Zukunftsvisionen – Geburtshilfe 117 Zukunftsvisionen werdender Hebammen Hebammenklasse H09, Magdeburg Zukunftstraum 2022 Tür zu, Licht an. Erst mal alles weg von mir. Gedanken, Gefühle, nicht zu zu­ ordnen. Setze mich. Lärm in meinem Kopf … Regelmäßiges Tönen, rhythmische Bewegungen, das Paar im Einklang mit sich selbst. Das wichtigste Utensil an diesem „Geburtstag“ war vor allem der Stuhl zum Warten bis das Neugeborene seine Eltern begrüßte. Beim Betrachten des kleinen Wunders und der Familie geriet ich ins Schwärmen bis ein leichtes Tippen auf meine Schulter und ein Lächeln der Hebamme mich zurück­ holte. Gemeinsam ließen wir die Geburt Revue passieren und reflektierten unser Handeln im Team. Während die Hebamme mich bei der Dokumentation unterstützte, betrat die leitende Oberärztin beschwingt den Raum. Euphorisch teilte sie uns mit, dass die Sectiorate in diesem Jahr (2022) auf 13,3 % gesenkt werden konnte. In diesem Moment wurde mir wieder bewusst, dass sich das vierte Studienjahr dem Ende neigt und schon bald die Examensprüfungen anstehen. Doch ich fühlte mich gestärkt, denn in der Ausbildung konnte ich originäres Hebammenwissen in unserem hebammen­ geleiteten Kreißsaal sowohl mit viel Hingabe erleben als auch umsetzen. ­ eben der Unterstützung der Praxis­ N anleiterinnen, Mentoren und Lehrerinnen waren die evidenzbasierten Standards im Kreißsaal sehr hilfreich beim Erlernen einer sicheren und zugleich individuellen Begleitung der Frauen/­ Eltern. Doch viel Zeit bleibt mir nicht, um weiter in Gedanken zu schwelgen, denn es ist Freitag – der Tag der wöchentlichen Supervision. Das ist immer etwas ganz Besonderes für mich, denn hier bleibt für Ärzte, Hebammen und Hebammenstudentinnen Raum für Reflektionen, eventuelle Kritik und vor allem für das Setzen neuer Ziele. Ich bin erfreut als es heißt, dass die Geburtenzahlen in diesem Jahr deutlich gestiegen sind. Aus Befragungen wird ersichtlich, dass unsere Klientinnen vor allem die ­ ­kompetente Eins-zu-eins-Betreuung im Kreißsaal und die weiterführende, umfassende Unterstützung auf der integrativen Wochenstation durch Hebammen schätzen. In diesem Moment bemerke ich ein leises Tuscheln direkt neben mir. Es sind zwei Hebammen, die seit vielen Jahren in unserer Klinik tätig sind und sich angeregt über die neuen Entwicklungen der Haftpflichtversicherung unterhalten: „Es hat sich wirklich viel getan in den letzten Jahren. Wenn ich da an die Vergangenheit denke. In wenig Zeit soviel wie möglich schaffen zu müssen. Endlich kann ich wieder von der Arbeit leben.“ Ein Lächeln schleicht mir über das Gesicht … Ein plötzlicher Knall. Ich erschrecke, meine Augen öffneten sich schlagartig. Das Fenster vom Windstoß zugeklappt. Alles ein Traum. Ich versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Das erste, was mir in den Sinn kommt, ist: „Wie wird meine Zukunft wirklich aus­ sehen?“ Ich denke an die jetzige Situation: Haftpflichtprämien steigen ins Unermess­ liche, eine Eins zu Eins Betreuung ist mit dem akuten Personalmangel kaum vereinbar, Toleranz in allen Bereichen – Fehlanzeige. Trotzdem ich blicke hoffnungsvoll in die Zukunft, denn in der Vergangenheit hat sich vielfach bewiesen „Die Zukunft bauen, heißt an der Gegenwart ­bauen.“ Denn die Geschichte der Hebammen soll nicht wie einst im Märchen mit „Es war einmal“ enden. Hebammen­ schülerinnen 2012 Diese Geschichte haben wir nach 2,5 Jahren Hebammenausbildung am Ausbildungszentrum für Gesundheitsfachberufe des Universitätsklinikums Magdeburg A. ö. R. geschrieben. In einer Reflektionsrunde mit unseren Lehrerin- Schultz, Zukunftsvisionen werdender Hebammen | die hebamme 2012 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Nach 2,5 Jahren Hebammenausbildung formulierten 12 werdende Hebammen ihre Wunschvorstellungen für die Hebammenarbeit und die Praxiseinsätze während der Aus­ bildung in 10 Jahren. Zukunftsvisionen – Geburtshilfe nen für Hebammenwesen ließen wir unsere aufregende Ausbildungszeit Revue passieren und trugen unsere ­ vielschichtigen Gedanken zusammen. Die Teilnahme am Nationalen Heb­ ammenkongress, den WeHe-Treffen und zahlreichen berufspolitischen Aktionen eröffneten uns einen realistischen, aber auch hoffnungsvollen Blick auf unsere Hebammenzukunft. Das Erlebnis, als Teil einer ­Gemeinschaft für unsere Träume zu kämpfen, hat uns Mut gemacht. Auch wenn manche Entscheidungen der Politik uns traurig und wütend machen. Kurz vor dem Examen können wir sagen: wir haben zusammen geträumt, Heb2.2012_176x120_SiegemundPreis_2012.indd 1 diskutiert, gelacht, gefeiert, gelernt, die Achterbahn unserer Gefühle besprochen und uns nicht entmutigen lassen. Wir haben viel über uns selbst erfahren und sind daran gewachsen. Wir haben begonnen, unsere (Hebammen-)Gefühle zu reflektieren, den Frauen und uns zu vertrauen und die Verantwortung als Hebamme langsam, aber sicher anzunehmen. Ganz klar ist uns noch nicht, wie wir unsere Hebammenträume mit der Realität der klinischen Geburtshilfe und den hohen Versicherungsprämien für die außerklinische Geburtshilfe in Deutschland sowie unseren individuellen Lebensvorstellungen als Frau und Mutter in Einklang bringen. Es stellt sich nicht nur die Frage: Welchen Weg Schultz, Zukunftsvisionen werdender Hebammen | die hebamme 2012 wollen wir als Hebamme gehen? sondern auch: Was können wir uns leisten? Auf jeden Fall wollen wir gemeinsam weiter für das Recht der Frauen, selbstbestimmt zu gebären und dabei eine individuelle Begleitung von Anfang an zu erfahren, eintreten, damit die Hebammengeschichte nicht mit „es war einmal“ endet. Anschrift der Autorin: Hebammenklasse H09 Alexandra Schultz Ausbildungszentrum für Gesundheitsfachberufe am Universitätsklinikum Magdeburg A. ö. R. Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg E-Mail: [email protected] 21.05.12 20:00 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 118