Baukonstruktion 1 Aufgabe WS 04/05 Institut für Baukonstruktion Lehrstuhl 1 Prof. Peter Cheret Prof. Peter Hübner Das architektonische Schaffen kreist um zwei Pole: Körper und Raum, d.h. die Bildung von Räumen und die Gestaltung der Körper. Diese beiden Vorgänge sind Grundvoraussetzungen des Bauens. Mag das künstlerische Moment oder die Bedürfnisse der Nutzer noch so sehr variieren, mag es sich um ein Einzelgebäude oder eine ganze Stadt handeln, immer bilden sie die elementaren Bestandteile architektonischer Tätigkeit. Der Raum in seiner ungeformten Wirklichkeit, als allgemeiner Luftraum, ist etwas Immaterielles und hat an sich keinen sichtbaren Ausdruck. Erst in der körperlichen Umsetzung kommt eine bestimmte Raumform zustande. In der allgemeinsten Bedeutung ist Architektur nichts anderes, als die Begrenzung des sichtbaren Luftraums von der kleinsten Raumzelle bis zum Kompliziertesten Raumgebilde. Prinzipien der Raumgestaltung, Oswald Matthias Ungers, 1963 Baukonstruktion 1 Aufgabe WS 04/05 Institut für Baukonstruktion Lehrstuhl 1 Prof. Peter Cheret Prof. Peter Hübner Einleitung Das Wissen um das sinnliche Erleben von Raum in Abhängigkeit zur Beschaffenheit seiner sichtbaren Oberflächen und mithin die Kenntnisse über die offenen oder verborgenen konstruktiven Strukturen sind unabdingbare Grundlagen des Entwerfens. Letztendlich ist architektonisches Gestalten die Beherrschung des virtuosen Spiels auf der Klaviatur der sinnlichen Wahrnehmung. Indem er realen Raum und Körper im Voraus denkt und definiert, ist der Architekt gleichermaßen Autor und Regisseur, der am Drehbuch des Alltags schreibt. Der Konstruktion und dem Material kommt beim Entwerfen, bzw. im Vorausdenken von Raum eine besondere Bedeutung zu - zunächst assoziativ-intuitiv - man stelle sich das soeben abstrakt Entworfene der Reihe nach aus unterschiedlichen Materialen gefertigt vor. Man wird feststellen, dass mit dem Wechsel des Baustoffes sich der gedachte Raum elementar verändert. Grundriss oder Schnitt bleiben gleichen und dennoch wird der in Holz gedachte Raum ein ganz anderer sein, als der in Proportion und Dimension identische in Beton oder Mauerwerk. In der weiteren Betrachtung wird man feststellen, dass es für die Charakteristik eines architektonischen Raumes wesentlich ist, ob das Mauerwerk der Wände geputzt, geschlämmt oder in der Oberfläche sichtbar bleibt. Es ist für die Atmosphäre im Raum entscheidend, ob für das Sichtmauerwerk ein heller oder dunkler Ziegel gewählt wird. Es sind die Zusammenhänge des Stofflichen, die das realisierte Gebäude definieren und letztendlich in der Konsequenz, wie die Dinge gemacht und gefügt sind, die architektonische Qualität bestimmen. Die Verwendung des Steins als Baustoff und seine Bearbeitung gehören zu den ältesten Errungenschaften unserer Kultur. Bis in die heutige Zeit hat sich der Mauerziegel als Material für eine universelle Bauweise in vielen Regionen und Bereichen erhalten. An der Entwicklung des Mauerwerkbaus lässt sich der gesamte technische und industrielle Fortschritt nachvollziehen. Der Grund für diese kontinuierliche Beständigkeit liegt in der hohen Flexibilität und in der einfachen Handhabung eines seriellen Produktes. Nach vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten werden die einzelnen Steine zu zweckmäßigen und vielfältig gestalteten Formen aufeinandergeschichtet. Im Wintersemester wollen wir uns in Einzelarbeit schrittweise dem Phänomen „Raum und Materie“ annähern. Dazu sind für Sie eine Übung und eine kleine Entwurfsaufgabe vorbereitet. 2 Baukonstruktion 1 Aufgabe WS 04/05 Institut für Baukonstruktion Lehrstuhl 1 Prof. Peter Cheret Prof. Peter Hübner Raum – Kunst – Kunst – Raum Aufgabe - Entwurfsthema Ein reicher Industrieller aus Stuttgart besitzt eine exklusive Sammlung zeitgenössischer Kunst. Seit längerem plant er drei seiner Objekte in eine besondere Beziehung zueinander zu setzen und darüber hinaus in den Dialog zu Architektur, die den Rahmen setzt. Auf seinem parkähnlichen Anwesen beabsichtigt er den Neubau einer kleinen Privatgalerie – eigens für die drei Objekte: Neo Rausch, Grat, 2000, Öl auf Leinwand, 200 x 300 cm Bruce Naumann, Clown Torture, 1987,Video Installation, 2 Farbmonitore mit integrierten Lautsprechern und Videoabspielgeräten, 50 x 50 x 40 cm (Breite x Höhe x Tiefe) Farbe und Ton Alberto Giacometti, Gehender Mann, 1960, Bronze Skulptur, 192 x 28 x 111 cm 3 Institut für Baukonstruktion Lehrstuhl 1 Prof. Peter Cheret Prof. Peter Hübner Baukonstruktion 1 Aufgabe WS 04/05 Die Bronze- Skulptur von Giacometti soll im Freien aufgestellt werden. Im Inneren des Gebäudes gibt es außer der Forderung einer eingebauten Sitzmöglichkeit keine weiteren funktionalen Anforderungen Von seinem Architekten erwartet der Industrielle eine konzeptionell begründete Idee zum Raum, der Belichtung, der Wegeführung und zur Form des Baukörpers. Er verabscheut Gags und wünscht sich für das Gebäude einen kontemplativen Charakter. Als Material gibt er Mauerwerk vor – mit sichtbaren Oberflächen innen und außen. Grundstück 1:500 mit der Lage des zukünftigen Pavillons oben links. Die zu überbauende Fläche beträgt etwa 8,5 x 6,0 m Die genauen Abmessungen sind entwurfsabhängig. Die Zeichnung ist orientiert mit dem oberen Blattrand als Norden. 4 Baukonstruktion 1 Aufgabe WS 04/05 Institut für Baukonstruktion Lehrstuhl 1 Prof. Peter Cheret Prof. Peter Hübner Übung 1, Räumling Als Einstieg in den Entwurfsprozess werden zunächst mögliche Baukörperformen im Massenmodell entwickelt und untersucht. Dazu wird Ihnen der Grünling eines Mauerziegels im Dünnformat (NF= 240 x 115 x 52 mm, Massivlehmstein, 2 kg/qm in feuchtem Zustand) zur Verfügung gestellt. Teilen Sie den Grünling in drei gleich große Stücke. Bearbeiten Sie jedes teil durch gezielte subtraktive Maßnahmen, sodass daraus unterschiedlich gegliederte Baumassen entstehen. Beachten Sie, dass ausschließlich eine orthogonale Geometrie erlaubt ist. Die Gliederung oder Unterteilung der Baumasse kann sowohl horizontal wie vertikal erfolgen. In dieser ersten Übung bearbeiten Sie den Baukörper ohne Maßstab, jedoch soll das von Ihnen entworfene Gebilde möglichst präzise die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Raum und Körper erkennen lassen. Beachten Sie die Beziehung der Baumasse (Innenraum) zur Umgebung (Außenraum). Versuchen Sie schnell und intuitiv zu arbeiten. Wen Sie mit einer Alternative bzw. einem Arbeitsschritt nicht zufrieden sind, beginnen Sie von vorne. Fertigen Sie parallel zum Modellieren Freihandskizzen an (Skizzenpapier und Bleistift). Stellen Sie skizzenhaft den Innenraum dar. Wenn Sie drei verschiedene Plastiken haben, analysieren und diskutieren Sie mit Ihrem Betreuer welche von den drei Alternativen in Hinblick auf die Entwurfsaufgabe das größte Entwicklungspotential besitzt. Entscheiden Sie sich für eine räumliche Plastik als Ausgangsidee für Ihren Entwurf. Versehen Sie jedes Stück auf der Unterseite mit einem Streifen Tesa Kreppband mit folgenden Daten: Räumling 1-3, Namen, Matrikelnummer. Bewahren sie sorgfältig alle Alternativen auf. Bei der Endabgabe müssen sämtliche Massenmodelle vorhanden sein. 5 Baukonstruktion 1 Aufgabe WS 04/05 Institut für Baukonstruktion Lehrstuhl 1 Prof. Peter Cheret Prof. Peter Hübner Übung 2, Entwurf Aus der Baukörperplastik aus der 1. Übung soll ein Raumkontinuum entwickelt werden, in welchem das Gemälde und die Video-Installation untergebracht werden. Die im Außenraum platzierte Skulptur soll zu den beiden Kunstwerken im Inneren des Volumens in Beziehung gesetzt werden. Bei der Perforierung der Raumschale um Ein- und Ausgänge, Lichteinfall, Aus- und Einblicke zu ermöglichen, soll äußerst sparsam und präzise operiert werden. Die Videoinstallation braucht eher wenig Licht, während das Gemälde durch Tageslicht ausgeleuchtet werden soll. Analysieren Sie alle Räume, in denen Sie sich bewegen und sich aufhalten. Werden Sie sich über Dimension und Proportion des jeweiligen Raumes bewusst. Beobachten Sie das Licht im Raum und auf den begrenzenden Flächen (Boden, Decke, Wand). Versuchen Sie die Atmosphäre eines Raumes zu beschreiben und erforschen Sie Ursache und Wirkung Ihrer Raumerfahrung. Wenden Sie das unmittelbar und individuell Erfahrene bewusst in Ihrem Entwurf an. Untersuchen Sie Alternativen und Varianten. Stellen Sie das von Ihnen Entworfene zur Diskussion, seien Sie offen für Kritik und Anregung. Fertigen Sie Freihandskizzen an und arbeiten Sie am Arbeitsmodell aus Wellpappe im Maßstab 1:20 mit realen Wandstärken. Konstruktion und Material Als Material für die Wände ist bindend Sichtmauerwerk aus Mauerzigeln im Normalformat vorgegeben. Obwohl es sich um ein nicht bewohntes Gebäude handelt, habe sämtliche Bauteile (Boden, Decke, Dach, Wand) die bauphysikalischen Anforderungen zu erfüllen. 6 Baukonstruktion 1 Aufgabe WS 04/05 Institut für Baukonstruktion Lehrstuhl 1 Prof. Peter Cheret Prof. Peter Hübner Ausrüstung: Sie brauchen für die 1. Übung folgendes: • • • • • • 1 Stk. Rolle Skizzenpapier, 0,33 x 100 m, 24 g/qm 1 Stk. Fallmienenstift TK 9400, Mienendurchmesser 3,15 mm, Härtegrad 6B 1 Stk. Cutter schmal mit Normalklingen, z.B. Marke Ecobra 1 Stk. Rolle Tesa Krepp, 19 mm 1 Stk Schneidematte, 45 x 60 cm, z.B. Marke Ecobra Farbstifte z.B. Polychromos von Faber-Castell Sie brauchen zusätzlich für die 2. Übung folgendes: • • • • • • 1 Stk. Schnurschiene, 120 cm lang, z.B. Marke Oneline 1 Stk. Fallmienenstift TK 9400, Mienendurchmesser 2,00 mm, Härtegrad 2B,3H 1 Stk. Dreieck 45/45, z.B. Aristo 1648 1 Stk. Radiergummi, Rotring B 20 1 Stk. Mienenspitzer für 2 mm Mienen, z. B. Marke Dahle 1 Stk. Taschenrechner 7 Baukonstruktion 1 Aufgabe WS 04/05 Institut für Baukonstruktion Lehrstuhl 1 Prof. Peter Cheret Prof. Peter Hübner Geforderte Leistungen: Grundriss M 1:20 Vollständiger Darstellung des Mauerwerksverbandes. Schnittansicht M 1:20 Bei geschnittenen Mauerwerksverbänden sind die vertikalen und horizontalen Fugen, bei Ansichtsflächen nur die horizontalen Fugen mit Doppelstrichen darzustellen. Ansicht M 1:20 Mindestens eine Ansicht mit vollständiger Darstellung des Mauerwerksverbandes Modell M 1:20 Aus Wellpappe mit realen Wandstärken. Präsentation Alle Zeichnungen sind Bleistiftzeichnungen auf weißem Karton (DIN A2, Querformat). Beschriftung Die Zeichnungen werden handschriftlich in grafischer Ordnung beschriftet und vermaßt. Name, Matrikelnummer und Semesterbezeichnung jedes Verfassers/In wie im ersten Übungsteil in Druckbuchstaben auf der Rückseite aller Pläne (10mm hoch, unten rechts, Randabstand jeweils 15 mm) Zur Endabgabe werden sämtliche Zeichnungen und Modelle aller Studierenden nach räumlicher Gegebenheit im Zusammenhang gehängt/ gestellt. Dazu sollen die Einzelblätter passgenau neben- und übereinander montiert werden. Die Prüfung ist studienbegleitend, d.h. die Teilnahme, auch an den Rundgängen, ist Pflicht. Die für die Vorbereitung der Präsentation erforderliche Zeit ist zu berücksichtigen. 8 Baukonstruktion 1 Aufgabe WS 04/05 Institut für Baukonstruktion Lehrstuhl 1 Prof. Peter Cheret Prof. Peter Hübner Kriterien der Beurteilung • Entwurf und Konzeption • Richtigkeit der dargestellten Baukonstruktion, sowohl in technischer wie in gestalterischer Hinsicht • Präsentation und Darstellung • Vollständigkeit der Leistungen Wir wünschen Ihnen und uns eine angenehme Zusammenarbeit Stuttgart, November 2004 Professor Peter Cheret Wiss.Mitarbeiter: Martin Arvidsson Michael Kaune Kersten Schagemann Frank Schäfer Isolde Stamm Lilly Wedler Externe Betreuer: Gerd Grohe Florian Heim Christian Klaffke Andreas-Thomas Meyer Susanne Nobis Sabine Panis Ulrike Reiser-Secker Karsten Schust Roland Stölzle Thomas Strähle 9