Anmerkungen zur Würdigung des Islam in „Evangelii gaudium“

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Anmerkungen zur Würdigung des Islam in „Evangelii gaudium“
Hans Zirker
Die zwei Abschnitte, in denen sich das apostolische Schreiben von Papst Franziskus auf
den Islam bezieht (Nr. 252 und 253), sind in ihrem Verhältnis zu den vergleichbaren
Äußerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils bemerkenswert. Die unterscheidenden
Details mögen zunächst als geringfügig erscheinen, doch sind sie ebenso bedeutungsvoll wie die der Übereinstimmung.
Dass sich das päpstliche Schreiben eng an Artikel 3 der „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ anschließt, ist unverkennbar und
braucht hier nicht im Einzelnen belegt zu werden. Auch dass der Ton in der dem Papst
eigenen Weise pastoral ansprechender gehalten ist als die lehrhaft knappe Sprache des
Konzils, sei nur erwähnt. Hervorgehoben seien jedoch folgende Momente:
1. Im Unterschied zum Konzil bezieht sich das Schreiben des Papstes nicht nur auf
die „Muslime“ und ihren „Glauben“, sondern ausdrücklich auf den „Islam“. Diesen
Begriff vermied das Konzil konsequent (also auch in Artikel 16 der dogmatischen Konstitution „Lumen gentium“) und würdigte damit diese Religion nicht als geschichtsmächtige Bewegung und Gemeinschaft. Das fällt umso deutlicher auf, als die Konzilsdokumente in unmittelbarer Umgebung vom „Hinduismus“, „Buddhismus“ und, mit
besonderem Grund, vom „jüdischen Volk“ sprechen. Das Verhältnis von Kirche und
„Islam“ wurde somit nur indirekt thematisiert.
Das päpstliche Schreiben hebt sich davon vorteilhaft ab. Es richtet seinen und der Leser Blick auf „junge und alte Menschen, Frauen und Männer des Islam“. Diese Menschen haben ihren sozialen Ort und Zusammenhalt, nicht nur eine persönliche Spiritualität; ihr Glaube hat eine eigene geschichtliche Herkunft.
Demgemäß spricht Papst Franziskus auch vom „Dialog mit dem Islam“, nicht nur,
wie die konziliare Erklärung von „Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern
anderer Religionen“ (Art. 2, wobei hier „die Kirche“ nur an „ihre Söhne“ als interreligiöse Gesprächs- und Aktionspartner denkt).
Unverständlich bleibt allerdings, warum die deutsche Übersetzung des päpstlichen
Schreibens wiederholt nur von den „Angehörigen“ oder „Anhängern des Islam“ spricht
und nicht wie die italienische Fassung von den „Gläubigen“ („i credenti dell’Islam“).
Hier scheint ein fragwürdiger, vielleicht abgründiger theologischer Vorbehalt die Sprache geleitet zu haben.
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2. Als auf dem Konzil ein Entwurf der Erklärung zu den nichtchristlichen Religionen
über die Muslime gesagt haben wollte: „Sie bemühen sich auch, im Gehorsam gegen
Gott, als Einzelne, in der Familie und in der Gesellschaft ein moralisches Leben zu führen“, erhoben sich dagegen heftige Einreden, mit Berufung vor allem auf die im Islam
dem Mann gewährte Polygamie und die rechtlich mindere Stellung der Frau.1 So enthält
der verabschiedete Konzilstext schließlich nur den sehr abgeschwächten Hinweis darauf, dass Muslime „Wert auf sittliche Lebenshaltung“ legen. Umso gezielter betont nun
Papst Franziskus, dass die „Menschen … des Islam“ aufgrund ihres Glaubens „die
Notwendigkeit“ sehen, Gott „mit ethischem Einsatz und mit Barmherzigkeit gegenüber
den Ärmsten zu antworten“. Die auf dem Konzil erhobenen Einsprüche haben in dieser
Sicht ihre Kraft verloren. (Wollte man übrigens „Einsatz“ ins Arabische übersetzen,
käme man in ein Wortfeld, dem auch „Dschihad“ angehört, von vielen Muslimen heute
derart ethisch interpretiert.)
3. Unter den Schwierigkeiten und Hindernissen, die das Verhältnis von Christen und
Menschen anderer Religionen betreffen, hält der Papst zunächst die „Fundamentalismen
auf beiden Seiten“ für bedrohlich (Nr. 252). Stellt er dies noch einigermaßen allgemein
und gelassen fest, so ändert sich seine Sicht und Sprache grundlegend, wo er auf die
Lage der Christen als Minorität in vorwiegend muslimischer Bevölkerung zu sprechen
kommt. In eindringlichem, flehentlichem Ton, fern aller Lehrhaftigkeit, bittet er „diese
Länder“, den Christen die Freiheit zu gewähren, die Muslime ihrerseits „in den westlichen Ländern genießen“. Für ausgewogene und zurückhaltende Worte ist bei der gegebenen Lage kein Anlass.
4. Aber als ob doch noch ein Gegengewicht notwendig wäre, schließt der Papst eine
doppelt fragwürdige Feststellung an, dass nämlich „der wahre Islam und eine angemessene Interpretation des Korans … jeder Gewalt entgegen[stehen]“. Erstens möge es
zwar einem Muslim zukommen, für sich den „wahren“ Islam auszumachen, einem Außenstehenden aber ist dies angesichts des weiten Spektrums von Islam weder theologisch, noch religionswissenschaftlich noch nach persönlichem Ermessen möglich. Es
gibt bei uns nicht wenige Stimmen, die den „wahren“ Islam ganz anders identifizieren,
nicht weniger leichtfertig.
Verstärkt gilt dies für die Voraussetzung „einer angemessenen Interpretation des Koran“. Hinzukommt dabei, zweitens, dass der Koran, ein kodifiziertes Buch, unbestreit1
Vgl. Georges C. Anawati, Exkurs zum Konzilstext über die Muslime, in: LThK. E II, 485–187, hier
486.
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bar Aussagen und Forderungen enthält, die nicht „jeder Gewalt“ (!) entgegenstehen,
vielmehr deutlich Anwendungen von Gewalt rechtfertigen. Man mag sich dann darüber
streiten, wann, wo, wie, unter welchen Umständen usw., vor allem auch darüber, was
davon heute noch verantwortet werden kann; aber aus der Welt schaffen lassen sich
diese Texte nicht.
5. Nur als ein Lapsus aus biblischer Gewohnheit verständlich und schulmeisterlich
anzustreichen ist die Rede von den „heiligen Schriften des Islam“. Zwar wurde der Koran nach islamischer Überzeugung stückweise offenbart und zu 119 Suren gefügt; zwar
sind für den islamischen Glauben neben dem Koran tausende kleiner Überlieferungen,
die Hadithe, erheblich; doch mit all dem hat der Islam keine Mehrzahl von „heiligen
Schriften“.
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