die beiden Zeugen in Offenbarung 11 tatsächliche Personen oder ein Bild für die Gemeinde? Ist die Gemeinde von
der Geschichte ab Offenbarung 6 betroffen oder vorher schon
entrückt worden? Usw.
Leider erlaubt es die Kürze eines Artikels nicht, diese Fragen in Ausführlichkeit zu diskutieren. Deshalb konzentrieren
sich die Ausführungen weniger auf die grundlegenden dogmatischen Fragen oder auch die unterschiedlichen exegetischen
Ansätze als auf den Text selbst: Was ist wirklich erkennbar im
Text?
Diese Beschränkung mag auf manchen unbefriedigend
wirken, weil eine für ihn wichtige Auslegungsrichtung nicht
berücksichtigt wird oder ein wesentlicher Gedanke zu fehlen
scheint. Trotzdem ist solch ein Ansatz fair gegenüber dem
Textbefund, um den es in diesen Ausführungen geht. Wenn
beispielsweise ein Tausendjähriges Reich in der gesamten Bibel nur zwei Mal in zwei Versen in Offenbarung 20 erwähnt
36
Ulrich Neuenhausen
wird, dann laufen aufgrund des dünnen Textbefundes alle
Spekulationen über seine Gestalt, sein Wesen und seinen
Sinn ins Leere. Die Idee, alle ungeklärten Prophetien des Alten Testamentes in ein Tausendjähriges Reich zu „verlegen“,
und sich somit der näheren Exegese und Anwendung dieser
Prophetien auf die Zeit heute zu entziehen, erleichtert zwar
die exegetische Arbeit, bewegt sich aber an vielen Stellen im
Bereich der Fantasie und Vermutung.
Zukunftserwartungen in der Offenbarung des
Johannes
Eigentlich müsste dieser Titel überraschen, denn was ist die
Offenbarung anderes als Beschreibung der Zukunft? Die Offenbarung des Johannes ist tatsächlich weitaus mehr als ein
göttliches Horoskop oder eine Landkarte einer fernen Endzeit
(Pohl 1996:41f).
Bevor es deshalb um die Zukunftserwartungen und damit
auch um das Reich Gottes in der Offenbarung des Johannes
geht, muss die präsentische Bedeutung dieses Buches wahrgenommen werden.
Gegenwart in der Offenbarung
Das erste Wort der Offenbarung ist „Offenbarung“ (apokalypsis). Dieser Begriff bedeutet, dass keine historischen Beschreibungen oder Geschichten der Vergangenheit erzählt werden,
sondern Dinge, die der Seher von Gott offenbart bekam und
die sich auf eine Zukunft beziehen, die von außen in diese
Welt einbricht (Pohl 1996:32f). Typisch für diese Gattung ist
deshalb auch, dass der Prophet selbst nicht alles versteht, was
er sieht und hört. An einigen Stellen bekommt er deshalb Hilfe durch einen Deuter (Mounce 1977:21), wie zum Beispiel im
folgenden Text:
Und einer von den Ältesten begann und sprach zu
mir: Diese, die mit weißen Gewändern bekleidet
Zukunftserwartungen in der Offenbarung des Johannes
37
sind – wer sind sie, und woher sind sie gekommen? Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt
es. Und er sprach zu mir: Diese sind es, die aus
der großen Bedrängnis kommen, und sie haben
ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht
im Blut des Lammes. (Offb 7,13–14)2
Die ersten Verse in Offenbarung 1 nennen jedoch noch
zwei andere Gattungen (Unterstreichungen vom Autor):
Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gab, um seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muß;
und indem er sie durch seinen Engel sandte, hat
er sie seinem Knecht Johannes kundgetan, der das
Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi bezeugt
hat, alles, was er sah. Glückselig, der liest und die
hören die Worte der Weissagung und bewahren,
was in ihr geschrieben ist! Denn die Zeit ist nahe.
Johannes den sieben Gemeinden, die in Asien
sind: Gnade euch und Friede von dem, der ist und
der war und der kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind,… (Offb 1,1–4)
Neben der Apokalypse wird auch die Weissagung oder Prophetie genannt. Beale nennt die Offenbarung des Johannes
deshalb ein apokalyptisch-prophetisches Werk (1999:38). In
Vers 4 setzt sich der Text dann als Brief fort. Während die Apokalypse von einer Zukunft spricht, die nicht notwendigerweise von dieser Gegenwart aus entsteht, ist die Prophetie nach
Mounce (1977:19) in ihrem Appell immer gegenwartsbezogen
– sie will Menschen der Gegenwart ansprechen, verändern,
zur Buße rufen, ermutigen usw. Das wird in der Offenbarung
anhand der eingeschobenen Aufforderungen deutlich:
Wenn jemand ein Ohr hat, so höre er! Wenn jemand in Gefangenschaft geht, so geht er in Gefangenschaft; wenn jemand mit dem Schwert
getötet wird, so muss er mit dem Schwert getötet
2
38
Biblische Texte sind – sofern nicht anders vermerkt – der revidierten Elberfelder Übersetzung von 2006 entnommen.
Ulrich Neuenhausen
werden. Hier ist das Ausharren und der Glaube
der Heiligen. (Offb 13,9–10)
Als Brief ist die Offenbarung an wirklich existierende Gemeinden im ersten Jahrhundert gerichtet, sowohl in Offenbarung 2–3 mit den sogenannten Sendschreiben, als auch als
ganzes Buch (Bauckham 1993:2). Sie spricht deren akute Probleme an, ermahnt, ermuntert und bezieht sich dabei auf die
historische und lokale Situation dieser Gemeinden.
Wenn wir also von „Reich Gottes“ in der Offenbarung
sprechen, dann kann sich das schlecht auf das Tausendjährige Reich beschränken, das erst im 20. Kapitel überhaupt
erwähnt und auch dort mit nur sehr wenigen Worten beschrieben wird. Bietenhard erklärt, wie in Kommentaren der
dispensationalistischen Richtung die ansonsten kargen Verse
in Offenbarung 20 durch Kombination mit alttestamentlichen
Weissagungen „amplifiziert“ werden (1955:35). Darin gleiche
die Erwartung der christlichen „Chiliasten“ denen der jüdischen Theologen, die noch auf den Messias warten. Das Reich
Gottes sei dann eine rein zukünftige Größe.
„Reich Gottes“ ist jedoch auch in der Offenbarung eine
schon präsentische Größe. Neun Mal kommt der Begriff
„Reich“ oder „Königreich“ (basileia) in der Offenbarung vor,
vier Mal als Reich des Tieres, vier Mal als Reich Gottes, und ein
Mal als das Reich der Welt, das Gott übergeben wird. Sieben
Mal kommt das korrespondierende Verb „herrschen“ in der
Offenbarung vor (basileusein), und zwar nur für Gottes Herrschaft und die seiner Leute. Vom Tier wird an keiner Stelle
gesagt, dass es herrschen würde.
Die Offenbarung beschreibt die Herrschaft Gottes und
den Aufstand des Tieres gegen diese Herrschaft (Bauckham
1993:68). Das „Tier“ ist nach der Offenbarung eine Mehrzahl
von Herrschern, die im Auftrag des Drachen, also des Teufels,
handeln. Diese Mehrzahl ergibt sich sofort aus dem Bild, mit
dem das Tier dargestellt wird:
Und ich sah aus dem Meer ein Tier aufsteigen,
das zehn Hörner und sieben Köpfe hatte, und auf
Zukunftserwartungen in der Offenbarung des Johannes
39
seinen Hörnern zehn Diademe und auf seinen
Köpfen Namen der Lästerung.
(Offb 13,1)
Die Hörner und Köpfe werden später als Könige gedeutet:
Die sieben Köpfe sind sieben Berge, auf denen die
Frau sitzt. Und es sind sieben Könige. ( Offb 17,9)
Und die zehn Hörner, die du gesehen hast, sind
zehn Könige, die noch kein Königreich empfangen haben, aber mit dem Tier eine Stunde Macht
wie Könige empfangen.
(Offb 17,12)
Das Ziel der Könige ist, dass der Drache angebetet wird.
Ihr Mittel ist Herrschaft. Dem steht die Herrschaft Gottes gegenüber, dessen Beauftragter auch ein Tier ist, nämlich ein
Lamm. Die folgende Tabelle stellt zwei zentrale Textaussagen
zu diesen beiden Herrschaften gegenüber:
Herrschaft des Lammes
Herrschaft des Tieres
Nach diesem sah ich: und
siehe, eine große Volksmenge,
die niemand zählen konnte,
aus jeder Nation und aus
Stämmen und Völkern und
Sprachen, stand vor dem
Thron und vor dem Lamm,
bekleidet mit weißen Gewändern und Palmen in ihren
Händen. Und sie rufen mit
lauter Stimme und sagen:
Das Heil unserem Gott, der
auf dem Thron sitzt, und
dem Lamm!
Und es wurde ihm gegeben,
mit den Heiligen Krieg zu
führen und sie zu überwinden; und es wurde ihm Macht
gegeben über jeden Stamm
und jedes Volk und jede Sprache und jede Nation. Und
alle, die auf der Erde wohnen,
werden ihn anbeten, jeder,
dessen Name nicht geschrieben ist im Buch des Lebens
des geschlachteten Lammes
von Grundlegung der Welt
an.
(Offb 7,9–10, Elberfelder 1997)
(Offb 13,7–8, Elberfelder 1997)
Kampf um Anbetung
Adolf Pohl sieht in der Offenbarung einen Kampf um Anbetung (1996:20f). Macht über die Menschen bedeutet, ihre Verehrung und Anbetung zu sichern. Anerkennung der Macht
40
Ulrich Neuenhausen
des Tieres oder der Macht Gottes ist eine Form der Anbetung.
Die Verbindung von Anbetung und Herrschaft zeigt sich in
dem Wort selbst: proskynein bedeutet „die Knie beugen“ und
wird in der Offenbarung mit Anbetung übersetzt – als Anerkennung einer Herrschaft, verbal, zeichenhaft und auch im
Lebensvollzug. Deshalb geht es in der Offenbarung um Beides:
Die Anbetung Gottes oder des Satans, und die Herrschaft Gottes oder des Satans.
Das Tier des Satans erringt seine Macht, indem es die Heiligen besiegt (Offb 13,7, Elberfelder 1997). Die Heiligen bzw. die
Gemeinde sind im Neuen Testament ein sehr wichtiger Aspekt
der Herrschaft Gottes auf der Erde, sie sind das Zeichen und
die Botschaft Seiner Herrschaft:
…damit jetzt den Gewalten und Mächten in der
Himmelswelt durch die Gemeinde die mannigfaltige Weisheit Gottes zu erkennen gegeben werde…
(Eph 3,10, Elberfelder 1997)
Ihre Mission hält das Böse in der Welt auf und hindert es
daran, unbegrenzt zu wuchern:
Und jetzt wißt ihr, was zurückhält, damit er zu
seiner Zeit geoffenbart wird. Denn schon ist das
Geheimnis der Gesetzlosigkeit wirksam; nur offenbart es sich nicht, bis der, welcher jetzt zurückhält, aus dem Weg ist.
(2 Thess 2,6b–7, Elberfelder 1997)
Deshalb muss der Satan, um sein Ziel zu erreichen, erst die
Gemeinde aus dem Weg räumen. Zwei Mal taucht dieser Gedanke in der Offenbarung auf:
Und wenn sie ihr Zeugnis vollendet haben werden, wird das Tier, das aus dem Abgrund heraufsteigt, Krieg mit ihnen führen und wird sie
überwinden und sie töten.
(Offb 11,7)
Und es wurde ihm gegeben, mit den Heiligen Krieg
zu führen und sie zu überwinden.
(Offb 13,7)
Dieser Sachverhalt wirft ein wichtiges Licht auf das Verständnis von Reich Gottes in der Offenbarung des Johannes.
Zukunftserwartungen in der Offenbarung des Johannes
41
Dieses Reich ist die universale Herrschaft Gottes, der sich
alle Mächte letztendlich beugen müssen. Bevor es jedoch
zu dieser sichtbaren Herrschaft kommt, erlebt die Gemeinde Gottes auf Erden einen Tiefpunkt, was ihre Macht, ihre
Mission und ihren Einfluss auf die Gesellschaft betrifft. Die
Offenbarung zeichnet diesen Tiefpunkt wie eine Niederlage
in einem Krieg, nach der die Besiegten ihre Macht und möglicherweise sogar ihr Leben verlieren. Deshalb scheint der
Kampf um Anbetung für eine kurze Zeit zugunsten des Satans auszugehen.
Thron
Ein weiteres Stichwort zeichnet das Bild vom Kampf um
die Herrschaft Gottes oder des Satans: Thron. Vierzig Mal
kommt „Thron“ in der Offenbarung vor, im ganzen übrigen Neuen Testament nur noch zehn Mal. Der Thron war
für den antiken Menschen, was für einen Deutschen heute
das Bundeskanzleramt oder das Parlament ist: Zentrum der
Macht. Gott auf dem Thron bedeutet, dass Gott regiert, dass
er Herrscher ist, dass er das ist, was der Kaiser in Rom gerne
wäre: Herrscher über die ganze Welt. Diese Vision von Gott
als Herrscher ist nun nicht auf die Zukunft beschränkt. Im
Gegenteil, Gottes Herrschaft bedeutet konkrete und intensive Einmischung in die geschichtlichen Vorgänge auf der
Erde.
Zwei große Bilder zeigen Gott in seiner Herrschaft: Der
Thronsaal im Himmel und der Tempel im Himmel. Die Kaiser
verstanden sich immer gleichzeitig als weltliche Herrscher
und göttliche Inkarnationen, Priester oder Medien. Genauso
geht das weltliche Bild vom Thronsaal Gottes Hand in Hand
mit dem religiösen Bild vom Tempel. Wie das Tier nicht ohne
metaphysische Autorisierung herrschen kann (Offenbarung
13,4), so wird die Macht Gottes sowohl weltlich wie auch metaphysisch dargestellt in den Bildern von Thron und Tempel.
Dabei folgen diese Bilder einem bestimmten Schema (Neuenhausen 2011:13):
42
Ulrich Neuenhausen
Wie in einer Zickzack-Kurve geht der Blick in der Offenbarung ständig von unten nach oben und zurück. Es ist, als
wollte die Offenbarung Erde und Himmel verbinden. Tatsächlich ist der Sinn der Visionen, die zwischen Erde und
Himmel wechseln, die Vorgänge auf der Erde mit den Plänen
im Himmel zu verknüpfen. Egal, was auf der Erde geschieht,
es ist im Himmel schon vorgedacht. Selbst wenn der Satan
persönlich agiert und die Erde tyrannisiert, bleibt die volle
Kontrolle bei Gott. Ihm entgleitet nichts, er ist vom Anfang
bis zum Ende der souveräne und unumstrittene Herrscher.
So kommen selbst die Katastrophen, die in Offenbarung 6
einsetzen, direkt von seinem Thron:
Und ich sah, als das Lamm eines von den sieben
Siegeln öffnete, und hörte eines von den vier lebendigen Wesen wie mit einer Donnerstimme sagen: Komm! (Offb 6,1)
Die Katastrophen sind Teil von Gottes Plan, Menschen zur
Buße zu rufen:
Und sie taten nicht Buße von ihren Mordtaten,
noch von ihren Zaubereien, noch von ihrer Unzucht, noch von ihren Diebstählen.(Offb 9,20–21)
Zukunftserwartungen in der Offenbarung des Johannes
43
Gott regiert in dieser Welt. Sein Gegner ist der Satan,
das Kampffeld sind die Menschen, das Ziel ist die Anbetung.
Wenn Menschen sich für die Anbetung Gottes entscheiden,
hängt das mit Buße und einem neuen Lebensstil zusammen.
Die Mittel Gottes, Menschen aus dem Reich dieser Welt in das
Reich des Messias hinein zu führen, sind Rettung und Gericht
(Bauckham 1993:67).
Im Gegenzug beruht die Anbetung des Satans nicht auf
„Buße“ und „Erneuerung“ des Menschen, sondern auf Zwang mit
anschließender Kapitulation vor einem scheinbar Mächtigeren:
Und es tut große Zeichen, daß es selbst Feuer vom Himmel vor den Menschen auf die Erde
herabkommen läßt; und es verführt die, welche
auf der Erde wohnen, wegen der Zeichen, die vor
dem Tier zu tun ihm gegeben wurde, und es sagt
denen, die auf der Erde wohnen, dem Tier, das die
Wunde des Schwertes hat und wieder lebendig
geworden ist, ein Bild zu machen. Und es wurde
ihm gegeben, dem Bild des Tieres Odem zu geben,
so daß das Bild des Tieres sogar redete und bewirkte, daß alle getötet wurden, die das Bild des
Tieres nicht anbeteten.
(Offb 13,13–15)
In der Auseinandersetzung zwischen Gott und Satan gebraucht Letzterer sehr direkte Mittel, Menschen für sich zu
gewinnen, während die Herrschaft Gottes nur indirekt durch
Plagen von den Menschen erlebt wird. Deshalb scheint die
Anerkennung der Herrschaft des Satans eine offensichtliche
Notwendigkeit, die sowohl wirtschaftlich als auch zum Überleben überhaupt unabdingbar ist. Die Anerkennung der noch
unsichtbaren Herrschaft Gottes dagegen ist eine Frage des
Glaubens. Auf der sichtbaren Seite sind die Anbeter des wahren Gottes zunächst Verlierer, die durch die Verweigerung
der Anbetung des Satans nur Nachteile erleben. Sie erleben
sich als Besiegte, während die ganze Welt dem falschen Gott
zujubelt. Der Grund für dieses Schicksal wird in der Mitte der
Offenbarung erläutert, im zwölften Kapitel.
44
Ulrich Neuenhausen
Herrschaft der Überwinder
Das Kapitel 12 der Offenbarung bildet eine Art theologische
Mitte des Buches. In wenigen Worten wird von der Geburt und
Himmelfahrt des Christus erzählt:
Und ein großes Zeichen erschien im Himmel:
Eine Frau, bekleidet mit der Sonne, und der Mond
war unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt ein
Kranz von zwölf Sternen. Und sie ist schwanger
und schreit in Geburtswehen und in Schmerzen
und soll gebären. Und es erschien ein anderes
Zeichen im Himmel: und siehe, ein großer, feuerroter Drache, der sieben Köpfe und zehn Hörner
und auf seinen Köpfen sieben Diademe hatte; und
sein Schwanz zieht den dritten Teil der Sterne
des Himmels fort; und er warf sie auf die Erde.
Und der Drache stand vor der Frau, die im Begriff
war, zu gebären, um, wenn sie geboren hätte, ihr
Kind zu verschlingen. Und sie gebar einen Sohn,
ein männliches Kind, der alle Nationen hüten soll
mit eisernem Stab; und ihr Kind wurde entrückt
zu Gott und zu seinem Thron. Und die Frau floh
in die Wüste, wo sie eine von Gott bereitete Stätte
hat, damit man sie dort ernähre 1260 Tage. (Offb 12, 1–6)
Ein Drache verfolgt den Christus, erreicht ihn aber nicht.
Dieser Drache ist der Satan selbst:
Und es wurde geworfen der große ­Drache, die
alte Schlange, der Teufel und Satan genannt wird,
der den ganzen Erdkreis verführt, geworfen wurde er auf die Erde, und seine Engel wurden mit
ihm geworfen. (Offb 12,9)
Da er den Christus nicht töten kann, verfolgt er die, aus
denen der Christus kam: Im Bild der Offenbarung ist das eine
Frau. Sie ist aber nicht einfach nur Maria, die Mutter Jesu, wie
es Rist (1957; zitiert in Mounce 1977:236) versteht, sondern
Zukunftserwartungen in der Offenbarung des Johannes
45
ihre Darstellung mit Sonne, Mond und elf Sternen verweist
auf die Josefsgeschichte und den berühmten Traum, den Josef
von sich und seiner Familie hatte:
Und er hatte noch einen anderen Traum, auch
den erzählte er seinen Brüdern und sagte: Siehe, noch einen Traum hatte ich, und siehe, die
Sonne und der Mond und elf Sterne beugten sich
vor mir nieder. Und er erzählte es seinem Vater
und seinen Brüdern. Da schalt ihn sein Vater und
sagte zu ihm: Was ist das für ein Traum, den du
gehabt hast? Sollen wir etwa kommen, ich und
deine Mutter und deine Brüder, um uns vor dir
zur Erde niederzubeugen?
(Genesis 37,9–10)
Die Frau ist Israel, das auf seinen Messias, seinen Christus
wartet (Beale 1999:626). Insofern ist sie auch Maria, die zu diesem Israel gehört, ebenso aber auch Josef, Elisabeth, Zacharias,
Hanna, etc. Man könnte deshalb die Frau das messianische Israel oder die messianische Gemeinschaft (:624) nennen.
In diesem Zusammenhang ist der Drache, der das Kind am
liebsten schon direkt nach der Geburt verschlingen will, auch
in der Person des Herodes verkörpert, der den neugeborenen
Jesus töten lassen will. Warum dieser Hass auf Jesus? Das wird
in einer kurzen Bemerkung deutlich, die die einzige Beschreibung dieses Kindes darstellt:
Und sie gebar einen Sohn, ein männliches
Kind, der alle Nationen hüten soll mit eisernem
Stab. (Offb 12,5)
Es geht um Macht, um Herrschaft, also um das Reich Gottes. Der Christus, der geboren wird, ist nichts anderes als der
gesalbte König Gottes, der ewige Herrscher, der Gottes Herrschaft auf Erden durchsetzen wird. In Offenbarung 13 wird
geschildert, wie der Drache, der Teufel, seine Herrschaft auf
Erden durchsetzt. Dabei geht es im letzten darum, wer die Anbetung und Verehrung der Menschen bekommt. Der König,
der im messianischen Israel geboren wird, ist direkte Konkurrenz und Bedrohung der Pläne des Satans, denn der Messias
46
Ulrich Neuenhausen
ist der König, der einen letzten Sieg Satans verhindert. Er ist
der Gesalbte, dem die Anbetung aller Menschen gehören wird.
In ihm verdichtet sich die Niederlage des Satans:
Und es entstand ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften mit dem Drachen.
Und der Drache kämpfte und seine Engel; und
sie bekamen nicht die Übermacht, und ihre Stätte wurde nicht mehr im Himmel gefunden. Und
es wurde geworfen der große Drache, die alte
Schlange, der Teufel und Satan genannt wird, der
den ganzen Erdkreis verführt, geworfen wurde er
auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm geworfen. Und ich hörte eine laute Stimme im Himmel sagen: Nun ist das Heil und die Kraft und das
Reich unseres Gottes und die Macht seines Christus gekommen; denn hinabgeworfen ist der Verkläger unserer Brüder, der sie Tag und Nacht vor
unserem Gott verklagte. Und sie haben ihn überwunden wegen des Blutes des Lammes und wegen
des Wortes ihres Zeugnisses, und sie haben ihr
Leben nicht geliebt bis zum Tod! (Offb 12,7–11)
Obwohl man die Kreuzigung Jesu sicher als Sieg des Teufels
verstehen kann,3 findet sich dieser Gedanke nicht in dem Bild
von Offenbarung 12 wieder. Der Drache kann das Kind nicht
verschlingen, und es fährt schließlich zu Gott auf. Der Tod am
Kreuz war zwar ein teuflischer Gedanke, aber nicht das Ende
der Königsherrschaft Jesu.
Ein Reich ohne Anklage
Im Himmel kommt es infolge der Himmelfahrt des Messias
zum Kampf. Dieser Kampf ist sicher nicht wörtlich zu verstehen, da ja Johannes schon vorher darauf hinwies, dass sowohl
Frau wie auch Drache Zeichen sind. Der Sieg besteht dann
auch nicht darin, dass ein Drache umgebracht wurde, sondern
3
Dafür spricht zum Beispiel, dass der Verrat des Judas geschah, nachdem der
Teufel in ihn gefahren war (Joh 13,2).
Zukunftserwartungen in der Offenbarung des Johannes
47
dass der „Verkläger unserer Brüder“ aus dem Himmel fliegt,
also praktisch seinen Job verliert. Der Drache ist im Himmel
dadurch besiegt, dass er Gottes Leute nicht mehr anklagen
kann. Er hat im Himmel kein Existenzrecht mehr. Aus Hiob ist
noch in Erinnerung, wie er versucht, Gott deutlich zu machen,
dass es keine echten Anbeter gibt:
Und der Satan antwortete dem HERRN und sagte: Ist
Hiob etwa umsonst so gottesfürchtig? (Hiob 1,9)
Satan erklärt, dass Menschen Gott nur um gewisser Vorteile willen dienen würden, nicht aus ganzem Herzen. Gott habe
quasi niemanden, der ihn wirklich liebt. Ähnlich ist sicher
auch die Vorstellung in Offenbarung 12. Satan verklagt Menschen, um Gott davon abzuhalten, sie zu lieben. Als der Messias Gottes in den Himmel aufgefahren ist, ist diese Klage nicht
mehr möglich. Im Christus gilt das vollständige Ja Gottes für
alle Menschen, die sich zu ihm wenden. Deshalb die Erklärung
in Vers 11, dass der Sieg über den Gegner auf dem Blut des
Lammes und dem Zeugnis seiner Anhänger beruht.
Das Reich des Christus beginnt mit der Himmelfahrt und
dem Sieg über den Satan. Es ist ein Reich, in dem Anklage gegen Schwestern oder Brüder im Glauben nicht mehr möglich
sind. An diesem Reich und damit an diesem Sieg haben alle
Menschen Anteil, die auf das Blut und seine Kraft zur Vergebung bauen und sich zum gesalbten König Jesus bekennen.
Mit dem letzten Satz in Vers 11 leitet der Abschnitt in einige unerwartete Sachverhalte über: Die Tatsache, dass das
Reich Gottes und die Macht Christi begonnen hat, führt nun
nicht in paradiesische Verhältnisse auf Erden oder zu einer
kompletten Befriedung aller Völker und einem Ausmerzen
des Bösen, sondern im Gegenteil:
… sie haben ihr Leben nicht geliebt bis zum Tod!
Darum seid fröhlich, ihr Himmel, und die ihr
in ihnen wohnt! Wehe der Erde und dem Meer!
Denn der Teufel ist zu euch hinab gekommen und
hat große Wut, da er weiß, dass er nur eine kurze
Zeit hat.
(Offb 12,11b–12)
48
Ulrich Neuenhausen
Das beginnende Reich Gottes führt zum Aufruhr seines
schlimmsten Gegners. Er kann Gott nicht mehr vom Menschen abbringen – nun versucht er, Menschen von Gott abzubringen. Das bedeutet für die Bekenner teilweise den Tod. Ab
sofort ist der Glaube an das Leben in Christus lebensgefährlich. Der Glaube an das Königreich Gottes bringt Menschen
in ohnmächtige Positionen, und die Hoffnung auf Gottes
Schalom bewirkt gefährlichen Unfrieden in der Auseinandersetzung mit Menschen, Gesellschaft und Politik. So wird die
politische Führung in Offenbarung 17 und 18 zum teuflischen
Doppelgespann zweier Tiere die vom Satan selbst eingesetzt
sind: Wirtschaft und Handel werden zur Hure, die es mit der
ganzen Welt treibt (McLaren 2008:150ff), und die, die jetzt
schon zum Reich Gottes gehören, werden zum schlimmsten
Feind der wirtschaftlichen und politischen Kräfte (Bauckham
1993:35f).
Welche Folgerungen hat das für das Verständnis vom
Reich Gottes?
1. Im Kräftespiel der Mächte sind die Anhänger von Jesus die
Opfer. Sie werden nirgends im Neuen Testament dazu aufgefordert, mit Gewalt und Macht die Verhältnisse zu ändern. Ihre Haltung ist von Geduld geprägt.4 Gerechtigkeit
erzwingen und Vergeltung üben sind Sache des Gerichts,
nicht der Kirche. Ihre Aufgabe ist es aktiv zu warten und
das Reich Gottes in Wort und Tat auf der Erde bekannt zu
machen.
2. Jesu Nachfolger sind Bewohner des Reiches Gottes mitten
im Reich des Tieres. Insofern stellen sie eine Bedrohung
und ein Hindernis für das Reich des Tieres dar. Ihr Gegner wird nicht ruhen, bis er die Kraft dieses Reiches Gottes zum Stillstand gebracht hat. Das Reich des Tieres ist
4
Dafür wird das Wort hypomonein gebraucht, was so viel wie „unter <einer Situation> bleiben“ bedeutet und oft mit „ausharren“ übersetzt wird. Oft findet
sich dieser Begriff im Kontext von „Trübsal“ oder „Verfolgung“, so z.B. in
Lukas 21,9, Römer 5,3f, 2. Korinther 6,4, 2. Timotheus 2,12, Hebräer 10,36, Jakobus 1,3 und 5,11, Offenbarung 1,9.
Zukunftserwartungen in der Offenbarung des Johannes
49
sowohl Macht als auch Verführung, ist sowohl Bedrohung
und Verfolgung als auch Versuchung zu Kompromissen
und dazu, Christus nur mit halbem Herzen nachzufolgen.
Solange die Gemeinde existiert und Kraft hat, ringt sie um
ein Leben für die Gesellschaft im Kontrast zur Gesellschaft.
Sie existiert noch, damit Menschen sehen, was das Reich
Gottes ist. Sie ist Kontrast, weil ihr Herr noch kommt und
ihre Verantwortung im Letzten immer die vor Gott ist.
Deshalb kann die Gemeinde es aushalten, dass ihr Verhalten, ihre Liebe und ihre Botschaft in dieser Welt irrational
scheinen, weil die Gottlosigkeit als Gewinn und Geld als
Gott angesehen werden.
3. Leben im Reich Gottes ist Leben in der Freiheit von Anklage. Allein dieser Umstand hat eine weitreichende Bedeutung für den praktischen Lebensvollzug der Bewohner des
Reiches Gottes. Wenn es keine Anklage mehr vor Gottes
Gericht gibt, gibt es auch keine Klage mehr übereinander.
Die Qualität von Gemeinschaft verändert sich und wird so
wiederum Zeichen der Herrschaft Gottes.
4. Beide Größen, das Reich Gottes und das Reich des Tieres,
sind jetzt schon real:
Kinder, es ist die letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, daß der Antichrist kommt, so sind
auch jetzt viele Antichristen aufgetreten; daher
wissen wir, daß es die letzte Stunde ist.“
(1 Joh 2,18)
5. Die Herausforderung, dem Tier zu widerstehen und sich an
den König des Reiches Gottes zu klammern, gilt seit dem
ersten Jahrhundert bis heute – und nicht erst für eine ferne
Zeit. Sie gilt unter Hitler so wie unter Kim Yong-un, unter
Barack Obama wie unter Angela Merkel. Mal ist sie größer, mal kleiner. Mal besteht sie im Widerstand gegen den
Druck von oben, mal in der Standhaftigkeit gegen Versuchung von unten. Sie wehrt sich gegen die Verführung des
Geldes genauso wie gegen die Unterdrückung der Schwachen und die Ungerechtigkeit der Mächtigen. Sie ringt um
50
Ulrich Neuenhausen
das Leben von Ungeborenen im Mutterleib genauso wie
um die faire Bezahlung von Textilarbeitern in Bangladesh.
Die Gemeinde riskiert jederzeit ihr Leben, ihren Komfort,
ihre Anerkennung, ihre Besitztümer für das Reich Gottes,
weil die Schönheit dieses Reiches noch bevorsteht.
Das Tausendjährige Reich
Und ich sah einen Engel aus dem Himmel herabkommen, der den Schlüssel des Abgrundes und
eine große Kette in seiner Hand hatte. Und er griff
den Drachen, die alte Schlange, die der Teufel und
der Satan ist; und er band ihn tausend Jahre und
warf ihn in den Abgrund und schloss zu und versiegelte über ihm, damit er nicht mehr die Nationen verführe, bis die tausend Jahre vollendet sind.
Nach diesem muss er für kurze Zeit losgelassen
werden. Und ich sah Throne, und sie setzten sich
darauf, und das Gericht wurde ihnen übergeben;
und ich sah die Seelen derer, die um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen enthauptet worden waren, und die, welche das Tier
und sein Bild nicht angebetet und das Malzeichen
nicht an ihre Stirn und an ihre Hand angenommen
hatten, und sie wurden lebendig und herrschten
mit dem Christus tausend Jahre.
(Offb 20,1–4)
Das Reich des Tieres wird vernichtet, und stattdessen beginnt das Reich des Christus. Die Besonderheit dieses Reiches
ist, dass es nicht mehr in der Auseinandersetzung zwischen
den beiden Reichen, dem des Lammes und dem des Tieres,
lebt. Der Satan wird gebunden und kann nicht gegen das
Reich des Christus aktiv werden. Einer der fatalsten Irrtümer der Kirche ist meines Erachtens die Auffassung gewesen,
das Tausendjährige Reich habe mit der Kirche schon begonnen (Bietenhard 1955:128f; Thiessen 2007:99). So wurde jede
kirchliche und die von ihr abgesegnete weltliche Macht zur
Macht Christi, nicht hinterfragbar und nicht absetzbar. Jedes
Zukunftserwartungen in der Offenbarung des Johannes
51
Unrecht dieser Mächte war von vornherein gerecht gesprochen, jede himmelschreiende Grausamkeit göttliches Gericht,
jede Benachteiligung und Unterdrückung göttliches Schicksal, jeder Aufstand zwecklos und Anlass zur Exkommunikation. Das Tausendjährige Reich als schon begonnenes Zeitalter
der Kirche oder langsam verwirklichte Utopie verführt die
Nachfolger Jesu dazu, sich die Macht selbst zu nehmen, die
ihnen erst von Christus verliehen werden sollte. Es ist besonders auf die Auswahl derer zu achten, die sich mit Christus in
Offenbarung 20 auf den Thron setzen: Es sind die Machtlosen,
Verfolgten, Unterdrückten, Ungerechtigkeit Erleidenden, die,
die sich dem Tier widersetzen, auch wenn es sie alles kostet
(Frey 1953:191). Es sind nicht die Kompromissbereiten, die
Kollaborateure der Macht, die Verwalter des Reichtums der
Kirche, die Soldaten und Generäle der Christenheit. Die Macht
Christi bleibt eine zukünftige Größe, bis Jesus Christus sichtbar wiederkommt. Wer sie in die Gegenwart zieht, glaubt an
Utopien, folgt den Versprechen der Mächtigen, beherzigt die
Vorschläge der Hure Wirtschaft und stürzt am Ende zusammen mit den Reichen dieser Welt.
Das Friedensreich und der Christus
Niemand kann das Buch öffnen, das mit sieben Siegeln versiegelt ist. Kein Mächtiger, kein König, kein Herrscher der
Massen, kein Ideologe, kein Wirtschaftsgenie, kein Politiker
kann das Friedensreich herbei führen, das Gott im Alten Bund
schon verheißen hatte:
Und ich sah einen starken Engel, der mit lauter
Stimme ausrief: Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu brechen? Und niemand in
dem Himmel, auch nicht auf der Erde, auch nicht
unter der Erde konnte das Buch öffnen noch es
anblicken. Und ich weinte sehr, weil niemand für
würdig befunden wurde, das Buch zu öffnen noch
es anzublicken. Und einer von den Ältesten spricht
zu mir: Weine nicht! Siehe, es hat überwunden
52
Ulrich Neuenhausen
der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids,
um das Buch und seine sieben Siegel zu öffnen.
(Offb 5,2–5)
Der Löwe aus Juda ist der einzige, der die Weltgeschichte in
dieses Friedensreich hineinführen kann. Er ist ein König, wie
der Hinweis auf David deutlich macht. Er ist die Erfüllung der
Verheißung aus dem Alten Testament:
Juda ist ein junger Löwe; vom Raub, mein Sohn,
bist du hochgekommen. Er kauert, er lagert sich
wie ein Löwe und wie eine Löwin. Wer will ihn
aufreizen? Nicht weicht das Zepter von Juda,
noch der Herrscherstab zwischen seinen Füßen
weg, bis daß der Schilo kommt, dem gehört der
Gehorsam der Völker.
(Gen 49,9f)
Ihm gehört der Gehorsam aller Völker. Er ist der Löwe,
dem niemand seine Macht streitig machen kann. Johannes
sucht nach diesem Löwen und sieht:
Und ich sah inmitten des Thrones und der vier
lebendigen Wesen und inmitten der Ältesten ein
Lamm stehen wie geschlachtet…
(Offb 5,6)
So wie seine Nachfolger ging auch Jesus seinen Weg zur
Herrschaft über das Leiden und den Tod. Der Löwe ist ein
Lamm. Die königliche Gemeinde ist Opfer der Mächte dieser
Welt. Die zukünftigen Herrscher sind jetzige Verfolgte. Beides
bedingt sich:
Freut euch, insoweit ihr der Leiden des Christus teilhaftig seid, damit ihr euch auch in der Offenbarung
seiner Herrlichkeit jubelnd freut! (1 Petr 4,13)
und:
…wenn wir ausharren, werden wir auch mitherrschen.
(2 Tim 2,12)
Prämillenniarismus pro und contra
Klingt die Lehre des Prämillenniarismus nicht zu sehr nach
„irdischem Jammertal“, durch das man sich irgendwie
hindurchkämpft, um das eigentliche Leben in einer noch
Zukunftserwartungen in der Offenbarung des Johannes
53
einzutretenden Zukunft zu erhalten? Nimmt der Prämillenniarismus nicht alle Hoffnung und Motivation, sich für die
Verbesserung der Verhältnisse auf dieser Erde einzusetzen?
Macht er nicht sogar gleichgültig gegenüber den Menschen
und der Umwelt dieser Erde (Schnabel 1993:95)? Für die Offenbarung ist das Reich des Christus als sichtbares politisches Reich eine zukünftige Größe. Alles bis zu diesem Reich ist Kampf der beiden Reiche: dem der Gemeinde
und dem des Tieres. Sowohl der Gedanke einer großen Trübsal am Ende der Zeit als auch der einer Entrückung vor dieser
Trübsal fehlen vollständig in der Offenbarung. Christen sind
nicht auf der Flucht aus dieser Zeit, sondern ringen um das
Reich Gottes. Sie sind dabei nicht die politischen Verwirklicher dieses Reiches, sondern stehen als Vertreter, als Boten
für Gottes Reich mitten in dieser Welt. Sie sind wie die ständige
Vertretung, die Botschaft eines fernen Landes, deren Personal
für das Heimatland steht, doch im Gastland lebt. Sie leben in
der Welt als Fremde, aber mit einem Auftrag; als Wanderer,
aber mit einer Aufgabe. Sie setzen Zeichen durch ihr Handeln,
sie fallen auf durch ihre Liebe, sie bekämpfen das Böse durch
Gutes, sie segnen, wo andere fluchen, sie kümmern sich, wo
sonst nur Gleichgültigkeit herrscht, und sie tun das alles auch
dann, wenn man sie dafür hasst und verfolgt, links liegen lässt
oder auslacht.
Insofern schafft das Tausendjährige Reich eine Hoffnung,
die nicht lähmt, sondern motiviert. Sie stellt in die Verantwortung, jetzt schon das zu leben, was im Tausendjährigen Reich
dann Standard und Ordnung sein wird: Schalom miteinander,
Schalom mit der Umwelt, Schalom mit Gott. Man stelle sich
einen Botschafter vor, der in einem fremden Land beginnt,
die Gesetze seines Heimatlandes zu brechen. Man stelle sich
einen Botschafter vor, der z.B. in Kolumbien mit Heroin handeln würde oder in Saudi Arabien vier Frauen nehmen oder
im Sudan Sklaven halten oder seine Tochter beschneiden lassen würde. Das ist schlichtweg nicht möglich, denn der Botschafter repräsentiert sein eigenes Land auch in den Normen
54
Ulrich Neuenhausen
und Werten. Es zählt nicht nur sein Wort, es zählt auch sein
Leben. Deshalb wird er an einigen Stellen den Regeln seines
Gastlandes nicht folgen können.
Fremd in dieser Welt sind wir nicht als flüchtig Durchreisende, sondern als beauftragte Botschafter. Wenn der
Anspruch, den wir vertreten, diese Welt zum Besseren verändert – sehr gut! Wenn jedoch nicht, dann sind wir trotzdem
weiterhin Botschafter, mit der gleichen Botschaft, mit dem
gleichen Lebensstil.
Das Ende ist der Anfang
Selbst das Tausendjährige Reich bleibt eine vorübergehende
Erscheinung. Ganz am Ende erfolgt das große Gericht Gottes
über alle Menschen, die bei der ersten Auferstehung nicht dabei waren.
Und ich sah die Toten, die Großen und die Kleinen, vor dem Thron stehen, und Bücher wurden
geöffnet; und ein anderes Buch wurde geöffnet,
welches das des Lebens ist. Und die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern
geschrieben war, nach ihren Werken. Und das
Meer gab die Toten, die in ihm waren, und der
Tod und der Hades gaben die Toten, die in ihnen
waren, und sie wurden gerichtet, ein jeder nach
seinen Werken.
(Offb 20,12–13)
Und dann geht es in Offenbarung 21 bis 22 erst richtig los.
Eine neue Erde, ein neuer Himmel, eine neue Stadt Jerusalem,
neue Völker, neue Geschichten, und mitten drin Gott selbst.
Gott hat die Geschichte dieser Welt auf Steigerung angelegt.
Immer weiter, immer größer, immer schöner, immer gerechter, immer friedlicher, immer erfüllender. Die Gemeinde ist
Teil dieser Geschichte, die jetzt schon begonnen hat und nie
mehr enden wird.
Zukunftserwartungen in der Offenbarung des Johannes
55
Bibliographie
Baukham, Richard 1993. The Theology of the Book of Revelation. Cambridge: Cambridge University Press.
Beale, Gregory K. 1999. The Book of Revelation. Grand Rapids: Wm. B.
Eerdmans Publishing Co.
Bietenhard, Hans 1955. Das tausendjährige Reich. Zürich:
Zwingli-Verlag.
Böcher, Otto 1998. Die Johannesapokalypse. 4., durchges. und mit einem neuen Nachtr. vers. Aufl. Darmstadt: Wiss. Buchges. Abt.
Verl. (Erträge der Forschung, 41).
Frey, Helmuth 1953. Das Ziel aller Dinge. Stuttgart: Calwer Verlag.
Maier, Gerhard 1981. Die Johannesoffenbarung und die Kirche. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck).
Mounce, Robert H. 1977. The Book of Revelation. Grand Rapids: Wm. B.
Eerdmans Publishing Co.
Neuenhausen, Ulrich 2011. Die Offenbarung. Das Buch, das glücklich
macht. Hammerbrücke: Jota-Publikationen GmbH.
McLaren, Brian 2008. Höchste Zeit, umzudenken! Jesus, globale Krisen
und die Revolution der Hoffnung. Marburg: Francke-Buchhandlung
GmbH.
Pohl, Adolf 1996. Die Offenbarung des Johannes. 1.Teil. 10. Auflage.
Wuppertal: R. Brockhaus Verlag.
Rist, Martin 1957. The Revelation of St. John the Divine, in Buttrick,
George A. (Hg.): The Interpreter’s Bible: James, Peter, John, Jude, Revelation, Volume 12. New York: Abingdon Press.
Schnabel, Eckhard J. 1993. Das Reich Gottes als Wirklichkeit und Hoffnung. Wuppertal: R. Brockhaus Verlag.
Thiessen, Jacob 2007. Israel und die Gemeinde. Die Frage nach der Wiederherstellung Israels – eine hermeneutische und exegetische Herausforderung. Hammerbrücke: Jota-Publikationen GmbH.
56
Ulrich Neuenhausen
„Das Streben nach
Glückseligkeit“
Oder: Wie Paulus im
Römerbrief die Konturen des
Reiches Gottes nachzieht
Marco Lindörfer1
Chris Gardner, gespielt von Will Smith, ist die Hauptfigur des
knapp 2-stündigen Dramas aus Hollywood „Das Streben nach
Glück“. Als kämpferischer Vater, der gerade das Sorgerecht
für seinen Sohn übernommen hat, versucht Gardner mit einem neuen Job als Praktikant einer Börsenmakler-Firma seinen Steuerschulden, dem rauen Leben auf den Straßen von
San Francisco und weiteren Hindernissen zu trotzen. Es ist die
klassische „Vom Tellerwäscher zum Millionär“–Geschichte,
basierend auf einer wahren Begebenheit, in der sich das Streben nach Glück für den hart arbeitenden Gardner am Ende
auszahlt.
Ursprünglich – fernab von Hollywood – sollte in der Unabhängigkeitserklärung der USA mit der Formulierung: „Recht
1
Lindörfer, Marco MTh, Leitender Referent im Bereich Jugend beim CVJM
Thüringen.
auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“2 der Fokus
auf dem gemeinsamen Wohlergehen liegen.3 Das Glück sollte
dabei aus der kollektiven „Verantwortung freier Männer und
Frauen für die gemeinschaftlichen Angelegenheiten“ (Newbigin 1989:28) kommen – soweit die Theorie. Praktisch gesehen war jedoch das Streben nach Glück, dieses verbriefte
„Grundrecht aller Menschen“,4 das Recht eines jeden einzelnen
Menschen.
Doch was genau ist Glück?
Glück – die Definition
Glück ist ein Wort, das viele Bedeutungen hat. Und um die Frage „Was ist wirkliches Glück?“ beantworten zu können, muss
zunächst die Antwort auf eine andere Frage gegeben werden:
„Was ist die Bestimmung, das Ziel des Menschen?“
Die Menschen „zum glückseligen Leben zu befähigen“
(Mensching 2012:8) ist das gemeinsam erklärte Ziel der antiken Philosophenschulen – vom Vorsokratiker Demokrit
(460–371 v. Chr.) bis zum Stoiker Marc Aurel (121–180 n.
Chr.).5 Glückseligkeit ist in Aristotelesʼ Ethik ein zentraler
2
Der Originaltext der Unabhängigkeitserklärung der USA vom 04. Juli 1776 lautet: „We hold these Truths to be self-evident, that all Men are created equal,
that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that
among these are Life, Liberty and the Pursuit of Happiness“ (Unabhängigkeitserklärung original englischer Text 1776). Am 09. Juli 1776 druckte die
deutschsprachige Zeitung Pennsylvanischer Staatsbote in Philadelphia den
vollständigen Text der Erklärung. Die betreffende Textstelle ist darin folgendermaßen übersetzt: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle
Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräusserlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit“ (Pennsylvanischer Staatsbote
1776).
3
Hannah Arendt spricht dabei vom Streben nach dem „öffentlichen Glück“
(1994:163). Dieses öffentliche Glück unterscheidet sich für sie deutlich vom
Privatinteresse mit dem „Recht auf rücksichtslose Verfolgung des Eigennutzes“ (:174).
4
So die Rezension des Filmes bei Amazon (Amazon 2013). Gilhus nennt das
„Streben“ nach Glück „ein universales Element im menschlichen Leben und
Denken“ (2008:1016).
5
Vgl. Mensching 2012.
58
Marco Lindörfer
Ende der Leseprobe von:
Reich Gottes - Veränderung - Zukunft - Theologie
des Reiches Gottes im Horizont der Eschatologie
Arthur Rempel GBFE e.V.
Hat Ihnen die Leseprobe gefallen? Das
komplette Buch können Sie bestellen unter:
http://epub.li/1orfEDq
Herunterladen