Spectrum Die Kunst, Zweiter zu sein

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Stadthalle Wien Halle F
Vogelweidplatz 14
1150 Wien, Österreich
Die Kunst, Zweiter zu sein
SAMMLUNG
Respektvolle Distanz statt harter Kontraste: Wie sich Helmut Dietrich und Much
Untertrifaller mit Augenmaß einem Monumentalbau annähern. Die neue Halle F im
Wiener Stadthallen-Komplex.
ARCHITEKTIN
Spectrum
Dietrich | Untertrifaller
BAUHERRIN
Wiener Stadthalle Betriebs- und
Veranstaltungsges. m. b. H
von Walter Zschokke
Die Wiener Stadthalle gilt zu Recht als herausragendes Monumental bauwerk, das in der
Wiederauf bauzeit der 1950er-Jahre als einsame Ausnahme neu errichtet wurde. Roland
Rainer hatte mit seinem Entwurf nicht bloß ein sehr großes Gebäude im Sinne eines linear
vergrößerten Hauses vorgeschlagen; vielmehr gelang ihm eine Großform, die dem riesigen
Volumen maßstäblich gerecht wird und als städtebauliche Figur zu den Nachbarbauten
etwa zwei Häusergrößen Abstand hält. Zugleich wahrte der zeichenhafte, an beiden Seiten
expressiv hochgezogene und aufgestelzte Baukörper vorsichtige Distanz, indem er hinter
Märzpark und niedrigem Foyerbau eher zurückhaltend in Erscheinung tritt. Eine
zusätzliche Betonung des monumentalen Charakters vermied der Architekt. Und er wird
nach den Jahren martialischer Massenaufmärsche und totalitärer Großveranstaltungen
wohl gewusst haben, warum. Dennoch blieb die städtebauliche Beziehung zum
Verkehrsknoten Urban-Loritz-Platz seltsam ungeklärt. Denn nicht wenige Besucher streben
jeweils durch die vom Märzpark gebildete Entspannungszone - einen wichtigen Vorbereich
solcher Anlagen der Massenkultur - zum Stadthallenkomplex. Aber gerade in dieser
Richtung war die städtebauliche Wirkung schwach.
Mit der neuen Halle F, von Helmut Dietrich und Much Untertrifaller, nach gewonnenem
Wettbewerb an eben dieser Schlüsselstelle errichtet, wird die Eckposition angemessen
markiert, werden angrenzende Straßen- und Platzräume definiert und wird der Dialog mit
dem beachtlichen Bestand gesucht und klug geführt. Die östliche, zum Gürtel gerichtete
Stirnseite kragt etwa zwölf Meter aus. Das ist einerseits städtebaulich als Empfangsgeste
zu deuten, andererseits liegt die vordere Kante in der Flucht der Querachse vor der
Stadthalle, die von der Moerlinggasse und - auf der anderen Seite - von der Zinckgasse
gebildet wird. Damit erhält der in der Hütteldorfer Straße vor dem Möbelhaus ausgeweitete
Straßenraum einen klaren, straßenparallelen Abschluss und mit der Pausenterrasse vor
dem Südfoyer ein urbanes Element.
Die verglaste Eingangswand unter der Auskragung, wo sich die Türen zum Eingangsfoyer
reihen, folgt hingegen der Flucht der niedrigen Eingangsfront zur großen Halle. Damit
werden zwei parallele städtebauliche Kanten mit dem neuen Gebäude sorgfältig und präzis
in Beziehung gebracht. Die auch als Medienwand gestaltbare Stirnseite ist geschlossen,
die schräg zurückweichenden Flanken hingegen sind vollflächig verglast. Dahinter
befinden sich die Pausenfoyers. Während nun die südexponierte Seite parallel zur
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STATIK
K+S Ingenieure
Zemler + Raunicher
ÖRTLICHE BAUAUFSICHT
Arge Galli/Fröhlich+Locher
FUNKTION
Sport, Freizeit und Erholung
PLANUNG
2003 - 2004
AUSFÜHRUNG
2003 - 2006
MITARBEIT PLANUNG
Peter Nußbaumer (PL), Michael Porath,
Jana Sack, Doris Tahedl, Ralf Broger,
Eva Dorn, Johannes Hug, Christian
Wolff, Judith Wirthensohn, Thomas
Spiegel, Ena Llorett Kristensen,
Christof Brill, Nina Sulger, Fritz Holger
WEITERE KONSULENTiNNEN
Projektsteuerung: Vasko+Partner
TGA: Vasko+Partner
Bauphysik: Vasko+Partner
Akustik: Müller BBM, München
Bühnenplanung: Kottke Ing., Bayreuth
Brandschutzgutachten: IBS, Linz
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Hütteldorfer Straße verläuft und sich damit dem Stadtgefüge unterordnet, sodass das
Bauwerk hier eher Stadtreparatur betreibt, ist die symmetrisch angeordnete Nordseite in
dieser Hinsicht frei. Die Nähe zu den schrägen Tribünenstützen und den weiteren
Schrägen an der großen Halle führt hier zu einem interessanten Dialog windschief im
Raum verlaufender Kanten und Linien.
Dabei überlässt der Neubau der älteren Halle hinsichtlich Höhe und Instrumentierung den
Vorrang. Die Lautstärke der Architektursprache ist zurückgenommen, und die glatten
Aluminiumtafeln der Fassade halten ausreichend Distanz zum profilierten Blech an der
großen Halle. Am Tag spiegelt sich deren sonnenbeschienene Südfassade in der
Glaswand, die im Schatten liegt. Nachts öffnet sich das beleuchtete Pausenfoyer und
dialogisiert mit dem Raum unter den hochgezogenen Rängen des Rainer-Baus.
Helmut Dietrich und Much Untertrifaller zeigen, wie in dieser spannungsreichen Situation
nicht etwa harte Kontraste, sondern kalkulierte Annäherung bei den Volumen und
respektvolle Distanz in den Details zum optimalen Resultat führen. Der Sachverhalt ist auf
dem Foto von Bruno Klomfar gut erkennbar.
Das Innere ist übersichtlich strukturiert, mit kurzen Wegen und direkten Zugängen. Im
keilförmigen Raum unter den Zuschauerrampen wird man in die Foyerhalle hineingezogen.
Zwei breite Treppen führen an beiden Seiten hinauf zu den Pausenfoyers, deren
ansteigender Boden mit den Sitzreihen im Saal korrespondiert, sodass keine Stufen
anfallen. Boden und Wände sind mit Robinienholz belegt, einem robusten Material von
dunkel-warmer Anmutung. Über die hohen Glaswände wirken die Pausenfoyers offen und
sind abends von außen einsehbar wie riesige Schaufenster. Das Geschehen im Inneren
wird den Vorbeigehenden gezeigt und belebt damit den öffentlichen Raum.
Der Saal selbst ist ganz in hellem Rot gehalten, eine starke Farbe, die bereits ohne
Publikum Erwartungsspannung erzeugt. Es gibt hier keinen Balkon. Damit ist eine
Trennung der Zuschauermasse vermieden. Gerade dass die Sitzreihen einmal durch einen
breiten Querweg unterbrochen werden, der, "Catwalk" genannt, zugleich einen
ausgelagerten Teil der breiten Bühne bildet. Zuhinterst befindet sich leicht erhöht ein
VIP-Bereich, von dem kurze Treppchen in die hinter der Saalrückwand befindlichen
VIP-Lounges führen, mit einer Bar und bequemen Sitzzonen. Der Zuschauerraum ist somit
ähnlich wie ein Segment aus einem Fußballstadion organisiert.
Zu beiden Seiten und hinter der Bühne schließt der Backstage-Bereich an, dessen Ebenen
durch Treppen, wie im Bild versehen mit hellgrüner Wandfarbe, verbunden sind. Das
angenehme, zum Saalrot komplementäre Grün verdanken Auftretende und Bühnenarbeiter
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der Einsicht, dass der Sichtbeton dann doch zu unansehnlich war. In diesem Fall wohl ein
Glück, da dies in solchen Räumen eher mit radikalem Sparen als etwa mit jenem glatt
geschalten Beton von Tadao Ando in Verbindung gebracht wird. In den Ecken des hinten
breiteren Gebäudes befinden sich ein kleinerer und ein größerer Saal, für Proben, aber
auch für Bankette, beispielsweise bei Kongressen. Sie sind daher auch von den
Pausenfoyers her zugänglich. Darüber liegt noch ein Geschoß mit Büros.
Die Anlieferung erfolgt klarerweise von der Rückseite, und von den Laderampen sind es
nur wenige Meter bis zur Bühne. Diese bietet alles, was in einer heutigen
Veranstaltungshalle gefordert ist; für Konzerte, Revuen, Tanz bis zu Zirkus, aber ebenso
Modeschauen und Tagungen. Darauf abgestimmt ist die Akustik, die mit
Beschallungsanlagen auf kurze Nachhallzeiten ausgelegt ist. Sie sorgt für eine gute
Sprachverständlichkeit und lässt den Toningenieuren freie Hand.
Der rational und dicht gepackte Komplex steckt in einem geometrisch exakt geformten
Volumen, das auch in der Dachaufsicht nicht an Klarheit einbüßt. Damit ist das Bauwerk
durchaus zeitgenössisch, aber nicht in einer aufdringlichen Art. Und trotz der attraktiven
städtebaulichen Lage gesteht es der ein halbes Jahrhundert älteren Halle von Roland
Rainer die Hauptrolle zu. Ein sehr guter Zweiter kann sich das leisten.
Spectrum, 04.03.2006
WEITERE TEXTE
Stadthalle Wien – Erweiterung, Az W, 06.03.2006
Klare Verhältnisse, Matthias Boeckl, architektur.aktuell, 01.04.2006
Wie singt der Schwan für Roland Rainer?, Wojciech Czaja, Der Standard, 14.01.2006
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