Bischof Dr. Felix Genn Predigt im Vesper-Gottesdienst zum Dank für das Pontifikat von Papst Benedikt XVI. am Donnerstag, 28.02.2013, im Hohen Dom zu Münster um 18.00 Uhr Lesungen: 3 Joh 8,5-8. Liebe Schwestern und Brüder im Glauben! Der Text, den wir eben in der Lesung gehört haben, ist dem dritten Johannesbrief entnommen, einer Schrift des Neuen Testamentes, die nur 15 Verse umfasst, und die selten im Laufe des Kirchenjahres vorgetragen wird. Es ist aber genau der Brief, aus dem Papst Benedikt XVI. 1977, als er zum Erzbischof von München und Freising ernannt wurde, seinen Wahlspruch ausgesucht hat, „Cooperatores veritati“ – „Mitarbeiter der Wahrheit“. Mitarbeiter der Wahrheit, das wollte Papst Benedikt XVI. in seinem bischöflichen Dienst sein, der sich in der Aufgabe der Nachfolge des heiligen Petrus fortgesetzt hat. Heute danken wir mit der ganzen Kirche für das öffentliche Wirken dieses Papstes und Bischofs. Auch wenn er sich jetzt aus der Öffentlichkeit zurückzieht, um im Gebet für die Kirche da zu sein, wird er selber sich weiterhin auf diese Weise als Mitarbeiter der Wahrheit verstehen. Das dürfen wir sicher mit Fug und Recht annehmen. Sicherlich hat Papst Benedikt XVI. schon in den Jahren als Universitätsprofessor hier in Münster von 1963 bis 1966 – damals schon weltkirchlich beansprucht – diese Aufgabe des Lehrers als Mitarbeiter der Wahrheit verstanden. So hat er der Ausbildung vieler Theologen gedient. Heute Abend versammeln wir uns als Kirche von Münster, um für den Dienst des Papstes Benedikt XVI. zu danken. Dazu haben wir das Abendgebet der Kirche gewählt, die Vesper. In ihr wendet sich die ganze Kirche an Christus, die niemals untergehende Sonne, um mit Ihm und durch Ihn am Ende des Tages dem Vater Dank und Lob darzubringen. Wir tun es mit den Worten Seiner Mutter Christi, dem Magnificat, und danken für die großen Taten der Erlösung, die uns durch Kreuz und Auferstehung zuteil wurden. Durch die Taufe haben wir daran Anteil erhalten, so dass wir alle sagen dürfen: „Denn der Mächtige hat Großes an mir getan“ (Lk 1,49). Wenn wir diesen Satz aussprechen, dürfen wir dabei auch an die vielen Menschen denken, durch die Gott Großes an jedem Einzelnen von uns getan hat. Verdanken wir doch den Glauben nicht irgendeinem Zufall, sondern konkreten Menschen, unseren Eltern, den vielen Vorbildern, denen wir im Laufe unseres Lebens begegnet sind, sicherlich auch den Verkündern der Frohen Botschaft. In den zurückliegenden acht Jahren, in denen Papst Benedikt XVI. seinen Petrusdienst ausgeübt hat, hat Gott auch durch diesen Menschen, der sich kurz nach seiner Wahl als „bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn“ bezeichnet hat, Großes für die Kirche und die Welt gewirkt. Dafür danken wir heute Abend. 2 Natürlich weiß ich auch, dass er herausgefordert hat, dass viele Menschen mit dem, was er gesagt und entschieden hat, nicht einverstanden sind, dass viele Enttäuschungen während seiner Amtszeit formuliert wurden. Jeder, der Leitungsverantwortung zu übernehmen hat, ob im Großen oder im Kleinen, weiß: Wer sich einsetzt, setzt sich aus – der Kritik, dem Urteil der vielen, den zahllosen Erwartungen. In einer solchen Situation gilt es, sich selbst treu zu bleiben, oder wie wir gerne heute sagen, authentisch zu sein. Und authentisch ist Papst Benedikt XVI. sicherlich gewesen. Das hat ihn nach der charismatischen Führungsgestalt des seligen Johannes Paul II. selbst bei der Gruppe Sympathien gewinnen lassen, bei der man es am wenigsten erwartet hätte, nämlich den jungen Menschen. Liebe Schwestern und Brüder, diese Authentizität, diese Echtheit und Ursprünglichkeit, wir könnten auch sagen, diese innere Mitte seines Tuns, empfing Papst Benedikt XVI. aus seinem Wahlspruch, Mitarbeiter der Wahrheit zu sein. Mehr wollte er nicht, aber auch nicht weniger. Es wäre vermessen, wollten wir heute Abend in diesem Dank-Gottesdienst seine Person und sein Lebenswerk angemessen würdigen. Eine andere Haltung bestimmt uns in dieser Stunde, um die Papst Benedikt XVI. selbst geworben hat, als er den ersten Band seines Jesus-Buches herausgab. Er bat damals die Leserinnen und Leser um „jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein verstehen gibt“1 Sympathie aber bedeutet mitleiden, versuchen, den anderen von innen her zu verstehen, um das, was er sagt und tut, von seiner ursprünglichen Absicht her zu retten.2 Diese Jesus-Bücher aber sind es, die uns die innerste Absicht dieses Menschen, Bischofs und Papstes offenbaren: Jesus zu suchen, ihn immer mehr kennen zu lernen, um in Ihm die Wahrheit des Lebens zu finden, eine Wahrheit, von der wir vor all unserem Suchen bereits gefunden worden sind. Was beim ersten Hören etwas kompliziert klingt, entspricht unserer Lebenserfahrung: Wenn einer wirklich liebt, sucht er mehr zu lieben, weiß sich von dem, den er liebt, je neu gefunden, um ihn noch tiefer kennen zu lernen. Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an die Ansprache, die Papst Benedikt XVI. 2005 am Ende des Weltjugendtages in Köln an uns deutsche Bischöfe gerichtet hat. Er greift dabei auf ein Wort des heiligen Augustinus aus seinem Psalmenkommentar zurück. Der heilige Augustinus widmet sich dem Wort „Sucht immer sein Angesicht.“ Papst Benedikt XVI. sagt dazu: „Der heilige Augustinus hat dieses Wort so schön ausgelegt, dass es mir schon damals als Student zu Herzen gegangen ist, wo er sagt: Das gilt nicht nur in diesem Leben, es gilt in Ewigkeit, immer wird dieses Angesicht neu zu entdecken sein, je weiter wir hinein schreiten in den Glanz der göttlichen Liebe, desto größer werden die Entdeckungen sein, desto schöner ist es, voran zu gehen und zu wissen, dass das Suchen ohne Ende ist, und darum das Finden ohne Ende und daher Ewigkeit Freude des Suchens und Findens zugleich ist. Menschen im Suchen stützen als Mitsuchende und ihnen zugleich doch auch geben, dass Er uns gefunden hat, und dass wir Ihn daher finden können.“3 Liebe Schwestern und Brüder, das heißt Mitarbeiter der Wahrheit. Das ist Kirche, den zu suchen, der sich selbst als „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) bezeichnet und dabei die anderen Menschen auf ihrer Suche nach der Wahrheit als Mitsuchende zu stützen. Vielleicht erscheinen wir als Kirche unseren Zeitgenossen zu starr, als solche, die schon alles gefunden haben, die schon alles wissen. Zwar können wir aus der Wahrheit, die uns Jesus ist 1 2 3 J. Ratzinger – Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Freiburg 2006, 22. vgl. Exerzitienbüchlein Nr. 22: „Jeder gute Christ muss mehr bereit sein, eine Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verdammen.“ Ansprache von Papst Benedikt XVI. bei der Begegnung mit den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz am 21.08.2005, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 169, 104 3 und gezeigt hat, manches in einem anderen Licht sehen und müssen es zur Sprache bringen. Jedoch gilt auch das Suchen, es noch tiefer zu erfassen, uns gerade auch durch das Gespräch mit anderen, auch mit anderen Religionen, auch mit solchen, die sich als Atheisten bezeichnen, neu hingeführt zu werden zu dem, von dem wir uns gefunden wissen, den wir aber niemals als Besitz haben können. Liebe Schwestern und Brüder, die Wahrheit, die der Herr bringt, fordert die Mitwirkung anderer Glaubender. Davon gibt der dritte Johannesbrief Zeugnis. Er schenkt uns einen Einblick in die Situation einer uns weithin unbekannten Gemeinde. Der Brief ist an eine einzelne Person gerichtet, die Gajus genannt wird, der offensichtlich mit dem Schreiber dieses Briefes befreundet war. Der Brief berichtet von Spannungen in der Gemeinde und bittet um Aufnahme von Wandermissionaren in die Gemeinde. Es handelt sich um Personen, die den Namen Christi verkünden, und denen Gajus zur Weiterreise ganz konkrete Hilfe geben soll. Indem er diese Missionare unterstützt, sei es durch einen Unterhalt oder durch eine Reiseversorgung, wird er Mitarbeiter für die Wahrheit. Daran spüren wir: Die Wahrheit Jesu Christi ist nicht irgendeine abstrakte Größe, sondern sie wird konkret, bezieht Menschen und Mitarbeiter ein. So hat es der Herr selbst getan: Er wollte nicht ohne uns die Welt retten. Er brauchte die Mutter, die ihn zur Welt brachte. Er brauchte die Apostel und alle, die mit ihm zogen. Er braucht auch uns, durch unser Apostolat im Alltag, durch unser Gebet, durch unsere Unterstützung derer, die öffentlich den Auftrag der Verkündigung wahrnehmen. Deshalb endet das Wirken von Papst Benedikt XVI. nicht damit, dass er sich jetzt ins Gebet und in die Einsamkeit eines Klosters zurückzieht. Er wird sich selber weiterhin in diesen Dienst hinein verpflichtet wissen. Dazu braucht er jetzt nicht nur unseren Dank für sein Wirken, sondern auch unser Gebet um Kraft und Segen für die Zukunft. Er braucht unser Gebet, damit auch sein jetziges Tun fruchtbar bleibt. Er selbst hat sehr deutlich in seiner Rücktrittserklärung davon gesprochen, dass dieser Dienst, selbst wenn er ihn nicht mehr aktiv ausfüllen wollte, „wegen seines geistlichen Wesens nicht nur durch Taten und Worte ausgeübt werden darf, sondern nicht weniger durch Leiden und durch Gebet.“4 Liebe Schwestern und Brüder, ich möchte schließen mit einem Wort von Papst Benedikt XVI. selbst, das er 1979 als Erzbischof von München und Freising zu seiner bischöflichen Aufgabe und zu seinem Wahlspruch geschrieben hat: Das Wort von den Mitarbeitern der Wahrheit sei für ihn zu einer Umschreibung dessen geworden, was Aufgabe des Bischofs sei, sagte er damals und fährt wörtlich fort: „Auch Er, gerade Er, ist ‚Mit-Arbeiter’, das heißt er tritt nicht im eigenen Namen auf, sondern ist ganz und gar durch ein ‚mit’ bestimmt. Nur wenn er ‚mit’ Christus und ‚mit’ der ganzen glaubenden Kirche aller Orte und aller Zeiten wirkt, tut er, was er tun muss. Seine Aufgabe ist es nicht, sich eine Gemeinde zu bauen, sondern Christus baut seine Kirche. Das bedeutet, dass er zu dem hinführen muss, der deswegen Weg ist, weil er die Wahrheit ist (Joh 14,6).“5 Liebe Schwestern und Brüder, so werden wir in diesem Dank-Gottesdienst zugleich mit einer Sendung entlassen, in die Sendung, Mitarbeiter der Wahrheit in der Kirche zu bleiben und zu sein, die vielen Suchenden in ihrem Suchen zu unterstützen und sich selbst als Suchende zu verstehen, in Dankbarkeit, von Christus, der Wahrheit, gefunden zu sein. Wenn wir dieser Spur folgen, bleiben wir Papst Benedikt XVI. nicht nur in Dankbarkeit verbunden, sondern werden in dem großen Miteinander der Kirche selbst das, was schon der Gajus des dritten Johannesbriefes sein sollte, Mitarbeiter der Wahrheit, im ganz konkreten Alltag. Amen. 4 5 Rücktrittserklärung. L’Osservatore Romano 43 (2013), Nr. 7, Seite 1 J. Ratzinger, Mitarbeiter der Wahrheit – Gedanken für jeden Tag, München Neuauflage 1990, 6.