Informationen zur Raumentwicklung Heft 6/7.2008 437 „Wir müssen unsere Städte neu erfinden“1 Anpassungsstrategien für Stadtregionen 1 Einleitung Der Klimawandel ist weder zeitlich noch räumlich ein fernes Phänomen. Diese unbequeme Wahrheit haben 2007 zum wiederholten Mal der 4. Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change) und die teilweise dramatischen Klimaverhandlungen in Bali vor Augen geführt.2 Die Anstrengungen zur Verminderung von Treibhausgasemissionen müssen schnell verstärkt werden. Gleichzeitig wird es einen nicht mehr vermeidbaren Klimawandel geben, an den wir uns anpassen müssen – gerade auch in unseren Städten. Dieser Klimawandel vollzieht sich dabei einerseits schleichend in Form von veränderten Temperatur- und Niederschlagsmustern, andererseits nehmen aber auch Wetter- und Witterungsextreme wie Hochwasser, Stürme und Hitzewellen zu.3 Dies sind plausible Zeichen für die jetzt schon zu erkennenden und zukünftig noch zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels in Deutschland. Nach Meinung der Experten des IPCC hat das Weltklimasystem dabei so lange Reaktionszeiten, dass ein Klimawandel nicht mehr länger vollständig aufgehalten werden kann. Daher: Auch wenn heute der gesamte Ausstoß der Treibhausgase gestoppt würde, wären seine Wirkungen auf unsere Städte und Gemeinden auch in den kommenden Jahrzehnten, ja Jahrhunderten noch spürbar. Wenn wir allerdings dem Anstieg an Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre keinen Einhalt bieten, besteht die Gefahr einer so starken Klimaveränderung, dass eine Anpassung nicht mehr oder nur noch mit großen finanziellen Anstrengungen möglich ist. Das Motto lautet also: „Das Unbeherrschbare vermeiden und das Unvermeidbare beherrschen“ (H.-J. Schellnhuber). Der globale Klimawandel und dessen regionale Auswirkungen bergen dementsprechend eine doppelte Herausforderung für den Stadtplaner: zum einen Klimaschutz, also die Reduzierung von Treibhausga- Wilfried Endlicher Andreas Kress sen, um den Klimawandel einzuschränken (engl. mitigation) und zum anderen Anpassung, d. h. sich auf die Auswirkungen der unausweichlichen, jetzt schon nicht mehr zu vermeidenden Folgen des Klimawandels vorzubereiten (engl. adaptation). Dabei ist entscheidend, diesen Wandel in einer ganzheitlichen Vorgehensweise anzugehen und in gleichem Maße Klimaschutz und Klimaanpassung zu berücksichtigen. Raum- und Stadtplanung können innerhalb einer solchen, nachhaltigen Vorgehensweise einen entscheidenden Beitrag leisten. Schließlich ist auch noch zu bedenken, dass durch die Bautätigkeit in der lokalen Raumdimension ebenfalls ein Klimawandel verursacht wird. Die Versiegelung des Untergrunds und die großen Baukörper in unseren Stadtregionen führen zu einer Veränderung der lokalen Energieflüsse. Die tagsüber gespeicherte Strahlungsenergie wird verzögert bis in die Nacht hinein wieder abgegeben. Das dadurch entstehende lokale, schon lange bekannte Phänomen einer städtischen Wärmeinsel ist den regionalen Auswirkungen des globalen Klimawandels überlagert.4 2 Klimaschutz in der Stadtplanung – ein noch unzureichend genutztes Potenzial Der Schutz des globalen Klimas ist langfristig sicher die beste Anpassungsmaßnahme. Leider wird das Potenzial der Stadtplanung für den Klimaschutz auch in Deutschland nach wie vor nicht voll ausgeschöpft. Mittel- und langfristige Strategien, die Raumnutzungen und -strukturen zum Schutz unseres Klimas einsetzen, werden noch zu wenig umgesetzt. Bei der Flächennutzungs-, Bebauungs- und Verkehrsentwicklungsplanung hat die Kommune in ihrer Rolle als Planer und Regulierer vielfältige Handlungsspielräume, die sie im Sinne des Klimaschutzes nutzen kann. Die energetische Optimierung von Siedlungen, die Verminderung der Flächenversiegelung und die Vermeidung und stadtverträgliche Prof. Dr. Wilfried Endlicher Humboldt-Universität zu Berlin Lehrstuhl für Klimageographie und klimatologische Umweltforschung Geographisches Institut Unter den Linden 6 10099 Berlin E-Mail: wilfried.endlicher @geo.hu-berlin.de Dr. Andreas Kress Climate Alliance – KlimaBuendnis – Allianza del Clima e.V. Galvanistraße 28 60486 Frankfurt a. M. E-Mail: [email protected] 438 Wilfried Endlicher, Andreas Kress: „Wir müssen unsere Städte neu erfinden“ Steuerung und Lenkung des Autoverkehrs tragen dazu bei, eine grüne und vielfältige Umwelt zu sichern sowie die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln.5 Entsprechende Maßnahmen sind: (1) Zitiert nach Hans-Joachim Schellnhuber, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (2) Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, WMO/ UNEP): Climate Change 2007. Summary for Policymakers (2007; www.ipcc.ch) (3) Rahmstorf, S., Schellnhuber, H.-J.: Der Klimawandel. – München 2006; Endlicher, W., Gerstengarbe, F.-W. (Hrsg.): Klima im Wandel – Rückblicke, Einblicke und Ausblicke. – Potsdam 2007 (http://edoc.hu-berlin.de/ miscellanies/klimawandel/) (4) Voogt, J.A. : Urban Heat Islands: Hotter Cities (2004; http://www.actionbioscience. org/environment/voogt.html); Grimmond, S.: Urbanization and global environmental change: local effects of urban warming. The Geographical J., 173 (2007) No. 1, S. 83–88; Alcoforado, M.J.; Andrade, H.: Global warming and the urban heat island: In: Urban Ecology: An International Perspective on the Interaction between Humans and Nature. Hrsg.: Marzluff, J., Shulenberger, E., Endlicher, W., Alberti, M., Bradley, G., Ryan, C., Simon, U., ZumBrunnen, C. – New York 2008, S. 249–262 (5) www.klimabuendnis.org; Endlicher, W.: Das Unbeherrschbare vermeiden und das Unvermeidbare beherrschen – Strategien gegen die gefährlichen Auswirkungen des Klimawandels. In: Der Klimawandel – Einblicke, Rückblicke und Ausblicke. Hrsg.: W. Endlicher; F.-W. Gerstengarbe. – Potsdam 2007, S. 119 –131 (http://edoc.huberlin.de/miscellanies/klimawandel/) (6) Koppe, C.; Jendritzky, G.; Pfaff, G.: Die Auswirkungen der Hitzewelle 2003 auf die Gesundheit. In: Klimastatusbericht 2003. Hrsg.: Deutscher Wetterdienst. – Offenbach 2004, S. 152–162 (www.dwd.de); Jendritzky, G.; Koppe, C.; Laschewski, G.: Klimawandel – Auswirkungen auf die Gesundheit. Internist. Prax. 44 (2004), S. 219–232; Menne, B.; Ebi, K.L. (Hrsg.): Climate change and adaptation strategies for human health. – Darmstadt 2006 • ökologisch sinnvolle Auswahl von Baugebieten im Hinblick auf die Nutzung von Sonnenenergie und die Vermeidung von Wärmeverlusten sowie die Anbindung an Nah- und Fernwärmeversorgung • Beeinflussung des Heizwärmebedarfs von Neubaugebieten durch Auflagen im Bebauungsplan wie energieeffiziente Gebäude, Förderung des Einsatzes von Sonnenkollektoren und Photovoltaikanlagen durch günstige Dachneigung, Minimierung von Wärmeverlust über zulässige Gebäudeabmessung und kompakte Bauweise, aktive und passive Nutzung der Sonnenenergie durch verschattungsarme Lage der Gebäude zueinander und Bepflanzungen • Verminderung des Individualverkehrs durch Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und bessere Anbindung von Siedlungen an das Bus- und Schienennetz sowie stadtverträgliche Steuerung und Lenkung des Verkehrs durch flächendeckende Parkraumkonzepte Deutsche Städte und Regionen wurden in jüngster Zeit bereits mehrfach von Naturkatastrophen heimgesucht, und die Gefahren nehmen zu. Extremwetter und -witterung betreffen Gebäude, Infrastruktur und Kulturerbe und führen zu hohen wirtschaftlichen Verlusten und finanziellen Belastungen. Die Hitzeperiode von 2003 verursachte einen Schaden von 17 Mrd. E in ganz Europa. Schätzungen gehen von etwa 35 000 zusätzlichen Todesfällen allein im August 2003 aus.6 Es handelt sich also um die folgenreichste Naturkatastrophe in Europa seit Jahrhunderten. Auch in Deutschland zeigte die Hitzewelle, wie wichtig ein Gesundheitssystem ist, das schnell und mit ausreichend Personal auf Notfälle reagieren kann.7 Im Jahr zuvor führte eine Jahrhundertflut zu schwerwiegenden Schäden in Ostdeutschland. Tausende Menschen verloren ihr Hab und Gut und es entstand ein Schaden in Milliardenhöhe (s. Foto). • Ausweisung von Standorten für Windkraft, Biogas, Photovoltaik, Geothermie etc. 3 Klimawandel findet jetzt statt Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass weltweit der hundertjährige lineare Temperaturtrend (1906–2005) etwa 0,74 °C beträgt. Außerdem rangieren elf der letzten zwölf Jahre (1995–2006) in der Liste der zwölf wärmsten Jahre seit Beginn der instrumentellen Messung der globalen Erdoberflächentemperatur 1850. Der Winter 2006/2007 war der wärmste Winter in Europa seit der ersten Wetteraufzeichnung im Jahr 1901. Die Experten des IPCC erwarten für die Zukunft einen Temperaturanstieg von etwa 0,2 °C pro Jahrzehnt und je nach Szenario eine um 1,1 bis 6,4 °C (Bestschätzung 1,8 bis 4,0 °C) höhere Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts. Die Hauptgründe hierfür sind die Nutzung fossiler Brennstoffe, die weitere Zunahme der Weltbevölkerung, wirtschaftliche Expansion und die Veränderungen in der Landnutzung. Auswirkungen der Elbeflut in der Bräuergasse in Foto: Landeshauptstadt Dresden Dresden 2002 Überschwemmungen an Flüssen Flüsse, die über ihre Ufer treten, sind für Städte seit Jahrhunderten ein wichtiges Thema.8 In der Vergangenheit hatten Flüsse bei anhaltendem und starkem Regen mehr Raum zum Abfließen. Jedoch lassen aktuelle Fortschritte der Klimamodellierung erahnen, dass die globale Erwärmung den meteorologischen Wasserkreislauf und die steigende Stärke und Häufigkeit des Niederschlags in den meisten Teilen Europas, speziell in Mittel- und Nordeuropa verstärken wird. Denn eine erhöhte Temperatur bedeutet gleichzeitig auch eine erhöhte Aufnahmefähigkeit der Luft für Wasserdampf und damit eine Steigerung der Niederschlags- Informationen zur Raumentwicklung Heft 6/7.2008 ergiebigkeit. Die Anzahl der Tage mit mehr als 20 mm Niederschlag pro Tag wird sich stark erhöhen, was wahrscheinlich zu einer Steigerung der Überschwemmungen durch Starkregen, insbesondere Sturzfluten beitragen wird. Extreme Wetterereignisse werden aller Voraussicht nach zunehmen. Das bedeutet, dass auch Regionen, die bisher kaum betroffen waren, Erfahrungen mit Extremwetter machen werden. Zwar können einzelne Witterungsereignisse (z. B. eine Hitzewelle) oder Wetterphänomene (z. B. ein Wintersturm) nicht nachweislich mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht werden; auf lange Sicht sind diese Zusammenhänge aber sehr plausibel. Die Wahrscheinlichkeit von Überflutungen könnte sich so während feuchterer und wärmerer Winter mit häufigeren Regen- und weniger Schneefällen erhöhen. Es gibt Anzeichen für ein künftig häufigeres und intensiveres Auftreten der die sog. Genua-Zyklogenese – auch Vb-Wetterlage genannt –, die viele Regionen Mitteleuropas betrifft. Dabei wird Warmluft über dem Mittelmeer stark mit Wasserdampf angereichert. Ein Tiefdruckwirbel verursacht dann ihren Transport nach Mitteleuropa aus der ungewöhnlichen Südostrichtung über Österreich und Tschechien. Starke Regenfälle in Ostdeutschland mit Überschwemmungen wie z. B. im August 2002 in Sachsen (Elbeflut) können die Folgen sein. Überflutung von Küstengebieten Städte in Küstennähe mussten sich schon immer mit Veränderungen der Meereshöhe auseinandersetzen. Das Ausmaß hängt von den Wetterbedingungen ab. Spring- und Sturmfluten sind der Auslöser für hohe Pegelstände, die mit Überschwemmungen in Küstengebieten einhergehen können. In vielen Fällen kommen verschiedene, sich verstärkende Phänomene zur selben Zeit vor, zum Beispiel auflandige Starkwinde an der Küste, Hochwasser im Mündungsgebiet eines großen Flusses sowie ein hoher Tidenstand. Aufgrund des Klimawandels steigt nunmehr der Meeresspiegel stetig an und bildet ein neues, zusätzliches Problem. Deshalb gelten Küsten als Regionen mit steigendem Risiko – das Risiko der Küstenerosion inbegriffen. Dieser Effekt wird durch die wachsende Bebauung der Küstengebiete verschlimmert. Wärmere Temperaturen erhöhen den 439 Verwundbarkeit (Vulnerabilität) zeigt an, inwieweit ein System für nachteilige Klimaänderungen (inkl. Klimaschwankungen und -extreme) anfällig ist bzw. nicht fähig ist, diese zu bewältigen. Die Verwundbarkeit leitet sich ab aus dem Charakter, der Größenordnung und der Geschwindigkeit der Klimaänderung und -abweichung, der ein System ausgesetzt ist, ebenso aus der Empfindlichkeit und Anpassungskapazität dieses Systems. Anpassungskapazität bezeichnet die Fähigkeit eines Systems, sich auf Klimaänderungen (inklusive Klimaschwankungen und -extreme) einzustellen, um potenzielle Schäden abzuschwächen, Vorteile aus Möglichkeiten zu ziehen oder die Folgen zu bewältigen (IPCC 2007). Meeresspiegel durch die Ausdehnung des Meerwassers sowie durch Schmelzwasser der Gletscher, Schneefelder und Inlandeisdecken. Der künftige Anstieg des Meeresspiegels hängt davon ab, wie erfolgreich die Verringerung der Treibhausgasemissionen sein wird. Aktuelle Modelle rechnen für dieses Jahrhundert, wenn es keine Verringerung der Emissionen gibt, mit einem Anstieg von bis zu 1 m. Sollte freilich die Eisdecke Grönlands gänzlich abschmelzen, wäre ein Anstieg des Meeresspiegels von bis zu 7 m möglich, was eine Anpassung über technische Maßnahmen ausschließen würde. Urbane Hitzeinseln Durch den Klimawandel werden die Stadtgebiete im Sommer immer mehr zu Hitzeinseln. Die maximale Temperaturdifferenz zwischen dicht verbauten Stadtzentren und dem Umland kann an hiesigen Sommerabenden bis zu 10 °C und mehr betragen. Eine länger andauernde Überhitzung von Städten kann dabei ernsthafte Auswirkungen für die Stadtbevölkerung mit sich bringen. Eine hohe thermische Belastung kann zu Hitzeerkrankungen führen, zu denen insbesondere kardio-vaskuläre Krankheiten zählen.9 Die Auswertungen von Hitzewellen 1994 in Berlin und 2003 in Süddeutschland zeigten, dass es in den Sommermonaten zu einer drastischen Zunahme von Todesfällen, insbesondere durch Herz-KreislaufErkrankungen kam. Insbesondere ältere Menschen sind betroffen, was ihre Gefährdung in einer immer älter werdenden Gesellschaft zukünftig weiter erhöhen wird. Aus Abbildung 1 geht hervor, dass in Berlin im Allgemeinen die Sterblichkeit im Winter etwas höher ist als im Sommer. Jedoch fällt in Abbildung 1a die ungewöhnliche Spitze der Sterblichkeit im Sommer 1994 auf. Die feinere Auflösung der Daten von 1994 in (7) Becker, P.; Bucher, K.; Grätz, G.; Koppe, C.; Laschewski, G.: Das Medizin-Meteorologische Informationsangebot für den Gesundheitssektor und die Öffentlichkeit. Promet 33 (2007) Nr. 3/4, S. 140–147 (8) Glaser, R.: Klimageschichte Mitteleuropas. – Darmstadt 2001 (9) Koppe, C.; Kovats, S.; Jendritzky, G.; Menne, B.: Heatwaves: risks and responses. World Health Organization. Health and Global Environmental Change, Series (2004) No. 2 440 Wilfried Endlicher, Andreas Kress: „Wir müssen unsere Städte neu erfinden“ Abbildung 1 Zusammenhang von Hitzebelastung und Sterblichkeit in Berlin a) Tägliche Maximaltemperaturen und Gesamtsterblichkeit 1991–2003 b) Tagesmaxima und -minima der Luft temperatur und Gesamtsterblichkeit 1994 Anzahl von Todesfällen Temperatur (°C) 500 40 Ta max / min (°C) Anzahl von Todesfällen 22.7. 40 400 30 20 300 10 500 5.8. Tagesmaximum 30 400 20 300 10 200 0 -10 100 Tagesminimum 0 200 -10 100 Todesfälle -20 -20 0 Jahr Dez Nov Okt Sep Aug Jul Jun Mai Apr Mar Feb Jan 2004 2003 2002 2000 2001 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 0 1994 Datenbasis: Deutscher Wetterdienst; statistisches Landesamt Berlin; Quelle: Gabriel, K.; Endlicher, W.: Human vulnerability to heat waves in Berlin, Germany. 6th Int. Conf. on Urban Climate, Göteborg, June 12-16. – Göteborg 2006 Abbildung 1b zeigt, dass das Jahresmaximum der Mortalität durch eine Hitzewelle zwischen dem 22. Juli und dem 5. August verursacht wurde.10 Neben einer erhöhten Gesundheitsgefährdung kommt es auch zu einer Minderung der Lebensqualität und der Leistungsfähigkeit der Stadtbevölkerung, wodurch die Produktivität und somit auch die städtische Wirtschaft beeinträchtigt werden. Die Benutzung von Klimaanlagen während solcher Hitzeperioden führt überdies zu einem erhöhten Energiebedarf und verstärkt so noch den Klimawandel (positiver Rückkoppelungseffekt). Das veränderte Bioklima hat auch Folgen für die Phänologie und das Wachstum der städtischen Vegetation. Erfahrungen in Dresden mit der Buche zeigen erste Einflüsse der Temperaturerhöhung auf Stadtbäume. Bei der Baumartenwahl sollten daher schon heute die Veränderungen der ökologischen Bedingungen mitberücksichtigt werden. (10) Gabriel, K.; Endlicher, W.: Human vulnerability to heat waves in Berlin, Germany. 6th Int. Conf. on Urban Climate, Göteborg, June 12-16. – Göteborg 2006, S. 226–229 (11) Stone, B. Jr.: Urban Heat and Air Pollution – An Emerging Role for Planners in the Climate Change Debate. J. American Planning Association 71 (2005) No. 1, S. 13–25; Shimoda, Y.: Adaptation measures for climate change and the urban heat island in Japan’s built environment. Building Research & Information 31 (2003) Issue 3/4, S. 222–230 passung an den Wandel birgt das Potenzial, die Anfälligkeit zu mindern. Aus der Sicht der Stadtplanung sind insbesondere Maßnahmen von Bedeutung, die Auswirkungen auf die Temperaturen in urbanen Siedlungsräumen (Hitzeinseln) und auf den lokalen Wasserhaushalt (Überschwemmungen) abschwächen. Generell stehen der Stadtplanung dabei Strategien wie Freihalten von bzw. Rückzug aus Flächen, differenzierte Entscheidungen über die Art der Flächennutzung (z. B. Ackerland statt Siedlung) oder die Festsetzung bestimmter Normen oder spezifischer Aussagen in Bebauungsplänen wie das Verbot von Kellergeschossen in Überschwemmungsgebieten zur Verfügung. Maßnahmen zur Verringerung von Wärmeinseln in Städten sind z. B. das Freihalten von Frischluftschneisen, die Beschattung von Straßenzügen durch Bäume, die Anlage von begrünten Straßenbahngleisen (s. Foto) 4 Anpassung an Klimawandel in verdichteten Siedlungsräumen Jede Region ist in unterschiedlicher Weise vom Klimawandel betroffen. Abhängig von der geographischen Lage und der Geländebeschaffenheit ergeben sich Unterschiede bei den momentanen und den zukünftigen Einflüssen von extremen Wetter- und Witterungsereignissen. Die Diskussion wird dabei weltweit geführt.11 Probleme entstehen durch die Wirkungen dieser Einflüsse auf Gesellschaft, Infrastruktur und Umwelt. An- Begrünte Straßenbahnlinie in Stuttgart Foto: J. Baumüller, Landeshauptstadt Stuttgart Informationen zur Raumentwicklung Heft 6/7.2008 Beispiel Stuttgart – Grüne Dächer für ein besseres Klima Die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart fördert seit fast 20 Jahren private Dachbegrünungen im Stadtgebiet. Grüne Dächer verbessern – im Gegensatz zu monotonen Kies-, Bitumen- oder Blechflächen – das Klima und filtern Schadstoffe aus. Dachbegrünungen mindern vorwiegend die Temperaturextreme im Jahresverlauf. Die Hitze im Sommer und der Frost im Winter erreichen die tragende Dachfläche gar nicht oder nur stark abgemildert. 441 Gründach in Stuttgart Foto: J. Baumüller, Landeshauptstadt Stuttgart Beispiel Niederlande: Leben mit dem Wasser Im Bereich des Hochwasserschutzes zeigen Erfahrungen in den Niederlanden, dass gegen die natürlichen Gegebenheiten technische Anpassungsmaßnahmen, etwa höhere Deiche und größere Pumpen, allein langfristig nicht ausreichend sind. Das entsprechende Motto in Holland lautet daher „Living with water – not fighting against water“. Das nationale niederländische Programm setzt auf Maßnahmen wie die Erweiterung von Flussbetten, Flussrenaturierung und der Bildung temporärer Überschwemmungsflächen. Statt gegen das Wasser zu kämpfen werden in Risikogebieten schwimmende Häuser, schwimmende Gewächshäuser oder gar schwimmende Straßen geplant. Beispiel: Austausch von Ölheizungen in oberösterreichischen Überschwemmungsgebieten Das Augusthochwasser 2002 führte in vielen oberösterreichischen Häusern trotz entsprechender gesetzlicher Auflagen zum Aufschwimmen von Tanks bzw. Auslaufen von Heizöl (vgl. Beitrag Drack i. d. H.). In einem Messprogramm wurden keine Grundwasserbeeinträchtigungen, allerdings länger anhaltende Geruchsprobleme auch nach dem Beseitigen ölhältiger Materialien festgestellt. Einhergehend mit geringeren Förderanreizen und steigenden Brennstoffkosten sank der Anteil der Ölheizungen bei neuen geförderten Einfamilienheizungen in Oberösterreich in wenigen Jahren von ca. 30 auf unter 1 %. Mehr als zwei Drittel beträgt der Anteil der Biomasseheizungen, Wärmepumpen und Fern- bzw. Nahwärme. oder der Bau von begrünten Dächern (siehe Beispiel Stuttgart). Neben diesen „grünen“ Maßnahmen werden auch „blaue“ diskutiert, also die Einbindung von im Sommer kühlenden Wasserflächen in die Stadtlandschaft. Auch eine Erhöhung der städtischen Albedo, durch die eine Verringerung der Strahlungsabsorption erreicht werden kann, wird diskutiert. Etliche Techniken, die eine Gebäudeklimatisierung während Hitzewellen ermöglichen, stehen bereits heute zur Verfügung, so der Einsatz von Fernwärme oder Solarenergie als Antriebsenergie für Kältemaschinen und die Nutzung von Grundwasser oder Nachtluft zur Kühlung. Die letztgenannten Maßnahmen einer „passiven Kühlung“, die im Gegensatz zur konventionellen, aktiven „Air-Condition“ ohne großen Energieeinsatz auskommen, eröffnen neue Möglichkeiten, auch im Hochsommer die Innenraumtemperaturen erträglich zu gestalten.12 5 Integrierte Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen für den urbanen Raum Dieser Beitrag soll regionale und lokale Verwaltungen motivieren, Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel gemeinsam in ihre Planung zu integrieren.13 Synergien werden erzeugt, wenn Maßnahmen sowohl die Treibhausgasemissionen mindern als auch die negativen Einflüsse des Klimawandels verringern und umgekehrt. Ein weiterer Synergieeffekt ist auch noch für die Luftreinhaltung zu erzielen. Denn wird eine Ölheizung gegen eine moderne Gasheizung ausgetauscht oder der Individualverkehr zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs verringert, dient dies sowohl dem Klimaschutz als auch der Luftreinhaltung, z. B. der Verringerung der Partikelbelastung. (12) Technische Hintergründe zum Thema: „Mit Sonnenwärme kühlen“; Solares Kühlen auf Basis der Absorptionskühlmaschine http://www.sonnenwaermeag. de/aktuell/solares-kuehlen.html http://www.solarserver.de/solarmagazin/artikeljuni2002.html (13) Fleischhauer, M., Bornefeld, B.: Klimawandel und Raumplanung – Ansatzpunkte der Raumordnung und Bauleitplanung für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel. Raumforschung u. Raumordnung 64 (2006) H. 3, S. 161– 171; Kress, A.: Climate change mitigation and adaptation to the impacts of heat waves – an integrated urban planning approach. Local land & soil news No. 22/23 (2007) II, S. 23–24 442 (14) Müller, M., Matzarakis, A., Endlicher, W.: Heat stress in Berlin, Germany. 6th Intern. Conf. on Urban Climate, Göteborg, June 12-16, 2006. – Göteborg 2006, S. 838–841 (15) Endlicher, W.: Stadtnatur, Stadtklima und Klimawandel in Berlin. – Berlin 2008. = Landschaftsentwicklung und Umweltforschung, Bd. 130 (im Druck) Abbildung 2 Drei Berliner Stadtquartiere mit Sonnenbahn, Horizonteinschränkung und beschatteten Bereichen im August: a) offene Esplanade des Alexanderplatzes, b) dicht bebauter Potsdamer Platz, c) Villenquartier Dahlem mit altem Baumbestand, d) Entrittshäufigkeit thermischer Belastungswerte im Hitzesommer August 2003 Datenbasis: Deutscher Wetterdienst Quelle: Müller, M., Matzarakis, A., Endlicher, W.: Heat stress in Berlin, Germany. 6th Intern. Conf. on Urban Climate, Göteborg, June 12-16, 2006. – Göteborg 2006 Wilfried Endlicher, Andreas Kress: „Wir müssen unsere Städte neu erfinden“ Es ist von entscheidender Bedeutung, die für jede Raumdimension verantwortlichen Akteure und Stakeholder zu identifizieren, zu informieren und zu motivieren. Die zu ergreifenden Maßnahmen sind auf der nationalen, regionalen oder gesamtstädtischen Ebene, in Stadtquartieren, Straßen und Einzelgebäuden jeweils unterschiedlich. Bereiche wie die Bebauungsplanung, der Ausbau von öffentlichen Verkehrssystemen sowie die Ausstattung von Gebäuden mit bestimmten Materialien und Heizsystemen können lokal und regional beeinflusst werden. Hier setzen Strategien und Pläne, die zugleich der Abschwächung des Klimawandels und der Reduktion von Treibhausgasen dienen, am effektivsten an. Bedeutende Arbeitsfel- der mit Synergien für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel sind dementsprechend Raumplanung, Bauwesen und die lokale Energieversorgung. Folglich spielen Städte und Gemeinden eine besondere Rolle bei integrierten Plänen zur Anpassung an den Klimawandel und Minderung von Emissionen. Zwar gibt es schon heute vorbildliche Kommunen im Bereich des Klimaschutzes, doch muss das Bewusstsein der lokalen und regionalen Entscheidungsträger, den Klimawandel übergreifend in den Planungen zu berücksichtigen, noch viel mehr gestärkt werden. Stadtplanung Die Stadtplanung spielt wie erwähnt eine Schlüsselrolle bei der Minimierung von Auswirkungen. Sie bietet das Potenzial, sowohl die Minderung von Treibhausgasemissionen als auch die Anpassung an den Klimawandel miteinander zu verbinden. So können durch verdichtetes Bauen die Energieeffizienz der Stadtgebiete verbessert und zugleich Fern- sowie Nahwärmesysteme genutzt werden. Die Verdichtung von Stadtgebieten in Kombination mit öffentlichen Verkehrssystemen ermöglicht einen geringeren Flächenverbrauch und minimiert Verkehrsemissionen (Leitbilder: „Kompakte Stadt“ oder „Stadt der kurzen Wege“). Um jedoch auf den Klimawandel reagieren zu können, sind auch begrünte und beschattete Freiräume zwischen der Bebauung erforderlich, etwa um das Mikroklima zu verbessern, nächtliche Kaltluftbildung zu fördern und Kaltluftströme zuzulassen (Leitbild: „Perforierte Stadt“). Eine Modellierung des Hitzestresses im August 2003 in drei verschiedenen Berliner Stadtquartieren zeigte, dass die Hitzebelastung im gut durchgrünten Villenvorort Dahlem wesentlich geringer war als am ähnlich beschatteten, aber nicht mit Bäumen bestandenen Potsdamer Platz und dass auf der offenen Esplanade des Alexanderplatzes die höchsten Belastungen auftraten (Abb. 2).14 Bauen in mittlerer Dichte unter Einschluss von begrünten Bereichen, Wasserflächen und Arealen mit gemischter Nutzung reduziert die Treibhausgase und trägt zur Anpassung bei. Die in unseren „schrumpfenden Städten“ brachfallenden Flächen stellen so gesehen sogar eine besondere Chance im Rahmen einer integrierten Anpassungsstrategie dar.15 Informationen zur Raumentwicklung Heft 6/7.2008 Stuttgart hat beispielsweise mit einem speziellen Klimaatlas eine gute Planungsgrundlage geschaffen.16 Wenn Stadtbegrünung und entsprechende Landschaftsgestaltung in den Planungen berücksichtigt werden, kann dies beidseitige Möglichkeiten bieten und sowohl zur Vermeidung von Hitzeinseln dienen als auch den Ausstoß von Treibhausgasen verringern.17 Biomasse von Stadtbäumen und Sträuchern kann darüber hinaus als Energiequelle genutzt werden und fossile Brennstoffe ersetzen. Wesentlich erscheint auch eine Berücksichtigung von Starkregenereignissen durch Wassermanagementpläne. Oberflächengewässer und Versickerungsmöglichkeiten wirken dabei als Puffer, die zugleich als Energie- (z. B. Wärmepumpennutzung für Heizzwecke) und Kältequellen (Kühlwasser) genutzt werden können. Grünbereiche helfen, das Wasserbudget zu stabilisieren, und erhöhen die Infiltration (bei Starkregen). Gebäude In Europa bietet die Optimierung des Energieverbrauchs von Gebäuden das größte Potenzial für langfristige Pläne zur CO2Reduktion. Gebäude sind auch wichtig für Anpassungsmaßnahmen gegen Wetter- und Witterungsextreme wie Überschwemmungen, Stürme und Hitzewellen. Gefahrenverhütung für Gebäude bei Extremereignissen und die Kühlung während Hitzeperioden sind zwei Bereiche, in denen Synergieeffekte für die Minderung von Treibhausgas-Emissionen und die Anpassung an den Klimawandel erreicht werden können. Beispielsweise benötigen Gebäude mit einer Hochleistungs-Wärmedämmung der Wände und Fenster im Winter weniger Energie. Im Vergleich mit dem durchschnittlichen Energiebedarf bereits existierender Gebäude ist eine Verringerung des Verbrauchs von 80 bis 90 % möglich. Gute Wärmedämmung wirkt auch als Hitzeschutz; allerdings muss ein wirksamer außenliegender Sonnenschutz bei Verglasungen realisiert werden.18 Die Verwendung neuartiger, wärme- bzw. kältespeichernder Baustoffe als Latentwärmespeicher (phase change materials) und CO2-neutrale Lösungen wie das Anlegen von begrünten Dächern für photovoltaische Aufbauten oder Schrägdächern mit Solarkollektoren sind typische Beispiele für 443 Synergien und tragen zu einem weiteren Kühleffekt bei.19 Um Überschwemmungsschäden gering zu halten, können – bei bestimmten Anwendungen – Holzmaterialien aus nachhaltiger Bewirtschaftung beitragen. Denn Holz ist haltbar, leicht zu trocknen und bleibt nach einer Flut in seiner Struktur erhalten. Es kann Baumaterialien ersetzen, bei denen mehr fossile Brennstoffe für die Erzeugung eingesetzt werden, z. B. Aluminium, Stahl und Beton. Dezentrale Energieversorgung Im Energiebereich können Klimaschutzziele, wie z. B. verbesserte Energieeffizienz und CO2-neutraler Energieverbrauch sowie Kohlenstoffbindung durch Biomasse, mit Anpassungszielen verbunden werden. Eine dezentrale Stromversorgung auf Basis von erneuerbaren Energien passt sich leichter an Klimaextreme, -katastrophen und entsprechende Stromausfälle an als große Elektrizitätswerke. Gleichzeitig trägt sie zur Minderung des Klimawandels bei. Ein wirkungsvolles kommunales Energiemanagement ist ein Schlüsselelement sowohl für den Klimaschutz als auch für die Anpassungsstrategie. Erneuerbare Energiequellen für Kühlung, Energieeffizienz, Reduzierung von internen Wärmequellen, Niedrigenergie- und Passivhäuser schützen ihre Bewohner während Hitzewellen effizient vor thermischem Stress. In von Überflutungen bedrohten Gebieten kann die Umstellung von Ölheizungen auf Biomasse helfen, Treibhausgase zu reduzieren und Umweltschäden durch auslaufendes Heizöl zu minimieren. Synergien für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel: Photovoltaikanlage auf Gründach Foto: F. Pielenz, Landeshauptstadt Dresden (16) Landeshauptstadt Stuttgart: http://www.staedtebaulicheklimafibel.de/ (17) Katzschner, L.; Bruse, M.; Drey, C.; Mayer, H.: Untersuchung des thermischen Komforts zur Abpufferung von Hitze mittels eines städtischen Entwurfs. In: Proceedings zur 6. Fachtagung BIOMET des Fachausschusses Biometeorologie der DMG. – Freiburg 2007. = Berichte Meteor. Inst. Uni. Freiburg Nr. 16, S. 37–42 (18) Becker, P.; Pfafferott, J. (2007): Die Relevanz der Innenraumverhältnisse für Hitzewarnsysteme. In: Proceedings zur 6. Fachtagung BIOMET des Fachausschusses Biometeorologie der DMG. – Freiburg 2007. = Berichte Meteorol. Inst. Univ. Freiburg, Nr. 16, S. 43–47 (19) United Nations Environment Programme: Buildings and Climate Change: Status. Challenges and Opportunities (2007;http://www.unep.fr/pc/ sbc/publications.htm) 444 Wilfried Endlicher, Andreas Kress: „Wir müssen unsere Städte neu erfinden“ Beispiel: Passivhaus Passivhäuser vereinen ein hohes Potenzial an Energieersparnis mit dem Vorteil der Anpassung an steigende Temperaturen und häufigere Extremwerte. Passivhäuser haben ein angenehmes Klima innerhalb des Gebäudes ohne aktives Heiz- oder Kühlsystem. Der Bedarf an Heizenergie beträgt nur 10 % im Vergleich zu herkömmlichen Gebäuden: Passivhäuser sind mit einer dreifach besseren Isolierung ausgestattet, die Wärmeverluste im Winter minimiert. Die über Verglasungen einfallende Sonnenenergie sowie Abwärme von Geräten und Personen reichen aus, die geringen Wärmeverluste auszugleichen. Passivhauskindergarten in Dresden Im Sommer ist das Passivhaus aufgrund des seriFoto: F. Pielenz, Landeshauptstadt Dresden enmäßigen Lüftungssystems, das Frischluft ohne Zugluft bietet, angenehm kühl. Besonders Schulen und Kindergärten eignen sich für die Passivhaustechnologie, da die Wärmeausstrahlung der Personen bereits einen großen Teil des Heizbedarfs deckt. So können beispielsweise 25 SchülerInnen ein Klassenzimmer warm genug halten – sogar wenn die Außentemperatur bei -12 °C liegt ! Auch in Mehrfamilienhäusern übersteigt die Temperatur an heißen Sommertagen mit Außentemperaturen bis 35 °C im Dachgeschoss nicht erträgliche 26 °C. Beispiel: Wolkenkratzer in Frankfurt Das zweithöchste Gebäude in Europa, der Commerzbank-Tower in Frankfurt a. M., wurde als ökologisches Hochhaus konzipiert. Integrierte Lichthöfe (Gärten) minimieren die Notwendigkeit von künstlichem Licht. Noch wichtiger ist die Tatsache, dass umweltfreundliche Technologien angewendet wurden, um den Energiebedarf für das Heizen und Kühlen zu reduzieren. Nahezu alle Innenwände sind in Glas ausgeführt. Durch eine doppelte Außenfassade ist eine Lüftung mit Frischluft möglich. Während die äußere Platte Regen und Wind von den zu öffnenden Fenstern fernhält, hält ein System von kühlenden Decken die Temperatur konstant. Die Angestellten können die Fenster öffnen, um frische Luft ins Büro zu lassen. So kann der Turm neun bis zwölf Monate natürlich belüftet werden. Das reduziert die Nachfrage nach Kühlung auf ein Minimum. Zusätzlich wird das Wasser vom Kühlsystem zum Spülen der Toiletten verwendet. (20) Nischwitz, G.: Relevanz der Klimapolitik in Stadt- und Regionalentwicklungsprozessen in Deutschland. – Bremen: Institut für Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen 2007 (http://www.iaw.uni-bremen. de/downloads/NischwitzWerkstattbericht.pdf); Zebisch, M.; Grothmann, T.; Schröter, D.; Hasse, C., Fritsch, U.; Cramer, W.: Klimawandel in Deutschland – Vulnerabilität und Anpassungsstrategien klimasensitiver Systeme. UBA-FB 000844. – Dessau: Umweltbundesamt 2005 (www.umweltbundesamt. de); Schuchardt, B.; Wittig, S.; Mahrenholz, P.; Kartschall, K.; Mäder, C.; Hasse, C.; Daschkeit, A.: Deutschland im Klimawandel – Anpassung ist notwendig. – Dessau: Umweltbundesamt 2008 (www.umweltbundesamt. de, www.anpassung.net) Beispiel: Kühlen mit Fernwärme in Dresden Kraftwerke produzieren nicht nur Energie, sondern auch Wärme, die in dicht bebauten Gebieten im Winter über Fernwärmeleitungen zur Heizung genutzt werden kann (Kraft-WärmeKopplung). Während des Sommers kann der Überschuss an Wärme aber auch zur Kühlung eingesetzt werden. Diese Kälte kann in dicht bebauten Gebieten in privaten und öffentlichen Gebäuden sowie in Betrieben Verwendung finden. Mögliche Überhitzung in Gebäuden kann so verhindert werden. Die Kühlung mit Fernkälte führt gegenüber elektrisch betriebenen Kältemaschinen zu einer deutlichen Reduzierung der CO2-Emissionen. Die Sächsische Landeshauptstadt Dresden ist eine der Pilotstädte für dieses System: Seit 1993 wurden mehr als 20 technische Anlagen mit einer Kühlkraft von ungefähr 13 Megawatt errichtet – zum Teil in öffentlichen Gebäuden, wie dem Sächsischen Landtag. In Zukunft sollen diese kleineren Anlagen zu einem ganzen Kühlungsnetzwerk in der Innenstadt verbunden werden, um eine Ausweitung kosteneffizient voranzutreiben. 6 Fazit Die Umsetzung des Anspruchs, unsere Städte wegen des Klimawandels neu erfinden zu müssen, steht erst ganz am Anfang.20 Nichtsdestoweniger ist aus ökonomischen und sozialen Analysen bekannt, dass der nachhaltige Umbau desto besser, bürgernäher bzw. partizipativer und kostengünstiger gelingen kann, je eher und konsequenter mit ihm begonnen wird.21 Die Leitbilder für die klimagerechte Stadt der Zukunft, konzipiert sowohl als kompak- te als auch perforierte Stadt, müssen weiterentwickelt werden. Dabei sind in einem integrierten Ansatz sowohl Vermeidungswie auch Anpassungsstrategien zu berücksichtigen. Anpassungsstrategien müssen für unterschiedliche Raumskalen entwickelt werden und sowohl gebäudespezifische als auch stadtplanerische Aspekte berücksichtigen. Einer blau-grünen Infrastruktur (blau: Einbindung von im Sommer kühlenden Wasserflächen in die Stadtlandschaft, grün: Maßnahmen zur Verringerung von Informationen zur Raumentwicklung Heft 6/7.2008 Wärmeinseln) kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, da durch diese eine Modifikation und Abmilderung der städtischen Wärmeinseln bei sommerlichem Hitzestress erreicht werden kann. Aus humanbioklimatologischer Sicht sind aber nicht nur Stadtraum-, sondern auch Innenraumaspekte zu berücksichtigen. Schwierige Gestaltungsfragen, die in unserem Jahreszeitenklima sowohl den winterlichen Lichtbedarf als auch das sommerliche Erfordernis von Schatten in gleichem Maße berücksichtigen, sind nicht einfach zu lösen. Und neben der Wärmedämmung zur Vermeidung von Energieverlusten im Winter sind technische Lösungen einer Passivkühlung im Sommer weiterzuentwickeln. Neben einer Anpassung an sommerliche Hitzewellen ist aber auch zu prüfen, ob unsere Städte extremen Orkanböen standhalten, wie sie letztmals im Januar 2007 während des Wintersturms „Kyrill“ aufgetreten sind. 445 Es bleiben noch viele offene Fragen: Welche Entscheidungen sind auf kommunaler Ebene für den öffentlichen Raum zu treffen und welche Anreize können für den privaten Bereich – insbesondere für eine Veränderung des Lebensstils – gegeben werden? Wie gelingt ein langfristiger, klimagerechter Stadtumbau unter finanziellen Restriktionen und den Unsicherheiten von Szenarien der wirtschaftlichen, energiepolitischen, demographischen und klimatischen Entwicklung? Wie kann die Rolle unserer Städte und Gemeinden dabei gestärkt werden und welche Rahmenbedingungen müssen zur Umsetzung der Maßnahmen für die lokale Ebene geschaffen werden? Andererseits gibt es bereits zahlreiche, imponierende Beispiele im In- und Ausland für eine gelungene Implementierung von Anpassungsmaßnahmen, die in die richtige Richtung weisen.22 Es muss freilich immer wieder daran erinnert werden, dass das Problem des globalen Klimawandels nur dann zu meistern ist, wenn unverzüglich alle Lösungsoptionen wahrgenommen bzw. wirklich „unsere Städte neu erfunden“werden. (21) Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.): Klimaschutz und Anpassung: Merkmale unterschiedlicher Politikstrategien. Vierteljahreshefte z. Wirtschaftsforschung 74 (2005) 2, S. 259-269; Böhm, H.R.: Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel – zwei untrennbare Handlungserfordernisse. In: Klimawandel-Anpassungsstrategien in Deutschland und Europa. Tagungsband zum 80. Darmstädter Seminar „Umwelt und Raumplanung“. Hrsg.: Böhm, H.R. – Darmstadt 2007, S. 1– 4; dort auch Fleischhauer, M.: Ansatzpunkte der Raumplanung an den Klimawandel, S. 83–90 (22) Adaptation and Mitigation – an Integrated Climate Policy Approach (www.amica-climate. net/)