EUROPÄISCHES PARLAMENT 2009 – 2014 Haushaltsausschuss 2012/2150(INI) 19.9.2012 STELLUNGNAHME des Haushaltsausschusses für den Ausschuss für Wirtschaft und Währung zum Europäischen Semester für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik: Umsetzung der Prioritäten für 2012 (2012/2150(INI)) Verfasserin der Stellungnahme: Catherine Trautmann Assoziierter Ausschuss – Artikel 50 der Geschäftsordnung AD\913189DE.doc DE PE494.682v02-00 In Vielfalt geeint DE PA_NonLeg PE494.682v02-00 DE 2/8 AD\913189DE.doc KURZE BEGRÜNDUNG Das Europäische Semester ist in erster Linie ein Mittel zur Koordinierung der Staatshaushalte und Reformprogramme der einzelnen Mitgliedstaaten. Unter den aktuellen Umständen wurde den Mitgliedstaaten eine stärkere Haushaltsdisziplin verordnet, um die Umsetzung der zusammenhängenden Rechtsvorschriften des „Sixpacks“ zu gewährleisten. Gerade unter diesen Umständen kann und sollte der Haushaltsplan der EU eine antizyklische Rolle spielen. Wie in den Verträgen festgelegt, darf der Haushaltsplan der Europäischen Union kein Defizit aufweisen, da es sich um einen Investitionshaushalt handelt, der allen 27 Mitgliedstaaten zugutekommt (über 85 % der Mittelzuweisungen fließen an die Mitgliedstaaten zurück). Der Haushaltsplan der EU kann insbesondere in den Bereichen integratives und nachhaltiges Wachstum als Auslöser und Wirkungsverstärker dienen und somit beispielsweise im Zuge der Kohäsions- und Regionalpolitik zu mehr Wachstum und verbesserter Wettbewerbsfähigkeit führen. Auf diese Weise werden die Mitgliedstaaten wiederum beim Erreichen ihrer wirtschaftlichen Ziele unterstützt, die in den nationalen Reformprogrammen festgelegt wurden (Strategie Europa 2020), und bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen, die im Rahmen des Europäischen Semesters vereinbart wurden. Die Programmumsetzung aller im Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2007–2013 vereinbarten Strategien ist in vollem Gange. Bei denjenigen Strategien, bei denen noch Aufholbedarf besteht, etwa im Bereich der Struktur- und Kohäsionsfonds (ein Thema, das aus verschiedenen Gründen sorgfältig bewertet und behandelt werden muss), haben sich die Kommission und der Rat darauf verständigt, ihre Möglichkeiten vollständig auszuschöpfen. Eine der Säulen des im Juni vom Europäischen Rat gebilligten „Pakts für Wachstum und Beschäftigung“ basiert in der Tat auf einer Neuausrichtung der Struktur- und Kohäsionsfonds, die bislang nicht vollständig (Schätzungen belaufen sich auf 55 Milliarden Euro) den kleinen und mittelständischen Unternehmen, der Forschung und Innovation und der Beschäftigung junger Menschen zugutekommen. Dies stellt nicht nur einen weiteren Schritt in die richtige Richtung, sondern auch einen mehr als begrüßungswerten Wandel in der Ausrichtung der Wirtschaftspolitik der EU dar und ergänzt im Wesentlichen die wichtigen Schritte zur vorübergehenden Lockerung der Kofinanzierungsregelungen für die am stärksten von der derzeitigen Krise betroffenen Mitgliedstaaten, die bereits in den Jahren 2010–2011 von Rat und Parlament gebilligt wurden. Die Kofinanzierungssätze für Mitgliedstaaten, die Finanzhilfen erhalten, wurden vorübergehend erhöht, um dafür zu sorgen, dass trotz der sehr angespannten Haushaltslage dieser Länder die notwendigen Investitionen getätigt werden können. Damit diese Maßnahmen etwas bewirken, müssen sie jedoch vollständig und rechtzeitig in den Jahreshaushalt der EU aufgenommen werden. Im Verlauf der Verhandlungen über die Haushaltspläne 2011 und 2012 hat der Rat gegen den Willen des Parlaments einen sehr geringen Umfang an Zahlungsermächtigungen durchgesetzt. Durch die systematische Weigerung, Mittel in angemessener Höhe bereitzustellen, die sich am tatsächlichen und nachvollziehbaren Bedarf orientiert, gefährdet der Rat den Konjunkturaufschwung, da die Empfänger in den Mitgliedstaaten, etwa regionale Behörden, Universitäten oder kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), die Mittel nicht rechtzeitig erhalten und vor enormen AD\913189DE.doc 3/8 PE494.682v02-00 DE Liquiditätsproblemen stehen. Positiv ist anzumerken, dass im Verlauf dieses Europäischen Semesters 2012 eine äußerst wichtige Einigung über eine Pilotphase (2012–2013) für Projektanleihen erzielt werden konnte, die eingesetzt werden sollen, um Finanzmittel für wichtige, mit Blick auf die Mitgliedstaaten wachstumsfördernde Infrastrukturvorhaben in den Bereichen Verkehr, Energie und Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zu mobilisieren. Die Europäische Investitionsbank wird diese Pilotphase im Juli 2012 starten. Dies stellt jedoch nur einen ersten Schritt hin zu dem in den nächsten Jahren dringend benötigten EU-Investitionsprogramm dar. PE494.682v02-00 DE 4/8 AD\913189DE.doc VORSCHLÄGE Der Haushaltsausschuss ersucht den federführenden Ausschuss für Wirtschaft und Währung, folgende Vorschläge in seinen Bericht zu übernehmen: 1. bedauert, dass keine weitreichende, glaubwürdige und ehrliche öffentliche Debatte über den Prozess des Europäischen Semesters geführt wird; ist der Auffassung, dass diese fehlende Debatte nicht den einzelstaatlichen Verfahren entspricht, in deren Rahmen vorgesehen ist, über die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik offen und demokratisch zu debattieren; warnt insbesondere davor, den Jahreswachstumsbericht als bürokratische Maßnahme ohne Zustimmung des Europäische Parlaments zu erstellen, und betont, dass das Europäische Semester durch eine stärkere Einbeziehung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments in allen seinen Phasen demokratisiert werden muss; verweist auf den Vorschlag des Europäischen Parlaments, dass sich alle Organe der EU auf ein interinstitutionelles Abkommen einigen sollten; verweist auf Artikel 13 des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, dem zufolge die Organisation einer parlamentarischen Konferenz von Vertretern der einschlägigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments und Vertretern der nationalen Parlamente vorgesehen ist; betont, dass der Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments einer der zuvor genannten zuständigen Ausschüsse des Europäischen Parlaments ist; 2. fordert die Kommission auf, den Jahreswachstumsbericht 2013 auf der Grundlage solider, ehrgeiziger und unvoreingenommener wirtschaftlicher Daten anzufertigen, die die tatsächliche makroökonomische Lage der Mitgliedstaaten sowie die zwischen ihnen bestehenden makroökonomischen Ungleichgewichte widerspiegeln; 3. ruft die Mitgliedstaaten auf, ihre nationalen Reformprogramme zeitnah anzupassen, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse im Verlauf des Europäischen Semesters infolge einer nationalen Parlamentswahl ändern, um die politische Natur der Reformen zu bekräftigen und zu gewährleisten, dass die neue Regierung sich in diesem Sinne engagiert; 4. fordert die Europäische Kommission auf, im nächsten Jahreswachstumsbericht umfassend auf die Rolle des Haushaltsplans der EU im Rahmen des Europäischen Semesters einzugehen und diese anhand faktisch belegbarer, konkreter Daten über die auslösenden, verstärkenden, synergetischen und ergänzenden Auswirkungen des Semesters auf die allgemeinen öffentlichen Ausgaben auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene hervorzuheben; ist darüber hinaus der Meinung, dass eine Finanzierung auf Ebene der EU zu Einsparungen in den Haushalten der Mitgliedstaaten führen kann, und dass dies betont werden sollte; ist der Auffassung, dass der Haushalt der Europäischen Union in Bezug darauf, Wachstum zu stimulieren und verstärkt Arbeitsplätze zu schaffen sowie die makroökonomischen Ungleichgewichte in der gesamten Union erfolgreich zu mindern, eine entscheidende Rolle spielt; 5. fordert den Rat auf, eine politische und öffentliche Debatte über die Höhe der notwendigen Mittel zur Umsetzung des „Pakts für Wachstum und Beschäftigung“, der im Juni 2010 vom Europäischen Rat verabschiedet wurde, zuzulassen; bringt seine große Besorgnis über den wiederholt vom Rat vertretenen Standpunkt zum Ausdruck, die im AD\913189DE.doc 5/8 PE494.682v02-00 DE Haushaltsplan der EU verfügbaren Zahlungsermächtigungen sollten künstlich reduziert werden, was dazu führen würde, dass die Fähigkeit der EU, ihren rechtlichen und politischen Verpflichtungen nachzukommen, gefährdet wäre; fordert den Rat erneut auf, sich mit dem Europäischen Parlament und der Kommission auf eine Methode zur Bewertung des tatsächlichen Zahlungsbedarfs zu einigen; betont, wie dringlich die Lage ist, vor allem hinsichtlich der Linien 1A und 1B (Wettbewerbsfähigkeit für Wachstum und Beschäftigung/Kohäsion für Wachstum und Beschäftigung) sowie in Bezug auf die Fonds zur Entwicklung des ländlichen Raums; 6. ruft die Mitgliedstaaten auf, die im „Pakt für Wachstum und Beschäftigung“ vereinbarten Möglichkeiten zur Prüfung von Neuzuteilungen im Rahmen der nationalen Struktur- und Kohäsionsfondsmittel (in Höhe von 55 Mrd. Euro) voll auszuschöpfen, um Forschung und Innovation, KMU (einschließlich deren Zugangserleichterung zu Finanzhilfen der EU) und die Beschäftigung junger Menschen zu fördern; fordert die Kommission auf, im Jahreswachstumsbericht 2013, der im November 2012 erscheinen wird, ein vollständiges Bild über das bislang in dieser Hinsicht Erreichte zu vermitteln; 7. betont darüber hinaus, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des Pakts für Wirtschaft und Beschäftigung ausdrücklich dazu aufgerufen sind, einen Teil ihrer Mittelzuweisungen aus den Strukturfonds einzusetzen, um gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) Instrumente für Kreditrisiken und -garantien zu erarbeiten, um Wissen und Fähigkeiten, den effizienten Einsatz von Ressourcen und strategische Infrastrukturprojekte zu fördern und den Zugang der KMU zu Finanzmitteln zu erleichtern; ist der Auffassung, dass die Behörden der Mitgliedstaaten eine Maximierung des Wachstumspotenzials anstreben sollten, das mit den anderen, bereits beschlossenen und aus dem Haushalt der EU finanzierten EU-Initiativen verbunden ist – etwa die Pilotphase für Projektanleihen, die seit 2007 zur Verfügung stehenden unterschiedlichen innovativen Finanzierungsinstrumente der EU in den Bereichen Forschung und Innovation, Unterstützung für KMU oder Mikrofinanzierungsprogramme; betont außerdem, dass die EIB für den Zeitraum 2012–2015 über ein erweitertes Kreditvergabevolumen verfügt; ist der Auffassung, dass diese Maßnahmen insgesamt, sofern sie richtig kombiniert und umgesetzt werden, das Grundgerüst eines EU-Investitionsprogramms für die kommenden Jahre bilden könnten, das eine überaus positive Wirkung auf das BIP und die Beschäftigung in allen 27 Mitgliedstaaten entfalten würde – einige Fachleute schätzen den Zuwachs des BIP auf 0,56 % und die Anzahl neuer Arbeitsplätze auf 1,2 Millionen; 8. ruft die Mitgliedstaaten daher auf, ihren einzelstaatlichen Beitrag auf Basis des Bruttonationaleinkommens (BNE) zum Haushalt der EU nicht als Anpassungsvariable ihrer Konsolidierungsbemühungen zu betrachten, und nicht den Versuch zu unternehmen, entgegen ihrer auf höchster Ebene gegebenen politischen Zusagen das Volumen der wachstumsfördernden Ausgaben im Haushalt der EU künstlich zu kürzen; ist sich jedoch der Tatsache bewusst, dass eine wirtschaftliche Spannung zwischen der Notwendigkeit der kurzfristigen Konsolidierung der Staatshaushalte einerseits und einer möglichen Anhebung der auf dem Bruttonationaleinkommen (BNE) basierenden Beiträge einiger Mitgliedstaaten andererseits besteht, die durch eine Erhöhung der Zahlungen im EU-Haushalt verursacht würde; wiederholt daher seine nachdrückliche Forderung nach einer Reform des Haushalts der EU – die bei der Aushandlung des MFR 2014–2020 vereinbart werden sollte –, in deren Rahmen der Anteil der auf dem BNE basierenden PE494.682v02-00 DE 6/8 AD\913189DE.doc Beitragszahlungen an den Haushalt der EU bis zum Jahr 2020 auf 40 % gesenkt wird, womit ein Beitrag zu den Konsolidierungsbemühungen der Mitgliedstaaten geleistet würde1; 9. ersucht die Kommission darüber hinaus, zu prüfen, ob die auf dem BNE basierenden Beitragszahlungen an den Haushalt bei der Berechnung des Strukturdefizits – gemäß der Festlegung im „Zweierpaket“ – ausgenommen werden können; 10. warnt in Anbetracht der Rolle des EU-Haushalts als Katalysator für Investitionen vor einer Kürzung des EU-Haushalts im Rahmen der Verhandlungen über den MFR 2014-2020, da die Schaffung von Wachstum und Beschäftigung in der Union dadurch beeinträchtigt würde. 1 Entschließung des Europäischen Parlaments P7_TA(2012)0245, Juni 2012, Ziffer 3. AD\913189DE.doc 7/8 PE494.682v02-00 DE ERGEBNIS DER SCHLUSSABSTIMMUNG IM AUSSCHUSS Datum der Annahme 19.9.2012 Ergebnis der Schlussabstimmung +: –: 0: Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder Marta Andreasen, Richard Ashworth, Francesca Balzani, Zuzana Brzobohatá, Andrea Cozzolino, James Elles, Göran Färm, Eider Gardiazábal Rubial, Salvador Garriga Polledo, Ivars Godmanis, Lucas Hartong, Jutta Haug, Monika Hohlmeier, Sidonia Elżbieta Jędrzejewska, Ivailo Kalfin, Sergej Kozlík, Jan Kozłowski, Alain Lamassoure, Giovanni La Via, George Lyon, Barbara Matera, Claudio Morganti, Juan Andrés Naranjo Escobar, Dominique Riquet, Alda Sousa, Derek Vaughan, Angelika Werthmann Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen) François Alfonsi, Alexander Alvaro, Lidia Joanna Geringer de Oedenberg, Paul Rübig, Peter Šťastný PE494.682v02-00 DE 27 2 3 8/8 AD\913189DE.doc