Glauben und Handeln aus dem Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit Nach dem Minarett-Verbot Die Zeichen der Zeit deuten auf eine grundlegende Veränderung unserer Gesellschaft. Grenzen fallen, und das verunsichert. Konfessionelle Grenzen, religiöse Grenzen, nationale Grenzen beginnen sich aufzulösen – durch eine vielschichtige Entwicklung hin zu einer weltweit vernetzten, multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft. Diese Entwicklung ist unumkehrbar, auch in unserem Land. Sie ist mit negativen wie auch mit positiven Begleiterscheinungen verbunden. Wir sind herausgefordert, uns dieser Entwicklung zu stellen und sie positiv mit zu gestalten. Wir haben gelernt als Reformierte und Katholiken miteinander zu leben, voneinander zu lernen und je länger je mehr in einem ökumenischen Geist zusammen zu arbeiten. Wir haben gelernt – ebenfalls in einem langen und schmerzhaften Prozess – Menschen jüdischen Glaubens als Teil der schweizerischen Gesellschaft anzuerkennen. Wir werden dies ebenso tun müssen und können mit Menschen muslimischen, hinduistischen, buddhistischen Glaubens – so wie wir auch eine wachsende Zahl von Mitbürgerinnen und Mitbürgern ohne religiöses Bekenntnis akzeptieren. Die Stärke des christlichen Glaubens erweist sich weder in einer prozentualen Mehrheit noch in einer langen Tradition, sondern in einem lebendigen Glauben an den Gott, der nach dem bibli1 schen Zeugnis der Gott der Liebe ist. Echte Liebe kennt keine Furcht , muss sich nicht gegen andere abgrenzen und braucht andere nicht einzugrenzen. Gerade das Geheimnis der Trinität bezeugt uns, dass Identität aus der Begegnung und dem Dialog erwächst bis zu jenem Punkt, wo Menschen mit verschiedenen Identitäten einander nicht zum Ärgernis, sondern zum Geschenk werden. Aus der Mitte des christlichen Glaubens an den dreieinigen Gott sind wir zum Dialog auf der Grundlage der Nächstenliebe gerufen. Darum bekennen wir: Wir glauben an den dreieinigen Gott. Das Geheimnis der Liebe. Seine wunderbare Schöpfung ist ein Geschenk an alle Menschen, ihnen anvertraut sie zu pflegen und zu bewahren und ihre Güter gerecht zu teilen. Die Bedrohung der Erde durch die masslose Ausbeutung ihrer Ressourcen bezeugt unsere Respektlosigkeit gegenüber dem Schöpfer und gegenüber unseren Mitgeschöpfen. Wir sind nicht Besitzer, sondern nur Verwalter dieser Erde. Der Glaube an Gott den Schöpfer befreit uns von der Angst um Hab und Gut und verpflichtet uns gleichzeitig zur Achtung vor dem Leben. In allem und hinter allem entdecken wir den, der alles trägt und erhält. Aus seiner Liebe leben wir und erkennen, dass wir mit allen Menschen, ja mit allem Geschaffenen auf Gedeih und Verderben verbunden sind. Wir glauben an den dreieinigen Gott. Das Geheimnis der Liebe, die sich mit uns Menschen eins macht in Jesus dem Menschensohn, dem Immanuel: Gott mit uns. In ihm ist Versöhnung und Befreiung, Freiheit und Hingabe, Vertrauen und Hoffnung. Er macht uns zu Kindern Gottes und die Mitmenschen zu unseren Schwestern und Brüdern. Er ist das Ende der Religion und der Anfang der Geschwisterlichkeit über religiöse Grenzen hinweg. Der Glaube an Jesus Christus befreit uns von der Angst um unsere christliche Identität und verpflichtet uns zur Achtung vor den Menschen anderer Kulturen und Religionen. Jesus ist unser Weg zu Gott und zu den Mitmenschen, er bezeugt uns die Wahrheit, die uns auch in anderen Religionen begegnet, er ermöglicht uns ein Leben jenseits aller Trennungen und Abgrenzungen. Er bewegt uns zur Solidarität mit den Benachteiligten und zum Einsatz für Gerechtigkeit zusammen mit allen Menschen guten Willens. Wir glauben an den dreieinigen Gott, Geist des Lebens und Geist der Gemeinschaft, Gott in uns und Gott unter uns. Der Schlüssel zum Geheimnis der Liebe: Ein Gott, der aus sich heraustritt und sich verschenkt an die Menschen, die er nach seinem Bild geschaffen hat und sie teilhaben lässt an seinem Geist – nicht der Geist der Angst, sondern der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit2. Der Glaube an den Heiligen Geist befreit uns zur Freiheit der Kinder Gottes3, die nicht mehr um sich selbst kreisen und nicht um ihre Anerkennung kämpfen müssen und darum fähig sind, selbst jene zu lieben, die ihnen feind sind. Der Geist der Liebe öffnet uns den Weg zu den Andern und hilft uns, sie zu verstehen, sie in ihrer Fremdheit und Verschiedenheit zu achten. Wir glauben an den dreieinigen Gott, der uns liebt, erneuert, sendet. In diesem Glauben setzen wir uns ein für eine bessere Welt. Das neue Gesicht der Schweiz Das Gesicht der Schweiz hat sich verändert und wird sich weiter verändern. Das bringt die Suche nach einer neuen Identität mit sich. Es wird eine multikulturelle und multireligiöse Identität sein. Kaum ein Land hat dafür bessere Voraussetzungen, denn wir waren schon immer eine vielsprachige und multikonfessionelle Nation. Die Geschichte lehrt uns, dass dies oft ein schmerzhafter Prozess ist. Aber wir können dahin gelangen, gemeinsam zu einer neuen Identität zusammen zu wachsen. Gerade der Glaube an den dreieinigen Gott, der in sich Einheit und Vielfalt ist, ermutigt uns, an diesem Projekt einer neuen, vielgestaltigen Schweiz mit zu arbeiten. 1 1. Johannes 4,17 2. Timotheus 1,7 3 Römer 8, 21 2 Peter Dettwiler, Hanna Kandal – Fachstelle OeME, Evangelischreformierte Landeskirche des Kantons Zürich, Tel. 044 258 92 38, [email protected]; www.zh.ref.ch interreligiöser Dialog März 2010